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Die Relativitätstheorie der Physik

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Textdaten
Autor: Joseph Petzoldt
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Titel: Die Relativitätstheorie der Physik
Untertitel:
aus: Zeitschrift für positivistische Philosophie, Vol. 2, pp. 1-56
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Erscheinungsdatum: 1914
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: California, Commons
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Die Relativitätstheorie der Physik.
Von
Joseph Petzoldt.
Inhaltsangabe.

1. Die Relativitätstheorie liegt in der Hauptlinie der Entwicklung des menschlichen Denkens.2. Machs kritische Ueberwindung jeder absoluten Bewegung. Relativierung der Zentrifugalität und der Trägheit.3. Relativierung der ‚Zeit‘.4. Die Ueberwindung des Substanzbegriffs.5. Das mechanistische Vorurteil.6. Die Machsche Relativitätstheorie für den Raum der Erfahrung und für den Raum der theoretischen Physik.7. Ursprung der Einsteinschen Theorie.8. Die Lorentzsche Theorie ist ihrem begrifflichen Kerne nach Methaphysik.9. Einsteins Lehre ist prinzipieller Relativismus. Ihr Verhältnis zur Lorentzschen Lehre.10. Die doppelten Koordinatensysteme bei Lorentz und bei Einstein.11. Die Lichtgeschwindigkeit als universelle Konstante.12. Der Michelsonsche Versuch.18. Die Vorgänge dieses Versuchs für den ‚ruhenden‘ Beobachter.14 Die prinzipielle Frage. Drei Gruppen von Physikern.15. Die erste Grundgleichung der Relativitätstheorie vom Standpunkt des einen der beiden Systeme aus.16. Diese Grundgleichung für das andere System.17. Die Gleichungen für die beiden anderen Achsen.18. Das Relativitätsprinzip für den Raum: die unbegrenzte Vielzahl gleichberechtigter gegen einander gleichförmig bewegter Räume.19. Damit unterstützt die Relativitätstheorie die positivistische Auffassung der Mathematik.20. Die beiden Abweichungen im Uhrgang der relativ zu einander bewegten Systeme.21. Die Bedeutung der Voraussetzung der universellen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.22. Der Punkt gleicher Zeitangaben für beide Systeme verschiebt sich.23. Torsion rotierender Körper. Der starre Körper.24. Die Relativität der zeitlichen Anordnung der Ereignisse.25. Die gegebene Analyse der Grundgleichungen der Relativitätstheorie war für das erkenntniskritische Eindringen in die neue Lehre unerlässlich. Die möglichst weitgehende Herausschälung der den Theorien zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgänge ist eine der wichtigsten Aufgaben der Erkenntnistheorie.26. Brauchbarkeit und Fruchtbarkeit einer Theorie sind in weitem Masse von ihrer Anschaulichkeit unabhängig.27. Versuche, in den richtig gesogenen Folgerungen der Relativitätstheorie logische Widersprüche ausfindig zu machen, sind selbst unlogisch.28. Konsequenzen der Relativitätstheorie hinsichtlich den Aethers, der Masse, der Energie usw. Physik, Mathematik und positivistische Erkenntnistheorie konvergieren zu derselben Naturauffassung, ja Weltanschauung. Benutzung des vierdimensionalen Raums zur Darstellung der Relativitätstheorie.29. Die wichtigste erkenntnistheoretische Frage zur Relativitätstheorie.30. Antwort.31. Missverständnis hinsichtlich der synchronen Messung. Das Ehrenfestsche Paradoxon.32. Die Relativitätstheorie hat von vornherein auch mechanische Bedeutung. Ein Mangel der Einstein-Minkowskischen Lehre. Der Begriff des Naturgesetzes.33. Ausblick auf die künftige Entwicklung der theoretischen Physik. Völlige Befreiung von der Platonisch-Kantischen Auffassung der Mathematik und Naturwissenschaft. — 34. Die Lorentz-Kontraktion ist für den ‚ruhenden‘ Beobachter kein ‚Sinnenschein‘, sondern ‚Wirklichkeit‘.35. An der Grenze zweier Weltanschauungen. Vergleich der Lorentz-Kontraktion mit den perspektivischen Veränderungen im Sehraum.36. Perspektive ‚bewegter‘ Körper. Noch ein Paradoxon.37. Unmöglichkeit, auf Grund der Theorie über eine obere Grenze von Körpergeschwindigkeiten zu verfügen.38. Eine zweite Grenze der bis jetzt vorliegenden Theorie liegt in der Konstanz der Richtung und des Wertes der Geschwindigkeit der berechtigten Bezugssysteme.39. Die Relativitätstheorie im Unterricht.40. Literaturangaben

1. Die Relativitätstheorie der heutigen Physik ist für die allmähliche Bildung einer haltbaren, nach allen Richtungen wohl begründeten Weltanschauung von grosser Bedeutung: deswegen, weil sie in der Hauptlinie der Entwicklung des bisherigen menschlichen Denkens gelegen ist, d. h. in der Linie, die von der Entwicklung des Substanzbegriffs beschrieben wird. In der Hauptsache hat diese Entwicklung, wenn man von dem von E. Mach und R. Avenarius begründeten relativistischen Positivismus noch absieht, bis heute zu zwei Anschauungen geführt. Nach der einen — sie wird in mancherlei Formen von der grossen Mehrzahl der Naturforscher und überhaupt der naturwissenschaftlich Gebildeten vertreten — besteht die Welt aus zwei eng verknüpften Wesenheiten, dem ‚Physischen‘ und dem ‚Psychischen‘. Nach der anderen — ihr folgen die meisten Erkenntnistheoretiker, Psychologen und überhaupt im besonderen philosophisch Gebildeten — gibt es zuletzt nurPsychisches‘; das ‚Physische‘ ist dann entweder nur ein Teil des ‚Psychischen‘, oder es ist nur Erschlossenes und niemals Erfahrbares, hinter den ‚Erscheinungen‘ Verborgenes.

Die Geschichte des europäischen wissenschaftlichen Denkens begann bei Thales mit einer einzigen, undifferenzierten Substanz, führte von Platon bis Descartes zu zwei scharf geschiedenen Substanzen, der materiellen und der geistigen, mit Prävalenz der letzteren und suchte seitdem jenen Gegensatz zu mildern oder ganz aufzuheben. Am weitesten vorgeschritten auf diesem psychologisch wohlbegreiflichen Wege ist von den beiden genannten Hauptrichtungen also die idealistische, für die die Welt ihrem innersten Wesen nach psychischer Natur ist. Dass diese Anschauung aber nicht haltbar und wie es gelungen ist, sie zu überwinden und die letzten Reste der alten Substanzvorstellungen völlig zu beseitigen, das kann hier nicht erörtert werden[1]. Hier handelt es sich nur um die Einreihung der Relativitätstheorie in diesen gewaltigen Prozess. Die wichtigsten Momente dafür sind die Aufhebung des Gegensatzes von ‚wirklich‘ und ‚scheinbar‘, die von der konsequenten Relativitätstheorie für weite physikalische Gebiete vorgenommen wird, und die vollständige Relativierung der Begriffe von der Gestalt der Körper und der zeitlichen Anordnung der Ereignisse. Es zeigt sich dabei, dass die erkenntnistheoretische Klärung der Relativitätstheorie von den Physikern nur teilweise und vielfach inkonsequent geleistet wird, dass hier also eine dringliche und wichtige Aufgabe für die Erkenntnistheorie vorliegt.

2. Es gibt zwei Relativitätstheorien oder, wenn man will, zwei Phasen der Relativitätstheorie. Sie knüpfen sich in erster Linie an die Namen von E. Mach und A. Einstein. Wir wollen zunächst das für uns Wichtige der beiden Lehren herausheben.

Für Mach steht es fest, dass es keinerlei physikalische Mittel gibt, eine absolute Bewegung eines Körpers im Raum festzustellen, dass absolute Bewegung somit physikalisch sinnlos ist.

Newton war noch von der absoluten Bewegung überzeugt. Zwar hatte er erkannt, dass es unmöglich sei, absolute Translation nachzuweisen, aber er glaubte, in den bei Rotationen auftretenden Zentrifugalvorgängen ein untrügliches Merkmal absoluter Bewegung gefunden zu haben. Dem gegenüber weist Mach darauf hin, dass Fliehkräfte immer nur mit Rotationen gegenüber der Masse der Erde oder des Fixsternhimmels auftreten, also immer nur an Kreisbewegungen relativ zu sehr grossen Massen gebunden sind. Dieser Einwurf ist durchschlagend und hat alle Berufung auf die angeblichen Beweise für die absolute Bewegung, z. B. der Erde, zu nichte gemacht. Er knüpft nicht nur die kosmischen Zentrifugalvorgänge, sondern auch alle Trägheitsbewegungen an die Massen des Fixsternhimmels: die Abweichungen nordsüdlicher Winde, nordsüdlich geworfener Geschosse, fallender Körper, des Foucaultschen Pendels usw. Diese Auffassung ist zugleich eine weit tiefere als die für die Zentrifugalvorgänge übliche, wie sie sich in dem Newtonschen Versuch mit dem rotierenden Wassergefäss und in der Newtonschen Definition der Trägheitsbewegung ausdrückt[2]). Denn sie stellt die Fliehkräfte und Trägheitsvorgänge in einen weit grösseren Zusammenhang. Zentrifugaler Druck und zentripetaler Zug sind nicht Vorgänge, bei deren eindeutiger Bestimmung man von den kosmischen Massen absehen dürfte: das C. Neumannsche Gedankenexperiment mit dem rotierenden isolierten Fixstern ist ganz naturgemäss mehrdeutig, eine Entscheidung kann nicht gefällt werden, weil es Verhältnisse herstellt, die von den wirklichen prinzipiell, qualitativ, nicht nur quantitativ verschieden sind. Und ebenso kann die geradlinige gleichförmige Bewegung des Trägheitssatzes ohne Beziehung auf das Fixsternsystem physikalisch gar nicht erfasst werden; sie ist nach den allein vorliegenden Tatsachen der Erfahrung die Bewegung eines einzelnen Körpers oder einzelnen Systems gegenüber der Gesamtheit aller übrigen.

3. Mit dieser Relativierung der Trägheit und Zentrifugalität gehen für Mach tiefgreifende Aenderungen der bis dahin üblichen Anschauungen über Raum und Zeit in der Physik Hand in Hand. Beide verlieren ihren absoluten Charakter vollständig.

Die „absolute, wahre und mathematische Zeit“ Newtons, die „an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgend einen äusseren Gegenstand“ „verfliesst“, ist nur ein Erzeugnis metaphysischer Spekulation. Wo wäre denn die Uhr, die uns dieses gleichmässige Fliessen zu beurteilen gestattete? Ihr Gang müsste ja an einer weiteren Uhr auf Gleichmässigkeit geprüft werden usf. ohne Grenzen. Für die gegenwärtige Physik ist der Drehungswinkel der Erde gegenüber dem Fixsternhimmel das letzte Zeitmass. Denken wir daher in den physikalischen Gleichungen den Zeitparameter durch jenen Drehungswinkel ersetzt, so haben wir in jeder ein genaues Analogon zu einer Gleichung etwa der analytischen Geometrie, in der uns die Variation eines Parameters eine stetige Figurenfolge liefert. Ein Tempo, irgend eine bestimmte Geschwindigkeit, also wieder ein Zeitmass für das Wachsen des Drehungswinkels der Erde fordern, ist unlogisch und wird vom klaren Denken so wenig verlangt wie für das Wachsen eines geometrischen Parameters[3]). Zugleich erkennen wir an dieser Elimination der ‚Zeit‘ aus den Bestimmungsgleichungen der Physik, dass es sich in diesen Gleichungen nur um die funktionelle Abhängigkeit der Vorgänge von einander handelt, dass sich also hinter dem Zeitparameter ein tiefgehender Zusammenhang alles Geschehens verbirgt. Zuletzt ist jedes mit jedem verknüpft, und statt die Aenderung des Drehungswinkels der Erde der Betrachtung aller Veränderung überhaupt zugrundezulegen, kann man sie an irgendwelchen anderen Vorgängen verfolgen, nur dass dann die mathematischen Formulierungen im allgemeinen verwickelter würden[4]). Die Zeit ist also physikalisch die Darstellbarkeit jeder Erscheinung als Funktion jeder anderen[5]).

Durch jene Substitution ist die Zeit auch aufs engste mit dem Raum verknüpft, was ja ebenfalls, wenn auch auf andere Weise, eine besondere Seite der neuesten Phase der Relativitätstheorie ist.

4. Solche Anschauungen sind für Mach nicht nur aus physikalischen und physikhistorischen Studien geflossen, sondern namentlich auch aus sinnesphysiologischen und allgemeinen erkenntniskritischen. Von Kant unbefriedigt, hatte er sich zu Berkeley gewandt, dessen Aufhebung der materiellen Substanz einer der wichtigsten Marksteine in der Geschichte des menschlichen Denkens überhaupt ist. Sie war ihm offenbar im höchsten Masse willkommen. Hier such liegt der Punkt, an dem sich Machs Hauptleistungen in den grossen erkenntniskritischen Prozess einreihen, der sich seit Descartes abgespielt hat. Wenn er einmal sagt: „Die Wissenschaft ist fast mehr durch das gewachsen, was sie zu ignorieren verstanden, als durch das, was sie berücksichtigt hat[6]), so trifft das auch auf seine Abneigung gegen alle Metaphysik und Mystik zu, mag sie in noch so exaktem Gewande auftreten. Hier ist die Quelle für seine Freiheit von Vorurteilen und damit auch die Quelle für seine Relativitätstheorie und für die Relativitätstheorie überhaupt.

Was man an Einsteins Lehre — von ihrer Anschauung über die Zeit jetzt abgesehen — so paradox findet: dass einem Körper ‚gleichzeitig‘ unendlich viele Gestalten — und jede mit gleichem Rechte — zukommen, und dass diese Gestalten nur von der Relativbewegung der Bezugssysteme zueinander abhängen, das ist auf diesem Boden als erkenntnistheoretisch durchaus zulässig leicht einzusehen. Denn Mach hat einen sehr freien Körperbegriff aufgestellt, der noch erheblich weiter reicht als der der neuen Lehre. Er sagt: „Es ist bekannt, welche Schwierigkeiten die actio in distans sehr bedeutenden Denkern verursacht hat. ‚Ein Körper kann nur da wirken, wo er ist‘. Es gibt also nur Druck und Stoss, keine Fernwirkung. Aber wo ist ein Körper? Ist er nur dort, wo wir ihn tasten? Kehren wir die Sache um! Ein Körper ist dort, wo er wirkt. Er nimmt einen kleinen Raum ein für das Getast, einen grösseren für das Gehör, einen noch grösseren für das Gesicht. Wie käme der Tastsinn dazu, uns allein zu diktieren, wo ein Körper ist“[7])? Und ganz im Sinne Humes, den Mach aber damals noch nicht kannte: „Uns Naturforschern ist der Begriff ‚Seele‘ mitunter anstössig und wir lächeln darüber. Der Stoff ist aber eine Abstraktion ganz derselben Art, so gut und so schlecht wie die erstere. Wir wissen vom Stoff so viel wie wir von der Seele wissen. Wenn wir Sauerstoff und Wasserstoff in einer Endiometerröhre explodieren lassen, so verschwinden die Sauerstoff- und Wasserstofferscheinungen, und es treten dafür die Wassererscheinungen auf. Nun sagen wir, Wasser besteht aus Sauerstoff und Wasserstoff. Dieser Sauerstoff und Wasserstoff sind aber nichts als zwei beim Anblick des Wassers parat gehaltene Gedanken oder Namen für Erscheinungen, die nicht da sind, die aber jeden Augenblick wieder hervortreten können, wenn wir das Wasser zerlegen, wie man sich auszudrücken beliebt. Es ist mit dem Sauerstoff ganz so wie mit der latenten Wärme. Beide können hervortreten, wo sie im Augenblick noch nicht bemerkbar sind. Ist die latente Wärme kein Stoff, braucht es auch der Sauerstoff nicht zu sein. Man wende nur nicht die Unzerstörbarkeit und Erhaltung der Materie ein. Sagen wir lieber Erhaltung des Gewichtes, so haben wir eine reine Tatsache und sehen sofort, dass diese mit keiner Theorie etwas zu schaffen hat[8]).“ „Stoff ist mögliche Erscheinung, ein passendes Wort für eine Gedankenlücke[8]).“

Der Stoff, die Materie, die Substanz, die Moleküle, Atome, Elektronen sind ihm also nur Theorien, Arbeitshypothesen, nicht anders als es ihm die Räume von mehr als drei Dimensionen sind — und schon vor dem Erscheinen der Riemannschen Arbeit waren —, Knechte, die gehen können, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben, Vorstellungen, die niemals den Wert sinnlich aufweisbarer Erfahrung haben.

5. Berkeley und die Sinnesphysiologie hatten Mach gelehrt, dass die übliche Bevorzugung des Getastes vor dem Gesicht unhaltbar ist. Damit verlor für ihn die Mechanik ihre Sonderstellung in der Physik, und die thermischen und elektromagnetischen Vorgänge wurden ihr gleichberechtigt[9]). „Wir können jetzt noch gar nicht wissen, welche von den physikalischen Erscheinungen am tiefsten gehen, ob nicht die mechanischen gerade die oberflächlichsten sind, ob nicht alle gleich tief gehen[10]).“ Damit fiel aber zugleich die alte ‚Erklärung‘ fort, d. h. die Zurückführung aller physikalischen und chemischen Vorgänge auf mechanische, auf Moleküle und Atome, die mit Kräften als besonderen Wesenheiten begabt sein sollten. Der Massenbegriff wurde umgeformt und auf den reinen „Ausdruck des Tatsächlichen“ gebracht. Als Aufgabe der Physik — wie aller Wissenschaft — ergab sich die ökonomische Darstellung des „Tatsächlichen“, die vorteilhafteste „Beschreibung“ der Tatsachen, worin Mach einige Jahre später (1874) in Kirchhoff einen mächtigen Bundesgenossen fand.

Das alles ist für den Relativismus Machs — seinen relativistischen Positivismus — und somit im besonderen für die Relativitätstheorie von grundlegender Bedeutung. Denn auf dem so gewonnenen Standpunkt kann keine Rede mehr davon sein, dass die Wissenschaft absolute Wahrheit zu ermitteln habe, die Welt erkennen könne, wie sie an sich sei, ohne Beziehung auf die Organisation des Erkennen-wollenden, sondern nur, dass die Aufgabe sei, immer weiter gehende Feststellung des Verhältnisses des Menschen zu seiner näheren und ferneren Umgebung, Ausbildung eines Systems begrifflicher Reaktionen, die den Menschen zu allen auf ihn einströmenden Reizkomplexen ins Gleichgewicht, in eine stabile Relation, eine endgültige Beziehung setzen. Dieser Forderung vermag eben die Relativitätstheorie der Physik in hohem Masse zu entsprechen; man wird ihr aber auch erst dann völlig gerecht werden können, wenn man sie in ihrer Stellung innerhalb des ganzen angedeuteten Gedankenkomplexes betrachtet[11]).

Es ist nicht nötig, hier auf noch erheblich weiterreichende Anschauungen Machs über den Raum einzugehen, in denen er diesen seines „hyperphysikalischen Charakters“ noch vollständiger entkleidet[12]), ja in denen er an eine Darstellung der Physik denkt, die die „räumlichen Beziehungen der Materien“ überhaupt ausschaltet[13]) und ein Analogon nur in der modernen deduktiven Geometrie haben dürfte, in der die Unabhängigkeit des logischen Zusammenhangs der geometrischen Sätze von der räumlichen Anschauung gezeigt wird[14]). Und noch weniger nötig ist es, die physiologischen Fundamentierungen zu zeigen, die Mach den Komplexen der Raum- und der Zeitempfindungen gibt[15]). Wohl steht das alles in einem grossen Zusammenhang und ist besonders von Bedeutung, weil es ein Versuch ist, die Physik von den Qualitäten der Sinne unabhängig zu machen; wir wollen uns hier aber auf die Untersuchung der physikalischen Relativitätstheorie beschränken.

6. Für Mach stand es nicht erst auf Grund mechanischer Untersuchungen fest, dass absolute Bewegung nur ein Begriff sei, dem nichts Erfahrbares entspreche, sondern schon — und noch weit mehr — auf Grund seiner sinnesphysiologischen und erkenntnistheoretischen Studien. Wer sich davon überzeugt hat, dass die Gestalten des Sehraums an die Farben unabtrennbar geknüpft sind, und wer anderseits die vollständige erkenntnistheoretische Gleichberechtigung des Tastsinns und des Gesichtssinns durchschaut, der weiss auch, dass der wirkliche Raum, der Raum der Erfahrung uns nur relative Bewegung zeigt und dass es keine Beobachtung und kein Mittel gibt, so wenig optischer oder elektromagnetischer wie mechanischer Art, das uns absolute Bewegung wahrnehmen lassen könnte. Eine andere Frage aber ist es, ob uns nicht physikalische Tatsachen zwingen oder wenigstens nahelegen könnten, beobachtete Vorgänge als Aeusserungen absoluter Bewegung zu denken, zu deuten; nämlich absoluter Bewegung in dem Raume, in dem wir jene physikalischen Tatsachen nach unseren physikalischen Theorien sich abspielen denken und der — was gut zu beachten und bei der ganzen Frage im Auge zu behalten ist — nicht der Raum der Erfahrung, sondern das Gedankending des Euklidischen Raumes ist, des gewöhnlichen Raumes unserer geometrischen Figuren, der von den allein erfahrenen Räumen unserer Sinne erheblich abweicht[16]). Und um diese Frage nur handelt es sich zunächst[17]).

Auf dem Boden sinnesphysiologisch begründeter Erkenntnistheorie kann also nur relative Bewegung in Frage kommen. Schlechthin zu sagen, wie es gesagt worden ist[18]), dass von zwei relativ zu einander bewegten Körpern mindestens der eine auch absolut bewegt sein müsse, heisst daher für diesen Standpunkt Metaphysik zulassen: über nicht Erfahrbares eine Aussage machen, die auf absolute Gültigkeit Anspruch macht. Jene Behauptung hätte nur Sinn, wenn man sie ausdrücklich auf den von der physikalischen Theorie vorausgesetzten Raum bezöge und einschränkte, auf den Raum, auf welchen jene Theorie die in dem wirklich erfahrenen Raume beobachteten Vorgänge nur abbildet. Damit würde man durch Definition einen Begriff absoluter Bewegung aufstellen, von dem dann weiter zu ermitteln wäre, ob er der Physik einen Dienst leisten könnte oder nicht[19]). Die Machsche Relativitätstheorie sagt nun aus: nicht nur, dass der Begriff der absoluten Bewegung für eine Erkenntnistheorie auf sinnesphysiologischer Grundlage keinerlei Bedeutung habe, sondern auch, dass er physikalisch sinnlos sei, d. h. der Physik auch bei ihrer Abbildung der Vorgänge in metrischen Räumen keinen Dienst zu leisten vermöchte. Und auf denselben Boden stellt sich die Einsteinsche Theorie. Während Mach aber die seinige vor allem aus der Betrachtung der Zentrifugalvorgänge heraus begründet, stützt Einstein seine Lehre auf elektromagnetische, im besonderen auf optische Vorgänge.

7. Einstein sucht namentlich zwei anscheinend einander widersprechende Feststellungen der experimentellen Physik widerspruchsfrei zu machen. Die eine, das Ergebnis eines Versuchs von Fizeau, besagt, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichte in bewegten Gasen keinerlei Aenderung erleidet; die andere, durch Michelson gewonnen, dass man trotzdem keinen Unterschied in der Zeit der Fortpflanzung des Lichtes über zwei gleich lange Strecken beobachten könne, von denen die eine in die Richtung der Erdbewegung, die andere senkrecht dazu gelegt wird. Auf Grund des Fizeauschen Versuches und der üblichen Vorstellungen der Physik über den absoluten Raum und die absolute Bewegung hätte man erwarten sollen, dass der Michelsonsche Versuch Aufklärung über die absolute Bewegung der Erde im Weltenraume brächte. Er verriet aber trotz wiederholter sorgfältigster Ausführung nicht das Geringste darüber. Während nun gleichwohl Lorentz, der Schöpfer der Elektronentheorie, auf dem absolutistischen Standpunkte stehen blieb und durch besondere, sich nicht eben sehr natürlich in seine Lehre einfügende Annahmen das enfant terrible, das im Michelsonschen Versuch dem Absolutismus entstanden war, zum Schweigen zu bringen suchte, nahm Einstein, von vornherein schon auf dem von Mach bereiteten Boden stehend, jenen Versuch in ganz natürlicher und unbefangener Weise als eine neue Bestätigung für seine relativistische Ueberzeugung und suchte nun das Ergebnis des Fizeauschen Versuchs damit in Einklang zu bringen. Das ist ihm und seinen Mitarbeitern, vor allem Minkowski, denn auch in einer so wunderbaren Weise gelungen, dass niemand, der Sinn für die Aesthetik mathematisch-physikalischer Theorien hat, sich dem Zauber der neuen Lehre entziehen kann und dass sich ihre Anhänger, trotzdem keine geringen Zumutungen an die Entwicklungsfähigkeit ihres Denkens gestellt werden, ununterbrochen vermehren. Wir dürfen aber freilich keinen Zweifel darüber lassen, dass die Aesthetik und Oekonomie eines Gedankenbaus nur erst in zweiter Linie über seine Haltbarkeit entscheiden kann, dass er sich vielmehr vor allem immer darüber auszuweisen haben wird, ob er nicht nur allen bereits bekannten Tatsachen, sondern auch den neu zu ermittelnden und besonders den auf seinem Grunde und zu seiner Prüfung aufzusuchenden Raum zu bieten vermag. Darüber kann natürlich erst die Zukunft entscheiden.

8. Lorentz hatte, um seine Theorie von der absoluten Bewegung dor Körper durch den absolut ruhenden Aether aufrecht erhalten zu können, zwei für seinen Standpunkt gewiss ausserordentlich kühne Annahmen gemacht. Die erste, die unabhängig von ihm auch Fitzgerald machte, lässt den in der Richtung der Erdbahn gelegenen Schenkel des Michelsonschen Apparates und auch jeden anderen Körper in der Richtung seiner absoluten Bewegung sich nach Massgabe seine absoluten Geschwindigkeit verkürzen. Die zweite macht einen Unterschied zwischen allgemeiner Zeit und Ortszeit: unter sonst gleichen Bedingungen würden dieselben Uhren verschiedene Angaben machen, wenn sie das eine Mal im Weltenraume absolut ruhten, das andere Mal sich auf einem bewegten Körper, wie der Erde, befänden.

Mit diesen beiden Annahmen suchte der Absolutismus den Hieb zu parieren, den ihm der Michelsonsche Versuch versetzt hatte. Tatsächlich war nun, rein mathematisch genommen, alles wieder in Ordnung. Keineswegs aber in dem begrifflichen Inhalt der Theorie. Die Lorentzsche Kontraktionshypothese macht die Verkürzung eines Körpers von seiner absoluten Bewegung abhängig. Aber es wird kein Merkmal aufgestellt, das uns die absolute Bewegung erkennen lassen könnte. Die letztere bleibt ein physikalisch völlig inhaltsloser Begriff. Statt die Erde in absoluter Bewegung begriffen zu denken, kann man sie mit demselben Recht in absoluter Ruhe denken: wir haben keinen einzigen vor der Kritik standhaltenden Beweis für das eine oder gegen das andere; das Absolute entzieht sich sowohl nach der positiven wie nach der negativen Seite hin jeder Feststellung; es ist eben gar nichts Physikalisches, Erfahrbares, sondern nur eine metaphysische Idee. Somit gibt in Wirklichkeit die Lorentzsche Theorie gar nicht an, wann sich ein Körper verkürzt, sondern stellt die Meinung darüber zuletzt völlig in das Belieben eines jeden, da eben jeder mit gleichem Rechte die absolute Bewegung jedes beliebigen Körpers behaupten oder bestreiten kann. Das Gleiche gilt von der Ortszeit. Wir können nach der Lorentzschen Theorie gar nicht wissen, ob einem System jene Ortszeit zuzusprechen ist oder nicht, da das eben wieder von seinem Zustande absoluter Bewegung oder absoluter Ruhe abhängig sein soll. Die Lorentzsche Lehre ist also ihrem begrifflichen Kerne nach reine Metaphysik, nicht anders als die Schellingsche oder Hegelsche Naturphilosophie. Und wenn sie trotzdem praktisch brauchbar ist, so liegt das an demselben Umstand, der auch die Newtonsche Mechanik in der Praxis begünstigt: statt der absoluten Bewegungen werden die Bewegungen relativ zum Fixsternsystem untergeschoben, und für diese Substitution haben die Formeln ihre Geltung. Das heisst aber doch im Grunde nur: überall, wo die Anhänger jener Theorie sie wirklich anwenden, unterscheiden sie sich in ihrem tatsächlichen Verhalten in nichts von ihren Gegnern, den Relativisten, sind sie also Relativisten. Was soll dann also noch die völlig zwecklose und physikalisch sinnlose Behauptung von der absoluten Bewegung und dem absolut ruhenden Aether? Es ist Naturphilosophie von der historisch berüchtigtsten Art, nur geeignet, die Physik zu einem Hindernis für die Entwicklung einer vollen und einheitlichen Weltanschauung zu machen, in der das Biologisch-Psychologische genau so gut zu Worte kommen muss wie das Physikalische. An diesem Festhalten am Absoluten sehen wir denn auch diejenigen absolutistischen Physiker, die sich um eine vollständige Weltanschauung bemühen, scheitern: sie verfallen fast unabwendbar dem Vitalismus[20]).

9. Einstein fasste von vornherein den Michelsonschen Versuch relativistisch auf. Seine Abhandlung von 1907 überschreibt er: „Ueber das Relativitäteprinzip und die aus demselben gezogenen Folgerungen[21]).“ Er spricht dort von der Lorentz-Fitzgeraldschen Kontraktionshypothese und fährt dann wörtlich fort: „Diese ad hoc eingeführte Annahme erschien aber doch nur als ein künstliches Mittel, um die Theorie zu retten; der Versuch von Michelson und Morley hatte eben gezeigt, dass Erscheinungen auch da dem Relativitätsprinzip entsprechen, wo dies nach der Lorentzschen Theorie nicht einzusehen war“[22]). Diese ganz zweifellose Stellung des Schöpfers der neuen Relativitätstheorie ist wohl zu beachten. Es handelt sich um ein Prinzip, um einen obersten Satz, um eine besondere Weise, die Tatsachen der Physik anzusehen, um eine Naturanschauung und zuletzt um eine Weltanschauung. Der relativistische Standpunkt ist an der Relativitätstheorie das Wesentliche, und wir müssen darauf achten, dass er folgerichtig bis in die letzten Ausläufer durchgeführt wird. Dies geschieht vielfach noch nicht, selbst bei hervorragenden Vertretern der neuen Lehre nicht. Die konsequente Durchführung wird wesentlich erleichtert, wenn wir die gesamte historische Lage beachten: die Linie Berkeley-Hume-Mach weist uns die Richtung und gibt uns den erkenntniskritischen Masstab in die Hand.

Bei dem schneidenden Gegensatz, in dem relativistische und absolutistische Anschauung stehen, hatte Einstein erwartet, dass die Lorentzsche Theorie ganz aufgegeben und durch eine vollständig neue ersetzt werden müsste. Zu seiner Ueberraschung war das nicht nötig. Er brauchte sie vielmehr nur ihrer absolutistischen Momente zu entkleiden — der absoluten „allgemeinen Zeit“ und der absoluten Verkürzung absolut bewegter Körper —, um das, was an ihr nur als Annahme ad hoc erschien — die Gestaltänderung der Körper und die Aenderung im Uhrgang — als ganz natürliche Konsequenzen des mathematisch formulierten Relativitätsprinzips zu erhalten.

Man könnte meinen, die Aufklärung dieses seltsamen Zusammenstimmens läge in dem, was wir noch eben (S. 8 f.) dargelegt haben: dass es im Grunde überhaupt gar nicht möglich sei eine Theorie aufzustellen, die absolutistisch ist und dennoch in ihren Formeln die Tatsachen trifft, dass also zuletzt jede mathematisch zutreffende Theorie relativistisch sei, weil sie ja immer nur auf ein in der Natur zu verankerndes Koordinatensystem angewendet werde, also auf die Erde, den Fizsternhimmel usw. Allein diese Bemerkung, so richtig sie ist, reicht hier nicht zu. Denn die Einsteinsche Theorie enthält die ihrer absoluten Momente entkleidete Lorentzsche nur als besonderen Fall, da für Lorentz sich nur jeder relativ zum Fixsternhimmel bewegte Körper verkürzen und auch nur jede so bewegte Uhr ihren Gang ändern würde. Die Aufklärung jenes Punktes liegt vielmehr, wie wir noch genauer sehen werden, darin, dass auch die Einsteinsche Lehre durchaus an das Ergebnis des Michelsonschen Versuchs anknüpft und sich ganz aus ihm ableiten lässt.

10. Lorentz hatte zur Aufhellung dieses Versuchs bereits zwei Koordinatensysteme benutzt: ein allgemeines, absolutes, im absoluten Raume oder wenigstens mit dem Aether fest verankertes, und ein besonderes, an die in jenem Raume bewegte Erde oder an den mit dieser fest verbundenen Michelsonschen Apparat geknüpftes. In der praktischen Wirklichkeit war jenes an den Fixsternhimmel gebunden zu denken. Ausserdem galt in ihm die allgemeine, absolute Zeit, während das im absoluten Raume bewegte System nach „Ortszeit“ rechnete.

Einstein behielt die beiden gegen einander mit konstanter Geschwindigkeit bewegten Systeme bei, hob aber den prinzipiellen Unterschied zwischen ihnen auf: jedes war dem andern vollständig gleichberechtigt, und was im System vom System galt, das musste auch vom System in bezug auf das System gelten. Die Beschreibung irgend eines Vorganges von dem einen System aus — mit Hilfe der Masstäbe und Uhren dieses Systems — wird im allgemeinen von der Beschreibung in Beziehung auf das andere System verschieden sein. Darin liegt aber kein Widerspruch, weil eben jedesmal eine andere Beziehung vorliegt. Die Aufgabe der Relativitätstheorie kann dann darin gesehen werden, dass sie zwischen den beiden Beschreibungen einen eindeutigen Zusammenhang ermittelt, so dass man leicht den Standpunkt wechseln und sich von ‚demselben‘ Vorgang zwei verschiedene Bilder entwerfen kann: eine für den ‚mitbewegten‘ Beobachter und eins für den ‚ruhenden‘. Die für den ersten Anblick so paradoxen Ergebnisse der Relativitätstheorie sind nun im Bilde des ‚ruhenden‘ Beobachters enthalten, in der Beschreibung, die der ‚ruhende‘ Beobachter von einem Vorgang im ‚bewegten‘ System entwirft. Das sogenannte ‚negative‘ Ergebnis des Michelsonschen Versuchs, das von der bisherigen absolutistischen Physik nicht erwartet war und als Enttäuschung empfunden wurde, hat seinen ‚negativen‘ Charakter auch nur dadurch erhalten, dass man diesen Versuch vom Standpunkte eines ‚ruhenden‘, nicht ‚mitbewegten‘ Beobachters aus ansah.

In Wirklichkeit kann man das freilich nicht, und man könnte auch gar nicht wissen, wie etwa die zwischen den Spiegeln hin- und hergeworfenen Lichtbündel bei diesem Versuch für einen neben der Erdbahn aufgestellten Beobachter sich verhalten würden, wenn man nicht aus dem Fizeauschen Strömungsversuch das Recht zu der Annahme herleitete, dass das eben anders sein müsste als für den ‚mitbewegten‘ Beobachter. Der Beobachter des Fizeauschen Versuchs ist prinzipiell in der Lage jenes Beobachters im Sonnensystem, der die Erde an sich vorbeifliegen sieht.

Ich will nun zunächst eine vollständige naturwissenschaftliche Analyse der mathematischen Grundgleichungen der Einsteinschen Theorie — der sogenannten Lorentz-Transformation — geben, die zugleich eine leicht verständliche Darstellung dieser Grundlagen sein dürfte. Sie findet sich in diesem Gang meines Wissens in der bisherigen Literatur noch nicht; verwandt dürfte ihr nur die Darstellung von La Rosa sein[23]).

11. Der Fizeausche Versuch hat die wohl alte Vorstellung befestigt, dass die Geschwindigkeit des Lichts im Vakuum eine universelle Konstante ist, unabhängig von der Bewegung der Lichtquelle, ganz allein eine Sache, wenn man so sagen darf: der Struktur des Vakuums selbst. Dieses dachte man sich als den absoluten unendlichen Euklidischen Raum, angefüllt mit dem nur wenig von den bewegten Körpern mitführbaren oder — so bei Lorentz — mit den absolut ruhenden Lichtäther, dem Träger der Lichtwellen. Für die Relativitätstheorie gibt es keinen absoluten Raum und keine absolute Bewegung mehr, sondern nur relative Räume und relative Bewegung. Jeder Beobachter — im besonderen der ‚ruhende‘ und der ‚mitbewegte‘ — hat seinen eigenen Raum, und diese individuellen Räume darf man sich nicht etwa als Teils eines allumfassenden Raumes denken, sonst würde man den eben noch verworfenen absoluten Raum wieder von neuem einführen (vgl. § 18). Daher hat für die Relativitätstheorie auch der Aether keine Bedeutung mehr, er wird zu einer überflüssigen Hypothese, ja, zu einer sinnlosen metaphysischen Annahme. Und so konnte Einstein von jenen alten Vorstellungen über die Ausbreitung des Lichtes nichts beibehalten als die Konstanz seiner Geschwindigkeit im Vakuum für jeden einzelnen jener relativen Räume und als die Gleichheit dieser Geschwindigkeit für alle diese Räume. Das Unbehagliche einer solchen Voraussetzung verliert sich, wenn man in die Theorie näher eindringt. Wir wollen auf diesen Punkt daher erst dann noch einmal zu sprechen kommen, wenn wir uns eins hinreichende Vorstellung von dem Michelsonschen Versuch und seiner Auffassung durch den ‚ruhenden‘ Beobachter gemacht haben.

12. In der beistehenden Figur stellen und die horizontalen Schenkel eines um den Schnittpunkt dieser Schenkel in der Horizontalebene drehbaren Apparates dar, der im Schnittpunkt der beiden Schenkel — gegen diese unter 45° gedreht —

eine planparallele durchsichtige Platte und in und , gleich weit von entfernt, Spiegel trägt. Fällt von paralleles Licht auf , so geht es zum Teil auf dem Wege , zum Teil auf dem anderen nach dem Fernrohr , in dem man die entstehenden Interferenzenzstreifen beobachtet. Ruht der Apparat in dem Raume, in dem sich das Licht nach allen Richtungen mit der gleichen Geschwindigkeit ausbreitet, so kann bei einer Drehung des Apparates um keine Verschiebung des Interferenzenzstreifensystems eintreten, da die Wege der zur Interferenzenz gelangenden Lichtbündel gleich lang sind. Bewegt sich aber der Apparat — etwa mit der Erde in ihrer Bahn um die Sonne — in der Richtung mit konstanter Geschwindigkeit, so wird der Lichtweg — wie gleich gezeigt werden wird (S. 15) — länger als , und es muss eine Verschiebung des Streifensystems stattfinden. Da der wirklich ausgeführte Versuch (vgl. o. S. 8) nichts davon zeigte, obwohl schon der zehnte Teil der zu erwarten gewesenen Verschiebung deutlich hätte bemerkt werden müssen, so darf die Annahme gemacht werden, dass sich das Licht für den mitbewegten Beobachter nach allen Richtungen hin gleichförmig ausbreitet. Und damit stehen wir vor der Frage: wie kann diese Annahme mit der gleichberechtigten anderen vereint werden, dass auch für den ‚ruhenden‘ — etwa mit der Erdbahn, also der Sonne fest verbundenen — Beobachter die allseitige gleichförmige Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts besteht?

Wir setzen voraus, dass auch der an der Erdbahn aufgestellte Beobachter beim Vorüberfliegen des Michelsonschen Apparats durch keine Mittel eine Verschiebung der Interferenzenzstreifen wahrnehmen könnte, dass also für beide Beobachter der Versuch das gleiche Ergebnis hat.

13. Untersuchen wir jetzt, wie sich die Vorgänge des Michelsonschen Versuchs für den ‚ruhenden‘ Beobachter darstellen werden.

Für ihn möge sich der Apparat mit der Geschwindigkeit in der Richtung des Pfeiles der beistehenden Figur bewegen. Des auf die planparallele Platte von her auffallende Licht trifft nach der Rückkehr vom Spiegel die Platte in der Lage , legt also den Weg zurück, während das die Platte durchdringende Licht den Weg durchläuft. Da keine Verschiebung der Interferenzenzstreifen eintritt, müssen die Zeiten für die beiden Lichtwege gleich sein. Sind aber die Spiegel von der planparallelen Platte gleichweit entfernt, so ergeben sich verschiedene Zeiten. Das folgt so.

Während der Mittelpunkt der Platte den Weg mit der Geschwindigkeit zurücklegt, durcheilt das Licht den Weg mit der Geschwindigkeit . Es verhält sich also:

Man kann sich nun vorstellen, dass das Licht in derselben Zeit, in der es von nach mit der Geschwindigkeit gelangt, den Weg mit der Geschwindigkeit durchlaufe. Ist dann , so ist jene Zeit gleich und die für den ganzen Weg erforderliche

Um die Zeit zu ermitteln, die das Licht auf dem Wege zwischen planparalleler Platte und Spiegel — in der Figur auf der Strecke — zubringt, beachten wir, dass der Spiegel , dem von abgehenden Lichte mit der Geschwindigkeit ausweicht, so dass das Licht sich der Spiegellage nur mit der Geschwindigkeit nähert. Daher verweilt es auf der Strecke zwischen planparalleler Platte und Spiegel, d. h. auf der Strecke , die Zeit Sekunden. Umgekehrt kommt dem von zurückkehrenden Lichte die planparallele Platte mit der Geschwindigkeit entgegen, so dass es auf der Strecke jetzt nur Sekunden zubringt. Im ganzen braucht es somit für den in der Bewegungsrichtung gelegenen Hin- und Rückweg die Zeit

Diese Zeit ist grösser als die Zeit, die für Hin- und Rückweg des Lichtes bei ruhendem Apparat erforderlich gewesen wäre, da die letztere nur betragen hätte. Sie ist aber auch — und darauf kommt es zunächst an — grösser als die Zeit, die das Licht auf dem Wege braucht.

So also stellt sich die Sache für den ‚ruhenden‘ Beobachter, während für den ‚mitbewegten‘ die Zeiten für beide Lichtwege vollständig gleich sind, nämlich beide Male Sekunden betragen.

Da nun aber auch der ‚ruhende‘ Beobachter das Ergebnis des Michelsonschen Versuchs anerkennt, so bleibt ihm nichts anderes übrig als die Annahme, die beiden Zeiten seien auch für ihn gleich. Unter Voraussetzung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und ihrer Unabhängigkeit von der Bewegung der Lichtquelle muss er sich dann aber zu der Folgerung entschliessen, in dem Ausdruck für die Grösse einzusetzen: , denn dann wird:

d.h. die Zeit für den transversalen Lichtweg ist nun gleich der für den longitudinalen.

Es heisst aber anderseits auch: der in die Bewegungsrichtung fallende Schenkel des Michelsonschen Apparates ist — für den ‚ruhenden‘ Beobachter — von der Länge auf die Länge zurückgegangen, oder hat sich im Verhältnis verkürzt.

14. Für den Physiker der alten Schule und überhaupt für jeden, der — bewusst oder unbewusst — auf dem Boden der mechanischen Naturansicht steht, ist das eine unerhörte Annahme, weil er keine Möglichkeit einer ‚Erklärung‘ dieser Verkürzung sieht: keine Widerstände und keine Kräfte im leeren Raum, die eine solche Kompression bewirken könnten. Der moderne Physiker dagegen findet sich grundsätzlich sehr leicht damit ab, insofern er weiss, dass Physik zuletzt nie mehr zu leisten vermag als Beschreibung der Vorgänge; dass vollständige Beschreibung schon vollständige Erklärung ist; und dass im Grunde die Physik niemals etwas anderes geleistet hat. Minkowski sagt von jener Verkürzung: „Die Kontraktion ist nicht etwa als Folge von Widerständen im Aether zu denken, sondern rein als Geschenk von oben, als Begleitumstand des Umstandes Bewegung“[24]). Das heisst nur: jene Kontraktion wird konstatiert, festgestellt, beschrieben als mathematische Funktion der Bewegung, als eindeutig abhängig von der Geschwindigkeit , als eindeutig bestimmt durch diese Geschwindigkeit. Und die Theorie entspricht damit nur jener Mach-Kirchhoffschen Forderung der blossen Beschreibung.

Was man dabei als neu ansehen könnte, das ist die doppelte Beschreibung desselben Gegenstandes mit verschiedenem Ergebnis, einmal durch den ‚mitbewegten‘ Beobachter, das andere Mal durch den ‚ruhenden‘: der ‚mitbewegte‘ Beobachter beurteilt in seinem System die Längen der beiden Schenkel des Michelsonschen Apparate als gleich, der ‚ruhende‘ Beobachter im ganzen Zusammenhang seines Systems als verschieden. Aber es waren ja schon immer die beiden Beschreibungen der Vorgänge des Planetensystems — das eine Mal auf die Erde, das andere Mal auf die Sonne bezogen — verschieden, und auch diese beiden Beschreibungen waren bereits für Mach grundsätzlich gleichberechtigt. In diesem Punkte wenigstens kann also die neuere Relativitätstheorie keinerlei Schwierigkeiten machen: sie reiht sich ganz kontinuierlich an den bisherigen Entwicklungsgang der physikalischen Theorie an. Nur die Mechanisten, die diesen Gang nicht mitgemacht haben, fühlen sich in ihrer Stellung erschüttert und suchen sich dadurch zu behaupten, dass sie die neue Lehre für eine blosse Modeströmung erklären[25]).

Eine eigenartige Zwischenstellung zwischen den beiden Gruppen nehmen die Physiker der Lorentzschen Richtung ein. Sie kennen nicht zwei gleichwertige Beobachtungen, sondern nur eine richtige, die des ‚ruhenden‘ — für sie des absolut ruhenden — Beobachter. In diesem Punkte sind sie Vertreter der alten Schule, der Mechanisten. Gleichwohl verzichten sie auf eine ‚Erklärung‘ der Verkürzung des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Michelsonschen Apparate und sehen diese lediglich als eine Funktion, als einen Begleitumstand der Bewegung an, halten sich in diesem Punkte also zu dem Prinzip der Beschreibung. Dafür geben sie aber eine ,Erklärung‘ des Umstandes, dass der (absolut) mitbewegte Beobachter nichts von jener Verkürzung bemerkt: das liegt für sie daran, dass der Masstab, mit dem sie festzustellen wäre, selbst in die Bewegungsrichtung fällt und daher eine entsprechende Verkürzung erfährt.

Für die Relativitätstheorie dagegen liegt hier überhaupt kein Problem vor. Für sie ist es selbstverständlich — weil in ihren Grundvoraussetzungen enthalten —, dass für verschiedene Koordinatensysteme ‚dieselben‘ Vorgänge ein verschiedenes ‚Gesicht‘ zeigen können, gerade wie jeder beliebige ‚Körper‘ von jedem anderen Standpunkt aus in einer anderen sogenannten perspektivischen Verschiebung ‚erscheint‘. In dieser Anerkennung besteht eben die Relativitätstheorie. Sie will gar nicht mehr die eine absolute ‚Wahrheit‘ suchen, die eine ‚wahre‘ Gestalt ‚des‘ Körpers, sondern ringt sich von der alten philosophischen Substanzvorstellung völlig los[26]) und zu einem vorurteilslosen neuen Sehen der Dinge durch. Sie ist der endliche Durchbruch einer neuen Anpassung des Denkens an die gegebenen, experimentell festgestellten Tatsachen. Ein Körper hat für sie eben gar nicht in einem bestimmten Zeitpunkt eins einzige, absolute Gestalt, wie Lorentz es sich noch denkt, sondern unter den Bedingungen die eine, unter anderen, gleichzeitigen Bedingungen im selben Moment eine andere. Wir werden auf diesen Kernpunkt noch ausführlich zu sprechen kommen. Er ist auch unter den Anhängern und Ausgestaltern der Relativitätstheorie einstweilen nur bei wenigen durchgedrungen.

15. Die Verallgemeinerung des eben dargelegten ersten Teile der Theorie des Michelsonschen Versuchs bildet in der Hauptsache die erste Grundgleichung der Relativitätstheorie. Sie ergibt sich nun auf folgende Weise.

Bewegt sich ein Körper geradlinig und gleichförmig in Beziehung auf irgend ein Koordinatensystem, so verkürzt er sich gegenüber seiner Länge in der Ruhelage in diesem System in allen seinen Längen parallel zur Bewegungsrichtung im Verhältnis .

Da nun aber der Körper gleichzeitig als sich in dreifach unendlich vielen Bezugssystemen — und in jeder dieser drei Mannigfaltigkeiten mit unendlich vielen Geschwindigkeiten — bewegend gedacht werden kann, so können ihm auch in jedem Moment von jedem dieser Bezugssysteme aus dreifach unendlich viele Gestalten — alle mit gleichem Recht — zugeschrieben werden.

Wir nehmen zwei Koordinatensysteme an, und — das „gestrichene" und das „ungestrichene“ —, die sich gegeneinander — jedes gegen das andere — mit der gleichförmigen geradlinigen Geschwindigkeit bewegen mögen. Mit den -Achsen mögen sie auf einander fallen, während ihre - und -Achsen parallel sein sollen. Wären beide Systeme in relativer Ruhe, so würden ihre Masstäbe und der Gang ihrer Uhren vollständig übereinstimmen. Sind sie aber mit jener Geschwindigkeit gegeneinander bewegt, so ändern sich, wie wir bereits wissen, für jeden Beobachter der beiden Systeme die Längenmasse des anderen in der Bewegungsrichtung, aber auch — wie wir jetzt schon, späteren Darlegungen vorgreifend, hinzufügen wollen — der Gang der Uhren des jeweiligen anderen Systems.

Diese Aenderung des Uhrgangs des ‚bewegten‘ Systems für den ‚ruhenden‘ Beobachter gilt gewöhnlich für den schwierigsten Punkt der Relativitätstheorie. Er ist aber keineswegs grundsätzlich schwerer verständlich als die oben dargelegte Verkürzung der Körper in der Bewegungsrichtung. Erinnert man sich der Machschen Bemerkung (o. S. 4) dass man für den Zeitparameter immer einen wachsenden Winkel in die Gleichungen einsetzen kann, so ist der Gedanke, dass diese Winkel in beiden Systemen — von irgend einem der beiden aus beobachtet — nicht gleichmässig wachsen, doch um nichts schwieriger anzunehmen als der Gedanke der Gestaltänderung. Haben wir diese zugelassen, so müssen wir uns auch zu der Annahme einer Verschiedenheit von Rotationen und Pendelschwingungen entschliessen können, die bei relativer Ruhe der Systeme gleich verlaufen würden. Dass diese Annahme — wie immer: unter Voraussetzung der universellen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit — ganz naturgemäss aus der weiteren Analyse des Michelsonschen Versuchs folgt, werden wir bald sehen. Einstweilen bedenke man nur, dass, wenn sich für den Beobachter des einen Systems die Lichtwege im anderen verkürzen, sich ihm auch die Zeiten, die zu ihrer Zurücklegung nötig sind, in demselben Verhältnis verkürzen müssen, wenn eben, wie vorausgesetzt, die Lichtgeschwindigkeit für beide Systeme dieselbe Grösse = 300000 km/sec sein soll. Uebrigens ist dann auch wegen dieser gleichmässigen Verkürzung von Längen und Zeiten jene relative Geschwindigkeit für beide Systeme dieselbe Grösse.

In der beistehenden Figur seien und die Anfangspunkte der beiden Koordinatensysteme in einem bestimmten Momente des Systems , nach dem Masstab und den Uhren dieses Systems bestimmt. Dabei sei die Zeit, die seit der Begegnung jener Punkte verflossen ist. Die Gerade, die durch und geht, sei die - und -Achse der beiden Systeme. Ein Punkt auf der Abszisse begrenze im gestrichenen System eine Strecke , die ihren Anfang im Koordinatenursprung dieses Systems habe. Dann möge diese Strecke für die Beobachter des ungestrichenen Systems die Lage und Länge haben, während sie voraussetzen, dass die Beobachter des gestrichenen Systems ‚dieselbe‘ Strecke nach Lage und Grösse als angeben würden, da im gestrichenen System die Entfernungen der Endpunkte der Strecke vom Koordinatenanfang des ungestrichenen Systems als grösser beurteilt werden als im ungestrichenen System.

Ist dann — im gestrichenen System gemessen — gleich , — im ungestrichenen System gemessen — gleich und — in demselben System gemessen — gleich , so gilt nun die Gleichung:

oder, wie sie gewöhnlich angegeben wird:

(1a)

wenn zur Abkürzung gesetzt wird. Darin vergleicht also der Beobachter des ungestrichenen Systems die von ihm gemessene Länge mit der ihr entsprechenden , die im gestrichenen System gemessen ist.

16. Die entsprechende Gleichung für den Standpunkt des gestrichenen Systems ergibt sich ferner so.

Da dem vollständig gleichberechtigt ist, verkürzt sich für das ‚ruhende‘ System wieder die im bewegten System gemessene Länge . Sie nimmt im gestrichenen System die Länge an. Da aber und anzusetzen sind, so erhalten wir:

oder
(1b)

Diese Gleichung kann man aus der entsprechenden des Systems unmittelbar dadurch erhalten, dass man in ihr die Koordinaten und durch die gestrichenen und durch ersetzt; das letztere, weil im System die Bewegung des Systems in der entgegengesetzten Richtung von der erfolgt, die das System im System hat.

17. Die Gleichungen (1a) und (1b) gelten natürlich auch für Punkte, die ausserhalb der - und -Achse liegen. Die Transformationsgleichungen für die beiden anderen Koordinaten erhalten wir dann aus der Beachtung des Umstandes, dass der zur Bewegungsrichtung senkrechte Schenkel des Michelsonschen Apparats keine Veränderung erleidet. Somit wird für und auch für

18. Die bisher gefundenen Gleichungen haben den Sinn, dass durch sie jedem Punkte eines Koordinatensystems ein Punkt eines mit gleichförmiger geradliniger Geschwindigkeit dagegen bewegten Systems eindeutig zugeordnet oder dass der Raum des einen eindeutig auf den Raum des anderen ‚abgebildet‘ werden kann. Jedem von einer beliebigen Anzahl mit lauter verschiedenen Geschwindigkeiten geradlinig und gleichförmig gegen einander bewegten Beobachtern kommt somit — für jeden anderen dieser Beobachter — ein eigener physikalischer Raum zu, in dem die Räume aller anderen enthalten oder abgebildet sind und die Gesamtheit der physikalischen Gebilde, also die ganze Körperwelt der Natur auf besondere Weise angeordnet ist, und dieser Anordnung entspricht — unter sonst gleichen Bedingungen der Zuverlässigkeit der Messungen usw. — die Anordnung des ersten und die jedes der übrigen gedachten Beobachter. Alle diese Räume durchdringen einander, sind aber keineswegs kongruent, sondern jeder gegenüber jedem anderen verzerrt oder gepresst oder wie man es bezeichnen will. Das lehrt schon ein Blick auf unsere letzten beiden Figuren. Die Angabe über den Ort eines Körpers oder eines Ereignisses hat also nur einen Sinn, wenn zugleich das Bezugssystem mitgegeben wird, und jedes Bezugssystem ist jedem anderen vollständig gleichberechtigt, das sich ihm gegenüber auf die angegebene Weise bewegt. Das ist der Inhalt des physikalischen Relativitätsprinzips, soweit es sich auf den Raum bezieht: kein absoluter Raum mehr und völlige Gleichberechtigung aller Relationssysteme.

Man hüte sich aber, den absoluten Raum auf dem Boden der Relativitätstheorie nun doch wieder dadurch zuzulassen, dass man sich alle diese relativen Räume gleichsam in einen einzigen, sie alle umfassenden Raum eingebettet, sie also als Teile eines allumfassenden Raumes oder den Begriff eines solchen Raumes als ihre Voraussetzung, etwa als ihr logisches a priori, denkt. Ein solcher Ueberraum wäre durchaus zwecklos, in seinen Beziehungen zu jenen relativen Räumen ganz unklar und nur der Anfang einer neuen Metaphysik.

Ueber jenen Räumen steht keiner mehr, und ausserhalb ihrer gibt es keine Natur. Jeder einzelne Beobachter benutzt für die Zwecke seiner Darstellung, seiner Beschreibung der Natur seinen eigenen Raum, erkennt den entsprechenden Raum jedes anderen Beobachters als gleichberechtigt an und setzt seine Darstellung in eindeutige Beziehung zur Darstellung des anderen, bildet dessen Darstellung auf seinen eigenen Raum ab. So enthält schon der Raum jedes einzelnen die Abbildungen der anderen Räume; aber der eigenen Erfahrung entspricht auch nur der Raum jedes einzelnen. Ein absoluter Raum dagegen mit den Erfahrungen aller ist undenkbar, da in ihm jeder Körper zugleich und in derselben Beziehung unendlich viele Gestalten haben müsste, der Widerspruch also zugelassen wäre. Mit dieser Individualisierung des früher allgemeinen Raumes ist eine bedeutende Annäherung an die physiologisch-psychologische Tatsache erfolgt, dass jeder seinen eigenen Sehraum hat und diesen in eindeutige Beziehung zu den Sehräumen der Mitmenschen setzt[27]). Doch ist noch immer sein physikalischer Raum von diesem Sehraum sehr verschieden: es ist ein metrischer, im besonderen Euklidischer Raum, der eine zwar sehr einfache, aber dafür auch sehr abweichende Abstraktion vom Sehraum ist, eine instinktive, auf den Erfahrungen der nächsten Umgebung beruhende, und dann von der Wissenschaft weiter entwickelte Begriffsbildung.

Mit diesen Bemerkungen wird die Minkowskische Theorie einer vierdimensionalen Welt nicht getroffen: auf deren Bedeutung werden wir noch zu sprechen kommen. Wohl aber enthalten sie eine Ablehnung der Natorpschen Darlegungen[28]).

19. Natorp steht auf dem Platonisch-Kantischen Standpunkt, dass die Mathematik und die ‚reine‘ Mechanik Wissenschaften ganz besonderer Art, sozusagen Ausnahmewissenschaften seien und sich über die Naturwissenschaften an theoretischem Werte weit erhöben; denn die reinen, ‚absoluten‘ Begriffe von Raum und Zeit seien die Voraussetzungen jeder empiririschen Zeit- und Raumbestimmung, also durch diese selbst auf keine Weise abänderlich; der scharfe Unterschied zwischen der einen absoluten, mathematischen und der empirischen, relativen, physikalischen Zeit- und Raumbestimmung müsse streng aufrecht erhalten werden, und im Grunde sei auch die Relativitätstheorie eine unwidersprechliche prinzipielle Bestätigung dieser Auffassung, ja in der Durchführung ihre noch weitere Verschärfung und strengere Ausgestaltung.

Die grosse Frage nach dem Verhältnis von Mathematik und Naturwissenschaften kann hier nicht eingehend erörtert werden. Nur ein paar Bemerkungen.

Es liegt für den durch die Kantische Schule nicht voreingenommenen Forscher gar kein Grund vor, über die mathematischen Begriffsbildungen anders als über die naturwissenschaftlichen und überhaupt irgendwelche sonstigen Begriffsbildungen zu denken. Die Begriffe heben gewisse Seiten und Beziehungen der Dinge und Vorgänge hervor unter Vernachlässigung von anderen solchen Seiten und Beziehungen. Wenn wir die Wärmevorgänge der Körper untersuchen, so sehen wir zunächst von den elektrischen, optischen usw. Vorgängen ab. Genau so betrachten wir die räumlichen Merkmale der Dinge und die numerischen Merkmale der Mengen allein, ohne ihren Zusammenhang mit der Temperatur, dem elektrischen Potential usw. Gewisse allgemeinste räumliche und numerische Beziehungen werden auf Grund der Erfahrung zunächst ohne ausdrückliche Beachtung dieser ihrer Stellung als allgemeinster Voraussetzungen — an die Spitze der ‚Geometrie‘ und der ‚Arithmetik‘ gestellt, durch Sachen- und Gedanken-Experimente oder — was nichts anderes besagt — durch ‚Synthese‘ erweitert, die neuen Sätze gewöhnlich nach dem Satz des Widerspruchs mit schon feststehenden Sätzen und Begriffen verknüpft, dann geordnet usw., sodass ein System, ein Lehrgebäude entsteht, eine mathematische Theorie, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen muss, soweit jene obersten Voraussetzungen ihr entsprechen. Kein mathematischer Satz verfügt unbedingt über die Erfahrung, kein einziger ist ein synthetisches Urteil a priori — d. h.: durch ‚reine‘ Synthese gewonnene logische Voraussetzung irgendwelcher empirischen Ergebnisse; denn jeder ist konditional, hypothetisch, sagt nur: wenn A ist, dann ist B, sagt aber nie etwas darüber aus, ob A ist. Es ist daher keinerlei Grund vorhanden, die Mathematik von den Naturwissenschaften zu trennen, sie ist vielmehr in allen ihren Teilen Naturwissenschaft. Nicht nur in der Mathematik, sondern auch in den Naturwissenschaften, aber ebenso etwa in den soziologischen Wissenschaften können Theorien in weitem Masse von weiteren Erfahrungen unabhängig, nur eben niemals von der Erfahrung überhaupt unabhängig entwickelt werden. Schliesslich finden sie aber ihren letzten Richter doch wieder nur in der Erfahrung, schliesslich müssen sich die ‚denknotwendigen‘ mathematischen und überhaupt theoretischen Folgen der ‚Bilder‘ oder ‚Theorien‘, die wir uns von der Wirklichkeit machen, immer wieder als Bilder oder Theorien der ‚naturnotwendigen‘ Folgen jener durch sie ‚abgebildeten‘ Tatsachen erweisen.

Die Relativitätstheorie widerspricht trotz ihrer ausserordentlich weitgehenden Abstraktionen dieser positivistischen Auffassung der Mathematik keineswegs, im Gegenteil ist, wie oben (S. 21 f.) hervorgehoben, die Vielzahl der Räume, in die sie den alten absoluten Raum der früheren Naturwissenschaft, den Newtonschen absoluten Raum, auflöst, eine sehr bemerkenswerte Annäherung an die Vielzahl der Sehräume, mit denen es die Erfahrung in erster Linie zu tun hat.

Auf die hier berührten Fragen soll an anderer Stelle in grösserem Zusammenhang näher eingegangen werden.

20. Die Transformationsgleichungen der Relativitätstheorie für die Zeitmasse der relativ zu einander bewegten Systeme sind etwas weniger einfach als die für die Längenmasse, weil für den Beobachter des einen Systems der Gang der Uhren im anderen eine doppelte Abweichung zeigt. Erstens muss, wie bereits (S. 18 f.) erwähnt, für jeden Beobachter jedes der beiden Systeme, jede Uhr des anderen langsamer gehen als die Uhren des eigenen. Zweitens aber müssen für ihn die Uhren des anderen Systems unter einander verschiedene Zeigerstellung haben, während ihm die Uhren des eigenen Systems alle gleichlaufend — synchron — sind. Dabei setzen wir voraus, dass in beiden — und überhaupt in allen Systemen — die Uhren nach demselben Prinzip auf gleichen Gang gebracht werden: mittels Austausches der Zeitangaben durch Lichtsignale oder drahtlose Telegraphie unter Berücksichtigung der Zeit, die das Signal auf dem Wege von Uhr zu Uhr braucht, wobei die Zeiten für Hin- und Rückweg der Signale als gleich angenommen werden.

Den Grund für die erste der beiden Abweichungen haben wir bereits (S. 19) angegeben: der ‚ruhende‘ Beobachter beurteilt jede in der Bewegungsrichtung des ‚bewegten‘ Systems gelegene Strecke dieses Systems als der entsprechenden des eigenen Systems gegenüber im Verhältnis kürzer und setzt voraus, dass die Lichtgeschwindigkeit für alle Systeme durch dieselbe Zahl — 300000 Längeneinheiten in der Zeiteinheit — gemessen wird; dann muss er um der Gleichheit dieses Quotienten willen die Zahl der Zeiteinheiten des ‚bewegten‘ Systems den eigenen gegenüber als in demselben Verhältnis verkürzt ansetzen, d. h. die Uhren des ‚bewegten‘ Systems als in diesem Verhältnis langsamer gehend denken. Bedeuten also und die Abszissen zweier Punkte auf der Abszissenachse und und die Zeitpunkte, in denen sie von einem Lichtsignal passiert werden, und gelten im gestrichenen System die entsprechenden Bezeichnungen für die entsprechenden Orte und Zeiten, so muss die Gleichung

immer erfüllt bleiben, und da sich die Zähler ihrer beiden Seiten um den Faktor unterscheiden, so müssen es auch die Nenner.

Die Notwendigkeit der zweiten Abweichung lässt sich ebenfalls leicht durchschauen. Wir brauchen nur den Zeitunterschied zu berechnen, der etwa am Endpunkte des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Michelsonschen Apparats für die Beobachter der beiden Systeme besteht. Dabei setzen wir voraus, dass die Uhren der beiden Systeme am Anfangspunkt jenes Schenkels bei Abgang des Lichtsignals dieselbe Zeitangabe, und zwar gemacht haben. Hat nun der Schenkel, im gestrichenen System gemessen, die Länge , so braucht das Licht in diesem System Sekunden, um ihn zu durchmessen. Zeigte also die Uhr im Anfangspunkt beim Passieren des Lichtsignals die Zeit , so muss die Uhr am Endpunkt der Strecke die Zeit anzeigen, wenn der ‚mitbewegte‘ Beobachter sie als richtiggehend, d. h. als mit der ersten Uhr synchron anerkennen soll.

Die Zeitangabe an der entsprechenden Uhr des ‚ruhenden‘ Systems ergibt sich völlig analog so. Die Länge hat für den ‚ruhenden‘ Beobachter nur den Wert , und das Licht durcheilt sie für ihn mit der Geschwindigkeit (vgl. S. 15), braucht also für ihn dazu die Zeit , und dies ist daher — wie oben — auch die gesuchte Angabe.

Ein Blick auf die beiden Ausdrücke und zeigt, dass der kleinere, d. h. dass die Uhr des gestrichenen Systems für den ‚ruhenden‘ Beobachter zurückgeblieben ist. Das wäre nun nichts anderes, als was wir oben schon bei der Untersuchung der ersten Abweichung festgestellt haben. Allein bei näherem Zusehen zeigt sich hier noch mehr: die Uhr des ‚bewegten‘ Systems ist noch weiter zurückgeblieben als jener ersten Abweichung entsprechen würde. Wollten wir nämlich diese allein gelten lassen, so müsste die Uhr des gestrichenen Systems am Endpunkte des in der Bewegungsrichtung liegenden Schenkels des Michelsonschen Apparats das -fache der entsprechenden Uhr des ‚ruhenden‘ Systems zeigen, also, da diese die Angabe macht:

.

Das ist aber immer noch mehr als . Denn:

.

Die in der Richtung der wachsenden des ‚bewegten‘ Systems gelegenen Uhren bleiben somit für den ‚ruhenden‘ Beobachter für jedes noch um Sekunden — im Zeitmass des ‚bewegten‘ Systems gemessen — hinter der ersten Abweichung zurück. Das bedeutet aber, dass — vom ‚ruhenden‘ System aus betrachtet — die Uhren des ‚bewegten‘ Systems nicht synchron sind, oder dass Ereignisse an von einander entfernten Punkten, die für das eine System gleichzeitig sind, es nicht auch für das andere sind.

Nun lässt sich die Transformationsgleichuug der Relativitätstheorie für die Zeit leicht aufstellen.

Zu der Angabe einer jeden auf der -Achse aufgestellten Uhr des ‚bewegten‘ Systems muss der ‚ruhende‘ Beobachter Sekunden nach dem Masse dieses Systems hinzufügen, um für alle Uhrangaben dieselbe Anzahl von Zeiteinheiten zu erhalten, um also sozusagen alle diese Uhren auf synchronen Stand zu bringen, auf den Stand der Uhr im Punkte . Die so erhaltene Zeitangabe ist dann das -fache der Zeit , die die entsprechende Uhr im ‚ruhenden‘ System zeigt. Somit gilt: oder, wie diese Gleichung gewöhnlich geschrieben wird:

(2a)

Denken wir den Michelsonschen Apparat im ungestrichenen System ruhend und den Vorgang vom gestrichenen aus dargestellt — wobei die Geschwindigkeit jetzt entgegengesetzt zum vorigen Fall gerichtet zu denken ist —, so würden wir auf ähnliche Weise finden:

und oder
(2b)

und diese Gleichung folgt auch wieder unmittelbar aus (2a) durch Vertauschung der gestrichenen Koordinaten mit den ungestrichenen und durch Ersetzung des positiven -Wertes durch den gleich grossen negativen (wie o. S. 20).

Im übrigen ergeben natürlich die Gleichungen (1b) und (2a) durch Kombination die entsprechenden (1a) und (2b).

21. Wir sehen somit, dass die Grundgleichungen der Relativitätstheorie dann der unmittelbare Ausdruck für die Vorgänge und das Ergebnis des Michelsonschen Versuchs sind, wenn man die Lichtgeschwindigkeit als universelle Konstante annimmt. Wir können uns jetzt eine zutreffende Vorstellung davon machen, was der Sinn dieser universellen Konstanz ist (vgl. o. §. 11).

Sie besagt, dass der Quotient aus der Länge eines vom Lichte im Vakuum zurückgelegten Weges und der dazu benötigten Zeit in allen Raumzeitsystemen, die sich gegen einander gleichförmig und geradlinig bewegen, dieselbe Grösse ist, wenn man sich zur Bestimmung jener Weg- und Zeitlängen der Masstäbe und Uhren des betreffenden Raumzeitsystems bedient. Sie setzt also Längen und synchron laufende Uhren in eine feste enge Beziehung: die vom Licht zurückgelegten Wege wachsen proportional den Drehungs-Winkeln solcher rotierender Körper, die sich zur Zeitmessung eignen. Damit hat der Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit die Bedeutung eines präsumptiven Naturgesetzes, einer Hypothese. Diese Hypothese findet, wie alle Hypothesen, ihre Rechtfertigung im Erfolg: einer möglichst umfassenden hinreichend angenäherten Beschreibung von hinreichend festgestellten tatsächlichen funktionellen Zusammenhängen zu dienen. Und sie kann, wie alle sonstigen Hypothesen, weitere Bestätigung oder aber auch Widerlegung durch neu ermittelte Tatsachen finden.

Es sind wohl schon heute Versuche denkbar, die die Frage entscheiden könnten. Der Michelsonsche Versuch, mit einer ausserirdischen Lichtquelle veranstaltet, könnte uns Aufschluss darüber geben, ob die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts von der Bewegung der Lichtquelle abhängig ist oder nicht. Und wenn es gelänge, nicht kohärente Lichtstrahlen zur Aeusserung von Interferenzenzvorgängen zu bringen, so würden wir durch Interferenzenz von irdischem und ausserirdischem Licht Antwort auf dieselbe Frage erhalten können[29] ).

Die Voraussetzung der universellen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist es, die zu der eigenartigen Relativierung des Zeitmasses geführt hat, das die Einsteinsche Theorie charakterisiert. Sie ist es, die die Uhren des ‚bewegten‘ Systems zum Nachgehen zwingt und damit Raum- und Zeitmass jedes Systems fest an einander kettet. Sie ist es, die die wunderbare Minkowskische Theorie hat entstehen lassen, die in dem schnell berühmt gewordenen Wort sich andeutete: „Von Stund’ an sollen Raum für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten hinabsinken, und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren“[30]).

Fällt jene Voraussetzung, so fällt die Einstein-Minkowskische Theorie mit ihr. Das mindert ihren Wert nicht, denn niemand wird erwarten, dass ihr gerade von allen physikalischen Theorien allein beschieden sein sollte, für immer zu bestehen, wo doch die Physik mitten in der lebhaftesten Entwicklung begriffen ist. Ihre geschichtliche Bedeutung aber ist unvergänglich, denn sie hat den Blick der Forschung erweitert, wie keine ihrer physikalischen Vorgängerinnen. Und ihr aesthetischer Reiz wird bestehen bleiben wie die Poesie der alten Heldengedichte.

Der Bestand der Relativitätstheorie überhaupt ist aber an ihren Bestand nicht geknüpft. Die Machsche Theorie ist die umfassendere, denn sie beruht auf sinnesphysiologischer Grundlage und zeigt, dass es niemals ein Mittel, auch keines optischer oder elektromagnetischer Art geben kann, das absolute Bewegung eines Körpers, etwa der Erde im absoluten Weltenraum festzustellen gestattete. Und diese Einsicht unaufhaltsam zum Siege geführt zu haben, das ist mit das Verdienst der Einsteinschen Theorie. Die Physik kann niemals wieder in ein absolutistisches Fahrwasser zurückfallen. Sie bleibt relativistisch.

22. Um uns noch deutlichere Vorstellungen von dem Verhalten zweier geradlinig und gleichförmig gegen einander bewegter Raum-Zeit-Systeme zu machen, müssen wir noch ein paar Folgerungen betrachten.

Wir haben (S. 25) gesehen, dass die Uhren des ‚bewegten‘ Systems für die Beobachter im ‚ruhenden‘ nicht nur im Verhältnis langsamer gehen, sondern für sie noch nicht einmal unter einander gleich laufen. Das bedeutet, dass die Uhren des ‚bewegten‘ Systems für den ‚ruhenden‘ Beobachter zum Teil nachgehen, zum Teil vorgehen und dass nur in einem Punkte die Zeitangaben beider Systeme zusammenfallen, aber nicht immer in demselben Punkte, sondern in einem sich fortwährend verschiebenden. Das ergibt sich so.

Je nach den — positiven oder negativen — Werten, die in der Gleichung (S. 26):

annimmt, wird für den ‚ruhenden‘ Beobachter kleiner oder grösser als sein, die Uhr des gestrichenen Systems also der seinen nach- oder vorgehen. Nur in einem Punkte wird jeweilig Uebereinstimmung zwischen den dort befindlichen Uhren herrschen. Das ist aber nur für der Koordinatenanfang der beiden Systeme. Für alle späteren Momente liegt der Koinzidenzpunkt von jenem Anfang in der Richtung der positiven um so weiter entfernt, je grösser wird. Denn für das ‚ruhende‘ System wird , wenn (nach 2b):

oder

wird. Die Entfernung des Koinzidenzpunktes wächst also der Zeit proportional, und er verschiebt sich mit der Geschwindigkeit

,

also — bis auf Glieder höherer Ordnung — halb so schnell, wie die relative Bewegung der beiden Systeme erfolgt[31]).

23. Denken wir uns nun einen beliebig langen Zylinder, dessen Achse mit der -Achse des ‚ruhenden‘ Systems zusammenfällt, sich längs dieser Achse gleichförmig bewegen, so kann uns die Rotation jedes zur Bewegungsrichtung senkrechten Querschnitts eine Uhr des ‚bewegten‘ Systems bedeuten. Für den Beobachter im ‚ruhenden‘ System ist dann der ‚bewegte‘ Zylinder um seine Achse tordiert, und zwar sind die in der Torsion am weitesten zurückgebliebenen Schichten die in der Bewegungsrichtung am weitesten vorn gelegenen, während die Torsion um so weiter fortgeschritten ist, je weiter die Schichten rückwärts gelegen sind. Für den ‚mitbewegten‘ Beobachter ist aber im Zusammenhange seines Systems überhaupt keine Torsion des Zylinders vorhanden, während er sie natürlich für den Zusammenhang des anderen Systems vom Standpunkte der Relativitätstheorie aus ebenfalls annimmt.

Wir haben hier ein zweites Moment einer Gestaltänderung der Körper, die durch den blossen Umstand der relativen Bewegung für den ‚ruhenden‘ Beobachter vorhanden und eindeutig bestimmt ist. Mit dem anderen — der Verkürzung des ‚bewegten Körpers — zusammen bedeutet es, dass in der Relativitätstheorie der alte mechanische Begriff des starren Körpers keine Geltung mehr hat. Noch von einer anderen Seite her, die wir später (§ 28) noch kurz zu berühren haben werden, zeigen sich Konsequenzen der Relativitätstheorie für die Mechanik, die von den üblichen alten Vorstellungen weit abführen. Indessen haben wir es hier nur mit den Grundlagen der Theorie zu tun und zu ihren Konsequenzen nur durch einen allgemeinen erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (s. u. a. a. O.).

24. Da im Zusammenhang eines jeden von relativ zu einander gleichförmig und geradlinig bewegten Systemen die Uhren in allen übrigen nicht synchron laufen, so ist bei verschiedenen relativen Geschwindigkeiten auch für jedes dieser Systeme von jedem derselben aus eine verschiedene zeitliche Anordnung je zweier von einander hinreichend entfernt stattfindender Ereignisse geltend. Im besonderen ist es unter einer gewissen Bedingung immer möglich, für zwei Ereignisse, die in irgend einem Raumzeitsystem nicht gleichzeitig sind, ein anderes berechtigtes Bezugssystem zu finden, in dem sie als gleichzeitig beurteilt werden müssen. Jene Bedingung verlangt, dass in dem ersten System das Ereignis eher eintritt, als das Licht, das die Nachricht vom Ereignis überallhin trägt (oder doch tragen könnte), im Orte des Ereignisses anlangt, dass also , wenn die Entfernung der beiden Orte jener Ereignisse und die für den Weg des Lichtes zwischen den Orten von und erforderliche Zeit ist. Ganz natürlich! Denn wenn es möglich wäre, ohne Einhaltung dieser Bedingung auf Gleichzeitigkeit zu transformieren, dann gäbe es Systeme, in denen das Signal vom Ereignis früher einträfe, als das dieses Ereignis etwa naturgesetzlich bedingende Ereignis stattgefunden hätte, also auch Systeme, in denen eine durch die Erfahrung gegebene Aufeinanderfolge sukzessiv abhängiger Ereignisse umgekehrt würde.

Nun muss allerdings eingeräumt werden, dass auch der umgekehrte Ablauf alles Geschehens — des psychologischen wie des physikalischen — durchaus als eindeutig bestimmt denkbar ist, aber es ist vieles denkbar, ohne wirklich zu sein. Die Erfahrung zeigt den Ablauf aller Vorgänge nur in dem einen bestimmten, in Wirklichkeit niemals umkehrbaren Sinne, und dem haben sich die Theorien anzupassen. Die Invarianz der ‚Naturgesetze‘ ist ja auch geradezu ausdrückliche Voraussetzung der Relativitätstheorie, denn sie nimmt an, dass sich beim Michelsonschen Versuch in keinem der dreifach unendlich vielen berechtigten Bezugssysteme eine Verschiebung der Interferenzenzstreifen zeigt, wie sie ja auch für alle diese Systeme die Konstanz und gleiche Grösse der Lichtgeschwindigkeit voraussetzt.

Wäre es also eine Konsequenz der Relativitätstheorie, die erfahrungsmässige Gebundenbeit in der Aufeinanderfolge der Ereignisse preiszugeben, so wäre sie keine haltbare Theorie der wirklichen Vorgänge, oder sie müsste wenigstens auf diese Vorgänge besonders eingeschränkt, jene Konsequenzen müssten ausdrücklich ausgeschlossen werden. Ein solches Verfahren wäre sehr wohl denkbar, da ja die Theorien eben nur die Aufgabe haben, die Tatsachen zu beschreiben — wir kommen auf diesen Punkt noch einmal zu sprechen.

Wie wir aber gesehen haben, ist eine solche Einschränkung nicht nötig. Freilich müsste wohl noch die Frage untersucht werden, ob eine verschiedene zeitliche Anordnung von Ereignissen, auch wenn diese der obigen Bedingung entsprechend an hinreichend weit von einander entfernten Orten stattfinden, nicht zuletzt doch einen unzulässigen Eingriff in die gebundene Marschroute der Ereignisse einschliesst. Eine solche Untersuchung liegt meines Wissens bisher nicht vor[32]).

25. Die oben gegebene Ableitung der Grundgleichungen der Relativitätstheorie ist eine Analyse und Beschreibung der Vorgänge, wie sie der ‚mitbewegte‘ und der ‚ruhende‘ Beobachter am Michelsonscher Apparat voraussetzen. Sie musste unternommen werden, um uns die naturwissenschaftlichen Vorgänge, die von der Relativitätstheorie beim Michelsonschen Versuch angenommen werden, bis ins letzte hinein durchschauen zu lassen. Anders wäre eine vollständige erkenntnistheoretische Aufklärung der von den gewohnten Vorstellungen so weit abweichenden Theorie nicht möglich: man hat sonst bei dem Aufstieg zu den höchsten Abstraktionen der Theorie das Gefühl der Unsicherheit, als ob man nicht auf genügend festem Boden stünde. Es wird ja auch oft genug geklagt, dass die neue Lehre die Anschaulichkeit vermissen lasse, und es sind verschiedene Versuche gemacht worden, diesem Mangel abzuhelfen, ohne dass damit doch alle Forderungen, die gestellt werden müssen, erfüllt würden[33]).

Dass die Forderung der anschaulichen Darstellung der Grundlagen der Relativitätstheorie überhaupt gerechtfertigt ist, kann nicht bezweifelt werden. Denn es handelt sich um räumlich vollkommen bestimmte Vorgänge, also um ‚anschauliches‘ Geschehen. Die ganze Schwierigkeit liegt wohl nur darin, dass man bei den Versuchen, sich die einzelnen Vorgänge ‚anschaulich‘ zu machen, leicht vergisst, die beiden Standpunkte auseinanderzuhalten, von denen aus die Theorie die Dinge betrachtet. Sie schwindet aber, wenn man jeweilig den Standpunkt des ‚ruhenden‘ oder des ‚mitbewegten‘ Beobachters folgerichtig festhält und nie zu beachten unterlässt, dass jeder dieser Beobachter die Vorgänge im anderen System mit anderem Raum- und Zeitmass misst, als es der Beobachter des anderen Systems tut. Die ‚Anschauung‘ ist hier eben nicht, wie es in der bisherigen Physik meistens der Fall war, nur eine, sondern sie ist doppelt, und die Verdoppelung betrifft nicht nur das Räumliche, sondern auch das ‚Zeitliche‘. Damit wird die ‚Anschaulichkeit‘ allerdings erschwert, aber nur wegen der grösseren Verwicklung der Verhältnisse, nicht weil sich neue prinzipielle Schwierigkeiten erhöben. Wenn man sich vom Prinzip des Absoluten erst einmal völlig losgemacht hat, dann ist der Weg von prinzipiellen Hindernissen frei.

Das freilich scheint einer sehr grossen Zahl der heutigen Naturforscher noch immer das Schwierigste zu sein: die alte Metaphysik des Absoluten vollständig zu überwinden; und darum bleibt diese Ueberwindung einstweilen das wichtigste Ziel der erkenntnistheoretischen Aufklärung. Der grösste Teil der Lebensarbeit Machs hat diesem Ziel gegolten. Mach erreichte es dadurch, dass er nach dem „naturwissenschaftlichen Inhalt“ der Physik suchte, nach den rein tatsächlichen, von keinen metaphysischen Zusätzen mehr entstellten Zusammenhängen des Wirklichen. Im Vorwort der ersten Auflage der „Mechanik“ (1883) heisst es: „eben dieser Inhalt, welcher für jeden Naturforscher, jeden Denker das grösste und allgemeinste Interesse hat, liegt eingeschlossen und verhüllt in dem intellektuellen Fachapparat der heutigen Mechanik“. Ganz Entsprechendes dürfen wir von der modernen Relativitätstheorie sagen. Auch hier ist der ‚anschauliche‘, konkrete, tatsächliche, naturwissenschaftliche Inhalt der neuen Theorie in einem „intellektuellen Fachapparat“, in mathematischen Formeln eingeschlossen, die dem Physiker zur leichten Handhabung dienen, ohne dass er gezwungen wäre, auf jenen anschaulichen Kern, den konkreten, greifbaren naturwissenschaftlichen Inhalt, zurückzugehen. An diesem ist ihm gewöhnlich nicht in erster Linie gelegen, vielmehr dürften ihn vor allem die Folgerungen interessieren, die aus der Theorie zu entwickeln sind, und die neuen Experimentalideen, zu denen sie führen, und die dann wieder auf Grund der experimentell gewonnenen Ergebnisse Umbildungen der Theorie veranlassen usf. Der Erkenntnistheoretiker dagegen sucht Aufklärung über den letzten, eigentlichen Inhalt der Theorien, über das, was davon als wesentlicher Bestandteil in unsere gesamte Weltanschauung einzugehen hat. Ihm sind die von der Forschung entwickelten Theorien nicht so sehr schon Lösungen als vielmehr Probleme. Er will ihr Entstehen und ihre Berechtigung ‚begreifen‘, und dazu muss er sie bis in ihre letzten Elemente und deren naturwissenschaftliche Grundlagen ‚durchschauen‘. Was dieses ‚Begreifen‘ und ‚Durchschauen‘ zuletzt selbst wieder bedeutet, das hat ebenfalls die Erkenntnistheorie zu ermitteln, kann aber nicht Aufgabe der vorliegenden enger begrenzten Arbeit sein: an anderer Stelle soll darüber eingehend gehandelt werden. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, dass Machs hauptsächliche physikalische Arbeit jener letzten Aufhellung gilt; dass die oben gegebene Analyse der Grundgleichungen der Relativitätstheorie, wie ich hoffe, ganz im Geiste solcher Kritik der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gelegen ist, und endlich, dass mit alledem genau so gut Naturwissenschaft getrieben und gefördert wird, wie durch Beobachtung, Experiment und mathematische Theorie. Erst durch solche erkenntnistheoretischen Untersuchungen werden wir geistig völlig zu Herren des vom experimentellen und vom mathematisch theoretischen Physiker erschlossenen Gebietes.

Wir vergessen dabei keineswegs, dass, wie ja schon zur Genüge (O. § 21) hervorgehoben, der elektrodynamischen Relativitätstheorie ein hypothetisches Element, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, zu Grunde liegt. Indessen ist diese Hypothese mit dem experimentellen Befund bis jetzt durchaus im Einklang. Und im übrigen enthält jede physikalische Theorie hypothetische Elemente (vgl. o. S. 23). Die Newtonsche Gravitationstheorie steht und fällt mit den Keplerschen Gesetzen: diese aber sind im Grunde nicht anders hypothetisch, als es die Einsteinsche Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist; sie sind Annäherungen, die allen bisher vorliegenden Erfahrungen hinreichend entsprochen haben, die aber durch künftige Erfahrungen modifiziert, wenn nicht umgestossen werden können. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum Kants, dessen Erkenntnis allein schon sein ganzes System zum Wanken bringen muss, wie er ein helles Schlaglicht auf die Motive seines Denkens wirft, auf seine gefährliche Neigung, die Dinge nach dem Denken zu richten: „dass kein ander Gesetz der Attraktion als das des umgekehrten Quadratverhältnisses der Entfernungen zu einem Weltsystem als schicklich erdacht werden kann“[34]) — was doch schon durch das Webersche Gesetz widerlegt wird. Somit unterliegt es keinem Zweifel, dass alle ‚Naturgesetze‘ nur hypothetische, konditionale Sätze sind von der Form: nur so weit gilt, gilt auch ; wie weit aber gilt, darüber entscheidet ganz allein die Erfahrung. Und in dieser Hinsicht besteht also zwischen der Einsteinschen Theorie und allen früheren physikalischen Theorien durchaus kein Unterschied. ‚Reine‘ Tatsachen sind ein Ideal: die Wirklichkeit hat es immer nur mit mehr oder weniger weit gehenden Annäherungen zu tun; auch hier gibt es keine absolute Grenze. Mit alledem wird aber natürlich die wichtige erkenntniskritische Aufgabe nicht umgestossen: den in den mathematischen Ausdrücken eingeschlossenen naturwissenschaftlichen Inhalt herauszupräparieren; nur dass wir eben uns bescheiden und vor dem Gedanken hüten, als handele es sich um absolute statt nur um möglichst weit getriebene relative Annäherung an ‚reine Tatsächlichkeit‘.

26. Die Beobachtung, dass mathematische Theorien experimentell festgestellter tatsächlicher Zusammenhänge zu Formeln führen, die wir nicht mehr ohne weiteres als den Ausdruck für tatsächliche Verhältnisse empfinden, können wir öfter machen — überall da, wo wir die ‚Anschaulichkeit‘ vermissen. Wie das möglich ist, wie man zu einer brauchbaren und fruchtbaren Theorie gelangen kann, ohne ihre tatsächlichen Unterlagen voll zu durchblicken, das kann man auch an der neuen Relativitätstheorie gut erkennen.

Wie aus Einsteins Ableitung sich ergibt, sind ihre Grundgleichungen die mathematisch notwendige Folge der Voraussetzung der universellen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Einführung zweier gegen einander gleichförmig und geradlinig bewegter zweckentsprechend orientierter Systeme, deren RaumZeit-Koordinaten in eindeutiger Beziehung zu einander stehen. Angenommen wird also:

und

Darin sind Konstanten, die mit Hilfe der Gleichung für die Lichtgeschwindigkeit und der Grösse der relativen Bewegung der Systeme gegen einander zu bestimmen sind. Dabei ergibt sich auf rein rechnerischem Wege, d. h. auf dem Wege immer wiederholter Anwendung der einfachen logischen Schlussform des Syllogismus — die selbst wieder nichts anderes als eine Anwendung des Satzes des Widerspruchs ist — die Lorentz-Transformation, die Grundlage der Relativitätstheorie. Dieses Gleichungssystem ist also einfache logische Konsequenz des Relativitätsprinzips und des Prinzips der universellen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Damit ist es völlig gesichert und darf vom Physiker mit gutem Recht zu weiteren Ableitungen benutzt werden, ohne dass er nach dem physikalischen Sinn, nach den anschaulichen Tatsachen fragt, deren unmittelbarer Ausdruck die so gewonnenen Gleichungen doch sind. Aber auch dem Physiker entsteht das Bedürfnis, die Grundlagen vollständig zu durchblicken, sowie er sich Klarheit über die wissenschaftliche Bedeutung seiner Forschungen überhaupt verschaffen will. Für jeden Forscher ist das letzte Motiv der Erkenntnistrieb, und der lässt sich nicht gewaltsam auf ein mehr oder weniger enges Sondergebiet einschränken. Darum ist eben — wie schon im vorhergehenden Paragraphen betont — naturwissenschaftliche Erkenntnistheorie ein integrierender Bestandteil der Naturwissenschaft selbst[35]).

27. Es soll hier nicht auf die mathematischen und die physikalischen Folgerungen näher eingegangen werden, die man aus den Grundlagen der Relativitätstheorie gezogen hat. Die allgemeine Erkenntnistheorie ist daran nicht so stark interessiert wie an den Grundlagen selbst, so bedeutend jene Folgerungen auch für das physikalische Weltbild sind. Nur ein paar Bemerkungen seien gestattet; zuerst eine ganz allgemeine.

Gegner, die den Glauben an die absolute Bewegung nicht abzuschütteln vermochten, haben nach Widersprüchen gesucht, die sich aus der Theorie selbst ergeben sollten — wohlverstanden: es handelt sich jetzt nicht um Widersprüche mit der Erfahrung, sondern um logische, innere Widersprüche, — um angebliche paradoxe notwendige Konsequenzen der Lehre selbst. Das ist aber ein ganz aussichtsloses Beginnen, weil es selbst unlogisch ist. Kann man gegen die an der Spitze stehenden Voraussetzungen einer Theorie logisch nichts einwenden, enthalten sie also keine einander ausschliessenden Momente, so können auch die logisch richtigen Folgerungen niemals zu logischen Widersprüchen führen. Ist man also auf solche gestossen, so hat man eben selbst die Theorie falsch angewandt. Irrtümliche Folgerungen sind bei einer schwierigeren neuen Theorie natürlich häufig: sie können nichts gegen dieselbe beweisen, ihre Aufklärung kann aber für das Eindringen in die ungewohnten Gedankengänge nur förderlich sein. Wohl jeder, der in die Relativitätstheorie tiefer eingedrungen ist, wird gelegentlich auf Irrwege geraten sein und aus solchen Verfehlungen gelernt haben; wegen dieses vielfach möglichen Abirrens möchte ich nähere Beschäftigung mit dieser Lehre geradezu als eins der besten Mittel logischer Schulung bezeichnen.

Und nun noch ein paar besondere Bemerkungen.

28. Nach der Lorentzschen Theorie ruht der Aether absolut oder ist doch absolute Bewegung Bewegung gegen den Aether. Hat man aber zwei Koordinatensysteme, die sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit gegen einander bewegen, so weiss man nicht, in bezug auf welches der Aether ruhen soll: beide sind für die Erfahrung und für die Relativitätstheorie gleichberechtigt. Darum muss man auf ein den ganzen Raum erfüllendes Mittel verzichten[36]). Diesen Verzicht hat die Erkenntnistheorie des relativistischen Positivismus schon längst geleistet[37]). Er galt ihr höchstens als ein Hilfsmittel für die Beschreibung der optischen und überhaupt der elektromagnetischen Vorgänge. Für die Relativitätstheorie hat er aber nicht einmal mehr den Wert eines solchen. Er war nichts als ein Stück Metaphysik in der modernen Naturwissenschaft: durch keine Erfahrung nachgewiesen und mit Eigenschaften belegt, die an keinem Stoffe der Erfahrung aufweisbar waren; sollte er doch weit härter sein als Diamant und zugleich weit weniger dicht als Wasserstoffgas, dazu ohne alle taktilokinästhetischen und optischen Qualitäten, nicht nur wegen seiner geringen Dichte, sondern im Prinzip unsichtbar — da ja nach der Undulationstheorie seine Schwingungen, nach der elektromagnetischen seine Zustandsänderungen alles Sehen überhaupt erst ermöglichen sollten. Er bildet wohl mit der ruhenden Kugel des Parmenides, mit der idealistischen Verflüchtigung der Welt zur blossen Vorstellung und mit dem Kantischen Ding an sich die Gruppe der grössten Irrtümer des wissenschaftlichen Denkens und fliesst mit diesen auch aus derselben Quelle[38]). —

Nicht schwerer als die Verabschiedung des Aethers fallen dem Erkenntniskritiker, der die Aufgabe der Wissenschaft in der allgemeinen Beschreibung der tatsächlichen Vorgänge erblickt, die Konsequenzen der Relativitätstheorie, die die Masse, die Zusammensetzung der Geschwindigkeiten, die Temperatur der Körper u. a. von der relativen Bewegung abhängig machen. Machs Kritik hat den physikalischen Begriffen den Charakter irgendwelcher Substanzen vollständig geraubt, so dass unter „Erhaltung der Masse“ wie unter „Erhaltung der Energie“ nicht das Beharren irgend einer Wesenheit, eben einer den Vorgängen zugrundeliegenden Substanz, verstanden werden kann, sondern nur die Konstanz von Masszahlen, die uns das Experiment an den beobachteten Vorgängen gewinnen lässt. Wir brauchen dabei noch gar nicht zu berücksichtigen, dass der Begriff der Erhaltung der Energie nur durch eine recht willkürliche Ausdehnung des Energiebegriffs auf Gebiete möglich geworden ist, die gar nicht mehr die Bedeutung einer Arbeitsquelle haben können[39]), Es kann jedenfalls keinerlei Schwierigkeiten machen, die Masse und, falls die Theorie es forderte, selbst die Energie mit grossen relativen Geschwindigkeiten der Körper für den ‚ruhenden‘ Beobachter ihre sonstige Konstanz verlieren zu sehen. Mit der Temperatur und anderem steht es ähnlich, da die Kritik auch hier jeden metaphysischen, substanziellen Hintergrund zerstört hat[40]). —

Für die Einsicht in den Gang, den die Wissenschaft nimmt, ist es wichtig, dass sich den Mathematikern die Aufstellungen der Relativitätstheorie „sozusagen als Korollare eines allgemeinen seit lange wohl geordneten Gedankenganges“ erwiesen[41]). Minkowski hielt es sogar für denkbar, dass ein Mathematiker „in freier Phantasie“, also unabhängig von den Ergebnissen des physikalischen Experiments und überhaupt von Anregung durch die Physik, auf die Grundlagen jener Theorie hätte kommen können[42]). Das kann nicht nur denen zu denken geben, die auf innere Widersprüche der Relativitätstheorie fahnden, sondern auch denen, die sie nur für eine Modesache erklären. Nehmen wir die Erkenntnistheorie des relativistischen Positivismus als dritte im Bunde, so stehen wir hier vor einer gewaltigen Konvergenz moderner Gedankenentwicklung: Physik, Mathematik und positivistische Erkenntnistheorie drängen nach derselben Grundauffassung der Natur, ja der Welt überhaupt. Es sind versinkende Weltanschauungen, die das Verständnis für eine solche Entwicklung nicht mehr aufbringen können.

Positivistische Erkenntnistheorie stellt sich auch nicht der Anwendung des vierdimensionalen Euklidischen Raumes zur einheitlichen Zusammenfassung der unendlich vielen Raumzeitsysteme der Einsteinschen Relativitätstheorie entgegen, wie sie von Minkowski vorgenommen wurde; sie erblickt vielmehr — wie es noch später verdeutlicht werden soll — in dieser mächtigen Schöpfung eine wichtige, ja — nun wir sie besitzen — unentbehrliche Ergänzung der ursprünglichen Lehre. Nur darf natürlich ihr Charakter als lediglich der eines Begriffssystems nicht verwischt werden. Daher kann der positivistische Erkenntnistheoretiker dem Satz, dass „durch die Erscheinungen nur die in Raum und Zeit vierdimensionale Welt gegeben“ sei[43]), so, wie er da steht, gewiss nicht zustimmen; doch ist derselbe wahrscheinlich nicht metaphysisch gemeint. Für unsern Standpunkt ist ja, wie schon oben (S. 7 f.) berührt, nicht einmal der dreidimensionale Euklidische Raum, in dem die theoretische Physik die Naturvorgänge gewöhnlich verlaufend denkt, ‚gegeben‘; wir verwenden ihn vielmehr nur als ein begriffliches Hilfsmittel des Denkens. Um so leichter sind wir aber auch geneigt, alle anderen von der modernen Mathematik entdeckten und durchforschten Raumbegriffe zur Anwendung kommen zu lassen, sowie das mit Vorteil geschehen kann. Wir haben daher auch nichts Grundsätzliches gegen eine „nicht-Euklidische Interpretation der Relativtheorie“ einzuwenden, wie sie von Varicak gegeben worden ist[44]).

29. Die wichtigste erkenntnistheoretische Frage zur Relativitätstheorie ist diese: sind die von ihr gelehrten Veränderungen der Gestalt der Körper und des Uhrgangs des ‚bewegten‘ Systems für den ‚ruhenden‘ Beobachter nur ‚scheinbar‘ oder ‚wirklich‘?

Die meisten Forscher, die sich hierzu äussern, sind der Ansicht, dass es sich nur um scheinbare Aenderungen handele, ohne dass sie aber angeben, welchen Sinn die Bezeichnung ‚scheinbar‘ dabei habe. Sie meinen wohl den ‚Augenschein‘, wie er bei den Bildern auftritt, die bei Spiegeln und Linsen entstehen, wobei dann allerdings nicht nur die sogenannten virtuellen, sondern auch die sogenannten reellen Bilder unter jenen Begriff des ‚Scheinbaren‘ fallen würden. Nehmen wir das einmal an und fragen wir zunächst nach dem genaueren Sinn dieses ‚Scheins‘.

In den meisten Fällen sind mit den optischen Merkmalen der Dinge auch taktile oder genauer taktilokinästhetische Merkmale eng verbunden — derart, dass sich beide immer an ‚derselben Raumstelle‘ finden. Nur unter besonderen Bedingungen wie eben bei Spiegelung und Brechung treten sie auseinander. Man sagt dann etwa: ein schräg zur Wasseroberfläche eingetauchter Stab ‚scheint‘ geknickt zu sein, ist aber in ‚Wirklichkeit‘ ungebrochen. Die in diesem Urteil liegende Bewertung — das ‚Scheinende‘ ist dem ‚Wirklichen‘ gegenüber minderwertig — wollen wir einstweilen ausschalten. Daher bezeichnen wir den Tatbestand nur so: der eingetauchte Stab ist für das Auge oder optisch geknickt, für die tastende Hand oder taktilokinästhetisch ist er ungebrochen geblieben.

Mit dieser Begriffsbestimmung gelangen wir zu folgender bestimmteren Form unserer Frage: sind jene Aenderungen in der Körpergestalt und im Uhrgang allein optischer oder sind sie zugleich such kinästhetischer Natur? Ist also die Relativitätstheorie, die ja von optischen Tatsachen ihren Ausgang nimmt und eine optische Voraussetzung, die universelle Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, an ihre Spitze stellt, ist diese Theorie im Grunde nur eine optische oder zieht sie auch die taktilokinästhetischen Qualitäten in Mitleidenschaft?

30. Wäre sie rein optischer Natur, so müssten wir die Pressung der Körper und das Vor- und Nachgehen der Uhren allein aus dem (von den starr gebliebenen Körpern und den unverändert in Uebereinstimmung mit den ‚ruhenden‘ laufenden Uhren) zurückgeworfenen Licht in Verbindung mit der relativen Bewegung ableiten. Das ist aber nicht möglich. Denn die erste Folgerung aus dem Michelsonschen Versuch, von dem ja die Theorie herstammt, war die Verkürzung des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Interferenzenzapparats. Und diese Verkürzung kann auf keinen Fall als optisches Reflexionsphänomen gedeutet werden, weil sie voraussetzt, dass der reflektierende Spiegel jenes Schenkels während der Bewegung näher an der schrägen planparallelen Platte sich befindet als der Spiegel des zur Bewegungsrichtung senkrechten Schenkels; sonst hätte das Licht in der Bewegungsrichtung einen längeren Weg zu machen als in der dazu senkrechten, was die Konstanz des Interferenzenzstreifensystems nicht zulässt. Somit ist für die Relativitätstheorie die Verkürzung der Körper in der Richtung ihrer relativen Bewegung genau so gut auch taktilokinästhetischer Natur wie irgendwelche durch mechanischen Druck hervorgerufene Kompression. Da ferner der Uhrgang funktionell an jene Verkürzung gebunden ist, kann auch seine Veränderung nicht bloss als eine optische ‚Erscheinung‘ gedeutet werden, sondern müsste genau so gut auch dem taktilokinästhetischen Sinn zugänglich sein, wie jedes sonstige Vor- und Nachgehen einer Uhr, falls nur die Hand des ‚ruhenden‘ Beobachters die bewegte Uhr erreichen könnte. Und so ist auch die Torsion eines ‚bewegten‘ um die in die Bewegungsrichtung fallende Achse rotierenden Körpers im Sinne der Relativitätstheorie für genau so ‚wirklich‘ anzusehen wie irgend eine mechanische Torsion.

31. Man findet in den Arbeiten zur Relativitätstheorie — und zwar von Anhängern — öfter die Ansicht mittelbar oder unmittelbar ausgesprochen, dass die Verkürzung der ‚bewegten‘ Körper nur eine Folge der synchronen Messung sei und dass zuletzt die durch hin- und zurückgeworfene Lichtsignale erfolgende Uhrenregulierung für jene Längenveränderungen verantwortlich gemacht werden müsse. Damit wird doch angedeutet, dass, wenn man die ‚bewegten‘ Längen nur anders als synchron, wenn man sie also ganz unabhängig von Uhrangaben messen könnte, dass dann eine solche Verkürzung gar nicht vorhanden wäre: die Verkürzungen seien eben nur scheinbare. Man sieht: aus solchen Argumentationen blickt immer wieder ganz deutlich der Pferdefuss des Absoluten hervor: ‚in Wirklichkeit‘ sind die Körper doch starr, ihre Veränderung lediglich durch die relative Bewegung ist nur ‚Schein. Dem gegenüber muss mit Entschiedenheit betont werden, dass damit gegen die Grundlagen der Relativitätstheorie verstossen wird. Man mache sich nur immer wieder klar, dass Hin- und Rückweg des Lichte längs des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Michelsonschen Apparats länger sein müssten, als der entsprechende Weg nach und von dem Spiegel des anderen Schenkels, wenn der erste Spiegel während der Bewegung nicht ‚wirklich‘ näher an der planparallelen Platte wäre als der zweite.

Hierher gehört auch das sogenannte Ehrenfestsche Paradoxon, bei dessen Aufstellung ebenfalls der Hintergedanke des Absoluten hereingespielt haben dürfte. Es handelt sich dabei zuletzt darum, ob ein ‚bewegter‘ Stab, vom ‚ruhenden‘ System aus synchron gemessen, eine andere Länge ergibt, als wenn man diese Länge von demselben System aus dadurch feststellt, dass man von dem vorbeigleitenden Stab eine Momentpause nimmt. Mit den Grundlagen der Theorie ist nur verträglich, dass die beiden Messungen dasselbe Ergebnis haben, dass also das Pausbild des ‚ruhenden‘ Stabes sich von dem des ‚bewegten‘ unterscheidet[45]).

32. Sind die Aenderungen der Körpergestalt und des Uhrgangs für die Relativitätstheorie nicht bloss optischer, sondern auch taktilokinaesthetischer Art, so hat diese Theorie schon von vornherein und nicht erst in ihren späteren Folgerungen Bedeutung für die Mechanik. Und die relative Geschwindigkeit der Bezugssysteme, von der jene Aenderungen abhängen, wird ganz in demselben Sinne ein Bestimmungsmittel für physikalische Aenderungen, wie es die ‚Kräfte‘ sind: die Lorentz-Kontraktion ist von mechanischen Kompressionen, die chronometrische Torsion von mechanischer Drillung prinzipiell nicht verschieden; die relative Geschwindigkeit ist genau so gut eine ‚Ursache‘ wie die ‚Kraft‘; Raum und Zeit werden, wie sie es im Grunde in den Formeln der Physik immer waren und wie es Mach mit seiner Auffassung der funktionellen Abhängigkeit der ‚Erscheinungen‘ von einander schon seit bald einem halben Jahrhundert gelehrt hat (s. o. § 6), vollständig in eine Reihe mit den übrigen physikalischen Bestimmungsmitteln gestellt. Da diese nichts sind als Begriffe, die der allgemeinen Beschreibung, der Charakterisierung der beobachteten Zusammenhänge dienen, so sind auch Raum und Zeit nur solche Begriffe, nicht aber mehr an und für sich leere Behälter, in denen die Vorgänge sich abspielen, wie sie es für die absolutistischen Theorien immer wären[46]).

Allerdings ist die Einstein-Minkowskische Theorie einstweilen nur auf dem Wege zu dieser völligen Aufhebung des früher prinzipiellen Unterschiedes zwischen den Raum-Zeit-Bestimmungen und den übrigen physikalischen Massbestimmungen. Denn sie stellt die räumlichen und zeitlichen Beziehungen der Vorgänge noch immer in einen Gegensatz zu den übrigen Relationen und lässt in gewisser Weise immer noch alles in Raum und Zeit, wenn eben auch in beliebig vielen Räumen und Zeiten geschehen. Nur zwischen den Raum- und den Zeit-Bestimmungen hat Minkowski — und mit vollem Recht — den prinzipiellen physikalischen Unterschied aufgehoben.

Einstein gibt einmal dem Relativitätsprinzip folgende Form: „Die Naturgesetze sind unabhängig vom Bewegungszustande des Bezugssystems, wenigstens falls letzterer ein beschleunigungsfreier ist“[47]). Dieser Satz hat einstweilen nur die Bedeutung eines Postulats. Die Relativitätstheorie fordert die Unabhängigkeit der Naturgesetze vom Zustande gleichförmiger Bewegung der Bezugssysteme zu einander und führt damit zur Aufhebung der festen Gestalt der Körper und der Uebereinstimmung des Uhrgangs in den verschiedenen relativ zu einander gleichförmig bewegten Systemen. Mit demselben Recht könnte man aber an der Uebereinstimmung der Gestalten und Uhren in relativ zu einander gleichförmig bewegten Systemen festhalten und dafür die ‚Naturgesetze‘ von System zu System variieren lassen oder auch an irgendwelche Kombinationen dieser Extreme denken. Experimentell entschieden ist darüber nichts. Vielleicht würde ein mit der Erdbahn fest verbundener Beobachter an einem auf der vorübereilenden Erde aufgestellten Michelsonschen Apparat eine Verschiebung des Interferenzenzstreifensystems beobachten? Mag sein, dass das nicht wahrscheinlich ist, aber so lange solche Dinge nicht entschieden sind, steht ein Satz wie der eben angeführte Einsteinsche gewissermassen noch auf der Stufe der naiven Annahme, nicht auf der der Annahme nach kritischer Prüfung.

Den Begriff des Naturgesetzes definiert Einstein nicht. Indessen wäre es wohl in seinem Sinne zu sagen: die vom Bewegungszustande des Bezugssystems unabhängigen Zusammenhänge heissen Naturgesetze. Dann könnte man aber auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit gleichem, wenn nicht mit besserem Rechte die Invarianz der Gestalt und des Uhrgangs als ‚Naturgesetz‘ in Anspruch nehmen und dafür die bisherigen ‚Naturgesetze‘ der Veränderung von System zu System unterwerfen — natürlich der ‚gesetzlichen‘ oder der ‚naturgesetzlichen‘ Aenderung, genau wie in der Einsteinschen Lehre die Körpergestalt und der Uhrgang der ‚gesetzlichen‘ oder ‚naturgesetzlichen‘ Aenderung von System zu System unterliegt. Wir sehen die Willkür in der Einsteinchen Auffassung des ‚Naturgesetzes‘.

Daraus geht wohl deutlich hervor, dass der Unterschied, der in der Einstein-Minkowskischen Theorie noch immer zwischen den räumlich-zeitlichen Bestimmungen einerseits und den ‚Naturgesetzen‘ anderseits gemacht wird, nicht aufrecht zu erhalten ist. Die beiden Gruppen von Bestimmungsmitteln müssen vielmehr ganz gleichberechtigt behandelt werden, als Glieder einer einzigen Begriffsgruppe, der der physikalischen Bestimmungsmittel überhaupt, wie sie überall in den physikalischen Gleichungen seit jeher völlig gleichartig neben einander gestanden haben und ihre Masszahlen in der Physik stets durchaus auf prinzipiell gleiche Weise gewonnen worden sind. Jene Trennung ist nicht durch die Sache selbst geboten, sondern durch die Geschichte bedingt. Die Platonische Auffassung der Geometrie — die natürlich durch die Platon vorhergehende Entwicklung veranlasst war und von ihm nur verschärft wurde —, als Korrelat dazu die Degradierung, die Platon mit der ‚Materie‘, der ‚Natur‘ vornahm, und weiter die Bestätigung und Steigerung, die diese Auffassungen in der Kantischen Philosophie durch die Trennung der ‚Anschauungsformen‘ des Raumes und der Zeit von den ‚Kategorien‘ und entsprechend der ‚reinen‘ Mathematik und Naturwissenschaft von der ‚angewandten‘ erfuhren, das dürften die hauptsächlichen Momente sein, die sich noch immer als recht beträchtliche Hindernisse einer natürlichen Auffassung und einem noch freieren Schalten mit den ‚Mitteln des Denkens‘ in den Weg stellen.

33. Unsere Ueberlegungen eröffnen uns zugleich einen Blick auf die künftige Entwicklung der physikalischen Theorie. Sie kann unmöglich mit Umgehung der Relativitätstheorie erfolgen. Das wäre gegen den ganzen geschichtlichen Verlauf, der uns, etwa von Descartes ausgehend, in gerader Linie über Locke, Berkeley, Hume zu Mach und der modernen Physik führt. Wie wir gezeigt haben, enthalten die Formeln der modernen Relativitätstheorie die Aufhebung des prinzipiellen Unterschieds zwischen den optischen und den taktilokinästhetischen Merkmalen der Vorgänge, also die Bestätigung der Hauptleistung Berkeleys. Das kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Wollen wir also weiter, so müssen wir durch die gegenwärtige Phase der Relativitätstheorie hindurch zu einer noch souveräneren Beherrschung der begrifflichen Bestimmungsmittel vordringen und im besonderen den unberechtigten Gegensatz der raumzeitlichen Merkmale zu allen übrigen physikalischen Bestimmungsmitteln überwinden.

Wir sehen auch, wie wichtig dem theoretischen Physiker und dem Mathematiker erkenntnistheoretische Studien werden können. Jeder von ihnen hat — er mag es wissen oder nicht und zugeben oder nicht — eine erkenntnistheoretische Auffassung der Natur und der mathematischen Erkenntnismittel und oft, ja wir müssen sagen gewöhnlich eine, die ihn am geradlinigen Fortschritt hemmen kann und auch oft genug wirklich hemmt. Wir stehen noch immer unter der Platonisch-Kantischen Auffassung der Mathematik und der Naturwissenschaft, und jeder Fortschritt wird ihr mühsam abgerungen. Wir müssen einsehen lernen, dass die ungehemmte Entwicklung der Naturwissenschaft die völlige Befreiung von dem Drucke jener Lehren fordert. Das Studium der Relativitätstheorie legt das handgreiflich nahe.

34. Wir haben gezeigt, dass von den Veränderungen, die die Relativitätstheorie ‚bewegten‘ Körpern für den ‚ruhenden‘ Beobachter zuschreibt, nicht nur deren optische, sondern auch deren taktilokinaesthetische Merkmale betroffen werden, und haben damit die Behauptung zurückgewiesen, dass jene Aenderungen nur ‚scheinbare‘ seien. Dem könnte aber eingewendet werden: wenn damit auch bewiesen sei, dass es sich auf keinen Fall um blossen ‚Augenschein‘ handele, so sei dadurch doch nicht ausgeschlossen, dass hier eine allgemeinere ‚Sinnestäuschung‘ vorliege, nicht nur eine optische, sondern zugleich auch eine entsprechende taktilokinaesthetische; wenn also auch der eine Schenkel des ‚bewegten‘ Michelsonschen Apparates für den Tastsinn des ‚ruhenden‘ Beobachters verkürzt sei, so sei er doch ‚in Wirklichkeit‘ ebenso lang wie der andere Schenkel geblieben.

Wer so etwas behaupten wollte, würde in die Willkür der Metaphysik verfallen: er könnte seine Behauptung nicht bloss tatsächlich nicht beweisen, sondern ein Nachweis wäre nicht einmal denkbar, weil er immer wieder durch und für die sinnliche Beobachtung geliefert werden müsste, die Sinne aber eben als etwas Nicht-Wirkliches vortäuschend vorausgesetzt worden wären. Wer die Sinne zu Betrügern macht, der spricht der Naturwissenschaft ihren Wert für die Erkenntnis des Wirklichen ab, denn es gibt keinen haltbaren naturwissenschaftlichen Satz, der sich nicht auf sinnliche Beobachtung stützte. Der Zweifel an den Sinnen ist es gewesen, der von Heraklit und Parmenides auf Platon überging und hauptsächlich den Untergang der Naturwissenschaft im Altertum, ja schliesslich der ganzen griechischen Kultur und das Heraufkommen des Mittelalters verschuldete[48]). Darin liegt keine Uebertreibung. Das Misstrauen in die Sinne ist es auch heute noch, was den erkenntnistheoretischen Idealismus, die ungeheuerliche Lehre stützt, dass die Welt nur Vorstellung, nur Bewusstseinserscheinung sei. So mancher Relativitätstheoretiker betritt mit seiner Lehre vom ‚Schein‘ denselben Weg. Einstein hat ganz richtig erkannt, dass die Frage, ob die Lorentz-Verkürzung wirklich besteht oder nicht, irreführend sein kann. „Sie besteht nämlich nicht ‚wirklich‘, insofern sie für einen mitbewegten Beobachter nicht existiert; sie besteht aber ‚wirklich‘, d. h. in solcher Weise, dass sie prinzipiell durch physikalische Mittel nachgewiesen werden könnte, für einen nicht mitbewegten Beobachter“[49]). Darin ist schon eingeschlossen, dass jene Verkürzung für den nicht mitbewegten Beobachter nicht etwa nur ‚Schein‘ ist, und damit sind auch von der modernen Physik die Sinne wieder in ihre Rechte eingesetzt, was im Altertum Protagoras leider vergeblich versucht hatte.

Wie keiner der beiden Beobachter von seiner Wahrnehmung sagen darf, sie sei nur ‚Schein‘, so darf das auch keiner der beiden von der Beobachtung des anderen behaupten. Es wäre also erkenntnistheoretisch unhaltbar, wenn der ‚ruhende‘ Beobachter sagen wollte: ‚der sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit an mir vorüberbewegende Körper ist verkürzt, dem mitbewegten Beobachter scheint er aber nicht verkürzt zu sein‘ — und entsprechend umgekehrt. Denn damit würde jeder die der seinigen gleich berechtigte Beobachtung des anderen herabsetzen.

Wer das sinnlich Beobachtete nur für ‚Schein‘ oder ‚Erscheinung‘ erklärt, der stellt sich damit auf den Boden der Lehre vom ‚Ding an sich‘, das hinter den ‚Erscheinungen‘ steckt. Tut das der Naturforscher, so darf er sich nicht mehr wundern, wenn der idealistische Philosoph meint, die Naturwissenschaft hafte nur am Aeusserlichen, zuletzt am Nebensächlichen, und dann nach Platonischem Muster die Wahrheit ausserhalb der Erfahrung, in der Metaphysik sucht.

35. Wir stehen hier am Grenzwall zweier Weltanschauungen. Es ist nicht möglich, die Relativitätstheorie für beide in Anspruch zu nehmen. Sie ist aus dem Gedankenkreise des relativistischen Positivismus heraus erwachsen (s. o. § 1 ff.), und ihr Gewicht kann auch nur zu dessen Gunsten in die Wagschale fallen. Diejenigen Physiker und Mathematiker, denen das noch unsympathisch ist und die doch ein begründetes Urteil darüber abgeben wollen, müssen die hauptsächlichen Begriffe und Sätze jener Anschauung prüfen und sich fragen, ob die Lehren der neuen Theorie sich widerspruchsfrei ihnen einfügen oder nicht. Wer dann nicht darüber hinwegkommen kann, dass die anfangs so paradoxen Aenderungen der Körpergestalt und des Uhrgangs als ‚wirklich‘ bezeichnet werden müssen in demselben Sinne, wie nur sonst etwas als ‚wirklich‘ gilt — vorausgesetzt immer wieder, dass die neue Lehre, so wie sie vorliegt, in ihren Hauptzügen haltbar ist —, der muss eben die Theorie fallen lassen: an ihr festhalten wollen und jene Aenderungen doch zugleich nur für ‚scheinbare‘ ausgeben, das ist auf die Dauer unerträglich und widerspricht dem Geiste der Naturwissenschaft, der für jeden ihrer Sätze erfahrungsgemässe Begründung und logische, d. h. widerspruchsfreie Verknüpfung mit allen übrigen haltbaren Sätzen verlangt. Gewiss ist es keine geringe Anforderung, sich von der mechanischen oder von der idealistischen Auffassung oder von den wunderlichen Mischungen beider, auf die man nicht selten stösst, oder überhaupt sich vom Absoluten in jeder Gestalt gänzlich frei zu machen, aber es ist geschichtlich notwendig: die physikalisch-chemischen und die biologischen Wissenschaften sind auf einem Punkt angelangt, an dem es für die gesunde Weiterentwicklung nicht mehr gleichgültig sein wird, welcher Weltanschauung der Forscher huldigt, ob er sich ganz von der Metaphysik befreit und weder den Beobachtungen noch den Begriffen und Gesetzen unerfahrbare Dinge unterschiebt, oder ob er nicht zu diesem Standpunkt zu gelangen vermag.

Ein helles Licht fällt auf den erkenntnistheoretischen Hauptinhalt der Relativitätstheorie und überhaupt auf die hier erörterte erkenntnistheoretische Lage, wenn wir einen Blick auf verwandte eigentümliche Vorgänge im Sehraum richten, auf die perspektivischen Gestaltänderungen der Körper. An seiner Beurteilung dieser wohlvertrauten Vorgänge kann jeder leicht sehen, welche Stellung er zur Relativitätstheorie einzunehmen hat, denn in beiden Fällen muss es im Grunde dieselbe sein. Die Gestalten der Körper, die wir in unserem Sehraum beobachten, hängen von der Lage ab, die sie zu uns haben: entfernen sie sich von uns oder wir uns von ihnen, so schrumpfen sie, nähern sie sich uns oder wir uns ihnen, so schwellen sie an usw. — immer ist die relative Lage oder die relative Bewegung massgebend, wie bei den Gestaltänderungen der Relativitätstheorie. Auch hier kommen jedem Körper in jedem Moment, je nach dem Bezugssystem, zahllose Gestalten zu; auch hier erfährt der ‚mitbewegte‘ Beobachter keine Aenderung; und auch hier erhebt sich die Frage: sind jene Aenderungen ‚wirklich‘ oder nur ‚scheinbar‘?

Ein vortrefflicher Prüfstein! Gewöhnlich aber ein klassischer Fall zur Veranschaulichung der ungeheueren Macht des Vorurteils, der Festigkeit altgewohnter Gedankengänge, der Stabilität geübter biologischer Prozesse des Zentralnervensystems!

Für den relativistischen Positivismus kann die Antwort keinen Augenblick lang zweifelhaft sein. Alle jene sogenannten perspektivischen Verschiebungen sind ‚wirklich‘, wie nur irgend ein Erlebnis ‚wirklich‘ ist. Dagegen sind die starren Körper, als deren perspektivische Verschiebungen jene Aenderungen bezeichnet werden, nicht ‚wirklich‘, weil sie in keiner Erfahrung gegeben sind. Weder für das Auge noch für die tastende Hand ist in den betreffenden gesehenen und getasteten Körpern, die wir als Kugel, Rotationsellipsoid, reguläres Tetraeder, Würfel usw. bezeichnen, jemals eines dieser mathematischen Gebilde aufweisbar. Noch niemand hat einen der mathematischen Definition entsprechenden Würfel — sechs kongruente auf einander senkrecht stehende Quadrate, an den acht Ecken je drei rechte Winkel usw. — wirklich gesehen oder auch nur in Gedanken vorgestellt. Jene Gebilde der Mathemathik sind überhaupt nicht anschaulicher, sondern lediglich begrifflicher Natur, keine ‚wirklichen‘, sondern nur ‚Gedankendinge‘, nur ‚Hilfsmittel des Denkens‘, um die Fülle jener wirklichen gesehenen und getasteten Dinge zu beherrschen, sich mit ihrer erdrückenden Ueberzahl und Mannigfaltigkeit ins Gleichgewicht zu setzen. Sie spielen hier ganz die entsprechende Rolle wie in der Relativitätstheorie die Minkowskische in Raum und Zeit vierdimensionale Welt. Gerade wie dieses eine Gebilde die unendlich vielen Fälle auf ein und dieselbe Weise als Projektionen aus sich abzuleiten gestattet, die sich in den dreidimensionalen Euklidischen Räumen und in den zugehörigen Zeiten der einzelnen relativ zu einander gleichförmig bewegten Beobachter abspielen, so erlauben die mathematisch definierten starren stereometrischen Gebilde und überhaupt alle starr gedachten Formen die unendlich zahlreichen wirklich beobachteten Körper auf eine und dieselbe Weise als perspektivische Verschiebungen aus sich herzuleiten.

Die Konstruktion solcher vereinheitlichenden Gebilde ist tiefste Eigentümlichkeit des Denkens und hängt funktionell mit einer der wesentlichsten Eigenschaften des Zentralnervensysteme, ja alles Protoplasmas zusammen. Das kann hier nicht ausgeführt werden, aber die Erwähnung sei gestattet, um auf die biologische Fundierung unserer Weltanschauung hinzuweisen[50]) und noch durch andere Tatsachen und durch Tatsachen nahegelegte Gründe bestätigen zu lassen, dass es für diese Anschauung ganz unmöglich ist, die Gestalten des Sehraums als ‚Erscheinungen‘ dahinter verborgener ‚Dinge an sich‘ zu deuten: sie sind eben nur psycho-biologische ‚Funktionen‘ — besser: psychobiologische Komponenten des Wirklichen.

Solche Auffassungen begegnen heute noch bei metaphysisch gerichteten Naturwissenschaftern wie bei philosophischen Metaphysikern stärkstem Widerstand. In der Diskussion, die sich in der „Société française de Philosophie“ an einen Vortrag Langevins über die Relativitätstheorie anschloss, stellte Rey die Gestaltänderungen des Sehraums als „erreurs de perspektive“ den Aenderungen der Gestalten und des Uhrgangs jener Theorie scharf gegenüber[51]). Und in einem Artikel über den „relativistischen Positivismus und die Naturwissenschaft“[52]) zeigt sich Poske über die Ansicht, dass der Begriff der optischen ‚Täuschungen‘ fallen müsse, sehr erstaunt. Noch „frappanter“ aber sei unsere Auffassung der Perspektive. „Dahin gelangt man, wenn man die Hypothese der Wirklichkeit als metaphysisch verwirft. Mit solchen Konsequenzen führt sich der relativistische Positivismus selbst ad absurduum“. Also: was alle mit normalen Sinnen Begabten zu jeder Zeit mit grösster Uebereinstimmung wahrnehmen, das ist Täuschung. Was aber niemand wahrnimmt, was durch keine Beobachtung und keinen Versuch nachgewiesen werden kann, das ist die Wahrheit! So vermag Jahrtausende alte Metaphysik — die Metaphysik der Substanzvorstellung[53]) — noch immer das Denken auch von Vertretern der exaktesten Wissenschaft zu beeinflussen ganz gegen den Grundzug dieser Wissenschaft selbst, die doch gerade durch genaue Feststellung wirklich beobachteter Zusammenhänge so gross und mächtig geworden ist. Der Unterschied, den Poske zwischen Metaphysik und hypothetischer Wirklichkeit macht, ist unhaltbar. Eine Hypothese, die nie verifiziert werden kann und doch den Anspruch auf Wirklichkeit erhebt, ist Metaphysik und damit Willkür. Erklärt er anderseits die Substanzvorstellung für eine Hilfsvorstellung, so zeigt er in der wichtigsten Stelle seiner theoretischen Weltanschauung Ungeklärtheit: was sind nun Elektronen — Hilfsvorstellung oder hypothetische Wirklichkeit?

Wer sich vom Vorurteil der Substanzvorstellung losgemacht hat, für den kann es nicht zweifelhaft sein, dass die Tatsachen der Perspektive und die räumlichen Lehren der Relativitätstheorie in wesentlichsten Punkten übereinstimmen, wie etwa zwei Arten eines Gattungsbegriffs. In beiden Fällen sind die Gestalten relativ, abhängig vom Bezugssystem; alle zulässigen Bezugssysteme sind unter einander gleichberechtigt; eine absolute Gestalt gibt es nicht; für jeden Beobachter ist die von ihm beobachtete Gestalt wirklich; der ‚mitbewegte‘ Beobachter erfährt keine Gestaltänderung. Solche Uebereinstimmungen mehrerer Gebiete sind für die Begriffsbildung von grösster Wichtigkeit, denn sie führen zu höheren, umfassenderen Begriffen und lassen uns damit ‚tiefer‘ in die Dinge eindringen: je höher die Abstraktion, desto tiefer die ‚Erkenntnis‘; tiefe Erkenntnis besteht eben in möglichst hohen Begriffen: in unserem Fall in der Relativität alles Wirklichen und in seiner Substanzlosigkeit[54]).

36. Die perspektivischen Gestaltänderungen von Körpern, deren Geschwindigkeit mit der des Lichtes vergleichbar ist, scheinen noch nicht untersucht worden zu sein. Sie führen sehr bald zu einem lehrreichen Paradoxon, dessen Auflösung uns noch einmal die Grundlage der neuen Relativitätstheorie deutlich vor Augen stellt und das ich daher kurz entwickeln will.

Das Bild, das von einem Gegenstand auf der Netzhaut des Auges oder auf der photographischen Platte — als Momentbild — entworfen wird, entsteht durch Licht, das von allen in Frage kommenden Punkten des Gegenstandes stammt, aber nicht gleichzeitig von ihnen abgegangen ist: alles das Licht trägt zur Erzeugung des Bildes bei, das gleichzeitig mit dem Licht eintrifft, das von dem dem Auge oder der Platte am nächsten gelegenen Punkte des Gegenstandes herkommt; je weiter also ein Punkt des Gegenstandes von Platte oder Auge entfernt ist, um so früher muss er seinen Lichtbeitrag aussenden. Das hat zur Folge, dass das Bild eines sich mit grosser — der des Lichtes vergleichbarer — Geschwindigkeit entfernenden oder nähernden Gegenstandes nicht mit dem Bilde desselben relativ zu Auge oder Platte ruhenden Gegenstandes — unter sonst gleichen Umständen — übereinstimmen, sondern den Eindruck machen würde, als rühre es von einem im Entfernungsradius kürzeren oder längeren Gegenstande her. Im Falle der Fortbewegung des Gegenstandes von Auge oder Platte würde nämlich der Lichtbeitrag von den am weitesten entfernten Punkten später, im Falle der Annäherung früher abgesandt worden sein als in der Ruhelage. Eine einfache Rechnung ergibt, dass — unter Berücksichtigung der Lorentz-kontraktion — ein Gegenstand von der hier nur in Frage kommenden physikalischen Länge , der also für den ‚mitbewegten‘ Beobachter die Länge hat, auf Grund des photographischen Momentbildes als von der bewegungsperspektivischen Länge

oder

beurteilt werden müsste, je nachdem sich der Gegenstand von Auge oder Platte entfernt oder sich ihnen nähert.

Nun darf es für die Relativitätstheorie keinen Unterschied machen, ob wir den Gegenstand als ‚bewegt‘, Auge oder Platte aber als ‚ruhend‘, oder umgekehrt die letzteren als ‚bewegt‘ und den Gegenstand als ‚ruhend‘ betrachten. Stellen wir uns aber auf den letzteren Standpunkt, also auf den des ‚mitbewegten‘ Beobachters und verfolgen im Geiste das von dem Gegenstande abgehende und auf die sich uns nähernde oder von uns entfernende Platte zueilende Licht, so dürften wir — sollte man meinen — behaupten, dass das der Platte eingeprägte Lichtbild genau so ausfallen müsste, wie wenn die Platte ‚ruhte‘, dass also keine bewegungs-perspektivische Gestaltänderung, wie wir sie oben für den ‚ruhenden‘ Beobachter und für die ‚ruhende‘ photographische Kamera abgeleitet haben, auftreten könne.

Wie ist dieser Widerspruch zu lösen?

Zunächst stellen wir fest, dass die ‚bewegte‘ Kamera dieselbe Rolle spielt wie der ‚bewegte‘ Beobachter; wir brauchen uns also nur an den letzteren zu halten. Dieser gehört aber nach der Voraussetzung der Relativitätstheorie einem anderen System an als der mit dem zu beobachtenden Gegenstand ‚ruhende‘ Beobachter. Würde nun der letztere von jenem ‚bewegten‘ Beobachter behaupten, dass er den Gegenstand genau so wahrnehme, wie wenn er ihm gegenüber nicht ‚bewegt‘ wäre, so würde er der von ihm anerkannten Voraussetzung der Relativitätstheorie widersprechen, dass die Körpergestalten für gegen einander bewegte Systeme verschieden sind: er müsste dann also auch behaupten, dass jener ‚bewegte‘ Beobachter den in der Richtung der relativen Bewegung gelegenen Schenkel des Michelsonschen Apparates nicht verkürzt erblicke. Somit bleibt ihm nur übrig zuzugestehen, dass für den ‚bewegten‘ Beobachter bewegungs-perspektivische Verlängerungen und Verkürzungen eines im ‚ruhenden‘ System ruhenden Gegenstandes im Prinzip wahrzunehmen sind, also auch auf der photographischen Platte beobachtet werden müssten. Man darf eben nie aus dem Auge verlieren, dass für die Relativitätstheorie ‚bewegte‘ und ‚ruhende‘ Körper nie einem und demselben System angehören, und dass im ‚bewegten‘ System Gestalt und Uhrgang stets andere sind als im ‚ruhenden‘. Bei genauer Beachtung dieser Umstände kann kein Widerspruch auftreten.

37. Schliesslich sollen noch die Grenzen der Einsteinschen Relativitätstheorie nach der erkenntnistheoretischen Seite hin untersucht werden. Da sind vor allem wohl zwei Punkte zu beachten, die sich beide auf die Geschwindigkeit der relativen Bewegung der Systeme beziehen.

Vor allem gilt die Theorie nicht mehr für Geschwindigkeiten von Körpern, die grösser als die Lichtgeschwindigkeit sind, da für der für die Relativitätstheorie charakteristische Faktor imaginär wird, innerhalb der Räume jener Theorie nicht mehr definiert und also gegenstandslos ist. Daraus aber zu schliessen, dass in der Natur grössere Geschwindigkeiten als die des Lichts nicht vorkämen, oder gar, dass solche überhaupt nicht möglich wären, das würde ganz das Verhältnis einer Theorie zu den Tatsachen verkennen heissen. Niemals darf von einer Theorie mehr verlangt werden, als dass sie alle zur Zeit ihres Entstehens bekannten Tatsachen eines mehr oder weniger eng begrenzten Gebietes umfasst, in eindeutigen Zusammenhängen aufweist, in ihrem immer wiederkehrenden Verlaufe allgemein beschreibt — soweit eben von solcher Wiederkehr überhaupt gesprochen werden darf. Wenn sie freilich in der Tat gewöhnlich mehr leistet, wenn ihre logischen Konsequenzen oft genug durch spätere Entdeckungen bestätigt werden, so ist das einer nicht vorherzusehenden Gunst des Umstandes zu danken, dass die Analogie zwischen ihr und ihrem zugehörigen Tatsachenkreis häufig weiter reicht als das ursprüngliche Gebiet, das zu ihrer Aufstellung Anlass gab. Für alle bisher aufgestellten Theorien mit einstweiliger Ausnahme nur eben gerade der neuesten, ist aber einmal der Zeitpunkt gekommen, an dem Tatsachen gefunden wurden, denen sie nicht mehr entsprechen konnten, und das hat dann stets den Anstoss zur Entwicklung neuer Theorien gegeben. Man wird also auch von dem hier in Rede stehenden Punkte wie nach dem früher (§ 32) Gezeigten ja auch von anderen aus darauf gefasst sein müssen, dass neue Tatsachen zum Umbau oder zur Aufgabe der Theorie nötigen werden.

Der Natur von vorn herein grössere Körpergeschwindigkeiten als die des Lichtes abstreiten wollen, das würde derselbe Fehler sein, den man noch immer häufig auf Grund der Lehren der Thermodynamik mit der Festlegung einer unteren Grenze der Temperatur macht. Ganz allein die Erfahrung — niemals eine Theorie — kann darüber entscheiden, ob es einen absoluten Nullpunkt der Temperatur und welchen[55]), und ob es eine grössere Geschwindigkeit von Körpern als die Lichtgeschwindigkeit gibt.

38. Der andere Punkt, der uns eine Grenze der neuen Relativitätstheorie, aber auch weitere Entwicklungsmöglichkeiten zeigt, betrifft ebenfalls die relativen Geschwindigkeiten der Systeme. Wir haben da genau darauf zu achten, dass die Theorie nur für eine geradlinige und gleichförmige Geschwindigkeit aufgestellt ist. In der Gruppe der Lorentz-Transformation bedeutet — in unserer obigen Bezeichnungsweise — nur eine konstante geradlinige Geschwindigkeit. Für Systeme, die gegen einander beschleunigt sind, ist die Theorie eben erst im Entstehen[56]).

Gewöhnlich hält sich der Physiker in seinen Anschauungen nicht streng an seine Formeln, sondern umrankt sie mit einer Fülle von Vorstellungen, die in den Formeln selbst keinen Halt finden[57]). Es ist Sache der erkenntnistheoretischen Kritik, wie sie zuerst Mach in umfassender Weise geübt hat, diese Zusätze und ihre Haltlosigkeit aufzudecken: so eben beseitigte er den alten Massenbegriff, den absoluten Raum, die absolute Zeit, die absolute Bewegung, den metaphysischen Temperaturbegriff — die Vorstellungen vom ‚wahren‘ Gang der Wärme —, den absoluten Nullpunkt der Temperaturskala, den substanziellen Energiebegriff usw.

An einem im übrigen nicht gerade bedeutungsvollen Punkte der Einsteinschen Relativitätstheorie, der nur wegen seines besonders stark paradoxen Inhalts auch über naturwissenschaftliche Kreise hinaus lebhaftes Interesse und zweifelndes Staunen hervorgerufen hat, können wir uns die Grenzen der Theorie gut verdeutlichen; wir wollen darum auf ihn eingehen.

In seiner ersten Arbeit über die Relativitätstheorie[58]) kombiniert Einstein die oben (§ 20) abgeleitete Gleichung:

mit der anderen: und erhält:

,

woraus folgt, „dass die Angabe der Uhr (im ruhenden System betrachtet) pro Sekunde um Sekunden oder — bis auf Grössen vierter und höherer Ordnung — um Sekunden zurückbleibt“.

Hieraus folgert er weiter, „dass dies Resultat auch dann noch gilt, wenn die Uhr in einer beliebigen polygonalen Linie sich von nach bewegt, und zwar auch denn, wenn die Punkte und zusammenfallen“.

Und daraus hat er dann an anderer Stelle wieder geschlossen, dass ein Organismus, der sich mit grosser Geschwindigkeit von seinen Altersgenossen entfernte und nach längerer Zeit zu ihnen zurückkehrte, erheblich weniger als diese gealtert sein würde. Dem haben sich namentlich Langevin und v. Laue angeschlossen[59]).

Sicherlich kann allein aus der Sonderbarkeit und dem Verblüffenden einer solchen Schlussfolgerung kein Einwand gegen sie erhoben werden, da eben Erfahrungen, denen sie widerstritte, nicht vorliegen. Die Frage ist also nur die, ob sie logisch unvermeidlich ist.

Zunächst muss ich einwenden, dass sie auch vom Standpunkte ihrer Vertreter unvollständig und irreführend ist. v. Laue — und ganz ähnlich Langevin — sagt: „Ein Lebewesen kehrt bei dem geschilderten Vorgang jünger zurück, als seine ehemaligen Altersgenossen“. Wenn das heissen sollte, dass sowohl es selbst wie seine ehemaligen Altersgenossen dieses Urteil über jenes Jüngersein fällen würden, so wäre das ein Irrtum und ein Rückfall in absolutistische Denkweise. Zwar würden seine früheren Altersgenossen den Zurückgekehrten für jünger halten als sich, aber genau so der letztere seinen ehemaligen Altersgenossen grössere Jugend zuerkennen als sich selbst — ganz entsprechend dem Fundamentalsatz der Relativitätstheorie, dass für jeden der beiden Beobachter die Uhren des anderen Systems nachgehen[60]).

So müssten, meine ich, jene Physiker von ihrem Standpunkte aus urteilen. Aber auch wenn sie das getan hätten, könnte ich eben den Standpunkt, den sie dieser Frage gegenüber einnehmen, nicht teilen, trotz der grössten Sympathie für ihre sonstigen Darlegungen, die ja wohl deutlich genug aus den vorliegenden Blättern spricht. Denn die wirkliche, lebendige Relativitätstheorie, wie sie in den Formeln der Lorentz-Transformation vorliegt, enthält nichts von einer „beliebigen polygonalen Linie“, die von den Systemen beschrieben würde, oder von einer Rückkehr zum Ausgangspunkt. Wer aus dem obigen Ausdruck Einsteins für die Grösse des Zurückbleibens der ‚bewegten‘ Uhr schliessen wollte, dass sich diese Grössen ununterbrochen addieren, dass eine Umkehr des ‚bewegten‘ Systems die erlittenen Aenderungen im Uhrgang nicht aufhöbe, da ja im Quadrat aufträte, der würde ausser Acht lassen, dass bei der Rückkehr auf derselben Linie oder auf irgend einer Kurve einmal ein Punkt erreicht werden muss, für den nur noch den Wert Null hat und dass dieser Wert, in die Gleichungen der Theorie eingesetzt, alle Aenderungen der Körpergestalten und des Uhrgangs mit einem Male rückgängig macht. Nähme dann negative Werte an, fände also die entgegengesetzte Bewegung der Systeme zu einander statt, so müssten für den Standpunkt jedes Beobachters auch alle Körpergestalten im anderen System sofort die von abhängige Form von neuem annehmen, alle Uhren — die wir uns etwa in gleichen Abständen auf den -Achsen der beiden Systeme angeordnet denken können — mit einem Schlag einander näher rücken, die sich dem oben (§ 22) ermittelten Punkte nähernden plötzlich vor- statt nach- und die sich von ihm entfernenden nach- statt vorgehen: der Umkehrpunkt wäre bei geradliniger Hin- und Rückbewegung eins Unstetigkeitsstelle. Entsprechendes gälte bei krummliniger Bewegung, bei der immer nur die parallel zur -Achse gerichtete Komponente der Gesamtgeschwindigkeit wäre. Mehr kann und darf aus den Formeln nicht herausgelesen werden, weil sie nicht mehr enthalten[61]). Natürlich würden solche Vorgänge der Wirklichkeit nicht entsprechen: die Theorie sagt eben gar nichts über Umkehr und Geschwindigkeitsänderung aus; ist für je zwei berechtigte Bezugssysteme ein unveränderlich festliegender Wert. Will man andere als die unter die tatsächlich vorliegende Theorie gehörigen Fälle behandeln, so muss man die Theorie erst modifizieren oder eine neue Theorie schaffen. Wirklich ist auch die obige Aufstellung Einsteins und der ihm folgenden Physiker nichts anderes als eine stillschweigende Abänderung und Erweiterung der Theorie, die aber in ihren Formeln noch gar nicht zum Ausdruck gekommen ist. Das geht ganz deutlich aus der Bemerkung v. Laues hervor: „Dem naheliegenden Einwand, dass wir über den Gang einer Uhr während eines Geschwindigkeitswechsels nichts aussagen können, begegnet man am einfachsten mit dem Hinweis, dass man die Zeiten der gleichförmigen Bewegung beliebig gross gegen die der Beschleunigung machen kann[62])“. Darin liegt der Versuch, die einfachen Verhältnisse der Relativitätstheorie als Komponenten komplexer Vorgänge einzuführen. Er setzt natürlich eine kontinuierliche Variation der Geschwindigkeit voraus.

Gegen eine solche Erweiterung hat natürlich die Erkenntnistheorie nichts einzuwenden. Sie hat aber ein grosses interesse daran, den eigentlichen, wirklichen Inhalt der tatsächlich entwickelt und abgegrenzt vorliegenden Theorie scharf festzustellen und die gefundenen Grenzen nicht überschreiten zu lassen. Denn in der Geschichte der Wissenschaften sind es immer die unbegründeten Gedankenzusätze gewesen, die vom sicheren Wege ab- und nur zu häufig in die Irre oder doch auf Umwege führten.

39. Anhangsweise mögen noch ein paar Bemerkungen über die Behandlung der Relativitätstheorie im Unterricht folgen.

Sind auch, wie wir (§ 26) gesehen haben, Brauchbarkeit und Fruchtbarkeit einer Theorie nicht davon abhängig, dass sie unmittelbar und Schritt für Schritt aus den vorausgesetzten Tatsachen abgeleitet und so möglichst anschaulich gemacht wird, so werden Erkenntnisdrang und Unterrichtsbedürfnis doch immer solche konkrete Darstellung verlangen: möglichst grosse ‚Gründlichkeit‘ des Verständnisses sowohl der Tatsachen wie der Theorie kann nur durch möglichst enge Verknüpfung und Durchdringung dieser beiden Komponenten jeder Erkenntnis erreicht werden.

Wir haben viele gute und einige vortreffliche Lehrbücher der Physik für unsere höheren Schulen. Sehen wir aber von dem in seiner Art einzigen, pädagogisch meisterhaften „Leitfaden der Physik“ von Mach und Jaumann ab, der leider nicht fortgeführt wird, so gibt es wohl keins, das nach der erkenntnistheoretischen Seite hin berechtigten Forderungen genügt. Obwohl die theoretische Physik seit langer Zeit z. B. den Machschen Massenbegriff ganz allgemein angenommen und damit den Substanzbegriff für Masse und Kraft beseitigt hat, sucht man in unseren Lehrbüchern vergeblich nach diesen Errungenschaften. Da spielt die Kraft als Ursache von Bewegungsänderungen noch immer ihre metaphysische Rolle, und über die Kausalität bestehen Vorstellungen, von denen die wissenschaftliche Theorie schon fast frei ist und die an Rückständigkeit mit den naturwissenschaftlichen Anschauungen der Lehrbücher der philosophischen Propädeutik wetteifern können. Die Verfasser jener Bücher haben offenbar der Experimentalphysik die grösste Beachtung geschenkt, die Theorie aber, die nicht minder wichtig ist, vernachlässigt. Dort werden — und gewiss mit vollem Recht — die bedeutendsten Fortschritte des Tagen berücksichtigt, und die Lehrmittelfabriken halten mit dem Gang der Wissenschaft gut Schritt: Hertzsche Wellen, drahtlose Telegraphie, Röntgenstrahlen, Teslaversuche, Benzinmotor, Flugzeuge und was nicht alles noch, werden heute oft genug im Unterricht selbst der Gymnasien behandelt. Raum, Zeit und Bewegung aber bleiben nach wie vor absolut, an der Existenz des Aethers ist nicht zu zweifeln, die Tatsachen werden mit den Resten veralteter Theorien zu einem für den Schüler niemals wieder entwirrbaren Knäuel verquickt, und was eine der höchsten Aufgaben des naturwissenschaftlichen Unterrichts sein sollte: die Bedeutung der Theorie begreifen zu machen, ihren inhaltlichen erkenntnistheoretischen Kern bloss zu legen, ihren Zusammenhang mit den brennendsten und tiefsten Fragen der Weltanschauung zu zeigen, ihre Bedingtheit einzusehen und den Blick in die Unvermeidlichkeit und Notwendigkeit ihrer Entwicklung zu öffnen, das bleibt zum grössten Teile ungelöst. Freilich, wenn ein Didaktiker wie Höfler die Relativitätstheorie für eine „Modesache“ hält und ein anderer Führer auf dem Gebiete der physikalischen Pädagogik, Poske, geradezu die Ansicht ausspricht, dass der Unterricht an unseren höheren Schulen keine Veranlassung habe, auf diese Theorie Rücksicht zu nehmen[63]), so kann man sich über jenen grossen Mangel unserer heutigen Lehrbuchliteratur nicht eben wundern.

Zum Glück ist aber gerade die Relativitätstheorie in hohem Masse geeignet, diese Rückständigkeit zu beseitigen. Denn für junge empfängliche Köpfe, die sich von der Metaphysik der Substanzvorstellung noch ohne grössere Schwierigkeiten befreien können, ist sie weit leichter verständlich, als man gemeinhin denkt. Kann doch die Relativität aller empirischen Bewegung geradezu handgreiflich gemacht werden, und setzt anderseits die Einsteinsche Theorie für ihre Grundlagen nur sehr einfache mathematische Hilfemittel voraus. Ich möchte auf Grund langjähriger Erfahrung empfehlen, mit der Erörterung der Relativität der astronomischen Bewegungen an der Hand des Hofmannschen Automobilbeispiels zu beginnen, natürlich in freiester Diskussion, ohne jeden autoritativen und sonstigen suggestiven Einfluss zu üben. Man kann das schon in Obersekunda mit grösstem Vorteil tun: es sind die angeregtesten Stunden. Zu immer neuen Einwänden fordere man die Schüler auf, und bald wird man sehen, wie sie selbst von ihren Kameraden widerlegt werden. Die Wirklichkeit des ‚Sinnenscheins‘ und die Unhaltbarkeit des alten Begriffes der optischen und überhaupt der Sinnestäuschung ist das natürliche Ergebnis solcher Besprechungen, das zu befestigen und auf immer breiteren Grund zu stellen der Lauf des weiteren naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts reiche Gelegenheit bietet; von besonderer Wichtigkeit sind dabei in der Physik die Zentrifugalvorgänge und Spiegelung und Brechung des Lichts, in der Mathematik die Grundlagen der Nicht-Euklidischen Geometrie und die Gegenüberstellung des so gewonnenen allgemeinen Raumbegriffe mit den Erfahrungen des Sehraums. Zur Einführung in die elektrodynamische Relativitätstheorie wird man am natürlichsten bei der Behandlung der Lichtgeschwindigkeit kommen. Nimmt man sie in der oben (§ 12 ff.) dargelegten Weise vor, so wird man wohl auf keine unlösbaren pädagogischen Schwierigkeiten stossen.

Dass auch der Hochschulunterricht sich mit Vorteil des gleichen Ganges bedienen kann, möchte ich ebenfalls auf Grund eigener Erfahrung versichern.

Man fürchte nicht, dass bei solchen Erörterungen auf den höheren Schulen der experimentelle Unterricht leiden müsse. Im Gegenteil: gelangt man durch sorgfältigere theoretische Betrachtungen zu den Fragestellungen, die nur durch das Experiment zu beantworten sind, so wird dieses mit ganz anderer Spannung erwartet, als wenn es ohne tiefer dringende Vorbereitung angestellt wird, und die unscheinbarsten Versuche nehmen es dann an Reiz mit den beliebten ‚glänzenden‘ Paradestücken auf. Man vergesse auch nicht, dass wie aller überwiegenden Praxis so auch der überwiegenden Experimentierpraxis es leicht an Tiefe des Eindringens mangelt, dass man also auch im Experimentieren des Guten zuviel tun kann. Erst eine Vereinigung von Experiment und Theorie, wie sie die Geschichte der Wissenschaft zeigt, gewährleistet die grössten und nachhaltigsten Unterrichtserfolge und macht den Blick weit und frei.

40. Für diejenigen, die vorwiegend aus erkenntnistheoretischen Interessen sich mit der Relativitätstheorie beschäftigen wollen, mögen endlich noch einige Literaturangaben folgen.

Für die Aufhebung des Gegensatzes zwischen den optischen und den taktilokinaesthetischen Qualitäten oder für die Beseitigung der Vorstellung einer materiellen Substanz kommt namentlich in Betracht:

Berkeley, Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous. Deutsch von Raoul Richter. Leipzig 1901.

Für die Aufhebung des Substanzbegriffes überhaupt:

Hume, Traktat über die menschliche Natur, I. Teil: Ueber den Verstand. Ausgabe von Th. Lipps, womöglich die erste Auflage. Hamburg und Leipzig 1895.

An dieser Stelle darf wohl auch noch einmal hingewiesen werden auf:

Petzoldt, Das Weltproblem vom Standpunkte des relativistischen Positivismus aus. 2. Aufl. Leipzig 1912.

Den alten physikalischen Massenbegriff beseitigt:

Mach, Die Mechanik, in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, 7. Auflage, Leipzig 1912.

Hierin auch die Machsche Relativitätstheorie bei der Behandlung Newtons. Es kommen vor allem vom zweiten Kapitel die Abschnitte 3 bis 10 in Betracht (S. 188—271).

Die drastischste Aufhebung der alten Vorstellungen von der absoluten Bewegung bei:

W. Hofmann, Bewegung und Trägheit. Wien und Leipzig 1904 (Automobil-Beispiel).

Gute Dienste kann auch leisten:

L. Lange, Die geschichtliche Entwicklung des Bewegungsbegriffs und ihr voraussichtliche Endergebnis. Leipzig 1886.

Weitere Kritik und Analyse bei:

Petzoldt, Die Gebiete der absoluten und der relativen Bewegung. Ostwalds Annalen der Naturphilosophie 7, 1908.

Zur Einführung in die elektrodynamische Relativitätstheorie sind gut geeignet:

La Rosa, Der Aether, Geschichte einer Hypothese. Deutsch von Muth. Leipzig 1912 (s. o. S. 31, Anm.).

Berg, Das Relativitätsprinzip der Elektrodynamik. Göttingen 1910. Die erkenntnistheoretischen Bemerkungen darin sind freilich vom absolutistischen Standpunkt aus gemacht.

E. Cohn, Physikalisches über Raum und Zeit. Leipzig 1911 (s. o. S.)

Langevin, L'évolution de l'espace et du temps, und: Le temps, l’espace et la causalité (s. o. S. 30, Anm.).

v. Laue, Das Relativitätsprinzip. Frischeisen-Köhlers Jahrbücher der Philosophie 1913.

Hinsichtlich der mechanischen Konsequenzen mag man die erkenntnistheoretisch freilich unklare, vom Absoluten nicht loskommende Schrift einsehen:

H. Poincaré, Die neue Mechanik. Leipzig 1911.

Nach solcher Vorbereitung wird man nun auch unschwer die wichtige grundlegende Arbeit lesen:

Einstein, Zur Elektrodynamik bewegter Körper. Annalen der Physik 17, 1905, S. 891.

Als erste Vorbereitung für das Studium der hier in Frage kommenden Minkowskischen Schrift eignet sich sehr gut:

Ph. Frank, Das Relativitätsprinzip und die Darstellung der physikalischen Erscheinungen im vierdimensionalen Raum, Zeitschrift für physikalische Chemie 74, 1910. Auch in Ostwalds Annalen der Naturphilos. 10, 1911.

Zu weiterem Eindringen für den mathematisch etwas geschulten Leser ist zu empfehlen:

Brill, Das Relativitätsprinzip. Eine Einführung in die Theorie. Leipzig u. Berlin 1912. Nur hüte man sich vor den falschen Ableitungen des § 6 (S. 10 f.).

Dann lese man den Vortrag: Minkowski, Raum und Zeit. Leipzig u. Berlin 1909.

Sehr gute Ueberblicke über das gesamte Gebiet der elektrodynamischen Relativitätstheorie geben:

v. Laue, Das Relativitätsprinzip. 2. Aufl. Braunschweig 1913, und:

Ishiwara, Bericht über die Relativitätstheorie. Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik 9, 1912, S. 560 ff. Hier werden über 180 Arbeiten aufgeführt, die sich inzwischen um eine stattliche Zahl vermehrt haben.

Ueber diese neueren Arbeiten, soweit sie im Jahre 1912 erschienen sind, unterrichten knapp und klar die Referate Lampes in den „Fortschritten der Physik im Jahre 1912“. Erste Abteilung, S. 62-96. Braunschweig 1913.

Viel kann der Erkenntnistheoretiker — und zwar sowohl in seiner Eigenschaft als Erkenntniskritiker wie als Erkenntnispsychologe — auch aus den Schriften der Gegner lernen, namentlich dadurch, dass er nach den letzten psychologischen Voraussetzungen forscht, die sich der Annahme der neuen Theorie als Hindernisse in den Weg stellen. Man wird dabei überall auf irgend eine Form der Substanzvorstellung treffen. Man beachte:

Höfler, Studien zur gegenwärtigen Philosophie der Mechanik. Als Nachwort zu Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft. Leipzig 1900.

Aloys Müller, Das Problem des absoluten Raumes und seine Beziehung zum allgemeinen Raumproblem. Braunschweig 1911.

F. J. Schmidt, Der Kampf der Mechanik gegen den Psychologismus. Preussische Jahrbücher 136, 1908.

Frischeisen-Köhler, Das Zeitproblem. Jahrbücher der Philosophie 1, 1913, S. 129 ff.

L. Gilbert, Das Relativitätsprinzip, die jüngste Modenarrheit der Wissenschaft. Brackwede i. W. 1914. (s. o. S. 17, Anm.).

Bernays, Ueber die Bedenklichkeiten der neueren Relativitätstheorie. Göttingen 1913.

Hierher gehört auch die schon angeführte Schrift:

H. Poincaré, Die neue Mechanik.

Nicht als Gegner der elektrodynamischen Relativitätstheorie im engeren Sinne, aber als Gegner einer historisch-psychologischen Einordnung, wie wir sie oben vorgenommen haben, ist anzuführen:

Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Leipzig 1910, S. 392 ff. (s. o. § 19).


  1. Ausführlich ist dieser Entwicklungsgang dargestellt in Petzoldt, „Das Weltproblem vom Standpunkt des relativistischen Positivismus aus“, 2. Aufl. Leipzig 1912.
  2. s. darüber Mach, Mechanik, 7. Aufl. Leipzig 1912, S. 220 ff.
  3. s. Petzoldt, Das Gesetz der Eindeutigkeit. Vierteljahrsschr. für wissenschaftl. Philos. 1905, S. 177.
  4. vgl. Mach, „Erkenntnis und Irrtum“, S. 426 ff.
  5. Mach, Sitzgber. der Wiener Akad. 1865, abgedruckt in „Erhaltung der Arbeit“, Prag 1872, 2. Aufl. Leipzig 1909. S. 57. — Man vergleiche mit den Anschauungen Machs über die Zeit die Darlegung Minkowskis über die „Freiheit der Zeitachse“ („Raum und Zeit”, Teubner 1909, S. 2 ff.).
  6. „Erh. d. Arbeit“, a. a. O. S. 38.
  7. ib. S. 32. 1872.
  8. a b ib. S. 25. 1872.
  9. „Erh. d. Arbeit“ 1872, S. 32.
  10. „Mechanik“ 1883, S. 467.
  11. vgl. Petzoldt Weltproblem a. a. O, S.199 ff. Auf Vorgänger relativistischer Denkweise wie Protagoras und Hobbes und auf die Relativisten der neuesten Philosophie wie Laas und Avenarius konnte hier nicht eingegangen werden.
  12. Mach, „Erkenntnis und Irrtum" 1905, S. 426 f.: „Zeit und Raum physikalisch betrachtet“.
  13. Mach, „Ueber die Entwicklung der Raumvorstellungen“. Fichtes Zeitschr. für Philos. 1866 und „Erhaltung der Arbeit“ 1872, S. 34 f. 56 f.
  14. Hilbert, Grundlagen der Geometrie. 4. Aufl, Leipzig 1918.
  15. Mach, „Analyse der Empfindungen“. 6. Auflage. Jena 1906. — „Erkenntnis und Irrtum.“ 2. Aufl. 1910.
  16. Mach, Erkenntnis und Irrtum S. 331: „Der physiologische Raum im Gegensatz zum metrischen“.
  17. vgl. dazu Petzoldt, Die Gebiete der absoluten und der relativen Bewegung. Annal. d. Naturphilos, 1908, S. 29 ff.
  18. Höfler, Studien zur gegenwärtigen Philosophie der Mechanik. Leipzig 1900, S. 183.
  19. Petzoldt, a. a. O. S. 54 ff.
  20. Vgl. Petzoldt, Die vitalistische Reaktion auf die Unzulänglichkeit der mechanischen Naturansicht. Zeitschr. für allgemeine Physiologie 10. 1909.
  21. Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik. 4. 1907, S. 411.
  22. ib. S. 413
  23. La Rosa, Der Aether. Leipzig 1912, S. 94 ff.
  24. Minkowski, Raum und Zeit. Teubner 1909, S. 6.
  25. So Höfler, Didaktik der Himmelskunde. Teubner 1918, S. 931. — Gehrcke, Verhdlgn. der Deutsch. Physik. Ges. 14, 1912, S. 294, nennt die Relativitätstheorie sogar einen drolligen mathematisch-physikalischen Scherz. — Von besonderem psychologischen interesse ist die Schrift von Leo Gilbert, „Das Relativitätsprinzip die jüngste Modenarrheit der Wissenschaft. Brackwede i. W. 1914. Der Verf. entrüstet sich unter dem Titel einer „Wissenschaftlichen Satyre“ weidlich über die bösen Physiker, die ihm seine behaglichen mechanistischen Kreise von Kraft und Stoff Büchnerscher Observanz stören. Er weiss auscheinend nichts von dem heute allgemein angenommenen Machschen Massenbegriff und von den sonstigen erkenntnistheoretischen Grundlagen der modernen „phänomenologischen“ — besser positivistischen — Physik. So verfällt er — wie übrigens auch Höfler und Gehrcke — in den Fehler, den relativistischen Auffassungen und Formeln immer seine absolutistischen Anschauungen unterzuschieben, was natürlich den heitersten Unsinn ergibt.
  26. s. Petzoldt, Das Weltproblem usw., a. a. O.
  27. Minkowski sagt (s. a. O. S. 7), dass über den Begriff des Raumes hinwegzuschreiten — wie Einstein und Lorentz über den der Zeit hinweggeschritten seien — wohl nur als Verwegenheit mathematischer Kultur einzutaxieren sei. Aber die sinnesphysiologisch begründete Erkenntnistheorie (Hering, Mach) ist über jenen Baumbegriff längst hinweggegangen und zu einer Stellung gelangt, die, wie oben angedeutet, noch jenseits der Minkowskischen liegt. Die Mathematik der Zukunft wird gewiss an die mathematische Darstellung der Eigenart und der Relationen jener Sehräume gehen. — Eine eigenartige Verschmelzung von Raum und Zeit, wie sie für die Minkowskische Theorie charakteristisch ist, hat auch bereits vor mehr als 10 Jahren — Palàgyi vorgenommen: s. dessen Schrift: „Eine Theorie des Raumes und der Zeit. Die Grundbegriffe einer Metageometrie“. Leipzig 1901. Palàgyi s. Vortrag über die Relativitätstheorie auf dem letzten Naturforschertag in Wien ist noch nicht zugänglich.
  28. Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Teubner 1910, S. 396 ff.
  29. Beobachtungen an spektroskopischen Doppelsternen sind der von Ritz angenommenen Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Lichtquelle nicht günstig. s. De Sitter, Ein astronomischer Beweis für die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Physik. Zeitschr, 14, 1918 S. 429. Vgl. dazu Castelnuovo, Il principio di relatività e i fenomeni ottici. Scientia IX, 1911.
  30. Minkowski, Raum und Zeit. Teubner, 1909, S. 1.
  31. Daher dürfte die Darstellung Gruners („Elementare Darlegung der Relativitätstheorie", Bern 1910) prinzipiell verfehlt sein. Selbst wenn man die Anwendung der Gleichungen der Relativitätstheorie auf eine kreisförmige Bahn mit grossem Radius zulassen wollte, würden doch die „Zentralsternwarten“ von „Erde“ und „Mars“ ihre Uhren nicht so regulieren dürfen, wie der Verfasser es voraussetzt.
  32. Am eingehendsten hat sich wohl Langevin mit der Relativität der zeitlichen Anordnung zweier Ereignisse beschäftigt. Vgl. dessen für den Erkenntnistheoretiker wichtige Arbeiten: „L’évolution de l’espace et du temps“, Scientia X, 1911, und „Le temps, l’espace et la causalité dans la physique moderne“, Bulletin de la Société française de Philosophie Xii 1912. — Vgl. auch Minkowski a. a. O. S. 8.
  33. Am gelungensten scheint mir die Darstellung von La Rosa zu sein (Der Aether, Leipzig 1912, namentlich S. 94-111). Indessen werden hier die zeitlichen Beziehungen vor den räumlichen behandelt und die letzteren aus den ersteren abgeleitet, während der historische Weg umgekehrt war, auch näher gelegen und nicht minder einfach darzustellen ist. Ausserdem dürfte die Fingierung des sich verwundernden absolut ruhenden Beobachters und die späte Einführung der völligen Gleichberechtigung der gegen einander bewegten Seine dem wahren Verständnis doch hinderlich im Wege sein, wenn dieses Vorgehen des Verfassers auch durch seine besondere pädagogische Absicht bedingt ist. Meine eigene Darstellung zeigt — soweit sie die rein naturwissenschaftlichen Verhältnisse betrifft (erkenntnistheoretische Untersuchungen stellt der Verfasser nicht an) — mit der von La Rosa eine gewisse Verwandtschaft, war aber bereits abgeschlossen, als ich jene kennen lernte. Ueber die Darstellung von Gruner vgl. die Bem. auf S. 28. Sehr interessant ist das Modell E. Cohns („Physikalisches über Raum und Zeit“, Teubner 1911. Vgl. auch: Physikal. Zeitschr. 1912). Doch ist hier wohl Unmögliches versucht worden. Zwar gelingt es, an dem sinnreichen Apparat zu zeigen, dass von jedem der beiden gegen einander bewegten Systeme aus eine Länge im anderen als kürzer beurteilt wird, als dies von dem ‚mitbewegten‘ Beobachter geschieht; aber es wird — obwohl es doch genau so nötig gewesen wäre — nicht gezeigt, dass von jedem der beiden Systeme aus die Uhren des anderen nicht synchron sind, dass es aber stets die eigenen sind. Und das kann nicht zur mechanischen Darstellung gebracht werden, weil es sonst auch möglich sein müsste, die beiden gegen einander bewegten Räume als Teile eines dritten, absoluten Raumes, als in einen solchen Raum eingebettet zu denken (vgl. o. S. 21 f. und S. 13.)
  34. Kant, Prolegomena, § 38.
  35. Weiteres in des Verfassers Artikel „Naturwissenschaft“ im „Handwörterbuch der Naturwissenschaften“ Bd. Vii 1912.
  36. Einstein, „Le principe de relativité et ses conséquences dans la physique moderne“, Bibliothéque universelle. Archives des sciences physiques et naturelles. Genève 1910 S. 19.
  37. Man sehe ausser Machs Schriften namentlich auch Stallo, Die Begriffe und Theorien der modernen Physik. Deutsch von Kleinpeter nach der 8. Aufl. des englischen Originals. Ferner Normann Campbell, Relativitätsprinzip und Aether. Deutsch von M. Iklé. Physikal. Zeitschr, 13, 1912, S. 120 ff.
  38. Petzoldt, Das Weltproblem usw,, a. a. O,
  39. s. Mach, Ueber das Prinzip der Erhaltung der Energie. Popul. Vorles. 4. Aufl, 8. 167 ff.
  40. Mach, Wärmelehre, 1896, S. 39 ff.
  41. F. Klein, Ueber die geometrischen Grundlagen der Lorentzgruppe. Jahresbr. der Deutsch. Mathem.-Vereinigung 19, 1910, S. 281.
  42. Minkowski a. a. O, S. 4.
  43. Minkowski a. a. O., S. 7.
  44. Varićak im Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 21, 1912, S. 103 ff.
  45. Man sehe die Diskussion zwischen Ehrenfest, v. Ignatowsky, Varićak, Einstein in der Physikal. Zeitschr. 11 und 12, 1910 und 1911.
  46. vgl. Petzoldt, Die Relativitätstheorie im erkenntnistheoretischen Zusammenhange des relativistischen Positivismus. Verhdlgn. der Deutsch. Physikal. Ges. 14, 1912, S. 1060.
  47. Einstein, Jahrb. d. Radioaktiv. u. Elektronik, 4, 1907, S. 416.
  48. Petzoldt, Das Weltproblem a. a. O.
  49. Einstein, „Zum Ehrenfestschen Paradoxon. Bemerkung zu V. Varićaks Aufsatz. Physikal. Zeitschr. 12, 1911, S. 509 f.
  50. vgl. Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung 1, S. 258 ff. 309 ff.
  51. Bulletin de la Société française de Philosophie a. a. O. S. 30.
  52. Zeitschrift für den Physikal. und Chem. Unterricht 26, 1913, S. 190.
  53. Petzoldt, Weltproblem a. a. O. S. 54.
  54. Ueber die Substanz und andere wichtige Punkte vgl. man auch den mit ausgezeichneter erkenntnistheoretischer Klarheit geschriebenen Artikel von Normann Campbell, Relativitätsprinzip und Aether, Deutsch von M. Iklé. Physikal. Zeitschr. 13, 1912, S. 120 ff.
  55. s. die ausserordentlich belehrende Kritik Machs in dessen Wärmelehre. Leipzig 1896, S 52 ff.
  56. s. Petzoldt, „Naturwissenschaft“ a. a. O. S. 51.
  57. Einstein, Zum gegenwärtigen Stande des Gravitationsproblems. Vortrag bei der 35. Naturforscherversammlung in Wien. Physik. Zeitschr. 14, 1918, S. 1249 ff. — Einstein und Grossmann, Entwurf einer verallgemeinerten Relativitätstheorie und einer Theorie der Gravitation. Teubner 1913.
  58. Annal. d. Physik 17, 1905, S. 904.
  59. Langevin, L’évolution de l’espace et du temps, a. a. O, S.48 f. v. Laue, Das Relativitätsprinzip. Frischeisen-Köhlers Jahrbücher der Philosophie 1, 1913, S. 114.
  60. Diesen letzteren Satz hält Gehrcke („Ueber den Sinn der absoluten Bewegung von Körpern“, a. a. O. S. 220 f.) in völligem Missverstehen der Grundlage der Relativitätstheorie für „logisch inkonsequent“, mit der Einsteinschen Zeitdefinition für unvereinbar.
  61. vgl. auch Normann Campbell, a. a O. S. 123 f.
  62. a. a. O. S. 115.
  63. Zeitschr. für den physikal. u. chem. Unterricht a. a. O.