Die malerischen und romantischen Stellen des Odenwaldes in ihrer Vorzeit und Gegenwart
In den geographischen Büchern wird unter dem Odenwalde gewöhnlich die Strecke Landes begriffen, welche zwischen dem Rheine, dem Main und dem Neckar liegt, und zwar von da an, wo sich der Neckar von seinem bisher meist nördlichen Laufe mehr nach Nordwesten und Westen wendet. Nach dieser Begränzung gehörte nicht nur das zwischenliegende bergige und hügelige Land, sondern auch die westliche Abdachung des Gebirges, welche die Bergstrasse bildet, und die daran stossende Ebene, die einen Theil des diesseitigen Rheinthales ausmacht, mit dazu. Letztere kommt aber schon in den ältesten Urkunden und zwar gleichzeitig mit dem Odenwalde unter der besondern Benennung Forehahi vor, welcher Name von dem altdeutschen Worte Foraha abzuleiten ist, das unsere Föhre bezeichnet[1]. Und noch heutiges Tages bestehen die Waldungen dieser Ebene grösstentheils aus Föhrenbäumen.
Man scheint darum richtiger die Bergstrasse als die westliche Gränze des Odenwaldes anzunehmen, während der Neckar als die südliche und der Main als die nördliche Gränze gelten müssen. Nur in Osten bleibt sie etwas unbestimmt. Wir glauben sie am richtigsten zu bezeichnen, indem wir vom Maine bei Miltenberg dem Mudauthale folgen, und bei Obermudau über die Schneeschmelze nach Langenelz zu gehen, von da aus aber das Elzthal bis zu dem Einflusse der Elz in den Neckar bei Neckarelz verfolgen.
Man hat schon vielfach versucht, den Ursprung und die Bedeutung des Namens „Odenwald“ zu ergründen. Gänzlich verfehlt ist die Ableitung desselben von Kaiser Otto dem Grossen, obgleich er auch in ältern Urkunden Ottenewald heisst; indessen kommt der Name Odunwald oder Odonewald schon in weit ältern Urkunden vor, [4] z. B. in der Schenkungsurkunde Dagoberts vom Jahre 628, durch welche er den zum Lobdengau gehörigen Theil des Odenwaldes dem Bisthum Worms ertheilt. Wollte man die Aechtheit dieser Urkunde aber bezweifeln, so kommt sein Name doch in den diese Schenkung bestätigenden Urkunden Pipins und Karls des Grossen vor. Endlich schenkte Ludwig der Fromme im Jahre 815 dem Geheimschreiber Karls des Grossen, Eginhard und seiner Gemahlin Imma den Ort „Michlinstadt im Odonewald.“ –
Nicht minder unrichtig erscheint auch die Ableitung von Ostenwald, im Gegensatze von dem Westerwalde, wenn man sich die Lage dieser beiden Waldgegenden zu einander vergegenwärtiget. Odenwald aber von „öde, öder Wald“ herzuleiten, ist allerdings lächerlich. In alten Zeiten wäre die Oede dieses Waldes vor andern wohl schwerlich so sehr aufgefallen, dass man ihn darnach benannt hätte.
Weniger gesucht, und daher wahrscheinlicher, ist noch die Ableitung von Odin oder Wodan dem Jupiter der alten Deutschen. Sie verehrten ihn ja nach Tacitus in Wäldern und Hainen, die sie überhaupt ihren Göttern heiligten und nach ihnen benannten. Nichts widerstreitet der Vermuthung, dass dieser Gott in den alten Hainen des Odenwaldes besonders verehrt worden, und die ganze Gebirgsgegend davon Odinwald hiess, woraus die Umwandlung in Odenwald ja sehr leicht erklärlich ist. Doch ist auch diess nur eine Vermuthung, die aller nähern Hinweisungen aus der Vorzeit entbehrt.
Obgleich der Odenwald ein Gebirgsland ist, so trifft man doch keine hohe Berge darin; die höchsten Punkte ragen noch nicht 2000 Fuss über die Meeresfläche empor. Ein ziemlich zusammenhängender Gebirgsrücken durchzieht den Odenwald in der Mitte zwischen dem Main und Neckar, eine Schneeschmelze oder Wasserscheide bildend, von welcher die Quellen nach Süden und Norden hinabfliessen, und sich in diese beiden Nebenflüsse des Rheines ergiessen, während die andern, auf der Westseite nach der Bergstrasse heraustretend, ihr Wasser dem Hauptstrome unmittelbar zusenden. Diese Wasserscheide beginnt auf der Spitze des Melibokus, zieht östlich über den Felsberg oberhalb Bedenkirchen und Brandau vorbei nach der Neunkircher Höhe. Von dort wendet sie sich südöstlich, streicht an Oberostern vorbei bis [5] nach Beerfelden, und zieht dann über den Krähberg nordnordöstlich nach Wald-Bullau, von wo sie ihre frühere südöstliche Richtung wieder annimmt, die sie bis oberhalb Mudau beibehält. Dort setzt sie sich bis in das Bauland fort. Von dieser Wasserscheide laufen wieder andere Höhenzüge gegen den Main und gegen den Neckar aus, und bilden wieder die Schneeschmelze für die Quellengebiete der den Odenwald durchrauschenden Flüsschen und Bäche.
Die schöngeformten Höhen aller dieser Gebirgszüge gewähren dem Wanderer eine zahllose Menge der interessantesten Punkte mit weitgedehnter Aussicht; oder der Blick, den wir von ihnen in die nähere Umgebung werfen, lockt uns hinab an die erlen- und weidenbewachsenen Bäche, wo wir, ihrem mäandrischen Laufe folgend, die lachendsten, idyllischen oder romantischen Thäler durchwandern, und bald über üppige Wiesen an einsamen Mühlen oder Bauernhöfen vorbei, bald durch wohlbebaute Fluren, bald durch kühlschattende Eichen- und Buchenhaine lustwandeln. Hier und dort winken uns die Trümmer alter Bergschlösser zu den Abhängen hinan, wo sie, vor Jahrhunderten schon erbaut, uns Kunde geben von längst erloschenen Geschlechtern, und da und dort nimmt die Müden ein grösseres Dorf oder auch ein ländliches Städtchen gastlich auf.
Ob die Römer den ersten Grund zur Kultur des Odenwaldes gelegt haben, oder ob schon vor ihnen sich einzelne Niederlassungen der Deutschen darin befanden, lässt sich schwer ermitteln. Achtet man auf den Klang der Ortsnamen, Ober- und Unter-Ostern, so wird man versucht, ihn von der deutschen Frühlingsgöttin Ostera abzuleiten, und daraus auf den Vor-Römischen Ursprung zu schliessen, woraus sich dann die weitere Folgerung begründen liesse, dass diese doch wohl nicht die einzigen bewohnten Stellen des Odenwaldes in damaliger Zeit gewesen sein dürften. Auch scheinen die vielen zu den Zeiten Karls des Grossen schon vorhandenen zum Theil grösseren Orte auf einen frühern und schon länger bestehenden Anbau zu deuten, als dass er durch die Römer erst veranlasst worden sein könnte. In jedem Falle aber haben die Niederlassungen dieses Volkes bei Kultivirung dieser Gegenden bedeutend gefördert.
[6] Fragen wir aber nach dem Grunde, der die siegenden Legionen der Römer bestimmte, sich in diesen Waldgegenden, die einen Theil des ihnen so furchtbaren Herzynischen Waldes ausmachten, niederzulassen, so müssen wir uns zu Beantwortung dieser Frage auf den Gesichtspunkt stellen, aus welchem der Krieger diese Sache betrachtet.
Wenn sich die Römer in dem diesseitigen Rheinthale bis zur Mündung des Maines hinab in ruhigen Wohnplätzen fest setzen wollten, so mussten sie sich durchaus von der östlichen Seite gegen Einfälle und Angriffe zu sichern suchen. Aus den zahlreichen sich nach der Bergstrasse und dem Neckar ausmündenden Thälern, aus den dunkelnachtenden Urwäldern konnten sie jeden Augenblick von den Deutschen überfallen werden, und dorthin konnten diese sich immer schnell wieder zurückziehen, und dem Feinde, der sie zu verfolgen wagte, verderblich werden. Hat ja doch sogar in neuerer Zeit der odenwäldische Landsturm, unterstützt von einigen Szekler Husaren, den Franzosen im Jahre 1799 durch seine Ausfälle aus dem Weschnitz- und Gorxheimer Thale manche kleine Schlappe zugefügt, und sich immer wieder in die Thäler zurückgeflüchtet, ohne dass es die Franzosen gewagt hätten, sie weiter, als bis in die Eingänge dieser Thäler, zu verfolgen.
Die kriegskundigen Heerführer der Römer besetzten und befestigten darum die ganze Linie von dem Ausflusse der Mümling in den Main oberhalb Obernburg bis nach Schlossau in der Gegend von Mudau, von wo aus sich die befestigte Linie wahrscheinlich mit der durch das Hohenlohische gegen die Donau laufenden Befestigungslinie in Verbindung setzte. Man findet noch Reste Römischer Bauwerke, die unbezweifelt dazu gehörten, auf und an dem Bergrücken, der das Gebiet der Mümling als Wasserscheide auf der rechten Seite begränzt, an vielen Stellen, namentlich bei Lützelbach, Vielbronn, dem Eulbacher Hofe, Wirzberg, Hesselbach und Schlossau. Auch erkennt der Kundige in der s. g. „hohen Strasse“ die Reste einer Römischen Militärstrasse, die sie zur Verbindung der mit Besatzung belegten Punkte ihrer Festungslinie angelegt hatten. Ausserdem hat man schon an vielen andern Orten innerhalb dieser Linie Gräber, Inschriften und andere Beweise des Aufenthaltes der Römer aufgefunden. Selbst manche Benennungen deuten noch darauf hin. So heist z. B. ein Thälchen, welches [7] von der Mümling kurz vor ihrer Mündung auf der rechten Seite längs einem Bächlein gegen Lützelbach hinaufzieht; „der Römergrund“, und ein Brunnen am obern Ende „der Römerbrunnen.“
Jedenfalls hat der Aufenthalt der Römer dazu beigetragen, dass der Odenwald früher angebaut wurde, als es sonst geschehen wäre. Man erkennt übrigens aus der in vielen Dörfern des Odenwaldes noch bestehenden Hubenverfassung, dass der Anbau später regelmässig angeordnet wurde. Huben nennt man lange Güterstriche, welche von der einen Gränze der Dorfgemarkung durch das Dorf bis an die entgegengesetzte Gränze parallel neben einander hinziehen. Wahrscheinlich erhielt ursprünglich jeder Anbauer einen solchen Strich Landes. Da er sich gewöhnlich des Wassers wegen an der tiefern Stelle seine Wohnung errichtete, wobei jeder natürlich auf seinem Grund und Boden blieb, so entstanden dadurch eine Menge einzelner Bauernhöfe, die in einer gewissen Entfernung von einander lagen, und zu Dörfern vereinigt, durch diese zerstreute Lage sehr lange Orte bildeten. Die Länge mancher Dörfer ist darum zum Sprichworte geworden. Jeder Bauer hatte am Ende seiner Hube ein Stück Wald. Die Strecken, wo keine Ansiedlungen zu machen waren, wurden ihnen als Gemeindewaldungen zugetheilt, oder der Staat behielt sie.
Die Huben hatten ihre Namen von ihren Besitzern, und in der Regel trat sie der Familienvater im Alter an den ältesten Sohn ab, oder dieser war nach seinem Tode der Erbe derselben, während sich die übrigen Geschwister mit einem Theile der beweglichen Habe und dem geringen Werthanschlage des Gutes begnügen mussten, den der Haupterbe an sie bezahlte. Daher kam es, dass oft Schwestern und Brüder die Taglöhner des ältesten Bruders waren. In neuerer Zeit verschwinden diese Majorate, und häufig werden die Huben dem Erben, der sie übernimmt, zum wahren Werthe angeschlagen, oder sie werden getheilt. Auch die Pfarrei und die Herrschaft besitzt oft solche Huben, die entweder als Dotation der Pfarrei ausgeschieden waren, oder als Vermächtniss von ausgestorbenen Familien herrühren.
Bei Weitem der grössere Theil des Odenwaldes kam durch den Lüneviller Friedensschluss an das Grossherzogthum Hessen, der kleinere aber mit der diesseitigen Pfalz an Baden. Von Hessischer Seite wurde in neuerer Zeit sehr viel für den Verkehr [8] der Bewohner unter sich und mit den benachbarten Gegenden, durch die Anlage von bequemen Landstrassen, gethan, die zum Theile vollendet sind, zum Theile ihrer Vollendung allmählig entgegen gehen. Die Munifizenz, womit man von Seiten der Regierung wie der Stände bei dem Entwürfe der Strassenzüge und der erforderlichen Mittel zu Werke ging, verdient Anerkennung. Denn es sind nicht etwa einige wenige Verbindungswege, die man herzustellen beabsichtigt, sondern ein vollendetes Strassennetz breitet sich über diese sonst für bequeme Reisende, so wie für Frachtwagen, unzugänglichen Gegenden aus, und setzt alle Theile nach allen Richtungen mit den grössern Verkehrsstrassen Deutschlands und durch diese mittelbar mit dem Auslande in Verbindung. Von Darmstadt aus läuft eine dieser Strassen über Dieburg und Umstadt nach dem Mümlingthale, das sie bei Höchst oberhalb Neustadt erreicht, und längs bis nach Obernburg an den Main begleitet, wo sie sich mit der von Würzburg herziehenden und von Miltenberg längs dem Main hinabziehenden Strasse vereinigt. Bei Höchst an der Mümling vereinigt sich mit dieser Strasse eine andere, die von Eberbach durch das Gammelsbacher Thal nach Beerfelden hinauf und von dort das ganze Mümlingthal durchzieht. Die ersterwähnte aus Darmstadt nach dem Main ziehende Strasse theilt sich gleich bei Rossdorf, und der rechte Arm zieht über Reinheim an der Gersprenz längs dem Gersprenzthale bis Brensbach hinauf und von dort nach dem Mümlingthale, wo er sich bei Fürstenau mit der dieses Thal verfolgenden Strasse vereinigt. Aber gleich oberhalb Michelstadt setzt sie sich über den Eulbacher Hof nach Amorbach fort, und folgt von da dem Laufe der Mudau bis Miltenberg, wo sie in die Mainstrasse einmündet.
Von Brensbach läuft eine andere Strasse längs dem Gersprenzthale südlich hinauf, und wendet sich bei Pfaffenbeerfurt in einem Bogen westlich hinüber über Reicheisheim nach Lindenfels und von da über Kolmbach nach dem Lauterthale, das sie über Reichenbach und Schönberg bis zu ihrem Ausflusse in die Ebene bei Bensheim verfolgt. Bei Bensheim berührt sie die Bergstrasse, und setzt sich über Lorsch nach Worms fort. Bei Lindenfels läuft von dieser Strasse ein anderer Arm nach Fürth im Weschnitzthale herüber. In Fürth laufen noch zwei andere Strassenzüge zusammen. Der eine kommt von Lorsch aus der Wormser Strasse über [9] Heppenheim durch das Kirschhäuser Thal über Walderlenbach, der andere von der Badischen Gränze bei Birkenau längs dem Weschnitzthale herauf. Nach neuern Zusicherungen beabsichtigt Baden, diese Strasge von Birkenau nach Weinheim fortzusetzen, wo sie die Bergstrasse durchschneiden und dann über Virnheim nach Mannheim ziehen würde. So würde in der nächsten Linie ein Verkehrsweg zwischen dem dortigen Rheinhafen und dem ganzen Odenwalde bis nach dem Main hin hergestellt werden, der für alle Theile von den vortheilhaftesten Folgen sein dürfte. Von Fürth aus setzen sich die dort zusammenlaufenden Strassen, nämlich östlich über Hiltersklingen und Hüttenthal mit dem Mümlingthale und den dort einmündenden Strassen in Verbindung. Oberhalb Merlenbach läuft von der das Weschnitzthal durchziehenden Strasse dann noch ein Arm südöstlich nach Waldmichelbach und von dort durch das Schönmattenwager Thal längs der Laxbach gegen das Hessische Städtchen Hirschhorn am Neckar. Eine kleine Strecke zieht diese Strasse bei dem Dorfe Heddesbach durch das Badische Gebiet. Obgleich aber Baden kein Interesse haben kann, für die Fortsetzung dieser Strasse aus Staatsmitteln Opfer zu bringen, so ist doch zu erwarten, dass der Weg an dieser Stelle wenigstens als gute Vizinalstrasse bequem fahrbar hergestellt wird.
Ausser diesen Strassen hat Hessen auch auf der zu seinem Gebiete gehörigen Srecke im Neckarthaie längs dem Flusse die früher höchst gefährlichen und kaum fahrbaren Wege in gute Chausseen zu verwandeln angefangen, und es wäre zu wünschen, dass man solche auf dem Badischen Gebiete aufwärts bis Eberbach und abwärts bis Heidelberg fortsetzte.
So kann nun bald, wenn diese Strassenbauten vollendet sind, der ganze Odenwald nach allen Richtungen auf bequemen Fahrstrassen auch von solchen Freunden einer schönen Natur bereist werden, welche die Anstrengungen einer grössern Fusswanderung vermeiden müssen.
Da jedoch die malerischen, oder sonst interessanten Stellen so zerstreut liegen, dass man sie in einer zusammenhängenden Reihenfolge nicht wohl besuchen kann, werden wir sie in den nachfolgenden Blättern, nach den Quellengebieten der Flüsschen und Bäche des Odenwaldes abgetheilt, aufführen.
Das Gebiet der Mimling.
Erbach, Michelstadt, Fürstenau und Breuberg.
Beinahe ganz auf der Höhe der obenerwähnten Hauptschneeschmelze des Odenwaldes, von der sich die Gewässer theils nach Norden gegen den Main hinab, theils nach Süden gegen den Neckar hin wenden, auf dem muldenförmigen Abhange der nördlichen Abdachung liegt das Städtchen Beerfelden. Der einzige grosse Brunnen am Ende des Ortes, der seine Bewohner mit Wasser versorgt, ist auch zugleich die Quelle der Mimling. Gleich beim ersten Anblicke erwecken die wohlgebauten Häuser, die nicht, wie sonst wohl, in unregelmässigen Reihen und engen Gassen zusammengedrängt stehen, sondern gerade und geräumige Strassen bilden, die Vermuthung, dass man sich in einem neu entstandenen Orte befinde. Das alte, dem heutigen ganz unähnliche Beerfelden, wurde durch einen furchtbaren Brand am 29. April 1810 bis auf 9 Häuser eingeäschert, wozu die häufigen Strohdächer, der durch die hohe Lage begünstigte Zugwind und der Mangel an Wasser das Ihrige beitrugen.
Beerfelden, in ältern Urkunden Burrifelden, Buerfelden, Bauerfelden und auch Baierfelden genannt, gehört übrigens zu den älteren Ansiedlungen im Odenwalde. Obgeich uns keine Urkunde sagt, wann und von wem es als Schenkung an das Kloster Lorsch kam, so wissen wir doch, dass es zu den frühesten Besitzungen dieser fürstlichen Abtei gehörte. Wir lesen nur in der Chronik des Klosters, dass es von dem Abte Humbert, der so manche Besitzung desselben verschleuderte, als Lehen weggegeben worden. Es ist möglich, dass es gleich damals die Schenke von Erbach von ihm empfingen; wahrscheinlicher aber scheint uns, dass es [11] die Pfalzgrafen als einen Theil der s. g. Fahnlehen oder Volllehen erhielten und von diesen an die Schenke von Erbach zu Afterlehen gegeben wurde. Jedenfalls erscheinen aber die Letztern in manchen Urkunden des dreizehnten Jahrhunderts schon als die Herren dieses Ortes, der im Jahre 1328 schon so bedeutend war, dass ihm Kaiser Ludwig der Baier Stadtgerechtigkeit verlieh.
Die vorige Kirche, die mit der Stadt verbrannte, war unter Schenk Erasmus von Erbach im Jahre 1500 erbaut, und sie enthielt schöne Glasgemälde. Schon vor dem Brande war aber ein Fenster derselben von dem damaligen regierenden Grafen von Erbach herausgenommen und in die von ihm bei dem Rittersaale erbaute Eginhardskapelle nach Erbach versetzt worden. Auf diese Weise entging dieses Kunstwerk dem Untergange, allein es war die Versetzung desselben doch die Veranlassung eines langwierigen und kostspieligen Prozesses geworden.
Hier wohnen viele Tuchmacher, die ihre Fabrikate meistens auf den Jahrmärkten der Umgegend an die Landleute absetzen, die solche mit Vorliebe kaufen.
In der Nähe von Beerfelden heisst eine Gegend „im Lenert“ (im Leonhard). Dort stand vom fünfzehnten bis ins sechszehnte Jahrhundert eine dem heiligen Leonhard geweihte Kapelle, die wahrscheinlich während der Greuel des dreissigjährigen Krieges zerfiel. Im Anfange des vorigen Jahrhunderts standen noch einige Mauertrümmer derselben.
Bei Hetzbach erhebt sich auf der rechten Seite des Mimlingthales der Krähberg, dessen Namen schon die Heppenheimer Markbeschreibung vom Jahre 793 als „Crawinberk“ anführt. Es ist einer der Gipfel, welche sich auf der Hauptschneeschmelze des Odenwaldes erheben, und seine Höhe über der Meeresfläche beträgt 1530 Fuss. Es ist uns keine Nachricht über einen frühern Anbau auf dem Krähberge bekannt. Das dort erbaute Schlösschen und[2] die es umgebenden Anlagen rühren ganz aus neuerer Zeit her, und sind das Werk des Grafen Albert von Erbach-Fürstenau. Die Lieblichkeit dieser Anlage überrascht, wenn man aus der Wildniss der Gegend in sie eintrit; auch findet man keinen bessern Punkt zu einem Ueberblick über die ganze Gegend. Das Auge verfolgt das Mimlingthal bis weit hinab; ferne erkennen wir den Saum des Odenwaldes an den Gebirgen längs der Bergstrasse [12] herauf; dort leuchtet der Otzberg mit seinem weissen Thurme, und unbestimmt dämmert selbst der Taunus herauf. Auf der entgegengesetzten Seite überblicken wir die waldigen Höhen des Odenwaldes gegen den Neckar hinüber, und majestätisch erhebt sich ferne der Katzenbuckel über sie heraus.
Unterhalb Hetzbach kommt ein bedeutender Bach in die Mimling, der ursprünglich in entgegengesetzter Richtung von Norden nach Süden herabkommt, sich dann aber bei Hüttenthal in einem südlichen Bogen gegen Osten herüber wendet. Der Name dieses Baches, ehemals Mosaha, jetzt Mossau, hat sich auch den beiden an ihm liegenden Orten, Ober- und Untermossau mitgetheilt. Diese beiden Dörfer dehnen sich in dem Thale sehr lang aus. In dem obern Dorfe lebten schon im Jahre 1227 einige Johanniter, und im Jahre 1333 wohnten dort sogar mehrere unter einem Prior klösterlich beisammen, die jedoch in den Nachrichten von dem Jahre 1419 schon nicht mehr daselbst vorkommen.
Verstärkt durch die Mossau und mehrere kleinere Gebirgsbächlein, fliesst die Mimling nun an Ebertsberg, Schönen und Lauerbach (ehemals Lurbach) vorbei. Die beiden letzten Orte sind ebenfalls schon alt, und kommen in Urkunden vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts vor.
Bis dahin hat das Mimlingthal den Charakter der odenwäldischen Thäler behalten, aber nun und weiter hinab, entfernt es sich ganz von demselben. Hier wird es freundlicher, fruchtbarer und milder. Die hohen Bergrücken, welche sein Gebiet von andern Wassergebieten scheiden und diesseits ihre Quellen und Bächlein der Mimling zusenden, stehen in solcher Entfernung, dass die ablaufenden Hänge und Vorhöhen sich im Thale diesseits und jenseits nicht ganz nahe zusammendrängen, sondern immer noch Raum genug lassen für sanfte Fruchthügel und Saatfelder, für breitgedehnte Wiesenmatten, und für freundliche Gemüse- und Obstgärten. Diese Lieblichkeit und Milde des Thales gab wohl die Veranlassung, dass Manche den alten Namen der Gegend, den sie zur Zeit der Gaueneintheilung hatte, „Phlumgau oder Plumgau“, in Blumenaue, ja selbst in Rosenaue umgewandelt haben.
Wir übersehen auf unserm Bilde von Erbach einen Theil dieses freundlichen Thales; Erbach liegt vor uns, in der Ferne zeigen sich einige Häuser von Michelstadt und noch ferner Fürstenau.
[13] Das Städtchen Erbach soll seinen Namen von einem Bache erhalten haben, der unterhalb in die Mimling fällt, nachdem er bei der Mühle des nahegelegenen Dorfes Erbach und später weiter unten in der Nähe von Stockheim eine Strecke unter der Erde fortgeflossen und dann wieder hervorgetreten ist. Auf diesen Ursprung soll auch die alte Schreibart des Namens (Erdtpach, Erdbach) deuten.
Wie wir oben erwähnten, schenkte Ludwig der Fromme, dem Geheimschreiber Karls des Grossen, Eginhard und seiner Gemahlin Imma den Ort Michelstadt mit einem Gebiete von zwei Meilen im Umkreise. Folglich gehörte auch die Gegend dazu, wo später das nur eine halbe Stunde entfernt liegende Erbach erbaut wurde. Von Eginhard kam diese Besitzung an das Kloster Lorsch, jedoch mit dem Vorbehalte, dass es einer seiner Leibeserben immer bittweise von Lorsch erhalten und besitzen sollte. Ueber die weiteren Schicksale der Gegend bis zum Jahre 1146 ist uns nichts bekannt, wo ein Herr Eberhard, wahrscheinlich ein Urvater des Erbachischen Grafenhauses, als der Besitzer des Schlosses Erbach in Urkunden genannt wird. Ob dieser aber ein Nachkomme von Eginhard gewesen, und ob er es von dem Kloster Lorsch als unmittelbarer Lehnsmann, oder von den Pfalzgrafen zu Afterlehn besass, lässt sich nicht ergründen.
Ueber die Entstehung des Schlosses Erbach ist daher nichts bekannt. Viele glauben mit Freher, der runde Thurm beim Schlosse, den wir auf unserm Bilde sogleich als den alterthümlichern von dem andern unterscheiden, sei ursprünglich ein Werk der Römer. Das Mauerwerk desselben beträgt acht Fuss in der Dicke und ist aus lauter gepuckelten Quadersteinen errichtet, was allerdings auf ein hohes Alter schliessen lässt; auch sieht man, dass er nicht eigentlich zum Stiegenhaus erbaut wurde, wozu er jetzt eingerichtet ist, sondern einst wohl eine andere Bestimmung gehabt haben möchte; allein für ein Römerwerk möchten wir ihn desswegen noch nicht halten. Er ist bis zum Dache 102 Fuss hoch, und hat 113 Fuss im Umkreis. Eine Steinschrift an demselben zeigt uns, dass Erasmus Schenk von Erbach im Jahre 1497 den Bau des obern Theiles vollendet hat. Bis zu beträchtlicher Höhe ist er auf der von uns abgewandten Seite des Eingangs mit herrlichem Epheu bekleidet. In der Nähe des Schlosses und durch seine [14] Alterthümlichkeit ausgezeichnet, steht auch der Rest eines ehemaligen Templerhauses. Es scheint sich überhaupt um die Burg, wozu früher der genannte Schlossthurm gehörte, im Laufe des zwölften bis fünfzehnten Jahrhunderts, nach und nach eine grössere Zahl von Einwohnern angesiedelt zu haben. Auf diese Weise bildete sich die Burgstadt, die jedoch nicht von grossem Umfange gewesen sein kann. Bald aber entstand auch die ausserhalb der Ringmauer gelegene grössere Vorstadt. Im Jahre 1498 war Erbach schon so beträchtlich, dass ihm der Papst die Vergünstigung ertheilte, sich von dem kirchlichen Verbande mit Michelstadt zu trennen, und eine eigene Pfarrei zu bilden.
Im vierzehnten Jahrhundert war das Schloss Erbach aber ein Ganerbenhaus, welches die Schenke von Erbach und die Herren von Breuberg gemeinschaftlich besassen, wesshalb es zwischen beiden Familien oft blutige Händel absetzte, bis die Schenke von Erbach wieder in den alleinigen Besitz davon kamen.
Das Schloss enthält jetzt schätzbare und sehenswerthe Sammlungen. Der Rittersaal ist bekannt. Er befindet sich links am Eingange, und macht auf den Eintretenden einen überraschenden Eindruck. Im Gothischen Style erbaut, bildet er einen Raum von schönen Verhältnissen, mit herrlichen alten Glasmalereien in den Fenstern geziert, von welchen zwei aus der Kirche zu Wimpfen, eines aus dem Chor des Nonnenklosters zu Altenburg in der Wetterau, und die übrigen sonst zusammengebracht wurden. Sie rühren vom dreizehnten bis zum siebenzehnten Jahrhundert her, also von dem Anfange bis zu dem Verfalle der Glasmalerei. An der Uebereinstimmung der Einzelheiten, unter welchen das Auge auch nicht das Kleinste entdeckt, was nicht hierher gehörte, erkennt man, dass hier ein verständiger, seine Sammlung mit Liebe und Kenntniss umfassender Geist gewaltet hat. Selbst das Schloss an der Saalthüre ist ein beachtenswerthes altes Kunstwerk. Die sechs Fensterpfeiler sind mit aus alten Waffenstücken zusammengesetzten Trophäen bekleidet. Unter diesen befindet sich ein interessanter Schild, auf welchem in getriebener Arbeit Kriegsscenen, angeblich Scenen aus dem Trojanischen Kriege, dargestellt sind. Vor allen aber ist die treffliche, wahrhaft künstlerische getriebene Arbeit in Eisenblech beachtenswerth, welche einen Sattel vorn und hinten [15] ziert, der nach dem auf den Steigbügeln befindlichen Wappen der gräfl. Ortenburgischen Familie angehörte.
Die in dem Saale aufgestellten Figuren sind meist mit den ächten Rüstungen zum Theile geschichtlich berühmter Männer bekleidet. Wir erblicken unter ihnen vor den Pfeilern aufgestellt sechs Ritter zu Pferde.
Die Rüstungen der beiden ersten, Konrad von Künsberg und Erasmus Schenk von Erbach, so wie des dritten, eines Grafen von Leiningen, rühren alle aus dem fünfzehnten Jahrhunderte her. Die Aechtheit dieser Rüstungen ist ausser allem Zweifel, da die erste und dritte Geschenke der Familien sind. Auf der andern Seite steht Johann Ernst von Sachsen, dessen Rüstung aus dem sechszehnten Jahrhundert ein Geschenk des Grossherzogs von Weimar ist. Die prächtige Rüstung Kaiser Friederichs III. kam als ein Geschenk des Kaisers aus dem Zeughause von Nürnberg hier her. Eben so ist auch die Rüstung des sechsten Ritters zu Pferde, des Grafen Eitel Friederich von Hohenzollern ein Geschenk der Familie. Wir sehen an dieser Figur, wie Ross und Mann zum Kriege gerüstet sein musste, während die drei ersten uns die Turnierrüstungen vorführen.
Die mit Rüstungen bekleideten Figuren zu Fusse stellen vor: Den Raubritter Eppelin von Gailing, der im Jahre 1381 auf dem Schaffot starb. Sein Wappen und die Jahreszahl 1364 steht auf dem Harnisch eingegraben. Der Harnisch des Cosinus II. von Florenz wurde in Florenz erkauft, der des Peter Strozzi, Marschalls von Frankreich, aus dem Palaste Strozzi in Florenz hierher gebracht, und eben daher auch die Rüstung des Joh. Jakob Medicis, der im Jahre 1555 starb. Dann folgt Konrad von Bemelburg und ein Graf von Leiningen. Die Rüstung Philipps des Guten, Herzogs zu Burgund, kommt aus Florenz, und die Kaiser Maximilians I. aus Nürnberg, wohin sie der Kaiser als ein hochgeschätztes Geschenk in das Zeughaus gegeben hatte.
Des frommen Heldenkönigs Gustav Adolfs Rüstung, die auf dem Brustharnische sein Wappen trägt, kam ebenfalls aus dem Zeughause zu Nürnberg, und eben daher die seines Gegners Albrecht von Wallenstein. Der dabei liegende Commandostab soll Wallensteins Eigenthum gewesen sein. Aus dem Nürnberger Zeughause kam auch des Markgrafen Albrecht, des deutschen Alcibiades, [16] Rüstung, und die Ludwig Heinrichs von Nassau ist ein Geschenk des Fürsten zu Nassau-Usingen. Franz von Sickingens Rüstung kam unmittelbar aus dem Besitze der Grafen von Sickingen hierher; die des wackern Götz (Gottfried) von Berlichingen aber aus Heilbronn. Nicht allein das Berlichingische Wappen auf dem Harnische bezeugt seine Aechtheit, sondern auch zwei am rechten Unterarm der Rüstung befindliche eiserne Zäpfchen, welche ohne Zweifel dazu dienten, die eiserne Hand vor dem Abrutschen zu schützen. – Georg des Dritten, Freiherrn von Waldburg, Rüstung war früher in Privatbesitz in Ulm, die des Baiernherzogs Albrecht V. stand vorher in Amberg. Konrad Schotts von Schottenstein Rüstung stammt ebenfalls aus dem Zeughause zu Nürnberg. Wie früher schon erwähnt wurde, starb Schott zur Strafe für seine Räubereien durch das Schwert. Er soll mit demselben Schwerte, welches der an der Thür stehenden Figur in die Hand gegeben ist, auf Befehl des Markgrafen Casimir von Brandenburg, hingerichtet worden sein. Die kleine geharnischte Figur trägt die Rüstung des Zwerges Thomele, der bei dem Vermählungsfeste des Herzogs Wilhelm von Baiern mit Renata von Lothringen in einer Pastete aufgetragen wurde.
Auf einigen Stufen steigt man aus dem Rittersaale in die sogenannte Begräbnisskapelle. Sie enthält die Monumente einiger der ältesten Glieder von der Familie der Schenke von Erbach. Neben derselben befindet sich die Eginhardskapelle, so genannt von dem Steinsarge, in welchem einst die Gebeine Eginhards und Emma’s und ihrer Schwester Gisela ruheten, und der als ein Geschenk des Grossherzogs von Hessen aus der Abtei Seligenstadt hierher gebracht wurde. Das Fenster dieser Kapelle stand vorher in der Kirche zu Beerfelden. – Es ist erfreulich, das Denkmal eines so ausgezeichneten Mannes der Vorzeit, zumal hier des ersten bekannten Dynasten dieser Gegend, mit solcher Pietät erhalten zu sehen. Unwillkührlich erinnern wir uns dabei, in welch unwürdigen Umgebungen wir in Verona Romeo’s und Giulietta’s Sarg aufsuchen mussten.
Rechts von dem Eingange in das Schloss, dem Rittersaale gegenüber, befindet sich die Gewehrkammer. Sie enthält Schiessgewehre von der ersten Erfindung derselben bis zu ihrer neuesten Vervollkommnung. Viele derselben sind wahre Kabinetsstücke [17] von mühsamer und künstlicher Arbeit. Auch viele türkische Gewehre und türkische Dolche und Schwerter, dann Waffen und Kleidungsstücke Amerikanischer und Asiatischer Völkerschaften und dazwischen wieder mittelalterliche Europäische Waffen findet man hier. Zugleich enthält dieser Saal einige ausgestopfte abnorme Jagdthiere und eine Sammlung von Hirschgeweihen, welche diese Gehörne vom Spiesshirsch bis zum Zweiunddreissigender in vollkommenen Exemplaren nachweist.
Eine Stiege höher finden wir eine artige Sammlung Römischer und darunter selbst einige Griechische Alterthümer. Es waren diess einst die Wohnzimmer des edeln Sammlers, des Grafen Franz von Erbach. Man entdeckt in diesen Zimmern nichts, was nicht antik wäre, oder dem nicht eine Antike zum Vorbilde gedient hätte. Die Verzierung der Wände, die Stühle u. dgl. sind solche Nachbildungen. In dem ersten Zimmer steht eine in Tivoli gefundene Statue Hadrians, deren Beine und Arme restaurirt sind; dann eine Statue Merkurs als Kind. Unter den Büsten fällt uns besonders ein Kopf Alexanders des Grossen auf, der ebenfalls in Tivoli gefunden wurde, und den man versucht ist, für ein Produkt Griechischer Kunst zu halten. Die übrigen Büsten sind Scipio der Afrikaner, Perseus, Sylla, Epikur, Sartorius, Tiberius, Julius Cäsar, Augustus Octavianus, Drusus und ein trefflicher Kopf seiner Gemahlin Antonia, Germanikus und seine Gemahlin Agrippina, dann Sabina, die Gemahlin Hadrians; ferner sehen wir die Hermen Herodots und des Miltiades und noch einige unbekannte.
Die Kandelabern sind Antiken im Museum zu Portici nachgebildet, die Lampen aber antik. Die beiden Tischblätter sind antike Mosaik, und selbst das Dintenfass ist eine ächte Etrurische Vase.
Die Ausschmückung des zweiten Zimmers ist ebenfalls Nachbildung antiker Gegenstände. Eine schöne mit Isisköpfen und Rebenblättern verzierte für sieben Dochte eingerichtete ächte antike Lampe dient zur Beleuchtung. Die die Vorhänge zusammenhaltenden Spangen aus Bronze wurden als Armspangen in Römischen Gräbern bei Eschau gefunden. Wir sehen hier eine sitzende Statue Trajans und die Büsten des Drusus Germanicus, Titus, Hadrianus, Claudius, Antoninus Pius, Commodus, des Caracalla und seiner [18] Gemahlin Faustina, Marcus Aurelius, so wie der Faustina, der Gemahlin Antonins.
Die zu einer Trophäe vereinigten an einer von Korkholz nachgebildeten alten Mauer aufgehängten Römischen und Griechischen Waffen sind der Beachtung des Alterthumsfreundes werth. Einer der dabei befindlichen Helme wurde auf dem Schlachtfelde von Cannä gefunden. Wir sehen hier auch einige Centurien-Adler, einen Legions-Adler und einen Thierkopf von Bronze, der bei Terracina im Meere gefunden wurde, und vielleicht ein Schiffsrostrum war.
Das dritte Zimmer enthält eine ziemlich reiche und höchst interessante Sammlung Etrurischer Vasen, die durch Form, Zweckmässigkeit und Zeichnung den praktischen Sinn der Verfertiger, wie ihren richtigen Schönheitssinn beurkunden.
Zu diesen Sammlungen kam noch im Sommer 1821 eine alt ägyptische Mumie, eine ganze Papyrusrolle und ein Fragment einer andern mit zwei Columnen altägyptischer Schrift, der Inschrift von Rosette ähnlich.
Eine halbe Stunde von Erbach liegt in dem immer weiter werdenden Mimlingthal die alte Stadt Michelstadt, gewiss einer der ältesten Orte des Odenwaldes. Wahrscheinlich hat sie ihren Namen von dem Erzengel Michael, dem auch die dortige Hauptkirche geweiht ist. Früher ein Kammergut der Fränkischen Könige, kam sie durch Ludwig des Frommen Schenkung, wie mehrmals erwähnt, an Eginhard, und dieser übergab die Oberherrlichkeit an das Kloster Lorsch, sich selbst und seinen Nachkommen den Besitz nur als Lehn vorbehaltend.
Schon als Eginhard den Ort Michelstadt erhielt, bestand dort eine hölzerne Kirche, an deren Statt bald, wahrscheinlich von ihm, eine steinerne erbaut wurde, vielleicht an derselben Stelle, wo jetzt die Gothische Kirche steht. Er begabte sie auch mit einigen Reliquien des heiligen Petrus und Marcellinus. Diese musste er aber auf höhere Eingebung im Jahre 828 nach dem ihm ebenfalls gehörigen Mülenheim bringen, wo er nun das Kloster Seligenstadt stiftete, das er wohl in Michelstadt gestiftet hätte, wenn die Gebeine der Heiligen mit diesem Aufenthalte zufrieden gewesen wären. In diesem Kloster hat er selbst seine Tage beschlossen.
[19] Aber auch die in Michelstadt gestiftete Zelle (Cella) rührt ohne Zweifel von ihm her. Da eine solche Zelle der Aufenthalt weniger Mönche war, die von einem grössern Kloster entweder zur Erhebung der Einkünfte, oder auch um kirchlicher Zwecke willen dahin versetzt wurden, so ist zu vermuthen, dass diese Stiftung in die Zeit fällt, als Eginhard dem Kloster Lorsch das Obereigenthumsrecht über Michelstadt zu übertragen beabsichtigte. Denn vorher heisst es nur der Ort, später aber die Zelle Michelstadt. In der Folge kamen mehrere Mönche hierher, und es bildete sich hier eine Probstei, die von Lorsch abhängig war.
Uebrigens war Michelstadt schon im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts nach damaliger Weise mit Mauern und Thürmen befestigt, und ward eine Burgfeste genannt, die ihre eigene Burgmänner hatte. Als solche kommen in Urkunden vor: die von Erlebach, von Rosenberg, Schelme von Bergen, die Herren von Rodenstein und andere.
Die jetzige Kirche, welche wir ihres altehrwürdigen Ansehens wegen in bildlicher Darstellung mittheilen, ist in verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weise wiederhergestellt worden. Wir ersehen diess nicht allein aus dem Baue selbst, sondern auch aus den daran angebrachten Inschriften. Nach einer derselben haben die Schenke Philipp, Georg und Johann zu Erbach im Jahre 1457 den Hauptbau erneuert, und es ist wahrscheinlich, dass unter dieser Renovation das ganze jetzige Langhaus der Kirche gebaut wurde. Vier Jahre darauf erbaute Adolarius, Schenk Georgs Sohn, den Chor, und im Jahre 1507 wurde der Thurm erbaut. Als sich aber im Jahre 1624 auch das Innere baufällig zeigte, doch die Kirchengefälle wegen der Unruhen des dreissigjährigen Krieges nicht beizutreiben waren, wurde eine allgemeine Sammlung dazu veranstaltet, und aus diesen Beiträgen das Ingebäude wieder hergestellt. Schade, dass bei dieser Gelegenheit oder bei einem späteren Verschönerungsversuche einige aus Alabaster gearbeitete Denkmale übertüncht wurden, dass man ihren Werth nicht mehr erkennen kann.
Schneider erzählt in seiner Erbachischen Stammtafel und Historie, von einem an dem nördlichen Ecke des Langhauses der Michelstädter Kirche eingemauert gewesenen Steine, dessen beide sichtbare Seiten den Herkules mit der Keule und Löwenhaut und [20] die Minerva gezeigt hätten. Man habe vermuthet, dass dieser Stein viereckig sei, und auf den beiden eingemauerten Flächen auch noch solche Abbildungen trage, was sich auch, als er ausgebrochen worden, bestätigt habe, indem man darauf eine Fortuna und einen Merkur erkennen konnte. Einer Sage nach sollte dieser Stein, offenbar ein Römischer Altar, von Bullau hierher gekommen sein. Es scheint diess nur aus dem Umstande geschlossen, weil in Bullau allerdings Römerspuren entdeckt wurden. Uns will aber wahrscheinlicher dünken, dass dieser Stein hier gefunden worden, und dass eben, weil hier ein Römischer Altar gestanden, wie diess sonst häufig geschah, zum Zeichen des Sieges des Christenthums über den heidnischen Götzendienst, an derselben Stelle eine christliche Kirche erbaut wurde.
Die in der Sakristei der Kirche verwahrten Bücher rühren von einer Bibliothek her, welche Niklas Matz, der freien Künste und heil. Schrift Doctor und Sechspfründner zu Speier, im Jahre 1499 hierher geschenkt hat, ohne dass man die Veranlassung hierzu kennt Sie bestand ursprünglich aus 117 angeketteten Büchern, die Jedermann an Ort und Stelle lesen, deren keines aber mit nach Hause nehmen durfte. Später wurde diese Bibliothek durch Geschenke der Familie der Schenke von Erbach bedeutend vermehrt. Es befinden sich jetzt noch mitunter einige seltene alte Drucke darunter, die wohl von jener ersten Schenkung herrührten.
Michelstadt scheint grösser als Erbach, und man sieht hier manche ganz stattliche Häuser, auch verräth dieses Städtchen viele Betriebsamkeit und Gewerbsthätigkeit. In der Nähe steht ein grosser, gutbetriebener Eisenhammer.
Bei Michelstadt erhebt sich auf der östlichen Seite ein bewaldeter Berg 1380 Fuss hoch über die Meeresfläche, auf dessen Gipfel wir ein artiges gräflich Erbachisches Jagdschloss und Försterhaus sammt Nebengebäuden finden. Sein Name ist Eulbach. Schon im Anfange des neunten Jahrhunderts stand hier ein Dorf, welches in der angeführten Schenkungsurkunde Eginhards von 820 Ulenbuch genannt wird. Später hiess es Eulenbuch und Eulenbach. Da auf dieser Höhe kein Bach zu finden ist, scheint der Name von den in dem umgebenden Buchwalde nistenden Eulen eigentlich Ulenbuch oder Eulenbuch zu sein. Noch im dreissigjährigen [21] Kriege in den Jahren 1631–1635 stand hier ein kleines Dörfchen von sechszehn Häusern, die von ein und achtzig Menschen bewohnt wurden. In der Folge ging es ein, und wurde ein herrschaftlicher Hof, und bildet mit seinen Umgebungen jetzt einen Theil des Parkes.
Der das Jagdschloss umgebende Garten ist geschmackvoll angelegt, und enthält sehr angenehme Parthieen. Ein grosser See überrascht auf solcher Höhe. Von der künstlichen Ruine geniesst man eine weite Aussicht in die nördlichen, nordöstlichen und nordwestlichen Gegenden. Am interessantesten ist der Garten durch die in der Gegend gefundenen Römischen Alterthümer, welche theils um sie leichter zu erhalten, theils zur bequemen Besichtigung hierher versetzt wurden. Wir sehen hier das Thor eines bei Würzberg gefundenen Kastells, ein Thor eines ganz in der Nähe gefundenen Kastells und ein Römisches Grab, die alle mit der Vorsicht hierher versetzt wurden, dass jeder Stein wieder an seine ihm gehörige Stelle kam, dann einige Römische Nachbildungen, z. B. eines Brandhügels u. s. w.
Das Jagdhaus enthält für den Jagdliebhaber wieder eine reiche Sammlung von abnorm gebildeten Hirsch- und Rehbocksgeweihen.
In den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts wurde hier im Sommer ein vielbesuchter Jahrmarkt gehalten, auf dem sich viele tausend Menschen aus der Nähe und Ferne versammelten, und ein wahres Volksfest feierten. Seit der Markt nach Erbach verlegt ist, hat er alle Eigenthümlichkeit und seine frühere Bedeutung verloren.
Wir kehren in das Mimlingthal zurück und begrüssen dort in der Nähe von Michelstadt das stattliche Schloss Fürstenau mit seinen vier Eckthürmen. Zwei derselben standen schon im Jahr 1356. Das Schloss besteht aus dem Hauptbau und zwei vorspringenden Flügeln, die vorn durch einen kolossalen Thorbogen von fünfzig Fuss Weite und vierzig Fuss Höhe verbunden werden. Vordem waren die obern Gemächer beider Flügel durch einen Gang über diesen Bogen verbunden.
Fürstenau liegt so nahe bei Michelstadt, dass man mit Sicherheit annehmen darf, es habe diese Stelle auch zu der Schenkung Ludwigs des Frommen an Eginhard gehört, von welcher dieser die Oberherrlichkeit dem Kloster Lorsch übertrug. Von Lorsch kam dieselbe an Kurmainz, denn in den Urkunden kommt [22] es nur als Mainzisches Lehen vor. So wurde z. B. Schenk Eberhard im Jahre 1316 gegen Erlegung von vierzig Mark Köllnisch, die er als Burglehen bezahlte, von dem Erzbischof Peter von Mainz zum Schirmherr des Schlosses Fürstenau gemacht. Später erhielt es Schenk Philipp von Erbach von dem Erzbischof Diether zu Mannlehn. Letzterer ertheilte auch die Bewilligung, dass eine Kapelle darin errichtet und mit den Pfründen der zerstörten Kapelle des Schlosses Tannenberg dotirt werden durfte.
So anspruchsvoll der Name dieses Schlosses klingen mag, so stimmt doch das Aeussere desselben damit überein. Gar stattlich erheben sich seine Thürme aus der lieblichen Umgebung. Ueber den Ursprung des Namens schweigen alle Urkunden, und fehlen alle Notizen.
Nahe dabei liegt ein Dorf, welches aber nicht den Namen des Schlosses führt, wie dieses wohl mitunter der Fall ist. Der Name desselben, Steinbach, hiess ehedem Steinbuch, und hat darum wahrscheinlich seinen Ursprung von dem steinigen Boden und den dort befindlichen Buchenwäldern erhalten. Hier bestand schon früher eine Eisenschmelze, auf welcher das bei dem nahen Rehbach gewonnene Erz geschmolzen wurde. Die bei Michelstadt, so wie die unterhalb Fürstenau stehenden grossen Hammerwerke stehen in gutem Betriebe.
Bei diesem Steinbach stand ehemals auch ein Nonnenkloster. Es verdankte seine Entstehung dem Kloster Lorsch, welches nach der Zeit, als Eginhard die Oberherrlichkeit seiner Besitzung an dasselbe abgetreten hatte, die Zelle Michelstadt mit Mönchen besetzte und zu einer Probstey ausbildete. Es ist häufig der Fall, dass der Bestand der Mönchs-Klöster auch die Gründung von Nonnenklöstern in der Nähe derselben veranlasste. So geschah es auch hier. Der Probst von Michelstadt hatte zugleich auch die Aufsicht über die Schwestern in dem Nonnenkloster zu Steinbach. Die urkundlichen Nachrichten von diesem Frauenkloster gehen aber nur bis zu dem Jahre 1525 herab, und es scheint daher mit dem Anfange der Reformation eingegangen zu sein. Man sah bis in die neuere Zeit noch Trümmer dieses Klosters. Seine Existenz, die Nähe der Hammerwerke und des Schlosses Fürstenau haben wahrscheinlich zusammen gewirkt, um die Niederlassungen herbeizuführen, aus welchen dieses Dorf entstanden ist.
[23] An einigen Mühlen und Bauerhöfen vorbei, die früher schon unter dem Namen Asselbrunn bekannt waren, zieht das Mimlingthal zwischen schönen Waldgründen in gerader nördlicher Richtung nach Zell hinab. Der allgemeine Name Zell, der immer auf eine ehemalige Cella deutet, hatte in früheren Zeiten immer seine nähere Beziehung. So hiess auch dieses Zell einst Mangoldszell und Mangelszell. Wahrscheinlich hiess der erste An- und Einsiedler, der hier seine Zelle erbaut hatte, Mangold. Eine Kapelle, die auf dem s. g. Mangelsberge daselbst steht, verdankt demselben wahrscheinlich ebenfalls ihre Gründung.
Als die erste zerfallen war, wollte man sie auf einer gegenüber liegenden Anhöhe neu erbauen, da jene Lage hierzu passender schien; allein die Sage erzählt, als schon das Bauholz dort gezimmert und anderes Material beigebracht war, habe man eines Morgens nichts mehr davon an seiner Stelle getroffen, und alles später auf dem Mangoldsberge gefunden. Man habe daraus geschlossen, dass der Heilige, dem man die Kapelle erbauen wollte, eine Vorliebe für die Stelle gehabt, wo ihm der Einsiedler Mangold zuerst die Kapelle errichtet, und sei dadurch bestimmt worden, den Bau auf der genannten Stelle aufzuführen.
In einer Urkunde vom Jahre 1113 kommt dieses Zell schon vor, so wie auch dort der Mühlen von Asselbrunn schon unter dem Namen Ameslabrunna gedacht wird.
Oestlich von Zell auf der ungefähr eine Stunde entfernten Höhe der Schneeschmelze, welche das Wassergebiet der Mimling von dem der Mudau scheidet, und ebenso eine Stunde nördlich von dem Eulbacher Hofe, befinden sich in der Nähe von dem Dorfe Vielbrunn (Ulisbrunn und Vlisbrunn) die Trümmer eines Römerkastells, welches hier unter dem Namen des Hainhauses bekannt ist. Vielleicht ist der Name aus Heidenhaus entstanden. Das Kastell war ziemlich gross, und hatte wohl über dritthalb hundert Fuss ins Gevierte. In der Nähe desselben zog auch die gepflasterte Hochstrasse, eine alte Römerstrasse, vorbei. Ein Jagdhaus und mehrere Oeconomiegebäude stehen an der Stelle und die Steine desselben sind zum Theile zu den neuen Bauwerken verwendet worden.
Unterhalb Zell erweitert sich das Mimlingthal wieder etwas mehr bei König, ehemals Kuntichum genannt. Im Laufe der Zeit [24] wandelte sich dieser Name in Quintich, Guintich, Küntich und Künnig, bis sich der jetzige daraus bildete. Es ist ein sehr alter Ort, und gehörte zur Hälfte schon längst den Schenken von Erbach als ein Mainzisches Lehen.
Die hochgelegene Kirche hatte einen geräumigen Hof, der mit einer hohen Mauer und darauf ruhenden Gebäuden umgeben, und desshalb wahrscheinlich einer der sogenannten gevehligten Kirchhöfe war. Diese Vermuthung scheint durch den Umstand bestätigt zu werden, dass das Erzstift Mainz sich bei Verleihung des Ortes König doch die Oeffnung des Kirchhofes zum Schutze gegen Feinde vorbehielt. Der alte Thurm der Kirche ward gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts erbaut, und an ihm ist ein Römischer Denkstein eingemauert, auf welchem folgende Inschrift zu lesen ist: D. M. L. SEXTII. VALE.
Bei dem weiter unterhalb liegenden Höchst und noch weiter hinab wendet sich das Mimlingthal gegen Neustadt hin ganz östlich. Diese Stelle ist eine der schönsten des ganzen Thales, und sie wurde nicht ohne Grund einst die Rosenau genannt. Ueber dem Städtchen Neustadt erhebt ein steiler Berg sein Haupt, und oben darauf ragt eine alterthümliche Burg empor. Diese ist der Breuberg, ehedem Braberc, Brieberg, Brennberg und Brumberg genannt. Auch dieser Punkt gehörte zu der odenwäldischen Befestigungslinie der Römer. Winkelmann erzählt, dass man im Jahre 1543 hier ein neues Fundament gegraben und bei dieser Gelegenheit ein Römerbad und zwei Römische Altarsteine gefunden habe. Den einen derselben erkannte man nicht allein an einer oben angebrachten Vertiefung, worin ehemals eine Kugel geruht zu haben schien, für einen der Glücksgöttin geweihten Altar, sondern die Inschrift FORTVNAE SACRVM. L. CVRIRITIV – VRSINVS bestätigte ihn auch als solchen. Der andere trug auf den vier Seiten vier erhabene menschliche Figuren, wahrscheinlich die Bilder Römischer Gottheiten, die jedoch nicht gedeutet werden konnten. Auch fand man noch Reste von ehemaliger Tüncherarbeit, an welcher sich die gelbe, rothe, blaue und grüne Farbe durch Lebhaftigkeit auszeichneten. Zu gleicher Zeit wurden auch mehrere Backensteine mit den eingedrückten Zeichen der zweiundzwanzigsten Legion gefunden. Es scheint demnach hier eine bedeutendere Niederlassung der Römer gewesen zu sein.
[25] Wer sich aber nach Vertreibung der Römer hier zuerst eine sichere Feste erbaut, darüber schweigen die Urkunden. Wir finden diese Stelle zuerst als ein Eigenthum des Hochstiftes Fulda wieder, von welchem die Burg immer bis zum Anfange dieses Jahrhunderts zu Lehn gegeben wurde. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts kommt auch eine adelige Familie von Breuberg vor, deren Glieder häufig die Vornamen Starkerad und Duborn führten. Diese Familie scheint zu ihrer Zeit sehr angesehen gewesen zu sein. Ein Eberhard von Breuberg wurde im Jahre 1306 Landvogt über die Wetterau, und er erhielt von den Kaisern mehrere ehrenvolle Aufträge, wie er auch vom Kaiser Ludwig beauftragt wurde, die Stadt Frankfurt bei ihren Privilegien zu schirmen; und zum Zeichen der Kaiserlichen Achtung mit mehreren Gütern belohnt wurde. Durch Heirath kam die Burg nach dem Erlöschen des Mannsstammes an andere Familien, und so besass sie das Gräflich Erbachische und Fürstlich Löwensteinische Haus in späteren Zeiten gemeinschaftlich.
Diese Gemeinschaft gab in der Folge häufig Anlass zu Händeln zwischen den Besitzern, namentlich im dreissigjährigen Kriege, weil es die beiden Häuser mit verschiedenen Partheien hielten. Erbach war auf der Seite der Schweden, und Löwenstein auf kaiserlicher Seite. Tilly besetzte im Jahre 1631 den Breuberg, später die Schweden, und als diese nach der verlorenen Schlacht bei Nördlingen abgezogen waren, so suchte der Graf Joh. Dieterich von Löwenstein durch den Hofkriegsrath in Wien um das Commando der dahin stationirten Truppen nach, und verlangte von Erbach die Unterhaltung derselben auf gemeinschaftliche Kosten. Bei den Verhandlungen darüber hatte der Erbachische Rath Dr. Hinterofen das Unglück, von einer von der Mauer abprallenden Flintenkugel tödtlich getroffen zu werden. Mehrere Kaiserliche Decrete legten die Streitigkeiten nicht bei. Eine Ausforderung des jugendlich hitzigen Ferdinand Karl von Löwenstein wurde von dem besonnenen Grafen Georg Albert von Erbach mit Würde abgelehnt. Allein der sechszigjährige Erbachische Beamte Kiesebert auf Breuberg musste es entgelten. Graf Ferdinand Karl wusste denselben aus dem Schloss zu locken, liess ihn am 4. Dez. 1641 an den Galgen binden und auf’s Unbarmherzigste prügeln. Erst [26] der Westphälische Friede stellte mit dem Jahre 1648 die alte Ordnung auf dem Breuberge wieder her.
Die Burg war bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts klein und unbedeutend. Im letzten Jahre desselben liess Graf Michael von Wertheim das Schloss ansehnlich erweitern. Die äussere Befestigungsmauer wurde, wie aus den eingemauerten Inschriften und Jahrzahlen hervorgeht in den Jahren 1512, 1513 u. 1515 neu aufgeführt. Die Erbauung des Löwensteinischen Zeughauses fällt in das Jahr 1528 und die der Rentschreiberei in das Jahr 1543. Im Jahre 1613 wurde der Casimir Erbachische Bau angebaut.
Ausser dem tiefen Ziehbrunnen befand sich früher auch eine treffliche Wasserleitung hier, welche aber von Turenne im Orleans’schen Erbfolge Kriege zerstört wurde.
Der hohe Thurm, welcher weit über die Dächer der übrigen Gebäude hinaus ragt, ist schon älter. Diese Gebäude sind noch bewohnbar und bewohnt. – Eine zwar nicht sehr weite aber sehr freundliche Aussicht bietet sich dem Wanderer, der den Breuberg besteigt, von dieser Höhe aus dar. Das Mimlingthal mit seinen Windungen, und den dasselbe begränzenden Buchenwaldungen gewährt einen äusserst freundlichen Anblick.
Nachdem sich die Mimling in einem grossen Bogen um den Fuss des Breubergs herumgezogen, bildet sie in ihrem östlichen Laufe noch einen sehr grossen nördlichen Bogen, und ergiesst sich eine kleine halbe Stunde oberhalb Obernburg in den Main.
Ungefähr eine kleine Stunde von dem Breuberge in südöstlicher Richtung, ein halbes Stündchen von dem Maine, liegt an der Höhe das Dorf Lützelbach, wo sich ebenfalls in der Nähe der alten Hochstrasse Reste eines Römerkastells und anderer Bauten finden, unter welchen man auch die Grundmauern eines kleinen Tempels entdeckt haben will.
Das Gebiet der Gersprenz.
Der Rodenstein, Reichenberg, Lichtenberg, Otzberg.
Die Quelle der Gersprenz findet sich an der Schneeschmelze, welche die Scheidung zwischen den nördlichen und südlichen Wassergebieten macht. Sie fliesst, wie die Mimling, und eine ziemliche Strecke parallel mit derselben, gegen Norden. Unfern ihrer Quelle kommt sie an den beiden Dörfern Ober- und Unterostern vorbei, die wahrscheinlich zu den ältesten Ansiedelungen gehören. Nachdem sie an Rohrbach und Bochenroth vorüber gekommen, nimmt sie auf der rechten Seite einen gleich starken Bach auf, der seine Quelle zwar auf eben derselben Schneeschmelze, aber nordwestlich von der Gersprenzquelle nahe bei der Neunkircher Höhe hat.
Diese ist eine der bedeutendsten Höhen der genannten Wasserscheide, und erhebt sich 1624 Fuss über den Meeresspiegel. Der Reisende unterlasse es nicht, sie zu besteigen, denn er wird reichlich durch die Aussicht von ihrem Gipfel belohnt. Südöstlich davon liegt ein Bauernhof, die Freiheit genannt, und bei diesem liegt ein grosser Granitblock, wie deren auch auf dem nackten Gipfel der ganzen Höhe zu Tage liegen. Dieser aber hat den besondern Namen „Wildeweibchenstein“ bei dem Volke. Man erzählt sich, es habe vor alten Zeiten ein wildes Weibchen hier gehaust, wahrscheinlich ein Berggeist, und sei selten hervorgekommen. Wenn aber der Bauer auf der Freiheit, oder ein anderer in der Nachbarschaft dringende Feldarbeit zu [28] besorgen hatte, aber nicht genug Arbeiter zusammen bringen konnte, sei das wilde Weibchen immer schnell da gewesen und habe Tage lang geholfen, und die Arbeit sei ihm dann stets wunderbar von Statten gegangen; oft sei auch eine dringende Arbeit schon ganz gethan gewesen, wenn der Bauer am Morgen mit seinen Leuten hinaus gekommen sei. Das habe das wilde Weibchen immer in der Nacht gethan gehabt.
Nördlich von dem Gipfel des Berges auf ziemlicher Höhe liegt das Dorf Neunkirchen, von welchem die Höhe ihren Namen hat. Hier quillt ein wasserreicher Born, der ehemals für eine Heilquelle geachtet und mit Quadersteinen umfasst ward. Die hier geschehenen Wunderkuren veranlassten Wallfahrten nach diesem Brunnen, und bald erbaute man für die Wallfahrenden auch eine Kirche, in welche wahrscheinlich die neun nächst gelegenen Dörfer eingepfarrt wurden, woraus sich der Name erklären lässt. Der wundervollen Kuren wegen weihete man die Kirche den beiden Aerzten Cosmas und Damian. Denn diese waren ja nach der Legende von dem heiligen Geiste selbst in der Heilkunde unterrichtet, und zeichneten sich in ihren Kuren vor allen übrigen Aerzten aller Zeiten dadurch aus, dass sie alle Patienten heilten, die ihre Hilfe in Anspruch nahmen. Dennoch waren sie bei einer Christenverfolgung mit ihren drei übrigen Brüdern, nachdem man mehrere andere Versuche gemacht hatte sie zu tödten, im Jahre 250 mit dem Schwerte hingerichtet.
Das Wasser des heilbringenden Borns scheint übrigens keine besondere Kräfte zu besitzen. Es ist ein gutes frisches Quellwasser, und hat vielleicht schon in älterer Zeit, wie auch in unsern Tagen das halte Wasser aller Orten als ein Panacée gerühmt und von Vielen gebraucht wird, bei der durch die isolirte Lage von der Noth gebotenen Diät gute Wirkung gethan. Die frische Bergluft mag auch das Ihrige zur Genesung der Besucher beigetragen haben. Gewiss ist, dass der Brunnen einst Ruf hatte, und selbst von Leidenden aus der Ferne besucht wurde. Diess beweisen manche Stiftungen, welche die Dankbarkeit der Genesenen aus entfernten Orten hier gründete. Auch muss die Kirche in grossem Ansehen gestanden haben, da selbst ein Sprosse der edeln Rodensteinischen Ritterfamilie, Rudolf († im J. 1360), ein Bruder
[29] Erkingers und Heinrichs von Rodenstein, es nicht verschmähete, an derselben als Pfarrer angestellt zu werden.
Der alte Kirchthurm war im Jahre 1487 erbaut, und trug das Wappen der Familie von Rodenstein und von Hirschhorn. Am 25. März 1643 schlug das Gewitter darein, zündete und Dach und Glockenstuhl verbrannte, die Glocken schmolzen und nur das Mauerwerk blieb bis auf unsere Tage stehen.
Auf einer östlichen Vorhöhe der Neunkircher Höhe finden wir die Trümmer der durch den geisterhaften Auszug des Ritters berüchtigten Burg Rodenstein. Nur wenig zerrissenes Mauerwerk ragt noch empor; das Innere und die Umgebung sind mit dem Schutte des zusammengestürzten Baues bedeckt, und Brombeeren, wilde Rosen und kümmerliches Waldgesträuche kriechen und wuchern darüber hin. Hinten erhebt sich ernst und steil eine grosse dichtbewaldete Bergwand. Die von allen Seiten durch Berge beschränkte Aussicht öffnet sich nur gegen Morgen hin etwas nach einem engen Thälchen, in welchem die ärmlichen Hütten des Dörfleins Eberbach zerstreut liegen, und darüber hinaus nach der Gegend von Reichelsheim.
Wer auch gar nichts von dem spuckhaften Geisterzuge des Rodensteins gehört hätte, konnte sich von der abgeschiedenen Einsamkeit dieser Stelle durch leise Schauer berührt fühlen. Doch auf derselben Höhe, dicht unter der Ruine liegt vertraulich ein der Familie von Gemmingen zugehöriger Bauernhof, der von einer Pächterfamilie bewohnt wird, auf deren lebensfrischen Gesichtern keine Spur eines Geisterschrecks zu finden ist. Nie will auch ein Glied dieser Familie hier noch irgend etwas Unheimliches gesehen oder gehört haben.
Wer zuerst diese heimliche Waldburg erbaut, ist uns nicht bekannt. Man behauptete zwar die Familie der Rodensteine sei schon in dem elften Jahrhunderte bekannt gewesen; in Urkunden ist aber der früheste, der im Jahre 1265 vorkommt, ein Marescalcus de Rodinstein miles, zu dessen Zeiten die Burg schon erbaut war. Durch Heirath kam in der Folge auch ein Theil der Herrschaft Lisberg (Liebesberg) an die Rodensteinische Familie, und davon nannten sich die Besitzer dieses Antheils Rodenstein-Lisberg.
Das ungefähr eine Stunde nordöstlich unfern der Gersprenz liegende Dorf Fränkisch-Crumbach bewahrt in seiner Kirche [30] mehrere Rodensteinische Grabsteine, von welchen die älteren liegen und ausgetreten sind, so dass die Schrift grösstentheils unleserlich geworden; mehrere neuere stehen aufrecht an der Kirchenwand. Diese sind alle aus dem sechszehnten Jahrhunderte, und von ihnen zeichnen sich besonders drei durch die sprechenden Gesichter und die sorgfältige Ausführung der Arbeit aus.
Am auffallendsten ist das Bild eines alten Ritters. Ein abgezehrtes Gesicht mit grosser Adlernase und scharf markirten Zügen guckt es aus dem zu weit gewordenen Helme hervor, der seinen Schatten darüber wirft, so dass das ganze Bild dadurch ein wahrhaft geisterhaftes Ansehen erhält. Man fühlt sich darum unwillkührlich versucht, diesen für die Hülle des spuckenden Landgeistes zu halten, obgleich weder Zeit noch Ort mit der Sage übereinstimmt. Es ist bis an die Brust mit dem hölzernen Getäfel des Kirchstuhles gedeckt. Doch haben wir uns Gelegenheit verschafft die Umschrift des Steinbildes zu lesen. Sie heisst: Ano Dmi MCCCCCXXVI – zu Rom starb der edel Junker Hans Heinrich v. Rodenstein des sele Got gnädig und barmherzig sey. Dieser Grabstein scheint von einem guten Künstler gearbeitet zu sein, und wenn der Stoff, woraus er gehauen, nicht Sandstein wäre, so könnte man glauben, er sei in Rom, dem Orte, wo Hans Heinrich von Rodenstein starb, auch gefertigt. Jedenfalls ist das Gesicht nach einer Maske des Verstorbenen bearbeitet.
Die Burg scheint noch am Ende des sechszehnten Jahrhunderts in gutem Stande gewesen zu sein. Ein Ofen aus derselben, der jetzt in der nahen Pachterwohnung steht, trägt in einem, für jene Zeit sehr schönen Eisengusse, das Wappen Philipps von Rodenstein und seiner Gemahlin Margarethe von Habern mit der Jahreszahl 1573. An dem von Gemmingischen Hause zu Fränkisch-Crumbach sieht man einen Stein mit demselben Wappen und der Jahreszahl 1574.
An dem Wege nach Fränkisch-Crumbach kommt man an einer Stelle vorbei, wo ein Brunnen unter den Wurzeln einer alten Eiche hervorquillt. Zu dieser Quelle sollen die Herren von Rodenstein, einer Sage nach, ihre Kinder zur Taufe gebracht haben.
Im Jahre 1671 starb mit Georg Friederich von Rodenstein der Mannsstamm dieser Familie aus. Man erzählt, er habe einer in der Gegend herrschenden Krankheit entfliehen wollen, sei aber [31] in Mosbach von derselben doch ergriffen worden. Die Sage nennt die Krankheit, an der er gestorben, die Pest. Von dieser Zeit an gerieth die Burg in Verfall. Da die Sandsteine in der Gegend selten sind, so wurden die gehauenen Steine theils bei dem Baue der Pächterwohnung, theils an dem zum Gute gehörigen Hause in Fränkisch-Crumbach verwendet, und das Ganze hat daher das Ansehen gewaltsamer Zerstörung, so dass man glauben möchte, ein feindlicher Heerhaufe habe seine Wuth daran ausgelassen.
Das Hofgut und das Haus in Bensheim kam nach dem Erlöschen der Rodensteinischen Familie an die Familie Ueberbruck, die seitdem auch den Rodensteinischen Namen dem ihrigen beigefügt hat. Die zerfallene Burg mit dem umliegenden Gute und Fränkisch-Crumbach kam an die Familie von Gemmingen und von Pretlack.
Unser Bild zeigt die Burg Rodenstein in ihrer ernsten Wildniss und von der malerischsten Seite. Wir sehen hier die verrufene Waldburg in der schauerlichen Einsamkeit ihrer Vorzeit. Die beiden darunter liegenden Häuser sind der oben bezeichnete Pachthof.
Wir dürfen von der Burg Rodenstein nicht scheiden, ohne auch der Sage zu gedenken, die am Ende des vorigen und im Anfange des jetzigen Jahrhunderts so viel Aufsehen gemacht hat. Man behauptete nämlich, meist eine Stunde nach dem Anbruche der Nacht ziehe aus den wenigen Mauertrümmern der uralten Burg Schnellerts oder Schnellert der Burggeist Rodenstein aus, oder kehre, wenn er ausgezogen war, nach denselben zurück. Die Ruinen des Schnellerts liegen etwa anderthalb Stunden vom Rodenstein östlich bei Oberkeinsbach, auf der rechten Seite des Gersprenzthales in einem Seitenthälchen desselben. Sichtbar erscheint der Geisterzug des Rodensteiners und seines Gefolges nicht, aber dem Ohre desto vernehmlicher. Er gleicht darin dem bekannten Spucke des wilden Jägers, mit dem er auch häufig in Norddeutschland verwechselt wurde. Man wollte dabei deutlich Pferdegetrab, das Knarren fahrender Wagen, das Bellen grosser und kleiner Hunde, den ermunternden Ruf „Hou! Hou!“ Krachen, Posthornklang und Peitschenknall gehört haben. Der Auszug, wie der Einzug, geschieht nicht auf dem nächsten Wege, auf welchem er nur Nieder-Gersprenz,
[32] Michelbach und Eberbach berühren würde; sondern er geht auf einem Umwege das Seitenthälchen hinab, über die Gersprenz nach Fränkisch-Crumbach hinüber, macht oft auch noch einen Abstecher nach Brensbach hinab, und zieht dann wahrscheinlich längs der, das Gersprenzthal auf der linken Seite begränzenden Waldhöhe nach dem Rodenstein zurück. In Oberkeinsbach zieht er durch einen Bauernhof, in Brensbach meldete er sich nur in dem Hause eines Hübners, in dessen Küche er oft rasselte, und in Crumbach steht ein Haus, worin ehedem ein Schmied gewohnt hat, und dort scheint er sich sogar das Pferd beschlagen zu lassen. So kam es nämlich den guten Leuten, die dort wohnten, wohl vor. Wenn sein Auszug bemerkt wurde, so deutete man ihn immer auf den Ausbruch eines künftigen Krieges im deutschen Reiche; zog er aber ein, so war der Friede nicht mehr ferne.
Man hatte sich in jener Gegend und in jenen Zeiten eine ordentlich feste Theorie über diesen geisterhaften Auszug und Einzug des „wilden Heeres“, (wie es auch oft genannt wurde) gebildet. Die Sache wurde sogar so wichtig genommen, dass die Behörden vom 20. September 1743 bis zum 11. Juni 1796 ein amtliches Protokoll führten. Auf diese Weise erhielt sie ein Gewicht, das sie nicht verdient. Unwissenheit und Furcht mögen anfänglich ganz natürliche Töne für solch übernatürlichen Geisterspuck gehalten haben, und wo einmal ein Ort verrufen ist, da knüpfen sich in der Phantasie gar leicht ähnliche Erscheinungen an. Wer den Geisterglauben hat, sieht Geister.
Wir haben früher jene amtlichen Protokolle eingesehen und geprüft, in wiefern den verschiedenen Angaben über den Aus- und Einzug des Rodensteiners Glauben zu schenken sei. Es ist uns aufgefallen, dass, im Grunde genommen, nur sehr wenige Personen die angegebenen Stimmen aus der Höhe vernommen haben. In Keinsbach sind es nur die Glieder einer und derselben Familie; ausser dieser sind nur noch zwei Nachbarn derselben und noch ein dritter als Zeuge des Geisterzuges vorkommen. In dem Hause des Hübners zu Brensbach erschallte es oft, als würde alles Geschirre durch einander geworfen, und dieses Gelärme wird ohne allen Grund auch dem Rodensteinschen Heereszuge zugeschrieben. Uebrigens wurden zuerst der Mann und ein Jahr später die Frau aus jenem Hause, jedes also nur einmal, über die Sache vernommen. [33] Und derselbe Mann hat auch die Nachricht von dem Spuck mit dem Beschlagen des Geisterpferdes an der ehemaligen Schmiede in Crumbach in das Protokoll niedergelegt.
Die Gläubigen forschten nun auch nach der Ursache, warum der umziehende Rodenstein keine Ruhe in seinem Grabe gefunden. Der Gegenstand hat etwas Poetisches, und die Dichter bemächtigten sich seiner, und so erschienen bald mehrere Dichtungen über den Rodenstein, die theils sogar für Bearbeitungen alter Sagen gehalten wurden. Man erkennt aber leicht das Gepräge der neueren Zeit an ihnen. Eine solche neuere Dichtung ist aus einem Zeitblatte in Gottschalks „Ritterburgen und Bergschlösser Deutschlands“ übergegangen. Aber ihr fehlt auch, wie allen uns zu Gesicht gekommenen, ein Grund, warum der Burggeist gerade nur bei einem bevorstehenden deutschen Kriege ausziehen und beim Frieden wieder zurückkehren soll. Nachfolgende Sage, die uns in Fränkisch-Crumbach erzählt wurde, deutet diesen Zusammenhang.
Der Burggeist Rodenstein.
Was reitet vom Schnellerts? Was rauscht herab?
Horch, Pferde rennen Galopp und Trab!
Was knarren die Wagen? Horch, Peitschenknall!
Was bellen die Hunde? Horch, Hörnerschall!
Der tolle Fritz ist’s vom Rodenstein,
So zieht er jetzt in die Waldburg ein.
Einst zog er fernaus mit des Kaisers Heer.
Es stürmten die Türken auf Wien daher;
Sie hätten erobert die Stadt wohl gleich, –
Der Rodenstein schützt sie durch kühnen Streich. –
Gerufen steht er vor seinem Herrn.
Der Kaiser lohnet dem Helden gern.
„Mein Ritter, dir dank ich mein Erbe heut,
Drum nimm, was dir dankbar dein Kaiser beut.
Es haben, so hör ich, die Väter dein
Verpfändet dein Stammschloss, Burg Rodenstein.
Ich löse wieder die Pfandschaft dir;
Von heute trag sie zu Lehn von mir.“
„Mein Kaiser, ich nehme die Burg zu Lehn,
Und ewiglich sollt Ihr mich dankbar sehn.
Wo Euch und das Reich je ein Krieg bedroht,
Treu dien’ ich im Leben Euch und im Tod.
Aus Todesschlaf und aus Grabesnacht
Für Deutschland zieh’ ich noch aus zur Schlacht.“
Im Frieden zog er zur Stammburg fort.
Treu hält er dem Kaiser und Reich sein Wort.
Begraben zwar liegt er auf Schnellertsschloss;
Dort starb er, – dort stürzt er mit seinem Ross, –
Doch wenn ein Krieg bedrohet das Reich,
So hört man Rodensteins Auszug gleich.
Der von der Neunkircher Höhe herabfliessende Seitenbach der Gersprenz eilt, mehrere Mühlen treibend, an Winterkasten vorbei durch das liebliche Thal von Gross- und Kleingumpen, und geht dann an Reichelsheim vorüber, bis er sich in südwestlicher Richtung unterhalb Bockenroth mit der Gersprenz vereinigt. Bei Reichelsheim wird das Thal durch die Einmündung eines Seitenthälchens etwas weiter und gewinnt an Anmuth. Ueber demselben erhebt sich auf einer mässigen, gegen den Ort aber steil abfallenden Höhe das Schloss Reichenberg. Obgleich weder die Zeit der ersten Gründung desselben, noch sein Erbauer bekannt ist, liess sich doch aus der Bauart der Kapelle schliessen, dass schon im vierzehnten Jahrhunderte hier eine Burg gestanden, was auch alte hier gefundene Steine, mit eingehauenen Jahreszahlen bestätigen. An dem Kreuzgewölbe der Kapelle erkennt man das Erbachische und Bickenbachische Wappen.
Vielleicht gehörte die Burg früher den Grafen von Katzenelnbogen, da diese überhaupt mehrere Güter in der Umgegend besassen.
Im dreissigjährigen Kriege war die Burg Reichenberg noch mit hohen Mauern umgeben, die jetzt verschwunden sind, und diente hierdurch und durch ihre feste Lage den Bewohnern der Umgegend zu einem sichern Zufluchtsorte. So kam am 13. Juni 1622 ein Haufen Croaten, Franzosen und allerlei zusammen gelaufenes Gesindel von der Plünderung der Vorstadt von Erbach auch
[35] hierher, und wollte den Einlass erzwingen. Da sie aber nichts auszurichten vermochten, zogen sie wieder ab, nachdem sie vorher Reichelsheim in Brand gesteckt hatten, wodurch sechszehn Gebäude ein Raub der Flammen wurden. Schon im vorhergehenden Jahre waren alle Flecken und Dörfer des Freiensteiner Amtes, des Amtes Michelstadt, Erbach, Reichenberg und Schönberg, ungeachtet der erhaltenen Schutzwache, von den Bayerischen Truppen unter dem Grafen Anhalt geplündert, und bei dieser Gelegenheit selbst die Kelche und Ornamente der Kirche zu Reichelsheim nicht verschont worden. Ausserdem litten die Aemter Schönberg und Reichenberg in jener Zeit viel durch Lieferungen, die ihnen bei der Belagerung und nach Eroberung der beiden Pfälzischen Schlösser Lindenfels und Otzberg auferlegt wurden.
Das Schloss Reichenberg war einst die Residenz der Grafen von Erbach. Seit diese ihren Sitz aber nach Erbach verlegt haben, zerfiel des Schloss nach und nach; zum Theile wurde es auch absichtlich abgetragen. Jetzt sieht man nur noch die Trümmer davon, aus welchen sich mehrere neuere bewohnte Oeconomiegebäude stattlich emporheben.
Von der Höhe des Reichenberges erblickt man das darunter liegende frische[3] Wiesenthal, den Marktflecken Reichelsheim, der sich von hier aus besser ausnimmt, als in seinem Inneren; und fernehin, breitet sich eine herrliche Aussicht durch das Gersprenzthal über liebliche Auen gegen die Ebene nach dem Main hin, und nach dem Otzberge; in entgegengesetzter Richtung aber erblickt man die Burg Lindenfels und an derselben vorüber die Höhen des Wachenberges bei Weinheim.
Unterhalb Brensbach wendet sich die bis dahin ganz nach Norden laufende Gersprenz auf eine Strecke nordwestlich, bis sie bei Grossbiberau wieder ihre vorige nördliche Richtung nimmt. Brensbach hiess ehemals Brendisbach und Breinsbach, und es gab eine adelige Familie, die sich nach diesem Orte benannte und wahrscheinlich den Ort als Fuldische Lehnsleute besassen. Sie bildeten vielleicht eine Seitenlinie der Familie von Echter, da diese nach dem Aussterben dieser Linie in den Besitz ihrer Güter kam. Wir finden in Urkunden von den Jahren 1357, 1361, 1368, 1371, 1410 und 1447 Mitglieder der edeln Familie von Brensbach, und aus einer Urkunde von 1461 ersehen wir, [36] dass damals ein Freischöffe von Brensbach lebte, wahrscheinlich ein Mitglied des Vehmgerichts zu Lichtenberg.
An dem alten Kirchthurme stand die Jahreszahl 1403 eingehauen.
Bei Grossbiberau kommt ein kleiner Bach aus einem Seitenthale gerade nördlich von der Neunkircher Höhe herab in die Gersprenz. Eine kleine Stunde aufwärts liegen in dem von diesem Bächlein durchzogenen Thale die beiden Dörfer Ober- und Niederhausen, und hinter beiden erhebt sich eine mässige Höhe, auf welcher das Schloss Lichtenberg steht. Man erblickt es von vielen Punkten in dem gegen den Main abfallenden odenwäldischen Gebirgslande; am anziehendsten aber stellt es sich, von der Neunkircher Höhe aus gesehen, dar.
Man hält wohl mit Grund den in der Heppenheimer Markbeschreibung vorkommenden Namen „Gelicheberga“ für den alten Namen der Stelle, auf welcher das heutige Schloss Lichtenberg liegt. Ob jener Name nur die Höhe bezeichnen soll, oder ob die Stelle damals schon bebaut gewesen und bewohnt, ist schwer zu entscheiden. Zu den alten Besitzungen des Klosters Lorsch gehörig, wurde es von diesem zu Lehen gegeben. In den frühesten Urkunden erscheinen die Grafen von Katzenelnbogen im Besitze Lichtenbergs, und unter diesen erscheint Graf Diether II. zuerst als Besitzer der Burg, die vielleicht von ihm erbaut worden war. Dieser nannte sich wohl auch darum einen Grafen von Lichtenberg; eine eigentliche Dynastenfamilie dieses Namens gab es aber nie. Nur unter ihren Burgmännern kommt die Familie der Balereitz-Lichtenberg vor.
Später besass die Pfalz die Lehensherrlichkeit über die Burg, die sie mit der Vogtei von dem Kloster Lorsch an sich gebracht hatte. Alle spätern Besitzer trugen sie daher von der Pfalz zu Lehen, und dieser Lehnsverband dauerte auch unter den Landgrafen von Hessen-Darmstadt noch fort, bis sich das Verhältniss mit der Souveränität des Grossherzogs aufhob.
Mehrmals verschrieben die Grafen von Katzenelnbogen die Burg Lichtenberg mit Bewilligung der Pfalz ihren Gemahlinnen als Witthum. In der Verschreibung Diether IV. fehlte aber die gewöhnliche Clausel wegen einer zweiten Verheirathung, wodurch es im vierzehnten Jahrhunderte auf kurze Zeit in andere Hände
[37] kam. Graf Heinrich von Spanheim erhielt im Jahre 1360 von Kaiser Karl IV. für das Schloss und Thal alle Rechte und Freiheiten der ungefähr dritthalb Stunden gegen Süden gelegenen Stadt Lindenfels. Nach seinem Tode fiel aber diese Besitzung wieder an die Grafen von Katzenelnbogen zurück.
Im dreissigjährigen Kriege war diese Gegend ein Schauplatz mancher Gräuel. Retter hat in seinen „Hessischen Nachrichten“ theils aus Kirchenbüchern und andern glaubwürdigen Nachrichten, theils aus eigener Erfahrung, meistentheils aber aus den Aufzeichnungen des Pfarrers Mink in Grossbiberau die Begebenheiten jener traurigen Zeit in dieser Gegend zusammengestellt. Wir entheben seiner Zusammenstellung folgende Notizen.
Als der Graf von Mansfeld im Jahre 1622 mit 16000 Mann in Darmstadt einrückte, bei welcher Gelegenheit der Landgraf Ludwig und sein Sohn Johann als Gefangene abgeführt wurden, plünderte sein Heer die Stadt und die ganze Gegend. Nur Lichtenberg und Rüsselsheim blieben verschont. – Der Landgraf Ludwig der Treue wurde später wieder aus seiner Gefangenschaft entlassen und scheint sich zuweilen auf Lichtenberg aufgehalten zu haben, wahrscheinlich weil man sich dort sicherer glaubte, als in Darmstadt. Im Jahre 1625 machte er auch dort sein Testament.
Auch Landgraf Georg II. flüchtete im Jahre 1630 nach dem Schlosse Lichtenberg mit seinem Hofstaate und der Kanzlei, um der in Darmstadt grassirenden „Pest“ auszuweichen, und von hier schrieb er sechs grosse Fast- Buss- und Bettage für das Land aus.
Im Jahre 1634 war diese Gegend nach der Schlacht bei Nördlingen der Schauplatz des allgemeinen Raubes und der Plünderung. Freund und Feind nahm, was er fand, so dass „weder Vieh noch Pferd, Schwein, Federvieh oder dergleichen in Städten und Dörfern überblieb. Bald fielen die Schweden über den Rhein herüber, und jagten die Kaiserlichen aus ihrem Quartier, bald jagten diese hinwieder jene hinaus. Dadurch wurde denn das ganze Land zwischen Main und Rhein gar sehr erschöpft, und es durfte sich kein Mensch auf dem Lande blicken lassen, sonst wurde ihm nachgejagt wie einem Wild, und da er ergriffen, unbarmherzig geschlagen, und um Verrathung, Geld, Vieh oder Pferd [38] mehr als auf Türkische Art geknebelt, nackend an heisse Oefen angebunden, aufgehenkt, mit Wasser und Pfuhl, so sie den Leuten mit Zübern in den Hals geschüttet, und mit Füssen auf die dicken Bäuche gesprungen, welche barbarische Tränkung der Schwedische Trunk genannt worden (nicht dass ihn die Schweden allein gebraucht, sondern vielmehr, weil die Kaiserlichen den gefangenen Schweden oder sonst den Schweden zugethanenen Personen also einzuschenken pflegten). Um solcher Tyrannei willen, und weil keine Lebensmittel auf dem Lande waren, wurden alle Dörfer, nicht eines ausgenommen, von allen Einwohnern verlassen. – Lichtenberg, Rüsselsheim und Otzberg blieben allein salvirt, wurden aber dermassen von beiden Partheien geschätzt und bedrängt, dass sie doch allen Vorrath herauslangen mussten. – Viele verkrochen und versteckten sich zwar in die Wälder, Höhlen, Klippen etc., wurden aber ausgespürt, denn die Soldaten hatten bei sich menschenspürige Hunde, welche, wenn sie an Menschen oder Vieh kamen, mit ihrem Bellen solche verriethen, und den Räubern Anzeige gaben. Darum floh alles auf die Schlösser. Da lagen alle Gassen, Höfe und Winkel voller Leute, besonders zu Lichtenberg, welches ein klein Behelf, und derselben auch viele im Regen, Schnee und Kälte, theils in Fässern und Bütten lagen. Die Stuben waren Winterszeit so voll, dass wegen der Menge keines sitzen, sondern dicht in einander stehen mussten. War ein gross Jammer und Elend anzusehen, zu geschweigen selbst mit darin begriffen sein.“
Im folgenden Jahre versuchten Manche wieder von Lichtenberg nach ihren Wohnungen zurückzukehren. Die Soldaten kannten in der allgemeinen Noth aber kein Mitleid, keine Barmherzigkeit. Sie rissen die Kranken aus ihren Betten, und drängten sie um Verrath ihrer verborgenen Habe oder um Brod.
Als Graf Gallas im Jahr 1637 den Befehl gegeben hatte, das Darmstädtische Gebiet mit Plündern und Durchmärschen zu verschonen, wurde erst wieder an die Bestellung der Felder gedacht. Man borgte das Saatkorn, und versprach bis zur Erndte für ein Malter den Betrag von zwei Maltern, nach den Preisen der Hungerjahre in Geld zu bezahlen, so dass das Malter Korn zu 32 fl. und die Gerste mit 24 fl. bezahlt werden musste. So borgte in jener Hungerzeit, die wir mit Rücksicht auf den damaligen Werth [39] des Geldes keineswegs mit unsern Zeiten vergleichen dürfen, der Amtmann Grünroth zu Lichtenberg die Saatfrucht an die armen Leute aus. Die Erndte fiel aber schlecht aus, und erst gegen das Jahr 1640 war dem allgemeinen Hunger und Mangel wieder abgeholfen.
In den ältesten Zeiten soll die Burg Lichtenberg in runder Form erbaut gewesen sein. Doch davon ist keine Spur mehr vorhanden, seit sie Landgraf Georg I. in einem Viereck erbauen liess. Dieser legte auch einen Thiergarten dabei an, und sonst verdankte ihm noch manche Verbesserung im Innern ihr Dasein. Im Jahre 1570 wurde auch eine Schlosskapelle von ihm errichtet. Da diese aber in spätern Zeiten zu klein war, verlegte sie Landgraf Georg V. in ein geräumiges Zimmer der Burg, und da auch dieses in der Folge nicht genügte, wurde es im Jahre 1712 mit einem noch geräumigeren verwechselt.
Die untere Burg, welche die mit einer Mauer umschlossenen Wohnungen der Burgmänner enthielt, ist beinahe völlig verschwunden.
Ein romantisches Interesse gewinnt die Burg durch den Umstand, dass hier ein Vehmgericht seinen Sitz hatte, dergleichen man ausser Sachsen doch selten fand. Das einzige, von welchem wir in diesen Gegenden noch Kunde haben, bestand in Walldorf bei Heidelberg, wo es aber von Friedrich dem Siegreichen von der Pfalz im Jahre 1461 aufgehoben wurde. Wir finden den Lichtenberger „freien Stuhl Westfäligscher Gerichte“ in Urkunden vom Jahre 1482 noch erwähnt.
In den Jahren 1673 und 1679 schlug das Wetter, zuletzt sogar an drei verschiedenen Stellen in das Schloss, doch ohne Schaden zu thun, da der Blitz nirgend zündete.
Noch heutiges Tages ist das Schloss Lichtenberg in völlig bewohnbarem Stande. Es hat als der Sitz des Beamten einem Amte den Namen gegeben.
Interessant ist noch der zu dem Schlosse gehörige dicke Thurm, der an dem Umfang seiner dicken Mauern dem dicken Thurme der Heidelberger Schlossruine beinahe gleichkommen dürfte.
[40] Das Gersprenzthal verliert unterhalb Brensbach seinen bisherigen Charakter. Die Höhen werden gegen Norden hin niedriger und flachen sich allmählig zu hügelichem Baulande ab. Von Grossbiberau weiter hinab gegen Reinheim hin zieht das Thal wieder in Windungen nördlich. Ehe man nach Reinheim kommt, erhebt sich in östlicher Richtung etwa eine Stunde entfernt, auf einer über die Hügel hinausragenden Höhe von 1220 Fuss über der Meeresfläche der Otzberg. Ehemals hiess er auch Ottersberg, und es ist möglich, dass sein Name ursprünglich aus Odingberg entstanden ist. Könnte er nicht vor der Ausbreitung des Christenthums dem Götzendienste geweiht und zu der Zeit, als noch dichte Haine die ganze Gegend deckten, eine dem Odin geweihte Höhe gewesen sein? Auch der um den Gipfel des Berges herziehende Wall, und die dabei befindliche Vertiefung, worin das Dörfchen Hering liegt, stammt vielleicht noch aus jener Zeit, und diente zur Begränzung des heiligen Gebietes. Denn gleichsam einen umgebenden Ring um die Höhe bildend, führte er wohl den Namen Höhering, woraus in der Folge der Name Hering entstanden seyn mag. Diese Meinung bestätigt der Umstand, dass der Ort auch noch heut zu Tage der Hering heisst.
Wahrscheinlich wurde nach Zerstörung der heiligen Haine, die wohlgelegene Höhe zur Erbauung einer Burg an dieser Stelle benutzt. Wer aber der erste Ansiedler auf derselben gewesen, ist nicht bekannt.
Mit der benachbarten Stadt Umstadt, in alten Zeiten Autmundistadt, auch Omstadt, gehörte der Otzberg ursprünglich zu den Stiftsgütern der Abtei Fulda. Diese ertheilte aber die Schutz- Schirm- und Kastenvogtei darüber wieder zu Lehen, und als solches besass beide schon Pfalzgraf Conrad in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Mit Bewilligung des Papstes, die jedoch erst vier Jahre darauf erfolgte, verkaufte aber die Abtei Fulda im Jahre 1390 das unbeschränkte Eigenthum dieser Besitzungen an den Pfalzgrafen Ruprecht I. und sie sollten von nun an einen unveräusserlichen Theil der Pfalz ausmachen.
Friedrich, der Siegreiche, verschrieb sie jedoch, dieser Bestimmung ungeachtet, seinem Sohne Ludwig von Baiern, dessen Vormünder sich aber nach Friedrichs Tode verbindlich machen mussten, sie gegen eine Entschädigung wieder zurück zu geben;
[41] und der Kurfürst nahm schon im folgenden Jahre 1477 von den Aemtern Umstadt und Otzberg für das Pfälzische Kurhaus Besitz.
Zur Zeit der Baierischen Fehde (1504) bemächtigte sich Landgraf Wilhelm von Hessen, dem der Vollzug der Achterklärung gegen Philipp I. von der Pfalz aufgetragen war, der meisten zu dem Oberamte Umstadt gehörigen Orte. Während er die Stadt Umstadt belagerte, kam ein Vertrag darüber auf dem Landtage zu Köln zu Stande, und im Jahre 1521 verglichen sich unter Vermittelung des Bischofs von Strassburg Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz und Landgraf Philipp von Hessen dahin, dass die Pfalz und Hessen die Stadt Umstadt „sammt aller Herrlichkeit und Zugehörung von diesen beiden in ungetheilter Gemeinschaft inne haben sollten“.
Während dieses gemeinschaftlichen Besitzes wurden die beiderseitigen Antheile mehrmals gegenseitig verpfändet, so dass einmal die Pfalz, ein andermal Hessen-Darmstadt im Besitze des Ganzen war, bis die bei der Verpfändung ausbedungene Auslösung eintrat. Der gemeinschaftliche Besitz gab indessen in der Folge die Veranlassung zu manchen Irrungen zwischen den Besitzern.
Im dreissigjährigen Kriege hatte der Landgraf Ludwig von Hessen auf die Bitte der Unterthanen und mit Bewilligung des unglücklichen Königs Friedrich, den Otzberg und die Pfälzische Hälfte von Umstadt in Besitz genommen. Da er nun auf dem Reichstage zu Regensburg im Jahre 1623 wegen des in seinem eigenen Lande erlittenen Schadens Klage führte, wurde ihm, was er davon in Besitz genommen, als Entschädigung von dem Kaiser zugesprochen.
Ein schaudervolles Bild von dem Elende, welches das leidige Gefolge des Krieges, Mangel und Krankheiten in der Gegend verbreiteten, hat uns, aus den Aufzeichnungen des Pfarrers Mink, Retter in seinen „Hessischen Nachrichten“ aus der Zeit des dreissigjährigen Krieges aufbewahrt. Wir lesen dort: „Da starb mancher Mensch auf dem Lande, dass niemand von seinem Tod etwas wusste. Darum blieben sehr viele, und viele eine lange Zeit unbegraben liegen, dass sie ganz vermürbet und voller Würmer waren. Es lagen oft Kranke bei den Todten in einem Bett. Und habe ich selbsten ein krankes Mägdlein zu Umstadt gegen [42] der Schul über jämmerlich hören schreien, rufen und klagen über die Würmer, so von seiner todten Mutter ab und an es liefen. Daher ich verursachet, beim Magistrat um Begrabung der Mutter anzuhalten. Darauf dieses geschah, dass die Leute solchen todten Körper vor meine Hausthüre bei der Nacht legten. Wollte ich ihn weg haben, musste ich ihn begraben lassen.“
Der allgemeine Druck der Zeit wurde von vielen Unterthanen des Amtes Otzberg blos auf Rechnung der Hessischen Regierung geschrieben, und sie sehnten sich desshalb wieder nach der früheren Pfälzischen Regierung. Sie wandten sich desshalb an den Pfälzischen und Englischen Residenten in Frankfurt, und diese forderten dann nach ihrem Wunsche den Marschall Türenne, der eben mit seinem Heere den Maingrund hinauf ziehen wollte, auf, den Otzberg bei seinem Durchzuge zu erobern. Als dieser daher nach Lengfeld kam, liess er die Feste Otzberg durch einige dahin gesandte Offiziere zur Uebergabe auffordern. Der Commandant Seebach hoffte diese Aufforderung gütlich abzulehnen, wenn er selbst zu Türenne ginge; indem er seine Hoffnung auf Hessen-Darmstadts Neutralität stützte, und die Aufforderung nur für einen Irrthum hielt. Er ritt mit den Französischen Offizieren nach dem Hauptquartiere des Marschalls. Dieser wollte ihn aber wahrscheinlich nicht sehen, denn die Offiziere droheten ihm, statt ihn zu ihrem Feldherrn zu führen, und ängsteten ihn mit dem Degen, bis er dem auf der Feste zurückgelassenen Lieutenant den schriftlichen Auftrag zugehen liess, den Franzosen die Thore des Otzberges zu öffnen. Nun plünderten diese drei Tage lang. Kisten und Kasten wurden ausgeleert und zerschlagen, Rindvieh und Pferde weggeführt. Viele Otzberger mussten das Brod betteln, und unter ihnen auch diejenigen, die die Veranlasser dieses Unglücks dadurch geworden waren, dass sie durch ihre Unzufriedenheit mit der Hessischen Regierung den Gedanken angeregt hatten, bei dem Französischen Marschal Hilfe zu suchen.
Der Westphälische Frieden stellte die alte Ordnung der Dinge wieder her. Der Otzberg kam auf diese Weise wieder an die Pfalz, und diese und Hessen besassen wieder die Stadt und das Amt Umstadt gemeinschaftlich. So blieb es bis zum Revolutionskriege. Der Otzberg diente der Pfalz als Staatsgefängniss und [43] hatte eine Invalidenbesatzung und seinen Commandanten. Den Muth des letztern beurkundet sein Heldentod. Als er hörte, dass die Franzosen gegen seine Feste heranrückten, starb er vor – Schrecken.
Durch den Lünneviller Frieden kamen diese Theile der Pfalz an Hessen, und hier diente die Burg Otzberg anfänglich ebenfalls als Staatsgefängniss; später ward sie zu einem Pulvermagazin benutzt, das ein einzelner Mann bewachte. Nun steht sie ganz verlassen.
Ein sehr tiefer Brunnen versah die Burg einst mit Wasser.
Das alte Geschlecht der Herren von Ottersberg und der Grafen von Otzberg gehörte wohl zu den Burgmännern des Otzbergs.
Weiter gegen Norden hin wird das Land immer flacher und uninteressanter.
Das Gebiet der Modau.
Wir haben den Modaubach schon früher bei der Burg Frankenstein erwähnt. Er darf nicht mit der Mudau verwechselt werden, die wir auf der östlichen Gränze des Odenwaldes finden.
Dieser Bach entspringt auf dem nordwestlichen Abhange der Neunkircher Höhe, und fliesst, anfänglich einen Bogen bildend, an Brandau vorbei nach Allertshofen hinab. Von dort fliesst er in kleinen Windungen über Hoxhol, Ernsthofen, Ober- und Unter-Modau nach Ober-Ramstadt. Von hier wendet er sich in grössern Krümmungen westlich, nach Nieder-Ramstadt, und tritt bei Eberstadt, an dem Fusse des Frankensteins in die Ebene hinaus, die er in einem weiten südlichen Bogen an Pfungstadt vorbei durchfliesst. Bei Stockstadt ergiesst er sich in den Rhein. Das Thal, welches dieser Bach durchfliesst, entbehrt zwar nicht der Schönheiten, die uns die meisten Thäler des Odenwaldes [44] bieten, zumal in seinem Zuge von Brandau bis Ober-Ramstadt. Hier werden die Höhen flacher und das Thal weiter, doch überrascht es durch die grosse Zahl von Mühlen, die der Bach von hier aus treibt. Bei Nieder-Ramstadt nimmt er zur Rechten ein kleines von Traissa kommendes Bächlein und zur Linken ein grösseres, weiter unten den von Ober- und Niederbeerbach kommenden Bach auf, der ebenfalls unterhalb mehrere Mühlen treibt. Auch der oberhalb Balkhausen auf der Nordseite des Felsbergs entspringende und über Jugenheim und Bickenbach sich in die Ebene ergiessende Bach, fliesst, nachdem er sich unterhalb Hartenau mit dem zwischen dem Melibokus und dem Felsberge entspringenden Mühlbach, der sich über Auerbach nach Hänlein wendet, und mit der Mulde vereinigt hat, in den Modaubach.
Von den genannten Orten haben wir früher schon Ober-Ramstadt, den Geburtsort des berühmten Lichtenbergs bezeichnet; Hoxhol kommt in dem alten pfälzischen Zinsbuche von 1369 unter dem Namen Haxhale vor.
Das Gebiet der Lauter.
Das Felsenmeer, die Riesensäule, Schönberg.
Wie wir schon im Eingange erwähnt, beginnt die grosse Wasserscheide des Odenwaldes auf der Spitze des Melibokus, und zieht von dort über den Felsberg in der Nähe von Bedenkirchen und Brandau vorbei nach der Neunkircher Höhe, und von dort weiter nach Südosten. An dem südwestlichen Fusse der Neunkircher Höhe unweit Gadern, das zu Karls des Grossen Zeit schon unter dem Namen Gadero bekannt war, entspringt nun [45] die Lauterbach, und fliesst, einige Mühlen treibend, an Lautern vorbei, nach Reichenbach hinab, wo sie einen kleinen, unweit Beedenkirchen entspringenden Bach aufnimmt. Zu beiden Seiten des Thales erheben sich oberhalb Reichenbach zwei mässige Berge, auf deren Höhen zwei mächtige nackte Quarzfelsen, gleich darauf erbauten Burgen, emporstehen. Sie heissen der Hohenstein und der Porstein. Der letzte Name ist vielleicht aus Emporstein entstanden. Bei der Verwitterung der sie umgebenden nähern Felsarten, sind diese Quarzmassen allein stehen geblieben. In dem zwischenliegenden Thale soll ehedem auf Kupfer gebaut worden sein; und diese Sage bestätigt die Thatsache, dass wir selbst in der Nähe von Reichenbach in einem angefangenen Steinbruche sehr schöne mit Kupfergrün durchzogene Quarzstücke fanden. Vor einigen Jahren verbreitete sich das Gerücht, man habe in der Nähe Spuren von Steinkohlen gefunden; allein es hat sich, wie zu vermuthen war, nicht bestätigt.
Das Dorf Reichenbach ist sehr alt; denn unter dem in der Heppenheimer Markbeschreibung vorkommenden Reonga ist wohl kein anderes, als dieses zu verstehen.
Beinahe nordwestlich von diesem Dorfe erhebt sich der Felsberg. Obgleich er von dem Thale aus wie ein unzugänglicher Riese erscheint, führt der Pfad doch keineswegs allzu steil hinauf, und das dort befindliche Felsenmeer, die Riesensäule und die freie Aussicht auf dem Gipfel belohnen für die kleine Anstrengung des Weges. Ehe der Pfad sich in den Schatten des Waldes verliert, schaue man zuweilen nach dem Thale zurück, und man wird Reichenbach an mancher Stelle einem Schweizerdorfe vergleichen. Etwas über der Mitte der Höhe finden wir links vom Pfade das Felsenmeer. Nicht mit Unrecht hat man ihm diesen Namen gegeben. Scheint es doch, als wäre ein herabbrausender Strom aufgeregter Meereswellen plötzlich zu Stein erstarrt. Grosse, wild über einander geworfene Granitblöcke füllen in ziemlicher Breite, wie das Eis und die Lawinen eines Gletschers, die steil herabziehende Bergschlucht. Ist der Anblick von der Seite schon grossartig, so erscheint er für den um so grossartiger, der es wagt, bis in die Mitte des Stromes über die zum Theile glatt abgerundeten Granitblöcke hinaus zu gehen, und von hier dem Strome entgegen, nach der Höhe hinan zu schauen. An manchen Punkten [46] ist es weder sehr schwierig noch allzu gefährlich, einen solchen Standpunkt zu gewinnen. Unter diesen Felsentrümmern rauscht unsichtbar mit lautem Murmeln ein Bergquell. Als er noch mächtiger war, stürzte er wohl über diese, gewiss durch eine grosse Erdrevolution hierher geschwemmten Felsenmassen, die kleineren zwischenliegenden Steine allmählig mit sich hinabreissend, die grössern der deckenden Erde beraubend.
Nicht sehr ferne von dem Gipfel des Berges führt uns der kundige Führer nochmals eine kleine Strecke links von unserm Pfade. Hier finden wir die grosse Granitsäule, welche nach Kotzebue’s Vorschlag als ein würdiges Denkmal auf den Feldern der Leipziger Völkerschlacht stände, wenn die Schwierigkeit ihres Transportes von dieser Stelle aus nicht an das Unmögliche gränzte.
Sie ist unter dem Namen der Riesensäule bekannt, den sie entweder von ihrer riesigen Grösse erhielt, oder überhaupt dem Umstände zu danken hat, dass spätere Geschlechter die Werke, die sie nicht mehr begreifen, gerne einem frühern Riesengeschlechte zuschreiben.
Man erkennt deutlich, dass ihre jetzige Lagerstätte die Stelle ist, wo sie ursprünglich bearbeitet wurde. An dem nahen Fels sieht man noch genau die Keilansätze, wo sie abgesprengt wurde. Diess widerlegt schon ganz die irrige Ansicht Mancher, die behaupten, sie habe früher oben auf dem Berge aufgerichtet gestanden, und sei durch Gott weiss, welches Ereigniss hier herunter gestürzt.
Wer sie genau betrachtet, erkennt deutlich, dass sie noch gar nicht fertig gearbeitet ist. Der Augenschein zeigt, dass sich der Zirkel nach der untern Seite zu noch um ein Merkliches erhebt, und dass hier noch viel von der Steinmasse abgearbeitet werden müsste. Selbst die empor liegende Seite hat am untern Theile zwei Sägeeinschnitte. Zwar erzählt Schneider in seiner Erbacher Historie davon Folgendes: „Nach der Leute Bericht soll ein Pfalzgraf diese Säule einsmals nach Heidelberg, sie daselbst aufzurichten vermittelst etlicher hierzu gemachter Werkzeuge und hundert vorgespannter Pferde bringen zu lassen sich unterstanden haben, hätte sie aber wegen der schweren Last nicht einmal bewegen können; darauf er sich vorgenommen, die Säule stückweise hinführen zu lassen. Weil es aber wegen der Härte eine geraume [47] Mühe erfordert, bis sie nur den geringen noch für Augen stehenden Anfang gemacht, als seie es verblieben.“ Demungeachtet möchten wir den Grund, warum diese Sägeschnitte darein gemacht wurden, nicht in einem solchen wahnwitzigen Versuche finden, sondern uns eher dem einfachen Glauben hingeben, die Werksleute hätten sich selbst diese Einschnitte zu dem Ende gemacht, um sich damit anzudeuten, wie weit sie noch von dem Steine abarbeiten müssten, um ihm seine völlige Rundung zu geben.
Die Länge dieser Säule beträgt zwischen 31 und 32 Fuss, ihr unterer Durchmesser 4½, der obere nicht ganz 4 Fuss. Höhe und Dicke hat also ein ziemlich angemessenes Verhältniss. Dennoch will man behaupten, es sei ein Stück davon abgesprengt. Schneider und Wenk führen in ihren Geschichtswerken an, in Beedenkirchen liege diess Stück, und es messe 11–12 Fuss. Diese Angabe ist irrig. Ein solches Säulenfragment findet sich weder heute, noch fand es sich in den letzten dreissig Jahren in dem genannten Dorfe. Ein kleineres Fragment fand sich wohl einst in Reichenbach. Der Schandpfahl war dabei eingegraben, und es diente den zum Halseisen Verurtheilten zum Fussgestelle. Allein es ist nicht nur möglich, sondern beinahe gewiss, dass dieser Stein kein abgesprengtes Stück von der Riesensäule, sondern nur ein ähnlicher war.
Wollte man annehmen, dass alle diese Stücke ursprünglich zu einer Säule gehört haben, so müsste diese dann 48–50 Fuss hoch gewesen sein, und Höhe und Dicke hätte in keinem Verhältnisse gestanden. Aber sollte man einer Zeit, welche den Unternehmungsgeist und die Mittel zur Ausführung eines solchen Werkes besass, nicht auch die Kenntniss richtiger Verhältnisse zutrauen? Man könnte wohl eher versucht sein, solche Trümmer, wenn wirklich mehrere derselben vorhanden waren, als die Stücke einer andern, durch irgend einen Zufall verunglückten ähnlichen Säule zu halten. Denn dass die Riesensäule nicht der einzige Versuch dieser Art und in Bearbeitung des Granits an dieser Stelle gewesen, davon kann man sich ganz in der Nähe auf der andern Seite des Waldpfades überzeugen. Dort liegt der sogenannte Riesenaltar, ein grosser schon zugerichteter und in Arbeit genommener Granitblock, der vielleicht das stufenartige Piedestal der Säule werden sollte. Man sieht übrigens nicht allein an ihm, sondern [48] auch an mehreren Granitstücken Sägeschnitte, Ansätze von Meisseln und Spuren anderer Werkzeuge. Auch die Anfänge zweier grosser Platten sind erkennbar.
Von wem, und zu welchem Zwecke wurde die Riesensäule gefertigt? Keine Kunde leitet hinauf in die Zeit ihrer Entstehung. Nicht einmal eine Sage hat uns eine Tradition davon hinterlassen. Darum wird sie denn gewöhnlich für ein Werk der Römer gehalten. Häfelein hat diess in den Akten der Mannheimer Akademie aus einem in Mainz gefundenen mit Commodus Namen bezeichneten Piedestal scharfsinnig zu erweisen gesucht. Wenk hält sie für ein Werk des Mittelalters, folglich für ein deutsches.
Der Mannheimer Akademiker schliesst aus dem in Mainz gefundenen, aus Granit bestehenden und mit Commodus Namen bezeichneten Steine, dass die Römer mit dem Granit des Felsberges bekannt gewesen sein müssten, denn aus Aegypten oder Italien sei jener Stein doch nicht wohl nach Mainz gekommen. Sonst aber finde sich diese Steinart nur im Odenwalde.
Knapp stimmt ihm in seinen „Römischen Denkmalen des Odenwaldes“ bei, und fügt hinzu, die Römer hätten gewiss diese Steinart erkannt und benutzt, und „vielleicht gerade wegen des fürchterlichen Hasses, welchen die Römische Nation nach Commodus Tode gegen ihn überall blicken liess, (indem sein Name auf allen öffentlichen Denkmalen ausgelöscht wurde}, blieb die auf seinen Befehl so weit bearbeitete Riesensäule unvollendet liegen.“
Wir stellen dieser Hypothese eine andere entgegen. Wir halten sie mit Wenk für ein Werk aus den Zeiten Karls des Grossen. Dieser in so vielfacher Beziehung grosse Kaiser hatte in Italien die dort befindlichen Monumente aus Granit kennen und diese Steinart schätzen lernen, so dass er sich aus Ravenna für seinen Palast in Ingelheim Granitsäulen kommen liess. Gerade diess wendet freilich Knapp als eine Waffe gegen die Behauptung, dass die Riesensäule von Karl dem Grossen herrühre. Wenn er den Granit am Felsberge gekannt, und wenn man damals die Bearbeitung dieser harten Steinart verstanden hätte, so würde er sich die Granitsäulen gewiss nicht aus Italien haben kommen lassen. So schliesst er. Uns dünkt aber wahrscheinlich, dass Karl der [49] Grosse erst nacher, als die Säulen aus Ravenna angekommen waren, von einem der Gegend Kundigen auf das Vorhandensein einer gleichen Steinart in der Nähe aufmerksam gemacht wurde, und nun beschlossen habe, grössere Monumente aus denselben bearbeiten zu lassen. Soll ja doch sein Geheimschreiber und Baumeister Eginhard ein Odenwälder gewesen sein. Waren aber die einheimischen Arbeiter nicht in der Bearbeitung des Granits erfahren, so fehlte es einem Manne, wie Karl, doch wohl nicht an Mitteln, sich die nöthigen Arbeiter hierzu aus der Ferne kommen zu lassen.
Wie Münster in seiner Kosmographie die Granitsäulen, welche Karl der Grosse aus Ravenna erhielt, für gegossen hielt, so glaubte man es auch von dieser. Dieser lächerliche Irrthum lässt sich höchstens durch den gänzlichen Mangel an mineralogischen Kenntnissen und dadurch erklären, dass man die Möglichkeit nicht mehr einsah, den harten und schönkörnigen Granit des Felsberges so gut zu bearbeiten.
Ersteigt man vollends den Gipfel des Berges, so findet man dort ein einsames Försterhaus. Der Wald ist gegen Norden hin ausgerottet und man hat nach dieser Richtung und gegen Nordosten hin, zumal aus den Fenstern des Försterhauses, eine der überraschendsten Aussichten im ganzen Odenwalde. Gegen Westen erscheint in einem Waldausschnitte der Thurm des Melibokus. Die Verschiedenheit der Höhe dieser beiden Berge beträgt nur sechs Fuss.
Wem die Bewohner dieses Hauses gastliche Aufnahme gewähren, der kann hier aus den Gastzimmern zumal in dem hohen Sommer das erhabene Schauspiel eines Sonnenaufgangs in seinem ganzen Umfange und bequemer geniessen, als auf irgend einer Höhe in der Nähe der Bergstrasse.
Von dieser Höhe führt ein naher und anmuthiger Waldweg nach den Anlagen bei dem Fürstenlager zu Auerbach.
Verfolgen wir das freundliche Thal von Reichenbach weiter hinab, so kommen wir an den beiden kleinen Dörfern Elmshausen und Wilmshausen (sonst Elmannshausen und Willmannshausen) vorbei nach Schönberg. Die durch das Thal erbaute Landstrasse hat zwar den idyllischen Karakter desselben etwas gestört, doch gewährt diese den weniger geübten Fusswanderern die Annehmlichkeit, [50] leicht bis zum Fusse des Felsberges zu Wagen gelangen zu können, und so die Kräfte für das Besteigen des Berges zu sparen.
Schönberg liegt nur noch etwa eine halbe Stunde von Bensheim aufwärts im Thale, und gibt diesem hier den Namen des Schönberger Thales, das in älteren Urkunden mit dem Lateinischen Namen vallis speciosa, Schönthal genannt wird. Das Dorf Schönberg liegt in zerstreuten Häusern längs dem Bache am Fuss des Berges hin. Zur rechten Seite prangt auf einer gegen das Thal steil abfallenden Anhöhe das Schloss Schönberg, der reizende Sitz der Erbach-Schönbergischen Grafenlinie.
Da eine Burg auf dieser Stelle ein fester Punkt sein konnte, um diesen Eingang in den Odenwald zu beherrschen, so ist zu vermuthen, dass sein Ursprung in die frühern Zeiten hinauf reicht. Eine Kunde über die Zeit seiner Entstehung und den ersten Erbauer mangelt auch hier. Aus der Nähe von Bensheim und seinem kirchlichen und gerichtlichen Verbande mit solchen Orten, die ehedem zu dem reichen Kloster Lorsch gehörten, lässt sich beinahe mit Gewissheit schliessen, dass es vordem auch zu den Besitzungen dieses Klosters gehört und von ihm mit den bekannten Voll- oder Fahnlehen an die Pfalz und von dieser wieder an die Grafen von Erbach gekommen sein werde.
Mit der ersten Spur von dem Dasein der Burg erscheint sie auch schon als ein Pfälzisches Lehen im Besitze der Schenke von Erbach. Im vierzehnten Jahrhunderte war es ein Ganerbenhaus dieser Familie. Selbst Graf Heinrich von Spanheim, von mütterlicher Seite ein Oheim Heinrichs, Schenken von Erbach, hatte von dem Jahre 1375 an bis zu seinem Lebensende Theil an dieser Ganerbenburg, und verspricht in seiner darüber ausgestellten Urkunde den Burgfrieden zu halten.
Bei dem Ausbruche der Baierischen Fehde hatte zwar Schenk Eberhard weislich Vorkehr getroffen, um durch ein gutes Einverständniss mit dem Landgrafen von Hessen seine Besitzungen zu wahren; aber in dem Pfälzischen Fehdebrief an den Ländgrafen geschah unglücklicher Weise auch der Schenke von Erbach als Pfälzischer Vasallen Erwähnung. Darum liess der Landgraf Wilhelm auch ihre Besitzungen ohne nähere Untersuchung feindlich behandeln.
[51] Nachdem Schenk Eberhard auf diese Weise schon einige seiner[4] Besitzungen verloren hatte, erbat er sich einen zweitägigen Waffenstillstand, um seine Unschuld zu erweisen. Er erhielt ihn zwar; allein das Schloss Schönberg wurde gerade in jenen Tagen von den Landgräflichen genommen und später „weil es Pfälzisches Lehen war,“ verbrannt.
Landgraf Wilhelm war auch nach dem Frieden noch versucht, die von dem Schenken von Erbach eroberten Besitzungen als eine Entschädigung für seine Kriegsrüstungen zu behalten, und behandelte sie darum schon völlig als sein Eigenthum, bis endlich Schenk Eberhard am 20. Januar 1510 in einen Vertrag willigte, durch welchen er das beschädigte Schloss als ein Hessisches Lehen annahm.
Auch der dreissigjährige Krieg ging nicht spurlos an der Burg vorüber. Als die Spanier unter Corduba an der Bergstrasse waren, kam der Dollmetscher desselben im Juni 1622 mit einem Trupp Reitern und Fussvolks herbei, gewann das Schloss durch List, und liess drei Tage darin plündern. Gleiches Schicksal widerfuhr damals den Erbachischen Dörfern Zell und Rimbach.
Der Hauptbau des Schlosses Schönberg trägt in seinem Aeussern noch den Karakter des Alterthümlichen; indessen ist es durch Neubauten und die Einrichtung in dem Innern zu einem bequemen und freundlichen Wohnsitze umgeschaffen. Nicht allein aus den weit in das Thal hinauf schimmernden Fenstern, auch schon von der Terasse im Schlosshofe hat man eine köstliche Aussicht in das Thal hinauf.
Ebenso bietet auch der freundliche, wohlunterhaltene Schlossgarten manche liebliche Stelle, die den Lustwandler durch ihre Aussicht fesselt. Besonders gefällig, nimmt sich von manchen Punkten das von dem Besitzer des Schlosses auf einer Vorhöhe etwas weiter oben in geschmackvollem Style erbaute Kirchlein in seinen reinlichen Umgebungen aus, und überraschend tönt das tiefe harmonische Geläute von demselben herüber, das nicht durch das Läuten gewöhnlicher Glocken, sondern durch angeschlagene Stahlstücke hervorgebracht wird.
Von dem Schlossgarten führt über die Höhe ein naher Weg nach dem Altarberge und den übrigen Anlagen bei dem Fürstenlager zu Auerbach hinüber.
[52] Von Mühle zu Mühle fliesst die Lauterbach unterhalb Schönberg nach dem eine halbe Stunde entfernten Städtchen Bensheim, und tritt, dieses durchfliessend, in die Ebene hinaus. Hier aber verliert sie ihren Namen, und fliesst als Ziegelbach zwischen der Bergstrasse und dem alten Neckarufer bei Schwanheim und Rodau in einem nördlichen Bogen nach Langwaden. Von dort zieht sie in kleinen Krümmungen und in nordwestlicher Richtung unter dem Namen Winkelbach nach Gernsheim, wo sie sich in den Rhein ergiesst.
Das Gebiet der Weschnitz.
Lindenfels, Birkenau.
In der Nähe des hochgelegenen Dorfes Hammelbach zieht die Hauptschneeschmelze des Odenwaldes vorbei, und an diese schliesst sich hier die Höhenreihe an, welche das Weschnitzgebiet von dem der in den Neckar fliessenden Laxbach scheidet. In dem westlichen Winkel dieser beiden Höhenzüge entspringt die Weschnitz in der Nähe eines gleichnamigen Dorfes.
Der Name Weschnitz hiess früher Wisgoz, und sie kommt unter diesem häufig in den Urkunden des Klosters Lorsch vor. Man vermuthete, dass sie den Namen Wisgoz, Wiese Gottes, von dem Kloster und der Kirche erhalten, welche auf dem Wiesengelände und zwar auf einer von den Armen der Weschnitz umschlossenen Insel lagen, erhalten habe, indem die zu dem Gotteshause gehörigen Wiesen zuerst diesen Namen erhalten, und von dem Wiesenland sei er dann auch auf das dasselbe bewässernde Flüsschen übergegangen. Soll diess wirklich der Fall sein, so kann der Name jedoch nicht von dem Kloster herrühren, denn in der Urkunde, wodurch Graf Cancor und seine Mutter Williswinda im [53] Jahre 763 ihre Besitzungen in Hagenheim der Kirche in Lauresham (Lorsch) übergeben, heisst es schon Lauresham an der Wisgoz. Möglich wäre es, dass dieser Name jedoch von einer frühern Kirche daselbst abgeleitet werden könnte. Denn aus der eben genannten Urkunde geht hervor, dass früher schon eine dem heiligen Petrus geweihte Kirche dort stand, und dass solche von den genannten Stiftern des Klosters Cancor und Williswinda wieder neu aufgebaut worden. – Die Römer nannten dieses Flüsschen wahrscheinlich Visucius. In der Antiquitätenhalle zu Mannheim befindet sich nämlich ein Römischer Stein, welcher der Gottheit Visucius geweiht, und aus dem Odenwalde dahin gekommen ist. Der Fundort ist nicht näher angegeben. Da indessen Hammelbach früher zur Pfalz gehörte, so kann er wohl von der Weschnitzquelle, wo ihn die Römer dem Flussgotte zu Ehren aufgestellt, dahin gekommen sein.
In der Nähe des Dörfchens Weschnitz steht auf einer Anhöhe ein kleines Kapellchen, der heiligen Wallburgis geweiht, wovon die Anhöhe selbst den Namen Wallburgisberg erhalten hat. Ein Zufall führte uns früher eine handschriftliche Nachricht über diesen Berg vom Jahre 1664 zu, worin erzählt wird, achtzigjährige Männer erinnerten sich noch, von ihren Altvätern gehört zu haben, dass diese Stelle einst ein wundervoller Ort gewesen, der von häufigen Wallfahrten besucht worden. Es hätten sich damals noch manche Zeichen von Heilungen an Blinden und Lahmen hier befunden. Durch die Einführung der Reformation in der Pfalz soll indessen Alles zerstört worden sein, was auf die Heiligkeit des Ortes deutete. Nur ein altes Bild der heiligen Wallburgis blieb noch in der alten Kapelle. Da es aber in der Folge durch Hirtenknaben verunreinigt wurde, verschwand es.
Später wurde die Kapelle wieder etwas hergestellt, und im Jahre 1677 wieder eine Prozession dahin geführt. Im Jahre 1694 vermochte ein bei der Kapelle wohnender Eremit durch fussfälliges Bitten den Papst Innocenz XVI., der Kapelle einen vollkommenen Ablass zu ertheilen, der in der Folge von dem Papste Clemens XI. im Jahre 1704 noch einmal erneuert wurde.
Die wundervolle Heiligkeit des Ortes, die Namen der beiden naheliegenden Dörfer Ostern, und der Umstand, dass der Wallburgistag auf den aus alter Heidenzeit noch immer bedeutungsvollen [54] ersten Mai fällt, – diess Alles führt zu der Vermuthung, dass diese Gegend schon vor der Ausbreitung des Christenthums, ja schon vor dem Aufenthalte der Römer ein heilig geachteter Ort gewesen. Vielleicht wurden die Römer selbst durch die frühere Heilighaltung desselben zur Errichtung eines Altares für den Flussgott Visucius veranlasst.
Von ihrem Ursprunge fliesst die Weschnitz in einem nördlichen Bogen an Brombach und Kreckelbach vorbei nach dem Hessischen Flecken Fürth, dem Sitze eines Landgerichts, wo sich die beiden von der Bergstrasse über Heppenheim und über Weinheim in den Odenwald ziehenden Landstrassen kreuzen und dann östlich und nördlich weiter ziehen. Hier erweitert sich das Thal durch mehrere an dieser Stelle einmündende Seitenthälchen, und wird auch fruchtbarer als weiter oben. In dem alten Zinsbuche von 1369 heisst es Förte, in der Heppenheimer Markbeschreibung aber Furte.
Durch eines dieser Thälchen kommt das Kamsbächlein über Crumbach herab, durch das andere die Schlierbach, die eigentlich Thalbach heisst und von Breitenwiesen über Glattbach, Winkel, Schlierbach und Eulsbach herabkommt. Zwischen diesen Thälern erhebt sich allmählig ein hoher Bergrücken, an dessen westlichem Abhange, eine Stunde in nordnordwestlicher Richtung von Fürth, das kleine Städtchen Lindenfels und über demselben die Trümmer der gleichnamigen Burg liegen.
Dass auf der Stelle der Burg Lindenfels in den ersten Jahrhunderten ein Römerkastell gestanden, ist wohl möglich, doch ist die Vermuthung durch keine Gründe bestätigt. Die Gegend kam wohl unter den Frankenkönigen an das Kloster Lorsch, welches sie zu Lehen gab. Zuerst kommt in den noch vorhandenen Urkunden im Jahre 1123 ein Graf Bertolf von Lindenfels mit seinem Enkel Konrad vor; auch erschienen in den Jahren 1148 und 1165 noch Billung und Magenes von Lindenfels als Freye. Jener Graf Bertolf starb ohne Leibeserben, und Lindenfels kam an die Nachkommen seiner älteren Schwester und durch diese in der Folge an den Pfalzgrafen Konrad von Hohenstaufen. Mit Agnes, der Tochter dieses Pfalzgrafen, erheirathete es der Herzog Heinrich von Sachsen, der es ums Jahr 1211 bewohnte. Seine Tochter Irmgard brachte es ihrem Gemahle Herrmann zu, einem Markgrafen
[55] von Baden, von dessen drei Söhnen es im Jahre 1277 Pfalzgraf Ludwig II. erkaufte.
Inzwischen war das Kloster Lorsch an Mainz gekommen, und da dieses wegen des Lehens Ansprüche an die Burg Lindenfels machte, so veranlasste dieser Kauf grosse Streitigkeiten zwischen der Pfalz und Mainz, die indessen im Jahre 1308 gütlich dahin beigelegt wurden, dass dem Pfalzgrafen „die in der sogenannten obern Abtei Fürth wohnenden Leute lebendig und todt, und was zu den Gütern gehört, besucht und unbesucht etc. zugehören sollen.“
Als sich aber Pfalzgraf Ludwig um die deutsche Kaiserkrone bewarb, kam Lindenfels nebst den dazu gehörigen von Lorsch herrührenden Besitzungen im Jahre 1314 durch Pfandschaft wieder an Mainz und im Jahre 1329 ward es durch den Vertrag von Pavia dem Pfalzgrafen auf ewig eingeräumt.
In dem Rupertinischen Hausgesetze ward Lindenfels unter die unveräusserlichen Besitzungen aufgenommen, die immer bei der Kur bleiben sollten, und hiernach fiel es in der Theilung nach des Kaisers Ruprecht Tode dem Kurfürsten Ludwig III. in das Loos. Von da an blieb es bei der Pfalz, bis es durch den Lüneviller Friedensschluss an Hessen-Darmstadt kam.
Dem Orte Lindenfels ertheilte König Ludwig im Jahre 1336 Stadtgerechtigkeit und die Erlaubniss, einen Wochenmarkt zu[5] halten. Ruprecht I. verschrieb Lindenfels Burg und Stadt mit Zugehör im Jahre 1357 seiner Gemahlin Elisabeth zum Wittum. Die nachfolgenden Kurfürsten ertheilten ihm noch mehrere Freiheiten und bestätigten die ältern. So erhielt die Stadt nach und nach vier Jahrmärkte, und erhob sich hierdurch allmählig zu einem ziemlich bedeutenden Orte.
Die Burg ward immer in einem wehrhaften Stande erhalten, und hatte, wie üblich, ihre Burgmänner. Zu diesen gehörten Ulrich von Bickenbach, Graf Wilhelm von Katzenelnbogen, die Mosbachs und Kreisse von Lindenfels, Knebel von Katzenelnbogen, Ulner von Dieburg und die Rodensteine, wovon die drei letztgenannten Familien noch spät hier begütert waren. – In den verheerenden Kriegen der frühern Jahrhunderte ward die Burg immer erhalten, und war bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts in gutem Stande und mit einer kleinen Besatzung versehen.
[56] Früher stand Lindenfels im kirchlichen Verbande mit Fürth, und seine Hauptkirche ward als Filialkirche von dortaus versehen. Bei der Kirchentheilung fiel diese Kirche den Protestanten zu, und die Katholiken behalfen sich bis zum Jahre 1728 mit der Burgkapelle, baueten sich nachher aber eine eigene Kirche.
Von Fürth aus fliesst die Weschnitz in südwestlicher Richtung nach Rimbach, einem ziemlich grossen Dorfe, das ehemals zum Kloster Lorsch gehörte, und Rintpach, auch Rimpach hiess. Das Erzstift Mainz gab im Jahre 1409 sein „Haus und Burgstadel in Rimbach“ dem Konrad Schenk von Erbach zu Lehen, und in der Folge ward Erbach mit dem ganzen Dorfe Rimbach von der Pfalz belehnt.
Der Karakter des Weschnitzthales bleibt sich von Fürth bis Birkenau immer ziemlich gleich. Ein schöner, nicht allzuschmaler Wiesengrund zieht zwischen bebauten Fruchthügeln hin, auf welchen sich hier und da noch die Reste ausgerotteten Waldes zeigen, in sanften Krümmungen hinab. – Besonders schön nahm sich immer die freundlich gelegene Kirche in ihrer Umkränzung von hohen Pappeln aus.
Unterhalb Rimbach liegt Mörlenbach, das schon in der Heppenheimer Markbeschreibung unter dem Namen Morlebach vorkommt. Hier war früher ein Schloss, das fest war, und als Kellereihof des Klosters Lorsch diente. Es hatte ebenfalls seine Burgmänner, von welchem sich eine Familie nach dem Orte benannte. Bis zum Jahre 1803 war Mörlenbach Mainzisch.
Weiter hin liegt der kleine Ort Reissen, im J. 1183 Eressam, in dem alten Zinsbuche Rüssen genannt.
Das schön gelegene Dorf Birkenau ist das letzte im Weschnitzthale. In einer Urkunde vom Jahre 846 wird schon der Zelle Birkenowa gedacht. Dort übergibt sie der Gaugraf Wernher dem Kloster Lorsch. Aber in der Heppenheimer Markbeschreibung wird schon das Dorf Birkenova aufgeführt. Im fünfzehnten Jahrhundert trugen es die adeligen Familien Schwende von Weinheim und die Landschaden von Steinach zu Lehen. Der Schwendische Antheil kam dann an die Wambolte von Umstadt. In der Folge erwarb aber der Reichshofrath von Bohn oder Bonn das [57] Ganze. Nach dem Absterben der Bohnischen Familie wurde die von Wamboltische wieder von Mainz damit belehnt und ist noch jetzt im Besitz, obgleich unter Hessischer Souveränität. – Ueber die oberste Gerichtsbarkeit walteten lange und bis zum Regierungswechsel fortgesetzte Misshelligkeiten zwischen der Pfalz und Mainz ob. Im J. 1806 erkannte endlich das Haus Baden, als Nachfolger in der Pfalz, die Souveränität Hessens über Birkenau an. Die von Wamboltische Familie besitzt hier ein artiges Schlösschen und Garten, die beide, da letzteres selten bewohnt ist, etwas vernachlässigt erscheinen. Die beiden Kirchen sind in diesem Jahrhunderte wieder neu aufgebaut.
Von Birkenau bis Weinheim findet man die pittoreskesten Stellen des Weschnitzthales, deren wir indessen schon bei Weinheims Umgebung Erwähnung gethan haben.
Zu dem Gebiete der Weschnitz gehören alle die kleinen Bäche, welche sich zwischen Bensheim und Weinheim aus den zahlreichen Thälern und Thälchen an der Bergstrasse nach der Ebene heraus ergiessen, denn alle vereinigen sich mit derselben. Es gehört dazu: das von Zell, in der Nähe von Bensheim herabkommende, das von Hambach unterhalb Heppenheim und das in Heppenheim aus dem Kirschhauser Thal, das von Oberlaudenbach nach Laudenbach, das vom Hemsbacher Schafhofe durch Hemsbach, und das von dem Sulzbacher Hofe durch Sulzbach herabfliessende Bächlein. Auf der linken Seite nimmt die Weschnitz in Weinheim den Grundelbach auf, der von Tresel über Ober- und Unterfleckenbach, Unter-Kunzenbach und Gorxheim herauskommt und das bis zu der Quelle des Baches hinauf freundliche idyllische Gorxheimer Thal bildet.
Das Gebiet der Kanzelbach.
Von dem hochgelegenen Dörfchen Ursenbach, von dem Dorfe Altenbach und von dem Schriessheimer Hofe her vereinigen sich in dem Schiessheimer Thale drei Bächlein zu dem Bach, der, die Mühlen treibend, das Thal durchfliesst und durch Schriessheim und Ladenburg unterhalb Ilversheim in den Neckar geht. Er ist unter dam Namen Kanzelbach bekannt, und wird auch für die in den Lorscher Urkunden vorkommende Ulvina in Lobdengau gehalten, indem man den Namen des Dorfes Ilvesheim, vordem Ulvinisheim, davon ableitet. Von dem Dorfe Altenbach finden wir in ältern Urkunden keine Spur, und es ist wahrscheinlich, dass es, wie mehrere in dieser Gegend, durch Niederlassungen von Holzmachern in diesen den Bischöfen von Worms vordem gehörigen Waldungen entstanden ist. Das Dörfchen Ursenbach scheint älter, denn es kommt, als zu dem von Lorsch abhängigen Hirzberger Lehn gehörig, in den betreffenden Urkunden immer mit demselben vor.
Das Gebiet der Steinach.
Die Burg Waldeck und das Städtchen Schönau.
Das Steinachthal wird gewöhnlich nach seiner Ausmündung von Schönau gegen Neckarsteinach hin das Schönauer Thal genannt.
Die Steinach entspringt von der das Quellengebiet der Weschnitz auf ihrer linken Seite begränzenden Fortsetzung des Wachenberges in der Nähe von Oberabtsteinach, zwei Stunden von Weinheim. Südwestlich von dem Dorfe erhebt sich die Höhe des Waldknopfes, auf deren Gipfel man eine der überraschendsten Aussichten nach der Ebene des Rheinthales geniesst. Es ist zu bedauern, dass kein bequemer Fahrweg in die Nähe führt, so dass nur rüstige Fusswanderer sich diesen Genuss verschaffen können.
Schon in der Beschreibung der Heppenheimer Mark kommt die Steinaha vor. Nachdem sie von Oberabtsteinach in einem östlichen Bogen über Unterabtsteinach gelaufen ist, wendet sie sich bei dem unbedeutenden Dorfe Ringesheim nach Südosten und kommt nach Heilig-Kreuzsteinach, wo sich die Euterbach mit ihr vereinigt. Das Dorf hatte seinen Namen wahrscheinlich von der zu Ehren des heiligen Kreuzes geweihten alten Kirche, die sich vor alten Zeiten hier befand. Als sie im fünfzehnten Jahrhunderte wieder neu aufgebaut werden musste, wurde sie den Aposteln Philippus und Jakobus geweiht. Der Pfarrsatz dieser Kirche gehörte früher den Besitzern der Burg Waldeck. Im Jahre [60] 1293 verkaufte aber Konrad von Strahlenberg den Zehnten zu Persbach sammt dem Patronatrechte der Kirche in „Heilic Cruces Steina“ an das Domkapitel zu Worms.
Früher gehörte das ganze Dorf zu der in der Nähe gegen Westen liegenden Burg Waldeck, die nun gänzlich zerfallen ist. Sie war einst Eigenthum der Herren von Strahlenberg. Im Jahre 1315 aber versetzte Renneward von Strahlenberg, um entstandene Irrungen mit Worms auszugleichen, dem Bischofe die Burg mit allem Zugehör um 1000 Pfund Heller. Es war jedoch bedungen, dass die Strahlenberger die Burg binnen sieben Jahren wieder einlösen dürften; in dieser Zeit musste aber der Bischof 150 Pfund Heller an der Burg verbauen. Sie scheint wieder eingelöset worden zu sein; denn im Jahre 1355 versetzte Siegfried von Strahlenberg die zugehörigen Dörfer, und zwei Jahre darauf verkaufte er die Burg nebst Heilig-Kreuzsteinach und den übrigen Dörfern an den Pfalzgrafen Ruprecht I. Dieser verpfändete sie wieder an Junker Henel Kreiss von Lindenfels, und ungeachtet sie in der Rupertinischen Theilung dem Herzog Otto zugefallen war, erbte sie doch, weil der Pfandschilling damals noch nicht abgelöst worden, auf seine Nachkommen, und die Pfalz kam erst im Jahre 1525 wieder in Besitz der Burg. Nach dieser Zeit blieb sie bei der Pfalz, doch zerfiel sie, und es wurden nur die zur Verwaltung der Güter nöthigen Oekonomiegebäude daselbst errichtet und unterhalten.
Von hier wird das Thal bis zu dem Städtchen Schönau ziemlich einförmig, und selbst bei dem Dorfe Alt-Neundorf wird diese Einförmigkeit nicht unterbrochen. Das in einer Strahlenbergischen Urkunde aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts vorkommende Nuwendorf ist wahrscheinlich dieses Neudorf, welches in der Folge den Namen Alt-Neudorf erhielt, um es von dem später entstandenen neuen Dorfe Wilhelmsfeld, das der Kurfürst Johann Wilhelm anlegte, zu unterscheiden.
Bei Schönau bringen die aus den Seitenthälchen zur Rechten und Linken hervorkommenden Bächlein etwas mehr Abwechslung in die übrigens nicht unschöne Einförmigkeit des Thales. Diese Gegend gehörte zu dem Theile des Odenwaldes, welchen schon Karl der Grosse dem Domstifte Worms geschenkt hatte, und sie war noch im Anfange des zwölften Jahrhunderts eine waldige Wildniss.
[61] Da kam im Jahre 1135 der Bischof Buggo (Burkard) von Worms hierher. Ihm gefiel die stille Abgeschiedenheit des Ortes, den er darum für ganz geeignet hielt, sich in völliger Zurückgezogenheit von der Welt der Betrachtung Gottes zu weihen. In dieser Ueberzeugung beschloss er, hier ein Kloster zu stiften. Weil aber Graf Boppo von Laufen damals die Gegend von dem Domstifte Worms zu Lehen trug, und dieser es wieder dem Bligger von Steinach zu Afterlehen gegeben hatte, mussten diese erst entschädigt werden. Der Bau des Klosters „zur Ehre der heiligen Jungfrau“ wurde unternommen, und von seiner Lage in der schönen Au erhielt es den Namen Schönaugia. Buggo besetzte das Kloster mit Cisterzienser-Mönchen, die nach der Regel des heil. Benedictus mit eigenen Zusätzen lebten, und zuweilen auch Bernhardiner genannt wurden, weil sich Bernhard um Ausbreitung und Verbesserung des Ordens sehr verdient gemacht hatte. Im Jahre 1142 fertigte Buggo den Stiftungsbrief des Klosters aus.
Bald stieg der Wohlstand desselben durch viele und bedeutende Schenkungen der Bischöfe zu Worms und Speyer, der Pfalzgrafen und mancher angesehenen Familien. Hierdurch geschah es, dass die Aebte des Klosters Schönau bald zu den angesehensten Ständen des Landes gerechnet wurden. Mehrere Pfalzgrafen und Bischöfe liessen sich nach ihrem Ableben in der hiesigen Klosterkirche beisetzen. Dies Kloster zeichnete sich vor andern durch eine gute Zucht während seines mehr als vierhundertjährigen Bestandes vortheilhaft aus.
Als nach Otto Heinrichs Tode, den bestehenden Erbverträgen gemäss, der damals regierende Herzog zu Simmern die Pfälzischen Kurlande erbte, und unter dem Namen Friedrich III. über die Pfalz herrschte, hob er, ein eifriger Protestant, mit mehreren andern auch das Kloster Schönau im J. 1562 auf. Die Ordensgeistlichen wurden vertrieben, und da gerade ungefähr dreissig Familien von den durch Herzog Alba’s Verfolgungen flüchtig gewordenen protestantischen Niederländern (Wallonen) bei ihm um Aufnahme baten, wies ihnen dieser erste reformirte Beherrscher der Pfalz diesen verlassenen Aufenthalt an. Sie waren meist Tuchweber, und richteten sich dort für ihre Gewerbe ein, bauten sich nach und nach weiter an, und so entstand das Städtchen Schönau.
[62] Im dreissigjährigen und Orleans’schen Kriege zerstörten die Franzosen die Klosterkirche und das Kloster; nur das Kapitelhaus blieb stehen und ist jetzt noch die protestantische Kirche; die neuere katholische Kirche wurde im Jahre 1737 erbaut. Die wenigen vorgothischen Reste des Klosters und der Kirche dienen in manchen neueren Gebäuden zur Rückwand. Sehenswürdig ist der schöne und noch wohl erhaltene Thorbogen der Kirche mit der Inschrift an dem einen Pfeiler, die uns anzeigt, wie reichlich die Kirche mit ewig brennenden Lichtern versehen war.
Unter den Mönchen dieses Klosters lebte unerkannt auch eine Zeitlang eine Heilige. Sie wollte sich unter die frommen Brüder desselben aufnehmen lassen, starb aber, noch ehe sie ihr Gelübde abgelegt hatte, als Novize. Wir lassen die fromme Sage von ihrem Leben und Tode hier folgen.
In der Nähe der Stadt Köln lebten zwei fromme Eheleute im Wohlstand und Ansehen; Eines fehlte aber zu ihrem vollkommenen Glücke, ihre Ehe war lange Jahre kinderlos. Gebete und Gelübde, die sie gen Himmel schickten, schienen lange unerhört zu bleiben. Als eine besondere Gunst erschien ihnen daher die glückliche Geburt zweier Zwillingsschwestern. Eine derselben war Hildegunde. Kaum waren die beiden Mädchen den Jahren der hilfsbedürftigen Kindheit entwachsen, so brachten sie die Aeltern, um ihr Dankgelöbniss zu erfüllen, in ein Frauenkloster zu Neuss, dem sie ihre Erziehung anvertrauten, und begaben sich auf die weite Pilgerreise nach dem gelobten Lande.
Kein Unfall störte ihre Reise; sie kehrten glücklich in die Heimath zurück. Allein bald darauf starb die Mutter. Da entschloss sich der Vater, von frommer Neigung getrieben, noch einmal die heiligen Stellen zu besuchen, wo der Heiland gelebt und gelitten. Als aber Hildegunde von diesem Vorhaben erfuhr, lag sie ihrem Vater mit Bitten und Thränen so lange an, bis er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Schnell waren ihre Zurüstungen gemacht, und um jedem Anstosse vorzubeugen, den ihr Geschlecht auf der weiten Reise geben konnte, zog sie als junger Pilgersmann [63] verkleidet mit ihrem Vater aus der Heimath auf die Wallfahrt. Sie nannte sich Joseph. Ein gedungener Knecht folgte ihnen.
Allein auf der langen Seereise starb ihr Vater. Dennoch setzte sie in ihrer Verlassenheit die Reise fort, gelangte glücklich nach Palästina und besuchte schon mit andachtsvollem Gemüthe die heiligen Stellen, wo der Herr einst gewandelt, gelehrt und gewirkt hatte. Noch war sie aber nicht nach Jerusalem gekommen, als eines Tages ihr Knecht mit all ihrer Habe entwich, und sie fremd und arm in dem fremden Lande zurückliess.
Ein frommer Mann sah ihre Noth, und mitleidig nahm er den jungen Pilgerknaben mit sich nach Jerusalem, und führte ihn zu den Tempelherren. Diese behielten[6] ihn ein ganzes Jahr bei sich, bis sie endlich in einem Landsmann einen Begleiter für ihn fanden, der ihn nach Köln zurück brachte. Obgleich der Heimath nahe, war Hildegunde doch in Köln ganz fremd. Sie behielt ihre Kleidung und den Namen Joseph bei, und trat, hilflos, wie sie war, bei einem Kanonikus in Dienste.
Geschäffte riefen diesen bald darauf nach Rom. Er machte die Reise zu Pferde und sein Diener musste ihm zu Fusse folgen. Da gesellte sich auf freiem Felde einst ein Mann zu ihm, der einen Sack auf seinem Rücken trug. Sie waren eine gute Strecke mit einander gegangen, als ihnen einige Männer eilig nachfolgten. „Willst du nicht so gut sein“, sprach da sein Reisegefährte zu ihm, „meinen Sack eine kleine Strecke zu tragen? dort im Walde will ich mir nur einen Reisestecken schneiden. Geh indessen nur langsam weiter; ich hole dich bald wieder ein.“
Nichts Arges ahnend, nahm ihm der gutmüthige Joseph den Sack ab, hängte ihn auf seinen Rücken, und schritt damit langsam weiter, während der Gefährte schnell nach dem nahen Walde seitwärts hineilte und in dem Dickicht desselben verschwand.
Die nacheilenden Männer waren inzwischen näher und näher gekommen, und deutlich hörte er sie unter einander rufen: „Haltet den Dieb!“ Joseph sah sich bei solchem Rufe um, den Dieb mit den Augen suchend, der da gehalten werden sollte. Da er aber niemand sah, hielt er das Ganze für einen Scherz und schritt langsam weiter. Jetzt hatten sie ihn aber erreicht und fielen mit Ungestüm über ihn her, nahmen ihm den Sack ab, und führten ihn mit Schlagen und Stossen nach dem nächsten Städtchen.
[64] „Warum misshandelt ihr mich also?“ fragte er sie. „So? du fragst noch?“ war die Antwort. „Hast du doch deinen Ankläger, den Sack mit dem gestohlenen Gute, selbst auf dem Rücken getragen! Du musst hängen!“ Unter diesen und ähnlichen Vorwürfen und Drohungen ward der Knabe Joseph vor den Richter der Stadt gebracht. Hier sprach er: „Ich bin unschuldig. Ich erkenne nun aber, dass man mich für schuldig halten muss. Der Schuldige hat sich indessen gerettet, und mich mit seinem Sacke in den Verdacht gebracht. Ich bin aber bereit, meine Unschuld durch ein Gottesurtheil zu beweisen.“
„Es sei!“ sprach der Richter. Man bringt das glühende Eisen, und unversehrt wandelt der Beklagte langsamen Schrittes darüber hin. Der Richter und die Ankläger sehens mit Staunen. „Unschuldig!“ ruft der Richter. Und nun erzählte Joseph, auf welche Weise er zu dem Sacke gekommen. Dabei beschreibt er den Dieb so genau, dass man in ihm einen Einwohner derselben Stadt erkennt. Der Richter schickt nach ihm. Er war inzwischen auf Nebenwegen nach Hause gekommen. Man ergreift ihn, in der Ueberraschung gesteht er sogleich im Verhöre, und muss nun am Galgen sein Vergehen mit dem Leben büssen.
Als Joseph aber darauf von dannen ziehen will, umringen ihn an einsamer Stelle die Verwandten und Diebsgenossen des Gehängten. „Du bist Schuld an seinem Tode! Du hast unsern Meister verrathen! Dein Tod soll ihn rächen.“ Mit diesen Worten ergreifen sie ihn, und hängen ihn an dem nächsten Baume auf. Aber die Furcht, dass man sie als Mörder ergreifen möchte, zerstreute sie.
Da kamen einige Hirten zufällig in die Nähe; sie sehen ihn und schneiden ihn los. Da aber der arme Knabe kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, schicken sie sich an, ihn zu begraben. Indem sie aber noch an seinem Grabe arbeiteten – siehe, da sprengt über den nahen Hügel daher ein Reiter auf schneeweissem Ross. Auch der Reiter ist weiss, und Lichtglanz umfliesst ihn. Aber die Hirten, die Nähe eines höhern Wesens ahnend, werfen sich demüthig zur Erde nieder und beten: „Herr, Herr, erbarme dich unser.“ Der lichtglänzende Reiter sprengt auf sie zu, neigt sich von seinem weissen Rosse hernieder, erfasst die Leiche in seine Arme, und verschwindet jenseits im Fluge wieder.
[65] Es war ein Engel des Herrn gewesen. In seinen Armen belebte sich die Leiche wieder, und als Joseph zu sich selbst kam, befand er sich bei dem Amphitheater in Verona, und sein Herr kam ihm entgegen, der auf der Reise schon hierher gekommen war. Er begleitete ihn nun nach Rom und kehrte später mit ihm nach Deutschland zurück.
In Speyer hörte er von dem frommen Wandel der Mönche im Kloster Schönau, und sogleich entschloss er sich auch, zu ihnen zu gehen, um sich durch fromme Uebung des ewigen Heiles würdig zu machen.
Die Brüder nahmen den neuen Zögling bereitwillig auf, und unterrichteten ihn in den Regeln ihres Ordens; er aber erfüllte als Novize seine Pflichten pünktlich und getreu. Noch war aber das Probejahr nicht vorüber, da erkrankte Joseph. Die Anstrengungen seiner weiten Reisen, die ausgestandenen Mühseligkeiten und die Kasteiungen hatten die Kräfte seines Körpers aufgezehrt Am 20. April des Jahres 1188 entschlief er selig in dem Herrn.
Sein Geschlecht war bis zu seinem Tode unerkannt geblieben; erst jetzt erfuhr man, dass der vermeinte Knabe Joseph die Jungfrau Hildegunde war. Sie ward im Kloster begraben, ist aber nach ihrem Tode Vielen erschienen, und hat manche Wunder gewirkt. Wo aber jetzt ihre Reliquien aufbewahrt werden, ist unbekannt.
Von Schönau setzt die Steinach ihren bisherigen nicht ganz südlichen, sondern etwas östlich gewendeten Lauf fort, und an derselben finden wir noch den Lindenbacher Hof, der schon zu den Zeiten als das Kloster Schönau gestiftet wurde, bestand, und dessen sogar in der Stiftungsurkunde desselben Erwähnung geschieht. Ehe sich das Thal bei Neckarsteinach ausmündet, tritt ihm von Westen her eine Vorhöhe der Neckargebirge in den Weg, so dass es sich, ganz östlich und südöstlich wenden muss. Auf dieser Höhe stehen die Burgen von Neckarsteinach und gewähren von dieser Seite, wo der Neckar ganz unsichtbar ist, ein überraschendes und äusserst romantisches Bild.
Man erzählt von der Steinach, dass man vor noch nicht so langen Jahren Perlenmuscheln in ihr gefunden habe. Zwar ward die Wahrheit dieser Sage, wie die Möglichkeit in Zweifel gezogen; [66] allein sie hat sich nicht allein durch übereinstimmende mündliche Traditionen bestätigt, sondern der Umstand, dass auch in andern süssen Wassern eine Art Perlenmuscheln (Mya margaritifera) vorkommt, z. B. in den Bächen des Gerichtes Bärnstein bei Straubing, hat wenigstens die Möglichkeit eines solchen Vorkommens in diesem Bache dargethan.
Das Gebiet der Lax.
Ueber den eigentlichen Namen dieses bedeutenden Baches herrscht noch Ungewissheit. Widder nimmt in seiner Beschreibung der Kurpfalz mit Bestimmtheit an, es sei derselbe der in der Heppenheimer Gränzbeschreibung vorkommende Ulvenbach (Ulvina); die Folge der in jener Beschreibung genannten Orte bestätigt indessen diese Annahme nicht fest, und da andere Urkunden des Klosters Lorsch unzweideutig die durch das Schriessheimer Thal herankommende Kanzelbach als Ulvina, Ulvana und Ulvena bezeichnen, auch Ilvesheim ehedem Ulvinesheim hiess, so möchte der Name diesem Bache mit grösserem Rechte zu vindiciren sein. Es wäre indessen wohl möglich, dass früher beide Bäche den gleichen Namen führten; denn der Umstand, dass in der Affolderbacher Gemarkung die Ulvenhöfe liegen, scheint auch hier auf diesen Namen zu deuten. Wir entscheiden uns für den in der Ueberschrift genannten Namen, den er doch bestimmt bei seinem Ausflusse in den Neckar führt, und durch den Umstand rechtfertigt, dass häufig schöne Laxe darin gefangen werden.
Die Quelle des Laxbaches haben wir ebenfalls an der Schneeschmelze in der Nähe von Hammelbach zu suchen, welche die vier alten Gaue, den Main-, Rhein-, Wingartheiba- und Lobdengau scheidet. Er wird gleich unterhalb seiner Quelle durch mehrere [67] von der Hammelbacher Höhe und der Fortsetzung des Wachenbergs herabkommende Seitenbächlein verstärkt. Sein Lauf geht mit wenigen Abweichungen von Norden nach Süden bis nach Heddesbach, wo er sich dann südwestlich gegen den Neckar wendet.
Bei dem Dorfe Gross-Ellenbach heisst sie noch die Ellenbach. Das Dorf kam mit Wahlen, damals Waldau, durch Kauf von dem Ritter Bernhard Kreis von Lindenfels im J. 1423 an den Pfalzgrafen Ludwig III.
Oestlich von diesen beiden Orten gegen Güttersbach und Olfen hin befindet sich noch auf Gross-Ellenbacher Gemarkung ein Walddistrikt, der nach dem alten Lindenfelser Saalbuche „der Spesshart“ genannt wird, und unter diesem Namen auch in einer Urkunde von 1430 vorkommt. Jetzt hat er nur zwei Stunden im Umfange, war ehedem aber vielleicht grösser. In diesem Revier befindet sich eine lautere Quelle, und Greise von siebenzig Jahren erinnerten sich im Anfange dieses Jahrhunderts noch einer uralten Eiche, die ehemals dort gestanden, und einer Sage, wonach sich dort einst zwei Männer ermordet hätten. Ein einfaches niederes Kreuz, das längst verschwunden ist, soll die Stelle bezeichnet haben.
In dem Nibelungenliede wird uns bei Gelegenheit der Jagd, auf welcher der „kühne Held aus Niederland“ erschlagen ward, ein Spesshart genannt.
Da sprach von Troneg Hagene: „Viel lieber Herre mein,
Ich wähnte, dass das Pirschen heute sollte sein
Da zu dem Tann Spesshartes; den Wein den sandt ich dar,
Sein wir heut ungetrunken, wie wohl ich mehre, das bewahr.“
Nach dem Zusammenhange des Gedichtes kann hier der bekannte Spessart auf der rechten Seite des Mains nicht gemeint sein; es ist daher möglich, dass diese Stelle darunter zu verstehen ist. Ueberhaupt scheint jene verhängnissvolle Jagd im Odenwalde, vielleicht im Weschnitzthale, gehalten worden zu sein. Es heisst in dem Gedichte weiter:
Da sprach von Troneg Hagene: „Ihr edelen Ritter bald,
Ich weiss hierbei viel nahen einen Bronnen kalt;
Dass ihr euch nicht erzürnet, da soll’n wir hinne gahn.
Der Rath ward manchem Degene zu grossen Sorgen gethan.
Siegefrieden, den Recken, zwang des Durstes Noth.
Den Tisch er desto zeiter rücken da gebot;
Er wollte für die Berge hin zu dem Bronnen gehn.“
Später sagt das Lied:
„Da sie wollten dannen zu der Linden breit.“
Sie beschlossen einen Wettlauf,
„Doch sah man bei dem Baume den kühnen Siegefrieden eh.“
Dort wurde der edle Siegefried von Niederland meuchlerisch erschlagen. – Stellen wir aber alles diess zusammen, so sind wir unwillkührlich zu der Vermuthung versucht, Siegfried habe den Tod in der Nähe von Lindenfels gefunden. Selbst der Name könnte noch von der durch jenes Ereigniss denkwürdigen Linde herrühren. Auf keinen Fall aber kann die oben erwähnte Quelle im Spesshart bei Gross-Ellenbach die im Nibelungenliede bezeichnete sein. Hagen hat nur den Wein dahin gesandt.
Eine halbe Stunde von Gross-Ellenbach abwärts kommt der Bach an Affolterbach oder Affolderbach, früher Affoltern, vorbei, wo die alte protestantische Kirche einen interessanten Stein enthielt, auf welchem die Kanzel ruhete, und auf dem eine Lilie eingehauen war. Ueber die Entstehung dieser Kirche fehlen die älteren Nachrichten. Unterhalb Aschbach, wo sich eine Papiermühle und ein gutbetriebenes Hammerwerk befinden, öffnet sich ein Seitenthälchen mit einem kleinen Bächlein, das von Gadern herabkommt. Dieses Gadern ist sehr alt; denn wir finden es schon auf dem in der Heppenheimer Kirche eingemauerten Stein, der die Beschreibung des dortigen Kirchsprengels aus der Zeit Karls des Grossen enthält, unter dem Namen Gadero aufgeführt. Das Bächlein fliesst durch Waldmichelbach, nimmt unterhalb demselben ein gleiches von Hartenrod kommendes auf und ergiesst sich bei den Mühlen von Waldmichelbach in den Laxbach.
Waldmichelbach ist ein bedeutendes Dorf, in welchem das Kloster Lorsch einst sehr begütert war; auch geschieht seiner in dem alten Zinsbuche von 1369 Erwähnung. In den Umgebungen findet sich reichhaltiges Eisenerz, und es wurde dasselbe schon früher gewonnen und auf dem naheliegenden Eisenwerke verarbeitet.
Weiter hinab liegt Schönmattenwag, in dem alten Zinsbuche Schumathenwag genannt. Es besteht aus Ober- und Unter-Schönmattenwag, die eine Viertelstunde von einander entfernt [69] liegen. Bis hierher ist das Thal anmuthig und bietet mannichfaltige überraschende Parthieen. Unterhalb wird es etwas einförmiger, wozu die Region des Sandsteins, in die man hier schon eingetreten ist, das Ihrige beiträgt. Die Schönmattenwager Sandsteine sind wegen ihres dauerhaften Gefüges beliebt, und werden bis an die Bergstrasse als rohe Steinhauerarbeit verbracht.
Bei Heddesbach wendet sich das Thal nach Südwesten, und hier wird die Laxbach gewöhnlich Schwarzbach genannt. In der Gemarkung dieses Dorfes befindet sich die ganz zerfallene Burg Harfenberg, die der Familie von Steinach gehörte, und einer Linie derselben den Beinamen gab. So kommen im J. 1225 die beiden Brüder Konrad von Steinach und Blicker von Harpfenberg vor. Nach dem Erlöschen dieser Seitenlinie fiel die Burg samt der Vogtei über das Dorf Heddesbach der Pfalz zu.
Von hier aus führt der Bach eigentlich den Namen Laxbach, Kerbenbach, oder auch Lax in der Kerbe. Er zieht durch ein langes und keine Krümmungen machendes Thal über das Dörfchen Langenthal nach dem Neckar hinab, in den er sich bei Hirschhorn ergiesst, nachdem er kurz vor seinem Ausflüsse noch die von dem Dorfe Finkenbach herabkommende Finkenbach aufgenommen hat. Längs derselben zieht die über Beerfelden herabkommende Landstrasse, welche hier das Mimlingthal mit dem Neckarthale verbindet.
Das Gebiet der Gammelsbach.
Schloss Freienstein.
Wie von der nördlichen Abdachung der Schneeschmelze die in Berfelden entspringende Mimling nach Norden fliesst, so zieht von der südlichen, gerade in entgegengesetzter Richtung, die Gammelsbach nach Süden gegen den Neckar herab. Das waldige Thal, welches dieser Flötzbach bildet, ist anmuthig, ohne gerade durch grosse Abwechselung interessant genannt werden zu können. Die längs desselben herabziehende Landstrasse verbindet Erbach und das Mimlingthal mit Eberbach und dem Neckarthale.
Nicht ganz in der Mitte des Thales, etwas oberhalb, liegt das kleine Dorf Gammelsbach, das schon zu Kaiser Karls des Grossen Zeiten unter dem Namen Gamenesbach bekannt war. Es ist merkwürdig, dass das Gericht dieses Dorfes in einer Streitsache mit einem gewissen Leonhard Helmann von Schwenden ungefähr ums Jahr 1482 vor das heimliche Gericht zu Lichtenberg geladen wurde. Der Streit wurde bald darauf durch Vergleich gütlich beigelegt, und das heimliche Gericht zu Lichtenberg bestand nicht mehr lange.
Ueber dem Dorfe erhebt sich unter den das Thal begränzenden Bergen eine steile Anhöhe, der Weckberg genannt, auf dem wir die malerischen Trümmer einer zerfallenen Burg gewahren. Es sind diess die Reste des alten Schlosses Freienstein. An denjenigen Stellen, wo der Berg minder steil abfällt, zog sich einst ein tiefer, mit doppelten Mauern versehener Zwinger umher; auch war es sonst mit einem Graben und Zugbrücken geschützt. In der Ecke neben dem Thore stand ein sehr hoher Thurm, der zum Wartthurm gedient haben soll, und nur auf einem schwindelnden Stege und ebenso gefährlichen Treppen bestiegen werden
[71] konnte. Auf der andern Seite befand sich ein sehr fester Zwingerthurm mit einem tief unter die Erde gehenden Burgverlies. Man erkennt aus diesen Resten, dass das Schloss Freienstein einst sehr fest gewesen sein musste, und dass seine Bewohner frei von Furcht und Gefahr hier wohnen konnten. Manche wollen davon den Namen ableiten. Die Bauart der Wohngebäude ist unregelmässig und planlos. Es scheint beinahe, dass sie einst ein Ganerbenhaus gewesen, in welchem die verschiedenen Theilhaber, jeder nach eigenem Bedürfniss und Bequemlichkeit, ohne Rücksicht auf die übrigen oder auf das Ganze, gebaut haben.
Von dem Entstehen der Burg und ihren früheren Schicksalen ist uns nichts Näheres bekannt. Sie ist schon längst Eigenthum der Grafen von Erbach, und an einem der Wohngebäude befindet sich auch das Erbachische Wappen aus dem dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert. Wie es an das Haus Erbach gekommen, ist nicht nachzuweisen. Weil es aber an einer Stelle liegt, die nicht zu der Waldmark des Klosters Lorsch gehörte, schliesst man wohl nicht mit Unrecht, dass es von diesem Kloster an die Pfalz, und von dieser als Lehen an die Schenke von Erbach gekommen sein möge.
In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bestand eine edle Familie, die sich nach dem Schlosse benannte. Sie scheint zu den Burgmännern desselben gehört zu haben, und besass dafür ein Burglehen in dem nicht ferne gelegenen Sensbach.
In späteren Zeiten war ein Erbachisches Amt darnach benannt, wozu ausser dem Dorfe Gammelsbach auch Berfelden, Elzhain, Falkengesäss, Finkenbach, Gelnbach, Hesselbach, Hetschbach, Schellenbach, Sensbach und Olfen gehörten.
Unterhalb Gammelsbach fliesst der Bach an den schönen Buchenwaldungen Eberbachs vorbei und ergiesst sich endlich eine Viertelstunde unterhalb Eberbach in den Neckar.
Das Gebiet des Itterbachs.
Der Katzenbuckel.
Die Itterbach hiess früher Euterbach, und kommt schon in[7] einer Schenkung Kaiser Heinrichs vom Jahre 1012 unter dem Namen Euteraha vor. Er entspringt auf der odenwäldischen Schneeschmelze bei dem Dörfchen Eutergrund nördlich von Waldbullau. Zwischen bewaldeten Sandsteinhöhen fliesst er unweit Hesselbach, in dessen Nähe sich Römische Gräber befinden, vorüber nach Schellenbach, und wendet sich in seinem südlichen Laufe in schönen Windungen nach Kailbach und Friedrichsdorf. Das letztgenannte ist erst im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts von Friedrich von Hirschhorn angelegt worden. Eine kleine Stunde unterhalb nimmt er die Sondernach und den Höllbach auf. Das finstere tiefe Waldthal, aus dem er hervorkommt, heisst der Höllgrund. Südlich von dieser Stelle erhebt sich der Katzenbuckel, um dessen Fuss und Vorhöhe sich der Itterbach in vielen kleinen Windungen südwestlich herabzieht.
Gerade über dem Höllgrunde erhebt der Katzenbuckel, die bedeutendste Höhe des Odenwaldes, sein Haupt 1780 Fuss über die Meeresfläche. Er erhebt sich von dieser, wie von der Neckarseite bei Eberbach so steil, dass er nur höchst mühsam hier erstiegen werden kann. Leichter besteigt man ihn auf der Ostseite von Strümpfelbrunn über Katzenbach her, wo man allmählig auf seinen Gipfel gelangt. Die Form des obern Bergrückens gleicht allerdings dem Rücken einer sitzenden Katze, und weiter hin findet sich noch eine kleinere Erhöhung, die man wohl dem Kopf der Katze vergleichen kann. Dies spricht für diejenigen, welche den Namen von der Form des Berges ableiten. Andere glauben, in ältern Zeiten wären die Waldungen[8] umher ein Lieblingsaufenthaltsort [73] der wilden Katzen gewesen, und leiten den Namen Katzenbuckel davon ab. Beim Volke heisst es oft nur der Winterbuckel, weil sich an seinem Rücken gewöhnlich die ersten und letzten Spuren des Schnees zeigen, und kalte schneidende Winde von ihm herwehen, solange Sonne und Regen ihn dort nicht zum Schmelzen gebracht haben. Die ganze hochgelegene und schönbewaldete Umgegend heisst davon der Winterhauch.
Der Katzenbuckel bildet so ziemlich die Gränze zwischen dem Kalk- und Sandsteingebirge. Man hält ihn nicht ohne Grund für einen ausgebrannten Vulkan; denn die Felsen auf seinem Gipfel bestehen aus Dolerit, einem vulkanischen Produkte, mit eingesprengten, an der Oberfläche oft auch ausgewitterten Krystallen von Nephelin und Mesotyp. Manche behaupten, man habe schon eine Abweichung der Magnetnadel auf dem Katzenbuckel beobachtet. Es scheint dies aber auf einem Irrthume zu beruhen.
Die Sage von ehemaligem deutschem Götzendienste auf dieser Stelle ist vielleicht nicht grundlos. Man soll auch noch in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Reste eines alten Wartthurmes auf dem Gipfel des Berges gesehen haben. Wir möchten dies beinahe bezweifeln; denn es zeigte sich davon zu Anfange dieses Jahrhunderts auch nicht die fernste Spur. Sollte er bis auf die letzte Spur verschwunden, und selbst kein Mörtel, kein Mauerstein, nicht einmal ein Haufen der zusammengestürzten Trümmer davon vorhanden gewesen sein?
Im Jahre 1821 haben die Markgrafen von Baden, deren zu der Herrschaft Zwingenberg gehörige Forsten sich über diese Höhen erstrecken, ihren für grosse Naturscenen empfänglichen Sinn durch Erbauung eines neuen Thurmes auf dem Gipfel des Berges beurkundet. Er hat eine gefällige Form, und man entdeckt an ihm einige Aehnlichkeit mit dem sogenannten rothen Thurm an dem Eingange von Weinheim.
Die Aussicht von der Höhe des Katzenbuckels, insbesondere aber von dem Thurme, ist kaum mit einer andern im ganzen Odenwalde zu vergleichen; an keiner ist sie so weit ausgedehnt; namentlich sieht man von keiner andern Stelle so weit nach Schwaben hinauf. Der Gegendkundige erkennt den Wartberg bei Heilbronn, die Feste Asperg, die Höhen bei Waldenbuch zwischen Stuttgart und Tübingen; selbst die rauhe Alp und der Schwarzwald dämmern [74] aus der Ferne am Horizonte herauf. In entgegengesetzter Richtung sieht man den Taunus und die Rheingebirge. Weniger interessant sind die näheren Umgebungen, wo der Blick sich nur auf den Umrissen ineinander laufender monotoner waldiger Bergrücken verwirrt.
Wie der Höllbach mit dem Itterbach den Katzenbuckel auf seiner nördlichen Seite umgränzt, so umfliesst ihn in ziemlich ähnlichem Bogen auf der südlichen Seite ein kleines Bächlein, das unweit Strümpfelbrunn bei Oberdielbach entspringt, und in der Nähe von Eberbach mehrere Mühlen, besonders die Schleifmühlen treibt, in welchen die hier gefertigten und bei dem Landvolke beliebten Ackerwerkzeuge geschliffen werden.
Das Wasser des Itterbachs wird besonders wegen seiner stärkenden und erfrischenden Kräfte zum Bade empfohlen. Man schreibt dies dem Umstande zu, dass viel Holz in demselben geflöst wird, von welchem diese neu belebenden Stoffe ausgelaugt und dem Wasser mitgetheilt werden.
Das oben genannte Dorf Strümpfelbrunn ist sehr hoch gelegen und hat zwei Kirchen, wovon die eine im sechszehnten Jahrhundert von den Edeln von Hirschhorn erbaut wurde. Bei der Kirchentheilung nach dem dreissigjährigen Kriege fiel sie den Katholiken zu, die Protestanten erbauten sich darauf eine neue.
Das Gebiet der Elzbach.
Die Elz hat ihre Quelle unfern der odenwäldischen Schneeschmelze bei Langenelz, wo sich mehrere Bächlein vereinigen und anfänglich eine Strecke nach Osten fliessen. Bald wendet sich der Bach dann gegen Süden. Die Berge sind zwar hier nicht mehr so hoch, wie die des übrigen Odenwaldes[9], und bilden in der Region des Flösskalkes schon mehr ein hügeliges Hochland, das [75] im Grunde wenig Interesse gewährt. Indessen haben sich die einst mächtigeren Wasser der jetzt freilich nicht mehr mächtig strömenden Bäche doch schöne, oft ziemlich weite Thäler gewühlt, und jetzt schlingen sich die murmelnden Bächlein in anmuthigen, mäandrischen Windungen durch liebliche Wiesengründe. Ein solches Thal finden wir in dem Elzthale.
Es zieht über Scheringen herab nach den Mühlen von Limbach, das rechts an der Höhe drüben liegt, und in dessen Nähe noch die Spuren einer zerfallenen Burg zu finden sind. Weder der Name, noch sonst eine geschichtliche Erinnerung dieser Burg ist uns bekannt geworden.
Eine kleine Stunde weiter hinab liegt das Dorf Rittersbach, eigentlich Rüdersbach, und nach dem Würzburger Synodalbuch vom Jahre 1453 Rudelsbach genannt. Der Ort gehörte einst zur Hälfte den Rüden von Bödigheim und die andere Hälfte gehörte dem deutschen Orden. Es ist daher sehr leicht möglich, dass er einst ganz im Besitz der Rüde gewesen, und von einem Mitglied die eine Hälfte dem deutschen Orden zugewendet worden, dass daher der Name Rüdersbach, wie er in den ältesten Saalbüchern vorkommt, von der Familie der Edeln Rüde von Bödigheim abzuleiten ist.
Im Jahre 1440 verkaufte Johann von Rüd, und im Jahre 1481 Wilhelm von Rüdt sein Sechstel an dem Dorfe Rüdersbach dem Pfalzgrafen Otto von Mosbach. Wie das übrige Sechstel acquirirt wurde, ist nicht bekannt, doch scheint es ebenfalls durch Kauf an die Pfalz gekommen zu sein. Die Hälfte, welche der deutsche Orden inne hatte, kam später mit Dallau an die Pfalz.
Die katholische Kirche soll im Jahre 1316 von den Brüdern Heinrich, Kunz und Hans von Biligrin erbaut und dotirt worden sein.
Unterhalb Rittersbach wendet sich der Elzbach in seinem südlichen Laufe etwas westlich, und nimmt weiter unten ein kleines, aus einem Seitenthälchen zur Linken herausquellendes Bächlein auf. Verfolgt man seinen Lauf eine Viertelstunde aufwärts, so kommt man nach Auerbach, dessen schon in einer der ältesten Urkunden des Klosters Lorsch vom Ende des achten Jahrhunderts unter dem Namen Urbach in Wingartheibagau gedacht wird. Der Ort ist nicht klein, und die niedere Gerichtsbarkeit [76] über denselben stand der Burg Lohrbach und dem deutschen Orden gemeinschaftlich zu. Die dem heiligen Kilianus geweihete Kirche ist nach der Kirchentheilung im siebenzehnten Jahrhundert durch einen Vergleich den Protestanten zugefallen.
Weiter hinab liegt Dallau, ein grosses Dorf. Es kommt in den Lorscher Urkunden unter dem Namen Daleheim und Dalaheim vor, und wird dort bald in den Scaflenzgau, bald in den Wingartheibagau, bald in den Waltsazegau gesetzt. Doch waltet kein Irrthum dabei ob; es ist immer dieses Dalaheim an der Elzbach gemeint.
Der Ritter Walter von Hohenried verkaufte im J. 1371 seinen Antheil an Thalheim dem „vesten Knecht Kunz München von Rosenberg“. In der Folge gehörte die niedere Gerichtsbarkeit über diesen Ort ebenfalls der Burg Lohrbach und dem deutschen Orden.
Im Jahre 1416 ward Dalheim mit Auerbach und Hasmersheim der Pfalz verpfändet; doch scheint es, dass die Pfandschaft bald wieder gelöset ward. Allein es entstanden doch Zwistigkeiten zwischen der Pfalz und dem deutschen Orden daraus, die indessen durch den Deutschmeister Franz Ludwig, einem geborenen Pfalzgrafen, und seinen Bruder, den Pfalzgrafen Karl Philipp, verglichen wurden.
Die ältere, dem Erzengel Michael geweihte Kirche fiel bei der Kirchentheilung den Protestanten zu, und die heutige katholische Kirche wurde im Jahre 1726 erbaut und der Empfängniss Mariä geweiht.
Bei diesem Dorfe fällt nicht nur die das Dorf durchmessende Brunnbach, sondern auch die bedeutende Trienzbach in die Elz.
Sie entspringt unweit Langenelz, und fliesst im Ganzen in einem schwachen westlichen Bogen von Norden nach Süden, an Krumbach vorbei, das schon im zwölften Jahrhundert unter dem Namen Krumbenbach bekannt war. Das Kloster Lorsch hat nämlich damals zwölf Huben Landes in Krumbenbach dem auf dem Aberinesberge gestifteten Kloster zugewiesen.
Gleich unterhalb Krumbach mündet sich von der Rechten ein Seitenthälchen nach der Trienz herab, in dessen Grunde Robern liegt. Höchst wahrscheinlich ist dies die in den Lorscher Urkunden vorkommende „villa Rodinsburon“, in welcher [77] ein gewisser Herewart im Jahre 813 seine Besitzungen dem Kloster übergab, und die hernach Roborn genannt ward.
Das weiter unten liegende Dörfchen Trienz hat wohl von dem Bach seinen Namen erhalten.
In einem anderen kleinen Seitenthälchen liegt Fahrenbach.
In der Nähe bei Dallau liegen an der Trienzbach mehrere Häuser, die Fabrik genannt. Man hatte in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Idee, hier eine Leinwandfabrik zu errichten. Das stattliche Fabrikgebäude steht noch und ist jetzt in eine Papierfabrik umgeschaffen; viele kleine Hütten finden sich in der Nähe umher, die ehemals von den Leinenwebern bewohnt waren. Die Fabrik kam nie recht auf, und das Unternehmen war zuletzt eine Colonie armer Leute.
Eine halbe Stunde unterhalb Dallau fliesst der[10] Elzbach an Burken vorbei, das (zum Unterschiede von Osterburken) Neckarburken genannt wird. Dieser Ort scheint schon sehr alt zu sein, und wahrscheinlich war hier einst eine Römische Niederlassung. Noch zu unserm Gedenken standen in der Nähe die Reste eines Römerkastells, und des hier gefundenen Steines mit der Inschrift Minervae pro salute imp. N. Librari haben wir schon bei Neckarelz gedacht. Auch in dem nahen Dallau ward vor etlichen Jahren ein Stein gefunden, auf welchem ein Krieger, vielleicht ein Mars in guter halberhabener Arbeit ausgehauen steht.
Nach dem Lohrbacher Saalbuche hat Konrad von Weinsperg im Jahre 1353 Burken an Engelhard von Hirschhorn auf Wiederlösung verkauft. Da nun aber Konrad Schenk von Limburg mit Jutta von Weinsperg vermählt war, so ist es wahrscheinlich, dass Burken auf diese Weise an die Schenke von Limburg kam, die es dann später mit Lohrbach an die Pfalzgrafen verkauften.
Bei Burken kommt ein kleiner Bach von der rechten Seite durch ein kleines Thälchen herab. Verfolgt man dieses, so gelangt man zu dem bedeutenden Dorfe Lohrbach, dessen nicht allein in der Uebergabsurkunde der Abtei Mosebach an den Bischof von Worms vom Jahre 976 schon Erwähnung geschieht, sondern das noch früher in den Lorscher Urkunden unter dem Namen Larbach und Lorbach vorkommt. Im Jahre 769 machte ein Bodo und Adolf dem Kloster Lorsch hier schon eine Schenkung, [78] und der Abt Gundeland tauschte dreiundzwanzig Jahre später hier achtzehn Tagewerk Acker ein.
Im dreizehnten Jahrhundert wird schon einer Burg zu Lorbach Erwähnung gethan; es ist indessen nicht bekannt, wann und von wem sie erbaut worden. Im Jahre 1299 war sie Eigenthum des Johanniterordens. Man weiss aber nicht, wie dieser Orden in Besitz derselben kam, noch wann und an wen er sie zunächst wieder veräussert. Um das Jahr 1376 scheint Friedrich Schenk von Limburg Eigenthümer derselben gewesen zu sein, denn er gab um jene Zeit die Hälfte davon dem Grafen Eberhard III. von Würtemberg zu Lehen. Der Lehenträger musste aber bald darauf anderwärts entschädigt werden, denn im Jahre 1413 verkaufte jener Schenk von Limburg und seine Gemahlin, Elisabeth von Hohenlohe, ihr „Schloss und Feste Lorbach“ mit Zubehör an den Pfalzgrafen Otto von Mosbach. Dieser löste die darauf ruhende Pfandschaft bei dem Ritter Hans von Hirschhorn ab, und von da an blieb Lorbach bis zu dem Erlöschen der Mosbacher Pfalzgrafenlinie in ihrem Besitze. Durch die bestehenden Hausgesetze fiel es hierauf an die Pfalz.
Kurfürst Friedrich III. liess gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts das Schloss ausbessern und erweitern, denn er hatte es seiner Gemahlin als Wittum ausgesetzt; und diese bewohnte es bis zu ihrem Ableben im Jahre 1602. Seit jener Zeit war es der Sitz eines Kameralbeamten, und jetzt steht es in sehr vernachlässigten Zustande leer.
Eine kleine halbe Stunde von Lorbach steht eine einsame Waldhütte, die Simshütte genannt, in deren Nähe vor einigen Jahren Römerspuren entdeckt wurden. Wir öffneten selbst dort einen Römischen Todtenhügel, und fanden in demselben ausser den Steinen, die beim Verbrennen der Todten zum Heerde gedient hatten, noch viele Reste verbrannter Menschenknochen und zwei wohlerhaltene und noch mit Asche gefüllte Aschenkrüge. Obenauf in diesen Krügen lagen die verbrannten Zähne, noch beinahe zu einem vollständigen Gebisse zureichend. Obgleich sorgfältig in Papier gewickelt, zerfielen sie doch zu Staub, ehe wir den naheliegenden Ort erreichten. Ein dritter Aschenkrug mit weiterer Oeffnung und ohne Henkel, so wie eine Platte, worauf sie standen, und ein Deckel, der darüber gestürzt war, fanden [79] wir von dem Druck der darüber aufgeworfenen Erde in Scherben zerbrochen.
Der alte Bewohner der Simshütte und seine Söhne starrten den fremden Schatzgräber mit unbehaglichem Staunen an, als er mit einer ihnen unbegreiflichen Sicherheit, nachdem sie den von ihm angedeuteten Graben gemacht, nur einen Hieb mit der Hacke that, und sogleich die dadurch zum Theil entblössten Aschenkrüge aus der lockern Erde hervor holte. Wenige Jahre darauf hörte man von dem Volke in der Gegend ein so wunderbares Abenteuer erzählen, dass man kaum mehr das einfache Aufgraben des alten Römergrabes darin zu erkennen vermochte.
Eine halbe Stunde unterhalb Neckarburken liegt die Amtsstadt Mosbach, deren wir schon vorübergehend bei dem Neckarthale gedacht haben. Wie dort erwähnt ist, wurde die Abtei Mosebach im Gau Wingartheiba im Jahre 976 von Kaiser Otto II. dem Domstifte Worms verliehen. Die Gerichtsbarkeit darüber blieb aber dem Kaiser vorbehalten. Nachdem sie unter Friederich II. zum Schutze des Klosters mit Mauern umgeben, unter Ruprecht I. Stadtgerechtigheit erhalten hatte, verpfändete sie Kaiser Adolf im Jahre 1297 mit allen Zugehörungen an Gerlach von Breuberg für 4500 Mark fein Silber, die er für den für Kaisser und Reich in Thüringen erlittenen Schaden ansprechen konnte[11]. Diese, nach Adolfs unglücklicher Niederlage bestrittene Pfandschaft, ward aber in der Folge durch König Ludwig den Baier im Jahre 1315 bestätigt. Sie muss jedoch bald darauf abgelöst worden sein; denn König Ludwig verpfändete im Jahre 1330 „seine und des Reiches Stadt Mosbach“ seinen Vettern, den Pfalzgrafen Rudolf und Ruprecht, bestätigte aber dennoch im folgenden Jahre alle Freiheiten und Gerechtsame der Stadt. Karl IV. bestätigte die Pfandschaft.
Im Jahre 1362 wurden die beiden Weiler Haspach und Buttersheim zu der Stadt gezogen.
Nach Kaiser Ruprechts Tode kam sie an seinen jüngsten Sohn, den Pfalzgrafen Otto und von seiner Linie an das Pfälzische Kurhaus. Der Kurfürst Philipp wurde im Jahre 1500 von dem Kaiser Maximilian feierlich damit belehnt.
[80] In der Ruhe, welche die Stadt im sechzehnten Jahrhundert genoss, blühte sie auf, und es herrschte grosse Gewerbthätigkeit darin; besonders waren ihre Tuchmacher, ihre Waffen-, Messer- und Klingenschmiede in gutem Rufe.
Als im Jahre 1563 „die Pest“ in Heidelberg und der Umgegend um sich griff, verlegte der Kurfürst Friederich III. seinen Hofstaat hierher.
Ihre Schicksale im dreissigjährigen Kriege haben wir schon S. 69 erwähnt, wesshalb wir sie hier übergehen.
So lange sie unter Pfälzischer Regierung stand, war sie der Sitz eines sehr ausgedehnten Oberamtes. Wir finden in dem Verzeichnisse der Fannt- und Amtleute von 1434 viele aus den angesehensten Familien, z. B. der Schenke zu Erbach, Rüde von Kollenberg, Landschaden von Steinach, von Sickingen, Hutten, von der Lippe, Adelsheim, Wieser und Sturmfeder.
In der Gemarkung, zu der auch sehr ausgedehnte und treffliche Waldungen gehören, wird auch Weinbau getrieben, und der sog. Henschelberger (von Hänsel- oder Johannisberg) gehört zu den bessern Neckarweinen.
Nach einem weitern Laufe von einer halben Stunde ergiesst sich die Elz bei Neckarelz in den Neckar. Der Weg dahin führt zwischen einer Allee von edeln Obstbäumen; ein anmuthiger Pfad zieht über die Wiesen. Das Thal dahin trägt allenthalben Spuren rühriger Thätigkeit. Die Runkelrübenzuckerfabrik, welche an der Stelle gegründet werden sollte, wo ehedem das Salzwerk stand, ist in ihrem Entstehen schon wieder untergegangen. Dagegen besteht in der Nähe eine Papiermühle, die in gutem Betriebe steht.
Das Gebiet der Mudau.
Amorbach.
Den Quellen des Elzbaches gegenüber, und kaum eine halbe Stunde davon entfernt, entspringt auf der nördlichen Abdachung der odenwäldischen Hauptschneeschmelze die Mudau, und richtet ihren Lauf gegen Norden nach dem Maine hinab. Ihr Name ist schon sehr alt, denn in der Bestätigungsurkunde König Ludwigs vom Jahre 856 wird sie schon Muda oder auch Moda genannt. In der Nähe ihres Ursprungs liegen die gleichnamigen Dörfer Ober- und Unter-Mudau. Eine starke Stunde weiter hinab liegen auf der linken Seite des Thales die Reste der Wildenburg. Noch weiter hinab liegt Buch, und unterhalb desselben nimmt die Mudau einen starken über Ottorf- und Kirchzell herabkommenden und von vielen Seitenbächlein genährten Bach auf. Eine kleine halbe Stunde unterhalb ergiesst sich von der Rechten her die aus dem Zusammenflusse mehrerer zwischen Buchen und Walldürn herabfliessender Gewässer entstandene Billbach.
An dieser Stelle bildet sich ein Thal, das durch eigenthümliche Milde gegen die übrige rauhe Umgebung contrastirt, und in dem innern Winkel der beiden zusammenfliessenden Bäche liegt Amorbach, ein durch seine ehemalige reiche und bedeutende Benedictinerabtei bekannter Ort. Vor demselben breitet sich ein schönes Wiesengelände mit auffallend üppigem Graswuchse aus. Gegenüber, in dem andern durch den Einfluss der Billbach in die Modau gebildeten Winkel, erhebt sich ein mässiger Berg, auf dessen Gipfel wir die Ruinen eines ehemaligen Klosters erblicken.
Dieser Berg heisst jetzt Gotthardsberg; ehemals trug er den Namen „Frankenberg“ und auf ihm stand vor etwa achthundert Jahren ein festes Schloss, das von der edeln Grafenfamilie der [82] Frankenberge bewohnt ward. Ihr letzter Sprosse war Graf Rudhard von Frankenberg. Er bewohnte bis zum Jahre 714 die Feste, und seine Besitzungen erstreckten sich weit umher in der Gegend.
Der heilige Kilianus hatte in jener Zeit schon längst das Christenthum in der Gegend gelehrt, und den Fränkischen Herzog Gosbertus in Würzburg getauft, war aber von Geilana, der Gemahlin des Herzogs, die eine Heidin geblieben war, mit seinen Gehilfen Kolomannus und Totnanus durch gedungene Meuchelmörder im Jahre 689 getödtet worden, worauf sich wieder die Spuren seiner Lehre allmählig verloren, und das Christenthum in der Umgegend wieder beinahe ganz und gar erloschen schien.
Es scheint aber, dass es sich doch in einigen Familien in der Stille noch fortgeerbt, und dass vielleicht Graf Rudhard auf diese Weise ein Verehrer der christlichen Religion geworden; vielleicht hatte er sie aber auch an dem Hofe der Frankenkönige kennen und schätzen lernen. Er erkannte ihre Vorzüge und ihren vortheilhaften Einfluss auf die Bildung des Menschen. Darum bemühte er sich, einen Lehrer dieser wohlthätigen Lehre zu finden und in seine Nähe zu ziehen. Er fand diesen auch bald in dem heiligen Pirminius, der sich ein Geschäft daraus machte, die christliche Religion besonders durch Stiftung von Klöstern an verschiedenen Orten auszubreiten. Wo er ihn kennen lernte, weiss man nicht. Gewiss ist aber, dass er ihn in seine damals noch sehr unwirthliche Gegend einlud, und dass Pirminius diese Einladung angenommen hat. Er kam mit mehreren Mönchen zu Rudhard, und dieser baute in der Nähe ein kleines Kloster oder einige Zellen, wahrscheinlich an der Stelle, wo jetzt die Amorskapelle steht, und um das Jahr 714. Pirminius und seine Begleiter verbreiteten nun die christliche Religion mit unausgesetztem Eifer in dieser Gegend.
Inzwischen machte Graf Rudhard die Kriegszüge Karl Martells gegen die Neustrier und Burgundionen im Jahre 716 und den folgenden mit, und darum unterblieb auch vorerst der Bau eines grösseren Klosters, welches er statt der flüchtig errichteten Zellen zu gründen beschlossen hatte. Obgleich aber Pirminius sich bald wieder entfernte, so kehrte er von anderen Orten, wo er Klöster gegründet hatte, doch immer wieder zurück, und war [83] auch abwesend unablässig thätig. Da er sich zufällig im Elsass aufhielt, verwendete er sich bei Karl Martell, und auch der heilige Bonifacius unterstützte sein Gesuch um Erbauung eines grossen Klosters im Odenwalde.
Der siegreiche Majordomus Karl Martell willigte in ihre Bitten, gab ihnen die Mittel zu der beabsichtigten Gründung eines ordentlichen Klosters, und Graf Rudhard gab die Baustelle und andere Güter dazu, vermachte auch dem Kloster, da er kinderlos starb, sein ganzes Besitzthum. Das Fundament dazu wurde im Jahre 730 gelegt und im Jahre 734 war es vollendet.
Auch von anderen Seiten erhielt das Kloster viele Schenkungen, und insbesondere war Pipin, Karl Martells Sohn, in der Folge sehr freigebig gegen dasselbe. Von Karl dem Grossen und Ludwig dem Frommen blieben dem Kloster zwar aus den erlittenen Kriegsstürmen keine Schenkungsurkunden übrig; es erhellt aber aus anderen Schriften, dass auch sie dieses Kloster reichlich mit Gütern und Gerechtsamen bedacht haben.
Noch hatte das Kloster Amorbach nicht volle zweihundert Jahre bestanden, als es hart heimgesucht wurde. Im Anfange des zehnten Jahrhunderts durchzogen die Hunnen unter Attila, der sich selbst die Geissel Gottes nannte, ganz Deutschland, und wahrscheinlich zwischen den Jahren 910 bis 915 kamen sie auch nach Amorbach. Wie Mord und Brand allenthalben ihre Spur bezeichnete, so geschah es auch hier. Sie verjagten oder tödteten die Mönche, plünderten das Kloster und brannten es zuletzt nieder. Bei dieser Gelegenheit gingen die meisten älteren Dokumente verloren.
Kaiser Otto III. schenkte aus unbekannten Ursachen die Abtei Amorbach mit ihren zahlreichen Gütern im Jahre 994 dem Erzbischof Bernward von Würzburg. Da sie bis dahin keinem Bischofe oder Erzbischofe unterworfen war, sondern unmittelbar unter dem heiligen Stuhle gestanden (wesshalb sich manche Aebte „von Gottes und des heil. Stuhles Gnaden“ benannten), so widersetzte sich der damalige Abt Otho I. dieser Schenkung, und er und sein Nachfolger Richard I. verwendeten sich bei Kaiser Heinrich, dem Nachfolger Otto’s III., um Wiederherstellung ihrer frühern Freiheit, doch war Alles vergeblich. Später kam es im Jahre 1659 unter das Ordinariat von Mainz.
[84] Die unruhige Zeit, da Kaiser Friederich I. einen Gegenpapst ernannte, machten sich einige Raubritter zu Nutze und nahmen dem Kloster die Burg Frankenberg, nachdem sie die darauf wohnenden Mönche und ihre Leute verjagt hatten. Auch das Kloster selbst ward von ihnen schon bedroht. Da wandten sich die Mönche an den Kaiser, und dieser verordnete zum Heil des Klosters, dass die Burg ganz niedergerissen werden müsste. Denn auf diese Weise konnte sie doch den Feinden und Räubern des Klosters nicht mehr zum Aufenthalt und Schlupfwinkel dienen.
Die Mönche kamen indessen im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts wieder in Besitz des Berges. Um den Befehdungen der Adelichen in der Umgegend zu begegnen, stifteten sie nun ein Fräuleinkloster auf demselben. Denn sie hofften, wenn sie selbst für die Unterkunft der Töchter dieser Familien sorgten, so würden sie doch vor ihren räuberischen Anfällen gesichert bleiben. Allein die Edeln von Düren (Walldüren) liessen sich dadurch doch nicht abhalten. Sie eroberten den Berg, verjagten die Fräulein und verwandelten die Wohnungen der frommen Jungfrauen wieder in eine Burg.
Die Mönche wandten sich desshalb an den apostolischen Stuhl, und erhielten hierdurch wohl wieder den Berg, allein die Güter blieben ihnen verloren, und von da an konnten nur wenige Jungfrauen kümmerlich dort leben.
Als im Bauernkriege der sogenannte „helle Haufen“ am Ende Aprils 1524 von Heilbronn über Buchen gegen Amorbach zog, kamen, ehe der ganze Zug anlangte, Georg Metzler von Ballenberg und Götz von Berlichingen mit einigen Andern voraus nach Amorbach, und gingen dort in die Stadtkellerei. Sie liessen von dort dem damaligen Abte Jakob ansagen, er möchte sich mit seinen Mönchen versammeln, denn man wolle sich wegen der Reformation mit ihnen besprechen. Als sie aber nun in das Kloster kamen, ward davon gar nicht geredet, sondern man drängte den Abt und das ganze Convent, die ganze Baarschaft des Klosters, die silbernen Geräthe und alles von Werth herauszugeben. Der Abt wendete dagegen ein, er habe alles vorhanden gewesene Geld zur Wiederherstellung der Kirche und schadhaften Gebäude verwendet, die Kelche aber unter die Mönche vertheilt.
[85] Während dieser Unterhandlungen kam der Haufe der Bauern herzu und zerstreute sich in dem Kloster in alle Zellen und Gemächer, wohin jeden die Hoffnung auf Beute führte. Alles wurde durchsucht, selbst die Kirche beraubt. Was sie nicht als Beute nahmen, zerschlugen und verdarben sie. Der Abt hatte sich versteckt, wurde aber doch aufgefunden, und seiner Kleider beraubt. So wurde er nun, in ein leinenes Hemd gehüllt, in die Kellerei geführt, wo ihm alle Schmach angethan ward, bis ihm endlich doch der Amorbacher Keller Wigand Breidt einen alten abgeschabten Rock schenkte, mit dem er sich bekleidete.
Nun ward er wieder um Herausgabe des Geldes gedrängt. Er gab dieselbe Antwort. Man nahm ihm seinen silbernen Becher, allein er besass noch einen zweiten. Auch von diesem erhielt Götz einen Wink. Er liess den Abt nochmals vor sich rufen und schalt ihn, dass er doch noch einen Becher zurückbehalten habe. Da ihn der Abt aber bat, er möge ihm doch diesen zu seinem eigenen Gebrauche überlassen, klopfte ihm Götz mit der Hand auf die Brust und sagte: „Lieber Abt, Ihr habt lange genug aus silbernen Bechern getrunken, trinkt wohl einmal aus den Kraussen.“
Zum Mittagsmahle wurde der Abt doch auch an den Tisch geladen. Es waren dabei sechzehn geweihte Kelche aufgestellt, aus welchen sich die Kirchenräuber wacker zutranken. Während des Essens kam die Nachricht von der Beute aller Art, die man in dem Kloster und der Kirche gemacht habe, Andere brachten wohl auch die geraubten Gegenstände herbei, unter andern auch drei weitere neu aufgefundene Kelche. Bei diesem Anblicke seufzte der Abt laut auf. Aber Götz sprach ihm zu: „Lieber Abt, seid wohlgemuth! Bekümmert Euch nit! Ich bin dreimal verdorben gewesen, aber dannoch hier. Ihr seid’s aber ungewohnt.“
Was sonst von heiligen Gefässen in der Kirche und in dem Kloster gefunden ward, auch Kleider und Ornamente, wurde geraubt; selbst die priesterlichen Gewande, Infuln u. dergl. auch die silbernen Schlösser und Verzierungen wurden von den Büchern gerissen, die Orgel zerschlagen, sogar der heiligen Reliquien nicht geschont, und überdiess Pferde, Ochsen und Schafe geraubt, die Speicher und Keller geleert.
[86] Diese Schilderung ist aus Klosternachrichten gezogen. Götz von Berlichingen nennt aber in seiner selbst geschriebenen Lebensbeschreibung seine Theilnahme am Bauernkriege „widerwillig geleistete Dienste.“ Es scheint, dass ihm solche Vorwürfe zu Ohren gekommen, wie sie ihm jene Klosternachrichten bei dieser Gelegenheit machen. Denn er sagt darüber: „Ich weiss nichts, das ich gethan hab, denn dass ich manchen Chur- und Fürsten, Geistlichen und Weltlichen, auch Grafen, Herren und Rittern und Knechten, hohen und niedern Standes, grossen merklichen Schaden, so viel nur möglich gewest, verhüt hab.… Und kann mir auch keiner, er sei, wer er will, uflegen, dass ich je einem eines Nestels werth genommen, entwendt oder begehrt hab.… Und ist auch die Wahrheit, dass der Abt und das Convent zu Amorbach den Hauptleuten, wer sie denn waren, jedlichen ein oder zween Becher gaben, und wollten mir auch zween geben. Das merkt ich wohl, dass ein Betrug dahinter war. Aber die andern nahmen ihr all; allein ich gab ihnen meine zween wieder, und liess ufm Tisch stehn, und wollt ihr nit. Nit weiss ich, wo sie hinkommen sind. Ich habe ihr kein in mein Haus gebracht.… Der Abt von Amorbach sich auch hat hören lassen, er habe viel Silbergeschirr verloren, und der Meinung, ob es ihm entwendt ward, deren ich dann bei der göttlichen Wahrheit nicht weiss zu sagen.… Auch hat man dasselbig Silbergeschirr, das der Mönch klaget, darnach, da er sterben wollt, hinter ihm selber unter seinem Bett, darauf er gestorben ist, funden.… Das hat[12] mir mein Pfarrherr, der ein frommer ehrlicher Mann, und freilich nie keine Lügen von ihm gehört worden, anzeigt, mit Namen Friedrich Wollfarth.… der es von etlichen Mönchen aus dem Convent zu Schönthal gehört, dahin es ohne Zweifel von den Mönchen zu Amorbach kommen, wie denn die Mönche einander nichts verhehlen. Das habe ich zu Entschuldigung meiner Ehren und andern, die der Sach auch unschuldig sein, nit unangezeigt lassen wollen.“
Wir haben absichtlich beide Nachrichten hier zusammen gestellt, um unsere Leser in den Stand zu setzen, sich selbst ein Urtheil darüber zu bilden. Uns will bedünken, dass man der treuherzigen Erzählung des sonst zwar derben aber biedern Ritters, der sein strenges Rechtgefühl nie verläugnete, wohl Glauben [87] schenken dürfe, und die vielleicht in weit späterer Zeit niedergeschriebene Klosternachricht für das nehmen müsse, was sie ist, eine Schilderung der Erlittenheiten in dem Bauernkriege, wobei leicht aus Irrthum oder auch absichtlich die Person verwechselt, und die Worte und Handlungen eines ganz andern unserm edeln Ritter in den Mund gelegt wurden.
Die Räubereien und Plünderungen der Bauern machten sich auch viele Bewohner der Stadt Amorbach und der Umgegend zu Nutze, und zerstörten, was jene bei ihrem Abzuge noch übrig gelassen. Sie schleppten die Tische, Stühle, Kisten, Bänke, Holz, Eisenwerk, selbst Ziegel in ihre Häuser, brachen die Platten der Gänge überall auf, und kehrten beinahe das ganze Kloster um, um vergrabene Schätze zu finden.
Die Bauern hatten ihre „Brandmeister“ zurückgelassen, das ausgeleerte Kloster anzuzünden. Allein die Bürger der Stadt fürchteten davon Schaden für ihre Häuser und machten Vorstellungen dagegen. Man zerstörte es auf andere Weise, so viel man konnte, und verbrannte nur die Zinsbücher des Klosters.
Bei dieser Gelegenheit wurde auch das Kloster auf dem St. Gotthardsberge geplündert und niedergebrannt. Nachdem der Aufruhr der Bauern aber gedämpft war, kamen im nächsten Dezember Commissäre von der Ligue und aus Mainz, welche die Sache untersuchten, und drei von den Theilnehmern an den hier verübten Greueln hinrichten liessen.
Man rief die Mönche nun zurück und das Kloster ward wieder gehörig eingerichtet. Ehe aber ein weiteres Jahrhundert vergangen war, wiederholten sich ähnliche Scenen. Im Oktober 1631 kam der Schwedenkönig Gustav Adolf mit seinem Heere nach Franken. Die Mönche zu Amorbach entflohen zum Theile, die bleibenden aber wurden von den Schwedischen Soldaten verjagt. Das Kloster wurde geplündert; was man nicht raubte, wurde zerstört. Gustav Adolf setzte einen Edeln von Gemmingen zum Commandanten in Amorbach ein, und schenkte das Kloster mit allen Gütern dem Grafen von Erbach, der es sogleich in Besitz nahm. Die Klosterkirche ward den Lutheranern eingeräumt. Diess dauerte drei Jahre.
Die Klosternachrichten erzählen bei dieser Gelegenheit, der Himmel habe all diese Greuel und all diese Entweihungen der Kirche [88] und des Klosters ruhig mit angesehn, und keine Strafe über die Frevler verhängt. Aber als man sich erfrechte, die gottlose Hand selbst an die Himmelskönigin und Schutzheilige der Kirche zu legen, sei die Strafe alsbald auch erfolgt. Damals stand nämlich in dem Schiff der Kirche das Bild der Jungfrau Maria, auf dem linken Arm den Jesusknaben, in der rechten Hand den Scepter tragend, und mit einem blauen Damastkleide angethan. Dieses Kleid habe ein Schwedischer Fähndrich, ein Lutheraner, dem Bilde der Himmelskönigin ausgezogen und seiner Herrin nach Hause gebracht. Sogleich seien beide erblindet und blind geblieben, bis er auf Befehl seines Hauptmanns das Kleid wieder in die Kirche zurück gebracht habe. Da haben sie auch des Gesicht wieder erhalten.
Nach der Schlacht bei Nördlingen änderte sich wieder Alles. Die Kaiserlichen Truppen nahmen wieder von Amorbach Besitz, verjagten die Erbachischen Beamten und riefen die Mönche wieder in ihr Kloster zurück. Diese bewohnten es fortan ungestört, bis im Jahre 1802 der seiner überrheinischen Lande beraubte Fürst von Leiningen diesseits seine Entschädigung erhielt, wozu auch Amorbach kam. Das Kloster ward aufgehoben, und an seiner Stelle bekam Amorbach die Residenz des Fürsten. Viele und schöne Neubauten entstanden dadurch, und die anfangs durch das Kloster entstandene Stadt ist nun selbstständig herangewachsen.
In einem Seitenthälchen auf der linken Seite der Mudau steht die Amorskapelle, nicht von dem heidnischen Gotte, sondern von dem ersten in das neue Kloster im Jahre 734 installirten Abte also genannt, der nicht nur dieser Kapelle, sondern auch dem Kloster und der Stadt den Namen gab. Nach den Dokumenten des Klosters war er ein Aquitanier, und des Pirminius Schüler. Er errichtete Schulen im Odenwalde, that Wunder durch Heilungen, und besuchte oft mit den Mönchen die Stelle, wo die ersten Zellen von dem Grafen Rudhard erbaut waren, und verrichtete sein Gebet in der der Jungfrau Maria dort geweihten Kapelle. Auch das Volk ahmte ihm später hierin nach und es geschahen häufige Wallfahrten hierher.
Der vor der Kapelle reichlich hervorströmenden Quelle wurden besondere Heilkräfte zugeschrieben, die sie durch das Gebet Amors erhalten haben soll.
[89] In neuerer Zeit hat sie den Ruf dieser Heilkraft zwar etwas verloren, doch wird jährlich noch einmal Gottesdienst in der Kapelle gehalten.
Eine hier gefundene, wahrscheinlich der Nymphe des Brunnens geweihte Inschrift beweist, dass auch hierher die Römer gekommen waren. Vielleicht stand an der Stelle der ehemaligen Feste Frankenberg vorher ein Römerkastell, um das Mudauthal von hier aus gegen feindlichen Ueberfall von dem Main her zu schützen.
Die Mudau kommt von Amorbach aus in der bisherigen Richtung mit etwas westlicher Beugung über Weilbach mit seinem bedeutenden Hammerwerke und Breitendiel nach Miltenberg in den Main hinab. Wir unterlassen es, diese äusserst malerisch gelegene Stadt hier zu schildern, da diese Schilderung in ein eigenes Werk über den Main gehört. Bei Weilbach ergiesst sich von der Linken her noch ein bedeutender Bach in die Mudau, der seine Quellen auf den das Mimlinggebiet auf der rechten Seite begränzenden Berghöhen hat.