Zum Inhalt springen

Die beiden Wandrer

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Christian Fürchtegott Gellert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die beiden Wandrer
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Drittes Buch. S. 274–276
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[274]
Die beiden Wandrer.


Zween Wandrer überfiel die Nacht.
O Velten, nimm dich ja in Acht,
Sprach Kunz, von Schrecken eingenommen,
Damit wir nicht vom Wege kommen.

5
Dort läßt sich schon ein Irrlicht sehn.

Nur daß wir uns nicht selber blenden,
Und uns nach diesem Lichte wenden;
Sonst ist es um den Weg geschehn.

     Schon gut! rief Velten, eile nur.

10
Doch, Bruder, wenn ich die Natur,

Und was ein Irrlicht sagen wollte,
Nur einmal recht verstehen sollte.
Studirte nennen es die Dunst,
Die aus den Sümpfen aufgestiegen.

15
Ich weis nicht, ob die Leute lügen;

Denn oft ist Lügen ihre Kunst.

     Sprich, Velten, ob du thöricht bist;
Du weißt nicht, was ein Irrlicht ist?
O dürft ichs nur bey Nachtzeit wagen!

20
Ich wollte dirs wohl anders sagen.

Ists wahr, daß du kein Irrlicht kennst,
Und bist schon nah an dreyßig Jahre?
Ein Irrlicht, daß mich Gott bewahre!
Ein Irrlicht, das ist ein Gespenst.

25
     Den Drachen hast du doch gesehn,

Der, wie zu Stephens Zeit geschehn,

[275]
Bey Kleindorf im Vorüberziehen

Getreyd und Kälber ausgespieen.
Das, was der Drach im Großen heißt,

30
Nenn ich das Irrlicht gern im Kleinen;

Denn da sie nur bey Nacht erscheinen,
So sind sie wohl kein guter Geist.

     Nein, Kunz, nein, sag ich! Nimmermehr!
Ein Irrwisch ist kein wütend Heer.

35
Ich, ohne, Kunz, dich dumm zu nennen,

Muß die Gespenster besser kennen.
Ein Rübezahl, ein solches Thier,
Als zu Gehofen ehedessen
Die Küch im Edelhof besessen,

40
Dieß sind Gespenster, glaube mir!


     Ein Irrwisch muß was anders seyn.
K. Wie, Velten, nennst du diesen Schein?
V. Ich nenn ihn Irrwisch. K. Ists erhöret?
Wer hat dich wieder das gelehret?

45
Ein Irrlicht heißts, kein Irrwisch nicht;

So spricht man ja mein Lebetage.
V. So spräche man? Nein, Kunz, ich sage,
Daß alle Welt ein Irrwisch spricht.

     K. Schweig, Velten, das klingt lügenhaft.

50
Ich hab es auf der Wanderschaft,

Und, Bruder, ohne viel zu schwören,
Von Meistern Irrlicht nennen hören.

[276]
So stritten sie noch lange Zeit

Itzt um die Sach, itzt um den Namen,

55
Bis sie zuletzt vom Wege kamen;

Und schimpfend schlossen sie den Streit.

 _______

     So streiten unstudirte Velten
Um Sachen, die sie nicht verstehn,
Und endigen den Streit mit Schelten.

60
Die Thoren sollten erst zu den gelehrten Velten

Und Kunzen in die Schule gehn!
Die streiten dialectisch schön,
Und ohne Wortkrieg, ohne Schelten,
Um Dinge, die sie ganz verstehn,

65
Und fehlen ihres Weges selten,

Weil sie den Weg der Schulen gehn;
Denn da läßt sich kein Irrlicht sehn.