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Die europäische Metropole des Schweinehandels

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Textdaten
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Titel: Die europäische Metropole des Schweinehandels
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 696
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[696] Die europäische Metropole des Schweinehandels. So Mancher wird sich jener Heerden von Schweinen erinnern, welche je zuweilen, unter lebhafter Antheilnahme seitens der lieben Jugend an dem Ereigniß, durch die Straßen seines Heimathsortes getrieben wurden und welche sich durch die Kauflust stets um ein paar Exemplare dieses nützlichen Hausthieres zu vermindern pflegten. Nur wenige jedoch dürften klar darüber geworden sein, wem diese Thiere eigentlich gehörten und woher sie kamen. Die Antwort ist, fast für alle Fälle, in folgenden Mittheilungen enthalten: Wenn man auf der Franz-Joseph-Bahn die fruchtbaren Gefilde des südlichen Böhmens durcheilt hat, gelangt man über Gmünd zur Station Vitis und von da zu Wagen in etwa zweieinhalb Stunden zur Hauptstadt des kontinentalen Schweinehandels: nach Thaya, einem Flecken von 7000 bis 8000 Einwohnern, welcher still, freundlich und sauber in einer sanften Thalmulde Niederösterreichs liegt. Wer da glaubt, daß hier der Appellplatz für jene vierfüßige Waare zu finden sei, der irrt gewaltig, denn Thaya ist lediglich die Hochburg dieser Großhändler, das Tusculum ihrer Familien, aber zugleich auch die Hauptschlagader ihres Capitals. Die Sitze dieser kleinen Crösusse charakterisiren sich dem Beschauer sofort durch ein komisch wirkendes Gemisch von Pracht und Geschmacklosigkeit, häufig gepaart mit einer schauderhaften Malerei an Thüren und Hausfluren. Es ist aber ausdrücklich zu bemerken, daß, entgegen der unappetitlichen Eigenschaft, welche der Handelswaare anhaftet, sich diese villenartigen Häuser von außen und innen durch große Sauberkeit und großstädtischen Comfort auszeichnen. Hier wohnen die Familien der Schweinehändler das ganze Jahr, während die Herren jährlich etwa nur viermal auf kurze Zeit heimzukommen pflegen, um die Ihrigen zu sehen und um neue Capitalien aufzunehmen, respektive zurückzuzahlen[WS 1], wie wir gleich sehen werden. Den übrigen Theil des Jahres verbringen sie auf ihren Comptoiren in Wien, den Pußten Ungarns oder in den Wäldern Galiziens, Ungarns, Slavoniens.

Unbedingt ein Unicum ist die finanzielle Seite des Geschäftes dieser Leute. Die Bauern von Thaya und Umgegend nämlich legen mit Vorliebe ihre Ersparnisse in die Hände der Schweinehändler gegen eine jährliche Verzinsung von 8 Procent, und zwar ohne jeden Schein und nur gegen das mündliche Versprechen der Rückzahlung nach einer gewissen Frist bei obengenannter Verzinsung. Und eigenthümlicher Weise hat sich dieser vertrauensselige Credit aufrecht erhalten, obgleich in der „Krachperiode“ eine große Menge Bauern durch den Bankerott einiger Schweinehändler, welche ihre Capitalien in faulen Banken Wiens untergebracht hatten, Alles verloren. Der Händler pilgert nun mit dem von den bäuerlichen Geldern gefüllten Portefeuille, welches bei seiner Abreise nicht selten 80,000 bis 100,000 Gulden bergen soll, nach Wien, wo er bereits von seinen Gehülfen, meist jungen Leuten, erwartet wird, die wiederum eine Menge Treiber unter sich haben.

Mit diesen Gehülfen schließt er die Geschäfte an Ort und Stelle ab, und jene zerstreuen sich mit den ihnen zugewiesenen Schweinelegionen nach allen Weltgegenden. Diese Gehülfen genießen aber auch andererseits ein seltenes Vertrauen seitens ihrer Herren, denn ein solcher kehrt oft genug nach monatelanger Abwesenheit mit einer Summe von 20,000 Gulden und darüber zurück, und Veruntreuungen sollen trotzdem kaum je vorkommen. Jene Schweineheerden, von denen Eingangs die Rede war, repräsentiren somit ein ganz eigenthümliches Stück Handel, an dessen Existenz man nicht ohne Interesse vorübergehen kann.


  1. Vorlage: zurückzuzahleu