Die brittische Gesellschaft zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse
[417] Die stets zunehmende Wichtigkeit der Manufacturen, ihre innige Verbindung mit den mechanischen Künsten und der Chemie weckten in England zuerst bei den Fabrikherren und später auch bei einem großen Theile ihrer Arbeiter, das Bedürfniß einer nähern Bekanntschaft mit den dahin einschlagenden Zweigen der Wissenschaft. Dieß veranlaßte die Gründung jener Arbeiter - Schulen (mechanics institutes), die man gegenwärtig bereits auf allen Punkten Großbritanniens findet, und die sich von allen andern bis jetzt bestehenden Volkserziehungs-Anstalten wesentlich unterscheiden. Diese letztern wurden entweder durch die Regierung errichtet, oder mittelst Privatsubscriptionen gegründet, so daß der Arme daselbst seinen Unterricht stets auf Kosten oder unter dem Einfluß des Reichen erhält. Die Arbeiter-Schulen hingegen wurden durch die, welche sie besuchen, selbst gegründet. Die Vortheile hievon sind unbestreitbar. Die Arbeiter - Schule in London (London mechanics institute) verbreitet mehr positive Kenntnisse und gibt überhaupt größere Resultate, als die hundertfach kostspieligeren öffentlichen Anstalten dieser Art auf dem Continent. Die Lectionen, die man daselbst ertheilt, sind den Bedürfnissen und dem Bildungsgrade der Zuhörer besser angemessen, und ohne sich in Theorien und Abstractionen zu verlieren, betrachtet man die Arithmetik, Geometrie, Algebra, Physik, Mechanik, Chemie, stets in ihrer speziellen Anwendung auf Künste und Gewerbe. Indessen ist der Unterricht nicht blos auf Gegenstände beschränkt, die in nächster Beziehung mit der Beschäftigung der Künster und Handwerker stehen, sondern erstreckt sich auch auf die übrigen Zweige der Wissenschaft, die in den Kreis des Gebildeten gehören; und man muß gestehen, daß die Aufmerksamkeit, das anständige Benehmen und das Interesse, das man in diesen Schulen findet, einem Auditorium vom höchsten Rang Ehre machen würde. Ich habe in dem Londoner Institute einem Curse über die Anatomie beigewohnt — der Saal war so gedrängt voll, und die Aufmerksamkeit so gespannt, als ob der Gegenstand von der höchsten Wichtigkeit für die Gewerbe gewesen wäre. Bei den Vorträgen über Staatswirthschaft, oder National - Oekonomie war es derselbe Fall. Man hat mit diesen Schulen passend ausgewählte Büchersammlungen verbunden, und ich bemerkte aus der Liste der bei den Handwerkern in Circulation befindlichen Bücher, daß die Elementarwerke über alle Theile der nützlichen Kenntnisse beständig in ihren Händen waren.
Um die Gründe um so mehr zu schätzen, welche diese Arbeiter bestimmen, sich nach den Mühen des Tages noch in Masse nach dem wissenschaftlichen Unterricht zu drängen, muß man wissen, daß sie für jeden Curs, dem sie beiwohnen, ein besonderes kleines Honorar bezahlen. Wäre der Unterricht unentgeldlich, oder erhielten sie, durch eine Subscription den freien Zutritt zu allen Cursen, so würden viele den Unterricht vielleicht eher vernachläßigen, und gleich den Studierenden der höhern Classen, lieber ihre Zeit vergeuden. Da sie aber jeden Cursus besonders bezahlen, so ist es blos der Wunsch, etwas Nützliches zu lernen, was sie bestimmen kann, von ihrem mäßigen Arbeitslohn, ein solches Opfer zu bringen.
Kurze Zeit nach Gründung dieser Schulen erschienen eine Menge periodischer Schriften über Wissenschaften und Künste. Gelehrte des ersten Ranges verschmähten es nicht, jene Journale zu redigiren, und, was noch wichtiger ist, auf die Bemerkungen und Fragen der Handwerker zur antworten, so daß auf diese Weise Praxis und Theorie, zu großem Vortheil für beide, mit einander verbunden wurden.
Auch die Rückwirkung auf die höhern Classen der Gesellschaft war nicht unbedeutend. Derjenige Theil der sogenannten höhern Stände, der sich über die vornehme Müßigkeit und Unwissenheit der Leute vom guten Ton erheben konnte, betrachtete mit Interesse die Fortschritte des Volks; aufgefordert durch dieses Beispiel, oder für die Zukunft eine nachtheilige Vergleichung - fürchtend, fühlten sie die Nothwendigkeit, mehr Zeit als sonst auf ernstere Studien zu verwenden. Auch kann diese erhöhte Aufmerksamkeit der höhern Classen auf die Elemente der Wissenschaften der wunderbaren Ausdehnung und Wichtigkeit zugeschrieben werden, welche das Maschinenwesen, namentlich die Dampfmaschinen, den Manufakturen des Landes, gab. Der große Einfluß der Wissenshaften auf das öffentliche Wohl mußte natürlich auch die Blicke der Grundeigenthümer auf sich ziehen, die bei dieser geistigen Revolution so sehr interessirt waren. Von allen Seiten wurde Lernbegierde und Forschung aufgeregt; aber da man sich erst mit den Anfangsgründen vertraut machen mußte, [418] so mußte jene Menge von Elementarwerken entstehen, welch die, gleichfalls ungeheuer ausgedehnte Presse zu Tag förderte.
In dieser Zeit gab Brougham, seine Untersuchung über Volks-Erziehung heraus, im welcher er zuerst dem Entwurf einer Gesellschaft zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse vorlegte. Augenscheinlich, sagte er, ist das, was der arbeitenden Classe fehlt, um größere Bildung zu erlangen, vorzüglich Zeit. Man muß daher für sie eine schnellere Lehrmethode ausfindig machen; der größere Theil muß sich begnügen, gewisse Grenzen nicht überschreiten zu wollen, aber er muß diese Grenzen auf dem kürzesten Weg erreichen. In der Geometrie z. B. wird es nicht nöthig seyn, den Zuhörer durch alle Stufengrade jenes herrlichen Systems durchzuführen, welches die allgemeinsten und entferntesten Wahrheiten an Begriffsbestimmungen und Axiome knüpft; es wird hinreichen, ihm nur die Haupteigenthümlichkeiten der Figuren beizubringen. Sollte es nicht ebenso möglich seyn, die Mechanik zu lehren, ohne jene gründlichen Vorkenntnisse der Geometrie und Algebra, die man gewöhnlich als unumgänglich nothwendig annimmt? Gelehrte würden daher ein großes Verdienst sich erwerben, wenn sie einen Theil ihrer Zeit opferten, um klare und bestimmte Elementarbücher über die Mathematik herauszugeben, das Nöthigste aus der Geometrie zusammenzustellen, die Hauptlehren der Physik etc. etc. und ihre Anwendung solchen Lesern vors Aug zu stellen, die noch keine bedeutenden Fortschritte in der Mathematik gemacht haben, so wie solchen, deren Unterricht sich noch nicht über die einfachsten Formeln der Arithmetik erstreckt. Man würde sich sehr irren, wenn man annähme, daß diese Bemühungen kein anderes Resultat geben würden, als daß sie unter dem Volke einige wissenschaftliche Elementarkenntnisse verbreiteten; obgleich auch schon blos dieser Zweck von den größten Vortheilen begleitet seyn müßte. Der Gedankenkreis der Masse des Volks würde sich erweitern; die Aufmerksamkeit würde sich auf edlere Gegenstände richten, und dieß sollte doch wohl der Hauptzweck selbst der erhabensten Philosophie seyn, den man auch gegenwärtig nimmer zu verkennen scheint, wo die Koryphäen der Wissenschaft aufgehört haben, auf die Menge nur mit Verachtung herabzublicken. Wenn überdieß ein stetes Fortschreiten zu allen Zeiten Zweck der Philosophie war, so wird dieser Zweck, wenn auch vielleicht indirect, viel sicherer erreicht werden, falls mit der Zahl der Beobachter auch die Forschungen und Erfahrungen sich vermehren. Lehrt man auch blos die Elemente der Wissenschaft, so wird der Schüler, der in sich Geschick und Beruf fühlt, seine Studien schon weiter verfolgen, und damit wird sich die Masse derer vermehren, die fähig sind, neue Blicke in die unerforschten Tiefen der Wissenschaften zu werfen, oder von den Resultaten der Wissenschaften eine neue sinnreiche Anwendung auf Künste und Gewerbe zu entdecken. [423] Augenscheinlich kann eine Gesellschaft in dieser Hinsicht bedeutendere Resultate erreichen, als es der isolirten Bemühung Einzelner möglich gewesen wäre. Von dieser Ansicht ausgehend, bildete sich in England eine Vereinigung von Männern, deren Zweck ist, die Bearbeitung und Herausgabe nützlicher Werke nach den oben bezeichneten Grundzügen zu befördern, und deren Anschaffung dem Arbeiter durch wohlfeile Preise zu erleichtern. Mehrere rühmlichst bekannte Staatsmänner vereinigten sich mit Brougham. Schnell nahm die Zahl der Mitglieder zu, und gegen das Ende des Jahres 1826 publicirte man den Prospectus der Gesellschaft. Der Zweck ist schon in dem Namen der Gesellschaft klar ausgedrückt: sie will unter allen Classen, vorzüglich den niedern, nützliche Kenntnisse verbreiten; um diesen Zweck zu erreichen, macht sie unter der Leitung und Sanction eines Comites, in periodischen Zwischenräumen, Abhandlungen, nach dem Verständniß der größern Masse der Leser berechnet, über alle Zweige der aufs Leben anwendbaren Wissenschaften bekannt. [424] Jede Abhandlung muß die summarische Auseinandersetzung der Hauptprincipien der betreffenden Wissenschaft enthalten, die nöthigen Beweise und Aufklärungen, so wie die praktischen Anwendungen der gegebenen Principien und Theorien, endlich, so weit es möglich ist, eine Darstellung der oft auf Schein und Täuschung beruhenden Momente der Wissenschaft.
Das mit der Leitung beauftragte Comite begann mit der Bestimmung der verschiedenen Abtheilungen und Unterabtheilungen des gesammten menschlichen Wissens. Es ging dabei von dem Wunsche aus, daß jeder selbstständige Theil einer Wissenschaft der Gegenstand einer besondern Abhandlung werden möchte. Im Fall die Wichtigkeit des Gegenstandes es erforderte, sollte die Haupt-Abhandlung noch von einer Ergänzungs-Abhandlung begleitet werden.
Jede Abhandlung sollte auf einen Raum von 32 Seiten in groß Octav mit zwei Columnen beschränkt, (so daß sie etwa 100 gewöhnlichen Octavseiten gleich käme) und mit, dem Texte beigedruckten Holzschnitten verziert werden. Der Preis jeder Abhandlung ist auf 6 Pence, oder ungefähr 18 Kreuzer festgesetzt, welcher bei einer größern Verbreitung noch niedriger gestellt werden soll. Regelmäßig am 1ten und 15ten jeden Monats soll eine Abhandlung erscheinen.
Die Hand, welche in dem ineinandergreifenden Räderwerk englischer Betriebsamkeit diese ungeheure Maschine zur Beförderung des intellectuellen, sittlichen und gesellschaftlichen Zustandes seiner Mitbürger ins Leben rief, war auch die, welche sie in Bewegung setzte: die erste Abhandlung, welche erschien, war aus Brougham’s Feder geflossen. Seine Vorlesung über den „Zweck, die Vortheile und Annehmlichkeiten der Wissenschaft“ dient als Einleitung für die Reihe von Abhandlungen über die zur Physik gehörenden Wissenschaften, mit welchen die Gesellschaft die Ausführung ihres Plans zu beginnen beschlossen hatte. Der Verfasser bezeichnet die Haupteintheilungen des menschlichen Wissens; er entwickelt die Natur und den Gegenstand der reinen Mathematik, Arithmetik, Geometrie, Algebra, dann die verschiedenen Zweige der von den Engländern sogenannten natürlichen Philosophie; und stets mit Glück findet und beschreibt er hiebei die wichtigsten Anwendungen dieser Wissenschaften auf die Bedürfnisse und Gewohnheiten des gesellschaftlichen Lebens.
Dieser Einleitungsschrift folgten bald zehn andere Abhandlungen: 1) Hydrostatik. 2) Hydraulik. 3) Pneumatik. 4) Wärmelehre. 5) Mechanik: 1te Abhandlung: von den mechanischen Kräften; 6) 2te Abhandlung: Elemente der Maschinenkunde. 7) 3te Abhandlung: Von der Reibung und der Anspannung der Saiten. 8) Von der thierischen Mechanik. 9) Auszug aus Baco’s novum organum. 10. Optik.
Der in diesen Abhandlungen herrschenden klaren, einfachen Behandlungsart muß man das nämliche Lob ertheilen, wie der Brougham’schen Einleitungsschrift. Auf jeder Seite erkennt man die Meister der Wissenschaft. Der Verschluß dieser Abhandlungen ist vielleicht der beste Beweis ihrer Nützlichkeit, denn wenn das Volk sie kauft, so liest es sie; fährt es fort, sie zu lesen, so versteht es sie auch, und die Gesellschaft hat ihren Zweck erreicht. Nun ist es bekannt, daß von Brougham’s Einleitungsschrift in Zeit von vier Monaten dreißigtausend Exemplare verkauft wurden. Von den folgenden Abhandlungen wurden gleich bei ihrem Erscheinen fünfzehntausend Exemplare abgesetzt, und der Verschluß nimmt noch immer so reißend zu, daß man die Zahl der Leser wenigstens auf fünfzigtausend anschlagen darf. Dem rühmlichen Beispiele der Britten ist in Frankreich die Gesellschaft zur Verbreitung des Elementar-Unterrichts gefolgt, und beide Nationen zeigen dem – in Sachen des Unterrichts zum Theil weiter vorgerückten Deutschland, wie die Wissenschaft angewendet werden muß, um für das Leben selbst die schönsten und belohnendsten Früchte zu tragen.