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Die Näherin

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Autor: Heinrich Beta
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Titel: Die Näherin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27–28, S. 286–288, 297–300
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[286]

Die Näherin.

(Geschichte aus der „guten Gesellschaft“ Englands.)
Von Heinrich Beta.


„Sie haben wohl diesen Brief verloren, mein Herr!“

Diese wenigen Worte wurden mit einer so süßen, klaren Stimme gesprochen und dabei schlug sie ihre Augen so bescheiden und vornehm auf und nieder und sah so kindlich, frisch, reizend, einfach und graziös aus, daß der angeredete Herr ganz gegen englische Manier den Hut zog und ganz gegen englische Manier sich höflich verbeugte und ganz gegen englische Manier mit Herzlichkeit dankte und von der großen Güte sprach, mit der sie den Brief aufgehoben und ihm überreicht hatte. „Meinen herzlichsten, meinen verbindlichsten Dank! Mein – meine – meinen –“

„Gute Nacht, Sir!“ unterbrach sie ihn und entfernte sich mit ihrem leichten, graziösen Schritt und mit einem so kleinen Fuße, wie man ihn gewiß selten unter den Engländerinnen findet.

Der Herr starrte ihr eine zeitlang nach und rief endlich halb philosophisch, halb gefühlvoll aus: „Potz Wetter, was gibt’s doch für Schönheit in der Welt! Ich wollte mein Vater hätte grade diese gewählt! Aber so glücklich bin ich nicht. Ich bin reich, muß also auch eine reiche haben und mich in den Banden „guter Gesellschaft“ von Andern verheirathen lassen wie ein Prinz. Ich besinne mich kaum auf diese Miß Clifford, mit der ich als Kind gespielt haben soll. Nun komme ich nach 15 Jahren, die ich in London, auf dem Continente und in Indien zugebracht habe, zurück, drei- und vierfach verlobt und verbunden mit dieser Miß Clifford. Mein Vater will es, ihre Tante will es, mein Onkel will es, ihr Vater hat’s gewollt und sich auf dem Tantenballe versprechen lassen, daß wir uns verheirathen sollen. Tausend Pfund zur Hochzeit bestimmt, 10,000 Pfund sofortige Mitgift, nach dem Tode der Tante noch 10,000. Und wie viel soll mein Vermögen betragen?“ Er schlug in dem Briefe, wie in einem Lexicon nach: „Zwei Güter, 17,000 Pfund in der Bank, wahrscheinlicher Haupterbe des Onkels – das wird hinreichen, um sich in’s Parlament hineinkaufen zu können, meint mein guter Vater. Aber wenn ich mich nur nicht einmal umsonst unter diesen Baumwollen- und Stammbaum-Lords sehen möchte? Ich habe mehr von der Welt gesehen als Odysseus, der keinen einzigen Engländer hat kennen lernen. Ich kenne sie. In Indien, in Amerika, in England, überall dasselbe zähe, trockene, herzlose Gieren und Geizen nach Geld, um sich in spätern Jahren freiwillig von den Banden der „guten Gesellschaft“ einschnüren zu lassen. Ich werde jedenfalls mein Geld und mein Herz möglichst dazu benutzen, um frei zu bleiben. Gebe Gott, daß Miß Clifford einige Aehnlichkeit mit diesem Mädchen hat, das mir diese väterliche Heirathsepistel so reizend, so bedeutungsvoll wiedergab. Wenn ich nicht sehr irre, war ihr Kleid reine Baumwolle. Miß Clifford trug beim Thee ein grünes Sammetkleid und eine Kette mit Diamantschloß, das ihr der Onkel für 150 Guineen zum Geburtstage geschenkt. So schreibt mir der brave Vater, um mich von vorn herein verliebt zu machen. Sammet und Diamant, nehmt euch vor der Baumwolle in Acht! Doch es gilt. Ich will ihr gleich meine Aufwartung machen und zwar just in diesen Reisekleidern und unrasirt, damit ich möglichst geringe Aehnlichkeit mit jenen ersten Liebhabern zeige, die wie Modekupfer aussehen und immer sehr lächerliche Rollen spielen, da sie von Herzen und Glückseligkeit und süßen Hoffnungen sprechen und dabei an das Geld denken, womit sie sich in die gute Gesellschaft hineinkaufen wollen. Ich will auftreten, wie ein Barbar mit diesen schwarzen Handschuhen und diesem baumwollenen Regenschirm und mit diesem continentalen Schnurrbart und wie ein deutscher Student, und außerdem Gott bitten, daß Miß Clifford inzwischen etwas buckelig geworden sei.“

Mit diesem unlogischen Wunsche schloß unser Herr seine gemurmelte Unterhaltung mit sich selbst und ging festen Schrittes auf das prächtige Haus zu, in welchem Miß Clifford mit ihrer Tante wohnte. Er klingelte. Nach einiger Zeit öffnete ein feister, junger Mensch mit schneeweißen Haaren (gepudert) die Thür und musterte ihn sehr langsam von den schmutzigen Stiefeln an bis allmälig herauf zu dem Schnurrbarte.

„Von welchem Herrn kommen Sie?“ frug der junge Weißkopf schnöde.

„Ich bin selbst der Herr!“

„Sie zogen die Bedientenglocke.“

„Melden Sie mich der Madame Powell. Ist Miß Clifford zu Hause?“

„Ihre Karte, Herr!“

„Ich liebe das Kartenspiel nicht. Doch hier ist etwas Geschriebenes.“ Er gab ihm das Brief-Couvert. Der Diener las: „Edward Custis, Esg.“ und war plötzlich lauter Verbeugung und Unterwürfigkeit. Wie ein Sklave öffnete er ihm die Thür zum Besuchzimmer und sprang die Treppe hinauf.

Tie Empfangsfeierlichkeiten zu beschreiben, wäre sehr langweilig, da eine Menge Fragen und Antworten rasch durch einander fahren und in ihrer Schnelligkeit zehnmal rascher vorübergehen, als vor dem Auge des geübtesten Lesers. Nur so viel, daß Leute unsern Mr. Custis schon am folgenden Tage in den Armen des Barbiers, unter dem Maße des Schneiders und Schuhmachers und in einem Eau de Cologne-Laden gesehen haben wollen. Außerdem steht actenfest, daß sein Vater am zweiten Tage nach seiner Ankunft bei Mrs. Powell schon folgenden Brief bekam:

 „Mein theurer Vater!

Ich benutze den ersten Augenblick, den ich der bezaubernden Emilie Clifford abstehlen konnte, um Ihnen zu schreiben. Sie haben nicht zu viel zu ihrem Lobe gesagt. Sie ist so hinreißend schön, so fein in Benehmen und Manieren, so graziös – kurz, lieber Vater,

[287] wozu noch Worte machen? In einigen Tagen werde ich ihr Herz und Hand bieten und auf diese Weise mein und aller unserer Verwandten Glück, die diese Verbindung alle so sehnlich zu wünschen scheinen, begründen, falls sie mich ihrer werth hält, was ich nicht mehr bezweifle, seitdem sie mir mit der reizendsten Liebenswürdigkeit erlaubt hat, auch ferner meinen Schnurrbart zu tragen. Im Gegentheil, sagte sie, Du müßtest einen Schnurrbart wachsen lassen, wenn Du ihn nicht schon hättest. Prinz Albert und in Folge davon viele junge Aristokratie trägt Schnurrbärte. Uebermorgen giebt Mad. Powell große Gesellschaft. Alles meinetwegen. Ihre Tante sagt, ich würde sehen, daß sie unter den ausgesuchtesten Schönheiten der Stadt noch die schönste bleiben werde. So schön, so gut, so reich! Wie soll ich Ihnen danken für Ihre gute Wahl, lieber Vater? Durch mein ewiges Bestreben, ein braver Ehemann und Mensch zu werden. Weiter kann man’s bei so vielem Gelde und Glücke wohl kaum bringen. Nächstens mehr. In herzlicher Liebe
Edward.“  

Edward hatte den Brief selbst zur Post getragen. Auf dem Rückwege fielen seine Augen zufällig auf einen Mädchenkopf innerhalb eines Fensters, der, emsig über weibliche Arbeit gebückt, nur etwas vom Profil sehen ließ; doch besann sich Edward schnell genug auf das reizende Gesicht, das ihm bei Ueberreichung seines verlornen Briefes so schnell und tief in die Seele gestiegen war. Er blieb gradezu vor dem Fenster stehen und sah mit vollem Gesichte hinein, ohne daran zu denken, daß eine solche Situation sehr auffallend sein mußte, zumal in einer so kleinen Stadt. Bald sah sie auf und ihn, erröthete, schien erstaunt und bückte sich noch tiefer, um weiter zu arbeiten. Er verbeugte sich verlegen und ging schneller, als es bei einem unabhängigen Gentleman Mode ist, davon.

Einige wollen behaupten, er sei an demselben Tage noch einige Male an dem Hause vorübergegangen, was vielen ehrbaren Familien in der Nachbarschaft sehr aufgefallen sei. Gewiß ist, daß an demselben Abende schon eine merkwürdige Geschichte zum Stadtgespräch ward. Nicht weit vom Hause redet Mr. Custis ein kleines Mädchen an und frägt, wer dort in dem kleinen Hause mit den schmalen Fenstern wohne. Das Kind zeigt mit den Fingern und fragt, ob er dies oder das oder jenes meine, was Mr. Custis verleitet, mit dem Finger auf das richtige hinzuweisen. Nun erzählt das Kind: Ja so, das ist Mrs. Brandon und Miß Brandon, die mir mein neues Kleid gemacht haben, und ihr Kanarienvogel ist so zahm, daß er Miß Brandon aus der Hand ißt und sie küßt und immer fortfliegt, wenn er „etwas machen will.“ (Man bedenke, daß es ein ganz hübsches Kind mit der arglosesten Miene sagt.) Vom verstorbenen Mr. Brandon weiß sie nichts, ist aber so gefällig, ihre erwachsene Schwester herbeizurufen und in ihrem Eifer zu sagen: Der Herr wünscht zu wissen, was Mr. Brandon gewesen ist.

„Ein Doctor ist er gewesen,“ erzählt die Schwester, „Doctor in den ersten Häusern und eingeladen gewesen zu den ersten Gesellschaften, hernach aber sehr lange selber krank gewesen und keine Praxis mehr und arm geworden und vergessen und endlich todt. Mrs. und Miß Brandon müssen sich nun ihr Brod durch Nähen und Schneidern sehr sauer verdienen, aber sie thun immer noch sehr vornehm und geben sich mit keinem Menschen ab, aber Miß Brandon ist sehr liebenswürdig und hat zu einem alten reichen Herrn, der sie mit nach London nehmen wollte und für Alles sorgen, gradezu Nein gesagt.“

Dabei sahen alle Drei grade auf das Haus und speciell auf das Fenster, an welchem Miß Brandon saß. Mr. Custis bekam einen Schreck, dankte hastig und lief davon, als wär’ er ein verfolgter Dieb. Nun erzählten und fragten die beiden Mädchen nach dem fremden Herrn – und bald war es in der ganzen Straße bekannt, wer der Herr sei und was er gefragt und gesagt habe. – Miß Clifford gehörte zu den reichsten Erbinnen der Stadt und war die Perle der höchsten Gesellschaft. Der Herr, der sich nach der Schneidermamsell erkundigt, ist ein weitläufiger Verwandter und ihr „Zukünftiger.“ Das weiß die ganze Stadt. Noch viel mehr wissen die zahlreichen alten Jungfern, die in den Gesellschaften, Kirchen, Schulen, Missionsgesellschaften und selbst in der Politik eine wahre Landplage Englands bilden.

M. Custis schämte sich seines Benehmens und seines an den Tag gelegten Interesses für ein schönes Näherinnengesicht, als er seiner blendenden, glänzenden Zukünftigen gegenüber saß. Tante und Nichte bestürmten ihn mit Fragen, womit man ihm aufwarten könne, Kuchen, Wein, Früchten, Schweizerkäse u. s. w. Nichts, nichts, durchaus nichts, erst möchten die Damen da ihr Geschäft, worin er sie unterbrochen, vollenden.

„Nun denn helfen Sie uns vielleicht,“ rief Miß Emilie; „es ist eine schwere und delicate Arbeit, eine correcte Liste der Personen, welche zu unserer Abendpartie einladbar sind, zu entwerfen. Sehen Sie dieses Heer von Namen, und Tante und ich zerbrechen uns schon lange die Köpfe, da es uns vorkommt, als hätten wir Jemand vergessen. Nun vielleicht haben Sie, lieber Cousin, noch Erinnerungen aus Ihrer Kindheit von unserer kleinen Stadt und der großen Welt darin. Zu viel haben wir Keinen, das weiß Tante am Besten.“

„Ja,“ antwortete die Tante, „man kann sich nicht mit Jedermann befassen und doch möchte man auch nicht gerne Jemand beleidigen. Es drängen sich aber jetzt zu viel unter die Aristokratie, so daß man sehr streng sein muß.“

„Je nun, ich denke, das kann uns wenig kümmern, wer sich unter die Aristokratie drängt,“ versetzte Custis, indem er that, als studirte er die Liste.

„Wir müssen aristokratisch sein, lieber Cousin,“ sagte Miß Clifford mit vornehmer Leichtigkeit; „wir müssen es um so mehr, da wir keine Titel haben, die das gemeine Volk von selbst abhalten.“

„Das gemeine Volk?“ fragte Edward mit spöttischem Lächeln.

„Ich meine nicht eigentlich gemeines Volk; das kommt allerdings nicht; aber ich meine die Niemands und Habenichtse, die – aber wie komisch, daß ich meinem theuern Cousin erklären will, was ich meine. Ich schmeichelte mir,“ setzte sie mit einem brillanten [288] Lächeln hinzu, „von meinem lieben Cousin in jeder Beziehung verstanden zu werden.“

„Die schönsten Räthsel lassen sich am schwersten lösen,“ entgegnete der Zukünftige“ mit erzwungener Artigkeit; „aber ich sehe, daß die werthen Damen doch nicht so streng sind, als sie vorgaben. Brillirt hier doch Peter Leverell nebst Frau und Tochter. Ist das derselbe, dessen Schuhe ich immer schief trat, so daß mein Vater bei einem andern Schuhmacher arbeiten ließ?“

„Ein Schuhmacher auf unserer Liste?“ lachte Miß Emilie. „Verehrter Herr Vetter, Sie haben Pech mit ihrem Witze.“

„Gibt es zwei Peter Leverell’s hier?“

„Es ist derselbe, lieber Vetter, aber ein Anderer geworden.“

„Unmenschlich reich!“ sagte die Tante.

Uebermenschlich reich, reich in des Wortes schönster Bedeutung,“ setzte Emilie hinzu, das einsilbige dämonische Wort mit einer Art von Andacht betonend.

„Er gibt die glänzendsten Gesellschaften,“ bekräftigte die Tante.

„Er hat die prächtigste Equipage in der Stadt,“ setzte Emilie hinzu.

„So, so!“ erwiederte der Zukünftige trocken; „er hat jedenfalls in Schuhwerk nach Australien gemacht. Das hat ihn denn geadelt. Sein Stammbaum beginnt jedenfalls mit einer brav gegerbten Ochsenhaut. Er hat doch einen Sitz im Oberhause?“

Tante und Cousine lachten voller Bewunderung über den glänzenden Witz und der weitläufige Cousin schien die Liste sorgfältig weiter zu mustern. Plötzlich rief er aus. „Was, Sie haben einen der besten Namen ausgelassen?“

„Besten Namen? Ausgelassen?“ frug die Tante mit lächelndem Vorwurf.

„Bitte, lassen Sie doch hören!“ rief Emilie eifrig. „Wir möchten um Alles in der Welt keinen Namen von Rang auslassen.“

„Doctor Brandon nebst Familie,“ sagte der Zukünftige, indem er beide Damen ruhig und fest ansah.

„Doctor Brandon ist seit sechs Jahren todt,“ antwortete die Tante mit einem seligen Lächeln über ihr Bewußtsein, daß sie keinen Mann von Rang ausgelassen habe.

„Er starb in großem Elend,“ sagte Emilie. „Seine Familie ist ganz heruntergekommen.“

„Gekommen, wohin?“

„Wie liebenswürdig simpel Sie sich doch stellen können!“ lachte Emilie. „Wie reizend müssen Sie sein, wenn Sie Ihr Licht leuchten lassen.“

„Soll ich es leuchten lassen? Vorerst erinnere ich mich, daß Doctor Brandon einer der besten Aerzte und seine Frau eine der reizendsten Zierden der Gesellschaft war. Auch habe ich zufällig ihre Tochter kennen gelernt d. h. gesehen, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich in dem Kranze der schönsten Mädchenblumen, die wir hier sehen sollen, auch dieses Veilchen bemerkte.“

„Veilchen kennen gelernt? O sieh da, Tante! Haben Sie noch mehr Blumen in Ihrer Botanisirkapsel?“

„Die Brandon’s gehen nicht in Gesellschaft,“ unterbrach sie die Tante.

„Warum nicht?“

„I nun, weil sie nicht eingeladen werden,“ lachte Emilie auf eine Weise, die ihrer glänzend schönen Gesichtsform einen beinahe widerlichen Ausdruck gab.

„Und warum werden sie nicht eingeladen?“

„Sie sind bettelarm, lieber Freund,“ entgegnete die Tante.

„Ist Mrs. Brandon nicht mehr dieselbe in Callico wie einst in Seide?“

„Nein, durchaus nicht,“ fiel Emilie trotzig ein. „Sie ist gesunken und ihre Tochter dazu; sehr gesunken. Sie haben einen Lebenswandel begonnen, der sie für immer von der guten Gesellschaft ausschließt.“

„Wa–as?“ fuhr der Zukünftige beinahe erschreckt auf. „O, das thut mir sehr leid. Bitte um Verzeihung. Hätte ich das geahnt! – Ich dachte, es seien Personen von untadelhaftem Charakter.“

„Sie mißverstehen mich, lieber Cousin, wahrscheinlich wieder absichtlich. Ich habe nichts gegen ihren Charakter gesagt, ich wollte nur andeuten, daß sie – schneidern, schneidern für Geld.“

„Aus reiner Geldgier hoffentlich, um sich eine Equipage anzuschaffen oder mit einem Vermögen von 10,000 Pfund zu sterben.“

„Um nicht zu verhungern, lieber Cousin, so arm sind sie. Und wenn Mr. Custis wieder Damen kennen lernen will, so denke ich, er wird besser thun, mehr in den Kreisen zu bleiben, wo er zu Hause ist.“ –

Der Zukünftige sah die Sprecherin scharf an, welche nun über den Sinn ihrer Worte erröthete, sich aber sofort zu resolviren wußte und mit leichtem Scherze fortfuhr: „Sie gehören unter die gute Gesellschaft, mein gestrenger Herr Vetter, und müssen Ihren Republikanismus und Atheismus ablegen.“

[297] Der Zukünftige sah die Zukünftige wieder sehr scharf an und frug in strengem Tone: „Halten Sie mich für gottlos, weil ich ein paar Damen grade deshalb besonders hochachte, weil sie mit Ehren und Arbeit ihre Armuth tragen und sich durch ehrliches Verdienst vor der Schande der Armuth schützen? Ich frage mich und Sie: Haben wir etwas gethan, um uns vor der Schande unseres Reichthums zu schützen? Ist es nicht eine wahre Schande, so viel Geld zu haben, als wir, ohne daß wir etwas Besseres damit anzufangen wissen, als Essen, Trinken, Kleider und müßige Lakaien zu bezahlen und uns unter unseres Gleichen gegenseitig abzufüttern? Ich fühle diese Schande. Fühlen Sie nicht auch etwas davon?“

Emilie sah ihren Vetter mit sprachlosem Erstaunen an. Er war röther und schöner geworden. Sie merkte endlich, daß sie ihn liebe, und doch klangen seine Worte in ihr Ohr so roh, so republikanisch, so atheistisch. Sie wußte durchaus nicht, was sie sagen sollte. Die Tante blieb aber vornehm und wußte diesen fremdartigen Ton geschickt wieder heimisch zu stimmen.

„Wir haben Beide die Petition zur Abschaffung der Sklaverei in Amerika unterschrieben,“ sagte Madame Powell.

„Und wie viel bezahlen wir jährlich zur Förderung des Christenthums unter den Heiden?“ frug Emilie.

„Es ziemt uns nicht, damit zu prahlen.“

„Gewiß nicht,“ sagte Custis noch ärgerlicher, „zumal, da Mrs. Brandon näher wohnt, als die Patagonier. Wir wollen wenigstens gegen unsere Mitchristen und Nachbarn, wenn auch nicht christlich, so doch menschlich sein. Doch ich gestehe, daß ich heute sehr ungeschickt bin. Ich habe keine Lebensart, ich komme heute unmöglich wieder in den Ton der guten Gesellschaft, deshalb bitte ich um Entschuldigung und nehme mir die Freiheit, mich für heute den geehrten Damen zu empfehlen. Morgen denke ich als Gentleman auftreten zu können. Good bye!“

„Good bye!“ rief Emilie mit erzwungener Laune. „Good bye! Sie selbst in Ihrem republikanischen Zorne, göttlicher Vetter!“

Die Tante gab nun, nachdem sie allein waren, der [298] Nichte ernstliche Verweise wegen ihrer Unklugheit und ermahnte sie, mit ihrer „höhern Bildung“ durchaus zurückzuhalten, bis sie verheirathet seien. Uebrigens werde er in guter Gesellschaft auch wohl von selbst die Rohheiten, die ihm noch vom Continente her anklebten, abstreifen, so daß kein besonders strenges Pantoffel-Regiment nöthig sein werde.

Emilie hörte aber kaum darauf und dachte ebenso scharf an Miß Brandon, wie ihr „Zukünftiger“ – nur mit entsetzlich verschiedenen Gedanken und Gefühlen. Ihre Augen funkelten vor Zorn und auf ihrer schönen, glatten Stirn schwoll eine Ader hervor. Sie zitterte. Besorgt rief die Tante: „Emilie, was ist Dir?“

„Daß ich nur mit ihr, mit einer Schneidermamsell in Beziehung kommen konnte, daß ich, daß ich – ich – Tante, ich fühle mich namenlos unglücklich.“

„O Kind, das giebt sich. Sie soll wirklich sehr hübsch sein, aber Custis ist ein Ehrenmann; er wird Dir nie Ursache geben, Dich seiner zu schämen, wenn er erst verheirathet ist. Ein flüchtiges Wohlgefallen an einem schönen Gesichte kommt sogar in der Ehe ohne besondere Störung vor.“

„Aber in diesem Stande? Mein Gott, Tante, es ist unmenschlich erniedrigend für mich.“

Die Tante wurde nun ernster und eindringlicher, bis die Zukünftige fest versprach, vornehm, diplomatisch und „naiv“ zu bleiben bis nach der Hochzeit. Doch konnte sie nicht umhin, bald auszugehen und eine Freundin zu besuchen, von deren Fenster aus sie das Haus der Mrs. Brandon übersehen konnte, was sie auch sehr standhaft gethan haben soll, ohne sich durch die Spöttereien um sie her über ihre Zerstreutheit besonders stören zu lassen.

Custis kam zur Verwunderung der Tante denselben Tag wieder und verlangte mit Emilien spazieren zu gehen. Sie wurde in leidenschaftlicher Hast herbeigeholt und war lauter strahlenden Entzücken, als sie erfuhr, man ihr zugedacht war. Sie schwebte in blendender Schönheit an dem Arme des geliebten Jünglings hinaus vor die Stadt und glaubte nur jeden Augenblick Glockentöne zu hören, die durch die Kirche in’s Brautgemach rufen sollten. Custis war freundlich, liebenswürdig, aber befangen. Es wird ihm schwer, anzufangen, dachte sie und spielte von dem Spaziergang auf den Lebensweg an. Plötzlich stand Custis still und machte auf einen Brief aufmerksam, der am Wege lag. „Wie glücklich würde der arme Mann da vorn sein,“ sagte er, wenn Sie den Brief nähmen und recht bescheiden sagten: „Sie haben wohl diesen Brief verloren, mein Herr?“ – Ich glaube, das müsse wunderschön aus einem so rosigen Munde klingen.“

Emilie lachte laut auf und frug: „Was geht denn dem armen Manne mein rosiger Mund an? Lassen Sie Mann und Brief. Wahrscheinlich wird ihn Einer finden und in einen Briefkasten stecken. Haben Sie so große Lust, mich zum Briefträger auszubilden?“

„Das nicht, aber ich möchte Sie nur in diesem einzigen Falle mal als Briefträgerin sehen!“

„Um’s Himmelswillen, Custis! Denken Sie, wenn mir der Mann am Ende einen Penny für geleistete Dienste anböte?“

„So wäre dies vielleicht der erste Penny, den Fräulein verdient haben.“

Emilie zog ihren Arm mit Heftigkeit aus dem ihres „Zukünftigen“ und wurde brennend roth vor Zorn, faßte sich aber schnell wieder, lachte gezwungen, nahm seinen Arm wieder und neckte ihn wegen seinen republikanischen und atheistischen Sonderbarkeiten.

Sie war nun gründlich durchgefallen. Custis wollte blos ihr Wesen, ihre Stimme beobachten, womit sie den Brief zurückgeben würde und dann einen Vergleich anstellen. Jetzt war die Sache viel schlimmer, als die für sie ungünstigste Vergleichung. Er hatte im ersten Augenblicke ihre blendende Schönheit geliebt; jetzt kam ihm diese glatte, kalte, nichtssagende Schönheit, zumal mit dem bei englischen Schönheiten so oft offen stehenden Munde,[1] widerlich, verächtlich vor. Er mußte sich ungemein zwingen, seine schöne Cousine unter den Formen gewöhnlicher Galanterie nach Hause zu bringen, nachdem er den armen Mann, der angeblich den Brief verloren haben sollte, zurückgerufen und ihm nicht nur den Brief, sondern auch einen ganzen Sovereign gegeben habe, ohne seiner Cousine darüber weiter Auskunft zu geben. Sie erschrack dabei sichtlich und hatte eine Ahnung, daß dies eine Prüfung hatte sein sollen, konnte sich aber nicht erklären, wie sie dabei hätte besser handeln können. Ihre vornehme Erziehung ließ sie in dem Aufheben und Ueberreichen des Briefes nur eine gemeine, der guten Gesellschaft unwürdige Handlung erblicken. Sie glaubte deshalb im Stillen, die Prüfung ganz ihrer würdig bestanden zu haben und suchte wirklich vergebens nach einer Erklärung der auffallenden Kälte ihres „Zukünftigen.“ Custis wollte keine „Scene“ machen und blieb deshalb höflich und gütig, ohne die Vorbereitungen auf die seinetwegen veranstaltete „Abend-Partie“ im Geringsten zu stören.

Der Abend kam und mit ihm die Kutschen und die Damen und Herren, die das neugierige Volk selten ordentlich sehen konnte, da stets eine Menge Lakeien mit weißen Strümpfen und Köpfen, schwarzen Leibröcken und schwarzen Epauletten Weg und Aussicht versperrten. Oben grüßten Alle mit besonders bedeutungsvollem Lächeln die Königin und den König des Festes, die dann auch in überraschender Schönheit und Pracht den ersten Tanz eröffneten. Tänzer und Tänzerinnen tauschten später in einförmigem Wechsel. Custis fühlte sich bald so unheimlich und betäubt, daß er hinausging und in einer Art von Trauer das Weite suchte.

Emilie vermißte ihn bald und wurde mit jeder Minute zerstreuter und rücksichtsloser gegen Gäste und Anbeter. Custis fühlte endlich auch, daß seine Abwesenheit auffallen könnte und eilte zurück. Vor der Thür des in Musik und Lichtern und Pracht aller Art gleichsam schimmernden Hauses standen dichte Haufen und stierten aus dem Dunkel in den blendenden Glanz [299] allein und horchten mit Wohlgefallen der rauschenden Musik. Custis drängte sich möglichst unbemerkt durch, konnte aber an einer Stelle durchaus nicht vorwärts kommen. Deshalb machte er einen Umweg, um von einer andern Seite ins Haus zu kommen. Bei seiner Annäherung suchten sich rasch zwei weibliche Gestalten zu verbergen; aber Custis entdeckte noch in einem Lichtstrahle aus dem Hause das süße Gesicht und die sylphenartige Gestalt von Alice Brandon.

Einer unwiderstehlichen Wallung nachgebend, folgte er den rasch sich entfernenden Damen und redete sie in einem zitternden, höflichen Tone an.

„Miß Brandon, wenn ich nicht irre?“

Beide Damen blieben einen Augenblick stehen. Alice verbeugte sich mit einem leichten Lächeln, und sagte wie um Entschuldigung bittend: „Mutter und ich gingen etwas aus, um frische Luft zu schöpfen, und da war es uns sehr angenehm, ein Weilchen der prächtigen Musik zuzuhören.“

Dann gingen sie. Custis begleitete sie und wendete sich an die Mutter: „Mrs. Brandon erinnert sich vielleicht meiner noch in dieser kleinen Stadt, wo wir uns alle kennen. Ich lebte als Knabe in dem Hause von Madame Powell.“

„O ich erinnere mich sehr gut. Ich habe sie einige Male an unserm Hause vorbeigehen sehen, nachdem mir Alice erzählt hatte, wer Sie seien.“

„Dann war ich so glücklich, von Ihnen gekannt zu sein, Miß Brandon?“

„Ich sah Ihren Namen auf dem Briefe, den Sie verloren und ich Ihnen aufhob,“ antwortete Alice, ohne aufzusehen.

„Richtig, das ist wahr. Lassen Sie dieses Couvert als eine Empfehlung für mich gelten, da ich leider keine bessere habe, Miß Brandon.“ Er sagte dies mit einer Aufrichtigkeit, Wärme und Offenheit, daß Alice nicht umhin konnte, ihm in’s Gesicht zu sehen und dann mit tiefem süßen Erröthen die Augen tief niederzuschlagen.

Die Mutter unterhielt sich mit ihm, bis sie vor ihrer Wohnung angekommen waren. Er hoffte, die Mutter werde hineingehen und Alice noch Zeit geben, sie zu einem Privatgespräch einladen zu können. Er war fest entschlossen, ihr sogleich sein ganzes Herz zu öffnen. Aber die Mutter ging nicht und schien zu erwarten, daß er sich verabschieden werde. So gestand er dann mit Freimüthigkeit, daß er sich glücklich schätzen würde, wenn sie ihm erlaubte, mit Alice noch etwas spazieren zu gehen.

„Sie sind sehr gütig, Mr. Custis,“ entgegnete die Mutter etwas verlegen. „Alice ist eine bloße Näherin und Sie von hoher Abkunft und ein reicher Erbe, außerdem erzählte man allgemein, daß heute Abend Ihre Verlobung mit Miß Clifford bekannt gemacht werden würde. So würde ein derartiger Spaziergang sowohl Ihnen unangenehm werden können, als auch Alice, die jedenfalls am Meisten leiden würde. Ihr unbefleckter Ruf ist ihr einziges Capital. Ich halte Sie für zu ehrenwerth, als daß Sie diese Bedenklichkeiten einer Mutter übel nehmen könnten.“

„Im Gegenteil, verehrte Mrs. Brandon, ich achte Ihre Sorgfalt für die Tochter. Sie haben vollkommen Recht.“

„Es freut mich, daß Sie es zugeben. Ich würde mich übrigens glücklich schätzen, wenn Sie einen Augenblick mit einträten.“

„Mit Vergnügen, wenn Sie erlauben. Ich fühle mich so müde und zerstört von Musik und Gesellschaft, daß einige klare, wahre Menschentöne mich sehr erquicken werden.“

Bald saßen sie traulich in dem freundlichen Zimmer. Alice, die ihm auf der Straße so bezaubernd schön erschienen war, gab sich hier wie ein Seraph an Milde, Kindlichkeit und Aufrichtigkeit. Sie erzählte von ihren Kämpfen um’s liebe Leben, von ihres Vaters Krankheit und Tod mit einer solchen Offenheit und Wehmuth, daß er plötzlich einmal aufweinte und ihre Hand ergriff, als wollte er sich zum Troste an sie halten. Endlich erinnerte ihn die Mutter an seine socialen Pflichten. Erschrocken stand er auf und ging davon, kehrte aber für einen Augenblick zurück und bat um Erlaubniß, wiederkommen zu dürfen.

Wie ein Träumender trat er in den großen Tanzsaal, der sich schon sehr gelichtet hatte und nur noch mit Personen versehen war, die Abschied nahmen. Emilie stand in der Mitte einer solchen Abschiedsscene, erblickte ihn, durchbrach wild den Kreis, stürmte auf ihn zu und frug erblassend und erröthend, was mit ihm vorgefallen sei. Er sprach von Kopfschmerzen, freier Luft und mit Worten, die er selber nicht verstand. Sie starrte ihn wild an, brach in einen Thränenkrampf zusammen und stürzte aus dem Saale. –

Am folgenden Morgen sollen sich einige alte Jungfern dieser Stadt schon vor Tagesanbruch besucht haben, theils um die Bruchstücke ihrer Nachrichten gegenseitig zu ergänzen und künstlerisch abzurunden, theils mit Verläumdungspfeilen auf Miß Clifford oder Miß Brandon oder auf Beide zuzuspitzen. Letztere hatte mit der Zeit besonders oft ganze Reihen von Spießruthen (von Zungen) durchzulaufen, nachdem sie mit der Mutter nach London gezogen und in einer guten Damenschule als Schülerin untergebracht worden war. Die Schule sei blos ein Schein, hieß es, namentlich da Niemand etwas von Verlobung und Hochzeit hörte ein ganzes Jahr lang; und Mr. Custis lebte doch auch in London. Vielleicht werde er Miß Clifford doch noch heirathen und dabei für sein Schulkind im Stillen fortfahren zu sorgen. –

Nur einmal wird unsere Geschichte noch dramatisch. Miß Clifford, die seit der Zeit das Capitel der Verlobungen und Verbindungen mit besonderer Genauigkeit las, entdeckte eines Morgens folgende Stelle: „Verehelicht vorigen Donnerstag Vormittag in der Christ-Kirche von Sr. Ehrwürden Dr. D. .. Edward Custis, Esq., mit Miß Alice Brandon, Tochter des verstorbenen Dr. Charles Brandon M. D.

Sie kreischte auf und fiel bewußtlos nieder, muß sich aber wohl mit der Zeit wieder erholt haben, da man sie später wieder lebendig und sogar in großer Schönheit öfter im Hydepark zu London spazieren reiten sah. –

[300] Novellen und Erzählungen haben sich angewöhnt, immer einen oder mehrere Menschen zu guter Letzt auf irgend eine grausame, berechnete Weise umzubringen oder im besten Falle zeitlebens unglücklich zu machen. Leider finden wir in unserer Geschichte alle betheiligten Personen ein ganzes Jahr nach der angedeuteten Heirath in solcher Gesundheit, so glücklich und wohlhabend (am Glücklichsten einen allerliebsten dicken Jungen auf dem Schooße Alice’s, der in seinem Alter von kaum 3 Monaten so groß und altklug aussieht, als könnte er ohne Weiteres Doctor der Philosophie werden), daß wir es nicht über’s Herz bringen können, ihnen an’s Leben zu gehen. Aber was wird aus Miß Clifford? Sie ist heute, wo wir unsere Geschichte schließen, grade bei Mr. Custis und Mrs. Custis zum Thee, der in einem großen Gartensaale ganz besonders gut schmeckt, zumal mit den frischen Krabben. Also auch Miß Clifford? Welch ein dreibändiger Roman liegt in dieser Thatsache? Wenn man nun noch vernimmt, daß Miß Clifford auf einen Besuch zu heute Abend aufmerksam machte und daß ihr Verlobter nicht eher kommen könne, da er als Vormann in einer Maschinenbauerei vor 8 Uhr nicht abkommen könne, und daß er endlich kam in feinstem Anzuge und mit der ruhigsten Sicherheit, eines freien Benehmens voll Selbstgefühl und Zärtlichkeit gegen seine strahlende Braut, so könnte man getrost noch einen vierten Band hinzufügen, wenn der Verleger damit einverstanden wäre. Glücklicher Leser, der du mit ein Paar Seiten weg kommst!

Emilie Clifford hatte nachdenken lernen, wie es wohl gekommen sein könnte, daß eine anspruchslose Näherin in Baumwolle über ihre Schönheit und ihren Reichthum so leicht habe siegen können. Sie dachte an „den Fluch ihres Reichthums,“ ihrer Erziehung und der lächerlichen Vorurtheile ihrer Kreise und dachte und lebte sich so tief hinein und wurde durch eine mit Custis geführte Correspondenz, welche später zur mündlichen Unterhaltung ward, so umgewandelt, daß sie mit Ekel aus ihren bisherigen Gesellschaften floh und bürgerliches Leben, bürgerlichen Fleiß studiren und lieben lernte, darunter besonders ihren jetzigen Bräutigam, einen stolzen König inmitten der Wuth des Dampfes und großer schnaubender Ungeheuer von arbeiteten Rädern, Balken und Cylindern.

Im Oberhause der guten Gesellschaft sprach man vom Untergange Englands, als die Hochzeit von Miß Clifford bekannt ward, im Unterhause aber von dem stolzen Aufsteigen einer neuen Maschinenbauanstalt von 600 Pferdekraft und einer kleinen Stadt daneben für 2000 Arbeiter, die der arbeitende Bräutigam der reichen Miß Clifford bauen ließ.




  1. Ein kleiner Naturfehler der Königin, der deshalb in einem Theile der guten Damengesellschaft künstlich verzogen wird.