Die erste Einladung
[420] Die erste Einladung. (Zu dem Bilde S. 408 und 409.) In der Jugendzeit unserer Großeltern war Werben und Freien mehr als heute an feierlichen Brauch und strenge Sitte gebunden. Verlöbnis und Ehe vollzogen sich in Formen, welche die Wahl der Herzen ganz unter die elterliche Obrigkeit stellten. Wie reines Herzensglück und warmer Anteil des Gemüts jedoch auch unter diesem Formenzwang gar wohl gediehen, läßt unser Bild in anmutendster Weise erkennen. Der junge Herr Gerichtsaktuar, der vor kurzem mit glücklichem Erfolg um die Hand der erwachsenen Tochter seines gestrengen Herrn Chefs bei diesem angehalten hat, ist zum erstenmal zur Sonntagstafel bei den künftigen Schwiegereltern geladen. Die Geliebte bekam er erst zu sehen, als es zu Tische ging. Hier aber ist es ihm vergönnt, sie sogleich im Amte der Wirtin walten zu sehen, und liebliche Bilder schwellen seine Brust von der kommenden Zeit, da sie als seine liebe Hausfrau am eigenen Tisch ihre häuslichen Talente entfalten wird. Ihr mit Worten zu sagen, was ihn bewegt, verbietet ihm die gute Sitte, der Respekt vor den Eltern der Angebeteten. Aber seine Blicke künden es ihr, während er ihr in gewählten Worten höflicher Galanterie seine Bewunderung ausdrückt. Der Herr Rat und die selbst noch jugendliche Frau Rätin sind sichtlich zufrieden mit der Wahl ihrer Aeltesten. Und auch dem hübschen Schwesterlein der Braut gefällt der zukünftige Herr Schwager.