Die Uhr (Ompteda)
Die Uhr.
Im Café am Potsdamerplatz,
Wo die Menschen vorüberfluten,
Wo sich staut die treibende Menge,
Sitze ich oft, seitab vom Gedränge,
Lasse die Blicke hinübergleiten,
Sehe die Mädel vorüberschreiten,
Sei es allein auf flüchtigen Sohlen,
Sei es heimlicherweise, verstohlen,
An der Normaluhr zum Stelldichein …
Schräg gegenüber im Sonnenschein
Blinkt das Zifferblatt über den Platz …
Sass ich dort oft wohl eine Stunde,
Immer wenn es ein Viertel war,
Traf sich dort drüben ein liebendes Paar.
Und so ging es die Viertel fort,
Als gäbe es gar keinen anderen Ort,
Als das einzige Zifferblatt!
So gegen 7 erschien dann immer
Ein kleines, niedliches Frauenzimmer,
Ein blutjunges, frisches, herziges Ding.
Aeugte verschämt nach allen Seiten.
Immer scheu im Vorüberschreiten
Sah sie zur Uhr, bis endlich er kam
Und sie am Arme mit sich nahm.
Zwanzig und etliche Jahre alt.
Blonder Schnurrbart und blondes Haar:
Es war ein hübsches, ein stattliches Paar.
Das erste Mal, als ich sie gesehen,
Förmlich war er zu ihr und gemessen,
Hatte zu grüssen auch nicht vergessen!
Langsam darauf davon sie schritten,
Nebeneinander … nicht eingehenkt,
Als ginge die Mutter in ihrer Mitten!
Doch mit der Zeit ward er vertraut,
Hat ihr keck in die Augen geschaut,
Grüsste sie kaum, nahm sie gleich beim Arm,
War er zuerst ganz pünktlich erschienen,
Wartete bald sie mit finsteren Mienen!
Einmal kam er gar erst halb acht;
Immer noch hielt sie drüben die Wacht!
Stumm schritten sie dann des Weges fort.
Und endlich einmal, als es acht schon gar,
Er immer noch nicht gekommen war!
Da schlich sie davon. Hinüberzuspähn
Sie wischte die Wange mit zitternder Hand,
Das Wasser ihr in den Augen stand.
Dann sah ich noch zweimal sie wiederkommen,
Zwar hat er sie immer noch mit sich genommen,
Wie ich sie gesehn in der ersten Zeit,
Als ob zwischen ihnen, in ihrer Mitte,
Die Reue mahnend und trennend schritte!
Und eines Tages, als ich wieder sass
Der Zeiger drüben auf sieben stand:
Den Platz an der Uhr ich verlassen fand.
Das war vor zwei Jahren, und wieder heute
Sitze ich hier am gewohnten Platz,
Lasse die Blicke hinübergleiten,
Sehe die Mädel vorüberschreiten,
Sei es allein auf flüchtigen Sohlen,
Sei es nur heimlicherweise, verstohlen,
Wie ich drüben das Zifferblatt sehe,
Denke ich an das blutjunge Ding,
Das dort wartend und trippelnd ging,
Das dem Manne am Arme hing.
Ich wärme mich in dem Sonnengeflirr,
Ich schaue hinein in das Wagengewirr,
In all das bunte Abendgeschwärm,
Das Tramwaygeklingel, den Strassenlärm!
Und Beifall hat mein Auge gezollt
Dem schnittigen Gaul, der davor gespannt.
Ich schütze mich gegen das Licht mit der Hand:
Potztausend wie chic! Eine Dame lenkt
Sah ich den Kopf … ihr »Heh« laut gellt!
Scharf um die Ecke hat sie geschwenkt.
Da fällt es mir ein … mich täuschte das Kleid
Und das glitzernde, glänzende Ohrengeschmeid.
Eine Dame! … Nein, so trägt die sich nicht!
Im Strassengetriebe der Dogcart verschwand …
Ich starrte ihm lange nach, unverwandt …
Die Lichter brannten, und es ward Nacht,
Das Zifferblatt drüben, erleuchtet matt:
Der Kuppler der grossen Riesenstadt!
Mir war es, als grinste die Uhr mich an:
Glaubst Du denn, dass ich dafür was kann?