Die musikalischen Insecten und ihre Instrumente

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Titel: Die musikalischen Insecten und ihre Instrumente
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 698, 699
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die musikalischen Insecten und ihre Instrumente.


Wenn wir an einem schönen warmen Sommernachmittage fern vom Gewühl der Stadt durch Felder und Wiesen streifen, so umfängt uns bald jene Feiertagsruhe, welche so wohlthätig auf den Erholung Suchenden wirkt. Aber es ist keine todte Stille, keine lautlose Ruhe; mehr und mehr, wenn wir stille stehen, oder uns im Schatten dichter Gesträuche lagern, dringt jener leise, aber vielstimmige Chor von Lauten an unser Ohr, der so gut zu dem ganzen Naturbilde paßt. Keine hellen, starken Töne, keine scharf ausgeprägten Rhythmen, keine nach menschlichen Vernunftgesetzen construirten musikalischen Kunstformen bedrängen uns; es ist keine wirkliche Musik und wirkt doch musikalisch auf unser Gemüth; es ist kein nach den strengen Regeln der Harmonie gefügtes Tongebilde und stimmt doch so harmonisch zum Ganzen, wie eben – Alles in der Natur! Das ist die „Musik der Insecten“.

Einzelnes darüber ist zwar allgemeiner bekannt, doch bleibt noch Manches übrig, was an der Hand der neueren Forschung specieller zu betrachten, interessant und für eine genauere Naturerkenntniß wichtig bleibt.

Das Nächste, was die sorgfältigere Beobachtung der concertirenden Insecten ergiebt, ist der Umstand, daß es unter ihnen sowohl „Vocalisten“ als „Instrumentalisten“ giebt, und wenn bei den Ersteren auch nicht von einer eigentlichen Vocalmusik gesprochen werden kann, so findet sich bei ihnen doch eine wirkliche „Stimme“, das heißt eine Lautäußerung, die, ganz ähnlich wie beim Menschen, durch die Respirationsorgane hervorgebracht wird, während bei den Uebrigen die Laute durch besondere äußere Apparate erzeugt werden, die oft unseren musikalischen Instrumenten ähnlich sind und im Allgemeinen in die Classe der „Reibungsinstrumente“ gehören. Man hat auch bei den Insecten, je nachdem eine bestimmte Höhe erkennbar ist oder nicht, Töne und Geräusche zu unterscheiden. Daß alle Stimmclassen vom höchsten Discant [699] bis zum sonoren Basse vertreten sind, lehrt die oberflächlichste Beobachtung, und Jedem ist es wohl schon begegnet, daß er durch die unerwartete Contraaltarie einer Hummel – ihren schmerzhaften Stich fürchtend – von seinem Ruheplatze verscheucht, oder durch das plötzlich intonirte Baßsolo einer großen Brummfliege, die sich in’s Zimmer verirrte, in der Arbeit gestört wurde.

Wichtiger ist, daß die meisten der fliegenden Insecten auch durch ihren Flügelschlag einen Ton zu erzeugen vermögen, der in der Regel von ihrem Stimmtone verschieden ist.

Wirkliche Stimmapparate sind eine gewöhnliche Erscheinung in der Ordnung der Fliegen (Zweiflügler), und zwar ist in den Luftlöchern (an denen die Luftröhren entspringen, durch welche sie athmen) ein bei den verschiedenen Familien dieser Ordnung verschieden gestaltetes Häutchen ausgespannt, welches bei lebhafter Athmung in’s Tönen geräth.

Bei den Stubenfliegen läßt die Stimme (nach Landois) die Töne h, e, b der sogenannten kleinen Octave hören, während der Flugton g ist. Bei den großen Brummfliegen bewegt sich die Stimme durch die Töne e, d, dis, cis, h und b; die Flügeltöne sind e und f. Die gemeinen Mücken geben, wenn sie an heiteren Abenden in den bekannten Schwärmen sich erlustigen, den Ton d1 oder e1, welcher zugleich als Lockton dient.

Bei sehr kleinen Fliegen und Mücken nimmt man keine Stimme wahr, obwohl man bei der Section ganz gleiche Stimmapparate vorfindet, als bei den größeren. Da unser Ohr bekanntlich nur für die Wahrnehmung einer begrenzten, wenn auch sehr umfangreichen Reihe von Tönen eingerichtet ist, so folgt hieraus, daß die Stimmtöne dieser kleinen Insecten wahrscheinlich zu hoch sind (das heißt von zu schnellen Schwingungen erzeugt werden), um unsere Hör-Nervenfasern noch zu erregen.

Die Immen (Hautflügler), zu denen die verschiedenen Bienen- und Wespenarten gehören, haben ebenfalls wirkliche Stimmorgane. Der Stimmton der Mooshummel ist h, ihr Flugton a. Die Stimme der Honigbiene hat die Töne a2, h2 und c3, während ihre Flugtöne gis2 und a2 sind. Noch höher ist die Stimme der Blüthenbiene, welche f3, als Flügelton aber nur a1 und g1 hat. Auch bei den Zirpen, welche in die Ordnung der Schnabelinsecten gehören, findet sich ein wirklicher, am Grunde des Hinterleibes angebrachter Stimmapparat, aber nur bei den Männchen. Die meisten Arten sind in Südeuropa heimisch, wo sie gewöhnlich auf Eschen leben. Die etwa einen Zoll lange Singzirpe oder Cicade war wegen ihrer weittönenden Stimme, die sie namentlich des Abends erklingen läßt, schon im Alterthume bekannt und beliebt.

Bei den Käfern nimmt man sowohl Ton und Stimme, als auch bloße Geräusche wahr. So hat z. B. der Maikäfer einen wirklichen Stimmapparat; man findet im Luftröhrenverschluß eine Zunge aufgehängt, welche beim Athmen durch die Luft in Schwingungen versetzt werden kann.

Bei den Uebrigen finden sich meist Apparate, welche, wie unsere Streichinstrumente, durch Reibung zum Tönen gebracht werden. So erzeugt z. B. der bekannte Bockkäfer (Holzbock) seinen halb zirpenden, halb schnarrenden Ton (besonders wenn er bei den langen Fühlern ergriffen wird), indem er den Kopf auf und ab bewegt und dadurch eine an der Vorderbrust befindliche scharfe Randkante an der Reibleiste des darunter liegenden Fortsatzes der Mittelbrust reibt. Bei vielen kleinen Bockkäfern gewahrt man, wenn sie ergriffen werden, ganz dieselben Bewegungen, ohne daß man einen Laut hört. Da die mikroskopische Untersuchung bei diesen denselben Tonapparat erkennen läßt, wie bei den großen, so muß auch hier geschlossen werden, daß unser Ohr die hohen Töne dieser kleinen Käfer nicht mehr aufzufassen im Stande ist.

Der bekannte schwarze, durch zwei gelbrothe Binden auf den Flügeldecken gezierte Todtengräber erzeugt einen abgesetzten schnarrenden Laut durch Reibung des fünften Hinterleibringes gegen die Hinterränder[WS 1] der beiden Flügeldecken. In ähnlicher Weise bringt der Schreiner oder Geiger (Lamia) den zirpenden Ton hervor, welchen er bei der Berührung von sich giebt, indem er den ersten Brustring am zweiten reibt.

Beim Mistkäfer trägt das Hüftbein des Hinterschenkels eine geriefelte Leiste, welche auf dem scharfen Rande des dritten Hinterleibringes gerieben wird, wodurch ein schnarrender Laut entsteht. In der Ordnung der Schmetterlinge trifft man nur wenige durch Reibung erzeugte Töne.

Unter den mit Reibungsinstrumenten versehenen Musikanten der Insectenwelt sind namentlich hervorragend die zur Ordnung der Geradflügler gehörenden Grillen (die man übrigens richtiger Gryllen schreibt) und die Heuschrecken; doch herrscht über diese im gewöhnlichen Leben so viel Unklarheit, daß wir es für angemessen halten, die hauptsächlichsten Vertreter dieser Ordnung erst in Bezug auf ihre sonstigen Kennzeichen kurz zu beschreiben.

Die Grillen haben lange, borstenförmige Fühler, dreigliedrige Füße und verlängerte hintere Springbeine. Die Feldgrille ist dunkelbraun, mit dunkelrothem Innenrande der Hinterschenkel und findet sich, sehr verbreitet, auf Feldern in Erdlöchern. Das Männchen giebt einen lauten zirpenden Ton von sich. Das Heimchen ist kleiner, einfach gelbbraun. Es ist bekannt, daß dasselbe meist in Häusern, hauptsächlich an warmen Stellen lebt und durch sein Zirpen oft sehr lästig wird; es macht sich aber durch Vertilgen der Schaben nützlich. Die Maulwurfsgrille oder der Riedwurm (auch Wiere genannt) hat keine hinteren Springfüße, aber breite, zum Graben eingerichtete Vorderfüße und lebt auf Feldern in Erdlöchern.

Die Grashüpfer oder Laubheuschrecken (Locustiden) haben lange borstenförmige Fühler, viergliedrige Füße und lange hintere Springbeine mit dicken Schenkeln. Der grüne Grashüpfer ist grasgrün mit gelbem Bauch. Er lebt auf Feldern, im Gesträuch und auf Bäumen und hat einen lauten Zirpton.

Die Heuschrecken (Acridien) haben kurze, cylindrische Fühler, dreigliedrige Füße und zum Springen eingerichtete längere Hinterbeine. Berüchtigt unter ihnen ist die in Vorderasien und dem ganzen nördlichen Afrika lebende Wander- oder Zugheuschrecke durch den ungeheueren Schaden, den sie bei ihren in dichten riesigen Schwärmen erfolgenden Wanderungen allen Gewächsen zufügt. Sie wird bis 2½ Zoll lang, hat kürzere Hinterfüße, dunkle, über den ganzen grünen Leib zerstreute Punkte und einen erhabenen Kamm auf der Brust. Auch nach Frankreich und Deutschland ist diese Plage zuweilen gekommen. Eine nur 1½ Zoll lange Art, schmutzig grün mit braun gefleckten Decken, findet sich auch überall in Deutschland, aber meist nur einzeln.

Bei allen diesen Insecten sind nur die Männchen musikalisch; die Weibchen sind stumm.

Was nun die Instrumente betrifft, deren sie sich zur Tonerregung bedienen, so sind dieselben gewöhnlich an den Flügeldecken und an den Hinterschenkeln zu finden. Bei den Feldgrillen, Heimchen und Maulwurfsgrillen tragen die Flügel eine mit kleinen Stegen besetzte Ader, welche wie ein Geigenbogen auf einer vorstehenden Ader des darunter liegenden Flügels gerieben wird.

Bei den Grashüpfern findet sich am Grunde des einen Flügels ein Apparat, der sich mit einem Tambourin vergleichen läßt, das mit einer geriefelten Ader des andern Flügels gegeigt wird.

Die Wanderheuschrecken haben an der Innenseite der Hinterschenkel neunzig bis hundert feine Zähne, welche sie wie einen Geigenbogen reibend über eine hervorragende Ader der Flügeldecke hin und her bewegen und dadurch einen sirrenden, aber ziemlich sonoren Ton hervorbringen. –

Dies sind die hauptsächlichsten musicirenden Insecten und ihre Instrumente, mittelst welcher sie zu ihrem Theil, wenn auch in bescheidener Weise, bei der großen Symphonie der Natur mitwirken.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hinterräder