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Die Papiertüte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: R. K.
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Titel: Die Papiertüte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 700
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Papiertüte.

Man hat wohl heutzutage an keiner Ware einen solchen Ueberfluß wie an Papier, wenigstens an bedrucktem. Wenn man etwas einwickeln will, so papiert man’s ein; und da Papier genug da ist, so wird alles einpapiert. Das Papier bildet eine Art zweiter Haut und eine neue Schale um alle Dinge: man trägt kein Buch, keinen Blumenstrauß, namentlich aber keine Frucht, überhaupt nichts Eßbares ohne diese schützende Hülle über die Straße. Auch was in den Schrank oder in den Koffer kommen soll, pflegt vorher noch einpapiert zu werden; bei den sizilianischen Bauern giebt es Mädchen, die gar nichts weiter zu thun haben, als die Citronen und die Apfelsinen, bevor sie in Kisten und Körbe verpackt werden, einzeln in Seidenpapier einzuschlagen. Makulatur wird schon gar nicht mehr geachtet: das Gesetz verbietet sogar dem Delikatessenhändler oder Fleischer, Schinken, Schweizerkäse und andere Eßwaren direkt in bedrucktes Papier zu wickeln. Papier scheint nichts zu kosten, ausgenommen etwa im Plural, wie an der Börse.

Es ist schwer, sich eine Vorstellung von einer papierlosen Zeit zu machen, wo man die Sachen noch einfach in die Hand nahm oder ein Gefäß mitbringen oder sich sonst helfen mußte, wenn man etwas zu essen kaufte. Das klassische Altertum ist freilich längst nicht mehr ohne diese Bequemlichkeit gewesen. Die Alten haben zwar noch kein Hadernpapier gehabt, dessen Erfindung den Chinesen zugeschrieben wird. Es ist lange Zeit ein Geheimnis der Araber gewesen und im Abendlande erst durch die Kreuzzüge bekannt geworden. Wohl aber hatte man eine andere Gattung Papier, das echte, das eigentliche Papier, von dem alles Papier nur eine Abart ist, das Papyrus-Papier. In Griechenland nannte man es Bibel (Biblos), im Römischen Reiche: Karte (Charta); es war in Aegypten schon anderthalb Jahrtausende vor Christus üblich und schon vor Herodot, im 6. Jahrhundert vor Christus, ein Handelsartikel. Zur Kaiserzeit gab es auch in Rom eigene Papierfabriken, unter denen die des Fannius obenan stand; man hatte wohl ein ganzes Dutzend verschiedener Papiersorten, auch schon Packpapier und Löschpapier, ja, sogar satiniertes Papier. Der Rohstoff scheint allerdings immerfort aus Aegypten bezogen worden zu sein; nur die Steuer auf den importierten Papyrus wurde im 6. Jahrhundert unter Theodorich dem Großen aufgehoben, wofür Cassiodor dem Ostgotenkönig im Namen der ganzen gebildeten Menschheit in einem Anschreiben dankte. Denn billig war die Charta gerade nicht, ebensowenig wie Pergament; die Alten gingen haushälterisch damit um und benutzten selbst zum Schreiben vielfach bereits beschriebenes Papier, indem sie die alte Schrift ausradierten. Aber im großen und ganzen waren sie doch so gut daran wie wir.

Der einzige Ort, wo heute noch Papier aus der Papyrusstaude hergestellt wird, ist Syrakus; der Custode des dortigen Archäologischen Museums betreibt diese Industrie und verkauft einzelne Blätter an die Fremden. Es schreibt sich sehr schlecht darauf.

Bereits im Altertum gab es also auch Tütchenkrämer. Allerdings wurden vielfach grüne Blätter zum Einwickeln genommen, zum Beispiel Feigenblätter. „Geh, hole mir ein Feigenblatt eingelegte Oliven, ein Feigenblatt Rindstalg“, heißt es in der attischen Komödie, gleichsam als sei das Feigenblatt ein Gefäß. Aber daraus folgt nicht, daß kein Papier dagewesen wäre; noch in unserem papiernen Zeitalter wird Laub nicht selten als Hülle oder Unterlage für Eßwaren benutzt. Die Butterfrau legt Weinblätter über ihre Butter; in Rom entsinne ich mich, die frische Butter jeden Morgen auf einem Salatblatt bekommen zu haben. In Ostindien dienen die Blätter des Pisang, von Musa Paradisiaca allgemein als Tischtuch und als Teller. Die Blätter sind eine Art Vorstufe des Papiers, wie das weiße Taschentuch, das der Italiener gern benutzt, wenn er ein Mäßchen Kirschen mit nach Hause nehmen will. Von Zeit zu Zeit wird immer wieder auf die Anfänge der Kultur zurückgegriffen.

Aber wenn es galt, kleine, leicht verlierbare und leicht verduftende Stoffe zu verschließen, so hielt man sich schon damals an das nützliche, geschmeidige Papier. Man pflegte dann das Blatt kegelförmig zusammenzudrehen und die Spitze umzubiegen, damit nichts herausfalle. Nun, so einen Kegel, wie ihn am schönsten die bekannte Zuckertüte darstellt, drehte man schon im alten Rom und verglich ihn mit einer spitzen Kapuze oder einem Cucullus. Mache, daß du einen guten Verleger bekommst, mein Buch, sagt Martial zu seinem Manuskripte, sonst mußt du in die Küche wandern, um Salzfische zu bedecken, oder eine Kapuze für Weihrauch und Pfeffer werden. Die heutigen Italiener haben das Bild fallen lassen, sie nennen die Papiertüte einfach ein Stück Papier oder ein Cartoccio. Eine Tüte Pfeffer ist un Cartoccio di Pepe. Das Cartoccio entspricht einer Kartusche, in welcher die Pulverladung steckt.

In Frankreich und England wird die Papiertüte mit einem Horn verglichen; sie heißt Cornet. Die französischen Kinder bekommen keine Zuckertüte, sondern un Cornet de Dragées. Hörner sind gleichsam natürliche Tüten, jedes Horn ist ein Füllhorn; die Jäger hatten sonst ihr Pulver in einem Pulverhorn. Aber auch mit dem deutschen Worte „Tüte“ ist weiter nichts als ein Horn gemeint, auf dem man blasen und tuten kann; Tüte oder Düte ist nur eine Nebenform von Tute. Wenn Goethe in „Hermann und Dorothea“ von schön vergoldeten Deuten spricht, so ist das auch nichts anderes; statt Düte sagt er Deute, wie man jetzt Leute für Lüte sagt. Natürlich denkt kein Mensch daran, auf einer Papiertüte zu blasen; sie hat nur die Form eines Blasinstrumentes, wie die Butterglocke die einer Glocke, die Kaffeetrommel die einer Trommel hat, wo auch niemand ans Läuten, niemand ans Trommeln denkt. Die antike Tuba sah genau so aus wie eine Tüte; Kindertrompeten in dieser Form werden noch bei Volksfesten verkauft.

Diese Form hat das Ding noch immer behalten, obgleich es jetzt nicht mehr gedreht, sondern geleimt und fabrikmäßig hergestellt wird; niemals wird man einen Papiersack eine Tüte nennen. Und so mahnt das moderne Füllhorn, das Symbol des Kleinhandels, immer noch an die Zeit, wo Zeus einer Ziege das eine Horn abbrach und es mit Ueberfluß begabte. R. K.