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Die Stammburg Nassau

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CLXXXXI. Das Cap der guten Hoffnung Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CLXXXXII. Die Stammburg Nassau
CLXXXXIII. Quebeck am Lorenzstrom in Canada
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DIE STAMM-BURG NASSAU

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CLXXXXII. Die Stammburg Nassau.




Von unzähligen Keimen kommen immer nur einzelne zur Entwickelung. Tausend und hundert tausend Eicheln, deren jede die Saat eines Waldes in sich trägt, vermodern spurlos, bis eine sich Boden und Luft genug gewinnt, um heranzuwachsen zum kräftigen Baume. So ist’s auch mit dem Emporkommen des Menschen. Es gibt Millionen, die, ohne Erziehung, Bildung und Unterricht, in ihrem Leben nicht einmal zum kleinsten Anspruch auf Auszeichnung gelangen, habe die Natur sie noch so reich ausgestattet. Tausend Andere vereinigen mit den Anlagen die nöthige Bildung: dennoch haben sie keine Laufbahn, weil die Verhältnisse und Umstände ihnen entgegen sind. Und sind diese auch günstig, so reicht das nicht aus: – denn ohne Glück ist kein Gelingen. Viel seltner aber, als das glänzendste Gelingen, ist jene Treue des Glücks, gleichsam das Vererben desselben von Geschlecht auf Geschlecht, welches Familien von Stufe zu Stufe bis in den engen Kreis führt, der die Kronen der Erde unter sich getheilt hat. Das Naturgesetz, welches dem allmählig Entwickelten die längste Dauer verheißt, scheint, wie die Erfahrung lehrt, auch hier seine Anwendung zu finden. Jene Seltenen, die, durch Kraft und Genie, von der niedrigsten Stufe sich bis zur höchsten hinauf geschwungen, die Cromwell’s und Napoleone, verstanden nie die Kunst, dem Glücke Beständigkeit abzuringen, und die Versuche, ihren Nachkommen zu erhalten, was sie im Sturmschritt erobert, waren fast immer mißlungene. Zum dauernden Emporbringen der Familien sind weder große Charaktere, noch große Katastrophen absolut nothwendig. Jenes ist nicht Sache des Genies, sondern vielmehr einer, – durch Maximen leicht zu vererbenden – zähen Klugheit, welche es versteht, die Verhältnisse, wie sie sich auch darstellen mögen, für sich zu benutzen, mächtige Interessen mit ihrem Vortheil zu verknüpfen, und die ihnen oft selbst gebrechenden Kräfte in Andern für sich thätig seyn zu lassen.

An Beispielen von Familien, welche, niedrigen, oder obscuren Ursprungs, im Laufe der Jahrhunderte sich bis zu erblichen Kronenträgern emporarbeiteten, ist keine Geschichte reicher, als die deutsche. Wer Belege fordert, mag sich die Frage: wer und was waren die Stammväter der meisten Könige und Fürsten Europas? beantworten.

[16] Auch diese Trummer einer deutschen Ritterburg ist eine Wiege mächtiger Könige. Ein Nassauer führte den Kaiser-Szepter, ein anderer den brittischen Dreizack; noch herrschen Nassauer vom Throne Hollands in drei Welttheilen zugleich; und in der Heimath trägt es die herzogliche Krone. Aus den einfachen Rittereleuten sind erbliche Souveraine über ein mächtiges Reich und über eines der schönsten Länder Germaniens geworden.

Die Ruinen dieser merkwürdigen Burg liegen zwei Stunden von dem Badeorte Ems, und machen eine der schönsten Parthieen des reizenden Lahnthals. Ein isolirter, vom Lahnspiegel steil ansteigender Berg trägt sie, und von ihren Zinnen hat man eine zwar nicht sehr weite, aber sehr malerische Aussicht auf das freundliche Städtchen Nassau, auf die grünen Matten des Thals, und über herrliche Wälder. Die Erbauung der Burg geschah im Jahre 1101 durch einen Ritter von der Lauernburg, der sich fortan Nassau und Graf nannte. Er ist der Stammvater des mächtigen Dynasten-Geschlechts.

Obschon der Burg sammt dem Schloßberg die Auszeichnung ward, als unveräußerliches Stammgut der Familie Nassau zu gelten, und dieses Verhältniß sogar 1814 durch einen feierlichen Vertrag erneuert und bestätigt worden ist, so geschah für die Erhaltung der Ruine (zerstört ward die Burg im 30jährigen Kriege,) nichts, und sie wurde lange Jahre hindurch von den Anwohnern als ein Steinmagazin benutzt, aus dem sich Jeder holen mochte, was er brauchte. Bis auf den nobeln Thorweg, von dem man einen köstlichen Blick in’s Lahnthal hat, und einigen Mauerresten ist nichts mehr übrig. Um den Burgberg aber ziehen sich freundliche Anlagen her mit gebahnten Pfaden.