Die bunten Hefte
[107] Die bunten Hefte.
Voller Empörung und zugleich erschüttert lesen wir oft von Verbrechen und Greueltaten, die von Jugendlichen verübt wurden. Aber achselzuckend gehen wir hinweg über den häufig in der Presse gemachten Zusatz: „Der Einfluß der Schundliteratur macht sich auch in diesem Falle wieder geltend.“ Wir können uns kaum die einschneidende Wirkung der Lektüre klar machen, weil wir als Erwachsene glücklich an dieser Klippe vorüber sind und kaum begreifen, wie überhaupt jemand an den berüchtigten bunten Heften Gefallen finden kann. Lesen wir aber die Umsatzziffern der Schundliteratur, dann kann uns doch ein Gruseln überfallen. In vielen Millionen gehen jährlich die bunten Hefte hinaus in die Welt, in die Hütte, in den Keller, in die Dachstube, in die Mägde- und Gesindestuben, kurz überall hin, wo junge Menschenkinder ihre Hand ausstrecken nach allem, was glänzt und gleißt und lockt und – gruselig ist. Millionen von jungen hungrigen Seelen nehmen gierig das Gift in sich auf, das ihnen köstliche Labe dünkt.
Die gesunde Urteilskraft wird durch solche Lektüre getrübt, der Glaube an Törichtes, Ungereimtes, Absurdes gestärkt, aller Art von Aberglauben Tür und Tor geöffnet.
Die Jugend mit ihrer lebhaften Phantasie braucht Anregung, Unterhaltung, Brennstoff für das Feuer ihrer Seele. Es ist auch nicht weiter gefährlich, wenn die Geschichten dann und wann ins Abenteuerliche und Phantastische hinüberspielen, [108] wie wir das ja bei den Sagen und Märchen aller Zeiten und Völker haben, ohne daß diese das Kindergemüt vergifteten. Das Kind weiß dabei eben ganz genau: Das ist ja nur ein Märchen! Und dann sind alle Märchen von dem Geiste sittlicher Reinheit, ja oft von einer gewissen unverfälschten kernigen Moral getragen, während die Schundliteratur sich einerseits den Mantel der Wahrheit umhängt und andererseits mit den abscheulichsten Motiven operiert.
Was können wir Frauen nun tun im Kampfe gegen diesen gefährlichen Feind, dessen Macht wir nicht unterschätzen dürfen? Viel, unendlich viel! In erster Linie gilt es, die Lektüre unserer eigenen Kinder aufs strengste zu überwachen. Man wähle ruhig aus dem großen Schatze der Weltliteratur das aus, was dem kindlichen Bedürfnis nach Buntheit, Phantastik und Größe Rechnung trägt. Erwischt man aber seinen Jungen oder gar das Töchterchen dennoch über gefährlicher Lektüre, so reiße man sie ihm nicht einfach aus der Hand, denn das Verbotene reizt bekanntlich doppelt, sondern man gehe selbst das Buch mit dem Kinde durch und weise es aus den Unsinn des Inhalts hin. Appelliere an die eigene Urteilsfähigkeit und das Ehrgefühl der Kinder, so sind sie leicht zum Guten zu beeinflussen. Dann aber sorge man für ausgiebigsten Ersatz durch gute Bücher.
Die gewissenhafte Hausfrau wird auch einmal in die Mädchenkammer schauen, ob sich dort nicht eine stattliche Sammlung der bunten Hefte vorfindet, und dann mit freundlichem Zureden dem Mädchen andere Lektüre zur Verfügung stellen. Doch beileibe nicht zu gelehrte! Schlichte, einfache Sachen, die aus dem Volksleben gegriffen und leicht verständlich sind, werden am ehesten Beifall finden. Wo Lehrlinge im Hause sind, ist es auch kein Fehler, wenn die Herrin dann und wann mal in unauffälliger, liebenswürdiger Weise gute Bücher anbietet.
So kann die Frau ihr gut Teil dazu beitragen, daß die bunten Hefte allmählich dorthin wandern, wohin sie gehören, und die Jugend wieder an guter Lektüre gesundet und erstarkt.