Die Sempacher-Schlacht-Feier

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Sempacher-Schlacht-Feier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 725-726
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[725]

Die Sempacher-Schlacht-Feier.

Unsere tapfern Vorfahren, die alten Schweizer, hatten seit dem Anfange ihrer mit Schweiß und Blut so schwer errungenen Freiheit und Unabhängigkeit die fromme Uebung angenommen, auf jeder geschichtlich denkwürdigen Stätte, wo eine verdienstliche, vaterländische That geschehen, eine Capelle zu erbauen. Es entsprach dieses ganz ihrem einfachen, aber tiefen Sinne lebendiger und kindlicher Gottesfurcht, in welchem sie vor Beginn der Schlacht den Lenker der Menschenschicksale um seinen Beistand anflehten, und dann nach erfochtenem Siege zu Dank und Ehren ihm ein Heiligthum erbauten, in welchem in Dankbarkeit und Liebe auch der gefallenen Väter und ihres Seelenheiles sollte gedacht werden. In diesem Sinne und Geiste beschloß die Bürgerschaft von Luzern gleich nach dem ruhmvoll ob Sempach über den Adel Oesterreichs errungenen Siege, auf der Wahlstatt vor dem Walde zu Ehren Sanct Jacobs des Aeltern eine Capelle zu erbauen, in welcher alljährlich auf Montag nach St. Ulrichstag eine „Schlacht-Jahrzeitfeier Gott zu Ehren, Lob und Dank, den Gefallenen aber zum Angedenken und Seelenheile“ sollte abgehalten werden. Bevor der erste Jahrestag der Schlacht wiedergekehrt war, wurde die Capelle am 5. Heumonat 1387 schon eingeweiht und die Feier der Kirchweihe auf den Sonntag vor der Schlacht-Jahrzeit mit pfarramtlichem Gottesdienste in der Schlachtcapelle festgesetzt.

An der Capelle.
Nach der Natur aufgenommen von Anton Büttler in Luzern.

Wie aus der Geschichte bekannt ist, wurden mit der Leiche des edelsinnigen Herzogs Leopold von Oesterreich diejenigen der gefallenen Edeln ihren Familien bereitwillig überlassen, welche dieselben theils nach Münster und Königsfelden, theils auch in besondere Familiengrüfte abführten. Wessen Leiche während den drei Tagen, welche die Eidgenossen alter germanischer Sitte gemäß, der allfälligen Wiederkehr des Feindes gewärtig, auf dem Schlachtfelde verharrten, nicht auf der Wahlstatt abgeholt wurde, ward vor dem Abzuge der Eidgenossen auf dem Schlachtfelde begraben. Dreiunddreißig Jahre nachher erhielt Rudolph von Hallwyl auf sein Gesuch die Erlaubniß, die Gebeine der auf dem Schlachtfelde Bestatteten zu sammeln und bei der damaligen Pfarrkirche von Sempach in „geweihte Erde“ zu legen. Seit dieser Zeit hat der Pfarrer von Eich die Verpflichtung, am Tage der Schlachtfeier eine Gedächtnißmesse für die bei der Kirche beerdigten Österreicher zu lesen und ihre Gräber zu besuchen. Aehnliche kirchliche Gedächtnißfeiern werden am gleichen Tage auch in der Stiftskirche im Hof zu Luzern, in Kriens und Münster abgehalten.

Seit Einweihung der Capelle auf dem Schlachtfelde war die Landesregierung für Erhaltung und Ausschmückung derselben und für kirchliche Hebung der Schlachtfeier selbst eifrig besorgt und zwar Alles auf Kosten des Staates. Priester, zur Feier der heiligen Meßopfer, wurden engagirt und neben der kirchlichen Feier auch die Armen nicht vergessen und mit derselben das Austheilen eines Almosens verbunden und zwar „jedem Mensch ein Brod bis auf zehn Gulden werth.“ Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Capelle wiederholt erneuert. Die gegenwärtige Gestalt erhielt dieselbe im Jahre 1825. Xaver Hecht malte ein großen Schlachtbild, die Auffrischung der Frescomalerei besorgte Meister Barrozi von Brisago.

Zur Besorgung der Capelle bestellte die Landesregierung einen „Schlachtbruder“ oder Sigrist, der zugleich Pächter des kleinen Staatsgütleins ist, auf dem dieselbe steht. Nach diesen geschichtlich nothwendigen Erörterungen gehen wir zur Schilderung der gegenwärtigen Schlacht-Jahrzeitfeier über.

Mitten im gesegneten Luzernergau liegt von immergrünen Wiesen und wogenden Saatfeldern lieblich umrahmt der schöne blaue Sempachersee und an demselben, von altersgrauen, epheuumrankten [726] Mauern und Thürmen umgeben, die kleine Stadt. Ueber beiden, an sanftansteigender, fruchtbarer Bergeshalde, steht zwischen prächtigen Wallnuß- und Obstbäumen halbversteckt die blendendweiße Schlachtcapelle mit rothem Dach und Thürmchen ungemein malerisch da, und leuchtet wie ein Edelstein im Glanz der Sonne weit in's schöne Land hinaus. Die schöpferische Einbildungskraft des trefflichsten Landschaftsmalern könnte sich wohl kein lieblicheres Bild gestalten. Neben der Capelle steht das kleine Beinhaus zum Aufbewahren der von der Pflugschaar an’s Tageslicht gebrachten Knochen der Erschlagenen, und ringsherum vier uralte, niedrige Kreuzsteine. Mit dem ersten Grauen des Jahrzeittages laden die beiden Glöcklein der Capelle mit beweglichem Gebimbel zur Frühmesse ein. Ihr folgen, je nach mehr oder weniger starkem geistlichen Besuche, 15 bis 20 andere Messen, darunter drei feierliche Hochämter. Von allen Seiten her strömt das festlich gekleidete Landvolk zur Capelle und füllt vom frühesten Morgen bis zur Beendigung der Festfeier ihren Raum. Die Cantonsschule und das Lehrerseminar haben Ferien. Studenten und Lehramtskandidaten rücken daher am frühen Morgen mit ihren weißrothen und weißblauen Vereinsfahnen und mit Musik aus, um mit besonderer Vor- und Nachfeier, mit eigener Festrede, mit Musik und Gesang die Schlachtfeier zu begehen. Hinter der Capelle, im Schatten der herrlichsten Nußbäume, deren breite Schlagschatten sich ungemein malerisch an den weißen Mauern des Kirchleins abheben, ist ein großes blauweißes Zelt errichtet, zur Aufnahme der Regierungsabgeordneten und der zahlreich anwesenden Geistlichkeit. Unter demselben, an die Mauer der Capelle gelehnt, steht die kleine hölzerne Kanzel für den Ehrenprediger.

Es ist 8 Uhr. Eine Menge Volks hat sich schon in malerischen Gruppen um die Capelle aufgestellt. Von ferne ertönt Musik und flattern drei Fahnen. Jetzt folgt wohltönender Gesang, das begeisterte Sempacher Schlachtlied: „Laßt hören aus alten Zeiten“ etc. Es sind die Studenten, die heranrücken. Nach Absingung eines Einleitungsliedes mit Musikbegleitung betritt der von ihnen in besonderer Versammlung auserkorene Redner die Kanzel und spricht in jugendlicher Begeisterung von den Großthaten der Väter. Das Volk lauscht gerne den jugendlichen Worten des Musensohnes, und Mancher nickt dem Nachbar zu und sagt: „Der hat ein Redhaus, das giebt einen Pfarrer!“ Während der Rede kommt der Staatswagen mit dem Regierungsabgeordneten, Rathsschreiber und Ehrenprediger angefahren, der Staatsweibel in dem weißblauen Mantel und Nebelspalter neben dem Kutscher auf dem Bock; sie werden mit einer Rede begrüßt. Unterdessen ist die kurze, aber begeisterte Feier der Studenten zu Ende, und die Musensöhne räumen den Platz, den nun die Regierungsabgeordneten und die Geistlichkeit einnehmen. Die Ehrenpredigt beginnt. Von dem Religionslehrer des Lehrerseminars gehalten, war sie dieses Jahr einfach, kurz, allgemein verständlich und volksthümlich gehalten. Sie schilderte den Geist der Bruderliebe und Eintracht, der unsere Väter in den Freiheitsschlachten beseelt, und den wir in den gemeinnützigen Bestrebungen unserer Gegenwart durch die Macht der Bereinigung schon bethätigen und immer noch mehr bethätigen sollen.

Während der Predigt bildet die kleine Volksversammlung um das Zelt ein sehr belebtes Bild. Hier eine Gruppe hübscher, leise plaudernder Landmädchen in ihrer kleidsamen modernisirten Tracht, und um sie flanirend junge Burschen, die sichere Kunde bekommen von dem sonst geheim gehaltenen Bittgang an die Schlacht-Jahrzeit. Dort eine Schaar Studenten mit ihren Fahnen und farbigen Mützen im Schallen der Bäume behaglich hingelagert. Ueber das Ganze spannt der reine Himmel seinen blauen Bogen und gießt die heiße Julisonne in reicher Fülle zitternd ihr belebendes Licht.

Nachdem die Ehrenpredigt beendigt ist, betritt der Leutpriester von Sempach in pfarramtlichem Ornate die Kanzel und liest mit sehr vernehmlicher, weithin tönender Stimme in alterthümlicher Sprachweise den sehr merkwürdigen Schlachtbericht aus dem Jahrzeitbuche der Schlachtcapelle. Derselbe ist von Leutpriester J. Ulrich im Jahr 1577 und zwar höchst wahrscheinlich nach ältern Vorlagen verfaßt. In schmucklos einfacher, aber um so wirksamerer Sprache erzählt er die Ursachen und den Verlauf des Krieges, nennt die erbeuteten Banner, wohin sie bei der Vertheilung gekommen, giebt das Verzeichniß der gefallenen Edlen, wie aller auf der Wahlstatt gebliebenen Eidgenossen und schließt in dem allgemeinen Gebete mit den rührenden Worten: „Laßt um Gotteswillen uns eingedenk sein aller Derjenigen, die auf dieser Wahlstatt sowohl auf unserer, als auf österreichischer Seite geblieben und umgekommen sind, deren Jahrestag und Gedächtniß heute gehalten wird.“

Nach beendigtem Gebete wird das letzte feierliche Hochamt mit Musikbegleitung abgehalten, nach welchem sämmtliche anwesende Geistliche mit der Abordnung der Landesregierung unter Vortragung von Kreuz und Fahne aus der Capelle ziehen zum kirchlichen Grabbesuche der Gefallenen. Das alte schöne Kirchenlied „Libera nos“ ertönt. Zuerst wird das Beinhaus mit den Knochen der Gefallenen mit Weihwasser und Weihrauch eingesegnet, nachher die vier Kreuzsteine, bei welchen jedes Mal ein kurzer Halt gemacht wird. Ringsum umsteht den Bittgang das betende Volk in ernster Haltung und in malerischen Gruppen. Ist auch diese kirchliche Todtenfeier endlich zu Ende, dann vertheilt der Leutpriester von Sempach das Almosen der Landesregierung, das 57 Franken beträgt, unter die zahlreich zusammengeströmten Armen. Während dieser Zeit findet im Schatten eines riesenmäßigen Nußbaumes oberhalb der Schlachtcapelle die Nachfeier der Lehramtscandidaten ebenfalls mit Anrede und Gesang statt, und nach derselben ziehen sie, vereint mit den Studenten unter Musik und Gesang und die vier lustig flatternden Fahnen voran, hinunter in das Städtchen, wo ein bescheidenes Mittagsmahl sie erwartet. Bei demselben wurde dieses Jahr beschlossen, in telegraphischer Zuschrift Herrn Prof. Rauchenstein in Aarau den Dank der studirenden Jugend von Luzern auszusprechen, weil er sich die verdienstliche Mühe genommen, gegenüber der geschichtlichen Scheidewasserkritik der Neuzeit, namentlich eines Ottokar Lorenz in Wien, die Existenz Winkelried’s festzustellen. Der greise Professor beantwortete sogleich umgehend durch den Telegraph diesen Ausdruck jugendlicher Erkenntlichkeit mit den Worten: „Glücklich das Land, wo die Jugend mit dem Herzen die Thaten der Väter ehrt und ihnen nacheifert; an solcher Jugend können die Alten nur Freude haben.“

Die Landesregierung hält durch ihren Abgeordneten für die anwesenden Geistlichen, sowie für angesehene Festbesucher von Luzern, von Sempach und Umgebung Freitafel mit 80 bis 100 Gedecken, zu der sie durch ihren Standesweibel gastfreundlich die Gäste einladen läßt. Während des Mahles bringen Studenten und Lehramtskandidaten nach einander Ständchen mit Musik und Gesang, und erhalten dafür aus der freigebigen Hand des Regierungsabgeordneten ihre Spenden an Ehrenwein. Trinksprüche und vaterländische Lieder beleben die Tafelfreuden, und es bewährt sich dabei das Wort unseres schweizerischen Thukydides Johannes v. Müller: „Das ist allerdings der beste Theil des Festes, wenn der Mensch auf Gott getrost, mit all seinen Brüdern guten Muthes ist. –

Noch bleibt uns am Schlusse unserer Schilderung übrig, die verehrten Leser der Gartenlaube auf den jetzigen Schlachtenbruder oder Sigristen aufmerksam zu machen, falls sie sich bewogen finden sollten, auf einer genußvollen Schweizerreise im nächsten Sommer von der Eisenbahnstation Sempach aus eine Wallfahrt auf das Schlachtfeld zu unternehmen. Sie werden in dem alten lebhaften Männchen ein Original von Cicerone finden, wie ein solches wohl eine Seltenheit ist. Aus einer alten Züricher Chronik, die er einst gelesen, kennt er Einzelnheiten aus dem Verlaufe der Sempacher Schlacht, die Niemandem sonst bekannt sind. Noch hat er bei seinen Lebzeiten die Eisentafel an einer einsamen Eiche gekannt, worauf zu lesen stund, daß daselbst Winkelried den Seinen eine Gasse gemacht. Franz Helfenstein, so heißt der Schlachtsigrist, weiß Bescheid von der Lilie, welche da entsprossen, wo jetzt der Hochaltar der Schlachtcapelle steht, auf welchem Grund und Boden der Erzherzog Leopold sein junges Leben gelassen. Seine Gattin sei dann gekommen und habe die Eidgenossen gebeten, das Köstlichste von der Hinterlassenschaft ihres Gemahls, das sie zu tragen vermöchte, wegnehmen zu dürfen. Das sei ihr willig gestattet worden. Darauf habe sie den Leichnam ihres gefallenen Gatten in einen Sack gesteckt und habe solchen drei Schritte weit getragen, worauf er dann von Männern bis zur Wallfahrtscapelle in Gormund fortgeschafft worden sei. Nach Franzens Aussage rühren die Knochen im Beinhaus von den „ältesten Urenkeln“ her, und haben die Eidgenossen bei Sempach Finger an den Händen gehabt, so dick und lang wie Bratwürste. Derlei und noch viel andere wunderbare Sachen erzählt Franz Helfenstein, wohlbestallter Schlachtbruder, und zwar mit einer Lebendigkeit und Ueberzeugungskraft, welche den kühlsten Zweifler stutzig zu machen, und vom Saulus zum Paulus umzuwandeln vermag.