Die Wahl der Flora

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Wahl der Flora
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aus: Zerstreute Blätter. Erste Sammlung.
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Erscheinungsdatum: 1785
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Scans auf Commons
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[175]

Die Wahl der Flora.

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Als Jupiter die Schöpfung, die er zu schaffen gedachte, in idealischen Gestalten vor sich rief, winkte er, und es erschien unter andern die blumige Flora. Wer mag ihre Reize beschreiben? wer ihre Schönheit schildern? Was je die Erde aus ihrem jungfräulichen Schooße gebar, war in ihrer Gestalt, in ihrem Wuchs, in ihren Farben, in ihrem Gewande[1] versammlet. Alle Götter schauten sie an; alle Göttinnen beneideten ihre Schönheit.

     Wähle dir, sprach Jupiter, aus dieser zahlreichen Schaar von Göttern und Genien einen Liebling; doch siehe zu, eitles Kind, daß dich deine Wahl nicht trüge!

     Leichtsinnig blickte Flora umher: und o hätte sie den schönen, den in Liebe für sie entbrannten Phöbus gewählet! Aber seine Schönheit war dem Mädchen zu hoch: seine Liebe für sie zu verschwiegen. [176] Flüchtig lief ihr Blick umher, und sie erwählte – wer hätte es gedacht? – einen der letzten aus der Zahl der Götter, den leichtsinnigen Zephyr.

     Sinnlose! sprach der Vater; daß dein Geschlecht auch in seinen geistigen Gestalten schon jeden buhlerischen, leicht auffallenden Reiz einer höhern stillern Liebe vorziehet! Hättest du diesen gewählt (er winkte auf Phöbus) du und dein ganzes Geschlecht hätte mit ihm die Unsterblichkeit getheilet. Aber jetzt, genieße deines Gatten!“

     Zephyr umarmte sie, und sie verschwand. Sie verflog als Blumenstaub ins Gebiet des Gottes der Lüfte.

     Als Jupiter die idealischen Gestalten seiner Welt zur Wirklichkeit brachte, und der Schooß der Erde dastand, die verstobnen Blumenkeime ins Leben zu gebähren, rief er dem über der Asche seiner Geliebten entschlummerten Zephyr: „wohlauf! o Jüngling, wohlauf! Bring’ deine Geliebte her, und siehe ihre irrdische Erscheinung.“ Zephyr kam mit dem Blumenstaube: Der Blumenstaub [177] flog hin über die Weite der Erde. Phöbus aus alter Liebe belebte ihn: die Göttinnen der Quellen und Ströme, aus schwesterlicher Neigung, durchdrangen ihn: Zephyr umfieng ihn, und Flora erschien in tausend vielfältigen sprießenden Blumen.

     Wie freute sich jede derselben, da sie ihren himmlischen Buhler wieder fand! sie überließen sich alle seinem tändelnden Kuß, seinen sanftwiegenden Armen. Kurze Freude! Sobald die Schöne ihren Busen geöfnet, und das hochzeitliche Bett in allen Reizen des Wohlgeruchs und der Farben bereitet hatte, verließ sie der satte Zephyr; und Phöbus, voll Mitleid über ihre zu gutwillig betrogene Liebe schafte mit seinem zehrenden Stral ihrem Gram ein früheres Ende.

     Jeden Frühling, ihr Mädchen, beginnet aufs neu dieselbe Geschichte. Ihr blühet wie Flora; wählt euch einen andern Geliebten als Zephyr.


  1. Vorlage:Gewandte