Die weiße Blume
Erscheinungsbild
« Holzmeyer | Gedichte (1822) | Lebewohl! » |
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern) am linken Seitenrand.
|
[50]
Die weiße Blume.
In Vaters Garten heimlich steht
Ein Blümchen traurig und bleich;
Der Winter zieht fort, der Frühling weht,
Bleich Blümchen bleibt immer so bleich.
5
Die bleiche Blume schautWie eine kranke Braut.
Zu mir bleich Blümchen leise spricht:
Lieb Brüderchen, pflücke mich!
Zu Blümchen sprech ich: Das thu’ ich nicht,
10
Ich pflücke nimmermehr dich;Ich such’ mit Müh und Noth
Die Blume purpurroth.
Bleich Blümchen spricht: Such’ hin, such’ her,
Bis an deinen kühlen Tod,
15
Du suchst umsonst, find’st nimmermehrDie Blume purpurroth;
Mich aber pflücken thu’,
Ich bin so krank wie du.
[51]
So lispelt bleich Blümchen, und bittet sehr, –
20
Da zag’ ich, und pflück’ ich es schnell.Und plötzlich blutet mein Herze nicht mehr,
Mein inneres Auge wird hell.
In meine wunde Brust
Kommt stille Engellust.