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Die Wartburg im Winterkleide

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: August Trinius
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Titel: Die Wartburg im Winterkleide
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 97, 99–100
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[97]

Die Wartburg im Winterkleide.
Nach einer Originalzeichnung von H. G. Vogel.

[99] Die Wartburg im Winterkleide. (Zu dem Bilde S. 97.) Schneegeflimmer! Frisch strahlende Wintersonne! Allüberall ein Leuchten und Schimmern, ein fast geheimnisvolles Schweigen, das Menschen und Dinge einzuhüllen scheint. Wie auf weichen Sohlen geht heute das Leben leise dahin, als wolle es jeden Schritt dämpfen angesichts der funkelnden Majestät, in welche der Winter die Welt kleidete. Stadt und Thäler, Bergzüge und Hochwald, alles deckt heute das glänzende, köstliche Weiß. Wie von Silberfiligran scheint jeder Zweig, jeder Halm überzogen, und drinnen im Walde weht es in Schleiern nieder, durchstrahlt von der Sonne leuchtendem Golde. Lichtblau schlägt der reine Winterhimmel seinen Bogen von Berg zu Berg, und tief in ihn hineingreifend ragt der Wartburg königliches Bild.

Der Zauber deutscher Sangeskunst und ritterlicher Minnezeit weht um ihre ehrwürdigen Mauern. Von hier oben aus ging es später wie ein Licht von unerhörter Kraft und Helle durch die aufhorchende Christenheit, und als das deutsche Volk nach der Befreiung von korsischer Willkürherrschaft die Knechtsfesseln der Reaktion zornig abschütteln wollte, da erklang von diesen Höhen der erste Mahn- und Weckruf, da lohten auf dem nachbarlichen Wadenberge die Leuchtfeuer eines nach Freiheit jauchzenden Jungdeutschlands auf.

So ist die hohe Bergesfeste uns allen ans Herz gewachsen! Und mit ihr und ihrem Bilde bleibt dauernd der Name Karl Alexanders verknüpft, des kunstbegeisterten hohen Burgherrn, der mit seltener Opferfreudigkeit die Wartburg aus Schutt und Trümmern neu erstehen ließ.

Wie im Schlummer liegt heute das Marienthal, durch das sich sommerlang ungezählte Tausende aus aller Herren Ländern drängen. Verhangen und verschneit sitzen tief eingemummelt die heiteren Landhäuser am Fuße der Thalwände, um deren kühn gezackte Felszinnen die Sonne ihre Strahlen spielen läßt. Nur da und dort steigt eine vereinzelte blaue Rauchsäule über einem Dache auf.

Höher schlängelt sich jetzt der Weg. Ueber den Bergen des Vordergrundes steigt einsam in der Ferne der Hörselberg herauf. Auch wer seinen Reichtum an Sagen nicht kennt, meint, sein Inneres müsse ein uralt Geheimnis bergen. Hörselberg und Wartburg gehören heute zusammen, seitdem das wehmütige Lied vom „Tanhäuser“ durch Richard Wagners Oper eine glänzende Auferstehung fand.

Wie reich ist doch die Wartburg für den, der da droben aus und ein gehen durfte! Ich habe sie zu allen Jahres- und Tageszeiten gesehen und immer rührte aufs neue der Zauber ihrer Schönheit mir ans Herz. Wie herrlich, wenn vor dem auftauchenden Tagesgestirn es wie ein Klingen durch den sich rötenden Felsen geht, [100] oder wenn der letzte Kuß der Sonne die Feste berührt. Wie herrlich ist dieser Burgberg im jungen Buchengrün, zur Mittagsstunde, wenn ein Summen durch den Wald zieht und alte Märchen für Sonntagskinder wieder lebendig werden, oder im sanften Mondesglanze, wenn es müde von den Bäumen rieselt und der Wald wie blutüberströmt sich vor den Blicken weitet! Ihren höchsten Zauber aber entfaltet die Wartburg für den, dem es vergönnt war, droben als Gast des Burgherrn weilen zu dürfen. Aus der lichterübertupften Stadt Eisenach gellt es dann den Felspfad hinauf, hinein in den Wald. Sternenglanz über uns, während aus den Fenstern der Feste matter Lichtschein bricht. Und nun den steinigen Hohlweg empor; der Thorriegel fällt zurück, über den holprigen Burghof, an der Rüstkammer, dem Bergfried geht’s hin und dann hinab in das Erdgeschoß des Palas, wo die ältesten Räume der Burg liegen, in denen einstens schon die ersten thüringer Landgrafen ihre Gäste empfingen. In den Kaminen prasselt zuckendes Feuer, Lichter breiten magische Helle über uralt seltsames Gerät, Waffen, Lauten, Humpen und Jagdschmuck. Zottige Bärenfelle decken den Steinestrich – eine längst begrabene Welt umfängt uns noch einmal mit der ganzen poetischen Kraft und Weihe. Fern, fern dünkt uns, was da draußen gärt und jagt. –

Höher ist der Mond gestiegen. Er hüllt mit verwirrendem Lichte das schweigende Thal ein zu meinen Füßen, er funkelt fast gespenstisch in den Fensterreihen, um Zinnen und Altane der Burg. Wie ein schimmernder Demant gleißt das Kreuz des hohen Bergfried durch die herrliche Nacht. Horch! Klang da nicht Lautenspiel von droben herab?! Huschten nicht Gestalten schattenhaft an den Fenstern hin? Wolfram von Eschenbach meistert das Spiel; man lauscht, man klatscht Beifall. Becher klingen, zum Tanze ordnen sich die Paare, und auf dem Hofe drängt sich das Ingesinde neugierig heran. Der Landgraf von Thüringen hält wieder Hof! … Wartburgzauber! Wartburgpoesie! A. Trinius.