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Die schwarz-weiße Perle

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Textdaten
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Autor: Levin Schücking
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Titel: Die schwarz-weiße Perle
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29–32, S. 449–452, 465–468, 481–484, 497–502
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[449]
Die schwarz-weiße Perle.
Von Levin Schücking.
1.

Es war im Frühling 1741. Die Hälfte Europas stand in Flammen, die Völker befehdeten sich und die Länder wurden von verwüstenden Kriegsheeren überschwemmt; und all dies Blut, alle diese Gräuel, alle diese wider einander entfesselten Leidenschaften: weshalb?

Weil der geistreichste und interessanteste, der liebenswürdigste junge Mann jener Zeit einen Zank mit dem bezauberndsten, schönsten und reichsten jungen Mädchen, das es damals auf dem Erdenrunde gab, angefangen hatte, ohne daß es ihn im Geringsten verletzt oder gereizt hätte, nicht einmal dadurch, daß es ihm einen Korb gegeben.

Vielleicht, hätten sie sich je gesehen und sich kennen gelernt, so hätten sie sich in einander verliebt, sich die Hände gereicht und eine glückliche Ehe zusammen geführt; und eine glückbringende „Ehe“ in dem alten Sinn des Wortes, das eine von den Göttern geheiligte Bundesgemeinsamkeit bedeutet, hätte ihre Völker umschlossen, und die Schicksale der Welt seit hundert Jahren wären andere, glücklichere gewesen.

Aber dies sollte nicht sein, und wie gesagt, diese beiden hinreißend liebenswürdigen jungen Leute, die, wenn das Schicksal nur ein ganz klein wenig von jener Dichterader und jener Gutmüthigkeit hätte, welche die Romanschreiber belebt, zu einem glücklichen Paare zusammengebracht worden wären, geriethen, da es offenbar unmöglich war, daß sie sich gleichgültig blieben, in Streit und Hader.

Wenn aber die Götter der Erde in Streit gerathen, so senden sie, wie bekannt, seit den ältesten Zeiten junge Männer in großen Heeren widereinander aus, die miteinander ringen. Die, welche die Stärksten sind, sichern ihrer Seite das Recht. Weshalb das Recht der Stärke zufällt, das ist ein Problem, welches es bis jetzt nicht gelungen ist auf philosophischem Wege zu lösen. Man könnte das Recht auch auf der Seite der Zahl suchen und vor einer Schlacht die Heere zählen, um ihnen die Anstrengung und das Aufreibende der Kampfesarbeit zu ersparen. Ja, man könnte dann weiter gehen und das Recht auch an andere Zahlen als just an die von jungen Männern geknüpft annehmen; man könnte auch die Eichbäume zählen, welche sich in den beiderseitigen Ländern befinden, und erzielte damit nebenbei noch eine unabsehbare Verbesserung der Waldcultur. Aber es ist nun einmal Thatsache, daß in dem Streit der Großen der Erde die jungen Männer des Landes berufen werden, das Recht mit ihren bewaffneten Armen festzustellen, und in die Thatsachen muß der Mensch sich fügen, dazu ist er da, dazu ward er geboren, das ist der Schicksalsspruch, der ihm an der Wiege gesungen wird.

Die junge Dame, von der wir reden und die in der Hofburg zu Wien wohnte, bedurfte also aller ihrer bewaffneten Männer, ihrer sämmtlichen Heerschaaren, um sie denen ihres Feindes entgegenzustellen, und mußte sie zusammenziehen aus allen Theilen ihres weiten Reiches, um sie gen Norden zu senden. So kam es, daß der Süden dieses Reiches, der schönste, blühendste Theil ihrer Erblande, um den gierige Nachbarn sie neideten, von ihren Truppen entblößt wurde und daß diese Nachbarn sich rüsteten, ihr zu entreißen, was sie zu vertheidigen nicht im Stande war. Ein frommer alter Geistlicher, der eben Frankreich regierte und welcher der Cardinal Fleury hieß, verbündete sich mit einer ebenfalls frommen alten Frau, die als Stiefkönigin über Spanien verfügte, und Beide streckten die Hände aus, jenem armen von Allen verlassenen jungen Weibe die besten Perlen aus ihrer Krone zu reißen, nämlich Alles, was sie besaß im schönen Lande Italien, auf der Sonnenseite ihres väterlichen Erbes.

Zwischen ihr und diesen neuen Feinden stand ein mächtiger Fürst, mächtig durch eine kleine, aber tüchtige Streitmacht und seine Festungen, und noch mächtiger durch die Lage seines Landes. Es war der „Markgraf Italiens“, der seit 1720 der König von Sardinien hieß.

König von Sardinien war damals Carl Emanuel, einer jener klugen und kriegerischen Fürsten aus dem Hause Savoyen, ein Herr, der die Vortheile seiner Stellung sehr wohl begriff und sehr gut einsah, daß, wenn er seine Alpenpässe schließe, die Franzosen und die Spanier lange Zeit brauchen würden, bis sie über das österreichische Erbe in Italien herfallen könnten; daß aber dies Erbe verloren sei, wenn er sein Schwert in andere Wagschale werfe und spreche: „Theilt mit mir!“

In der That, es war eine vortheilhafte Stellung für einen ehrgeizigen Mann, den Sohn eines Geschlechts, dessen Erbweisheit darin bestand, die Gunst des Augenblicks zu benutzen, und Carl Emanuel hatte den festen Entschluß gefaßt, diesem Augenblick in der Geschichte seines Hauses Alles abzugewinnen, was sich ihm abgewinnen ließ. Bis dahin, daß er im Stillen abgewogen, was auf der einen Seite ihn lockte und was ihm die andere verhieß, geruhte er mit abgemessener, sich gleichbleibender Huld die Botschafter der beiden Mächte anzuhören, welche sich um seine Bundesgenossenschaft mühten, mit kühler Freundlichkeit ihre Bemühungen um seine Gnade aufzunehmen und still lächelnd auf das Spiel der Intriguen herabzublicken, welches sie wider einander führten.




[450]
2.

Damals war die Zeit großer fürstlicher Bauten. Jeder große und kleine Herr, hat man bemerkt, wollte gern Ludwig XIV. nachahmen und sein Versailles haben. Aber war das in der That nur der Trieb der Nachahmung? Gewiß nicht. Die Zeit gab eben jedem dieser kleinen oder großen Herren sein Versailles, wie unsere Zeit jeder Stadt ihren Bahnhof giebt, ihren zoologischen Garten und ihr Sommertheater. Die Jahrhunderte spiegeln ihren Geist ab durch die Art, wie sie bauen, aber noch weit mehr durch das, was sie bauen. Auf den Kuppeln dieser Schlösser von Schönbrunn, Nymphenburg, Caserta, Stupinigi ruht ein tieferer culturhistorischer Gedanke, als der an die Rococo-Mode, welche Ludwig XIV. zur Herrschaft gebracht, und die Sucht darin mit ihm zu wetteifern.

Stupinigi heißt das Versailles Carl Emanuel’s, des Sardenkönigs. Südlich von Turin liegt es, unfern von Montcalieri, in der Fläche, die der kleine Sangone durchfließt, in einer heißen, staubigen Gegend, die eigentlich sehr reizlos wäre, wenn sie nicht die Aussicht auf das prachtvolle Panorama hätte, die blauen, in schneeigen Gipfelzacken aufsteigenden Alpen, die cottischen, grauen und penninischen Alpen, welche nach drei Seiten hin, im Westen, im Norden und im Osten, den Horizont einrahmen.

An dieser Stelle hatte sich Carl Emanuel eben seinen königlichen Landsitz aufgebaut, ein hohes, weites, vielbewundertes Schloß, das vielgewanderte Leute das prächtigste Europa’s nannten, wenigstens so lange sie die Gäste des Königs waren, und das ein mächtiger Park umgab, dessen Lenôtre’sche Stylcorrectheit gemildert wurde durch einen Anhauch ausonischer Schönheit, durch die immergrüne Vegetation der Pflanzen des Südens und durch italische Kunst, die ihre weißen Marmorbilder inmitten dieses Grüns gestellt hatte.

Der gesammte Hof war in Stupinigi, die Gesandten von Frankreich und Oesterreich waren als Gäste dem Hofe gefolgt. „Ogni giorno festa“, heißt es in Rom, und „ogni giorno festa“ hieß es in diesen schönen Frühlingstagen auch in Stupinigi. Das Fest des heutigen Tages war ein Schäferspiel im Geschmack Guarini’s gewesen, das man in dem Gartentheater des Parks aufgeführt hatte, zwischen Coulissen von geschorenen Lorbeerhecken, die Arkadien bedeuteten; mit Schäfern und Schäferinnen, die Hirtenstäbe mit rosaseidenen Bändern trugen, ihre Milch aus silbernen Schalen tranken, auf hohen rothen Absätzen einherschritten und die Zierlichkeit ihrer seidenen Zwickelstrümpfe und ihrer Gefühle, die Anmuth ihrer Taillen und ihrer Leidenschaften zur vollen Befriedigung ihrer vornehmen Zuschauerschaft gezeigt und entwickelt hatten.

Nach dem Ende des Spiels flammten um das runde Bassin mit den rauschenden Wasserkünsten des Neptunszuges und seiner Tritonen farbige Lampen auf, und die Hofgesellschaft erging sich in dem dem Schlosse naheliegenden Theile des Parks, dessen Mittelpunkt eben dies Bassin bildete. Nur zwei Männer, von denen der eine, der ältere, einen großen Stern auf der dunkellila-seidenen Robe trug, entfernten sich von der Menge und wandelten langsam schlendernd eine Seitenallee hinab.

„Wie beklagenswerth ist es,“ sagte der ältere Herr, „daß die Natur weder mich noch Sie, mein lieber Kaunitz, zu einem Adonis geschaffen hat, wie diesen in rosa Tafft gehüllten Damöt, der eben alle Frauenherzen an sich riß! Was thu’ ich mit all Ihren diplomatischen Gaben, wir kommen um keines Haares Breite weiter damit. Einen Antinous hätten sie mir in Wien zum Legationsrath mitgeben sollen, der hätte dann im ersten Anlauf das Herz der Marquise von San Damiano erobert, und da die Marquise das Herz des Königs lenkt, wie unser Herr die Wasserbäche …“

„So hätten wir doch nichts erreicht,“ fiel der jüngere Mann ein. „Sie wissen ja, Excellenz, wie eifersüchtig der König seine Marquise bewacht und wie gerade die Partei verloren wäre, welche bei ihm in den Argwohn geriethe, zu eifrig seiner Geliebten den Hof zu machen, oder gar sie verführen zu wollen, daß sie sich in seine Politik mische. Darum,“ setzte er lächelnd hinzu, „bedauern Sie nicht, Graf Traun, daß wir Beide keine Antinoen sind, worin Sie leider in betrübendster Weise Recht haben?“

In der That, er hatte darin Recht. Graf Traun war eine mittelgroße, durchaus nicht feine oder durch künstlerisches Ebenmaß der Glieder auffallende Gestalt mit einem sehr ehrlichen guten Gesichte von entschieden deutschem Gepräge, bei dem man jedoch an die Frage, ob es häßlich oder ob es schön sei, gar nicht dachte. Es war eben ein redliches Männergesicht mit nichts, was es hätte auszeichnen können, als höchstens sehr lebhaften und sehr klugen, blauen Augen darin.

Der jüngere Begleiter, den der Gesandte Oesterreichs Kaunitz nannte und der etwa 26 oder 27 Jahre zählen mochte, war freilich eine auffallendere Gestalt, aber um sie schön zu nennen, war sie viel zu hager, zu schlangenhaft beweglich, und der dunkle Kopf mit den schwarzen feurigen Augen war dazu viel zu markirt, zu scharf gezeichnet; die Nase groß und kühn geschnitten, die Lippen schmal und fein, das ganze Gesicht, wenn auch nicht bleich und farblos, doch keineswegs von einem rosigen verklärenden Teint angehaucht – kurz, dieser junge Legationsrath mochte ein ausgezeichneter Schüler Macchiavelli’s sein und berufen, am grünen Tische eines Conferenzzimmers politische Siege zu erkämpfen, welche die Welt umgestalteten – vielleicht, wer weiß es, auch zu großen Siegen auf der Wahlstatt eines Boudoirs berufen und wenigstens sehr im Stande, es sich zuzutrauen; aber schön war Graf Kaunitz nicht!

Sie kamen an eine Steinbank, welche unter einer hohen Marmorstatue, einer Nachbildung der farnesischen Flora, angebracht war, und Graf Traun setzte sich hier. Der jüngere Mann nahm neben ihm Platz, und Beide schauten eine Weile die Allee hinab, welche sie herangekommen, auf die unten lustwandelnde Hofgesellschaft, die in den reichen, buntstrahlenden, aus Seide, Spitzen, Federn, Sammet, Goldborden und Stickereien bestehenden Costümen wie eine von einer trunkenen Schneiderphantasie zusammengedichtete Welt aussah und im Glanze der farbigen Lichtstrahlen ein höchst fesselndes Bild darstellte, dessen Hintergrund das bis zur halben Höhe hinauf beleuchtete Schloß von Stupinigi mit all seinem so wohl zu einem solchen Bilde passenden architektonischen und mythologischen Schmucke bildete.

„Für’s Erste,“ fuhr Kaunitz zu sprechen fort, „verbringen wir unsere Tage hier wenigstens auf höchst angenehme Weise. Seine Majestät von Sardinien liebt die Feste …“

„Oder vielmehr die Frau Marquise von San Damiano liebt sie,“ fiel Traun ein, „für Seine Majestät wäre der Ausdruck ‚liebt‘ schon viel zu leidenschaftlich … und während wir hier die Zeit mit Hoffesten vergeuden, harrt unsere theure Königin schmerzlich von Tag zu Tag auf gute Nachrichten von uns – auf die Entscheidung dessen, was eine Lebensfrage für Oesterreich ist. Ich fühle mich vollständig auf der Folter! Es ist eine entsetzliche Geduldprobe mit diesem langsamen argwöhnischen Monarchen verhandeln zu müssen! Strengen Sie den Scharfsinn an, Kaunitz, auf den Sie so eitel sind, wir müssen vorwärts kommen, vorwärts!“

„Vorwärts – ja freilich; aber wie? Auf geradem, ehrlichem Wege, indem wir dieser sardinischen Politik, die nie genug bekommen kann, Anerbietungen, Verheißungen machen? Was könnten wir bieten, das über die Anerbietungen des Franzosen hinausginge! Der Baron de Breteuil wird immer bevollmächtigt sein, noch einige Quadratmeilen, noch einige Vortheile, noch einige Thaler mehr zu bieten; und begeben wir uns auf das Feld der Intrigue, so scheitern wir an dem vorsichtigen lang überlegenden und zähen Charakter Carl Emanuel’s!“

„In der That, Carl Emanuel ist nur zu sehr der Sohn seines Vaters,“ fiel Traun ein, „das heißt, er ist das genaue Widerspiel von diesem. Der Sohn des ritterlichen, heftigen, gewaltthätigen Victor Amadeus, der doch zuletzt nur das Spielzeug seiner ehrgeizigen Marquise von San Sebastiano war, mußte ein scheuer argwöhnischer Mann werden; der Fürst, der unter der Herrschaft einer herzlosen und ehrgeizigen Geliebten des Vaters gelitten, mußte mißtrauisch sein gegen jeden Versuch seiner Geliebten, seinen Hof und seine Politik beeinflussen zu wollen …“

„Glauben Sie nicht, Excellenz, daß ihn die Marquise von San Damiano dennoch leitet, wie die Marquise von San Sebastiano seinen Vater leitete?“

„Nein, nein, es ist ein ganz anderes Verhältniß zwischen Beiden,“ versetzte Traun. „Victor Amadeus liebte seine Marquise, er legte auf ihren Wunsch sogar seine Krone nieder und dann versuchte er auf ihren Wunsch, diese Krone seinem Sohne wieder aus den Händen zu nehmen, wofür ihn der sanftmüthige Sohn hinter die vergitterten Fenster von Rivoli sperren ließ. Aber dieser Sanftmüthige liebt Niemanden, und die Marquise von San Damiano ist ihm nur eine angenehme Gewohnheit, ein seinem Königthum ziemender Luxus … hoch, Kaunitz, an dieses Verhältniß ließe sich am Ende doch etwas anknüpfen, das uns förderte …“

[451] „Was meinen Sie, Excellenz?“

„Wenn wir auch einsehen, daß auf diesem Wege, d. h. durch die Marchesa, nichts zu gewinnen ist, ließen sich unsere Gegner nicht verleiten, auf diesem Wege etwas zu suchen, um dadurch Alles zu verlieren?“

„Der Baron von Breteuil “ entgegnete Kaunitz lächelnd, „ist nicht mehr Adonis oder Antinous als wir Beiden auch! Aber als Franzose ist er freilich eitler als wir … wenn es möglich wäre, ihm vorzuspiegeln, die Marquise sei ihm entgegengekommen …“

„Denken Sie darüber nach, Kaunitz, es muß Mittel und Wege geben, in dieser Richtung etwas zu thun! Wenn Carl Emanuel auf den Verdacht geräth, der Baron von Breteuil mache seiner Marchesa den Hof, um dadurch ihn zu gewinnen, so ist Breteuil verloren!“

„Ich will darüber nachdenken, Excellenz,“ versetzte Kaunitz, „noch in dieser Nacht, wenn man mir Ruhe dazu läßt –“

„Und was stört denn die Ruhe Ihrer Nächte?“

„Was sie stört? … geheimnißvolle dunkle Stimmen, die sich um die Mitternachtstunde hören lassen und mir allerlei dunkle Dinge zuraunen …“

„Ah bah – doch nicht die Stimme Ihres Gewissens?“ sagte Traun auflachend.

„Nein, die nicht, die habe ich gewöhnt, mich nicht zu stören und mir nicht boshafter Weise meine diplomatische Carrière zu verderben …“

„Nun, es wird doch auch nicht spuken in diesem funkelnagelneuen Schloß Stupinigi, das noch nach dem Tüncher riecht wie das sardinische Königthum nach dem frischen Firniß!“

„Ich weiß es nicht, was es ist, aber ich hoffe, ich werde ihm noch diese Nacht auf die Spur kommen und Ihnen morgen mehr davon erzählen können … aber wer stört uns da?“

Beide wandten die Köpfe, weil sie eilende Schritte hörten – ein hochgewachsener junger Mann vom echtesten piemontesischen Typus, der sich so scharf vom italienischen unterscheidet und so viel mehr von nordischem Naturell und nordischem Wesen verräth, kam hinter ihnen aus dem Gebüsch daher und schritt an ihnen vorüber. Er trug die sehr reiche, rothe, auf allen Nähten galonnirte Uniform der adligen Hausgarden des Königs.

„Ah, Cavaliere,“ sagte Kaunitz, während der junge Mann eine grüßende Verbeugung machte, „ich mache Ihnen mein Compliment. So eben noch bemerkte Graf Traun von Ihnen, daß Sie als Damöt im Schäferspiel ausgesehen wie ein Adonis und Ihre Rolle gespielt wie ein junger Gott!“

„Der Herr Graf sind sehr gnädig,“ versetzte der Cavaliere, „und ich danke Seiner Excellenz von Herzen für eine so nachsichtige Aufnahme unseres kleinen Dramas …“

„Sie waren in der That entzückend, Cavaliere,“ fiel hier Graf Traun ein, „aber ich sehe, Sie haben sehr geeilt, wieder in Ihre Uniform zu kommen … was hat Ihnen Damöt gethan, daß Sie ihn so schnell von sich geworfen?“

„Der arme Damöt, der Ihnen doch so viele Bewunderung eingetragen,“ setzte Kaunitz neckend hinzu, „und wer weiß, vielleicht noch mehr, als bloße Bewunderung, denn in der That, Sie kommen da aus den dunklen Gebüschen hervorgeeilt, wie ein glücklicher Knabe auf der Schmetterlingsjagd – auch die Schäferinnen haben Schmetterlingsherzen, wir kennen das … haben Sie das, dem Sie nachjagten, erhascht?“

Der junge Mann lachte fröhlich auf.

„O nein, ich habe nichts erhascht und auch nichts gejagt,“ sagte er, „ich habe in meinem Pavillon mir mein Costüm gewechselt und mich wieder in die Uniform geworfen, da ich Wachdienst im Schlosse habe und nur für die Stunden des Spiels einen kleinen Urlaub hatte. Die Herren müssen deshalb verzeihen, daß ich mich für jetzt verabschiede!“

Er legte die Hand an den galonnirten Hut und eilte davon.

„Glückliche Jugend!“ sagte Traun ihm nachblickend.

„Glücklich, ja – vielleicht sogar ein wenig zu viel!“ fiel mit spöttischem Tone Kaunitz ein.

„Wenn man so schön, so harmlos, so mit sich selbst zufrieden ist und eine so glänzende Uniform tragen darf, wie dieser Cavaliere di Lucano – und das Alles an einem Hofe – welch’ beneidenswerthes Loos!“

„Freilich,“ versetzte Kaunitz „wenn nur das Glück des guten Cavaliere nicht zu groß zu werden drohte!“

„Das heißt?“

„Er ist aus einem und demselben Orte mit der Marquise von San Damiano, durch sie in sein bevorrechtetes Corps gebracht, man spricht von einer besonderen Huld für ihn, die sie offen hervortreten läßt, von mehr als bloßer Jugendfreundschaft für ihn… “

„Dann allerdings könnte des Glücks für ihn zu viel werden,“ antwortete Graf Traun lächelnd. „Aber kommen Sie, begeben wir uns zur Gesellschaft zurück, zu all’ diesen bunten Fliegen, die da unten um die Lampen der Illumination schwärmen und summen…“

„Und zuweilen auch stechen!“ rief lachend Kaunitz aus, indem er sich erhob und dem Chef der Gesandtschaft folgte.




3.

Ein paar Stunden später war Alles, was zu den „Spitzen“ dieser glänzenden Gesellschaft gehörte oder die Ehre hatte, unter den eingeladenen Gästen des Königs zu sein, in dem ovalen großen Saal, welcher die Mitte des Schlosses einnimmt, zur Abendtafel versammelt. Die Balkonthüren standen weit geöffnet, und mit der lauen Nachtluft drangen die Düfte der Blüthen, das Rauschen der Wasserstrahlen, welche der Neptunszug in das große Bassin vor dem Schlosse schleuderte, in den weiten goldstrahlenden, taghell erleuchteten Saal.

Man vernahm dieses Rauschen sehr deutlich, denn die um das Mahl versammelte Gesellschaft war weit davon entfernt, sich einer lärmenden Fröhlichkeit hinzugeben und das Geräusch zu verursachen, welches sonst ein zahlreich besetztes Banket begleitet. Nur der König sprach laut, die ihm oben am Tische zunächst Sitzenden unterhielten sich halblaut, die weiter entfernt Sitzenden flüsterten, und die, welche ganz unten waren, schwiegen – über der ganzen Versammlung lag dämpfend das Gefühl der Ehrfurcht vor der Majestät, an deren Tische man sich befand.

Zur Linken des Königs saß die Marquise von San Damiano, eine stattliche Dame von etwa dreißig Jahren, nicht gerade eine regelmäßige Schönheit, auch nicht mehr von jener Frische, die den Frauen des Nordens so viel länger als denen des Südens eigen bleibt, aber anmuthig in ihren Bewegungen, und kokett diese Anmuth zeigend, wenn sie die gepuderten Löckchen von ihren Schläfen zurückwarf, oder ein von ihrem Kopfputz niederhängendes Band mit der schmalen Hand über die bloße weißglänzende Achsel legte. Ihr zur Seite saß der Baron von Breteuil, der französische Gesandte, und neben ihm eine auffallend hübsche junge Dame, aus deren dunklen Augen Feuer und Lebenslust sprühten – es war eine Nichte der Marchesa, die den wohlklingenden Namen Bianca Pallavicini führte.

Zur andern Seite des Königs hatte der Graf Traun seinen Ehrenplatz gefunden, neben ihm eine französische junge Dame, ein Fräulein von Boissac, das zur Familie des Barons von Breteuil gehörte; etwas weiter unten saß der Graf Kaunitz, der schönen Bianca schräg gegenüber, die er mit allem Geist, der ihm zu Gebote stand, zu unterhalten suchte.

Der König sprach mit Traun über seine Korallenfischereien an den Küsten der Insel Sardinien und von einer neuen Perlenfischerei, die er angelegt, und die Marchesa von San Damiano zeigte ein mit schwarzen Perlen besetztes Riechdöschen, das der König ihr geschenkt hatte, besetzt mit den Ergebnissen jener Fischerei. Während ihr Nachbar, der Baron von Breteuil, diese seltene Perlenart betrachtete, fügte sie hinzu:

„Ich habe sehr hübsche Perlen, ich liebe sie so – aber es fehlt mir eine jener merkwürdigen Perlen, von denen ich gehört habe, ohne je eine zu Gesicht zu bekommen – die halb weiß und halb schwarz sind … die Gräfin von Berna hat, so viel ich weiß, eine solche besessen –“

„Sie irren, Marchesa,“ fiel ihr der König in’s Wort, „die Gräfin von Berna hat eine solche Perle nie besessen; sie kam aus Frankreich sehr arm hier an, und solch eine Perle wäre allein schon ein Schatz gewesen …“

„In der That,“ bemerkte hier mit erhöhter Stimme Graf Kaunitz, dem keine Sylbe, welche oben am Tische gesprochen wurde, zu entgehen pflegte, „so viel ich weiß, giebt es nur eine solche Perle in der Welt. Sie ist so groß wie die Spitze des kleinen Fingers der Marchesa – unten ist sie völlig schwarz, bis [452] zur Mitte, wo die schwarze Farbe rein abgezirkelt aufhört; ein Haarbreit darüber zieht sich ein ganz schmaler schwarzer Ring um die Mitte der Perle, und der obere Theil ist völlig weiß. Man kann nichts Schöneres sehen als dies unschätzbare Juwel.“

„Und wer ist der Glückliche, der diesen einzigen Schatz besitzt?“ fragte die Marchesa.

„Seine Majestät der König von Frankreich,“ versetzte Kaunitz. „Ich habe die Perle gesehen, als ich zuletzt in Paris war, im Schatze des Königs.“

„In der That?“ fragte der Baron von Breteuil. „Ich muß bekennen, daß ich sie nie gesehen habe. Sahst Du sie je, Aimée,“ wandte er sich zu seiner Verwandten.

„Niemals, in der That,“ versetzte diese, „aber ich meine davon reden gehört zu haben.“

„Es ist eben ein neuer Beweis, wie Fremde an den Orten, die sie besuchen, immer mehr sehen als die Einheimischen!“ bemerkte der Baron von Breteuil.

„So vergessen Sie ja nicht, sie sich zeigen zu lassen, wenn Sie nach Paris heimkehren – sie ist in der That sehr schön,“ sagte Kaunitz.

„Und wie ist sie gefaßt?“

„Einfach als Tuchnadel.“

„Es muß einen großen Werth haben, dies Bijou, um das der allerchristlichste König zu beneiden ist,“ sagte die Marchesa mit einem leisen Seufzer der Begehrlichkeit; denn die Marchesa liebte leidenschaftlich Schmuck und Kleinode.

„Freilich, weil es einzig ist, ist es gar nicht zu schätzen, obwohl, was den allerchristlichsten König angeht, es fraglich bleibt, ob er selber um dieß Besitzthum weiß!“ fiel der Baron von Breteuil ein. „Wir haben so viel Derartiges im Kronschatze … wer kann wissen, was Alles da ist! Und ich für mein Theil muß gestehen, daß ich eine ganz weiße Perle von reinster Farbe einem solchen Naturspiel vorziehen würde.“

„Aber bedenken Sie, Baron, daß sie einzig ist, daß, wer sie besitzt, ein Kleinod hat, welches Niemand auf der Welt mit ihm theilt.“

„Und erhöht das die Freude an einem Besitzthum, meine gnädigste Marchesa?“ sagte Traun hier lächelnd.

„Nun gewiß,“ antwortete die Marchesa, „was man voraus hat, was man allein besitzt, was beneidet macht, hat doch mehr Werth als das, was Alle haben!“

„Freilich, die Frauen denken so,“ entgegnete Traun.

„Und mit Recht,“ fiel der Baron von Breteuil ein, „man schätzt den Menschen nach dem, was er vor Andern voraus hat.“

„Ich meine mehr nach dem, was er mit guten Menschen gemein hat,“ warf Graf Traun ein.

„Sie sind ein Philosoph, Graf Traun,“ sagte hier der König spöttisch … „denkt Ihr Attaché, Graf Kaunitz, auch so geläutert?“

„Majestät,“ versetzte Kaunitz, „sobald ich vor andern Sterblichen so viel voraus haben werde, wie Seine Excellenz der erlauchte Chef meiner Legation, der berühmte Feldherr Graf Traun, werde ich vielleicht einverstanden mit ihm sein. Bis dahin bin ich der Ansicht des Herrn Barons von Breteuil …“

„Und der meinigen, Graf Kaunitz,“ fiel die Marchesa ein, „ich danke Ihnen!“

„Nicht ganz der Ihrigen,“ fuhr Kaunitz fort. „Frauen wie die Marchesa von San Damiano erhielten von der Natur so viel voraus, durch das, was sie sind, daß sie die Auszeichnung nicht durch das, was sie haben, zu suchen brauchen!“

„Nun, wenn das ist,“ versetzte die Marchesa geschmeichelt und mit einer koketten Bewegung des Kopfes, „so will ich auch nicht mehr suchen eine schwarz-weiße Perle voraus zu haben … ich danke Ihnen für den Trost, den Sie mir geben, Graf Kaunitz; und darum reden wir nicht länger von der schwarz-weißen Perle.“

Als nach einer Weile der König die Tafel aufgehoben hatte und gleich darauf sich in seine Gemächer zurückzog, nahm Kaunitz eine Gelegenheit wahr, sich dem Baron von Breteuil zu nähern.

„Dürfte ich Sie um eine kleine Gefälligkeit bitten, Excellenz?“ sagte er.

„Und welche, lieber Graf? verfügen Sie über mich.“

„Ich habe einen Brief an meinen Schneider in Paris geschrieben, würden Sie erlauben, daß ich ihn dem Courier mitgebe, welchen Sie diese Nacht nach Paris absenden werden? Ich werde ihn ungesiegelt lassen, damit Sie sehen, er enthält keine Staatsgeheimnisse …“

„Dem Courier, den ich absenden werde?“

„Nun ja – noch diese Nacht! Verstellen Sie sich nicht, Excellenz!“

„Aber ich denke nicht daran. Woraus schließen Sie…“

„Daraus, daß Baron von Breteuil ein viel zu galanter Mann ist, die glänzende Gelegenheit vorübergehen zu lassen, welche ihm geboten wird, der Marquise von San Damiano den Hof zu machen. Halten Sie mich für einen so schlechten Diplomaten, um nicht bemerkt zu haben, wie sehr Ihnen die schöne Marchesa entgegenkommt, und um nicht den Verdacht zu haben, daß, wenn sie heute die Rede auf die berühmte Perle brachte … aber mein Gott, Sie verstehen mich ja, Excellenz!“

„Ich verstehe Sie durchaus nicht, Herr Graf!“

„Glauben Sie, die Marquise, welche sich auf Edelsteine und Schmuck wie ein Juwelier versteht, wüßte nicht, wo dies einzige Kleinod sich befindet? In der That, ich gratulire Ihnen, Herr Baron. Sie machen Riesenschritte an diesem Hofe, während man uns, fürchte ich, im Stillen für ein paar deutsche Professoren ansieht, die reden, ohne weiterzukommen.“

Der Baron lächelte geschmeichelt.

„Sie irren in Ihren Voraussetzungen, Graf Kaunitz,“ sagte er, „aber da das Schicksal will, daß wir hier Gegner sind, ist es nicht mein Interesse, Ihnen Ihre Irrthümer auszureden.“

„Und mein Brief?“

„Lassen Sie ihn immerhin in meiner Wohnung abgeben – wenn er bis zu meiner nächsten Couriersendung warten kann, das heißt eine ziemliche Anzahl Tage!“

„Ich danke für die Erlaubniß und bin über die schnelle Beförderung meines Briefes ganz beruhigt,“ versetzte lächelnd Graf Kaunitz und zog sich vom Baron Breteuil zurück, um draußen auf dem Corridor den Grafen Traun einzuholen.

„Excellenz,“ flüsterte er diesem zu, „ich bitte Sie, Befehle zu geben, daß sich sofort ein Courier bereit macht, nach Wien abzugehen.“

„Und wozu, lieber Kaunitz?“

„Um die schwarz-weiße Perle zu holen.“

„Die in Versailles ist … oder im Kronschatze zu Paris?“

„Es ist weder in Paris noch in Versailles eine solche; die einzige, welche existirt, ist im Schatze unserer Königin in Wien!“

„In Wien?“

„Pst! sprechen Sie nicht so laut, die Wände könnten Ohren haben.“

„Aber weshalb …“

„Lassen Sie mich machen, Excellenz … ich werde sofort die Depesche entwerfen, worin ich um diese Perle für unsere Zwecke bitte, und dann werde ich Eure Excellenz um Ihre Unterschrift ersuchen. Ich bitte nur, daß der Courier in aller Stille abgehe, während ich schon dafür sorgen werde, daß man erfährt, wie Baron Breteuil noch in dieser Nacht einen Courier nach Paris abgesandt habe, um sie holen zu lassen.“

„Ah, ich sehe, Sie wollen den Gedanken, den ich vorhin aussprach, verfolgen …“

„In der That,“ entgegnete Kaunitz, „der Baron von Breteuil malt sich schon den glücklichen Augenblick aus, wo er sich durch sie ruinirt …“

„Nun, Glück auf, ich werde für den Courier sorgen!“ erwiderte lächelnd Traun.

[465]
4.

Kaunitz begab sich in das ihm angewiesene Gemach im Schlosse, welches im zweiten Stockwerke lag, über den von der Marchesa von San Damiano bewohnten Gemächern. Er fand die Wachskerzen auf seinem Schreibtische entzündet und seinen Diener auf ihn harrend, um ihm beim Auskleiden behülflich zu sein.

„Hast Du Dir die kleine Leiter verschafft, Franz?“ fragte er halblaut den Wartenden.

„Sie steht bereits im Kamin,“ antwortete Franz, „auch habe ich die eine von den beiden Stangen so zurückgebogen, daß Ew. Gnaden schon werden durchschlüpfen können.“

„Gut, so kannst Du gehen, zum Auskleiden brauch’ ich Dich nicht.“

„Aber befehlen Ew. Gnaden nicht, daß ich bei Ihnen bleibe … man weiß doch nicht, was geschehen könnte und wie Ew. Gnaden mich brauchten.“

„Das heißt, Du bist neugierig, Franz … das ist eine schlechte Leidenschaft! Wo ist der schwarze Domino?“

Ein schwarzer Domino lag in der Ecke des Sophas. Franz holte ihn herbei und warf ihn seinem Herrn um.

„So, nun geh und leg Dich auf’s Ohr!“ sagte dieser.

Franz verbeugte sich und gehorchte.

Als Kaunitz allein war, nahm er eines der Lichter und trat damit zu dem Kamin, in den er hineinleuchtete. Die eiserne Klappe, welche jenen während der Sommermonate verschloß, war aufgeschlagen und hatte einer leichten, etwa acht Fuß langen Leiter Platz gemacht, die hineingeschoben war trotz der zwei Querstangen, die, in Mannshöhe angebracht, das Eindringen irgend eines unberufenen Schlotfahrers durch den Kamin in das Zimmer verhindern sollten. Eine dieser Stangen war auf gewaltsame Weise so weit zurückgebogen, daß sie der Leiter Raum ließ und daß eine schlanke Gestalt neben ihr emporsteigen konnte, ein Experiment, welches der schmächtige junge Diplomat sogleich versuchte, und zwar mit dem besten Erfolg. Er fand dann einen vortrefflichen Standpunkt auf den beiden Querstangen.

„Wohin nicht eine gute Diplomatie muß kriechen können!“ sagte er lächelnd für sich und öffnete nun eine in der Höhe seiner Brust befindliche und in der Mauer des Schlots eingesetzte kleine viereckige Thür von Eisenblech, welche eine Verbindung mit dem Kaminschlot des nächsten Zimmers herstellte und zur Bequemlichkeit der Kaminfeger da angebracht war, die so in dem einen Schlot hinunter und in dem benachbarten wieder emporfahren konnten, ohne jedesmal eine Doppelreise machen zu müssen.

Nachdem Kaunitz diese Thür so unhörbar wie ihm irgend möglich geöffnet hatte, lauschte er eine Weile, ob er aus dem daneben liegenden Raume keine Stimme oder kein Geräusch vernehme. Aber Alles war still drüben und der Rauchfang völlig dunkel.

Deshalb lehnte er die kleine Eisenthür möglichst dicht an, ohne sie zu schließen, und verließ seinen Lauscherposten.

„Wir müssen warten,“ sagte er, als er wieder in seinem Zimmer stand und den Schmutz, der auf ihm hängen geblieben war, von seinem schwarzen Domino abstäubte; dann warf er diesen zur Seite und setzte sich an seinen Schreibtisch, um seine Depesche zu beginnen.

Er mochte etwa eine Viertelstunde geschrieben haben, als er plötzlich aufhörte, sich erhob und näher zum Kamin trat. Er vernahm ein Geräusch, welches durch die von ihm geöffnete kleine Eisenthür aus dem Nebenzimmer kommen mußte – ein Hin- und Hergehen und Anstoßen von Möbeln, ein Hüsteln, ein Rauschen wie von einem Kleide.

„Ah,“ sagte Kaunitz leise für sich hin und aus seiner Lauscherstellung neben dem Kamin sich erhebend, „dacht’ ich’s doch … es ist eine Dame, von deren Nachtquartier diese Wand uns trennt, eine Dame! Aber hoffentlich keine, die um Mitternacht zum Schornstein hinausfährt und dadurch den Rumor im Kamin macht, der mich so oft im Schlaf gestört hat … aber bescheiden wir uns und warten die weitere Entwickelung ab.“

Er setzte sich wieder und begann abermals zu schreiben. Als die Depesche fertig war, stand er auf und verließ sein Zimmer, um sie selbst dem Grafen Traun zu überbringen. Er schritt dazu durch ein paar Vorzimmer, dann über einen kleinen Vorplatz und eine schmale Treppe hinab, die ihn in einen breiten und großen Corridor im ersten Stock brachte. In diesem Corridor, an dessen rechter Seite die Zimmer der Marchesa von San Damiano lagen, pflegte eine Wache aufgestellt zu sein, welche die Cavaliergarde wie alle Posten im Innern der königlichen Wohnung zu beziehen hatte. Kaunitz bemerkte, daß sie für heute Nacht zurückgezogen sei, wenigstens nahm er den sonst hier fast immer auf- und abschildernden Gardisten nicht wahr; er wandte sich jetzt in einen kleinen Seitengang links und trat hier durch eine Flügelthür in die Wohnung des österreichischen Gesandten ein. Nach kaum einer Viertelstunde kehrte er zurück und begab sich möglichst lautlos wieder hinauf in sein Zimmer. Als er es wieder betreten hatte und nun, in der Mitte desselben stehend, den Athem anhielt, um zu horchen, zuckte er leise zusammen und schlich dann still und völlig unhörbar rasch zum Kamine.

[466] „Unser Spuk ist da,“ flüsterte er für sich, „und nun werden wir diesen Rauchfang-Unterhaltungen hoffentlich auf die Spur kommen.“

Er ging seinen Domino überzuwerfen und kletterte darauf still auf der kleinen Leiter empor, und als sein Kopf die Höhe der Eisenthür erreicht hatte, legte er das Ohr an diese, die er unmerklich offen stehen gelassen. Gleich darauf aber zog er den Kopf wie unwillkürlich wieder zurück, betroffen von dem Klang einer Stimme, welche in dichtester Nähe in dem Zwillingsrohre der Kaminesse neben ihm in heiterem Tone die Worte sprach:

„Ich habe eine vortreffliche englische Feile mitgebracht … soll ich beginnen?“

„Untersteh’ Dich!“ antwortete aus der Tiefe des jenseitigen Zimmers eine hellklingende Frauenstimme heraus.

Kaunitz horchte gespannt auf, etwas wie eine dämonische Freude hätte ihn fast ein leises und doch verrätherisches Ah! ausstoßen lassen; aber er besann sich und lauschte weiter.

„Du bist abscheulich,“ fuhr die Stimme neben ihm – es war eine jugendliche Männerstimme – fort. „Du bist abscheulich; Du liegst warm und weich gebettet in Deinen Kissen, und ich sitze hier auf den zwei infernalischen Stangen, welche mich hindern, in Dein Zimmer zu kommen…“

„O, die Stangen sind ganz gut,“ versetzte die Stimme aus dem Zimmer; „wenn sie nicht da wären, müßte man sie ganz besonders für Dich erfinden …“

„Boshaftes Geschöpf, das Du bist … und ich bin gewiß, wenn Du sie erfunden, hättest Du sie auch so mit den Kanten in die Höhe gestellt, um das Sitzen darauf desto angenehmer zu machen!“

Die Frauenstimme unten ließ ein unterdrücktes Lachen vernehmen.

„Poverino!“ sagte sie dann, „wenn es so angenehm ist, darauf zu sitzen, weshalb kommst Du dann … ist es anständig, durch den Kamin zu jungen Mädchen hinabzusteigen und sie um ihre Nachtruhe zu bringen? Geh, ich will schlafen!“

„Nicht eher, als bis Du mir eine Antwort gegeben hast… wirst Du kommen oder nicht?“

„Nein!“

„So geh’ ich nicht! Ich werde die ganze Nacht hier bleiben!“

„Meinethalben! Ich werde jetzt einschlafen.“

„Einschlafen … das wirst Du nicht!“

„Weshalb nicht … glaubst Du, ich fürchtete mich, weil ich weiß, daß eine große Fledermaus in meinem Kamin ist?“

„Ich werde anfangen, die Stange zu durchfeilen!“

Diese Drohung schien zu wirken. Die Stimme von unten antwortete im bittenden Tone: „Gennaro, ich bitte Dich, geh jetzt …“

„Wirst Du kommen?“

„Aber ich kann ja nicht … meine Tante bewacht mich unausgesetzt …“

„Während sie Siesta hält?“

„Es ist nahe an ein Uhr,“ fuhr die Stimme unten fort; „die Ablösung wird kommen und entdecken, daß Du nicht auf Deinem Posten bist!“

„Es ist noch lange nicht ein Uhr, und die Ablösung kommt erst um zwei,“ lautete die Antwort. „Soll ich meine Feile hervorziehen?“

„Um Gotteswillen!“

„Wirst Du kommen?“

„In den Pavillon? Nimmermehr … wenn man uns entdeckte! Wir wären für ewig unglücklich!“

„Wohin denn?“

„Lästiger, abscheulicher Mensch!“

„Daß ich das bin, weiß ich; ich möchte wissen, wohin Du kommen wirst?“

„Willst Du dann gehen?“

„Sogleich!“

„Nun wohl, da, wo ich heute Abend war, in den Gebüschen hinter der Flora. Aber nun gehe auch!“

„Ich gehe schon. Aber gewiß, Bianca? Ist es ganz gewiß?“

„Ich schwöre es Dir.“

„Dann leb wohl, anima mia, schlafe sanft und träume ein wenig von mir, willst Du?“

„Wenn Dir daran liegt, mir in meinen Träumen als Fledermaus, oder als Vampyr, oder als Dämon so schwarz wie ein Schlotfeger zu erscheinen … weshalb nicht?“

„Bosheit! Schlaf wohl, Bianca!“

„Schlaf wohl, Gennaro!“

Gennaro machte eben Anstalt, sich von seinem unbequemen Sitze zu erheben und seine Luftreise nach oben anzutreten, als Kaunitz rasch ein paar Sprossen seiner Leiter höher hinanstieg, das eiserne Thürchen aufriß, seinen Kopf hineinsteckte und mit dem freundlichsten Tone von der Welt sagte: „Signor Cavaliere, wollen Sie nicht Ihren Weg durch dieses Loch hier und dann durch mein Zimmer nehmen … es ist viel bequemer so für Sie!“

Bei den ersten Lauten dieser Stimme fuhr dem Signor Cavaliere ein Todesschreck durch alle Glieder … er blickte auf und sah einen dicht über ihm aus der schwarzen Mauer sich vorstreckenden dunklen Kopf und zwei funkelnde Augen darin. Es war eine entsetzliche Ueberraschung!

Madre di Dio!“ hauchte er athemlos.

„Bitte, kommen Sie hierher,“ fuhr die freundliche Stimme unsers Diplomaten fort.

„Herr,“ rief endlich der Cavaliere sich sammelnd und ein paar Mal tief Athem schöpfend aus … „wie kommen Sie hierher – wo sind Sie?“

„Mein Gott, was ist – mit wem sprichst Du da, Gennaro?“ rief jetzt eine erschrockene Frauenstimme aus der Tiefe des Kamins.

„Beruhigen Sie sich, Fräulein Bianca,“ rief Kaunitz zur Antwort hinab, „es ist Niemand als Ihr Zimmernachbar, der sich die Ehre nimmt, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen!“

O santissima Vergine!“ rief es in der höchsten Angst zurück.

„Herr, ich begreife nicht, wie Sie sich unterstehen können …“ sagte jetzt in aufkochendem Zorn der Cavaliere; aber bevor er geendet hatte, fiel Kaunitz ein: „Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie es bequemer haben, wenn Sie durch dies Thürchen kriechen und durch mein Zimmer zurückkehren? Ich glaubte, Ihnen einen Dienst zu leisten …“

„Zum Teufel mit Ihrem Dienst, ich –“

„Bitte, kommen Sie,“ sagte Kaunitz jetzt sehr bestimmt, „ich muß darauf bestehen, damit mir Gelegenheit werde, Ihnen meine Entschuldigungen zu machen.“

„Ich brauche Ihre Entschuldigungen nicht und …“

„Doch brauchen Sie vielleicht mein Stillschweigen, Signor Cavaliere, und da ich dies an die Bedingung knüpfe, daß Sie meine freundliche Einladung annehmen, so werden Sie jetzt hier durch diese Maueröffnung steigen und herunter in mein Zimmer kommen!“

Diese letztere Bemerkung schien Eindruck auf den jungen Mann zu machen.

„Nun, meinethalb,“ sagte er, und dann rief er hinunter: „Fürchten Sie nichts, Bianca, ich werde in das Zimmer des Herrn gehen, und wir werden uns hoffentlich verständigen, so oder so … seien Sie ohne Sorgen um mich!“

„O mein Himmel, was wird daraus werden?“ rief es halblaut von unten zurück, und währenddem hob sich der Oberkörper des Cavaliere durch die Maueröffnung.

„Sie können auch hier auf die Stangen treten und dann auf der Leiter niederkommen,“ sagte Kaunitz, der schon unten war, ein Licht herbeigeholt hatte und damit in den Kamin emporleuchtete.

Nach wenigen Augenblicken stand der junge Mann im Zimmer des Grafen Kaunitz. Auch er trug einen schwarzen Domino, der, als er von den Schultern zurückgeworfen wurde, eine reiche Scharlachuniform sehen ließ.

„Ebenfalls im Domino!“ sagte Kaunitz lächelnd, während er den seinen zu Boden gleiten ließ. „Schade, daß uns kein Philologe sieht, er würde plötzlich entdecken, weshalb man solch ein Ding Chauve-souris nennt.“

Dann stellte er den Leuchter auf einen kleinen Tisch vor dem Sopha und sagte mit einer Verbeugung und einer Stimme, deren Ironie nicht zu verkennen war:

„Haben Sie die Gnade, Platz zu nehmen, Herr Cavaliere di Lucano.“

[467] „Ich würde vorziehen, mich sofort wieder auf meinen Posten begeben zu können,“ versetzte der Cavaliere im Tone eines kaum zu bewältigenden Aergers; „ich hoffe, Sie erlauben das, Herr Graf, da ich Ihnen ja den Willen gethan, diesen Weg zu wählen, und dagegen nun das Versprechen Ihrer Discretion habe …“

„Sie haben allerdings den ersten Schritt, sich diese zu sichern, gethan, Cavaliere, doch noch nicht das Gelübde derselben von mir erhalten. Bitte, gewähren Sie mir die Ehre Ihrer Anwesenheit noch für einige Minuten; setzen wir uns.“

„Aber wenn ich Ihnen sage, daß ich durchaus keine Lust habe …“

„So sagen Sie mir freilich nichts, was ich mir nicht lebhaft vorstellen könnte,“ fiel ihm Kaunitz in’s Wort, indem er sich ruhig setzte, während der junge Mann vor ihm stehen blieb; „aber Sie wissen, Cavaliere: Necessità c’induce, e non diletto! und darum fügen Sie sich und … plaudern wir ein wenig. Sie wissen, ich bin Diplomat und also etwas neugieriger Natur – wollen Sie die Güte haben, mir einige Fragen zu beantworten?“

„Herr Graf,“ antwortete der junge Mann auffahrend, „ich meine, Fragen zu stellen, dazu wäre zunächst ich befugt. Ich begreife nicht, was Sie veranlaßt, sich so in meine Geheimnisse, die dazu nicht blos meine Geheimnisse sind, einzudrängen … ich muß Ihnen gestehen, daß ich diese Ueberrumpelung ein wenig unritterlich finde …“

„Still, still, Signor Cavaliere, machen Sie mich nicht zu Ihrem Feinde … wenn der König erführe, daß Sie Ihren Posten verlassen haben, und die Frau Marchesa von San Damiano, zu welchem Ende Sie dies thun … und wie Sie die ihrem Schutze anvertraute Signora Bianca um ihre Nachtruhe bringen – so wäre es für immer um Sie geschehen … Sie sehen ein, daß Sie mich zu Ihrem Freunde machen müssen! Nicht wahr?“

„Und wollen Sie sich diese Freundschaft abkaufen lassen … durch Bedingungen, die Sie daran knüpfen?“

„Allerdings, ich bin so unritterlich!“

„So reden Sie!“ versetzte der Cavaliere, indem er sich in tiefstem Unmuth in einen Sessel warf.

„Sie lieben die Nichte der Marchesa?“

„Ja!“

„Und weshalb wählen Sie diese halsbrecherischen Wege, um sie sprechen zu können?“

„Halsbrecherisch sind sie eben nicht,“ versetzte der junge Mann mit einem stolzen Lächeln. „Auf dem Dachboden über uns ist eben eine solche Maueröffnung und Thür im Schlot, wie die, durch welche ich in Ihr Zimmer gestiegen bin, so daß man sich ganz bequem hinablassen kann …“

„Und Ihr Savoyarden seid geborene Rauchfangfahrer!“ rief Kaunitz lachend aus. „Aber was verhindert Sie, Ihre Neigung offen zu gestehen und bei der Marchesa um die Hand ihrer Nichte zu werben?“

„Die Marchesa würde es nie zugeben!“

„Und weshalb nicht? Sind Sie nicht ein junger Mann aus dem besten Hause, wohlhabend, ja reich, so viel ich weiß, mit glänzenden Hoffnungen …?“

„Und dennoch würde sie es nie zugeben!“

„Aber der Grund?“

„Weil sie ein Weib ist,“ versetzte der Cavaliere mit einem Aufwerfen der Lippen, das unverkennbar den Ausdruck der Verachtung hatte.

„Ich verstehe,“ sagte Kaunitz mit einem schlauen Lächeln … „weil sie ein Weib ist! In der That, das ist schlimm! Bianca wird also für’s Erste nicht die Ihrige werden – es sei denn, daß sich die Diplomatie, die allein über ,Weiber’ etwas vermag, in’s Mittel legte!“

„Was wollen Sie damit andeuten?“

„Meinen Vorsatz, Ihnen zu helfen.“

„Sie sind sehr gütig, aber …“

„Wenn ich nun Ihre Hülfe nicht will, wollen Sie sagen …?“

„Das wollte ich allerdings!“

„So wollen Sie doch meine Freundschaft und meine Discretion erkaufen – – darüber waren wir einig.“

„Ja, Ihre Discretion … nennen Sie Ihre Bedingungen, Herr Graf!“

„Wenn nun die erste wäre, daß Sie ein wenig Ihren Groll gegen mich schwinden ließen und mit mehr Vertrauen auf meine Theilnahme für Ihre hoffnungslose Neigung bauten?“

„So würde ich diese Bedingung annehmen,“ sagte der junge Mann nach einer Pause mit verändertem Ton, wie durch den warmen und aufrichtigen Ausdruck, mit dem Kaunitz gesprochen hatte, betroffen.

„Meine zweite Bedingung,“ fuhr Kaunitz fort, „ist eine, die Ihnen schon etwas schwerer einzugehen sein wird; aber was wollen Sie – sie ist unerläßlich – und Sie müssen sich darein fügen!“

„Nennen Sie diese schwere Bedingung … sie wird nichts Unritterliches oder Unwürdiges enthalten, da Graf Kaunitz sie mir stellt!“

„Nichts Unritterliches – gewiß nicht,“ fiel Kaunitz mit ironischem Lächeln ein, „nur ein Bischen Untreue und Verrath gegen Ihre Geliebte, und das verstößt ja nicht gegen den Ehrencodex junger Ritter – Sie sollen nämlich für die nächsten acht bis vierzehn Tage Ihre Bianca zu vergessen scheinen und Mademoiselle Aimée de Brissac, der Verwandten des Barons von Breteuil, auf Tod und Leben den Hof machen!“

„Ist das Ihr Ernst!“

„Meine Bedingung, an die sich für Sie die Rettung aus einer sehr verzweifelten Situation und – die Hand Bianca’s knüpft.“

„Darf ich Bianca einweihen?“

„Nein, das dürfen Sie nicht. Ich werde Ihr Ehrenwort fordern, daß Sie schweigen! Nur unter dieser Bedingung werde auch ich schweigen und für Sie wirken!“

Der Cavaliere schien mit sich zu kämpfen.

„Sie fürchten Ihre Bianca zu verletzen, ihr den Schmerz der Eifersucht zu machen,“ fuhr der junge Diplomat fort, „aber würde es Sie weniger schmerzen, wenn man Sie morgen als untreuen Soldaten, der seinen Posten verlassen hat, in’s Fort Bard oder Gott weiß wohin auf viele Jahre als Gefangenen sendete?“

Die Gesichtszüge des Cavaliere zogen sich zornig zusammen, seine Augen sprühten Blitze auf Kaunitz.

„Und Sie wären wirklich im Stande, mich zu denunciren?“

„Täuschen Sie sich darüber nicht, Cavaliere … ich bin fest entschlossen, das zu thun! Gewiß nicht aus Freude am Unheilstiften; aber aus gebieterischen Gründen, die ich Ihnen nicht enthüllen kann und die Sie immerhin als mit meiner politischen Mission zusammenhängend annehmen dürfen “

„Nun, dann bin ich freilich völlig in Ihrer Hand!“

„Allerdings, aber diese Hand wird Sie zu Ihrem Glücke führen, glauben Sie mir das! Also, hab’ ich Ihr Wort? Wollen Sie thun, was ich verlange? Wollen Sie Demoiselle de Brissac mit einem Eifer den Hof machen, daß es die Gesellschaft bemerkt, und wollen Sie die Gunst der jungen Dame in einem Maße sich zu sichern suchen, daß Sie ihr ein Geschenk anbieten dürfen?“

„Welches Geschenk?“

„Nun, es wird sich finden! Also, hab’ ich Ihr Wort?“

„Kann ich Nein sagen?“

„So geben Sie mir Ihr Wort – geben Sie mir Ihre Hand darauf, daß Sie thun wollen, was ich verlangt, und daß Sie Ihrer Bianca mit keiner Sylbe verrathen wollen …“

„Wie lange soll diese Schauspielerei dauern?“

„Höchstens vierzehn Tage, dann werden Sie der Bräutigam Bianca’s sein!“

„Sie sagen das mit einer solchen Bestimmtheit, Herr Graf …“

„Daß Sie beginnen mir zu glauben? Desto besser! Desto eifriger werden Sie Ihr glänzendes Talent, Rollen zu spielen, das wir heute bewunderten, entwickeln. Also, ich habe Ihr Ehrenwort?“

„Sie haben mein Ehrenwort, Graf Kaunitz!“

„Nun, dann können wir uns als gute Freunde und Verbündete trennen. Ich darf nicht sagen: Schlafen Sie wohl, Cavaliere, – nur: eilen Sie jetzt auf Ihren Posten zurück und denken Sie nach, wo Sie sich gleich morgen Mademoiselle de Brissac nähern können! Addio, Signore!“

Der junge Mann stand auf, verbeugte sich leicht vor Kaunitz, und dieser leuchtete ihm durch seine Vorzimmer. Als er zurückgekommen, lag ein triumphirendes Lächeln auf seinem Gesichte.

„In welch’ vortreffliche Geschichte hat sich dieser Kaminspuk für uns aufgelöst!“ sagte er, „und,“ setzte er leiser und nach dem Kamin hin horchend hinzu … „welche liebenswürdige Nachbarin haben wir da entdeckt!“




[468]
5.

Es waren etwa zehn Tage verflossen. Der Cavaliere di Lucano hatte sein Kaunitz gegebenes Wort erfüllt. Er hatte sich dem französischen Gesandten zu nähern gesucht und hatte Mademoiselle de Brissac den Hof gemacht mit all der Lebhaftigkeit, womit ein junger Mann, dessen Herz in anderen Banden liegt, einem jungen Mädchen die Cour machen kann, das sehr hübsch, sehr liebenswürdig und sehr kokett ist.

„Ich bin mit Ihnen ganz ausnehmend zufrieden,“ flüsterte ihm Kaunitz eines Abends zu, als er ihm im Abendcirkel des Königs begegnete. „Es scheint, Sie finden Ihre Rolle nicht so schwer, als es Ihnen im ersten Augenblicke vorkam! Wie sollte man auch, wenn man für Rollen in Schäferspielen berühmt ist!“

„Die Rolle, welche Sie mir gegeben haben, ist allerdings nicht so schwer,“ antwortete der Cavaliere mit einem mißmüthigen Lächeln. „Schwer dabei ist nur den vorwurfsvollen Augen Bianca’s begegnen zu müssen, und ihr nicht anders als mit verstohlenem Achselzucken und leidenschaftlichen Blicken antworten und eine Erklärung geben zu können.“

„Glauben Sie, daß Bianca eifersüchtig ist?“

„Wie sollte sie anders – ich bin wenigstens eitel genug, es zu glauben, obwohl ich sehe, daß Sie Alles aufbieten, ihr einen Ersatz für das plötzliche Aufhören meiner Huldigungen zu bieten!“

Der junge Mann sprach diese Worte mit einer Schärfe, deren Bedeutung Kaunitz nicht entging. Er erröthete leicht.

„Sie scherzen, Cavaliere,“ sagte er, „wie könnte ich daran denken, Bianca Pallavicini einen Ersatz zu bieten für einen so glänzenden …“

„O, fügen Sie nicht auch noch Spott hinzu,“ fiel ihm der junge Mann in’s Wort, „der ganze Hof sieht es ja, wie auffällig oft Sie an ihrer Seite sind und wie vortrefflich Sie Bianca zu unterhalten wissen!“

„Der ganze Hof hat eben nichts Besseres zu thun, als solchen Klatsch zu erfinden …“

„Nun, so lassen wir den Hof aus dem Spiele; es ist genug an dem, was ich selbst mit eigenen Augen sehe!“

„Sie täuschen sich, Cavaliere, Sie sagten ja eben selbst, daß Bianca Sie mit vorwurfsvollen Blicken verfolge.“

„Mit vorwurfsvollen, die vielleicht auch ein wenig triumphirend sagen: Sieh, wie rasch ich Dich vergessen und mein Herz einem Andern zu eigen gegeben habe … wer versteht, was solche Frauenblicke sagen!“

„Seien Sie ruhig, Cavaliere,“ versetzte Kaunitz mit einem etwas verlegenen Lächeln, „ich habe Ihnen versprochen, was ich für Sie thun wolle, und wissen Sie, ob ich dazu nicht auch der Beihülfe Bianca Pallavicini’s bedarf und zu dem Ende mit ihr zu reden habe?“

„Nun, so will ich Ihnen trauen, aber dann bitte ich Sie, lassen Sie das grausame Spiel enden, Herr Graf. Ich bitte Sie dringend darum. Ich kann die Blicke Bianca’s nicht länger ertragen, mögen sie nun ausdrücken, was sie wollen; und wenn das so fortgeht mit Aimée de Brissac, wie soll ich das Verhältniß wieder lösen?“

„Fürchten Sie nichts, Cavaliere, nur noch einige Tage Geduld, nur noch wenige Tage. Und führen Sie noch heute Abend bei Fräulein von Brissac eine Gelegenheit herbei, ihr ein Geschenk machen zu können; gehen Sie eine Wette ein, die Sie verlieren …“

„Und welches Geschenk soll ich ihr machen?“

„Eine hübsche Perle von einer seltnen Art, die ich Ihnen, sobald wir in unsern Zimmern sind, durch meinen Kammerdiener übersenden werde. Sie hat einigen Werth, und Sie werden Ehre damit einlegen!“

„Aber wird sie verschweigen, daß sie von mir kommt? und wenn Bianca erfährt …“

„Sie wird sie zuerst ihrem Verwandten, dem Gesandten, zeigen, und dieser wird dafür sorgen, daß sie es verschweigt … mein Wort darauf!“

„Aber ich begreife nicht …“

„Still, still, Sie kennen unsern Contract, Cavaliere, und müssen mir folgen; ich will Ihnen auch den Trost geben, daß Ihre Hauptaufgabe damit zu Ende ist und daß ich Sie bald des Dienstes bei Aimée von Brissac entlassen werde; für jetzt aber müssen Sie Ihre Rolle mit demselben glänzenden Erfolg, wie bisher, weiter spielen; sehen Sie nicht, wie die schöne Französin Sie mit ihren Augen sucht? gehen Sie zu ihr, gehen Sie, man darf uns nicht so lange zusammen sprechen sehen.“

Kaunitz wandte sich ab, um zu einer nahen Gruppe von Herren zu treten, und der Cavaliere näherte sich ziemlich mißmuthig dem Gegenstände seiner Huldigungen.

Eine Weile darauf kam Graf Traun an Kaunitz vorübergeschritten und da er ihn erblickte, winkte er ihn zu sich und trat mit ihm in eine Fensterbrüstung.

„Nun, wie weit sind Sie mit Ihrer Intrigue, Kaunitz,“ sagte der Graf. „Ich sehe unsere Perle noch immer nicht an der Brust der Marchesa und den Baron Breteuil noch immer so in der vollen Gunst des Königs, daß er ihn eben zu seinem Spiele gezogen hat.“

„Wir müssen eben Geduld haben, dafür sind wir ja Deutsche,“ versetzte lächelnd der junge Diplomat. „So viel kann ich Ihnen sagen, daß Fräulein Aimée ohne Rückhalt in die Schlinge geht, welche wir ihrem Oheim legen.“

„Nun, das ist etwas! Und weshalb sollte sie nicht? Dieser Cavaliere di Lucano ist der glänzendste junge Mann am Hofe, der Erbe eines sehr vornehmen und sehr reichen Hauses – und am Ende …“

„O, am Ende,“ fiel Kaunitz ein, „müssen wir doch unser Wort halten, und Sie wissen, daß dies auf eine andere Entwicklung der Dinge hinausläuft …“

„Allerdings, nach dem leichtsinnigen Versprechen, welches Sie gegeben haben, ich bin in der That gespannt darauf, wie Sie es lösen werden!“

Kaunitz lächelte selbstzufrieden, während er antwortete: „O gewiß, Excellenz, wir werden es lösen, zweifeln Sie nicht daran; während Sie die großen Staatsactionen durchführen, wird doch Ihr Attaché solch’ eine kleine Partie zu Stande zu bringen wissen …“

„Nun, thun Sie Ihr Bestes … und vergessen Sie nicht, daß die Zeit drängt, daß man in Wien ungeduldig wird und daß man die Perle dort nur hergegeben hat in der Voraussetzung, daß wir mit diesem hohen Preise einen vortheilhaften Handel machen!“

Der Graf verließ seinen Attaché und mischte sich in die Gesellschaft.

[481] Kaunitz blieb, nachdem Graf Traun zur Gesellschaft zurückgekehrt war, in der Fensternische stehen, und jetzt verdüsterte sich in eigenthümlicher Weise sein scharf geschnittenes markirtes Gesicht.

„Der in seiner eigenen Schlinge gefangene Fuchs,‘ oder ,Spiele nicht mit dem Feuer,‘ oder ,Diplomatenlist und Weiberlist‘ – lauter vortreffliche Titel zu der kleinen Novelle, in welcher ich hier die Rolle des Intriguants spiele,“ flüsterte er vor sich hin. „Ich hätte nie gedacht, daß es so gefährlich ist, eine hübsche Zimmernachbarin zu haben! Daß man dann den ganzen Tag an sie denken, auf ihre Bewegungen lauschen muß! Und jetzt … o, wenn ich dieser schönen, reizenden Bianca nur einen Augenblick in’s Herz sehen könnte! Läßt sie sich meine Huldigungen gefallen, weil sie eben Gefallen daran findet, weil sie ihren treulosen Gennaro vergessen will? Das schwerlich. Aber vielleicht weil sie ihn ärgern, weil sie ihm zeigen will, daß sie sich nichts aus seiner Treulosigkeit macht; wenn es auch das nur wäre, damit hätt’ ich schon viel, hätt’ ich Alles gewonnen! Vielleicht aber auch nur, weil sie weiß, daß ich ihr Zimmernachbar bin, weil sie mich anlocken will, um endlich, wenn ich zu ihrem willenlosen Sclaven geworden, zu erfahren, was zwischen mir und ihrem Gennaro in jener Nacht vorgefallen ist … blos deshalb – und das, fürcht’ ich, ist das ganze Geheimniß ihrer Gunst – und wahrhaftig, es wäre verzweifelt demüthigend für mich! Was soll ich jetzt thun? Soll ich den Plan verfolgen, um dessen willen ich mich ihr ursprünglich näherte? Soll ich, wenn der Baron Breteuil der Marchesa die Perle, die ich ihm in die Hände spielte, mit französischem Großthun überreicht hat, Bianca zum König schicken, damit sie sich über seine Intriguen beklage und dem König, der dann ohnehin gereizt genug sein wird, erzähle, wie Breteuil ihren Geliebten durch seine Nichte an sich gezogen habe, um durch diesen glänzenden Cavaliere auf die Marchesa wirken zu können, die ihn so auffallend bevorzuge? Gewiß, der König wird wüthend werden über die französische Diplomatie und die bösen Gedanken, welche diese von seiner Marchesa hegt, als ob sie sich bestechen lasse, als ob sie, seine Geliebte, von diesem Gennaro geleitet werden könne und als ob er, der König, Weiber sich in seine politischen Entschlüsse mischen lasse – der Franzose ist verloren, das ist sicher … und die Marchesa wird erschrocken sein, daß man ihre Neigung für Gennaro entdeckt hat, und eine Verbindung Gennaro’s mit Bianca auf’s Aeußerste beeilen!“

Kaunitz lispelte diese Betrachtungen für sich hin, aber es schien der Gedanke des Siegs, bei welchem er inne hielt, ihn keinesweges mit großer Freude zu erfüllen. Er sah im Gegentheil ziemlich niedergeschlagen und starr auf den Boden, bis er nach einer Weile wie, plötzlich aus seinem Träumen auffahrend, leise für sich ausrief: „Thörichte und sündige Gedanken … bleiben wir bei unserem Plan und deshalb handeln wir!“

Er suchte Bianca Pallavicini auf, die er in dem anstoßenden Salon fand, wo ein Kreis von Damen um die Marchesa von San Damiano versammelt war. Sie saß neben einer anderen Dame in einer Causeuse, und auf einem Tabouret neben ihr saß Aimée von Brissac.

Kaunitz trat unbemerkt, wie er glaubte, in ihre Nähe, um etwas von dem höchst lebhaften Gespräch aufzufangen, in welches er die jungen Damen vertieft fand und das, wie es nach dem Tone der Redenden schien, etwas von einer gereizten Debatte hatte.

„Sie waren nie in Paris und behaupten das so sicher?“ sagte eben Aimée.

„Warum sollt’ ich nicht,“ fiel Bianca ein, „wenn ich auch nie in Paris war und nie hinzugehen beabsichtige!“

„So sehr steht es bei Ihnen in Ungnade?“

„Ich wüßte nicht, weshalb man sich die Mühe geben sollte, es aufzusuchen, wenn man Italien hat!“ erwiderte Bianca.

„Italien – Italien ist sehr schön, wer leugnet das,“ versetzte Fräulein von Brissac, „aber was in Italien ersetzt die Pariser Gesellschaft?“

Bianca lächelte – fast spöttisch; dann sagte sie: „Braucht man nach Paris zu gehen, um sie zu haben? Sie ist überall und will überall ihren Ton, ihre Manieren, ihre Moden vorschreiben, überall herrschen …“

„Nun ja, sie ist einmal das Vorbild des guten Tons und der Moden,“ entgegnete Aimée mit selbstbewußtem Aufwerfen des Kopfes; „woher wollen Sie diese sonst holen, Ihre Umgangsformen, Ihre Moden – doch nicht etwa aus Deutschland … aus Wien?“ setzte sie mit anzüglichem Tone hinzu.

„Italien ist groß und gebildet genug, es braucht kein Vorbild und keine Lehrmeister,“ versetzte Bianca sehr scharf und zornig, „aber wenn es sie brauchte, thäte es gewiß klüger, sich an die Deutschen zu halten; ich finde die Deutschen jedenfalls weniger eroberungssüchtig, ehrlicher und liebenswürdiger als die Franzosen … hab’ ich nicht Recht, Graf Kaunitz?“ wandte sie sich plötzlich an diesen, indem sie den Kopf zurückwarf und ihn herbeiwinkte.

„Stehen Sie mir bei gegen die französische Eroberungslust!“ setzte sie mit einem bitteren Blick auf ihre Gegnerin hinzu.

[482] „Das ist meine Lebensaufgabe, Signora Bianca,“ versetzte Kaunitz, eifrig herbeieilend, „und Sie sehen mich bereit, Ihnen mit allen meinen Streitkräften gegen diese abscheuliche Eroberungslust, die schon so viel Kriege angefangen hat, zu Hülfe zu kommen.“

„Wenn Sie einen solchen Bundesgenossen zu Hülfe nehmen, dann ist’s freilich Zeit, daß Frankreich sich zurückzieht und Italien dem Glücke dieses Bündnisses überläßt,“ sagte Aimée spöttisch, indem sie aufstand und die beiden jungen Damen auf der Causeuse verließ.

„Hochmüthiges Geschöpf!“ murmelte Bianca, während Kaunitz das Tabouret einnahm, das Aimee von Brissac verlassen hatte.

„Ich bin gerührt von dem Guten, was Sie eben von den Deutschen gesagt haben,“ flüsterte Kaunitz Bianca zu, so, daß es die Nachbarin des jungen Mädchens nicht verstehen konnte, „es macht mich froher, als ich Ihnen sagen kann … Bianca, wollen Sie mich wirklich zu Ihrem Bundesgenossen annehmen?“

Bianca wechselte einen Augenblick die Farbe, dann sagte sie mit einer koketten Kopfbewegung lächelnd: „Wozu hätt’ ich einen Bundesgenossen nöthig …“

„Wenn Sie ihn aber nöthig hätten, wäre dann nicht ein Deutscher der beste, weil er der treueste ist?“

„Auch der treueste hat seine egoistischen Absichten … das Beste ist, keinen brauchen!“

„Brauchen Sie nicht einen, wenn auch nur um sich zu rächen?“

„Will ich das?“

„Seien wir offen, Bianca … ich schwöre Ihnen, daß Sie mir vertrauen können.“

„Daß ich das glaube, habe ich Ihnen schon gezeigt … Sie sehen, daß ich Sie nicht fürchte!“

„Und daß Sie das nicht thun, trotz jenes Abends, der Sie so in Schrecken setzte, daß Sie auf meine ehrliche Discretion bauen, das eben macht mich Ihnen so dankbar, und noch einmal: ich trage Ihnen die ehrlichste Bundesgenossenschaft an. Aber egoistisch bin ich freilich dabei, ich wünsche, daß die Bundesgenossenschaft mit einem kleinen Dienste beginne, den Sie mir leisten!“

„Und worin bestände der?“

„Erinnern Sie sich des neulichen Gesprächs an der Abendtafel des Königs über eine doppeltgefärbte Perle?“

„O ja, sehr wohl!“

„Nun wohl, ich habe Gründe anzunehmen, daß der Baron von Breteuil eine solche Perle, die einzige, welche, wie man sagt, vorhanden ist, morgen Ihrer Tante, der Marchesa von San Damiano zum Geschenk machen wird.“

„In der That?“

„Ich glaube es, und es liegt mir viel daran zu erfahren, ob es geschehen oder nicht. Fragen Sie mich nicht nach den Gründen, weshalb – es ist zu lang, es hier auseinander zu setzen. Wollen Sie mir verstatten, morgen Abend zu Ihnen zu kommen, um es von Ihnen zu erfahren?“

„Morgen Abend? Ich werde Sie morgen nicht sehen, Herr Graf, es ist keinerlei Hoffestlichkeit angesagt, die mir Gelegenheit gäbe, Sie zu sehen!“

„Freilich – aber sind wir nicht Zimmernachbarn …“

„Mein Gott, Sie wollen doch nicht sagen …!“

„Bianca!“ flüsterte Kaunitz im bestechendsten, flehendsten Tone, „nur ein einziges Mal lassen Sie mich es benutzen, daß wir Zimmernachbarn sind – nur ein Mal, und dann nie wieder!“

„Wenn Sie es wagten!“ sagte sie wie drohend.

„Nur dazu, daß Sie mir die kurze Nachricht geben!“

„Ich würde es Ihnen nie, niemals verzeihen!“

„Und wenn ich nun doch käme?“

„Ich versichere Sie, ich machte Lärm im ganzen Schlosse.“

„Grausame … und Sie wollen mir die Auskunft, um welche ich Sie bitte, nicht geben?“

„Ich will sie Ihnen geben, aber nicht so … ich will Ihnen schreiben – wenn es mir irgend möglich ist, das Billet Ihnen zukommen zu lassen, ohne daß man es entdeckt!“

„So danke ich Ihnen wenigstens dafür,“ sagte Kaunitz und wollte noch etwas hinzufügen, als Bianca plötzlich aufstand und mit den rasch geflüsterten Worten: „Die Marchesa winkt mir!“ ihn verließ.

Er schaute ihr mit Blicken nach, in denen seine ganze Seele lag … es war gut, daß Cavaliere Gennaro sie nicht beobachtete, diese Blicke; er würde schwerlich beruhigt gewesen sein, wenn er auch den Stoßseufzer vernommen hätte, den Kaunitz, sich endlich absendend, vor sich hinflüsterte: „Mein Gott, ich würde ja der schwärzeste Verräther sein, den es auf der Welt gäbe!“




6.

Es war in später Abendstunde des folgenden Tages. Unser junger Diplomat ging gedankenvoll in seinem Zimmer auf und ab. Zuweilen blieb er in der Gegend des Kamins stehen und lauschte. Dann, wenn er wahrgenommen, daß Alles da drüben noch still sei, setzte er seine Wanderung fort. Von Zeit zu Zeit blickte er auf seine Uhr.

Er war offenbar in großer Aufregung – in großer Spannung. Seine Zimmernachbarin hatte, seitdem er sich ihr genähert, ursprünglich nur um sie zu seinem Plane zu benutzen, einen von Tag zu Tag steigenden Eindruck auf ihn gemacht. Wir sehen, wie verhängnißvoll er es gefunden, wenn man eine schöne und anmuthige Wandnachbarin hat – man sieht täglich von früh bis spät die abscheuliche trennende Wand und dann natürlich, mit den Augen des Geistes, auch von früh bis spät das, was hinter dieser Wand sich bewegt. Man lauscht, man hört leise ihre Stimme herüberschwirren, wenn sie spricht, kurz, man hört nicht auf, an sie zu denken – und denken ist gefährlich! Und nun gar, wenn die Nachbarin ist wie Bianca Pallavicini … die schöne Bianca mit dem hinreißenden Lächeln, der glockenhellen Stimme, mit ihrer frischen, lebhaften Natürlichkeit, in die sich doch so viel anmuthige Koketterie mischte, gerade hinreichend, um einen jungen Mann wie Kaunitz zu entzücken, der viel zu wenig Novize war, sich viel zu viel in der „Gesellschaft“ bewegt hatte, um eine Schönheit ohne alle Koketterie pikant und begehrenswerth zu finden.

Kurz, er hatte mit dem Feuer gespielt und sich daran ein wenig verbrannt, und daher seine Aufregung und seine quälenden Zweifel. Was sollte er thun? Sie hatte ihm nicht geschrieben. War das nicht wie eine offenbare Aufforderung, zu dem Kaminrendezvous zu kommen? Und wenn es das war, lag dann nicht auch darin, daß es ihm in der That gelungen, Bianca für ihren Verlust zu trösten, für diesen Nobelgardisten, diesen flatterhaften Damöt, der, so schön er selbst auch, so glänzend sein Aeußeres sein mochte, doch an Geist und Bildung so weit hinter ihm zurückstand – so himmelweit … Kaunitz war nicht der Mann, der Anstand genommen hätte, es sich so bestimmt auszusprechen, wie sehr er diesen bevorzugten Jüngling übertraf – er war eben derselbe Kaunitz, der später, als er der große Fürst Kaunitz geworden, seine Selbstbewunderung noch viel lauter und unumwundener aussprach. Gewiß, Bianca konnte nicht anders als in seiner Neigung mehr als einen Ersatz für ihren Cavaliere Gennaro gefunden zu haben … wer weiß, vielleicht hatte ihre Neigung für diesen auch zum Theil nur in dem echt frauenhaften Vergnügen gewurzelt, ihrer Tante, deren Schwäche für den jungen Mann sie ja kannte und beobachtete, ihn abspenstig zu machen …

Aber auf der anderen Seite die Gewissensscrupel, der Verrath an Gennaro und die Frage, was aus der Intrigue werden solle, die er eingefädelt, in die er bereits seinen Gesandten, den Grafen Traun, eingeweiht hatte, die es nun auch eine Ehrensache war durchzuführen … eine höchst wichtige Sache obendrein noch, auch wenn nicht ein so kostbares Kleinod, wie jene von Wien herübergesandte Perle, eine Rolle dabei gespielt hätte!

Doch, genau betrachtet, sagte sich unser Diplomat, brauchte ihn das nicht zu hindern, bei Bianca sein Glück zu verfolgen – hatte er erst völlig Bianca’s Herz erobert, dann konnte er ja vielleicht mit ihrer Hülfe sein Spiel auch so zu Ende spielen – er konnte ihr sagen: nur wenn Frieden bleibt zwischen meinem Vaterlande und Deinem, ist eine Hoffnung der Verbindung für uns da, sonst nicht … hilf mir, daß sich unsere Herrscher verbinden, damit wir es können …

Und so war er – wie jetzt oft schon – an dem Kamin lauschend stehen geblieben, um zu horchen, ob Bianca nicht drüben in ihrem Zimmer sei … sie mußte da sein, denn es war längst die Stunde vorüber, in welcher sie gewöhnlich aus den Wohnräumen ihrer Tante zurückzukehren und sich zur Ruhe zu begeben pflegte.

Er verlor endlich, die Geduld. Vielleicht war sie schon da, vielleicht hatte er ihr Kommen überhört – er griff nach seinem [483] schwarzen Domino und trat unter den Kamin. Um seinen Bedienten nicht in seine abermalige Expedition einzuweihen, hatte er die Leiter nicht verlangt, sondern einen Lehnsessel mit hohem Rücken unter den Kamin gestellt, und mit Hülfe desselben gelang es ihm leicht, auf die Stangen zu kommen. Auf diesen stehend öffnete er die Eisenthüre und lauschte hindurch; aber erschrocken hielt er sogleich auch den Athem an …, es war ihm, als vernehme er aus dem Zimmer unten ein schweres Athemholen, ein leises Schluchzen dazwischen.

Rasch, geschmeidig wie ein Wiesel, schlüpfte Kaunitz jetzt durch die Maueröffnung und stand nach wenigen Augenblicken auf den Stangen in dem jenseitigen Rauchfang, die ihm verwehrten, bis auf den Boden des Zimmers niederzufahren – aber bevor er nur festen Fuß gefaßt, hörte er einen leisen Aufschrei des Schreckens und den unterdrückten Ruf: „O mein Gott! – wer ist da … Sie sind’s … Sie sind’s wirklich?“

„Beruhigen Sie sich, Bianca,“ versetzte Kaunitz sich tief nach unten beugend …

„Himmel, wie konnten Sie’s wagen …“

„Bianca … verzeihen Sie mir … aber ich muß mit Ihnen reden … ich muß es … und Sie müssen mich anhören – doch zuerst sagen Sie mir, was ist geschehen … täuschte ich mich, oder ist es in der That so … ich hörte Sie schluchzen?“

„Sollt’ ich denn nicht weinen … ich bin ja das elendeste, das unglücklichste Geschöpf unter der Sonne!“

„Sie, Bianca? … mein Gott, so sprechen Sie, was ist Ihnen? was ist vorgefallen?“

Bianca antwortete diesmal nur mit einem erneuten heftigen Schluchzen, dann erstarb dies in völlige Stille, als ob sie den Kopf in den Kissen des Bettes, in dem sie längst Ruhe gesucht, ohne sie finden zu können, berge und vergraben habe.

„Ich bitte Sie um Alles, was Ihnen heilig ist, reden Sie, Bianca,“ rief Kaunitz jetzt in großem Schrecken und großer Bekümmerniß aus; das Mitleid mit ihr, die Noth um ihren Schmerz machte all seinem inneren Schwanken ein Ende. „Was,“ fuhr er fort, „was ein Mann thun kann, um Ihren Kummer zu lindern, um Ihnen beizustehen, das werde ich thun, Bianca; ich fühle Kraft, mit der Welt zu ringen, das Unmögliche möglich zu machen, wenn es um Ihretwegen ist, der Gedanke an Sie wird meine Mittel verzehn-, verhundertfachen … o Bianca, was könnt’ ich um Ihretwillen nicht vollbringen, was für Sie nicht erreichen, und wenn mein Preis auch nur ein freundliches Lächeln von Ihnen wäre, ich würde das Leben daran setzen, weil … weil ich Sie liebe, Bianca – liebe, wie ich nie eine Sterbliche geliebt habe!“

Kaunitz erhielt auf diese in hastigster Weise, in furchtbarster Erregung hervorgestoßenen Worte keine Antwort.

„O, so sprechen Sie doch, Bianca, hören Sie doch, was ein Herz, dem Sie eine Gluth wahnsinniger Leidenschaft eingeflößt haben, zu Ihnen spricht – Bianca, hören Sie mich …“

Diesmal erfolgte eine Antwort. Kaunitz hörte, wie Bianca aus ihrem Kissen emporfuhr, und dann rief sie in leidenschaftlichem Zorn aus: „Verräther – abscheulicher Verräther – ich wollte, was Sie sprechen, erstickte Sie; ich wollte, es flammte ein halber Wald im Kamin und Sie, auf Ihren Stangen da drüben, würden geröstet!“

„Bianca!“ rief Kaunitz aus, mit einem Tone, wie niemals der Ton einer Menschenlippe deutlicher Ueberraschung ausgedrückt hat.

Gewiß, es war wohl nie eine Liebeserklärung in einer seltsameren Situation gemacht. Aber auf eine unerwartetere Antwort war auch wohl nie eine gestoßen … Bianca wünschte ihn ohne weiteres den Flammen übergeben – mehr eiskaltes Wasser konnte auf seine Liebesgluth nicht geschüttet werden!

„Bianca,“ sagte Kaunitz, „um’s Himmels willen, sagen Sie mir, welche Antwort ist dies! was hab’ ich gethan, um Sie so zu empören? reden Sie doch endlich, was geschehen ist!“

„Sie sind ein Verräther, o, ein ganz abscheulicher Verräther, ein Ungeheuer … Sie, nur Sie sind an Allem schuld … es ist ein abscheuliches Complot von Ihnen, Sie entsetzlicher Mensch, Sie Bösewicht Sie!“

Bianca sprudelte diese Worte mit südlicher Zornesgluth hervor und schluchzte dann wieder laut auf, ihren Kopf in den Kissen verbergend.

„Bianca, hören Sie mich,“ sagte Kaunitz nach einer Pause, die er bedurft hatte, sich zu fassen. „Wenn ich wirklich ein Verräther und ein höllischer Bösewicht bin, so verdiene ich doch, meine ich, die Strafe, daß Sie mir zeigen, wie sehr Sie mich durchschaut haben und wie groß meine Schuld ist …“

„Wie sehr ich Sie durchschaut habe?“ fuhr Bianca auf. „Alles hab’ ich durchschaut, Sie haben den armen Gennaro verleitet, um ihn von mir zu entfernen, um mich gegen ihn zu empören, um dann seine Stelle bei mir einzunehmen, um dann mir Ihre abscheulichen Liebeserklärungen zu machen … o, ich habe es geahnt, als Gennaro gleich nach dem Abende, wo Sie in Ihrem Kamin da den tückischen Spion machten, und dann gleich darauf Gennaro begann, der abscheulichen Französin den Hof zu machen und Sie sich so auffallend mir näherten … o, ich habe es geahnt, und deshalb hab’ ich mir alle Ihre schönen Redensarten gefallen lassen und all Ihre verrätherischen Galanterien, ich wollte dahinter kommen, ich wollte endlich aus Ihnen herauslocken, welches Spiel Sie mit Gennaro gespielt …“

„Also deshalb!“ sagte mit einem tiefen Seufzer und sehr zerknirscht Kaunitz.

„Aber jetzt, jetzt weiß ich Alles, jetzt, wo es zu spät, wo das Unglück da ist, und jetzt sag’ ich Ihnen, daß ich Sie hasse, Sie verabscheue, Sie tödten möchte …“

„Sie sind im besten Zuge, mich zu tödten,“ sagte der junge Diplomat nach einer Pause sehr kleinlaut, „durch alles das, was Sie mir sagen, mir, der doch gründlich unschuldig ist! Aber nur um das Eine bitte ich Sie noch, Sie reden von einem Unglück, sagen Sie mir doch nur in zwei Worten, was denn eigentlich geschehen ist …?“

„Was geschehen ist? … daß diese abscheuliche Französin mir heute triumphirend eine unschätzbare Perle gezeigt hat …“

„Ihnen? Die Brissac? Wie? Wo?“ rief Kaunitz überrascht aus.

„Bei einem Besuch, den sie mir machte, ganz geflissentlich nur dazu, um mir zu zeigen, welche Geschenke ihr Gennaro bereits mache und sie, die Unverschämte, von ihm annehme, gerade als ob sie schon seine Braut sei … und daß ich darüber außer mir gerathen bin und in meiner Verzweiflung meiner Tante Alles gestanden habe und daß meine Tante in ihrem Zorn mit dem Könige geredet hat, und daß der König Gennaro, weil er seinen Posten so oft Nachts verlassen, zu verhaften und nach dem Fort Bard zu schicken befohlen, das ist vorgefallen!“

„Teufel,“ murmelte der Diplomat im Rauchfang zwischen den Zähnen, „das ist allerdings Unglück genug! … Und in Ihren Augen, Bianca,“ setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, „bin ich ganz allein an dem Allen schuld?“

„Ja, Sie, Sie, Sie allein!“ rief Bianca im höchsten Zorne aus, „und möge der Himmel Sie dafür strafen, wie Sie’s verdienen!“

„Bianca, wollen Sie noch ein Wort von mir anhören?“

„Nein, nichts, nichts mehr; gehen Sie, gehen Sie und lassen Sie mich endlich, damit ich allein bin, damit ich mich todt weinen kann …“

„Nun wohl, ich gehe; aber Sie werden mir all das Böse, das Sie mir gesagt haben, abbitten, glauben Sie mir das, die Stunde wird kommen!“

Kaunitz begab sich aus den Rückweg. Er bewerkstelligte ihn etwas langsamer, als er gekommen, und langsam auch ließ er, als er wieder in seinem Zimmer stand, den Domino von seinen Schultern gleiten.

„O, mein Herz und meine Perle … wohin seid ihr gerathen!“ sagte er dann nach einer Weile stummen Sinnens … „verirrt, verirrt, kläglich verirrt! Welche Lehre habe ich bekommen! Armer Diplomat, der sich zutraut, in die Schicksale der Völker eingreifen zu wollen, und sich dabei verliebt! Armer Diplomat und … arme Völker! Aber ist denn Alles verloren … bleibt nun nichts übrig, als Alles gehen zu lassen, wie es gehen mag? Soll ich mein Leben lang mich vor mir selber schämen, soll ich Traun sagen hören: Unglücklicher, gieb mir meine Perle wieder! soll ich diesen Gennaro sagen hören: du bist mein Verderber geworden mit deinen treulosen Weisungen! soll Bianca mich ihr Leben lang als einen Verräther betrachten, diese arme Bianca, die so abscheulich [484] mit mir kokettirt hat? … nein, nein, nimmermehr, ich muß den Dingen eine Wendung geben, die Alles in’s Gleis bringt, ich muß, ich muß, und der Himmel mag mir beistehen, es zu ersinnen, wie!“




Am Morgen nach einer schlaflosen Nacht, war es das Erste, was Kaunitz vornahm, sich nach dem Cavaliere Gennaro und seinem Schicksale zu erkundigen. Er fand die Nachricht Bianca’s vollauf bestätigt; der Cavaliere war in Verhaft, und es sollte am andern Tage nach dem Willen des Königs ein Kriegsgericht über ihn abgehalten werden, das zu bestimmen hatte, wie lange Zeit der arme Cavaliere in der grausamen Felseneinsamkeit des düstern Forts Bard, das den schaurigsten aller schaurigöden Alpenpässe hütet, zubringen, welchen Theil seines bisher so heiter dahingeflossenen Lebens er darin begraben sollte.

Es war also keine Zeit zu verlieren … wollte der junge Diplomat das Unheil, welches er angestiftet hatte, wieder gut machen, so mußte er rasch handeln.

Und er wollte es wieder gut machen. Die Nacht war ihm nicht umsonst schlaflos verflossen. Sein Plan stand fest.

Er wußte, daß der Baron von Breteuil, der französische Gesandte, um eilf Uhr, nach dem Gabelfrühstück, einen Spaziergang im Parke zu machen pflegte, unter dessen schattigen Wipfeln dann noch die Morgenkühle der stechenden Sonnenhitze nicht gewichen war, welche um diese Zeit bereits auf den schutzlosen Gefilden der Ebene von Turin lag.

Schon eine halbe Stunde vorher schlenderte er wie müßig in den langen Alleen auf und ab. Endlich sah er den Baron, allein, sogar ohne den galonnirten Diener, der ihm gewöhnlich in einiger Entfernung folgte, daherkommen.

Als sich Beide erreicht hatten, grüßte Kaunitz mit der Miene eines Mannes, der vorübergehen will; er war sicher, daß der Baron nicht unterlassen werde, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen und darin einige Angeln auszuwerfen; gegen den bloßen Gesandtschaftsattaché brauchte er nicht die ceremoniöse Zurückhaltung zu beobachten, welche er dem Gesandten einer feindlichen Macht gegenüber auch auf diesem neutralen Gebiet hätte beibehalten müssen.

„Sieh da, lieber Graf Kaunitz,“ sagte der Baron mit der herablassenden Gnade, die er in seinen vollen, sehr wohlwollenden Zügen ausdrücken konnte, und mit einer leichten Verbeugung seiner kräftigen Gestalt, die ein bauschiger heller Sammtrock stattlich umwallte, „ich freue mich, zu sehen, daß auch Sie von diesem prächtigen Schatten angezogen werden … darf ich mir nicht die Ehre Ihrer Begleitung ausbitten? Man wird hoffentlich kein Staatsverbrechen darin sehen, wenn man uns ein wenig harmlos zusammen plaudern sieht … nicht wahr, dies Stupinigi ist ein schönes Schloß … und welcher Park!“

„Sie sind sehr gnädig, Excellenz,“ versetzte Kaunitz, indem er sich ihm anschloß, „in der That, auch ich finde Stupinigi der Bewunderung Eurer Excellenz vollkommen würdig. Der große Juvara hat nie etwas Schöneres und Großartigeres geschaffen!“

„Und ein vortrefflicher Aufenthalt,“ sagte lächelnd die Excellenz, „so lange jenseits der Parkmauern die heiße Sonne Italiens glüht … ein Schauder faßt mich an, wenn ich daran denke, diese Schatten verlassen zu sollen …“

„Wenn man dabei im Schatten von Siegeslorbeeren bleibt, Excellenz, denk’ ich mir doch die Sache nicht so unerträglich … die kurze Reise durch die Sonne, bis man sich dann bald am Ziele daheim wieder im Schatten der erworbenen königlichen Gnade bergen kann …“

„Aber für den, der am Ziele diesen Schatten nicht findet … und Einen von uns muß über Kurz oder Lang dies Schicksal treffen …“

„Freilich,“ sagte Kaunitz mit einem halb unterdrückten Seufzer … „schon über Kurz, denn unsere Monarchin drängt, sie will eine peremptorische Erklärung … sie weiß, welchen gefährlichen Gegner wir am Baron von Breteuil haben, und fürchtet mit Recht bei längerem Verhandeln eine Niederlage, wo ein solcher Feind uns gegenübersteht!“

„Das ist allerdings sehr schmeichelhaft für mich, mein lieber Graf; aber, mon cher, wir müßten sehr naiv sein, wenn wir nicht aus dem Ton der Niedergeschlagenheit, womit Sie das sprechen, den Verdacht schöpfen sollten, daß Ihre Sachen sehr gut stehen, daß Sie eine sehr gute Position beim Könige eingenommen haben!“

[497] Kaunitz lächelte und gab sich alle Mühe, in dies Lächeln den Ausdruck von so viel Schadenfreude zu legen, wie ihm nur möglich war.

„Sie glauben am Ende gar, Excellenz,“ versetzte er kopfschüttelnd, „wir legten auf diese kleine Affaire mit dem Cavaliere di Lucano ein Gewicht, welches sie gar nicht verdient, wir knüpften Hoffnungen daran, die …“

„Von welcher Affaire reden Sie da … Lucano … was ist mit dem?“ fragte der Baron aufhorchend.

„Er ist verhaftet! Wissen Sie es noch nicht?“

„Verhaftet?“

„Auf den Befehl des Königs.“

„Und weshalb?“

Kaunitz zuckte die Achseln.

„Doch nicht etwa,“ fuhr der Baron Breteuil fort, „weil er meiner Cousine ein wenig lebhaft den Hof gemacht hat? Ich habe meine Cousine gewarnt, aber sie ist ganz so vernarrt in ihn, wie er in sie, und am Ende seh’ ich nicht ein, weshalb sie nicht ein passendes Paar sein sollten.“

„Es ist auch schwerlich deshalb geschehen, Excellenz, obwohl es den Anschein haben könnte, als habe er sich die königliche Ungnade durch seinen häufigen Verkehr mit der französischen Gesandtschaft zugezogen … denn Sie wissen, der König liebt es nicht, wenn seine Cavaliere sich mit den fremden Gesandten zu sehr befreunden; nein, die Ursache ist eine andere, und so machen wir uns keine Illusionen und glauben nicht, daß etwas für unsere Sache Förderliches darin liege, wenn …“

„Ich verstehe, ich verstehe; aber sagen Sie mir, was ist denn der Grund der königlichen Ungnade gegen den armen Cavaliere?“

„Ahnen Sie das nicht? Sie, der Sie so gut von Allem, was am Hofe vorgeht, unterrichtet sind?“

„Ich weiß, man sagt, die Marchesa von San Damiano …“

„Das sagt oder vielmehr flüstert man in der That, vielleicht auch nicht ganz ohne Grund …“

„Schwerlich!“ fiel mit cynischem Lächeln der Baron ein.

„Es muß,“ fuhr Kaunitz fort, „also etwas vorgefallen sein, was den König aufgebracht und zum Entschlusse geführt hat, den zu glücklichen Unglücklichen verhaften und auf das Fort Bard schicken zu lassen, wohin er morgen abgeführt werden soll! Die Marchesa soll außer sich sein über dies Schicksal ihres Lieblings!“

„Was erzählen Sie mir da?“ rief der Gesandte aus, seine Schritte anhaltend und sein Kinn mit der manschettenbewehrten Rechten streichelnd.

„Es ist so, wie ich sage,“ sprach Kaunitz weiter, „und so,“ setzte er mit einer Miene des höchsten Aergers und wie von seinem Verdruß zu diesem Ausruf fortgerissen hinzu, „spielt das Schicksal immer Ihnen alle Karten in die Hände … es ist zum Verzweifeln!“

„Alle Karten … mir!“ wollte der Baron verwundert ausrufen, aber er verschluckte diplomatisch diese Worte, die Kaunitz verrathen hätten, daß er nicht im geringsten wahrnahm, welcher Vortheil für ihn aus der Sache zu ziehen sei, er sagte nur: „Der arme Cavaliere. .. was wird Aimée dazu sagen! Sie wird untröstlich sein!“

„Aber schwerlich lange,“ versetzte Kaunitz wie noch immer in seinem Aerger … „ihre weiße Hand wird den Unglücklichen aus der Tiefe seines Unglücks schon wieder emporziehen …“

Dem Baron von Breteuil ging in diesem Augenblicke ein Licht auf. Er sah scharf in die Züge des jungen deutschen Grafen … was darin zu lesen, war nichts, als ein aufrichtiger tiefer Aerger, daß das Schicksal einmal wieder ihm, dem Baron, die „besten Karten“ gegeben … „in der That,“ dachte Breteuil, „dieser Deutsche ist sehr schlau, aber er ist recht einfältig, dieselbe Schlauheit in jedem Andern vorauszusetzen und diesem dadurch Winke zu geben, die ein guter Diplomat für sich behalten hätte!“

„Apropos,“ sagte der Baron jetzt, das Gespräch plötzlich fallen lassend, „ich habe mich in Paris wegen der Perle erkundigt, von der Sie neulich redeten; Sie haben sich geirrt, mein lieber Graf, es ist keine derartige im Schatze des Königs!“

„In der That nicht? Dann muß ich freilich mich geirrt haben,“ versetzte Kaunitz. „Vielleicht habe ich sie dann im Tower in London, im Schatze des Königs von England gesehen.“

„Möglich … vorhanden ist eine solche Perle wenigstens, und die, mein lieber Graf, ist in meinem Besitz!“

„In Ihrem Besitz?“ rief Kaunitz mit erheuchelter Verwunderung aus.

„Seit gestern!“

„Aber woher ist Ihnen möglich gewesen …“

„Ja, woher?“ versetzte lächelnd der Baron von Breteuil … „das ist mein Geheimniß!“

„Sie Glücklicher!“ seufzte Kaunitz wie mit gesteigertem Verdruß. „Auch das noch!“

„Aber nun, mein lieber Graf, leben Sie wohl,“ sagte der Gesandte, indem er sich plötzlich wandte, „ich muß heimgehen, denn meine Geschäfte rufen mich.“

Er machte Kaunitz eine etwas triumphirende höfliche Verbeugung [498] und schritt dann die Allee wieder hinauf, dem Schlosse zu. Kaunitz blickte ihm eine Weile mit einer ausdrucksvoll bewegten Miene nach und dann sagte er, sich schadenfroh die Hände reibend: „Ich glaube, der Fisch hat den Köder verschluckt! Und zum Ueberfluß wird er jetzt auch noch mit der Perle Effect machen wollen … hätte er sie nur früher bekommen und, wie ich hoffte, seiner Aimée sofort abgenommen! Doch jetzt wird Alles gut gehen!“

Der Baron von Breteuil wanderte unterdessen mit beschleunigten Schritten heim und suchte, sobald er in seiner Wohnung angekommen, seine Cousine Aimée von Brissac auf. Er hatte ein langes Gespräch mit ihr. Darauf setzte er sich nieder, um ein Billet an den Cavaliere Gennaro di Lucano zu schreiben.

Nach einer halben Stunde wurde ihm das Billet uneröffnet zurückgebracht. Es sei, lautete die Meldung seines Kammerdieners, welcher es ihm übergab, nach den Reglements den Militärgefangenen vor ihrer Aburtheilung durch das Kriegsgericht jede Correspondenz verboten.

„Und was nun?“ fragte der Baron seine Cousine, als er ihr diese Nachricht gebracht.

„Es ist ein böser Querstreich,“ versetzte Aimée ein wenig bestürzt.

„Ein sehr böser! Aber meinst Du nicht, daß ich trotzdem …“

„Ich glaube, mein Vetter,“ sagte Aimée leicht erröthend … „ich glaube, Sie können es trotzdem …“

„Du hast Recht … also zum Könige!“




7.

Die Audienz, welche der Baron von Breteuil beim Könige nachgesucht hatte, war ihm, wie immer den fremden Gesandten, sofort gewährt worden. Als sie zu Ende, hatte der französische Gesandte sich in das Vorgemach der Marchesa von San Damiano begeben und um die Ehre nachgesucht, sich ihr vorstellen zu dürfen.

Die Marchesa hatte ihn sehr huldvoll empfangen, obwohl sie, wie sie sagte, leidend war; ihr bleiches Aussehen strafte diese Worte der schönen Frau nicht Lügen. Breteuil nahm es zu seiner großen Befriedigung wahr und war entzückt, eine Nachricht zu haben, welche sofort die Rosen auf die blassen Wangen der Marchesa zurückrufen mußte. Er zog ein Etui aus seinem Rosataftrock hervor und überreichte es mit einer tiefen Verbeugung der Marchesa.

„Madame,“ sagte er, „es war jüngst Ihr Wunsch, ein Kleinod zu besitzen, welches in seiner Art einzig ist und das deshalb nur von einer Dame getragen werden darf, von welcher der Ruf in allen Ländern das Gleiche sagt – lassen Sie mich also Ihnen zu Füßen legen, was nur Ihnen gebührt!“

„Herr Baron,“ versetzte die Marchesa, „ich habe immer die unübertrefflichen Wendungen bewundert, in welche Sie Ihre Complimente zu kleiden wissen … aber,“ fuhr sie fort, indem sie das Etui öffnete … „ist das ein Geschenk für mich?“

„Ich komme wenigstens in der Hoffnung, daß es von der Frau Marchesa nicht verschmäht wird!“

„Die Perle, die Gennaro der Brissac gab, wie Bianca mir klagte!“ sagte sich die Marchesa im Stillen sehr betroffen … „er muß sie seiner Cousine weggenommen haben!“

„Ich kann das nicht annehmen,“ erwiderte sie laut, „weil … nun, weil der König …“

„Madame,“ fiel Breteuil eifrig ein, „der König ist nicht mehr in der Stimmung, Ihnen zu zürnen – ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Se. Majestät Ihnen sehr bald einen Schritt abbitten werden, der Sie, Frau Marchesa, in so hohem Grade kränken mußte … “

„Einen Schritt, der mich kränken mußte?“

„Der Sie so tief verletzt und bekümmert hat. Ich habe den König bewogen, den Cavaliere di Lucano sofort in Freiheit setzen zu lassen!“

„In Freiheit setzen zu lassen … den Cavaliere? Und das haben Sie zu Stande gebracht, Herr Baron?“

„Ja, Frau Marchesa, der Eifer, Sie zu verpflichten, und, um ganz offen zu sein, die Hoffnung auf ein wenig Dankbarkeit von Seiten einer Frau, die so viel über Seine Majestät vermag, hat mir die rechten Mittel, diese Aufgabe zu lösen, eingegeben … der Cavaliere ist frei!“

„Beim Himmel, das ist mir eine unerwartete Nachricht!“ rief die Marchesa mit immer steigender Verwunderung aus, indem sie heftig bewegt das Etui mit der Perle auf einen Tisch warf … „sagen Sie mir um Gotteswillen …“

„Welche diese Mittel waren?“ fiel der Baron von Breteuil mit selbstgefälligem Lächeln ein und indem er seine Stimme dämpfte, „ich habe dem Könige mitgetheilt, daß der Cavaliere mit meiner Cousine Aimée von Brissac verlobt sei und daß ich um die Einwilligung Sr. Majestät zu dieser Verbindung bitte. Der König hat diese Nachricht mit sehr erhellter Stirn aufgenommen, sie hat seine argwöhnischen Gedanken sichtbar auf der Stelle zerstreut – der König, Madame, ist sehr glücklich!“

„Der König ist glücklich?“

„Wie man es nur sein kann, wenn uns eine schwere Last vom Herzen fällt – die schwerste, welche es giebt! Er hat mit den scherzenden Worten, der Cavaliere gehöre nun mithin der französischen Gesandtschaft an und ich habe ein Recht, ihn zu reclamiren, den Befehl gegeben, alles weitere Verfahren wider Signor Gennaro fallen zu lassen.“

„Herr Baron,“ sagte die Marchesa jetzt mit einem aufwallenden Zorn, der nicht mehr zu verkennen war, „Alles, was Sie mir da sagen, ist mir völlig unverständlich – zumeist wie Sie sich in eine Sache mischten, die … über freilich, Sie sagen mir, der Cavaliere sei der Verlobte Ihrer Cousine … Ihrer Cousine Aimée von Brissac … und der König hat bereits seine Einwilligung dazu gegeben … nun, wahrhaftig, dann bleibt mir ja wohl nichts übrig, als Glück dazu zu wünschen – in der That, ich wünsche Ihnen und dem jungen Paare sehr, sehr viel Glück, Herr Baron. Führen Sie es ja recht bald auf Ihre Güter, damit es dort im Stillen seinen Honigmond genießen kann – hören Sie, ja recht bald, es wird mir eine Freude sein, wenn ich erfahre, daß Sie mit demselben dahin abgereist seien …“

Die Blicke der Marchesa sprühten Feuer, während sie diese Worte hervorsprudelte, und der Baron von Breteuil nahm zu seiner ungeheuersten Ueberraschung wahr, daß er etwas gethan, was ganz und gar nicht zu dem Zwecke führte, den er beabsichtigt hatte.

„Aber, Frau Marchesa,“ sagte er äußerst bestürzt, „indem ich über mich nahm, ein so schreckliches Schicksal von einem jungen Manne abzuwenden, der Ihnen so nahe steht und der so würdig ist der Gunst, welche Sie ihm bewiesen …“

„Der mir nahe steht … dem ich Gunst bewiesen … Herr Baron, ich weiß nicht, woher Sie den Muth zu diesen Ausdrücken nehmen und was Sie dadurch andeuten wollen – der Cavaliere ist ein wortloser Mensch, ein Unwürdiger, ein Mensch von der verächtlichsten Treulosigkeit … und ich, ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich Ihnen Glück wünsche zu diesem Cousin und … Sie nicht länger Ihrem häuslichen Glück entziehen will – keinen Augenblick länger!“

Die Marchesa machte eine stolze Verbeugung mit dem Kopfe und wandte dem Baron so ausdrucksvoll den Rücken zu, daß er nicht anders konnte, als schweigend mit einer tiefen Verbeugung sich zurückziehen.

„Mein Gott,“ sagte er, als er das Vorzimmer erreicht hatte, „wer hätte geglaubt, daß sie in den jungen Menschen so bis über die Ohren verliebt sei, daß sie ihn lieber im Donjen von Bard, als in den Armen einer Andern wissen will!“

Der Baron von Breteuil war vollständig verblüfft. Er war eben im Begriff, das Corps de Logis des Schlosses, worin die königlichen Gemächer und die der Marchesa lagen, zu verlassen und den Corridor, der zu der ihm angewiesenen Wohnung führte, zu betreten, als ihm der Cavaliere di Lucano aus der Tiefe dieses Ganges entgegengeeilt kam.

„Ah, Signor Gennaro,“ rief er ihm zu, „wie gut, daß ich Sie sehe …“

„Excellenz,“ unterbrach ihn dieser sehr aufgeregt … „was ist das? man sagt mir soeben, ich sei frei, und ich höre dabei, daß ich dies Ihrer Vermittelung beim Könige verdanke!“

„In der That,“ versetzte der Baron, „Sie verdanken es mir – ich sprach den König …“

„Aber wie war es Ihnen möglich …“

„Hören Sie zu, Cavaliere – es war mir möglich, indem ich ein sehr heroisches Mittel anwandte, das Ihnen jetzt nachträglich zu ratificiren übrig bleibt. Ich hätte,“ fuhr der Baron fort, [499] indem er Gennaro unter den Arm nahm und mit ihm den Corridor hinabging, „Sie vorher um Ihre Einwilligung gefragt, wäre es mir möglich gewesen. Aber man verweigerte mir sogar die Erlaubniß, Ihnen ein Billet zusenden zu dürfen. So handelte ich in Ihrem Namen. Ich bat ohne Zeitverlust um eine Audienz beim Könige. Bei meinen ersten Worten an Se. Majestät überzeugte ich mich, wie tief des Königs eifersüchtiger Groll auf Sie war … Se. Majestät fragten mich mit eiskaltem Ton, mit düster zusammengezogenen Brauen, was die französische Gesandtschaft veranlasse, sich so früh am Tage um die Amtsgeschäfte seines Generalprofosses zu kümmern. ‚Majestät,‘ antwortete ich, ‚es handelt sich hier um einen Fall, der ein wenig zu der Amtssphäre der Gesandtschaft gehören dürfte – wobei sie ihr Recht der Exterritorialität in Anspruch nimmt; denn wenn es Eure Majestät zu Gnaden halten wollen, der junge Mann ist der Gesandtschaft attachirt, so attachirt, wie es ein Verliebter nur an seinen Gegenstand sein kann …‘

‚Was, er ist in die französische Gesandtschaft verliebt?‘ geruhten S. Majestät lächelnd einzufallen.

‚Nicht gerade in die Gesandtschaft,‘ erwiderte ich … ‚nein, Majestät, aber in Mademoiselle Aimée de Brissac, welche ein wenig zur Gesandtschaft gehört und welche – seine Braut ist; und so, hoffe ich, wird der König ihn uns herausgeben!‘“

„Welche … welche meine Braut ist?!“ fuhr Signor Gennaro auf.

„So sagt’ ich,“ versetzte der Baron von Breteuil, indem er den Cavaliere durch eine Verbeugung einlud, in sein Vorzimmer einzutreten, vor dem sie eben angekommen waren und dessen Flügelthür ein harrender Diener aufgeworfen hatte.

„Aber um Gotteswillen,“ rief Signor Gennaro aus, die Schwelle überschreitend und während der Baron ihm winkte, auf einem Sessel Platz zu nehmen, „um Gotteswillen, Herr Baron, wie konnten Sie sagen …“

„Ich sehe Sie mit Recht erstaunt, mein lieber Cavaliere, aber Aimée hat mir Alles gestanden, und es war keine Zeit zu verlieren. Morgen wären Sie auf der Reise nach diesem entsetzlichen Fort Bard gewesen. Es gab kein besseres durchschlagenderes Mittel, die Eifersucht des Königs zu beschwichtigen … und beschwichtigt ist sie … des Königs Züge erhellten sich wunderbar, seine Augen leuchteten vor Glück, und der Befehl zu Ihrer Freilassung …“

„Aber ich begreife nicht,“ fuhr der Cavaliere dazwischen, „was den König dabei glücklich machen kann!“

„Wenn er Sie in den Banden einer Andern, als Bräutigam einer Andern weiß … das begreifen Sie nicht?“ unterbrach ihn der Gesandte … „in der That, das ist seltsam! Ahnen Sie denn gar nicht, daß der Zorn des Königs Sie zu vernichten drohte, weil er auf … nennen wir es auf die Gnade der Marchesa für Sie eifersüchtig ist?“

„Deshalb … deshalb wurde ich verhaftet?“ rief Genuaro, … „o mein Gott!“

„Das überrascht Sie?“

Signor Gennaro antwortete auf diese Frage nicht. Er flüsterte nur in sich hinein: „O mein Gott, ich bin gefangen … ich bin vernichtet … vernichtet! Aimée meine Braut!“

„Und nun, mein lieber Cavaliere,“ begann der Gesandte wieder, „was sagen Sie zu dem heroischen Mittel, zu dem ich griff, um Sie zu retten, weil es das einzige war, das Sie retten konnte?“

„Ja, ja, ja,“ stammelte Gennaro, „Sie haben Recht, Sie haben ganz Recht, es ist das Einzige, was mich rettet … o ich danke Ihnen dafür – ich danke Ihnen …“

„Und Aimée …“

„Ja, Aimée … Sie hat Ihnen diesen Schritt eingegeben … sie … wie kann ich ihr danken …“

„Kommen Sie, damit wir sie aufsuchen!“

Gennaro schlug wie ein Verzweifelnder beide Hände vor’s Gesicht.

„O mein Gott!“ stöhnte er leise noch einmal, „bin ich denn wirklich gefangen – verloren für ewig?“ und plötzlich aufspringend, rief er aus: „Nein, nein, ich kann es nicht … nicht in diesem Augenblick … lassen Sie mich, Baron – nur für eine Stunde – lassen Sie mich Luft schöpfen, nach so Vielem, was mich überwältigt … Adieu, Adieu …“

Und damit eilte er davon und stürzte aus dem Vorzimmer des Gesandten fort wie ein Wahnsinniger.

Der Baron blickte ihm betroffen nach.

„Das ist ein seltsames Betragen für einen Verliebten, dem man eben sein Glück ankündigt!“ sagte er für sich. „Es scheint, dies soll ein Tag der Ueberraschungen für mich sein. Aber am Ende muß mir die Marchesa wenigstens doch Dank wissen für Das, was ich für sie gethan habe!“




8.

Signor Gennaro stürzte unterdeß in der furchtbarsten Aufregung desselben Weges daher, den vorhin der Baron von Breteuil gekommen. Ehe wenige Augenblicke verflossen, stand er im Vorzimmer der Marchesa von San Damiano und mit dem Kammerdiener, der ihn anmelden ging, drang er zugleich in das Gemach der schönen und einflußreichen Frau ein, um einer Abweisung zuvorzukommen.

Die Marchesa stand in der Mitte ihres Zimmers; sie war beim Anblick Gennaro’s leichenblaß geworden und richtete durchbohrende Blicke auf ihn; ihre Lippen zitterten, als sie leise, kaum vernehmlich vor unterdrücktem Zorn, die Worte sprach: „Wer erlaubt Ihnen hier einzudringen, Cavaliere? Der König hat für gut gefunden, Ihnen die Freiheit zu schenken … aber ich hatte mir geschworen, Sie nie wieder zu sehen!“

„Marchesa!“ rief Gennaro aus, indem er sich vor ihr auf die Kniee warf, „vergeben Sie mir, ich mußte, ich mußte Sie sehen, ich mußte aus Ihrem eigenen Munde vernehmen, ob es wahr ist, daß ich mich Ihretwegen opfern, daß ich um Ihretwillen für immer unglücklich werden muß – wenn es so ist, dann will ich es, gern, gern, aber aus Ihrem Munde will ich es hören … muß ich für ewig mein Schicksal an diese kokette Französin ketten, die ich hasse, die ich verabscheue?“

„Gennaro!“ rief hier die Marchesa aus, „was sagen Sie da – Sie sind niedrig genug, Ihre eigene Braut zu beschimpfen?“

„Meine Braut!“ rief der junge Mann mit einem Ausdruck unsäglichen Unglücks. „Aber es sei – um Ihretwillen möge sie meine Braut sein … ich weiß, wie viel ich Ihnen verdanke … von welcher mütterlichen Theilnahme Sie für mich immer erfüllt gewesen sind, wie Sie für meine Stellung an diesem Hofe gesorgt haben … und nun ist der König, dieser argwöhnische gewaltthätige König, dadurch von Eifersucht erfüllt worden … das einzige Mittel seinen Verdacht abzulenken ist, daß ich diese Französin, der ich so leichtsinnig den Hof machte …“

„Um Gotteswillen, was reden Sie da!“ unterbrach ihn heftig die Marchesa, „der König … eifersüchtig … auf mich … auf Sie, Gennaro? … o, nun versteh ich die impertinenten Reden des Barons von Breteuil erst …“

„Ist es denn nicht so?“ fragte der Cavaliere sehr überrascht.

„Und wer, beim Himmel, wagt es zu sagen, daß dem so ist?“ fuhr die Marchesa auf.

„Der Baron von Breteuil!“

„Der Baron von Breteuil … der Unverschämte also verbreitet es, der König sei Ihretwegen, Gennaro, in Eifersucht?“

„Und habe mich deshalb nach dem Fort Bard schicken wollen, und er, Breteuil, habe mich gerettet, indem er mir seine Cousine zur Braut gegeben!“

„Abscheulich,“ rief die Marchesa aus, „das ist abscheulich … so meine Ehre anzutasten … des Königs Ehre … der König um meinetwillen in Eifersucht … nein, dies ist mehr, als ich ertragen kann!“

„Also,“ fragte Gennaro kleinlaut und doch froh aufathmend, „dies ist Alles nicht wahr, und ich brauche nicht der Verlobte Aimee’s zu sein?“

„Lieben Sie denn Aimée wirklich nicht?“ rief die Marchesa mit einer aufwallenden Heftigkeit aus, die ganz anderer Art wie ihr bisheriger Zorn war.

„Ich … ich Aimée lieben? … beim Himmel, nein, Frau Marchesa!“

„Aber, Sie Unglücklicher, Sie haben doch ihretwegen Bianca verlassen – Sie haben dieser Französin so auffallend den Hof gemacht …“

„Es mag sein … aber wahrhaftig, ich schwöre Ihnen, es geschah – es geschah“ – der Cavaliere suchte nach einer Ausrede, [500] denn unmöglich durfte er den eigentlichen Zusammenhang gestehen … „es geschah aus reiner Verzweiflung …“

„Aus Verzweiflung machten Sie den Hof?“

„Nun ja – um zu vergessen, um meinen Schmerz zu betäuben, weil … weil …“

„Es ist eigenthümlich, wie sehr Sie stottern … Gennaro – vertrauen Sie mir – sagen Sie mir Alles!“

Die Marchesa legte zärtlich ihre Hand auf Gennaro’s Arm und sah ihm mit Blicken in’s Auge, deren Ausdrucke das Mißtrauen selber hätte vertrauen müssen.

„Nun, so hören Sie’s denn, Marchesa … weil Bianca mir sagte, daß Sie nie Ihre Einwilligung zu unserer Verbindung geben würden, und weil ich Bianca mehr liebe als mein Leben!“

Die Marchesa wandte sich plötzlich ab … sie schritt einem Fauteuil zu und indem sie sich, das Gesicht von Gennaro abgekehrt, niederließ, sagte sie mit leiser, doch offenbar zorniger Stimme: „So … Bianca sagte das? – Bianca glaubt also sehr genau zu wissen, wie ich denke und fühle und was ich beschließen werde … und Sie, Gennaro, Sie lieben also Bianca – mehr als Ihr Leben?“

„Mehr als mein Leben, mehr als meine Seligkeit!“ rief Gennaro aus, und indem er sich noch einmal vor der Marchesa auf ein Knie niederließ, fuhr er mit den Ausrufen stürmischer Leidenschaft fort: „Und Bianca hat Unrecht? nicht wahr, Marchesa, Bianca hat Unrecht? es kann nicht möglich sein, daß Sie, Sie, die Sie Alles haben, der ein Königreich zu Füßen liegt, Ihr Glück darin fänden, für ewig Herzen zu trennen, die sich angehören, die ohne einander der Verzweiflung zum Raube werden und den Tod einem Leben ohne einander vorziehen?“

Die Marchesa stützte ihre bleiche Stirn auf ihre Hand; dann sagte sie leise: „Sie sind ein Thor, Gennaro … Sie wissen nicht, was Ihre Worte …“ Sie vollendete nicht, aber sie sprang plötzlich wie mit einem heroischen Entschlusse auf. Noch immer abgewandt von Gennaro sagte sie rasch und heftig: „Gehen Sie, rufen Sie Bianca – rufen Sie dieselbe zu mir!“

Gennaro eilte davon auf den Flügeln der seligsten Hoffnung – er stürmte in Bianca’s Wohnzimmer und fand ihr gegenüber in ruhiger Unterhaltung – Kaunitz sitzen.

„Sie hier, Graf Kaunitz,“ rief er überrascht aus, „Sie?! … Bianca, wir sollen sogleich vor der Marchesa erscheinen – sogleich – folgen Sie mir zu ihr … mit Ihnen, Graf,“ setzte er zornig hinzu, „habe ich später die Ehre zu reden!“

„Gewiß, es hat Zeit bis später,“ versetzte Kaunitz mit einer lächelnden Verbeugung, „ich mache keinen Anspruch darauf, schon jetzt Ihren Dank entgegenzunehmen, da ich Sie in so großer Eile sehe, Cavaliere …“

„Meinen Dank … meinen Dank für eine Verrätherei, die mich beinahe …“

„Still,“ fiel Bianca ihm in’s Wort, „still, Gennaro, ich weiß Alles. Du verdankst dem Grafen, ihm allein Deine Befreiung und ihm allein auch meine Verzeihung. Er hat mich Alles klar durchschauen lassen – ich begreife Alles – der abscheuliche Franzose, dieser Baron Breteuil ist an Allem schuld. Er hat durchaus durch die Marchesa seine diplomatischen Zwecke erreichen wollen, er hat seine Cousine Aimée dazu abgerichtet, durch die gottloseste Koketterie Dich an sich zu locken, um durch Dich die Marchesa zu beeinflussen …“

„Aber das ist ja nicht wahr,“ fiel hier Gennaro ein, „Graf Kaunitz war es ja, der …“

„Signor Cavaliere,“ fiel hier Kaunitz ein, „ich meine, Sie können mit der Wendung, welche die Dinge für Sie genommen haben, vollständig einverstanden sein. Beeinträchtigen Sie diese Wendung nicht durch Erklärungen und Auseinandersetzungen, welche in diesem Augenblicke nur gefährlich sind … folgen Sie meinem wohlgemeinten Rath und glauben Sie dem, was ich so eben hier Bianca Pallavicini enthüllt habe. Es ist so, wie sie sagt: der Baron von Breteuil hat geglaubt, eine Schwäche der Frau Marchesa von San Damiano für Sie ausbeuten zu können, indem er Sie an sich locken ließ und dann Ihre Freiheit vom Könige erwirkte, in der Hoffnung, daß die Marchesa dafür aus Dankbarkeit ein Werkzeug der Politik werden würde, welcher er diente. Kurz, der abscheuliche Franzose ist an Allem schuld – nicht wahr, Signora Bianca?“

„An Allem, an Allem!“ rief Bianca eifrig aus, „und darum verzeih’ ich Dir auch Alles, Gennaro – und nun komm und laß uns zur Marchesa eilen!“

Gennaro nahm die Hand, die sie ihm reichte, und Beide eilten davon.

„Geht nur,“ sagte Kaunitz, langsam ihnen folgend und mit einem spöttischen Lächeln, „Bianca hat ihre Lection vortrefflich inne, und … der Baron von Breteuil wird aus den Schatten von Stupinigi in die Sonnenhitze müssen!“




9.

Die Marchesa von San Damiano empfing die beiden jungen Leute, die von freudiger Aufregung geröthet vor sie traten, mit kalten, strengen Blicken.

„Ihr habt mich Beide hintergangen,“ sagte sie vorwurfsvoll; „Ihr habt meine Wohlthaten mit Undank gelohnt! Aber ich will Euch verzeihen, und wenn Du, Bianca, dem Gennaro sein Unrecht verzeihst …“

„Ach,“ fiel Bianca Pallavicini ein, „sein Unrecht ist schon verziehen, seit ich ergründet habe, daß er das Opfer einer abscheulichen Intrigue wurde …“

„Und welcher Intrigue Opfer wurde er, welche Intrigue brachte ihn dazu, Dir treulos zu werden?“ fragte die Marchesa mit einem Lächeln der Verachtung auf ihren Lippen.

„Einer diplomatischen Intrigue,“ fiel heftig Bianca ein, „der Intrigue dieses abscheulichen Barons von Breteuil, der seine Cousine Alles aufbieten ließ, um ihn in ihr Netz zu ziehen und um durch ihn …“

Bianca stockte plötzlich, von einem erschrockenen Blicke Gennaro’s in dem Augenblick gewarnt, wo sie sich selbst sagte, daß sie inne halten müsse – und verlegen sah sie zu Boden.

„Also deshalb?“ sagte die Marchesa halblaut für sich, die Mienen der jungen Leute fixirend. „Also dazu?“ fuhr sie in diesem stillen Monolog fort; „ich soll also durchaus die Sclavin dieses schlauen Herrn werden, der mir kostbare Perlen schenkt und mich beherrschen will, durch das, wodurch man eine Frau beherrscht, durch ihre Schwächen? Und dieser Schritt beim Könige! Welche Frechheit liegt in der Voraussetzung, die ihn bewog, Gennaro’s Freiheit zu erwirken! Welche Beleidigung für den König! Welche für mich!“

In der That, die Marchesa fühlte sich tief verletzt, an ihrer Ehre angegriffen – aber auch voll Sorge. Wenn der Baron von Breteuil die Bestrafung Gennaro di Lucano’s der Eifersucht des Königs zugeschrieben hatte, war es dann nicht möglich, daß auch Andere, daß ein Theil des Hofes denselben Gedanken hegten, daß das Gerücht eine ganze Geschichte erdichtete, deren Helden sie und Gennaro waren – daß diese Geschichte endlich sogar das Ohr des Königs, der ein so feines Ohr hatte, erreichte? Dieser Gedanke war unter den ersten gewesen, welche in ihr aufgestiegen, nachdem der Baron von Breteuil sie verlassen hatte – und es war ihr klar geworden, daß es nur ein Vertheidigungsmittel dawider gab – sie mußte der Welt zeigen, daß ihre Theilnahme für Gennaro nichts sei, als eine mütterliche Fürsorge, und kein Ding war mehr geeignet dies zu zeigen, als wenn sie ihre Nichte Bianca dem Cavaliere als Braut zuführte. Dies Opfer mußte gebracht werden, und die Marchesa war entschlossen es zu bringen.

„Ich will nicht weiter forschen,“ sagte sie deshalb, „aber ich sehe, es ist Zeit, solchen Intriguen den Boden zu nehmen. Darum erkläre ich Dir, Bianca, daß ich nichts einzuwenden habe wider Deine Verbindung mit Gennaro di Lucano. Ihr mögt Euch heirathen, wann Ihr wollt, und Gennaro wird Dich alsdann auf seine Güter bringen.“

Bianca warf sich mit überströmenden Augen an die Brust ihrer Tante, und Gennaro küßte knieend ihre Hand.

„Laßt mich, Kinder, laßt mich!“ sagte sie; … „Euern Dank will ich später hören – ich muß jetzt augenblicklich den König sprechen.“

Sie zog die Klingel, und nachdem sie Befehl ertheilt, sie sogleich dem König anzumelden, deutete sie auf das Etui des französischen Gesandten und sagte zu Bianca gewendet: „Nimm das, mein Kind, ich mache es Dir zum Hochzeitgeschenk!“

Damit schritt sie aus dem Zimmer und überließ die beiden jungen Leute ihrem Glück.

Am Nachmittage wurde der österreichische Gesandte Graf [502] Traun zum Könige beschieden und hatte eine mehrstündige Unterredung mit ihm. Kaunitz erwartete in seinen Gemächern in größter Spannung seine Rückkehr.

Die Excellenz trat endlich ein mit freudestrahlendem Gesicht, in der Hand ein zusammengefaltetes Papier haltend.

„Das Bündniß ist abgeschlossen, Kaunitz,“ rief er triumphirend aus, „wir haben Alles, was wir wollten … auf diesem Blatte sind die Bedingungen von mir niedergeschrieben, vom König gezeichnet … da lesen Sie!“

„Dem Himmel sei Dank!“ jubelte Kaunitz auf, indem er mit zitternder Hand das Papier ergriff.

„Der König,“ fuhr Traun fort, „hatte einen wahren Eifer, zu Ende zu kommen, er war mit Allem einverstanden – und er sprach von Breteuil in einem Tone, der mich vermuthen ließ, daß sein ganzer Eifer, sich mit uns zu verbünden, von dem dringenden Wunsche eingegeben würde, den Baron von Breteuil sobald als möglich sein Hoflager verlassen zu sehen.“

„In der That? Nun dann …“

„Hat mein Attaché nicht umsonst mit gearbeitet!“ rief Traun aus, „ich vermuthete es! Aber jetzt ist keine Zeit zum Erzählen – Sie müssen augenblicklich sich reisefertig machen, augenblicklich, Kaunitz, und das Papier unserer Monarchin überbringen – Sie sehen, ich gewähre Ihnen den Lohn für Ihre Leistungen, noch bevor ich ganz diese kenne.“

„Also bin ich’s doch,“ entgegnete Kaunitz lächelnd, „der zuerst aus den Schatten von Stupinigi in die Sonnenhitze hinaus muß … aber freilich in die Schatten errungener Lorbeeren. Ich danke Ihnen, Excellenz.“

Er eilte davon, den eroberten Siegespreis in der Rechten. Nach einer Stunde war er reisefertig. Eine mit vier Postpferden bespannte Kalesche hielt seiner harrend unten in einem der Schloßhöfe. Da, als er eben im Begriff war, sein Zimmer zu verlassen, wurden ihm ein Billet und ein Etui gebracht. Das Billet enthielt die folgenden Worte: „Wir hören, daß Sie abreisen, Herr Graf. Sie sollen es nicht, ohne die wärmsten Danksagungen mit sich zu nehmen, welche wir Ihnen schulden. Möge das Bewußtsein, daß Sie zwei Glückliche gemacht, Sie lohnen, und die Perle, welche wir diesen Zeilen beifügen und wieder in Ihre Hände legen, Ihnen eine Erinnerung sein an
Bianca Pallavicini und Gennaro di Lucano.“ 

„Nun in der That,“ sagte Kaunitz, „diese Perle hat eine merkwürdige Rundreise gemacht – und kommt gerade im richtigen Augenblick, um mir in Wien einen doppelt freudigen Willkomm bei meiner schönen Gebieterin zu sichern. Und nun leb’ wohl, Bianca, leb’ wohl, Stupinigi! Ich bedaure nur das Eine, daß mir nicht die Zeit bleibt, dem Baron von Breteuil meinen Abschiedsbesuch zu machen, um zu sehen, wie er es erträgt, von einem Deutschen überlistet zu sein, und um der schönen Aimée zuzuflüstern: ‚Trösten Sie sich mit mir, armes Herz, auch mir zerrann ein rosiger Traum!“