Die Sprache der Insecten

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Titel: Die Sprache der Insecten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 262-264
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Sprache der Insecten.
Bewußtsein im Thier. – Gerechtfertigte Fabeldichter. – Die Sprache der Ameisen. – Unterhaltungen und Berathungen der Bienen. – Käfergespräche.

Instinct oder Verstand und bewußter Wille? So lange es ein menschliches Denken giebt, ist diese Frage in Bezug auf das Sein und Bewegen, die Fähigkeiten und Lebensäußerungen der Thiere ein Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen. Aber erst von der modernen Naturwissenschaft sind diese Untersuchungen durch scharf geführte Beweise, durch umfassende Beobachtungen und Forschungen zu Gunsten des Verstandes gegen die hergebrachte Annahme eines Instincts entschieden worden, so weit man unter Instinct die zweckmäßig, aber ohne Bewußtsein und Ueberlegung wirkende Verrichtung einer Maschine versteht. Es kann nichts Fesselnderes geben, als den Gründen nachzugehen, welche zu dieser in geistiger und sittlicher Hinsicht überaus wichtigen Entscheidung geführt haben. Auf den ersten Blick freilich werden dem Neuling die dabei ihm offenbarten Thatsachen aus dem seelischen Leben der Thiere so fabelhaft und unglaublich erscheinen, daß er Erzeugnisse dichterischer Phantasie vor sich zu haben glaubt. Fehlt es ihm aber nicht an einiger Ausdauer und Empfänglichkeit, so muß er unter Anderm allmählich gewahr werden, wie die betreffenden Enthüllungen nicht dem Gehirne eines Einzelnen entsprungen, sondern in meistens – so weit es die Hauptpunkte betrifft – übereinstimmender Weise von den verschiedensten, zum Theil geistig hervorragendsten Menschen, an den verschiedensten Orten und zu den verschiedensten Zeiten auf dem Wege angestrengtesten Studiums gemacht worden sind. Schon dieser Umstand muß in Bezug auf das Wesentliche alle aufsteigenden Zweifel beseitigen oder doch bedeutend einschränken und uns überzeugen, daß wir es in jenen Mittheilungen und den daraus gezogenen Schlüssen durchaus nur mit Wirklichkeiten zu thun haben.

Zu einem nach allgemein anerkannten Grundsätzen geordneten System der Thierseelenkunde hat es freilich die Wissenschaft noch nicht gebracht. Aber man kann wohl sagen, es ist durch eine kaum übersehbare Menge tiefgreifender Einzelforschungen der Schlüssel gefunden zu den Räthseln der Thierwelt. Nicht allein in Bezug auf die großen und höher organisirten Thiere hat unermüdeter Scharfblick die Verwandtschaft mit dem Denken und Wollen des menschlichen Wesens bis zur Unleugbarkeit nachgewiesen, sondern immer tiefer ist er selbst in die geheimnißvolle Wunderwelt jener kleinen und vielfach so mißachteten Geschöpfe eingedrungen, die schwirrend und summend die Luft um uns her erfüllen, die mit ihrem kribbelnden Leben den Erdboden übersäen und die wir auf jedem Spaziergange achtlos unter unsere Füße treten. Schon von altersher ist freilich das Leben der Insecten einer der anziehendsten Gegenstände sinniger Naturbetrachtung gewesen, und zu allen Zeiten war es eine mit Leidenschaft betriebene Liebhaberei Einzelner, sich in diese Welt kleinsten Seins zu versenken. Um aber sichere Schlüsse aus diesen Beobachtungen herzuleiten, dazu fehlte jene Methode kritischer Sichtung und vergleichender Prüfung des hier und dort gesammelten Materials, welche jetzt in der Wissenschaft zur Regel geworden und neuerdings z. B. von Dr. Ludwig Büchner in einer hochinteressanten Darlegung angewendet wurde, die vor Kurzem unter dem Titel „Aus dem Geistesleben der Thiere, oder Staaten und Thaten im Kleinen“ in Berlin (bei A. Hofmann) erschienen ist. Unter Bezugnahme auf die große Frage des Instincts und zu besserer Entscheidung derselben schildert uns Büchner hier nicht etwa das ganze ungeheuere Reich der Insectenwelt, sondern nur eine beträchtliche Reihe bestimmter Züge aus dem Leben der Ameisen und Bienen, der Wespen, Spinnen und Käfer verschiedener Art. Fast jeder einzelne dieser Einblicke fesselt und spannt unsere Aufmerksamkeit in ungewöhnlichem Grade, aber insgesammt und in ihrer übersichtlichen Nebeneinanderstellung machen sie einen viel mächtigeren Eindruck, der weit über das Interesse einer bloßen Unterhaltung hinausgeht. Wer das gelesen hat, der zweifelt sicher nicht mehr, daß ein heller und warmer Strahl des die Welt erfüllenden Vernunftlichtes auch in jene winzigen Geschöpfchen gefallen und in ihnen zu einer hohen Stufe bewußten Lebens gekommen ist. Sehen wir unter der Masse der geführten Beweise zunächst nur einen der einfacheren ein.

An der poetischen Thierfabel als Unterrichtsmittel haben früher manche nüchterne und verstandesmäßige Pädagogen Anstoß genommen, weil diese Dichtung die Thiere menschlich sprechen und handeln lasse und damit dem Kinde etwas Unwahres lehre. Es scheint aber, als ob jetzt Aesop, Lafontaine und Gellert auch nach dieser Seite hin als gute Realisten zu Ehren kommen sollten. Denn für die ernste Forschung moderner Naturwissenschaft besteht gar kein Zweifel mehr, daß die Thiere in den Schranken ihres Gesichts- und Lebenskreises ein dem menschlichen sehr ähnliches Denken und Handeln entwickeln und in der That auch durch eine besondere Sprache sich gegenseitig verständigen und unterhalten. Wenn dies in Bezug auf die Säugethiere und Vögel bei allen Kennern bereits als eine ausgemachte Sache gilt, so sind doch in dieser Hinsicht noch viel wunderbarere Entdeckungen an den kleinen zu Gesellschaften sich organisirenden Insecten gemacht worden. Gewiß, es ist vollständig erwiesen, daß diese Thierchen durch gewisse Töne, daß aber viele derselben namentlich durch die an ihren Köpfen befindlichen, auch noch anderen Zwecken dienenden Fühler mit einander sprechen können und sprechen. „Zwei Ameisen,“ sagt Büchner, „die mit einander reden und sich unterhalten, sieht man mit den Köpfen einander gegenüberstehen und sich mit ihren überaus empfindlichen und beweglichen Fühlern auf das Lebhafteste gegenseitig bearbeiten, an die Köpfe schlagen etc. Daß sie sich auf diese Weise gegenseitig sehr detaillirte Mittheilungen und zwar über ganz bestimmte Dinge zu machen im Stande sind, wird durch zahllose Beispiele erwiesen.“ „Ich habe öfter,“ so erzählt der Engländer Jesse, „eine kleine grüne Raupe in die Nähe eines Ameisenhaufens gebracht. Sie wird sofort von einer Ameise ergriffen, welche sich zu einer andern Ameise begiebt, nachdem sie vergebliche Anstrengungen gemacht, die Raupe in das Nest hinabzuziehen. Man sieht nun, wie beide Thierchen mit Hülfe ihrer Fühler eine Unterhaltung zusammen pflegen, nach deren Beendigung sie sich gemeinsam zu der Raupe begeben, um dieselbe mit vereinten Kräften in das Nest hinabzuziehen. Oefter auch habe ich beobachtet, wie sich zwei Ameisen auf dem Wege von und zu ihrem Neste einander begegneten. Sie bleiben stehen, berühren sich gegenseitig mit ihren Fühlern und scheinen eine Unterhaltung zu führen, welche sich, wie ich aus guten Gründen vermuthe, auf den besten Platz zum Fouragiren bezieht.“ So erzählt auch Hague in einem Briefe an Darwin, daß er durch einen Fingerdruck eines Tages eine Anzahl von Ameisen getödtet habe, welche aus einem Loche in der Wand täglich zu seinen auf dem Kaminsimse stehenden Blumen kamen und sich durch Wegbürsten nicht stören ließen. Die Tödtung hatte zur Folge, daß Neuherbeikommende sofort wieder umkehrten und ihre von der Gefahr noch nicht unterrichteten Cameraden ebenfalls zur Umkehr zu veranlassen suchten. Die sich einander Begegnenden hatten eine kurze Conversation, der übrigens nicht ein sofortiges Umkehren folgte, indem die begegnende Ameise sich zuerst eigene Ueberzeugung zu verschaffen suchte.

Ganz in derselben Weise halten auch die kriegführenden Ameisen Berathung, bevor sie ihre interessanten Feldzüge beginnen, und theilen auch, wie das vielmals beobachtet wurde, den gefaßten Beschluß einander mit. Ist eine Ameise hungrig, so theilt sie auch ihr Nahrungsbedürfniß durch Fühlerberührungen ihren Cameraden mit. Auch die hülflosen Larven werden so gemahnt, das Maul zum Empfange der Nahrung aufzuthun, und auch die gegenseitige Neigung oder Abneigung giebt sich durch eine solche Geberdensprache kund. Im Uebrigen ist der Beobachter Landois (Verfasser eines 1874 erschienenen Werkes über die Thierstimmen) durch seine Untersuchungen zu der Meinung gekommen, daß die Ameisen neben ihrer Geberdensprache auch eine Laut- und Tonsprache besitzen müßten, wenn dieselbe auch für das menschliche Ohr nicht hörbar ist. Er warf zum Beispiel eine große lebende Kreuzspinne mitten auf einen sehr belebten Ameisenhaufen. In einem Nu war der ganze Schwarm alarmirt und zwar mit einer Schnelligkeit, die Landois nur als eine Folge hörbarer Mittheilung erklären kann. Eine große Anzahl Ameisen stürzte sich auf die Spinne und es entspann sich ein äußerst heftiger Kampf, der mit der Ueberwältigung derselben endigte. Auch gelang es diesem Forscher, an dem Hintertheile der Ameisen, namentlich einer bestimmten Art, einen Ton-Apparat oder ein sogenanntes [263] Raspel-Organ nachzuweisen. Bei jener Art (Ponera) kann der raspelnde Laut von dem menschlichen Ohre gehört werden, bei den eigentlichen Ameisen nicht.

Es ist also nicht blos Mittheilungsbedürfniß bei diesen Thierchen vorhanden – was an sich schon Zeichen eines geistigen Lebens wäre – sondern auch Mittheilungsvermögen, obgleich dasselbe bei den verschiedenen Gattungen der Ameisen mehr oder weniger reich entwickelt ist. Wenn ein Wohnungswechsel unternommen werden soll, faßt bei manchen Arten eine Ameise die andre zwischen ihren Kiefern und trägt sie an den für die neue Wohnung ausersehenen Platz. Andre Arten wiederum bedürfen einer so drastischen Mittheilung nicht; sie verständigen sich über den Punkt durch Zeichen oder Gesten. Als viel bedeutender jedoch und wunderbarer erweisen sich die Leistungen, deren die Mittheilungsorgane der Bienen fähig sind. Wenn wir ihre Sprache auch nicht verstehen, so ist doch durch die eingehendsten und umfassendsten Untersuchungen festgestellt worden, daß sie in reichstem Maße vorhanden ist. So haben zweifellos die Wachen, welche die Bienen während der Sommerszeit Tag und Nacht an den Pforten ihrer Wohnungen unterhalten, unter ihren verschiedenen Functionen auch die Aufgabe, alle von außen kommenden Nachrichten in das Innere des Stockes zu befördern. Nach dem Beobachter de Fravière besitzen sie dafür eine Anzahl verschiedener Tonbiegungen in ihrer durch die Luftlöcher der Brust und des Hinterleibes erzeugten Stimme. Jede Tonbiegung hat eine besondere Bedeutung. Sobald eine Biene mit einer wichtigen Neuigkeit ankommt, wird sie sofort umringt, stößt zwei oder drei schrille Töne aus und berührt eine Genossin mit den langen, biegsamen und sehr empfindlichen Tastern oder Fühlern, welche nicht weniger als zwölf oder dreizehn Gelenke besitzen. Die Genossin giebt die Nachricht sofort auf dieselbe Art weiter, und alsbald ist die Neuigkeit durch den ganzen Stock verbreitet. Ist dieselbe angenehmer Art, betrifft sie z. B. die Entdeckung eines Zucker- oder Honigvorraths, oder eines blühenden Feldes u. dergl., so bleibt Alles in Ordnung. Dagegen entsteht große Aufregung, wenn die Nachricht einer drohenden Gefahr einläuft, oder wenn fremde Thiere in den Stock einzudringen drohen etc. Es scheint, daß solche Nachrichten vor allen andern der Königin mitgetheilt werden, als der wichtigsten Person im Staate.

Die Sprache der Bienen ist ganz sicher ebenfalls eine Ton- wie eine Geberdensprache, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich die Bienen mit Hülfe derselben nicht blos im Allgemeinen, sondern über sehr bestimmte und sehr verschiedene Dinge verständigen. Die Entdeckung irgend eines Zucker- oder sonstigen Nahrungsschatzes an beliebigem Platze durch eine einzelne Biene hat sofort zur Folge, daß binnen kurzer Zeit eine ganze Schaar hungriger Bienen daselbst ankommt – was selbstverständlich nur Folge einer bestimmten, durch die erste Biene an die Cameraden gemachten Mittheilung sein kann. Stellt man, wie der oben erwähnte Landois sagt, ein Schälchen mit Honig vor einen Bienenstock, so kommen alsbald wenige Bienen hervor, von denen einige ihre Stimme (tüt, tüt, tüt) erheben. Diese Stimme ist ziemlich hoch und von derselben Art, wie wenn eine ergriffene Biene ihre Stimme hören läßt. Auf diesen Ruf kommt sogleich eine große Schaar Bienen aus dem Stocke, um den gebotenen Honig einzusammeln. Wenn im Frühjahre der Bienenzüchter auf das in die Nähe der Stöcke von ihm gestellte Wasser aufmerksam machen will – sie bedürfen desselben zur Bereitung des Futterbreies, wenn der Brutansatz beginnt, und es ist mißlich, wenn sie es vielleicht aus weiter Ferne herbeiholen müssen – so braucht er nur ein mit Honig bestrichenes Stäbchen vor das Flugloch zu halten und die wenigen Bienen, welche sich zuerst darauf niederlassen, nach der Wasserstelle hinzutragen. Diese Wenigen genügen, um bei ihrer Rückkehr in den Stock das Vorhandensein des Wassers, sowie auch die Stelle selbst, zur Kenntniß der ganzen Colonie zu bringen.

Das beste Mittel zu gegenseitiger Verständigung besitzen aber die Bienen gleichfalls in ihren Tastern oder Fühlern, mit denen sie sich einander berühren, und zwar jedenfalls in vielfach verschiedener Weise. Am besten kann man diese Mittheilung durch Fühlerberührung beobachten, wenn man einem Stocke seine Königin nimmt. Erst einige Zeit, ungefähr eine Stunde nach diesem traurigen Ereignisse wird dasselbe einem kleinen Theile des Volkes bemerkbar, welcher Theil sodann aufhört zu arbeiten und nun hastig auf der Wabe hin- und herläuft. Doch gilt dies nur für einen Theil des Stockes und eine einzelne Wabenseite. Bald aber treten die aufgeregten Bienen aus dem kleinen Kreise heraus, in welchem sie sich anfangs umhertrieben, und wenn ihnen Gefährtinnen begegnen, so kreuzen sie gegenseitig ihre Fühler und berühren sich leicht. Die Bienen, welche den Eindruck dieser Fühlerberührung erhalten haben, werden nun ihrerseits auch unruhig und bringen ihre Unruhe und Verwirrung durch dieselbe Weise der Mittheilung auch in andre Theile der Wohnung. Die Unordnung nimmt rasend zu, verbreitet sich auch auf der andern Seite der Wabe, und zuletzt unter dem ganzen Volke, bis ein allgemeiner Wirrwarr erfolgt.

Ganz ähnliche Beobachtungen, wie an diesen als hochintelligent bekannten Insecten sind aber auch in der Käferwelt gemacht. So besitzen die sogenannten „Todtengräber“, gleich der großen Mehrzahl ihrer Käfer-Collegen, einen sehr ausgebildeten Raspel-Apparat, mit dessen Hülfe sie einen abgesetzten, schnarrenden Ton hervorbringen, der ihnen unter Anderem vielleicht dazu dient, sich gegenseitig zur Verrichtung ihres gemeinschaftlichen Geschäftes herbeizurufen. Jedenfalls können sie sich aber auch vermittelst ihrer Fühler gegenseitig verständigen oder einander Mittheilung machen. Dasselbe gilt indeß für alle Käfer ohne Ausnahme, und es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß dieselben ihre oft sehr mannigfaltig und selbst sonderbar gestalteten Fühler, ganz in derselben Art wie Bienen und Ameisen, zu gegenseitiger Verständigung benutzen, wenn auch die Mittheilungen, die sie einander zu machen haben, jedenfalls weit einfacherer Natur sind, als bei den genannten Thieren. An Dr. Büchner schrieb ein Herr Goelitz aus Marysville in Nordamerika darüber Folgendes: „Im Juli des vorigen Sommers fand ich eines Tages auf meinem Felde einen Haufen frischer Erde gleich einem Maulwurfshügel, auf welchem sich ein schwarz- und rothgestreifter Käfer mit langen Beinen und von der ungefähren Größe einer Hornisse abmühte, die Erde vor einem Loche, das gleich einem Stollen in die Anhöhe führte, fortzuschaffen und den Platz zu ebnen. Nachdem ich diesem Treiben eine Weile zugesehen hatte, bemerkte ich einen zweiten Käfer gleicher Art, welcher aus dem Innern des Loches ein Häufchen Erde bis an die Oeffnung schaffte und dann wieder im Berge verschwand. Alle vier bis fünf Minuten kam ein Haufen aus dem Loche, welchen der erstgenannte Käfer fortschaffte. Beinahe eine halbe Stunde war ich Zeuge dieser Experimente. Dann kam[1] der Käfer, welcher inwendig gearbeitet hatte, an das Tageslicht und lief zu seinem Cameraden hin. Beide steckten nun die Köpfe zusammen und trafen offenbar eine Verabredung, denn gleich darauf wechselten sie die Arbeit. Derjenige, welcher draußen gearbeitet, ging in den Berg, und der andere übernahm die Arbeit außerhalb. Noch eine Weile sah ich zu und entfernte mich dann mit dem Gedanken, daß diese Thierchen sich verständigen können wie die Menschen.“

Perty erzählt: „Zu einem im Garten auf dem Rücken liegenden Maikäfer kam ein Goldlaufkäfer, um ihn aufzufressen, konnte ihn aber nicht zwingen, lief in das nächste Bosqnet und kam mit einem Cameraden zurück, wo dann Beide den Maikäfer überwältigten und nach ihrem Schlupfwinkel schleppten.“ Auch von vielen anderen Käfern hat man beobachtet, daß sie sich zu gegenseitiger Hülfeleistung herbeirufen; in auffallender Weise ist dies bei dem sogenannten Pillen-Käfer (Atteuchus oder Scarabaeus sacer) der Fall, dessen merkwürdiges Gebahren den Alten so hohen Respect, einflößte, daß ihm die Aegypter göttliche Verehrung erwiesen. Dieser Atteuchus hat nämlich die merkwürdige Gewohnheit, ein bis zwei Zoll große Kugeln aus Mist anzufertigen, in denen er seine künftige Brut unterbringt, und welche er so lange vor sich herrollt, bis sie rund und fest geworden und an den Ort gekommen sind, wo er sie einzuscharren gedenkt. Um diesen Platz zu finden, hat der Käfer oft einen langen Weg zurückzulegen und überwindet dabei intelligent die Terrainschwierigkeiten. Bisweilen jedoch kommt es vor, daß die Kugel in ein Loch oder in eine Unebenheit hinabfällt, wo sie der Käfer nicht haben will und aus der er allein oder mit Hülfe des Gatten sie nicht befreien kann. Hier sieht man plötzlich den Käfer seine Kugel verlassen, seine Flügel ausspannen und sich in die Lüfte erheben. Hat man sodann Geduld genug, die Sache ein wenig abzuwarten, so sieht man den Flüchtling nach einiger Zeit wieder zurückkehren, und zwar in Begleitung von zwei, drei, [264] vier oder fünf Cameraden, die nun gemeinschaftlich die Kugel wieder in’s Rollen bringen. Am richtigen Platze angekommen, wird sodann mit den starken gezähnten Vorderfüßen, die wie ein Grabscheit wirken, ein Loch in die Erde gegraben, die Kugel hineingesenkt und die Erde wieder darüber hingescharrt.

Wir haben, wie gesagt, aus der Fülle der dargelegten Ermittelungen für heute nur den einen Punkt hervorgehoben und glauben, es wird Vielen neu sein, wenn sie hören, daß es sich nicht mehr um Vermuthungen oder Phantasien, sondern um wissenschaftlich beglaubigte Feststellungen handelt, wenn in gewissem Sinne von einem Sprechen der Thiere mit einander die Rede ist. Im Uebrigen aber bietet Büchner in seinen Schilderungen aus dem Geistesleben der Insecten noch eine so erhebliche Zahl anderweitiger Beobachtungen und Aufschlüsse merkwürdigster Art, daß wir uns im Weiteren noch einmal auf das Feld dieser vielfach so offen sich bietenden und doch noch den Meisten dunkel gebliebenen Lebenssphäre begeben werden. Nur eine bessere Aufklärung über das Seelen- und Empfindungsleben unserer thierischen Mitgeschöpfe, an sich schon ein unerschöpflicher Quell reichster Belehrung und Erhebung, wird allmählich zu einer von Sentimentalität freien, aber achtungs- und rücksichtsvolleren Behandlung der Thiere führen und damit unendlich veredelnd auf die Gesittung und Humanisirung der zukünftigen Geschlechter zurückwirken. Das wissenschaftliche Material zu einer solchen Erweiterung unseres Gesichtskreises ist in sehr ausgedehntem Maße geliefert. Machen denkende Menschen sich dasselbe nur theilweise zu eigen, so werden sie es gewiß nicht mehr als eine Uebertreibung belächeln können, wenn ein bewährter Kenner dieses Naturbereiches sagt: „Bei jedem Schritte auf dem ungeheuren Gebiete des Thierstudiums kommt man von Ueberraschung zu Ueberraschung, da man bei den Thieren Alles das wiederfindet, was man soeben erst in den geheimsten Falten des menschlichen Geistes und Herzens entdeckt hat. Die Temperamente und Leidenschaften, alle guten und schlechten Eigenschaften des Menschen steigen nacheinander vor uns aus dem weiten Meere des thierischen Lebens empor, und überall zeigt sich dem erstaunten Beobachter das treue Abbild unseres ganzen gesellschaftlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Lebens.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: kaum