Zum Inhalt springen

Die Spinnstube

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Carl Theodor Griesinger
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Spinnstube
Untertitel:
aus: Silhouetten aus Schwaben.
S. 134–137
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: C. Drechsler
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Heilbronn
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Digitalisat bei Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[134]
36.
Die Spinnstube.

In jedem Dorfe gibt es eine Spinnstube. Die Spinnstube heißt auch Lichtkarz. Abends im Winter, wenn Alles ausgeschafft ist im Stall und in der Scheune, dann nehmen die ledigen Mädchen ihre Kunkeln und gehen zum freundlichen Nachbar, der eine große Stube hat und umsonst einheizt und umsonst Licht gibt, und bleiben dort oft bis 12 oder 2 Uhr des Nachts und spinnen. Zu Haus, wenn man zu lieb einbrennen müßte und Licht herthun, würde das Spinnen wenig Nutzen bringen, der Gulden käme auf achtzehn Batzen.

Allein so ganz umsonst thut’s der Spinnstubenhalter auch nicht und das Spinnen ist auch nicht immer die Hauptsache. Da kommen die ledigen Bursche, welche ihren Schatz in der Spinnstube wissen, um die Kunkel zu heben. Das Kunkelheben ist aber nichts anders, als eine verliebte Unterhaltung, wobei es an derben Spässen nicht fehlt. Die Burschen kommen nicht leer, sondern sie bringen etwas mit, nämlich Wein und oft auch Fleischwaaren, und der Spinnstubenhalter bekommt immer am meisten davon, und oft noch Geld dazu, damit er’s leide, wenn’s die Burschen oft zu toll treiben.

Das Kunkelheben ist aber noch nicht wieder die Hauptsache. Eine noch größere Hauptsache ist das Patschen oder Schwatzen. Da ist die Frau des Spinnstubenhalters, und vielleicht noch ein Paar andere Frauen, oder heirathslustige Wittwen, die geben den Ton an, und es wird erzählt, was vorgefallen ist den Tag über, und einander im Vertrauen mitgetheilt, was man diesem oder jenem nachsagt, daß der Hansjörg gestohlen habe und die Mariebärbel schwanger sey, und es ist eine [135] ärgere Klatscherei, als nur in irgend einer Caffeevisite eines Landstädtchens.

Das Klatschen ist aber auch wiederum nicht die größte Hauptsache, die allergrößten Hauptsachen sind die Geister. Die Abendunterhaltung in einer Spinnstube wäre gar nichts, wenn man nicht am Ende auf die Geister käme. Was ist ein Geist? Ein Geist ist ein Gespenst, und ein Gespenst ist die Seele eines Abgeschiedenen, aber keine unsichtbare Seele, sondern eine sichtbare, denn sie muß zu ihrer Strafe und Qual eine bestimmte Zeit auf dieser Erde herumwandeln. Es gibt darum keine guten Geister, sondern lauter schlimme. Der Gründe, warum einer laufen muß, oder geistet, gibt es verschiedene. Entweder hat er ein Verbrechen begangen, das allzugroß erscheint, als daß es Gott sogleich verzeihen könnte, oder aber, und öfter, war er ein Filz, ein Reicher, der dem Armen sein wenig Hab und Gut abzwackte, um sich nur allein gütlich damit zu thun, oder ein Amtmann, der die Bauern schund, daß sie die Lasten kaum erschwingen konnten, oder ein Edelmann, der seine Unterthanen plagte, daß sie alle ihre Zeit mit Frohndiensten hinbringen mußten, ohne für Weib und Kind etwas verdienen zu können. Die Orte, wo die Geister sich aufhalten, sind ebenfalls verschiedener Natur. Meistens sind es die Kirchhöfe, und es gibt kein ehrliches Schwabenmädchen, das Abends, wenn es bereits dunkelt, an einem solchen Ort vorbei oder gar darüber gienge. Um 12 Uhr über einen Kirchhof gehen, hieße Gott verachten. Allein auch andere Orte gibt’s. Jener reiche Bauer muß in seinem eigenen Hause laufen; im Keller, wo er sein Geld vergraben hat; oder auch Treppe auf, Treppe ab, und rumort herum und schlägt die Thüren zu und reißt die Schubladen auf und es klingt, als ob er Geld zählte. Oder ist es ein Acker, der unrechtmäßig erworben wurde, [136] und an den nun die Seele festgebunden ist, als an den Ort ihrer Qual, oder Lindenbaum, unter dem in frühern Zeiten Einer erschlagen wurde, oder ein verlassenes Kloster, oder ein alter Thurm, der Rest von einem Schlosse, das früher da gestanden hatte, oder das Amthaus, das jezt in ein Schulhaus verwandelt ist. Man sieht, daß die Geister eine große Auswahl haben, wo sie laufen wollen. Ein Geist ist übrigens sehr leicht zu erkennen. Entweder sieht man gar nichts, und hört blos einen Lärmen, oder sieht man nichts, als ein kleines Flämmchen, gleich einem blauflammenden Lichte, das hin und her hüpft, bald da, bald dort, jezt verschwindet und nun wieder auftaucht und hauptsächlich an sumpfigen Gegenden zu treffen ist. Oder ist’s ein Hund, ein schwarzer Pudel mit funkensprühenden Augen, der immer in Krümmungen sich umherbewegt und aussieht, wie der lebendige Teufel, oder ist’s ein Schimmel mit drei Füßen, oder ein Rappe, der Feuer und Flammen speit, und oben daruf sizt einer, und klatscht mit der Hezpeitsche, als ob er die Bauern prügeln wollte. Am erschrecklichsten ist’s, wenn der Geist einem Menschen gleich sieht. Man trifft diesen hauptsächlich auf Kreuzwegen und an größern Steigen. Bald sieht er übermenschlich groß aus, wie ein in Nebel zerfließender Riese, bald macht er sich wieder klein, wie ein Zwerg. Kommt ein Wagen, so hängt er sich an die Räder, wenn’s den Berg hinaufgeht und sperrt, daß die Pferde keuchen und schwizen und doch nicht vom Flecke kommen; wenn’s aber hinuntergeht, so hängt er sich vorne an und zieht für 8 Pferde und kein Halten hilft mehr etwas, im Galopp geht’s hinunter und Roß und Wagen stürzen zusammen am Fuße des Berges. Kommt dagegen ein einsamer Wanderer, so gesellt er sich zu ihm, wie einer, der desselben Weges kommt, plötzlich aber nimmt er einen Fuß oder einen [137] Arm von sich und schleudert ihn weit weg, und dann noch einen Arm und noch einen Fuß und dann den Kopf und rollt ihn vor sich her, wie eine Kegelkugel, und hüpft ihm nach mit dem Rumpfe, und den Wanderer ergreift Grausen und Entsetzen und er lauft, was er laufen kann, über Stock und Stein, immer aber hinter sich drein hört er das heisere Lachen des Geistes und er läuft die ganze Nacht hindurch und dennoch findet er sich des Morgens an demselben Plätzchen, von dem er ausgegangen, und es ist keine Veränderung mit ihm vorgegangen, als daß er todtmüde ist vom Schrecken und der Anstrengung.

Solche Dinge erzählt man sich in den Spinnstuben; Geschichte folgt auf Geschichte, immer eine gräulicher als die andere. Niemand von Allen, die da sind, hat noch einen Geist gesehen, aber der Hansjörg hat’s erzählt, und des Hansjörg’s Großmutter hat ihn auch gesehen, und Alle glauben steif und fest daran, und keine Predigt des Pfarrers und kein Raisonniren der Freigeister im Wirthshause bringt den Glauben aus den Leuten heraus. Das Kindsmädchen hat das Kind schon mit solchen Geschichten geschweigt, und was man in zartester Jugend empfangen, das bleibt das ganze Leben hindurch. Einen Vortheil hat der Geisterglauben: er ist ein Vehmgericht über die Todten. So wie einer was Schlechtes begangen, wenn’s auch nicht vor Gerichte bestraft wurde, sondern blos im Munde des Volkes bekannt ist, alsobald heißt es: er geht.

Mitternacht ist nun längst vorüber. Gesponnen ist zwar nicht viel geworden, aber es ist Zeit zum Nachhausegehen, kann aber das Mädchen allein nach Hause gehen? es wäre ihr zu grausig zu Muthe; ihr Bursch muß sie begleiten. Und er begleitet sie bis an’s Haus hin und oft auch bis in’s Haus hinein, und geht erst des Morgens nach Hause.