Die Wölfe
Auf des Rheines blauen Wellen
Zieht dahin ein schnelles Schiff,
Zieht vorüber Städte, Burgen,
Dorf und Wald und Felsenriff.
Kommend von dem Gnadenort,
Kehren mit Gebet und Liedern
Wieder nach der Heimath Port.
Pilger sitzen auch darinnen
Denn das Bad, wo man genesen,
Läßt man immer frohen Muths.
Fröhlich sind von Herzen Alle,
Hundertdreißig zählt die Schaar,
Aller Erdenfreuden baar.
Weinend sitzt da eine Mutter,
Ach! von greisen Haaren schon,
Und mit jammervoller Miene
Irr und wild sind seine Sinne
Wohl seit langen Jahren her;
Alle Bäder und Arzneien
Machen Den gesund nicht mehr.
Innig beten immerfort,
Und die Andern scherzen, lachen,
Sprechen Die kein einzig Wort.
Da erbrauset aus der Ferne
Wie wenn über Felsenklippen,
Wellen stürzen wild und jach.
Und mit blödem Starren hebet
Sich der Kranke nun voll Hast,
Er die Mutter fest umfaßt:
„Mutter! o dein Herz war immer
Fromm vor allen, treu und gut,
Warum hast du doch uns heute
„Weißt, o Mutter, du denn nimmer,
Daß Der wohl der schlimmste Feind,
Der im Herzen Tücke heget
Und von Außen freundlich scheint?
Dort von fern das Wolfsgeheul?
Ja, zum Fraß den schlimmen Wölfen
Werden Alle wir zu Theil.
„Mutter, o den Sohn, den kranken,
Mutter, weißt du, wer kann heilen
Alle Krankheit? – nur der Tod!“ –
Immer jammert so der Kranke
Zu der greisen Mutter auf
Reißt der Wellen wilder Lauf.
In die Strudel lenkt der Schiffsmann,
Der hier die Gefahr nicht kennt,
In die Strudel, die man ringsum
„Mutter, alle Krankheit heilen
Kann allein der Helfer Tod!
Horch! wie rings die Wölfe jappen!
Weh dir, Schiff, in deiner Noth!“ –
Sind mit Einem Mal verhallt;
Fluthgebrauße, Schiffeskrachen,
Lauter Jammer nur erschallt.
Weh! geborsten ist das Fahrzeug
All die Pilger sind versunken,
Hundertdreißig an der Zahl.
- ↑ So heißt eine für die Schiffer höchst gefährliche Stelle im Rheine, der sich hier durch mächtige Klippen Bahn brechen muß; zwischen Laufenburg und Seckingen.