Diskussion:Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/OCR-Bd1

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OCR Bd.1 nach Jansen[Bearbeiten]

{I}

Gesammelte Schriften

über

Musik und Musiker

von

Robert Schumann


Erster Band

Vierte Auflage,

mit Nachträgen und Erläuterungen

von

F. Gustav Jansen.

  1. Vignette
Leipzig

Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1891.

{II}

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

{III} Vorbericht des Herausgebers.

Über die Grundsätze, welche bei dieser vermehrten und verbesserten Ausgabe von Schumanns Schriften maßgebend gewesen sind, habe ich Folgendes zu bemerken.

Zunächst war ich bestrebt, die schriftstellerischen Arbeiten Schumanns in möglichster Vollständigkeit zu sammeln, Schumann hat einen erheblichen Theil seiner Aufsätze und Kritiken von der Aufnahme in seine gesammelten Schriften ausgeschlossen — ohne Zweifel, um das Unbedeutende und Unwichtige fernzuhalten. Was nun aber in Schumanns Augen werthlos oder gleichgültig war, kann gleichwohl für uns von großer Wichtigkeit sein, die wir nichts von dem missen wollen, was das Bild seiner Persönlichkeit vervollständigt und unser Verständniß seines Denkens und Wollens fördert. Es handelte sich daher für den Herausgeber auch um eine Prüfung und Sichtung des von Schumann Ausgeschiedenen, wovon die in dieser Ausgabe mit * bezeichneten Aufsätze das Ergebniß sind. Diese Nachlese besteht theils aus Aufsätzen, die zuerst in Schumanns „Neuer Zeitschrift für Musik“ erschienen, theils aus solchen, deren Aufnahme in die gesammelten Schriften überhaupt nicht in Frage gekommen sein wird, da Schumann sie allem Anschein nach gar nicht aufbewahrt hatte. Es sind dies meist kürzere, recht aus der lebendigen Gegenwart herausgeschriebene Aussätze, die in Unterhaltungsblättern und Zeitungen der dreißiger und ersten vierziger Jahre zur Veröffentlichung gelangten. Das Aufspüren derselben war nicht ohne Schwierigkeit, da Schumann diese kleinen Artikel entweder gar nicht oder mit beliebigen Buchstaben unterzeichnet hat. Ein Theil der alten Zeitschriften, in denen etwas von Schumanns Hand vermuthet werden konnte, war überhaupt nicht mehr aufzutreiben. Ich glaubte immer noch Aufsätze auffinden zu können, denen Schumann vielleicht einzelne im „Denk- und Dicht-Büchlein“ abgedruckte Aphorismen entnommen hätte, wie diese schon zur Entdeckung des Berichtes über Clara Wieck (Bd. 1, S. 6) geführt hatten.

Von hervorragender Bedeutung ist der „Davidsbund“, den Schumann mit dem ganzen Reiz des Geheimnißvollen zu umgeben wußte; {IV} Wesen und Ziel desselben wird durch den Abdruck des Kometen-Aufsatzes (Bd. 1, S. 10) und der erläuternden Notizen aus der Zeitschrift nunmehr vollkommen klar erscheinen.

Schumann hat bei der Redaction seiner Schriften mit einem Theil seiner kritischen Arbeiten mancherlei Aenderungen und Kürzungen vorgenommen. Diese Aenderungen, vorwiegend stilistischer Natur, sind nur den Aufsätzen der ersten Jahre, wo Schumann noch ganz unter dem Einfluß Jean Pauls stand, zu Theil geworden. Die späteren Schriften haben gar keine oder nur ganz unwesentliche Aenderungen erfahren. Von dem, was Schumann nachträglich in den Aussätzen gestrichen hat, habe ich das Bemerkenswerthe in Fußnoten (ausnahmsweise auch im Text selbst) mitgetheilt, um die ursprüngliche Farbe der Aufsätze, die jugendlich-lebhafte Ausdrucksweise wiederzugeben und zugleich die Kritik des älteren gegen den jungen Schumann zu zeigen. Uebrigens hat Schumann von den einmal ausgesprochenen Urtheilen nichts zurückgenommen, nur hier und da einen Ausdruck gemildert oder entfernt.

Die von Schumann beabsichtigte aber nicht innegehaltene chronologische Ordnung seiner Aufsätze ist in dieser Ausgabe durchgeführt worden. Nur in einigen, aber ganz vereinzelten Fällen schien es angemessen, um des Zusammenhangs willen von dieser Ordnung abzuweichen. So sind z. B. die „Schwärmbriefe“ vereinigt worden, obgleich die ihnen voranstehenden beiden Concertberichte zwischen den ersten und zweiten, die Besprechungen der Sonaten von Loewe, Pocci und Lachner zwischen den dritten und vierten Schwärmbrief gehören. Neben der Zeitfolge der Aufsätze ist auch deren Unterzeichnung so gegeben worden, wie sie sich in der Zeitschrift findet. Hierbei mag noch bemerkt werden, daß die (von 1835 an) ohne Unterschrift erschienenen Zeitschrift-Aufsätze Schumann angehören. Dasselbe gilt fast durchweg von den „Vermischten Nachrichten“, sofern sie nicht mit Quellenangabe oder dem Vermerk „a. e. Br,“ (aus einem Briefe) versehen sind. Wie Schumann sich einigemal auch anderer Davidsbündlernamen als Unterschrift bediente (Serpentin, Jonathan, Jeanquirit), so hatte er öfter auch an den Aufsätzen seiner Mitarbeiter Antheil, sei es, daß er gelegentlich eine Florestansche Verschärfung oder eine Eusebianische Milderung einfügte, sei es, daß er eine eingelieferte Reihe von Besprechungen durch einen eignen Artikel gleicher Art vervollständigte.

Bei der Revision des Textes habe ich nicht nur Druckfehler und Unrichtigkeiten in Namen und Opuszahlen, sondern auch Schreibfehler und kleine stilistische Versehen verbessert. So war von Dorns „Tonblumen“ gesagt worden, daß sie sich von anderen Bildern unterschieden „wie Porzellanblumen von lebenden“, und doch wurde dem Componisten nachgerühmt, daß er „nur den Duft, den Geist der Blume“ oben weggenommen habe. Der Widerspruch fällt weg, wenn man liest: „wie lebende von Porzellanblumen.“ Diese Berichtigung bringt die Zeitschrift selbst in einer späteren Nummer, was Schumann bei der Sammlung seiner Schriften übersehen hatte.

Manche kleine Unrichtigkeiten in der Zeitschrift sind ohne eine solche

{V} Berichtigung geblieben und in Folge dessen theilweise in die Schriften übergegangen. Es finden sich aber auch Versehen in den ges. Schriften, die der Zeitschrift nicht anzurechnen sind. Wenn ich daher zwischen abweichenden Lesarten in der Zeitschrift und in den Schriften zu wählen hatte, so entschied ich mich mehrmals gegen die Schriften, die eben nicht in allen Fällen als unbedingte Autorität gelten dürfen. Schumann hat die Redaction derselben mit mannigfachen Unterbrechungen vorgenommen, wovon jedoch höchst wahrscheinlich gar nichts zu bemerken sein würde, wenn er selbst den Druck seiner Schriften überwacht hätte. Er befand sich aber zur Zeit des Druckes bereits in der Heilanstalt.

In der Rechtschreibung ist Schumanns Ueberlieferung grundsätzlich beibehalten, aber in solchen Fällen, wo er selbst schwankt, ist eine Meinung durchgeführt worden. Bei einigen wenigen Wörtern habe ich die veraltete Schreibung aufgegeben. Man wird solche Aenderungen nicht mißbilligen, die nur dazu bestimmt sind, dem heutigen Leser jeden Anstoß aus dem Wege zu räumen. Deshalb habe ich mir auch zu ändern gestattet, wo Schumann den Provinzialismus „sehen“ für „aussehen“, wo er „was“ für „das“ anwendet, und wo ihm die Umstellung des Subjects nach der Conjunction und durchgeschlüpft ist. Ebenso glaubte ich die Casusendungen bei Personennamen sowie den Gebrauch des Apostrophs, der Kommas und der Gedankenstriche etwas beschränken zu dürfen, zumal Schumann selbst damit nicht gleichmäßig verfuhr.

Die von Schumann herrührenden, aus der Zeitschrift herübergenommenen Fußnoten sind durch den Zusatz [Sch.] kenntlich gemacht, dagegen die erst bei der Redaction der gesammelten Schriften von ihm hinzugesügten Anmerkungen mit dem Vermerk [Sch. 1852] versehen worden. Die übrigen Anmerkungen sind vom Herausgeber, dem zugleich alles durch eckige Klammern Eingeschlossene angehört. Letzteres mit Ausnahme der Stellen aus S. 167, 171 und 223 des ersten Bandes, die ursprünglich von Schumann so bezeichnet waren.

Im Namen-Register habe ich über die unbekannteren theilweise in den gangbaren Nachschlagebüchern nicht ausgeführten Künstler kurze biographische Notizen gegeben, was freilich nicht in allen Fällen zu erreichen war.

{VI} Um Schumanns schrifstellerische Thätigkeit von ihren ersten Anfängen an überblicken zu können, muß man bis aus seine Schuljahre zurückgehen. Dieser früher so gut wie unbekannte Lebensabschnitt Schumanns bis zu seinem Abgange nach der Universität steht uns jetzt klarer als vorher vor Augen, nachdem ihn Max Kalbeck zum Gegenstand einer biographischen Studie* gemacht hat, die sich aus den handschriflichen Nachlaß Schumanns stützt und eine Fülle neuen Stoffes enthält.

Nachdem Schumann zuerst in der Privatschule des Archidiakonus Dr. Döhner in Zwickau eine ausgezeichnete Vorbildung in den Elementarwissenschaften empfangen hatte, kam er Ostern 1820, nicht ganz zehn Jahre alt, aufs Gymnasium. Hielt er auch, da er in der normalen Dauer von acht Jahren das Gymnasium durchmachte, mit seinen Schulkameraden im Durchgang durch die Klassen so ziemlich gleichen Schritt, so war er ihnen doch in vielen Dingen von Anfang an weit voraus.** Auch in der Wissenschaft ging der frühreife, mit ungewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattete Knabe seinen eignen Weg. Wo Andre der gründlichsten Unterweisung und der angestrengtesten Vorstudien bedurft hätten, __________

  • „Aus Robert Schumanns Jugendzeit. Ein biographisches Blatt von Max Kalbeck“ in A. Edlingers Oesterreichischer Rundschau von 1883. Dieser Aufsatz ist der obigen Darstellung von Schumanns Schulzeit theilweise wörtlich zu Grunde gelegt.
    • Das älteste Schriftstück von Schumanns Hand, das wohl überhaupt erhalten geblieben ist, ist ein Stammbuchblatt des elfjährigen Quartaners, geschrieben für seinen Schulfreund, den nachherigen Kaufmann C. F. L. Köhler in Zwickau. Es kam nach dem Tode desselben (1877) in den Besitz seines Schwiegersohnes, des Musikdirectors P. Fischer in Zittau, und lautet:

{{Right|„Alles, alles kann man kaufen, {{Right|Freunde nur und Freude nicht. {{Right|Wenn Du diese wenigen Zeilen

    Zwickau

{{Right|ließt, so gedenke Deines

  d. 14. May

{{Right|aufrichtigen Freundes

       1821.

{{Right|Robert Schumann.“

Ein anderes Albumblatt stammt aus seiner Tertianerzeit und ist an Emil Herzog, (später Dr. med. in Zwickau) gerichtet. Es lautet:

„Solem e mundo tollere videntur, qui amicitiam e vita tollunt, qua a Diis immortalibus nibil amabilius nihil jucundius. {{Right|Cic. Laelius.

     Zwickau

{{Right|Bei dießen wenigen Zeilen denke am 20ten Januar Sansouci vivat! {{Right|an Deinen treuen Freund u. Mitschüler

        1823

{{Right|Rob. Alex. Schumann. {{Right|Discp: classis tertiae Lycei Zwickaviensis.”

Mit Sanssouci bezeichneten die Schulkameraden eine Höhle außerhalb der Stadt, wo sie ihre „Robinsonaden“ aufführten. Das Blatt enthält auch die Zeichnung einer Wage, deren Bedeutung aber Dr. Herzog nicht mehr anzugeben wußte.

{VII} da genügte ihm eine Andeutung, ein Wink, ein Versuch, um Außerordentliches zu leisten. Neben dem musikalischen hatte sich frühzeitig ein sehr bemerkenswerthes Sprachtalent und zugleich mit diesem ein feines Gefühl für metrische Formen geltend gemacht; das eine war ein Erbtheil der Mutter, das andere hatte er vom Vater ererbt.

Die Mutter, eine grundmusikalische Natur, obwohl sie keine Note lesen konnte, gab hauptsächlich die Veranlassung, daß Robert mit sieben Jahren dem Organisten Bacc. Kuntsch zum Clavierunterricht übergeben wurde. Der Unterricht hörte 1825 auf, da Robert seinem Lehrmeister (der seinen Schüler übrigens sehr liebte) über den Kopf gewachsen war, und auf eigne Hand Clavier spielte, phantasirte und componirte. Wahrend die Mutter die Beschäftigung des Knaben mit Musik rein als dilettantische Liebhaberei ansah und sich entschieden dagegen erklärte, daß er darin seine Lebensaufgabe finden solle, glaubte der weiter und freier denkende Vater seinen Sohn der Künstlerlaufbahn zuführen zu müssen. Er hatte sogar schon Unterhandlungen deswegen mit C. M. von Weber angeknüpft, die aber durch Webers Abreise nach London ins Stocken geriethen. Der Plan wird alsdann in den Hintergrund getreten, der Vater wohl auch an dem eigentlichen Beruf des Sohnes irre geworden sein, da sich dieser inzwischen von der Musik zur Poesie abzuwenden schien. Das sah der Vater, der die eignen schriftstellerischen Neigungen seinem buchhändlerischen Berufe hatte unterordnen müssen, jedenfalls nicht ungern. Er nährte den für alles Schöne empfänglichen Sinn des Sohnes mit klassischer Lektüre und zog ihn auch zur Mitarbeit an eignen literarischen Arbeiten heran. Seine Buchhandlung bot Bildungsmittel in verschwenderischer Fülle und Auswahl, die der geweckte und wißbegierige Knabe mit Leidenschaft ergriff, so daß er sich binnen kurzer Zeit im Zusammenhange aneignete, was sonst nur langsam und bruchstückweise erworben zu werden pflegt.*

An theilnehmenden Genossen fehlte es ihm bei seinen poetischen Bestrebungen nicht. Wie er der Leiter eines aus seinen Kameraden gebildeten Orchesters war, so stand er auch schon als Fünfzehnjähriger an der Spitze eines literarischen Vereins. Daß zu dieser Zeit seine dichterische Thätigkeit vor der musikalischen die Oberhand gewonnen hatte, bestätigt der Umstand, daß von den ersten Compositionen nichts erhalten ist (Schumann selbst weiß nicht einmal genau die Zeit ihres Entstehens anzugeben), während eine beträchtliche Sammlung poetischer Versuche vorliegt mit einem sorgfältig geführten Protokoll und einem Verzeichniß der Mitglieder des literarischen Vereins.

Dieser Verein bestand drei Jahre hindurch und hielt dreißig Sitzungen ab, von denen die erste am 12. December 1825, die letzte im Februar 1828, also kurz vor Schumanns Abgange nach der Universität, stattfand. In

_____________

  • Wie vielseitig sich der junge Gymnasiast beschäftigte, beweist, daß er sich eine große Siegelsammlung angelegt hatte, — eine Liebhaberei, die ihn namentlich mit Emil Herzog häufig zusammenführte. Schumanns Vater unterstützte diese Liebhaberei durch Anschaffung des „Großen und allgemeinen Wappenbuchs“ von I. Siebmacher.

{VIII} den von Schumann entworfenen Vereinssatzungen heißt es: „Ist es jedes gebildeten Menschen Pflicht, die Literatur seines Vaterlandes zu kennen, so ist es ebenso die unsrige, die wir doch schon aus höhere Bildung Ansprüche machen wollen und müssen, die deutsche nicht zu vernachlässigen und mit allem Eifer zu streben, sie kennen zu lernen. Der Zweck dieses Vereins soll daher sein eine Einweihung in die deutsche Literatur.“ Diesen Zweck zu erreichen, werden, wie es weiter heißt, „nach der Reihe die Meisterstücke unsrer Dichter und Prosaiker vorgelesen, in jeder Sitzung eine Biographie von irgend einem berühmten Manne beigefügt, die Meinungen darüber gesagt, die Ausdrücke, die man nicht versteht, erklärt, auch wohl eigne Gedichte den Mitgliedern zur Kritik übergeben.“ Was der eifrigen Schar und vor Allem ihrem ehrgeizigen Anführer als Ideal vorschwebte, erklärt die in die Satzungen eingeschobene verheißungsvolle Bemerkung: „Aus eben solchen Vereinen sproßten Uz, Cramer, Kleist, Hagedorn und andre große Männer, die in der deutschen Literatur ewig mit goldnen Schriftzügen aufgezeichnet werden, hervor.“ Also nicht Mozart oder Beethoven, sondern einer der Hainbündler oder Anakreontiker war das Vorbild des fünfzehnjährigen Schumann. Bezeichnend ist die Auswahl der zum Vortrage gebrachten Stücke. Von Schiller wurden sämmtliche Dramen mit vertheilten Rollen gelesen — der Vorsitzende behielt dabei natürlich die besten für sich —, und Größen zweiten und dritten Ranges wie Weiße, Kosegarten, Niemeyer, Houwald, Meißner, Collin, Gleim, Raupach, Schulze u. a. standen auf jeder Tagesordnung. Dagegen fehlt der Name Goethe ganz. „Goethe versteh' ich noch nicht,“ bekannte Schumann im März 1828; erst in spätern Jahren wurde er ein begeisterter Verehrer Goethes. Jean Paul kommt erst im letzten Jahrgange mit zwei Phantasiestücken vor und streitet mit den Paränesen des Philologen F. W. Thiersch um den Vorrang, nahm freilich nach kurzer Zeit den „ersten Platz“ bei Schumann ein und wurde „selbst über Schiller“ gestellt.

Entfernten diese vielfältigen, mit Ernst und Eifer getriebenen Nebenbeschäftigungen den Knaben von den Schulwissenschaften, so brachten ihn seine dem Lehrplan vorauseilenden Studien der klassischen Sprachen wieder dahin zurück. Es kam ihm zu gute, daß er, lange bevor seine Mitschüler in der Lage waren die griechischen und lateinischen Dichter in der Ursprache zu lesen, die Lieder des Anakreon, die Idyllen des Bion, des Theokrit und des Moschus in den Versmaßen der Originale ins Deutsche übertragen hatte, und als er die schwierigeren Formen des Horaz und der griechischen Tragiker beherrschen lernte, verfügte er über eine Gewandtheit, Sicherheit und Freiheit des Ausdruckes, die weniger seine Poesie als seine von Jean Paul erweckte und beflügelte Prosa über das Gewöhnliche hinaushoben. Man lese nur die ersten in den „Jugendbriefen“ veröffentlichten Schreiben des siebzehnjährigen Primaners an feinen ihm schon 1827 nach Leipzig vorangegangenen Freund Flechsig!

Tief erschüttert wurde Roberts Herz durch zwei Unglücksfälle, die sich kurz nach einander im elterlichen Hause ereigneten: seine um drei Jahre ältere Schwester Emilie erkrankte im Jahre 1826 am Typhus und


{IX} verfiel einer unheilbaren Gemüthskrankheit; bald darauf, am 10. August, starb sein Vater, während die Mutter zur Kur in Karlsbad war. Schumann gedenkt dieser Ereignisse in seinen Tagebuchaufzeichnungen: „Das ganze Jahr flog mir wahrlich wie ein Traum hin. Hier hatte ich wahr geträumt, dort hatte ich die ernste Wahrheit gefunden. Zwei geliebte Wesen wurden mir entrissen, das eine, mir theurer als alles, auf ewig, das andere in gewisser Hinsicht auch auf ewig. Ich zürnte damals dem Schicksal, jetzt kann ich ruhiger über alles nachdenken, und siehe, ich erkenn' es klar, das Schicksal hat es doch gut gemacht. Ich war eine aufgeschäumte Woge, ich rief im Reigen: warum muß gerade ich so von den Stürmen herumgeschleudert werden? und wie der Sturm nachgelassen, da ward die Welle reiner und klarer, und sie sah, daß der Staub, der auf dem Boden lag, fortgerissen war, sie selbst aber auf lichtem Sande schaukelte. Ich habe viel erfahren, ich habe das Leben erkannt. Ich habe Ansichten und Ideen über das Leben bekommen, mit einem Worte, ich bin mir heller geworden.“

Nicht lange nachher trat der schüchterne Gymnasiast in eine neue, bedeutungsvolle Zeit ein, die auch auf seine Trauer mildernd einwirkte — in die Zeit der ersten Liebesschwärmereien. Zwei anmuthige Mädchengestalten, Nanni und Liddy, nahmen kurz nacheinander das von Sehnsucht erfüllte Herz des siebzehnjährigen Jünglings gefangen. Er selbst hat die Geschichte seines Liebens in einer ganz im Geist und Stil Jean Pauls gehaltenen Erzählung („Juniusabende und Julitage“) niedergelegt. Die lose an einen dünnen Faden gereihten Kapitel dieser seltsamen Geschichte sind unerschöpfliche Veränderungen desselben Ereignisses, sofern man eine Anzahl in überschwenglichen Ausdrücken abgefaßter Gefühlsergüsse mit wirklichen Vorgängen zusammenbringen darf. Das Ganze könnte eine Apotheose des Schweigens genannt werden. Zwei Paare von Freunden und Freundinnen wandeln durch das idyllische Gefilde einer weltfernen Insel. Die Natur spricht zu ihnen, sie aber schweigen und sehen einander nur verständnißinnig und selig in die Augen. In der Einleitung zu diesen Stimmungsbildern glaubt man Eusebius reden zu hören: „Es gibt eine Zeit im Jünglingsleben, wo das Herz nicht finden kann, was es will, weil es vor Sehnsucht und Freudenthränen nicht weiß, was es sucht. Es ist jenes heilig hohe, stumme Etwas, welches die Seele vor ihrem Glücke ahnt, wenn das Auge des Jünglings träumerisch in die Sterne blickt und die lächelnden anweint, aber freudig, und wenn er stockend und sinnend am Wasser geht, unter Blumen ruht, Rosen sticht und Gänseblumen auszupft. Wo er lächelnd nachsinnt und entzückt sagt: Ach, warum gab mir denn noch kein Mensch eine solche Blume? warum liebt mich denn kein Mensch? Jeder muß ja einmal eine Zeit gehabt haben, wo er inniger an den Blumen und Sternen hängt, und wo alles um ihn von einem milden rosigen Morgenzwielichte beleuchtet wird, das eine Sonne verbürgt, die bald aufgeht.“

Zuerst hatte es ihm Nanni angethan. Als er wenige Wochen nachher von der schönen und stolzen Liddy bezaubert war, schrieb er in sein Tagebuch: „Muß ich hier schwärmen, so kann es nur rein platonisch sein.

{X} Die seligsten Träume schaffen mir oft das göttliche Mädchen herbei. Wenn die Wahrheit traurig ist, warum sollte man nicht heiter in den Träumen, die uns lieblich das Ideal unserer Herzen hervorgaukeln, die Göttlichkeit glücklicherer Tage vorempfinden?“ Er fühlt das Bedürfniß zu sprechen, ein Tagebuch zu führen, will aber nicht Tag für Tag die Nichtigkeiten seines unbedeutenden Lebens eintragen, sondern dem frohgenossenen Augenblicke Dauer verleihen und über sein Inneres nachdenken. „Und so will ich in den Minuten meiner nächtlichen Muße mein Leben aufzeichnen, um einst in späteren Jahren, mag ich glücklich oder unglücklich sein — und leider sagt mir das Letztere eine bange Ahndung vor — meine Ansichten und Gefühle mit den vergangenen und sonstigen zu vergleichen und zu sehen, ob ich mir, meinen Gefühlen und meinem Charakter treu geblieben bin.“ Der schwermüthigen Grundstimmung seiner Natur, die schon hier zuweilen zum Ausbruche kommt, entsprechen die Worte: „In traurigen Zeiten werde ich meines Glückes gern gedenken, ich habe schon gelebt, und glücklich kann man nicht immer sein.“

Die zarte Neigung zu der hübschen Liddy war von kurzer Dauer. Sein getrimmtes Ideal fand Schumann nicht in ihr. „Liddy ist eine engherzige Seele — schrieb er an Flechsig —, ein einfältiges Mägdlein aus dem unschuldigen Utopien: keinen großen Gedanken kann sie fassen; dies sag ich nicht als ein Fuchs, der die Rebe nicht erschnappen kann — und deshalb die Traube schlecht nannte, weil sie für seinen Schnabel zu hoch gewachsen war; wenn man sie im Karlsbader Sprudel zu einer weißen karrarisch-marmornen Anadyomene versteinern könnte, so müßte sie jeder wahre und feine Kunstkenner für eine weibliche Schönheit erklären; aber wie steinern müßte sie sein und — kein Wort sprechen.“ Die Ernüchterung des jungen Schwärmers war vollständig, als er die Geliebte ein paar Wochen später in Teplitz wiedersah. ,,Der Traum ist aus!! und das hohe Bild des Ideals verschwunden, wenn ich an die Reden denke, die sie über Jean Paul führte. Lasset die Todten ruhen!“

Damit endete das Idyll. Vergessen hat es Schumann übrigens nicht. Im December 1840 legte er sich ein Octavheft an, das er gewissermaßen zum Ausgabenbuch der Zukunft bestimmte und „Projectenbuch“ nannte. Darin findet sich neben allerlei theils ausgeführten, theils unausgeführt gebliebenen Compositionsvorwürfen, literarisch-musikalischen Plänen, Anregungen und Notizen auch das Schema eines autobiographischen Abrisses mit dem Schlussvermerk: „Schrieb’s am 19. April 1843 in Leipzig.“ In dieser Skizze sind Nanni und Liddy mit ihren vollen Namen verewigt und dick unterstrichen — eine Auszeichnung, die auf ihre besondere Bedeutung hinweist.

Die dichterische Production Schumanns bestand, wie die erhalten gebliebenen Jugendblätter zeigen, neben den schon erwähnten, zum Theil vortrefflich gelungenen metrischen Übersetzungen aus lyrischen Gedichten, dramatischen Anläufen und Prosafragmenten, deren Manuscripte hier und da mit dem Pseudonym „Robert an der Mulde“ und „Robert Alantus“ versehen sind. Im Jahre 1826 wandte sich Schumann mit dem sehr

{XI} bescheiden vorgebrachten Ansuchen an den Hofrath Winkler (Theodor Hell) um Aufnahme einiger Gedichte in die Dresdener „Abendzeitung“. Die Bitte scheint nicht erfüllt worden zu sein, wenigstens enthält der Jahrgang 1826 der Abendzeitung kein Gedicht unter einem der genannten Pseudonyme.

Auch von größern poetischen Arbeiten aus dieser Zeit liegen Bruchstücke vor: von einem Drama mit Chören „Coriulan“ (nach dem Vorbilde der „Braut von Messina“) und von einer Tragödie „Die beiden Montalti“. Beide Stücke scheinen nicht weit über die ersten Scenen hinausgekommen zu sein; von dem erstgenannten sind acht Seiten mit 114 Versen, von dem zweiten fünf Seiten mit 220 Versen erhalten. Ein dritter dramatischer Versuch, der unter unmittelbarem Einfluß von Z. Werners „Vierundzwanzigstem Februar“ und Müllners „Schuld“ steht und eine überaus gräßliche Begebenheit behandelt — „Die Brüder Landendörfer“ —, ist nur im ersten Entwurf vorhanden.

Wie Schumann damals über seine dichterische Begabung dachte, sagt sein Tagebuch an einer Stelle, wo er sich und einige seiner Freunde kurz schildert und zunächst auf ihre poetischen Fähigkeiten hin prüft, die ihm für die Werthbestimmung in erster Linie in Betracht zu kommen schienen. „Was ich eigentlich bin, weiß ich selbst noch nicht klar. Phantasie, glaub' ich, habe ich, und sie wird mir auch von keinem abgesprochen. Tiefer Denker bin ich nicht; ich kann niemals logisch an dem Faden fortgehen, den ich vielleicht gut angeknüpft habe. Ob ich Dichter bin — denn werden kann man es nie — soll die Nachwelt entscheiden.“ Bei der folgenden Tagebuchstelle denkt man an den künftigen Musiker, dem es gegeben war, auch das Unsagbare zum Ausdruck zu bringen. Schumann schreibt, er sei unendlich wehmüthig gestimmt von einem poetischen Stoff, den er bearbeiten wolle; die Worte zerflössen ihm zu Thränen, und er müsse schließen, noch ehe er recht begonnen, weil „es ihn zu stark angriffe“. „Es ist sonderbar, daß ich da, wo meine Gefühle am stärksten sprechen, aufhören muß, Dichter zu sein; ich kann wenigstens da nie zusammenhängende Gedanken niederschreiben. Wo aber mein eignes Selbst nicht mitzufühlen braucht, wo nur die Phantasie herrscht, dichte ich freier, leichter und besser. Hierin bin ich ganz mit mir eins. So wäre es mir nicht möglich, ein Gedicht an Liddy zu machen. Ich empfinde fast zu sehr dabei; Empfindungen sind sprachlos,“

Die Ausarbeitung der dramatischen Pläne wurde wahrscheinlich aufgegeben, als Schumann von Jean Paul und Franz Schubert gefesselt wurde, was er selbst als das „Hauptereigniß seines achtzehnten Jahres“ bezeichnete.*

______________

  • Vgl. G. Kästner über Schumann in der Revue et Gazette musicale de Paris vom 21. Juni 1840. Die Skizze enthält einige biographische Einzelheiten, die unzweifelhaft nach Schumanns eignen Angaben niedergeschrieben sind. Bemerkenswerth ist, daß Kästner am Schlusse ausspricht, Schumann werde im Orchester das geeignetste Feld für seine Befähigung finden. Schon nach Verlauf eines halben Jahres machte Schumann das wahr.

{XII} „Meine Camöne schlummert,“ schrieb er im August 1827 an Flechsig, „einmal war sie selig erwacht — o, des kurzen, aber schönen Augenblickes! — jetzt träumt sie nur manchmal noch, und wenn sie erwacht, weiß sie die Träume nicht mehr, und so schlummert sie wieder ein, traumend, fühlend, empfindend, der todten Worte ledig, in die sie ihr Gefühl bannen soll. Aber auch ihr Schlummer ist schön wie der Schlaf der Jungfrau, die glücklich liebt, und deren ruhige Züge die goldene Vergangenheit im Traume himmlisch verklärt.“

Durch Jean Paul wurde Schumann zu Prosadichtungen angeregt. Außer den schon erwähnten „Juniusabenden“ ist der Anfang eines Romans „Selene“ erhalten geblieben, beide lassen die sich wieder geltendmachende Hinneigung Schumanns zur Musik erkennen.

Endlich aber sollte seine musikalische Natur siegreich zum Durchbruch kommen, als ein gütiges Geschick ihn einer talentvollen Frau zuführte, deren seelenvoller Gesang wie eine überirdische Offenbarung auf ihn wirkte. Im Frühjahr 1827 kam Agnes Carus, die junge Frau eines in Colditz lebenden Arztes, zum Besuch nach Zwickau. Sie war, wonach Schumann sich bisher vergebens gesehnt hatte, eine durch und durch musikalische, der seinigen gleichartige Natur, an Bildung, Geschmack und Kenntnissen der Zwickauer Dilettantenwelt weit überlegen. Aus ihrem künstlerisch geschulten Gesange sprach die Empfindung einer feinen, von dem Gewöhnlichen sich abwendenden Seele. Franz Schuberts Tonweisen waren es, die Schumann zuerst von ihren beredten Lippen vernahm. Stunden und Tage verbrachte er am Clavier, um mit der schwärmerisch von ihm verehrten Frau vierhändig zu spielen oder sie zu ihren Liedern zu begleiten.

In dem Hause, das diese unvergleichlichen Genüsse darbot, war Schumann schon längere Zeit heimisch. Es gehörte dem kunstsinnigen Oheim des Colditzer Arztes, dem Geschäftsführer der großen Devrientschen Fabrik, Karl Erdmann Carus. An den Namen dieses „würdigen Mannes“ (so schrieb Schumann später in seinem Nekrolog),* „der bis zum letzten Hauch ein treuer Verehrer der Kunst, ein warmer Freund der Künstler war,“ knüpften sich für ihn „die theuersten Jugenderinnerungen“. „War es doch in seinem Hause, wo die Namen Mozart, Haydn, Beethoven zu den täglich mit Begeisterung genannten gehörten, in seinem Hause, wo die sonst in kleinen Städten gar nicht zu hörenden selteneren Werke dieser Meister, vorzugsweise Quartette,* mir zuerst bekannt wurden, wo ich oft selbst am Clavier mitwirken durfte, in dem den meisten vaterländischen Künstlern gar wohlbekannten Carusschen Hause, wo alles Freude, Heiterkeit, Musik war.“ Dies wird von andrer Seite bestätigt und namentlich hervorgehoben, daß Carus mit richtigem und geübtem Blick oft bei jungen Leuten seiner Umgebung die in ihnen schlummernden Talente entdeckt, sie daraus ausmerksam gemacht und zu deren Ausbildung ermuntert habe.*** Auch

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 * Neue Zeitschrift 1843, Bd. XVIII, S. 27. 
** Carus selber betheiligte sich daran als Geiger. 
      • So geschah es z. B. mit den Brüdern Karl und Emil Devrient, die anfänglich für den Kaufmannsstand bestimmt und in der Fabrik ihres Zwickauer Oheims beschäftigt waren.

{XIII} Schumann erfuhr solche freundliche Aufmunterung, und es entsprach ganz seinem dankbaren Gemüth, daß ihm der Name seines „väterlichen Freundes“ zeitlebens „lieb und theuer“ blieb. Von seiner Anhänglichkeit zeugt ein Gedicht, das er 1838 an Carus sandte, als dieser das Doppelfest seiner silbernen Hochzeit und der Verheirathung seiner Tochter Josephine feierte. Es lautet:

„Herrn und Madame Carus, Herrn und Madame Bamberger zur freundlichen Erinnerung. Zum 24. August 1838.

Der einst in Eurem Kreise Wie Kind vom Hause war, Bringt heut' so innig wie leise Euch seine Wünsche dar.

Ihr habt ihn gern gelitten, Wenn er in kindischem Flug Nach oben, unten und mitten Euch das Clavier zerschlug.

Die Zeit läßt nimmer sich halten: Das Mädchen ward eine Braut, Zum Jubelpaar die Alten, Der Mann zum Bräutigam traut;

Und ich, der ins Gedränge Der Welt kam, — am Altar Bring heut' ich wieder Klänge, Die segnendsten, Euch dar.

Leipzig. Robert Schumann.“

In den Sommerferien 1827 machte Schumann zum erstenmale als sein eigner Herr eine große Reise — nach Leipzig, Dresden und Prag. Zugleich folgte er der Einladung des Dr. Carus zu einem Besuch in Colditz. Hoher Eindrücke voll kehrte er nach Zwickau zurück, wo dann im Nachklang der Lieder Schuberts, Spohrs und Wiedebeins, die ihn in Colditz entzückt hatten, die ersten eignen Liedercompositionen (auf Texte von Ernst Schulze und Byron) entstanden. Sein Trieb zu dichterischer Thätigkeit war jetzt entschieden zurückgetreten gegen die Neigung zum Musiciren. Am Clavier saß er täglich, phantasirte und erging sich mit Vorliebe in Schuberts A moll-Sonate, Bachs G dur-Variationen und Mendelssohns Fis moll-Capriccio. Mit Begeisterung gedenkt er in seinem Tagebuch des Mendelssohnschen Werkes, worin er einen ganz neuen Geist der Musik sprechen hörte.

Kurz vor seinem Abgange nach der Universität Leipzig (Ostern 1828) verfaßte er einen Auszug aus alten Tagebüchern unter dem Titel „Extrahirte Quintessenzen aus Jugendsünden oder richtige und verkehrte Meinungen des armen Studiosus Jeremias.“ Eine Stelle aus dem Jahre 1826 lautete: „Es gibt Stunden, wo alle Saiten unseres menschlichen Fühlens

{XIV} zu einem solchen weichen Moll-Accord gespannt, alle Gefühle bei allen verstockten und guten Sündern — denn das sind wir alle — zu einer solchen Wehmuth gestimmt werden, daß die rinnende Thräne mehr die der Trauer als die der Freude anzudeuten scheint. Sinne oft nach, welches der rührendste Moment, wo die verschiedenartigsten Gruppen der Freude und der Trauer, wo die göttlichsten Scenen des menschlichen Seins sich wahrhaft formen, wo alle mitfühlen müssen, weil sie alle betheiligt sind, wo sich die ganze Menschheit, Freudenthränen im Auge, umarmt, wo Jeder jenes große .Seid umschlungen, Millionen' zu fühlen, zu empfinden glaubt — welches dieser Augenblick sei.“ Beim Abschreiben dieser Stelle setzte er hinzu: „Klingt nach Jean Paul, aber er war mir da noch verhüllt, vielleicht daß ich ihn schon ahnte,“

Sein Reisetagebuch von 1827 überarbeitete er ebenfalls und nannte es „Jünglingswallfahrt“. Leider ist uns nur der Anfang davon erhalten, und gerade da, wo mit der Ankunft in Colditz die wichtigste Station erreicht war, bricht die lebendige Schilderung ab.*

Von den literarischen Arbeiten, zu denen Schumann während seiner Schulzeit herangezogen wurde, sind zunächst die „Bildnisse der berühmtesten Menschen aller Völker und Zeiten“ zu nennen, ein Lieferungswerk, das von 1818 bis 1828 in seines Vaters Verlage erschien, und dessen biographischer Text theilweise von Robert geschrieben worden ist. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß er poetische Beiträge für die von seinem Vater herausgegebenen „Erinnerungsblätter“ lieferte. In den letzten Jahren war er an der von seinem Bruder Karl in Schneeberg verlegten neuen Ausgabe von E. Forcellinis Totius latinitatis thesaurus beschäftigt. Er mußte „tüchtig mit corrigiren, excerpiren, aufschlagen, die Gruterischen Inscriptionen durchlesen,“ er hatte „die ganze Bibliothek durchstöbern müssen und viele ungedruckte Collectaneen von Gronow, Gräve, Scaliger, Heinsius, Barth, Daum etc. gefunden.“ „Die Arbeit ist interessant,“ setzt er in seinem Briefe an Flechsig hinzu, „man lernt viel daraus, und mancher Pfennig fließt mehr in die Tasche. Ich bekomme einen Thaler für jeden Druckbogen; übrigens arbeiten alle ausgezeichneten Philologen daran.“

Auch mit musik«philosophischen Untersuchungen muß sich Schumann schon während seiner Schulzeit befaßt haben. Er erwähnt das flüchtig in einem Briefe /Heidelberg den 9. November 1829) an Wieck. „Schon seit Jahren fing ich eine Ästhetik der Tonkunst an, die ziemlich weit gediehen war, fühlte hernach aber recht wohl, daß es mir an eigentlichem Urtheil und noch mehr an Objectivität fehlte, so daß ich hier und da fand, was Andere vermißten, und umgekehrt.“ Davon scheint aber nichts erhalten zu sein.

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  • Nach der Uebersiedlung des Dr. Carus nach Leipzig (1828), setzte Schumann den anregenden Verkehr in seinem Hause fort — wo man ihn nach wie vor mit dem Scherznamen „Fridolin“ nannte. Dem ihm so wohlwollend gesinnten Ehepaare verehrte er gleich nach der Veröffentlichung die Fis moIl-Sonate und die Kreisleriana — jetzt ein um so werthvollerer Besitz der Familie, als die ersten Ausgaben äußerst selten geworden sind.

{XV} Von Dichtungen aus Schumanns letzten Schuljahren sind zwei Gelegenheitsdrucke erhalten geblieben: Hochzeitsgedichte für seine Brüder Karl (22. April 1827) und Julius (15. April 1828). Als eines der zuletzt entstandenen wird „Tassos Tod“ genannt, das aber nicht mehr vorhanden ist.

Am 15. März 1828 bestand Schumann, noch nicht achtzehn Jahre alt, die Reifeprüfung mit dem Zeugniß eximie dignus und bezog die Universität Leipzig, um auf den Wunsch seiner Mutter Jura zu studiren, „innerlich aber fest entschlossen, ausschließlich Musik zu betreiben“.* Seinem Freunde G. Rosen (in Heidelberg) gesteht er in der ersten Zeit, noch keine Vorlesung besucht, „ausschließlich in der Stille gearbeitet, d. h. Clavier gespielt, etliche Briefe und Jean-Pauliaden geschrieben zu haben“. Unterm 13. Juni schreibt er der Mutter: „In einem benachbarten Dorfe Zweinaundorf, in der schönsten Umgebung von ganz Leipzig, bin ich oft ganze Tage allein gewesen und habe gearbeitet, gedichtet etc.“ In Heidelberg (Ostern 1829 bis Michaelis 1830) war es wohl nicht viel anders. Sein Studienfreund, der musikalisch sehr begabte August Lemke aus Danzig, sagt in seinen handschriftlichen Erinnerungen an Heidelberg, daß Schumann schon damals „seinen Beruf zum hervorragenden Musiker“ offenbart habe. „Im Concerte des Musikvereins erfreute er die Zuhörer durch glänzenden Vortrag der Variationen von Moscheles über den Alexandermarsch. Er schrieb damals die seinigen über das Thema: Abegg.** Nebenher trieb er literarische und dichterische Studien und erfreute in unsern Privatzusammenkünften mit Weber aus Triest, G. Rosen, Schrey und Leo Wolf uns durch lyrische und musikalische Ergüsse. Sein Charakter war ernst aber liebenswürdig, doch herrschte schon damals die Neigung zum Romantischen, zuweilen Exzentrischen bei ihm vor, und seine Lebensweise war nicht immer geregelt.“ Schumanns Briefe an seine Mutter berichten mehrfach über Dichtungen. So nach ihrem Geburtstage. „Ich wollte Dir einen ganzen Liederkranz widmen, bin aber nur bis zum vierten gekommen, will sie aber Dir nächstens schicken“ (4. December 1829). „Manchmal kommt auch wieder einmal ein Gedicht ans Leben; macht Dir’s Vergnügen, so schick' ich Dir hier und da eines“ (24. Februar 1830). „Meine Idylle ist einfach und zerfällt in Musik, Jurisprudenz und Poesie“ (1.Iuli).

In Leipzig, wohin Schumann Michaelis 1830 zurückgekehrt war, um sich nun ganz der Musik zu widmen, trat er 1831 zuerst als Kritiker auf mit der Anzeige der Chopinschen Variationen in Finks „Allgemeiner musikalischer Zeitung“. Darauf brachte Herloßsohns „Komet“ von 1832 und 1833 musikalische Aufsätze von ihm, das Leipziger Tageblatt von 1832 bis 1835 (und noch einmal 1840) einzelne Concertankündigungen

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    * Kastners biographischer Aufsatz. 
   ** Ein Stammbuchblatt Schumanns an Lemke enthält in zierlichster Kleinschrift das Abegg-Thema in Form von zwei Halbbogen, deren Basis die Clavierbegleitung auf je zwei Systemen bildet. Darüber steht: Je ne suis qu’un Songe“ und das Datum: „Heidelberg 29. Aug. 30.“

{XVI} oder Berichte. Die „Neue Zeitschrift für Musik“ trat am 3. April 1834 ins Leben, nachdem Schumann kurz vorher noch eine Nebenarbeit übernommen hatte: die musikalischen Artikel für Herloßsohns Damen-Conversationslexiton. Er schrieb dreiundsechzig kurze Artikel zu den Buchstaben A, B und C, Banck und Ortlepp lieferten die Fortsetzung. Die 1837 von R. Glaser begründete Prager Zeitschrift „Ost und West“ führte in ihren Ankündigungen unter den außerösterreichischen Mitarbeitern auch Schumann mit auf. In den ersten beiden Jahrgängen (die späteren waren mir nicht erreichbar) habe ich aber nichts von ihm auffinden können.

Im Jahre 1837 hatte Schumann schon einmal den Gedanken, seine musikalischen Aufsätze in Buchform herauszugeben. Unterm 18. Mai schrieb er an Zuccalmaglio, den „Dorfküster Wedel“ aus seiner Zeitschrift:i „Sodann hatte ich einmal bei Ihnen angepocht, ob wir nicht unsre frühern und zukünftigen Gedanken über Musik, Sie Ihre Wedeliana, ich meine Davidsbündlereien, in einem besondern Doppelwerke ediren wollten. Um manches wäre es schade, sollte es in einer Zeitschrift untergehen. Die Verleger wären nahe und meine Brüder, Es käme dann nur auf eine interessante Form der Verschmelzung an, und wir müßten uns darüber noch weiter verständigen. . . . Oft ist mir, als lebte ich nicht lange mehr, und so möchte ich noch einiges wirken.“ Der Gedanke wurde aber nicht verwirklicht.

Im folgenden Jahre brachte Schumann einen schon länger gehegten Plan zur Ausführung, zu dem ihn Erwägungen verschiedener Art drängten: nach Wien überzusiedeln und sich dort einen größern Wirkungskreis zu schaffen. Bereits im August 1836 hatte er an seinen Bruder Eduard geschrieben: „Wie fleißig ich bin, müßt Ihr an der Zeitschrift sehen. Doch brennt mir’s unter den Sohlen, und ich möchte weit weg. Von Haslinger (Musikalienhändler in Wien) hoffe ich alle Tage auf einen entscheidenden Brief.“ Es scheinen also schon damals Unterhandlungen deswegen angeknüpft worden zu sein; woran sie scheiterten, ist nicht bekannt. Jetzt kam das unerfreuliche Verhältniß zu Wieck hinzu, der seine Zustimmung zu der Verlobung Schumanns mit seiner Tochter verweigerte, und verleidete ihm den Aufenthalt in Leipzig. In Wien, wo seiner Meinung nach die Zeitschrift einen bedeutenden Aufschwung nehmen mußte, glaubte sich Schumann eine sichere Existenz gründen zu können; dann würde, wie er hoffte, der alte Papa „nach und nach schmelzen“, und „eines der herrlichsten Mädchen, das je die Welt getragen,“ sein werden. Schumann betrieb die Sache ganz im Geheimen, außer seinen nächsten Anverwandten hatte Niemand eine Ahnung von seinem Vorhaben, von dem, wie er zuversichtlich glaubte, sein ganzes zukünftiges Glück abhing. Sein Verhältniß zu Clara Wieck war öffentlich nicht bekannt; daß die Zeitschrift nach Wien verpflanzt werden sollte, hatte er in Leipzig nur R, Friese (dem Verleger) und Oswald Lorenz (dem stellvertretenden Redacteur) anvertraut. Um sich über die Wiener Verhältnisse, insbesondere über die zur Concessionsertheilung für die Zeitschrift notwendigen Schritte zu unterrichten, wandte er sich an den Staatskanzleirath Vesque von Püttlingen, der ihm

{XVII} denn auch in liebenswürdigster Weise entgegenkam. Ich theile aus den (ungedruckten) Briefen Schumanns an Vesque einige Auszüge mit. Schon sein erster Brief (vom 26. Mai 1838, ein Antwortschreiben auf Besques Zusendung von Liedern zur Besprechung in der Zeitschrift) deutet auf die Reise nach Wien hin. „Vielleicht daß mir endlich in diesem Jahre ein alter Lieblingswunsch in Erfüllung geht: mir Wien einmal ansehen zu dürfen. Erlauben Sie dann, hochgeehrtester Herr, mich Ihnen vorzustellen?“ Der zweite Brief, vom 15. Juli, legt den ganzen Plan dar, mit der Bitte um Verschwiegenheit, da die Frucht für die Öffentlichkeit noch nicht reif sei. „Besondere Verhältnisse (keine gefährlichen, eher freundlicher Natur) machen es nöthig, für die Zukunft meinen Herd in einer größeren Stadt aufzuschlagen. Wien liegt meinem Wirken am nächsten; nach kurzer aber reiflicher Erwägung habe ich mich für Ihr schönes Wien entschieden und vielleicht schon zum Schluß dieses Jahres die Freude, mich Ihnen persönlich vorstellen zu dürfen. Nun aber will ich meine mir ans Herz gewachsene Zeitschrift nicht aufgeben; im Gegentheil, sie soll mit mir, soll von Januar an in Wien erscheinen. Die Verlagsangelegenheiten werden bereits geordnet und in Kurzem geschlichtet sein. Wollen Sie, den ich als einen so freundlichen Beschützer der Kunst noch zuletzt von Fräulein Clara Wieck [habe] schildern hören, einem unerfahrenen Künstler, der noch nicht lange aus den Kinderschuhen, mit Ihrer Einsicht, Ihrem Rathe beistehen, welche Schritte er zunächst thun muß, wie die Erlaubniß zur Herausgabe der Zeitung in Österreich zu erlangen? Die Zeitschrift mag als eine jugendliche, unerschrockene, oft sehr strenge bekannt sein; indeß hat sie nie Politik u. dgl. berührt, als daß ich fürchten sollte, man würde ihrem Erscheinen in Wien Hindernisse von Seiten der Censur in den Weg legen. . . . Die Zeitung soll also vom Januar 1839 an in Wien erscheinen, ich selbst will Ende October hin. . . . Lassen Sie mir bald eine gütige Antwort zukommen, ich würde es Ihnen aus tiefstem Herzen danken. Die Zeit drängt mich etwas, und ich habe hier kein Bleibens mehr. — Wie ich mich auf Ihr schönes Wien freue, welche Aussichten sich mir durch diese Übersiedelung eröffnen, und wie durch den Umzug der Zeitung nordund süddeutsche Kunst sicherlich zu innigerem Bande verknüpft werden, über dies und manches Andere in meinem nächsten Briefe, wenn ich wieder schreiben darf.“ Nach dem Eintreffen von Besques Antwort schreibt Schumann am 26. August! „Den innigsten Dank für alle Auskunft, die mir Euer Hochwohlgeboren so schnell und bestimmt gegeben. Mein Plan reift mehr und mehr. Aber wo so viele Fäden abgerissen, so viele neue angesponnen werden müssen, bedarf es der Zeit und einer vorsichtigen Hand. Ich hoffe in diesen Tagen besondere Empfehlungen an den Hrn. Fürst Metternich und an Hrn. Graf Sedlnitzky zu erhalten, auch sonstige vom hiesigen Magistrat, und mache mich dann Ende September gleich selbst auf den Weg, um bei Schluß dieses Jahres im Reinen zu sein. Meine Zeit ist mir karg zugemessen; es wäre mir höchst traurig, wenn die Zeitung Anfang Januar nicht in Wien erscheinen könnte und ich wieder nach Leipzig zurückmüßte. Von einem unberechenbaren Einfluß und Nutzen für mich würde es wohl sein, wenn

{XVIII} Sie, hochgeehrtester Herr, sollten Sie dem Hrn. Grafen Sedlnitzky näher stehen, ihm etwa gelegentlich über mich, mein Vorhaben und Gesuch ein empfehlendes Wort sagen wollten, daß ich ihm nicht ganz Fremdling erscheine, daß er mich nicht in die gewöhnliche Journalistenclasse wirft. Vielleicht ist Ihnen das möglich.“ Unterm 5. August hatte Schumann auch noch Joseph Fischhof ins Geheimniß gezogen, der ihn ebenfalls mit Rath und That unterstützte und ihm die Wege ebnete.

So traf er denn Anfang October voll schöner Hoffnungen in Wien ein, wo er aber schon in den ersten Tagen über offne und geheime Gegner zu klagen sand. Auch behagte ihm Wiens geistige Atmosphäre nicht, und er gesteht sich ein, daß er „lange und allein da nicht leben möchte, wo ernstere Menschen und Sachen wenig gesucht und wenig verstanden werden“. Die erste, von der polizeilichen Censurbehörde an den „Ausländer“ gestellte Bedingung: daß sich ein österreichischer Verleger an die Spitze der Musikzeitung stellen müsse, war nicht zu erfüllen; die Verleger gingen nicht darauf ein, da sie, wie Schumann meinte, „für ihren Strauß, Proch etc. fürchteten“. Überhaupt rief das Vorgesühl, daß der eigentliche Zweck seiner Reise verfehlt war, und der schleppende Gang der Verhandlungen gleich Anfangs eine Verstimmung in ihm hervor, die ihm das Fremde doppelt fremd und im ungünstigsten Licht erscheinen ließ.“ „Ich passe nicht unter diesen Schlag Menschen, die Fadheit ist denn doch zu Zeiten zu mächtig. Doch wird genauere Bekanntschaft mit den Einzelnen von diesem Urtheil manches löschen,“ schreibt er am 19. October an Zuccalmaglio. Ende October zweifelt er schon, daß die Zeitschrift von Neujahr an werde erscheinen können, und er vertröstet sich auf den 1. Juli. „Hinge es von mir ab, morgen ginge ich nach Leipzig zurück,“ bekennt er seiner Schwägerin, „die Zeitung verliert offenbar, wenn sie hier erscheinen muß. Das thut mir sehr weh. Hab ich nur erst meine Frau, dann will ich alles vergessen, was mir die ganze Sache für Kummer und schlaflose Nächte gemacht.“ Seiner Braut klagt er: „Nur meine schöne Zeitung dauert mich. Nach allem, was ich bis jetzt erfahren und mit eigenen Augen gesehen, ist es (wegen des Niederdrucks von oben) kaum möglich, daß hier etwas Poetisches, Lebendiges, Offensinniges aufkommen könne. Nun bin ich dennoch entschlossen, wenn nicht bis zu Neujahr, so bis zu Juli 1839 die Zeitung hierher zu verlegen; ich will es versuchen wenigstens. Schneidet man mir aber zu sehr herum an meinen Flügeln, daß man mich am Ende in Leipzig und in Norddeutschland für feig und matt und verändert ausschilt, so weiß ich vor der Hand nicht, was dann Anfangen.“ An Vesque schrieb er im December: „Wenn, was Sie bis jetzt in der Zeitschrift über Turandot** gefunden, das ganze Resultat meines Durchlesens der Partitur wäre, so wär' es wenig genug. Es ist aber anders. Mit Fleiß und in Rücksicht auf meine jetzige Stellung erwähne ich nur die Data des hiesigen Musiklebens in möglichster Kürze.

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   * Kalbeck in seinem Aufsatz: „R. Schumann in Wien“. Wiener Allgem.Ztg. von 1880.
  ** Vesques (pseud. Hovens) Oper. N. Zeitschr. 1838, IX, 186.

{XIX} Außerdem hab' ich eine Reihe von größeren Briefen über die Wiener Zustände im Sinn und denke sie zu veröffentlichen, sobald ich nur die Concession zur Herausgabe in Händen hätte — das geht aber so langsam.“

Zu Anfang seines Wiener Aufenthalts hatte Schumann die Freude gehabt, mit einem Landsmann und Mitarbeiter der Zeitschrift, dem Weimarer Musikdirector Karl Montag, der sich kurze Zeit in Wien aufhielt, verkehren zu können. In einem (ungedruckten) Briefe an ihn vom 10. Januar 1839 heißt es: „Wie sehr hätte ich gewünscht, Sie hier behalten zu können, wo man die Künstler suchen muß wie die Ehrlichkeit auf der Welt! . . . Mein Urtheil über Wien fängt sich nach und nach zu ändern an. Das Kunsttreiben ist wenig nach meinem Geschmack; doch darf ich noch nicht öffentlich reden; später, wenn die Zeitschrift ganz hier erscheint, was wahrscheinlich bis Mitte des Jahres zu Stande zu bringen, werde ich wohl einmal hineinleuchten mit einem großen Schwerte. . . . Componirt hab' ich hier Manches, es ist aber kein Segen darauf; woran es liegt, weiß ich nicht. Vielleicht daran, daß ich noch nicht heimisch bin. Es spiegelt sich nun einmal Alles in meiner Musik ab! Allmählich findet sie auch hier Eingang; doch schwierig,“

Als Schumann immer mehr die Wahrnehmung machte, daß Wien nicht der geeignete Boden für sein Streben war, und daß er wie auch seine Zeitung „nicht dahin paßten“, faßte er endlich den Entschluß, nach Leipzig zurückzukehren. Seinen Unmuth über die Wiener Kunstverhältnisse sprach er in den letzten Wochen auch öffentlich aus. Zuerst in dem Paulus-Bericht vom 2. März,* dann in einer Correspondenz vom 5. April (1839, X, 152), worin er den in Wien allgemein bespöttelten Pianisten Micheuz (der sich beim Spielen auch des Ellbogens, als einer dritten Hand, bediente) in Schutz nahm. „Micheuz hat gespielt und ist theilweise leider ausgelacht worden. Aber Micheuz kann mehr als hundert andere, selbst berühmte Clavierspieler in Wien, und es ist schade um den Mann. Adle man ihn, hänge ihm einen Orden an, schicke ihn nach Paris und London, und der Mann wird mit Lorbeeren und Schätzen beladen zurückkommen; aber er hat von Jugend auf mit der bittersten Armuth kämpfen müssen, hat den Arm zweimal gebrochen, kurz, ist nie aus dem Elend herausgekommen, Micheuz hatte es freilich gleich von vornherein mit seinem Concert verdorben — durch seinen ellenlangen Concertzettel und die Ankündigung seines „Non plus ultra“ [„eine kurze Phantasie in drei- und vierhändigem Satze, componirt, in einer noch nie gehörten Manier seiner eignen Erfindung für das Pianoforte vorgetragen und allen Claviervirtuosen als ein musikalisches Souvenir gewidmet,“ wie das Curiosum bezeichnet war]. Und das war der Fehler; man behandelte ihn als einen Halbverrückten, und hätte er noch himmlischer gespielt, es würde ihm nichts geholfen haben. Schade um das ausgezeichnete Talent! Indeß tröste er sich über das Zischen und Lachen. Man hat hier schon Besseres ausgezischt und Schlechteres beklatscht.“

Hatte Schumann dem Wiener Kunstpublicum seine Meinung deutlich

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   * S. Bd. II, Seite 151.

{XX} genug ausgesprochen, so bekam’s die hohe Polizei- und Censurbehörde auf humoristische Weise von ihm. Er schlug ihr ein Schnippchen dadurch, daß er die damals in Wien verbotene Marseillaise in seinen „Faschingsschwank“ einschmuggelte.

Anfang April 1839 war Schumann wieder in Leipzig. Die Entfernung von der Zeitschrift war ihm „wohlthätig“ gewesen, wie er meinte; jetzt aber „lachte sie ihn wieder so jugendlich an“ wie zu der Zeit ihrer Gründung. Die Redaction nahm er sofort wieder auf. Daß es ihm nicht an Stoff zu Aufsätzen für die Zeitschrift fehlte, beweist sein „Projectenbuch“, worin u. a. folgende unausgeführt gebliebene Arbeiten angemerkt sind: „Briefe über Shakespeare als Musiker“; „Alphabetisch fortlaufende Biographieen aller ausgezeichneten Musiker, die kurz, aber scharf und blühend geschrieben sein müssen“; „Auf Cherubini wieder hinzuweisen“; „Die Haslingersche Ausgabe der Sonaten von Beethoven in einem schönen Aufsatz zu besprechen.“

Zur Vervollständigung der Reihe seiner Nebenarbeiten ist noch zu erwähnen, daß er in den Jahren 1840 und 1841 für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ die Concertberichte schrieb. Auch an der „Allgemeinen Wiener Musikzeitung“ scheint er Mitarbeiter gewesen zu sein, wenigstens nach der redactionellen Ankündigung des zweiten Jahrganges. Zuverlässiges darüber ist nicht festzustellen, da trotz vieler Bemühungen der Jahrgang 1841 nicht zu erlangen war. Nach Kastners Angabe war er auch Mitarbeiter an der Pariser Revue et Gazette musicale, doch hat dies eine Durchsicht der Jahrgänge 1834—1839 nicht bestätigt. Möglicherweise enthält der Jahrgang 1840 (aus dem ich nur den Kastnerschen Aufsatz besitze) Beiträge von ihm.

Nachdem Schumann die Redaction der Zeitschrift bis Ende Juni 1844 geführt hatte, gab er sie an Oswald Lorenz ab. Im Januar 1845 wurde Franz Brendel Eigenthümer und Redacteur. Daß Schumanns Interesse an der Zeitschrift und an der Kritik später noch dasselbe war, und daß er die langgewohnte Thätigkeit manchmal vermißte, geht aus der gesprächsweise hingeworfenen Aeußerung (die Brendel berichtet) hervor, daß er sich entschließen könnte, die Zeitschrift aufs Neue zu übernehmen.

Im März 1846 erbat sich Schumann von Härtel die Nummer der allgemeinen musikalischen Zeitung mit seinem ersten Chopinartikel; * „ich brauche sie gerade zu einer Arbeit, die ich jetzt vorhabe,“ schreibt er. Vielleicht beabsichtigte er schon damals eine Sammlung seiner kritischen Arbeiten. Aber erst sechs Jahre später kam dieser Gedanke zur Ausführung. In einem Briefe vom 3. Juni 1852, worin er Härtel den Verlag der gesammelten Schriften anträgt, heißt es: „Ich kam vor einiger Zeit ins Lesen alter Jahrgänge meiner musikalischen Zeitschrift. Das ganze Leben bis zur Zeit, wo Mendelssohn in hochster Blüthe wirkte, entfaltete sich immer reicher vor mir. Da fuhr es mir in den Sinn: ich wollte die zerstreuten Blätter, die ein lebendiges Spiegelbild jener bewegten Zeit geben, die auch manchem jüngeren Künstler lehrreiche Winke

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   * Bd. I, Seite 3.

{XXI} geben über Selbsterfahrenes und Erlebtes, in ein ganzes Buch sammeln zum Andenken an jene Zeit, wie auch an mich selbst. Schnell machte ich mich an die Arbeit, die eine bedeutende wurde wegen der großen Anhäufung des Materials. Nun habe ich sie so ziemlich beendet, kann das Ganze überschauen. Es würden nach meiner Schätzung etwa zwei Bände, jeder zu fünfundzwanzig bis achtundzwanzig Druckbogen werden...... Wegen des Honorars bin ich nicht im Zweifel, daß wir uns darüber verständigen, weiß ich nur einmal, daß Sie überhaupt aus den Antrag einzugehen gewillt sind,“ Nachdem Härtel den Verlag abgelehnt hatte, wandte sich Schumann am 17. November 1852 an Georg Wigand: „Ich habe, von vielen meiner Freunde dazu ausgefordert, meine literarischen Arbeiten über Musik und musikalische Zustände der letztvergangenen Zeit zusammengestellt, überarbeitet und mit Neuem vermehrt und möchte, was zerstreut und meistens ohne meine Namensunterschrist in den verschiedenen Jahrgängen der Neuen Zeitschrift für Musik erschienen, als Buch erscheinen lassen als ein Andenken an mich, das vielleicht Manchen, die mich nur aus meinem Wirken als Tonsetzer kennen, von Interesse sein würde. Es liegt mir nicht daran, mit dem Buche etwa Reichthümer zu erwerben;* aber daß es unter gute Obhut käme, wünschte ich allerdings. Aus der Beilage finden Sie eine genaue Angabe des Inhalts, wie ich Sie auch bitten würde, den beigelegten, das Buch einleitenden Worten eine Durchsicht zu gönnen.“

Wigand nahm den Verlag an.** Schumann setzte im folgenden Jahre die Redaction seiner Schriften fort. Im October 1853 wurde er noch einmal zu einer öffentlichen Kundgebung angeregt durch den Besuch des jungen Brahms in Düsseldors. Seinen Aufsatz „Neue Bahnen“*** sandte er vor dem Abdruck in der Neuen Zeitschrift erst Joachim zu.

Mit dieser Kundgebung fand Schumanns kritische Thätigkeit einen Abschluß, der ihrem Anfange schön entspricht. Wie das erste Wort des Jünglings, so sollte auch das letzte des Mannes ein Prophetenwort sein — dort galt es Chopin, hier Brahms.

Nach der Rückkehr von einer holländischen Reise am 22. Dec. 1853 legte Schumann die letzte Hand an die Gesammelten Schriften, deren Herausgabe in vier Bänden zur Ostermesse 1854 mit dem Verleger vereinbart war. „Es macht mir Freude, zu bemerken (schrieb er am 17. Jan. 1854 an Strackerjan), daß ich in der langen Zeit, seit über zwanzig Jahren, von den damals ausgesprochenen Ansichten fast gar nicht abgewichen bin. Ich hoffe, daß ich Ihnen diesmal von einer ganz neuen Seite bekannt werde.“

Von seinen Versen hat Schumann nur einzelne in der Zeitschrift veröffentlicht. Aus dem Jahre 1844 hört man von einer Dichtung über

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    * Schumann erhielt für die gesammelten Schriften ein Honorar von 100 Thalern. (Dagegen waren ihm nicht lange vorher die sechs Lieder op. 107 mit 120, die vier Märchenbilder op. 113 mit 200 Thalern bezahlt werden!)
   ** Im Jahre 1883 erwarben Breitkopf und Härtel das Verlagsrecht. 
  *** Bd. II, Seite 484.

{XXII} den Kreml. Er schrieb gelegentlich gern Gedichte, namentlich zum Geburtstage Claras regelmäßig. Sein Sinn für die Dichtkunst gab sich ferner in dem feinen Verständniß kund, mit dem er die Mottos in der Zeitschrift und die Texte seiner Lieder auswählte. Auch ging daraus eine unvollendet gebliebene Arbeit hervor, die in seine letzte Düsseldorfer Zeit fällt. Schon in frühern Jahren beabsichtigte er eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller dichterischen Aussprüche über Musik von der ältesten bis auf die neuste Zeit. Er hatte für diese Sammlung — die er „Dichtergarten“ nannte — bereits Auszüge aus Shakespeare und Jean Paul gemacht. Nun wollte er auch die Bibel, sowie die griechischen und lateinischen Klassiker zu diesem Zweck durchforschen. Joachim meldete er unterm 6. Februar 1854: „In der Zeit Hab ich immer wieder an meinem Garten gearbeitet. Er wird immer stattlicher: auch Wegweiser habe ich hier und da hingesetzt, daß man sich nicht verirrt, d. h. aufklärenden Text. Jetzt bin ich in die uralte Vergangenheit gekommen, in Homer und das Griechenthum. Namentlich im Plato habe ich herrliche Stellen entdeckt.“

Aber der mit so viel Liebe gehegte Plan sollte nicht mehr ausgeführt werden. Schumanns geistiger Zustand verschlimmerte sich zusehends. Nicht ohne Bewegung kann man seine letzten Worte an Joachim lesen: „Nun will ich schließen. Es dunkelt schon.“ Ja, es dunkelte, und bald brach die Nacht über ihn herein. Die schon seit längerer Zeit bemerkten vereinzelten Anzeichen von Geisteskrankheit hatten die Besorgniß der Aerzte erregt; in den letzten Wochen steigerten sie sich in der traurigsten Weise. Schumann glaubte fortwährend Musik zu hören, bald Engelmusik, bald das Toben der Hölle. Einmal erzählte er, ihm sei ein von Franz Schubert gesendeter Engel erschienen und habe ihm die Melodie vorgesungen, über der jener gestorben sei, mit dem Auftrag, sie aufzuzeichnen, was auch geschehen sei.

Es war am 27. Februar, als er, von einem seiner qualvollen Angstzustände erfaßt, sich der sorgsamen und liebevollen Aufsicht, unter der er gehalten wurde, zu entziehen wußte, auf die Rheinbrücke ging und sich in die eisigen Fluthen stürzte. Er wurde trotz seiner heftigen Gegenwehr gerettet, um — einem traurigen und trostlosen Dasein wiedergegeben zu werden. Am 4. März nahm ihn die Heilanstalt des Dr. Richarz zu Endenich bei Bonn auf.

Der Ausbruch der Krankheit war mit dem Beginn des Druckes der gesammelten Schriften zusammengefallen. Im Mai kamen sie zur Versendung. Der Verleger machte in einem vorgehefteten Zettel bekannt, daß die Herausgabe bereits im vorigen Jahre mit Schumann verabredet, und daß die Auswahl und Redaction ganz von ihm vollendet gewesen sei, als der Druck begonnen habe. Schumanns Redaction war aber nicht ganz vollendet, denn eine Correctur der Druckbogen hat er nicht gelesen.

      Verden, im October 1891.  

{{Right|F. Gustav Jansen.

{XXIII} Einleitendes.

Zu Ende des Jahres 1833 fand sich in Leipzig, allabendlich und wie zufällig, eine Anzahl meist jüngerer Musiker zusammen, zunächst zu geselliger Versammlung, nicht minder aber auch zum Austausch der Gedanken über die Kunst, die ihnen Speise und Trank des Lebens war, — die Musik. Man kann nicht sagen, daß die damaligen musikalischen Zustände Deutschlands sehr erfreulich waren. Auf der Bühne herrschte noch Rossini, auf den Clavieren fast ausschließlich Herz und Hünten. Und doch waren nur erst wenige Jahre verflossen, daß Beethoven, C. M. von Weber und Franz Schubert unter uns lebten. Zwar Mendelssohns Stern war im Aufsteigen und verlauteten von einem Polen Chopin wunderbare Dinge, — aber eine nachhaltigere Wirkung äußerten diese erst später. Da fuhr denn eines Tages der Gedanke durch die jungen Brauseköpfe: laßt uns nicht müßig zusehen, greift an, daß es besser werde, greift an, daß die Poesie der Kunst wieder zu Ehren komme. So entstanden die ersten Blätter einer neuen Zeitschrift für Musik. Aber nicht lange währte die Freude festen Zusammenhaltens dieses Vereins junger Kräfte. Der Tod forderte ein Opfer in einem der theuersten Genossen, Ludwig Schunke. Von den andern trennten sich einige zeitweise ganz von Leipzig. Das Unternehmen stand auf dem punct, sich aufzulösen. Da entschloß sich Einer von ihnen, gerade der musikalische Phantast der Gesellschaft, der sein bisheriges Leben mehr am Clavier verträumt hatte als unter Büchern, die Leitung der Redaction in die Hand zu nehmen, und führte sie gegen zehn Jahre lang bis zum Jahre 1844. So entstand eine

{XXIV} Reihe Aufsätze, aus denen diese Sammlung eine Auswahl gibt. Die meisten der darin ausgesprochenen Ansichten sind noch heute die seinigen. Was er hoffend und fürchtend über manche Kunsterscheinung geäußert, hat sich im Laufe der Zeit bewahrheitet.

Und hier sei noch eines Bundes erwähnt, der ein mehr als geheimer war, nämlich nur in dem Kopf seines Stifters existirte, der Davidsbündler. Es schien, verschiedene Ansichten der Kunstanschauung zur Aussprache zu bringen, nicht unpassend, gegensätzliche Künstlercharaktere zu erfinden, von denen Florestan und Eusebius die bedeutendsten waren, zwischen denen vermittelnd Meister Raro stand. Diese Davidsbündlerschaft zog sich wie ein rother Faden durch die Zeitschrift, „Wahrheit und Dichtung“ in humoristischer Weise verbindend. Später verschwanden die von den damaligen Lesern nicht ungern gesehenen Gesellen ganz aus der Zeitnng, und von der Zeit an, wo sie eine „Peri“ in entlegene Zonen entführte, hat man von schriftstellerischen Arbeiten von ihnen nichs wieder vernommen.

Möchten denn diese gesammelten Blätter, wie sie eine reichbewegte Zeit wiederspiegeln, auch dazu beitragen, die Blicke der Mitlebenden auf manche von der Fluth der Gegenwart beinahe schon überströmte Kunsterscheinung zu lenken, so wäre der Zweck der Herausgabe erfüllt.

Wenn übrigens in der Reihenfolge der Aufsätze die chronologische Ordnung aufrecht erhalten ist, so wird gerade dies ein Bild des wachsenden, sich immer mehr steigernden und klärenden Musiklebens jener Jahre vor die Augen führen. {{Right|[Robert Schumann.]

{XXV} [Inhalt weggelassen]


[Verzeichniß der besprochenen Werke. XXX-XLVI [ausgelagert ans Ende des Manuskripts]

{1}

1831, 1832 und 1833.

{2} [Leerseite]

{3}

Ein Werk II.

Eusebius trat neulich leise zur Thür herein. Du kennst das ironische Lächeln aus dem blassen Gesichte, mit dem er zu spannen sucht. Ich saß mit Florestan am Clavier. Florestan ist, wie du weißt, einer von jenen seltenen Musikmenschen, die alles Zukünftige,* Neue, Außerordentliche wie voraus ahnen. Heute stand ihm aber dennoch eine Ueberraschung bevor. Mit den Worten: „Hut ab, ihr Herren, ein Genie,“ legte Eusebius ein Musikstück auf. Den Titel durften wir nicht sehen. Ich blätterte gedankenlos im Heft; dies verhüllte Genießen der Musik ohne Töne hat etwas Zauberisches. Ueberdies, scheint mir, hat jeder Componist seine eigenthümlichen Notengestaltungen für das Auge: Beethoven sieht anders aus auf dem Papier als Mozart, etwa wie Jean Paulsche Prosa anders als Goethesche. Hier aber war mir’s, als blickten mich lauter fremde Augen, Blumenaugen, Basiliskenaugen, Pfauenaugen, Mädchenaugen wundersam an: an manchen Stellen ward es lichter — ich glaubte Mozarts »Là ci darem la mano« durch hundert Accorde geschlungen zu sehen, Leporello schien mich ordentlich wie anzublinzeln und Don Juan flog im weißen Mantel vor mir vorüber. „Nun spiel’s,“ meinte Florestan.** Eusebius gewährte; in eine Fensternische gedrückt hörten wir zu. Eusebius spielte wie begeistert

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       * Erste Lesart: „die alles Zukünftige, Neue, Außerordentliche schon wie lange vorher geahnt haben; das Seltsame ist ihnen im andern Augenblicke nicht seltsam mehr; das Ungewöhnliche wird im Moment ihr Eigenthum. Eusebius hingegen, so schwärmerisch als gelassen, zieht Blüthe nach Blüthe aus; er faßt schwerer, aber sicherer an, genießt seltener, aber langsamer und länger; dann ist auch sein Studium strenger und sein Vortrag im Clavierspiele besonnener, aber auch zarter und mechanisch vollendeter, als der Florestans.“ —
      ** Ursprünglich: „Nun spiel’s,“ meinte Florestan lachend zu Eusebius, „wir wollen dir die Ohren und uns die Augen zuhalten.“

{4} und führte unzählige Gestalten des lebendigsten Lebens vorüber; es ist, als wenn die Begeisterung des Augenblicks die Finger über das gewöhnliche Maß ihres Könnens hinaushebt. Freilich bestand Florestans ganzer Beifall, ein seliges Lächeln abgerechnet, in nichts als in den Worten, daß die Variationen etwa von Beethoven oder Franz Schubert sein könnten, wären sie nämlich Clavier-Virtuosen gewesen — wie er aber nach dem Titelblatte fuhr, weiter nichts las als: »Là ci darem la mano, varié pour le Paino par Frédéric Chopin, Oevre 2« und wir beide verwundert ausriefen: „Ein Werk 2“, und wie die Gesichter ziemlich glühten vom ungemeinen Erstaunen, und außer etlichen Ausrufen wenig zu unterscheiden war als: „Ja, das ist einmal wieder etwas Vernünftiges — Chopin — ich habe den Namen nie gehört — wer mag es sein — jedenfalls ein Genie — lacht dort nicht Zerline oder gar Levorello“ — — so entstand freilich eine Scene, die ich nicht beschreiben mag. Erhitzt von Wein, Chopin und Hin- und Herreden gingen wir fort zum Meister Raro, der viel lachte und wenig Neugier zeigte nach dem Werk 2, „denn ich kenn' euch schon und euren neumodischen Enthusiasmus — nun, bringt mir nur den Chopin einmal her.“ Wir versprachen’s zum andern Tag. Eusebius nahm bald ruhig gute Nacht, ich blieb eine Weile bei Meister Raro; Florestan, der seit einiger Zeit keine Wohnung hat, flog durch die mondhelle Gasse meinem Haufe zu. Um Mitternacht fand ich ihn in meiner Stube auf dem Sopha liegend und die Augen geschlossen. „Chopins Variationen“, begann er wie im Traume, „gehen mir noch im Kopfe um: gewiß“, fuhr er fort, „ist das Ganze dramatisch und hinreichend Chopinisch;* die Einleitung, so abgeschlossen sie in sich ist — (kannst du dich auf Leporellos Terzensprünge besinnen?) — scheint mir am wenigsten zum Ganzen zu passen; aber das Thema — (warum hat er es aber aus B geschrieben?) — die Variationen, der Schlußsatz und das Adagio, das ist freilich etwas — da guckt der Genius aus jedem Tacte. Natürlich, lieber Julius, sind Don Juan, Zerline, Leporello und Masetto die redenden Charaktere, — Zerlinens Antwort im Thema ist verliebt genug bezeichnet, die erste Variation wäre vielleicht etwas vornehm und kokett zu nennen — der spanische Grande schäkert darin sehr liebenswürdig mit der Bauernjungfer. Das gibt sich jedoch von selbst in der zweiten, die schon viel vertrauter, komischer, zänkischer ist,

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     * Ausgelassen: „obgleich ich Paganinischen Vortrag und Fieldschen Anschlag in Eusebius' Spiel vermißt habe;“

{5} ordentlich als wenn zwei Liebende sich haschen und mehr als gewöhnlich lachen. Wie ändert sich aber alles in der dritten! Lauter Mondschein und Feenzauber ist darin; Masetto steht zwar von ferne und flucht ziemlich vernehmlich, wodurch sich aber Don Juan wenig stören läßt. — Nun aber die vierte, was hältst dn davon? — (Eusebius spielte sie ganz rein) — springt sie nicht keck und frech und geht an den Mann, obgleich das Adagio (es scheint mir natürlich, daß Chopin den ersten Theil wiederholen läßt) aus B moll spielt, was nicht besser passen kann, da es den Don Juan wie moralisch an sein Beginnen mahnt. Schlimm ist’s freilich und schön, daß Leporello hinter den Gebüschen lauscht, lacht und spottet, und daß Hoboen und Clarinetten zauberisch locken und herausquellen, und daß das aufgeblühte B dur den ersten Kuß der Liebe recht bezeichnet. Das ist nun aber alles nichts gegen den letzten Satz — hast du noch Wein, Julius? — das ist das ganze Finale im Mozart — lauter springende Champagnerstöpsel,* klirrende Flaschen — Leporellos Stimme dazwischen, dann die fastenden, haschenden Geister, der entrinnende Don Juan — und dann der Schluß, der schön beruhigt und wirklich abschließt.“ Er habe, so beschloß Florestan, nur in der Schweiz eine ähnliche Empfindung gehabt wie bei diesem Schluß. Wenn nämlich an schönen Tagen die Abendsonne bis an die höchsten Bergspitzen höher und höher hinaufklimme und endlich der letzte Strahl verschwinde, so träte ein Moment ein, als sähe man die weißen Alpenriesen die Augen zudrücken. Man fühle nur, daß man eine himmlische Erscheinung gehabt. ** „Nun erwache aber auch du zu neuen Träumen, Julius, und schlafe!“ — „Herzens-Florestan“, erwiederte ich, „diese Privatgefühle sind vielleicht zu loben, obgleich sie etwas subjectiv sind; aber so wenig Absicht Chopin seinem Genius abzulauschen braucht, so beug' ich doch auch mein Haupt solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft.“ Hierauf entschliefen wir.1 {{Right|Julius. {{Right|[Allgem. musikalische Zeitung. 1831 vom 7. December.] ________________

     * „Das Ganze geht aus Champagner“ war noch in Klammern hinzugesetzt.
    ** Ursprünglich: Wenn »nämlich an schönen Tagen die Abendsonne bis an die Gletscherspitzen roth und rosa hinaufklimme, dann zerflattere und zerfliege, so läge über alle Berge und Thäler ein leiser Duft, aber der Gletscher stünde ruhig, kalt und fest, wie ein Titane da, wie aus Träumen erwacht. — „Nun erwache u. s. w.
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{6 * Reminiscenzen aus Clara Wiecks letzten Concerten in Leipzig.

Das Ungewöhnliche setzt uns in Erstaunen, wenn wir ihm nahe stehen, allein die Gewalt des Augenblicks hindert uns immer, die Ursache von der Wirkung zu unterscheiden. Mit der Ferne kehrt das Bewußtsein zurück. Wie indessen der Sonnenstrahl, ungeschwächt an Kraft, zu den entlegenen Polen eilt und der verminderte Glanz der befruchtenden Wärme keinen Eintrag thut, so kann es dem wahren Künstler eben so wenig Nachtheil bringen, wenn wir außerhalb der Werkstätte seiner Schöpfungen mit ihm in Verkehr treten und aus den Brennspiegel der Empfindung die Reflexe des äußern Lebens fallen lassen.

Das richtige Urtheil hat die Erfahrung zur Mutter, und parteilose Vergleiche führen zu einer klaren Anschauung. Als ich daher Clara gehört* und mir Rechenschaft geben wollte von ihren Leistungen, trat ich mit ihr in das Atelier der Belleville.**

Sie sind verschiedene Meister aus verschiedenen Schulen; zu einander gestellt, gehört jene der deutschen, diese der französischen an. Das Spiel der Belleville ist bei Weitem technisch-schöner; bei ihr erscheint jede Passage als ein Kunstwerk aus dem Ganzen, bis ins Feinste ausgearbeitet, bei Clara als eine verschlungene Arabeske, aber mehr speciell oder charakteristisch. Dagegen fehlen Jener vielleicht die zauberischen Mitteltinten der Nebenstimmen. Denn wie die Bässe die tragenden Wurzeln sein sollen, von den andern Stimmen durchsichtig überhangen, nicht verdeckt — so verzweigen sie sich bei Clara durch das Ganze. Der Ton der Belleville schmeichelt dem Ohre, ohne mehr in Anspruch zu nehmen, der der Clara senkt sich ins Herz und spricht zum Gemüth. Jene ist dichtend, diese das Gedicht. Die Schranken, welche sich erstere einmal gesetzt, darf sie niemals überschreiten ohne den Verlust des Beifalls, den das Talent stets sichert; außerhalb ihrer Grenzen würde der Kunstapparat seine Wirkung verfehlen. Dem Genie stehen Freiheiten zu, welche man dem Talent verweigert. — Nur um die Perle zu gewinnen, sucht man die gefahrvollen Tiefen des Meeres auf. Das ist eben der Fluch des Talents, daß es, obgleich sicherer

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      * Am 9. und 31. Juli 1832.
    ** Fräulein v. Belleville, Pianistin aus München.

{7} und anhaltender sich fortarbeitend und bildend, endlich an dem Grenzstein seines Ziels stehen bleiben muß, während das Genie leicht aus der Spitze des Ideals schwebt und sich oben lächelnd umsieht.

Das Schöne in seiner ganzen Würde und Herrlichkeit auftreten zu sehen, welche günstigen Umstände müssen sich dabei vereinigen! Wir fordern dazu große, tiefe Intention, Idealität eines Kunstwerks, Enthusiasmus des darstellenden, Virtuosität der Leistung, harmonisches Zusammenwirken wie aus einer Seele, inneres Verlangen und Bedürsniß des Genießenden, momentan günstige Stimmung des Gebenden und Empfangenden, glückliche Constellation der Zeitverhältnisse und Interesse im Allgemeinen so wie des specielleren Augenblicks, der räumlichen und andern Nebenumstände, Mittheilung des Eindrucks, der Gefühle, Ansichten u. s. w. — Wiederspiegelung der Kunstfreude im Auge des Andern. Ist ein solches Zusammentreffen nicht ein Wurf mit sechs Würfeln von sechsmal sechs?

Das Concert von Pixis* war ein Orangenstrauß in Claras Hand. Mad. F... sagte zum Dr. H... mit einer Rose, Clara mache in den Herzschen Variationen zu viel Verzierungen, die ja nicht einmal dort ständen. — „Wie wenig verschlägt’s,“ antwortete dieser, „ob die Coquette eine Blume mehr oder weniger empfängt“ — und sah dabei Mad. F. scharf an, die ganz in todten Blumen saß.

Herr C..., ein Freund von dunklen Partien, meinte: Die Symphonie von Hesse** hätte zu viel lichte. Manier mißfiele schon am Original (Spohr), geschweige die nämliche am Copirenden, dennoch wäre schöne Anordnung des Ganzen und gesunde Ausführung der Theile sehr zu loben. Was Chopins Variationen anlange, so seien dieselben ein nicht ohne Genie geschriebenes Werk, das aber immerdar Mannesspeise bleiben müsse, von Weibern weder zubereitet noch genossen werden könne und daher vom Publicum auch nur äußerlich begriffen worden wäre. — „Der gemeine Gedanke, wird er wahr und einsach ausgesprochen, beleidigt an sich nicht, aber der verblümte, zugestutzte, der mehr und heiliger sein will.“ 2 — Das Letzte sollte wohl aus die Herzschen Adagios gehen?

Das Unglück des Nachahmers ist, daß er nur das Hervorstechende des Originals sich anzueignen, das Eigentlich-Schöne aber nachzubilden aus natürlicher Scheu sich nicht getraut. Aus Claras Bildung

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       * Op. 100. 
      ** 2. Symphonie (in D) Op. 28.

{8} ist ein Einfluß von Paganinis Kunstansicht nicht zu verkennen, und jene gefährliche Stelle von ihrem Lehrer oder aus eigenem Triebe glücklich vermieden worden. Es ist gewiß schwer, jede Erscheinung an ihre Stelle zu setzen und selber unverrückt zu bleiben. — Eine Geschichte ihrer Bildung müßte interessant und von Nutzen für Musiklehrer sein. Ohne sie genauer zu kennen, möchten wir nach dem Resultate den Schluß ziehen: Kleinlichkeit und Mechanismus der Gesinnung sind Hemmschuhe auf ebenem Wege. In jedem Kinde liegt eine wunderbare Tiefe; trübe und verflache man nur diese nicht. Dem Demant verzeiht man gern seine Spitzen; es ist aber sehr kostbar, sie abzurunden. — Clara zog frühzeitig den Isisschleier ab; das Kind sieht ruhig in das Strahlenmeer, der ältere Mensch würde am Glanze erblinden.

Soll mich das musikalische Kunstwerk befriedigen, so fordere ich ein Gefühl jenem gleich, wenn man in ein neues, hohes, fremdes Haus tritt — mit glänzenden Statuen im Vorsaal — alles wie noch nicht gesehen und doch bekannt und wie schon früher geahnet.

Man meint Goethesche Sentenzen auch machen zu können, allein der Ungebildete wird durch die nur dem Genie eigene Leichtigkeit an der Größe des Werthes irre. Es gibt indessen auch Genies der Schwere (Bach, Klopstock).

Das Debüt der Sängerin Livia Gerhardt* in Claras erstem Concerte darf ich nicht übergehen. Außer dem schönen, natürlichen Vortrage und der leicht ansprechenden Stimme (wie man von der Harmonika sagt, daß sie anspricht) war ein rechter Fleiß und ein gewisses warmes, auf den Zuhörer übergehendes Interesse für die erwählte Kunst sichtbar. Möchten doch alle Sängerinnen durch die Schule des deutschen Liedes in die italiänische übergehen. — Bei solchen Künstlerinnen, welche auswanderten, ehe sie in dem Vaterlande einheimisch geworden, war mir’s oft, als hörte ich Sänger in Stiefel und Sporen, statt Sängerinnen.

Clara Wieck hat binnen drei Wochen ein Concert von Pixis, die Don Juan-Variationen von Chopin, Bravour-Variationen von Herz, Op. 20, die Sentinelle von Hummel, Op. 51, Duo von Bériot und Herz, die Polonaise aus dem Es dur-Concert von Moscheles und Herz Op. 48 öffentlich gespielt.

Mehr oder weniger errang sie sich in jeder dieser Leistungen einen

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        * Sie hatte bei ihrem ersten Auftreten soeben das fünfzehnte Lebensjahr angetreten, Clara stand noch im dreizehnten Jahre.

{9} verdienten Beifall, und wenn ihrem Spiele nicht allein mechanische Kunstfertigkeit zum Grunde liegt, sondern ihr eigener Genius selbstgetriebene Blüthen darüber streut, so verdient dies und die Eigenthümlichkeit, alles frei aus dem Gedächtnisse zu spielen, um so mehr Anerkennung und Bewunderung,

Wie Thibaut Palestrina den Engel unter den Tonkünstlem nennt, so ist es unter den Clavierconcerten das Fieldsche in As dur — die ich überhaupt die Mondscheintonart nennen möchte. Aber der Mensch hat nicht alle Tage Kraft zum Abspiegeln und Auffassen des Außergewöhnlichen (daran erkennt man es eben), eher zum Oberflächlichen, wie z. B. Herzischer Compositionen, denen nichts fehlt als das gleiche Wort*, und es dürfte dieses Musikstück Clara Wieck am wenigsten gelungen sein.

Der spielende Zufall wollte, daß alle Compositionen des zweiten Concerts von noch lebenden Componisten waren — Field, Spohr, Hummel, Moscheles, Dorn, Otto, Eichler, Herz.

Die komischen Quartette vom Fünften und ein ernstes vom Sechsten sind sicher aufzuzeichnen. Vom Sechsten wundert’s mich, daß er nicht an etwas geht, das die Kräfte mehr verflicht und erhöht. Wie die Malerschule den Landschaftsmalern nicht ein rechtes Bürgerrecht einräumen will, so dürfen wir es den Gesangscomponisten, wenn sie nur dieses sind, eben so wenig. Ich bin weit entfernt, die Symphonie unter die Oper zu stellen. Und dann ist’s nicht gut, wenn der Mensch in einer Sache zu viel Leichtigkeit erlangt hat.

Das Divertissement** von Eichler war mehr als dieses, und ein rechter Vollgenuß. Alles war meisterlich, muthig und belebt. {{Right|R, W. {{Right|[C. Herloßsohns „Komet“ 1832 August.]

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          * nämlich Herz. 
         ** für Violine.
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{10} * Die Davidsbündler.

Mitgetheilt von S*.

I. Leipziger Musikleben.3

Erster Artikel.

Ein Fenster ward über mir hastig zugeworfen, hinter dem ich im Halbschatten einen scharfen, schiefnasigen Schwedenkopf erkannte. Als ich eben aufsah, flog und spielte mir etwas wie feinduftendes Blätterlaub um die Schläfe: heruntergeworfenes Papiergeschnitzel war’s. Aber wie angewurzelt las ich zu Haufe auf einem in stärkeres Papier gewickelten Blatte folgendes:

Unsere italiänischen Nächte währen fort. Der Himmelsstürmer Florestan ist seit einiger Zeit stiller denn je und scheint etwas im Sinne zu haben. Eusebius ließ aber neulich ein paar Worte fallen, die den Alten wieder in ihm weckten. Jener sagte nämlich nach Lesung einer Irisnummer*: Er macht’s aber zu arg. — Wie? Was? Eusebius, fuhr hier Florestan auf, Rellstab machte es zu arg? Soll denn diese verdammte deutsche Höflichkeit Jahrhunderte fortdauern? Während die literarischen Parteien sich offen gegenüberstehen und befehden, herrscht in der Kunstkritik ein Achselzucken, ein Zurückhalten, das weder begriffen noch genug getadelt werden kann. Warum die Talentlosen nicht geradezu zurückweisen? Warum die Flachen und Halbgesunden nicht aus den Schranken werfen sammt den Anmaßenden? Warum nicht Warnungstafeln vor Werken, die da aufhören, wo die Kritik anfängt? Warum schreiben die Autoren nicht eine eigene Zeitung gegen die Kritiker und fordern sie auf, gröber zu sein gegen die Werke? Hat nur einer angefangen einzuschlagen und zu decimiren, so seid ihr außer euch. Ist denn die Waffe, mit der jener Ehrenfeste**angreift, der Spott, der nur verwundet, nicht tödtet, nicht noch gut genug für eine Klasse, die mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden muß? Sind denn überhaupt edlere Thiere nicht leichter zu vertilgen als gemeine — ich bitte dich, Eusebius! Aber nun wird es einmal Zeit, aufzustehen gegen

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         * Rellstabs Musikzeitung „Iris“. 
        ** Rellstab.

{11} das Schutz- und Trutzbündniß, das die Gemeinheit mit dem Trotze geschlossen hat, ehe es über uns zusammenwächst und dem Jammer gar kein Ende abzusehen ist. Aber was meint ihr, Meister Raro?

Du kennst Raros greifenden [?] Sprachstil, durch den italiänischen Accent noch fremder gemacht, wie er ordentlich fugenartig Satz an Satz reiht, auseinanderlegt, wieder verschränkt, noch enger führt, am Schlusse noch einmal alles zusammenfaßt und zu sagen scheint: das wollt ich.

Florestan, erwiederte der Meister, ihr sprecht wahr, obgleich ich eure Ausdrucksweise nicht billige. Ziehet die Maske ab, wo es auf die höchsten Güter und Fähigkeiten des Geistes ankommt! Ich nehme die einzelnen Hohen aus — sie wissen vielleicht nicht einmal, daß sie gemeint sind. Aber welche Zeit! Reizt das Natürliche noch? ist’s nicht der Putz, das Verhüllte? Rührt das Große noch? muß es nicht prächtig sein? Bleibt nicht das Studium auf halbem Wege stehen, um gleich nach dem Letzten zu greifen? gibt sich nicht eine Geheimnißthuerei den Schein des —. Hier war das Blatt abgerissen; auf der Rückseite stand aber:

Finder! Zu Gutem und Großem bist du erkoren! Davidsbündler sollst du werden, die Geheimnisse des Bundes der Welt übersetzen, d. i. des Bundes, der da todtschlagen soll die Philister, musikalische und sonstige! Hier weißt du alles — handle nun! Ordne jedoch keineswegs kleinstädtisch, sondern giebs recht kraus und verrückt!

Meister Raro, Florestan, Eusebius, Friedrich, Bg., St., Hf., Knif, Balkentreter an St. Georg.4

Göttlich! war meine ganze innere Antwort, entzückt, daß ich in fremde Namen gewickelt meine eignen herrlichen Gedanken glücklich einschmuggeln konnte. Ich konnte mich kaum enthalten, weiter zu ziehen:

38ste Sitzung des Davidsbundes. — Schon die Zeitnähe beider Concerte* bringt auf Vergleiche, die interessant ausfallen könnten, da beide denselben Musiksatz desselben Componisten, der auch sein Spieler war, gewählt hatten, wäre nicht manchem Charakter jedes Suchen der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zuwider. Selten und glücklich das jugendliche Talent, an das schon nicht mehr der Maßstab des Alters, sondern der der Leistung gelegt zu werden braucht, wenn sich auch vielleicht über die Knospe mehr sagen läßt als über die Blüthe,

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       * Clara Wieck hatte am 29. April, Kalkbrenner am 11. Mai I833 Concert gegeben; beide hatten das A moll-Concert von Kalkbrenner W. 107 (Clara nur den ersten Satz) gespielt.

{12} über das Strebende mehr als über das Vollendete (gibt es überhaupt eines in der Kunst), da jenes noch die Hoffnung der Zukunft einschließt. Lächerlich aber wäre es, an Virtuosen wie an Kalkbrenner oder Clara Wieck etwas aussetzen zu wollen, erstens weil es Niemand glauben würde, zumal in Leipzig, das wohl berühmte Namen berühmter macht, unberühmte jedoch tiefer eingräbt als Rußland seine Künstler (musikalische sowohl als demagogische), sodann weil nichts auszusetzen ist, obgleich es Unvernünftige genug gibt, die von Moscheles etwa fordern, er möge doch merken lassen, daß er auch Hummelsche, Fieldsche Spielart kenne, oder von Kalkbrenner meinen, er leiste allerdings Menschenmögliches, aber es verlange einen einmal nach alter, echter Kost, nach Händelschen, Bachischen Clavierconcerten u. dergl. {{Right|E[usebius].

Und dann (was aus dem Vorigen folgt) ergreife nur der Mensch etwas recht und lange, einen einzigen Theil der Kunst oder einen der Wissenschaft selbst bei Gefahr der Einseitigkeit (diese und Flachheit findet man selten beisammen) und bilde, verarbeite, veredle, virtuosire diesen einen, so ist er des Sieges gewisser als der Unglückliche, der bei vielleicht höherem Genius unter Kolossen ungekannt zusammenstürzt, {{Right|R[aro].

Ich mag den Menschen nicht, dessen Leben mit seinen Werken nicht im Einklang steht. {{Right|Bg. [Bergen].

Kein Mensch kann den eignen in seinen Werken treuer copiren als Kalkbrenner. So fein, ungezwungen, geistreich, liebenswürdig, wie er sich im Umgang gibt, zeichnet er auch seine Tonbilder; selbst die Kraftstellen in seinen Compositionen wie in seinem Spiele sind kaum mehr als Charitinnen in Helm und Panzer. Dennoch ist im Allgemeinen nicht anzunehmen, daß der Componist, selbst als berühmter Virtuose, seine Werke auch am schönsten und interessantesten darstellen müsse, namentlich die neusten, zuletzt geschaffenen, die er noch nicht objectiv beherrscht. So trugen (nach dem Urtheil der Kunstkenner) z. B. die Szymanowska das A moll-Concert von Hummel, die Belleville die Bravourvariationen von Herz, Clara Wieck das Concert von Pixis bei Weitem bedeutender vor, als man sie von Hummel, Herz, Pixis zu hören gewohnt war. {{Right|E.

Denn der Mensch, dem die eigne physische Gestalt entgegensteht, erhält leicht im andern Herzen die idealische. Wollte ich mich daher

{13} auf Vergleiche einlassen, wie ja schon der Tageblatt-Recensent* das Kalkbrennersche Spiel ernsthaft genug mit der Julirevolution, seine Triolen aber mit leichter Kavallerie verglich, so würde mir beim Mann das Meer einfallen, das alle heitere und düstere Gestalten des Himmels treu zurückspiegelt, beim Mädchen (Clara) die Iris, die über dem ruhigen Wasserfall aufgespannt auch ruhig in Farben spielt, aber stark zittert, wenn jener bewegt wird. {{Right|Fl[orestan].

Ich lobe dich, Florestan, daß du oft statt eines Urtheils ein Bild giebst, durch welches das Verständniß leichter erreicht wird als durch Kunstsprachausdrücke, die dem Ungebildeteren unverständlich bleiben. Wenn du daher einmal von einem Pixisschen Clavierconcert sagtest, es wäre zum Orangenstrauß in Claras Hand geworden, oder von Moscheles, er theile reiche, orientalische Perlenschnüre aus, oder von Kalkbrenner, daß Papillonen von den Tasten aufflögen, hoch, hoch ins Blaue, so schätz' ich das so sehr, als wenn der Andere meint: der sehr präcise Anschlag des Cajus, durch schulgerechte Unabhängigkeit der Handmuskeln von denen des Armes (es gibt nichts Gräßlicheres als steifes Armabhobeln) hervorgebracht, gibt uns den eigentlichen Cymbalton, der zu Clementis Zeiten u. s. w. {{Right|R.

Die Kalkbrennerschen Etuden von ihm selbst vorgetragen waren Meisterstücke en miniature (Mignongesichter, durchsichtig bis aus die feinste, verschlungenste Ader). Das ganze Publicum schien hier ein Schüler, der jedem Laut des Meisters aufmerksam und gespannt zuhorcht. {{Right|E.

Mag das Vorspielen von kürzern, rhapsodischen Sätzen im Concert nicht ohne Nachahmer bleiben. (Es gehört weiter nichts als ein berühmter Name dazu. Fl.) Der Virtuose kann da auf die schnellste Weise seinen Geist in allen Brechungen spielen lassen. {{Right|R.

Bei der vierstimmig-einhändigen Fuge, die Kalkbrennen gar vollkommen spielte, fiel mir der verehrte Th[ibaut], der Dichter des Buches „Ueber Reinheit der Tonkunst“ ein, der mir einmal erzählte, daß in einem Concert in London, das Cramer gegeben, eine vornehme, kunstverständige Lady sich gegen alle englische Sitte aus die Zehen gestellt, die Hand des Virtuosen starr angesehen, was natürlich die Nachbarinnen

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            * C. F. Pohle.

{14} zur Seite und im Rücken, nach und nach die ganze Versammlung gleichfalls gethan, und endlich Th. ins Ohr, aber mit Ekstase gesagt hatte : Gott! welcher Triller! Triller! Und noch dazu mit dem vierten und fünften! Das Publicum (schloß damals Th.) murmelte leise nach: Gott! welcher Triller! Triller! und noch dazu u. s. w. {{Right|R.

Doch scheint dies das Publicum zu charakterisiren, das am Virtuosen, wie im Concerte überhaupt, auch etwas sehen will. {{Right|E.

Aber beim Himmel! es wäre ein wahres Glück, wenn in der Künstlerwelt einmal ein Geschlecht der Bilfinger* aufwüchse, das bekanntlich an zwei garstigen Ueberfingern litt; dann würden wir zehn Virtuosen weniger und einen Künstler mehr haben. {{Right|Fl.

Warum spielt Clara nicht mehr auswendig wie früher? Nennt es nun ein Wagstück, dessen Größe gegen den Tadel gehalten, der beim Mißlingen mit Recht darüber ausgesprochen wird, zu wenig vom Publicum anerkannt ist, oder Charlatanerie, die Kugeln auf Nadelspitzen erhalten will, so wird das doch immer von großer Kraft des musikalischen Geistes zeugen und findet, eben aus Mangel daran, wenig Nachahmer (die Vorgänger Paganini und Romberg ausgenommen). Sagt ihr aber, es sei weder das eine noch das andere, sondern gar nichts, und sagt ihr es noch dazu ohne Grund, der fehlen muß, so frage ich: Wozu diesen Souffleurkasten? warum den Fußblock an die Sohle, wenn Flügel am Haupte sind? Wißt ihr nicht, daß ein noch so frei angeschlagner Accord, von Noten gespielt, noch nicht ein halb Mal so frei klingt wie einer aus der Phantasie? O, ich will aus eurer Seele antworten: Allerdings klebe ich am Hergebrachten, denn ich bin ein Deutscher. Erstaunen würde ich freilich in etwas, brächte Plötzlich die Tänzerin ihre Touren, der Schauspieler oder Declamator seine Rollen aus der Tasche, um sicherer zu tanzen, spielen, declamiren; aber ich bin wirklich wie jener Kunstspießbürger, der, als dem ruhig weiter spielenden Virtuosen die Noten vom Pulte fielen, siegend ausrief: Seht! seht! das ist eine große Kunst! der kanns auswendig! — O Drittel vom Publicum! man sollte dich in eine Kanone laden, um das zweite der Philister todtzuschießen. {{Right|Fl.

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               * Eine alte schwäbische Familie, in der ein sechster Finger an jeder Hand erblich war.

{15} Die Don Juan-Variationen von Chopin können wohl kaum vollendeter gedacht werden, als sie Clara spielte, so zart, gewählt und bedeutungsvoll war da das Colorit und so zirkelrund das Ganze. Wäre man ein Recensent, so ließe sich mehr darüber sagen. Doch darf die lebendige Kraft, mit der sie jedes Stück vom leisen Zucken der Empfindung an bis zur ausschlagenden Leidenschaft, immer drängend und steigend, bis zum Schluß ausführt, nicht unerwähnt bleiben. Denn die Summe alles dessen, was Kalkbrenner spielte, gab kaum mehr als zwei Drittel im Verhältniß zum Facit der von Clara gespielten Stücke, die noch bei Weitem schwieriger in sich waren.5 {{Right|E.

(Ich finde, daß Eusebius sehr langweilig schreibt!) Apropos, wer ist denn das anonyme Schaf, das über die Chopinschen Variationen in einem früheren Jahrgänge der „Musikalischen Zeitung“ geblökt hat,6 obgleich Sch[umann] in der voranstellenden Recension die Davidsbündler, ohne zu fragen, mit figuriren ließ, was ihm einen Verweis vom Meister zuzog? Ist jenes über die Mazurken, die Etuden, über das Trio, über das Concert nicht vor Schreck umgefallen? {{Right|Fl.

Ist’s aber nicht geradezu gemein, aus einem Werk, das als vielversprechend (Chopin hat gehalten) von Meistern* anerkannt worden ist, kleine Mängel, die man höchstens am Meister rügen müßte, einzeln hervorzuheben und gleich großmaulig hinzuschreiben: Seht! das ist die neue Zeit! Geht denn so ein Kritikhandwerker jemals in das Ganze? Denkt er je daran, daß außer Correctheit und Stil des Kunstwerks noch etwas vonnöthen ist, wie etwa Lebensdrang, Notwendigkeit, da zu sein? Bemüht er sich je auf das mögliche spätere Wirken junger Künstler aufmerksam zu machen, dieses vorzubereiten und ihre Leistungen mit Wärme zu fördern? Secirt er nicht Geister wie Leichname, um Gallensteinsammlungen anzulegen, während er Geist und Phantasie, die ja der Jugend innewohnen, geflissentlich verhüllet? {{Right|Hf. [Hofmeister].

Himmlisch ist’s zu lesen, mit welcher Salbung der Kopf von Recensent schließt. Nachdem er sich vorher zwei Seiten lang unbändig gelobt, einen zu großen Griff als zu groß, ein paar Durchgangnoten (transitum irregularem) als Durchgangnoten gerügt hat, meint er:

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         * z. B. von Spohr; er bezeichnete die Variationen als „die originellsten und geistreichsten Bravourvariationen und zugleich die schwersten, welche ezistiren“. (Aus O[rtlepp]s Ankündigung von Claras Concert, Leipziger Tagebl. v. 28. April 1833.)

{16} „Nach einer Einleitung, die in der Principalstimme fünf Folioseiten einnimmt (Largo, B dur, späterhin ein klein wenig bewegter), folgen das Thema, diesem vier Variationen in raschem Zeitmaße, eine Variation (Adagio, B moll) und endlich zum Schluß ein alla polacca auf acht Seiten in B dur. In Bezug (fährt er ausholend fort) auf die äußere Ausstattung dieses die 27. Lieferung des Odeon ausmachenden Paradewerks braucht etwas Lobendes nicht noch gesagt zu werden. Der Haslingersche Verlag zeichnet sich stets durch deutliche Schrift, guten Druck und schönes Papier aus. Auffallende Druckfehler, deren Verbesserung nicht sogleich in die Augen fallen (hier hat sich eine Sprachquinte eingeschlichen), sind dem Recensenten nicht vorgekommen. Doch kann er nicht für die Orchesterstimmen stehen, da er das Werkchen mit dem Orchester nicht gehört hat.“ Lache, Recensentenkopf, über den Schweiß und die Zeit, die mich das Abschreiben kostete. Aber du bist wahrlich derselbe, der, wenn er vergötternd hinschreibt: O du einziger Beethoven! schnell die Parenthese anhängt: (geboren zu Bonn 1770). {{Right|Fl.

Recht habt ihr, Florestan! Die Recension ist Weibergewäsch. Aber grob hättet ihr sein sollen, nicht witzig. Erfreulich ist es, daß die verehrte Redaction ihr Unrecht der Aufnahme jener Kritik durch eine vortreffliche Recension des Chopinschen Trios* eingestanden hat. {{Right|Raro.

Sommernachtstraum!** träumerisches, sprechendes Bild, das sich über die gemeine Tonmalerei erhebt, wie etwa ein Sommernachtstraum über einen nüchternen, dumpfen Nachmittagsschlaf — spielen möchte ich mit dir und etwa deinem Dichter die Hand drücken, aber wenig sprechen als mit den Augen! Wie durften ungeweihte Hände dich beklatschen, dein Bild gleichsam begreifen und dich ungeschickt im Träumen stören, wie andre im Nachträumen? Ist denn ein höchstes Lob (wie der bitterste Tadel) etwa auszusprechen? {{Right|E.

Da ärgere ich mich stets bei einer Stelle im Adagio der A dur-Symphonie (es gibt nur eine), wo die Melodie in weichen, fast Spohrschen Vorhalten auf- und niederschwebt, was dem Feind alles Weichlichen und Weibischen bekanntlich ganz zuwider ist. Ich wette auch, Beethoven schrieb es ironisch hin, schon der bald eintretenden scharfen

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          * Allgem. mus. Ztg. 1833 S. 357.
         ** Mendelssohns Ouverture war in Claras Concert aufgeführt worden.

{17} Bässe wegen. Da steht nun einer neben mir und stöhnt einmal über das andere: O, du einziger Beethoven! — O es ist schrecklich! {{Right|Fl.

Verachten der materiellen Mittel entfernt vom Kunstideal. Die Aufgabe ist, den Stoff so zu vergeistigen, daß alles Materielle darüber vergessen wird.7 {{Right|R.

Warum bewegen sich aber manche Charaktere erst selbständig, wenn sie sich an ein andres Ich gelehnt haben, wie etwa Shakespeare selbst, der bekanntlich alle Themas zu seinen Trauerspielen aus älteren oder aus Novellen u. dergl. hernahm? {{Right|E.

Eusebius spricht wahr. Manche Geister wirken erst, wenn sie sich bedingt suhlen, frei; umgekehrt würden sie im Unendlichen zerflattern und verschwimmen. {{Right|R.

Würde ohne Shakespeare dieser klingende Nachttraum geboren worden sein, obgleich Beethoven manche (nur ohne Titel) geschrieben hat (F moll-Sonate)? Der Gedanke kann mich traurig machen. {{Right|Fl.

Ueber den Symphoniesatz von S[chumann]8 hab ich schwerlich ein Urtheil. Ist er denn nicht mein ältester Bruder und Doppelgänger, und wuchs das Werk nicht unter meinen Augen auf? Ob die Unruhe im Werke dem Orchester, das bei der Schwierigkeit des Satzes vielleicht nicht sicher genug spielte, auch noch nicht die rechten, zartesten Tinten fand, zuzuschreiben, ob das Werk so geboren ist (das ist meine Meinung), oder ob der Deutsche, der nicht gleich umfluthet sein will vom Allegro, vielleicht eine Einleitung (die Beethoven so schön persiflirt in der A dur-, wie die Schlüsse in der F dur-Symphonie) vermuthet hatte, entscheide ich nicht. Sehr paßte ich auf die kritisirende Nachbarschaft. Der liebenswürdige, echt musikalische Stegmayer meinte, Routine und Vielschreiben würden halt Sicherheit und Leichtigkeit in die Instrumentirung bringen, die zu colorirt sei. Fehlerhaft aber ist’s gewiß überhaupt, fiel der geistreich praktische Hofmeister ein, einen ersten Satz spielen zu lassen, gleichsam den ersten Akt zu geben; da sei noch nichts in der Entwicklung sondern erst im Moment des Werdens, der Dichter oft noch nicht aufs Reine u. dergl. (Ich will nur gestehen, daß die ganze Periode gar nicht von den Davidsbündlern ist, fondern von mir felbst, darf aber eine Bemerkung Raros nicht übergehen:)

Verlangt nicht vom Manne die Schwärmerei des Jünglings, von

{18} diesem die Ruhe jenes; verwerft es sogar! Zu großer Ernst mißfällt am Jünglingswerke, wie umgekehrt ein tanzender Vierziger.

(Livia Gerhardt im Wieckschen Concert.) Schade wär' es und unverantwortlich, wenn dieses liebliche Talent nicht ruhig genug entwickelt würde. Mit der ätherischen Stimme muß zarter verfahren werden als mit der Ausbildung der Hand, und das Zuviel ist dort ebenso schlimm als das Zuwenig hier. Vielleicht täuschte ich mich auch; aber mir schien bei sonst vorgeschrittener Bildung die Stimme etwas an Frische und Glanz verloren zu haben. {{Right|E.

Kein wahrer Davidsbündler bist du, Eusebius, sondern ein rechter lederner Philister mit tauben Ohren. Es gab ein Gesetz der Griechen, schöne Statuen schweigend anzuschauen, nun vollends eine athmende und tönende. Ein rechter Philister bist du, Eusebius. {{Right|Fl.

Kritiker sollten sich aber nicht verlieben, obschon es der Francilla-Kritiker*, dem übrigens (wenn er auch anerkannte Autoritäten zum Schaden**' anreisender Talente zu oft citirt) ein warmer, nichts scheuender Sinn fürs Echte zugesprochen werden muß, neulich selber gethan, indem er von derselben (freilich entzückenden) Sängerin aus derselben Seite sagt: daß sie 1) obgleich noch Anfängerin, eine der ersten Sängerinnen unserer Zeit zu werden verspräche, daß sie 2) bald als Stern erster Größe am musikalischen Horizont erglänzen würde, daß sie 3) in solcher Vollendung ausgetreten wäre, daß man sie mit Recht unter die ersten Sängerinnen zählen könne, daß sie 4) obgleich sechzehn Jahre alt, gewiß eine der ersten Sängerinnen würde, daß sie 5) eine der ersten Sängerinnen und außerordentliche Erscheinung sei, sodaß alle hier in Leipzig lebenden Sängerinnen (dies unterstrichen) als Pygmäen daständen, daß 6) u. s. w. {{Right|E.

Lasse dich dadurch nicht irre machen, schöner Schwan! (Sultanssprüche wirken in der Kunstkritik nichts) — und hüte dich, solche Dicta, sind sie nicht im Zusammenhang unterstützt und in Gründen entwickelt, für mehr zu nehmen als für Einfälle, nicht für Resultate tiefen Forschens! {{Right|Fl.

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              * G. Bergen im Kometen v. 18. October 1833. Francilla Pixis hatte am 6. und 8. October im Gewandhause gesungen.
             ** Denn der Lehrling wird dadurch verleitet, Kreise zu überschreiten, die er noch nicht vollständig gefüllt hat. [Sch.)

{19} Verheimliche die Kritik nichts! Allerdings ist alles Kunststreben approximativ, kein Kunstwerk durchaus unverbesserlich — kein Ton der Stimme, kein Laut der Sprache, keine Bewegung des Körpers, keine Linie des Malers. Wird dies zugestanden, mag aber nicht vergessen werden, daß oft Virtuosität in der einen Leistung Impotenz in der andern ersetzt, und daß ein Werk sogar classisch genannt werden kann, ist sonst die Manier complet und eigenthümlich. {{Right|!Raro.

Daher thut die Kritik Unrecht, das Fehlen einzelner Eigenschaften, die man vom Kunstwerk fordert, tadelnd zu bemerken; doch sei ihr das erlaubt, wenn andere Geisteskräfte sich in ihm so stark äußern, daß nothwendige vermißt werden. So fehlt dem Gesang der Grabau* gewiß der lyrische Ausslug des Francilla-Pixisschen; aber es sind dafür andere Seiten (Reinheit und Wahrheit in Stimme und Ausdruck) so complet ausgebildet, daß jener gar nicht vermißt wird. {{Right|R.

Je gereifter das Urtheil, desto einfacher und bescheidener wird es sich aussprechen. Nur wer durch zehnfach wiederholtes Lernen, durch gewissenhaftes Vergleichen in lang fortgesetzter Selbstverleugnung den Erscheinungen nachgegangen, weiß, wie spärlich unser Wissen sich mehrt, wie langsam unser Urtheil sich reinigt, und wie wir demnach vorsichtig in unsern Aussprüchen sein müssen. „Ohne die mannichfaltigsten Erfahrungen und Leitkenntnisse sind wir dem Kunstwerk gegenüber mit offenen Augen blind“, las ich irgendwo. {{Right|R.

So weit war ich im Copiren, als ein schwarzgelockter, schöner Bube9 eintrat und mir stumm einen Brief hinreichte. — Wer bist du? — Hinaus fuhr er zur Thüre. Aber was stand im Brief? Ich will’s dir ins Ohr sagen - - - - - - - - - Hast du gehört?

Zweiter Artikel.10

Das letzte Du war an die schöne Leserin gerichtet. Ueberhaupt mag sich das Publicum, dem jetzt alles so bequem und encyklopädisch eingegeben wird, nur Glück wünschen zur Confusion, die weniger in den

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         * Henriette Grabau.

{20} Davidsbündlern als in ihrer Bundeslade (sie besteht aus dem Buche) merklich vorherrscht, wobei ich einen Florestanschen Papierschnitzel nicht übersehen darf, der meint: „Bei Gott, ist denn die Welt eine Fläche? und sind nicht Alpen darauf und Ströme und verschiedene Menschen? und ist denn das Leben ein System? — und ist es nicht aus einzelnen halbzerrissenen Blättern zusammengeheftet voll von Kindergekritzel, Jugendköpfen, umgestürzten Grabschriften, weißen Censurlücken des Schicksals? — Ich behaupte das Letztere. Ja, es dürfte gar nicht ohne Interesse sein, das Leben einmal wirklich so abzumalen, wie es leibt und lebt, und seinen Roman in Aphorismen zu schreiben, wie schon ähnlich Platner und Jacobi ganze philosophische Systeme gaben.“ So unkünstlerisch der Gedanke zu nennen, so verhehle ich nicht, daß mich Raro getröstet mit zukünftiger logischer Ordnung, mit gleichschwebender Temperatur der angeschlagenen Tonart, kurz mit Aufklärung über die im Einzelnen nicht zu verkennende Schreibmanier eines „unendlich geliebten“ deutschen Schriftstellers*, mit welcher der Mensch zufrieden sein würde.

Dies alles Hab ich aus dem Briefe, den mir der schöne italiänische Knabe sammt bedeutenden Inlagen überbrachte. Ich hatte mich gewundert, unter keinem der vorigen Papierschnitzel die Namen des Balkentreters und Friedrichs anzutreffen, finde aber ausreichenden Grund im folgenden Brief:

Euer Hochedelgeboren, Eben hundemüde von einer Fußreise nach Venedig 11 zurückgekehrt, die ich dahin in Geschäften des Meisters mit dem tauben Maler Fritz Friedrich machte, bitte ich, die Kürze zu entschuldigen, da mir (mit Cicero zu reden) Zeit fehlte, den Brief kürzer zu machen. Im Auftrage des Davidsbundes habe zu melden, daß er nach genauer eingezogenen Nachrichten über das kritische Talent Ew. Hochedelgeboren mit der getroffenen Wahl nur zufrieden sein kann. Anbei folgt mehr Material, woraus man ersehen möchte, wie sehr es Bestreben des Bundes ist, Licht über seine Verhältnisse Ihnen wie dem Publicum zu verschaffen. {{Right|Euer Hochedelgeboren {{Right|gehorsamer Diener {{Right|Knif, Balkentreter (richtiger Bälgetreter).

Im Brief lagen außer der Fortsetzung der kritischen von Knif protokollirten Notizen (die ich jedoch nur sehr gewählt mittheilen darf,

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        * Jean Paul.

{21} weil Florestan oft grob ausfällt) die Porträts zweier Jungfrauenköpfe, denen ich keine Namen geben will als ihre eignen: Zilia, Giulietta 12, eines des italiänischen Knaben mit der Unterschrift: Hektor, ein Brief aus Venedig von Zilia, einer Raros an mich mit der Bitte, über alle Geheimnisse vor der Hand Stillschweigen zu beobachten. Könnte ich sagen, was ich wüßte, obwohl vieles halb! Dürfte ich reden über Zilia, Florestan — wie der Bund kein unterirdisches, schleichendes Vehmgericht und der kritische Blumenstaub nur ein leiser Abfall von einem ganzen Künstlerwonneleben, und wer der Meister ist, den wir Alle schon kennen — man würde mehr erstaunen, als wenn man bei einem geographischen Professor einschliefe und etwa unter Orangenblüthen in Italien aufwachte. Einstweilen müssen aber die tausend Millionen gespannter Menschen mit dem kritischen Theil vorlieb nehmen.

Zu großer Freude entdeckte ich eben die Fortsetzung des abgerissenen Raroschen Satzes im ersten Artikel, der einem Briefe an eine ungenannte Person entlehnt zu sein scheint. Nach Raros Worten: „gibt sich nicht eine Geheimnißthuerei den Schein des“ geht es fort: Tiefen — nichts Ganzes, nur Zerissenes — keine Würde, lauter Leichtsinn.

Sprecht ihr vom Ganzen, warf hier Florestan ein, der Niemanden, wenn er seiner Meinung war, gern aussprechen ließ, so stimm' ich euch bei, Meister. Anders aber als die, die immer über Genialitätsfrechheit, Verachtung aller geachteten Formen, neuromantisches Rolandswüthen schreien, finde ich in der neuen Musik eher etwas Gedrücktes, Schmerzhaftes, Halbwahres, das der alten freilich fremd war. Auch ich meine das, fuhr Raro fort, ich bin übrigens kein Anbeter des allzu Antiken; im Gegentheil laß ich diese antediluvianischen Untersuchungen wohl als historische Liebhaberei gelten, halte sie aber für wenig einflußreich auf unsere Kunstbildung. Ihr wißt aber auch, wie nachdrücklich ich euch zum Studium der Alten angehalten. Denn wie der Malermeister seinen Schüler nach Herculanum schickt, nicht daß er jeden einzelnen Torso zeichne, sondern daß er erstarke an der Haltung und Würde des Ganzen, es auf echtem Boden anschaue, genieße, nachbilde, so leitete auch ich euch in dem Sinne, nicht daß ihr über jedes Einzelne jedes Einzelnen in ein gelehrtes Staunen gerathen möchtet, sondern die nun erweiterten Kunstmittel auf ihre Principien zurückführen und deren besonnene Anwendung auffinden lernet.

Der Meister kam hierauf auf das zu sprechen, was die Gegenwart charakterisire, auf die Parteien, als — Knif mit Friedrich eintrat aus Venedig zurückkehrend. Ueber die allgemeine Freude sag' ich nichts. —

{22} 47ste Sitzung des Davidsbundes. — Schon längst war es mir ausgefallen, daß in Fields Compositionen so selten Triller vorkommen, oder nur schwere, langsame. Er ist so. Field übte ihn tagtäglich mit großem Fleiß in einem Londoner Instrumentenmagazin, als ein stämmiger Geselle sich über das Instrument lehnt und stehend einen so schnellen, runden schlägt, daß Jener das Magazin verläßt mit der Aeußerung: kann der es, brauch' ich es nicht zu können. — Sollte hierin nicht der tiefere Sinn zu erkennen sein, daß der Mensch sich eigentlich nur vor dem beugt, was mechanisch nicht nachzumachen ist? Und könnte das nicht der Seelenfaden sein, der sich durch eine 47ste kritische Sitzung des Davidsbundes zöge? {{Right|Fl.

Witzlinge ließen sich verlauten, daß man zur Einweihung des neuen Saales* lieber den Marcia funebre aus der „Heroischen Symphonie“ als den griechisch-schwebenden Jubelchor aus den „Ruinen von Athen“ hätte wählen sollen; ja, man konnte noch stärkere Sachen hören. Meiner Meinung nach sollte man das Versehen nicht der Direction zur Last legen, die gewiß das Beste gewünscht und gewollt hat. Endlich sollten nicht sechshundert Menschen denselben Küchenwitz “ wiederholen, sondern einen neuen machen. Freilich hat Novalis Recht (wollte man nicht das Raffinirte im Gedanken rügen, da man am Ende gar noch alle Künste auf einmal zu genießen verlangte), wenn er sagt: man sollte Musik nur in schön decorirten Sälen hören, plastische Werke nur unter Begleitung von Musik anschauen. {{Right|E

An und für sich wäre deine Vertheidigung recht gut, liebenswürdiger Eusebius! Aber dem Philister die Unbehaglichkeit im ungewohnten Local zu vertreiben, hätte man sich nicht so gar anspannender Mittel bedienen, nicht nach dem Jubelchor eine Jubelouverture, nach dieser wieder eine Triumphphantasie von Pixis (wenigstens war sie es für Clara Wieck) setzen, den Jubel einem hochlöblichen Publicum ordentlich einbläuen sollen. {{Right|Fl. ______________________

          * Das erste Gewandhausconcert, am Michaelistage 1833, fand im völlig neu eingerichteten Saale statt, in welchem man die früheren Oeserschen Deckenbilder übertüncht hatte. Das Programm bestand aus dem Marsch „Schmücket die Hallen“ aus Beethovens Ruinen von Athen, der Jubel-Ouverture von Weber und der A dur-Symphonie von Beethoven; dazwischen spielte Clara Wieck Fantaisie militaire von Pixis und das Finale aus Chopins E moll-Concert, Henriette Grabau und der Tenorist Kreßner sangen Arien von Rossini und Pacini. Ueber dem Beschauen der neuen aber geschmacklosen Wandmalereien ging der Chor ohne jede Beifallsäußerung vorüber.

{23} Im Jubelchor seid ja auf die psychologische Wahrheit drinnen recht aufmerksam! Denn wie namentlich bei öffentlichen Festen eine durchwehende Empfänglichkeit, ein helles Abspiegeln der Lust im Auge des Andern vorher sichtbar sein muß, und wie den Sturmeskreisen des Jubels erst die Wellenlinien der Freude voranziehen, so beginnt Beethoven erst mit unschuldigen Flöten und Hoboen. Nun paßt auf, wie er bei aller Natürlichkeit der Empfindung immer höher geht, wie er von Tact zu Tact die Massen wachsen läßt, und wie sie sich verschmelzen bis zum letzten, stärksten Dreiklang. Während in der Jubelouverture ein Einziger mehrere Wünsche ausspricht (den der Preßfreiheit glaube ich in den hohen Violoncells stark zu sehen, schaltete Florestan ein), vereinigen sich bei Beethoven Alle zu einem und demselben. Ich halte aber den Unterschied für bedeutend. {{Right|E.

Allzu jahnisch* und einseitig wäre es, alles Rossinische in Concerten zu unterdrücken; doch sollte man in der Wahl vorsichtiger sein und einen deutschen Concertcyklus mit einem deutschen Gesang anfangen. Rossini ist der vortrefflichste Decorationsmaler, — aber nehmt ihm die künstliche Beleuchtung und die verführende Theaterferne und seht zu, was bleibt! Daß die Grabau herrlich sang, versteht sich ohne mich.

Ueberhaupt wenn ich so von Berücksichtigung des Publicums, vom Tröster und Retter Rossini und seiner Schule reden höre, so zuckt mir’s in allen Fingerspitzen. Viel zu delicat geht man mit dem Publicum um, das sich auf seinen Geschmack ordentlich zu steifen anfängt, während es in früherer Zeit bescheiden von ferne zuhorchte und glücklich war, etwas auszuschnappen vom Künstler. Und sag' ich das ohne Grund? Und geht man nicht in den „Fidelio“ der Schröder** wegen (in gewissem Sinne mit Recht) und in Oratorien aus purem, blanken Mitleiden? Ja, erhält nicht der Stenograph Herz vierhundert Thaler für ein Heft erbärmlicher Variationen und Marschner für den ganzen „Hans Heiling“ achthundert? Noch einmal — es zuckt mir in allen Fingerspitzen. {{Right|Fl.

Man müßte es ein offenbares Geheimuiß nennen, daß der bildsame, tiefsinnige Deutsche, der, zum Theil in classischer Zeit erwachsen und erzogen, so leicht und gern das Echte vom Schein unterscheidet,

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        * Der Turnvater Ludwig Jahn, der grimmige Feind alles Undeutschen, ist gemeint. 
       ** Wilhelmine Schröder-Devrient.

{24} seine vaterländischen Talente erst aus dem Auslande commentirt und besternt herholt, nimmt man nicht an, daß es auch hier das Theater der physischen Entfernung ist, welches blendend idealisirt und ihn verleitet, ausländische Glasperlen für Demanten zu halten. Freilich trägt am Elende Niemand Schuld als Alle, Componisten wie Virtuosen, Verleger wie Käufer, am meisten aber die, welche den direktesten Einfluß auf die Geschmacksbildung des Volkes äußern können — Theater und Lehrer. Und hier drängen sich so viele trübe Gedanken auf, wie auf der einen Seite der Staat eine Kunst, den höchsten ebenbürtig, so wenig fördert, auf der andern, wie für die glücklichste Idee oft erst die Feder gesucht werden muß, die sie aufschreibt, daß man recht gemahnt wird, der in die Menge einreißenden Flachheit in möglichst vereinter Kraft entgegenzuwirken. {{Right|E.

Hüte dich jedoch, Eusebius, den vom Kunstleben unzertrennlichen Dilettantismus (im bessern Sinn) zu gering anzuschlagen. Denn der Ausspruch „Kein Künstler, kein Kenner“ muß so lange als Halbwahrheit hingestellt werden, als man nicht eine Periode nachweist, in der die Kunst ohne jene Wechselwirkung geblüht habe.* {{Right|R.

Florestan treibt sich seit einiger Zeit in den elendesten Bier- und Weinkellern herum, einen Meßviolinspieler zu hören, der ihn, wie er meint, ordentlich aufgerüttelt und aufgewärmt; denn (fuhr er fort) Violinspieler höre man wohl, aber Violine wenig. Was feine Keckheit der Bogenführung und gesund genialische Auffadsung bis in die kleinsten französischen Airs herab anlange, so suche der Mann seines Gleichen, der sich beiläufig Großmann nenne und vielmal besser spiele, als er sich einbilde. Da ihm bei seinen Talenten Anerkennung höchster Kritik nicht fehlen könne, so ließe schon der Umstand, daß er das herumziehende, poetische Troubadourleben dem vornehmen Kapellensiechthum vorziehe, das Beste hoffen. Ja (schloß Florestan), göttlich denk' ich es mir, Dalvidsbündler, wenn ich so in Wolffs Keller spielte und etwa Paganini hereinträte; die miserabelsten Rutscher würde ich im Anfang auftischen — Paganini horche kaum hin; das ärgere mich, und ich

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        * Des Umstandes noch zu gedenken, daß von den Redactoren der bekannten musikalischen Zeitschriften der eine Offizier [Rellstab], der andere Prediger [Fink] war, der eine General-Staatsprokurator [G. Weber], der des Wiener Anzeigers Zivilbeamter [Castelli] ist. [Sch.]

{25} brächte Sachen aus Don Juan und langen, schweren Gesang — da singe er an zu stutzen; aber mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt, als ob ich den Mann kaum kenne, würde ich weiter spielen und etwa in eine von ihm absetzte Caprice fallen — und da erfaßte mich der Gedanke der Nähe des Großen, und ich würde anfangen zu weinen, zu lachen, zu brausen, zu beten, alles vergessend und fortgerissen vom Entzücken! Und wenn er dann zu mir träte — und mir die Hand gäbe! - {{Right|(Fortsetzung folgt.) 14 {{Right|[„Komet“, December 1833 und Januar 1834.]

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Aus Meister Raros, Florestans und Eusebius'

Denk- und Dicht-Büchlein.*

Partiturnachlesen.

Als ein junger Musikstudirender in der Probe zu der achten Symphonie von Beethoven eifrig in der Partitur nachlas, meinte Eusebius: „das muß ein guter Musiker sein!“ — „Mit nichten“, sagte Florestan, „das ist der gute Musiker, der eine Musik ohne Partitur versteht, und eine Partitur ohne Musik. Das Ohr muß des Auges und das Auge des (äußern) Ohres nicht bedürfen.“ — „Eine hohe Forderung“, schloß Meister Raro, „aber ich lobe dich darum, Florestan!“

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Nach der D moll-Symphonie.

Ich bin der Blinde, der vor dem Straßburger Münster steht, seine Glocken hört, aber den Eingang nicht findet. Laßt mich in Ruhe, Jünglinge, ich verstehe die Menschen nicht mehr. Voigt. 15

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Wer wird den Blinden schelten, wenn er vor dem Münster steht und nichts zu sagen weiß? Zieht er nur andächtig den Hut, wenn oben die Glocken läuten. {{Right|Eusebius.

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Ja liebt ihn nur, liebt ihn so recht — aber vergeßt nicht, daß er auf dem Wege eines jahrelangen Studiums zur poetischen Freiheit gelangte, und verehrt seine nie rastende moralische Kraft. Sucht nicht

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    * Die meisten der folgenden Auszüge sind vor Entstehung der Neuen Zeitschrift für Musik, zum Theil schon im Jahre 1833 geschrieben und bisher ungedruckt; sie möchten als die Anfänge der Davidsbündlerschaft anzusehen sein. [Sch. 1852.]

{26} das Abnorme an ihm heraus, geht auf den Grund des Schaffens zurück, beweist sein Genie nicht mit der letzten Symphonie, so Kühnes und Ungeheures sie ausspricht, was keine Zunge zuvor, — ebenso gut könnt ihr das mit der ersten oder mit der griechisch-schlanken in B dur! Erhebt euch nicht über Regeln, die ihr noch nicht gründlich verarbeitet habt. Es ist nichts Halsbrechenderes als das, und selbst der Talentlosere könnte euch im zweiten Moment der Begegnung die Maske beschämend abziehen. {{Right|Florestan.

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Und als sie geendigt hatten, sagte der Meister fast mit gerührter Summe: „Und nun kein Wort drüber! Und so laßt uns denn jenen hohen Geist lieben, der mit unaussprechlicher Liebe herabsieht auf das Leben, das ihm so wenig gab. Ich fühle, wir sind ihm heute näher gewesen, als sonst. Jünglinge, ihr habt einen langen, schweren Gang vor euch. Es schwebt eine seltsame Röthe am Himmel, ob Abend- oder Morgenröthe, weiß ich nicht. Schafft fürs Licht!“ *

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Die Quellen weiden im großen Umlauf der Zeit immer näher an einander gerückt, Beethoven brauchte beispielsweise nicht alles zu studiren, was Mozart —, Mozart nicht, was Händel —, Händel nicht, was Palestrina — weil sie schon die Vorgänger in sich aufgenommen hatten. Nur aus Einem wäre von Allen immer von Neuem zu schöpfen — aus J. Seb. Bach! {{Right|Fl.

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Es gibt auch Talentlose, die recht viel gelernt haben, die durch Umstände zur Musik angehalten worden sind — die Handwerker. {{Right|Fl.

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Was hilft’s, wenn ihr einen ausschweifenden Jüngling in einen Großvaterschlafpelz und eine lange Pfeife in seinen Mund steckt, damit er gesetzter werde und ordentlicher. Laßt ihm die fliegende Locke und sein luftiges Gewand! {{Right|Fl.

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Ich mag die nicht, deren Leben mit ihren Werken nicht im Einklang steht. {{Right|Fl. [1833]

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Ueber einen componirenden Jüngling. Man warne ihn. Es fällt die frühreife Frucht. Der Jüngling muß das Theoretische oft verlernen, ehe er es praktisch anwenden kann. {{Right|Raro.

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          * Vgl. den Schluß der Besprechung von Schunkes Sonate.

{27} Es ist nicht genug, daß ich etwas weiß, bekommt nicht das Gelernte dadurch, daß es sich im Leben von selbst anwendet, Halt und Sicherheit. {{Right|E.

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Jugendreichthum.

Was ich weiß, werf ich weg — was ich hab', verschenk' ich. {{Right|Fl. _____________

Wehre sich Jeder seiner Haut. Ist einer mein Feind, so brauch' ich aber deshalb nicht seiner zu sein, sondern sein Aesop. der ihn zur Fabel, oder sein Juvenal, der ihn zu einer Satire verwandelt. {{Right|Fl. _____________

Recensenten.

Die Musik reizt Nachtigallen zum Liebesruf, Möpse zum Kläffen.

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Saure Trauben, schlechter Wein.

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Sie zersägen das Werkholz, die stolze Eiche zu Sägespähnen.

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Wie Athenienser kündigen sie den Krieg durch Schafe an.*

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Musik redet die allgemeinste Sprache, durch welche die Seele frei, unbestimmt angeregt wird; aber sie fühlt sich in ihrer Heimath.

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Die Plastischen.

Am Ende hört ihr noch in Haydns Schöpfung das Gras wachsen! {{Right|Fl.

Der Künstler sollte freundlich, wie ein griechischer Gott, mit den Menschen und dem Leben verkehren; nur wenn es ihn zu berühren wagte, möge er verschwinden und nichts als Wolken zurücklassen. {{Right|Fl.

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Es ist das Zeichen des Ungewöhnlichen, daß es nicht alle Tage gefaßt wird; zum Oberflächlichen ist der größere Theil stets aufgelegt, z. B. zum Hören von Virtuosen-Sachen. {{Right|E.

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           * Nach einem alten Brauche der Athener ließ der den Krieg erklärende Herold ein Lamm über die Grenzen des feindlichen Gebietes laufen, um dieses als künftiges Weideland für die Eroberer zu bezeichnen.

{28} Es ist mit der Musik wie mit dem Schachspiel. Die Königin (Melodie) hat die höchste Gewalt, aber den Ausschlag gibt immer der König (Harmonie). {{Right|Fl.

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Der Künstler halte sich im Gleichgewicht mit dem Leben; sonst hat er einen schweren Stand.

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In jedem Kinde liegt eine wunderbare Tiefe. {{Right|[1832]

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Clara (1833).

Da ich Leute kenne, die sich schon auf das nächstemal freuen, wenn sie eben Clara gehört hatten, so frag' ich, was denn das Interesse für sie so lange nährt? Ist es das Wunderkind, über dessen Decimenspannungen man den Kopf schüttelt, obwohl verwundert — sind es die schwierigsten Schwierigkeiten, die sie spielend als Blumenketten ins Publicum zurückschlingt — ist es vielleicht einiger Stolz, mit dem die Stadt auf die Eingeborene sieht — ist es das, daß sie uns das Interessanteste der jüngsten Zeit vorführt in kürzester? Sieht vielleicht die Masse ein, daß die Kunst von der Caprice einzelner Begeisterter nicht abhängen soll, die mich auf ein Jahrhundert zurückweisen, über dessen Leichnam die Räder der Zeit weggeeilt? — Ich weiß es nicht, ich meine aber einfach, es ist der Geist, der zwingt, vor dem die Leute noch etlichen Respect haben, mit kurzen Worten: er ist’s, von dem sie so viel sprechen, ohne ihn gerade haben zu wollen —, sondern eben der, den sie nicht haben. {{Right|Fl.

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Sie zog frühzeitig den Isisschleier ab. Das Kind sieht ruhig auf, — der ältere Mensch würde vielleicht am Glanz erblinden. {{Right|Eusebius. [1832]

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An Clara darf schon nicht mehr der Maßstab des Alters sondern der der Leistung gelegt werden. {{Right|Raro.

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Clara Wieck ist die erste deutsche Künstlerin. Fl.

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Daß um die Kette der Regel immer der Silberfaden der Phantasie sich schlänge! Eusebius.

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Die Perle schwimmt nicht auf der Fläche; sie muß in der Tiefe gesucht werden, selbst mit Gefahr. Clara ist eine Taucherin. {{Right|Fl.

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{29} Anna von Belleville und Clara.

Sie lassen sich nicht vergleichen; sie sind verschiedne Meisterinnen verschiedner Schulen. Das Spiel der Belleville ist bei Weitem technisch-schöner; das der Clara aber leidenschaftlicher. Der Ton der Belleville schmeichelt, dringt aber nur bis ins Ohr; der der Clara bis ans Herz. Jene ist Dichterin, diese Dichtung. {{Right|[1832]

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Das Genie.

Dem Demant verzeiht man seine Spitzen; es ist sehr kostbar, sie abzurunden. Fl. [1832]

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Das ist der Fluch des Talents, daß es, obgleich sicherer und anhaltender arbeitend als das Genie, kein Ziel erreicht, während das Genie längst aus der Spitze des Ideals schwebt und sich lachend oben umsieht! {{Right|[1832]

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Das Unglück des Nachahmers ist, daß er nur das Hervorstechende sich anzueignen, das Eigentlichschöne des Originals aber nachzubilden, wie aus einer natürlichen Scheu, sich nicht getraut. {{Right|Eusebius.

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Es ist nicht gut, wenn der Mensch in einer Sache zu viel Leichtigkeit erworben hat. {{Right|Raro. [1832]

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Wir wären am Ziel? — wir irren! Die Kunst wird die große Fuge sein, in der sich die verschiednen Völkerschaften ablösen im Singen. {{Right|Fl.

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Eine tadelnde Stimme hat die Stärke des Klanges von mehr als zehn lobenden. Fl.

Leider! {{Right|Eusebius.

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Es ist albern zu sagen: Beethoven begreife man in der letzten Periode nicht. Warum? Ist’s harmonisch so schwer? ist’s im Ban so wunderlich? sind die Gedanken zu contrastirend? Nun, etwas muß es immer sein; denn in der Musik ist überhaupt ein Unsinn gar nicht möglich; der Wahnsinnige selbst kann die harmonischen Gesetze nicht unterdrücken. Fader kann er wohl sein. {{Right|Fl. _____________

{30} Das Außergewöhnliche am Künstler wird zu seinem Vortheil nicht immer im Augenblick anerkannt. {{Right|Raro. _____________

Wer sich einmal Schranken setzt, von dem wird leider verlangt, daß er immer drinnen bleibe. {{Right|Eusebius. _____________

Durch Vergleichen kommt man aus Umwegen zum Resultat; nimm die Sache, wie sie ist, mit ihrem innern Grunde und Gegengrunde. {{Right|Fl.

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Die Musikpuritaner.

Das wäre eine kleine Kunst, die nur klänge, und keine Sprache noch Zeichen für Seelenzustände hätte! {{Right|Fl.

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Allen neuen Erscheinungen ist Geist eigen. {{Right|Eusebius.

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Von Contrapunctlern.

Verweigert dem Geist nicht, was ihr dem Verstand nachseht; quält ihr euch nicht in den jämmerlichsten Spielereien, in verwirrenden Harmonieen ab? Wagt es aber einer, der eurer Schule nichts verdankt, etwas hinzuschreiben, das nicht eurer Art ist, so schmäht ihn der Zorn. Es könnte eine Zeit kommen, wo man den von euch schon als demagogisch verschrieenen Grundsatz: „was schön klingt, ist nicht falsch“ positiv in den verwandeln würde: „alles, was nicht schön klingt, ist falsch.“ Und wehe dann euren Kanons #Zeichen und namentlich den kreisförmigen! {{Right|Fl.

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Die Antichromatiker sollten bedenken, daß es eine Zeit gab, wo die Septime ebenso auffiel, wie jetzt etwa eine verminderte Octave, und daß durch Ausbildung des Harmonischen die Leidenschaft feinere Schattirungen erhielt, wodurch die Musik in die Reihe der höchsten Kunstorgane gestellt wurde, die für alle Seelenzustände Schrift und Zeichen haben. {{Right|Eusebius.

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Es könnte, die Philister zu züchtigen, einmal ein Hamann mit einem Lessing unter dem Arm kommen und die Zeit nicht mehr fern sein. {{Right|Fl.

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{31} Die ruhige Psyche mit zusammengefalteten Flügeln hat nur halbe Schönheit; in die Lüfte muß sie sich schwingen! {{Right|Eusebius. _____________

Gleichartige Kräfte heben sich auf; ungleichartige erhöhen einander. {{Right|Raro. _____________

Clavierspielen.

Das Wort „spielen“ ist sehr schön, da das Spielen eines Instrumentes eins mit ihm sein muß. Wer nicht mit dem Instrument spielt, spielt es nicht. {{Right|Eusebius.

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Mein Vergnügen, die Schröder-Devrient als Subscribentin der „kritischen Terminologie“ von C. Gollmick16 zu finden! {{Right|Fl.

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Chopin.

Es sind verschiedene Sachen, die er betrachtet, aber wie er sie betrachtet, immer dieselbe Ansicht. {{Right|Fl.

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Ich finde gar nichts Außerordentliches darin, daß man in Berlin die Sachen von Bach und Beethoven zu schätzen anfängt. {{Right|Fl.

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Dreiklang = Zeiten. Terz vermittelt Vergangenheit und Zukunft als Gegenwart. Eusebius.

Gewagter Vergleich! {{Right|Raro.

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Menschen, wie S. (ein etwas dissolut lebender Künstler) sollten gerade Haus halten. Um so viel schmerzlicher werden sie in älteren Jahren die verschwendete Kraft vermissen, um wie viel sie reicher waren als Andere. {{Right|Raro.

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Wie wenig wird mit reinem Sinn verschenkt! {{Right|Eusebius.

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Verzeiht den Irrthümern der Jugend! Es gibt auch Irrlichter, die dem Wandrer den rechten Weg zeigen, den nämlich, den die Irrlichter nicht gehen. {{Right|Fl.

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Es wäre genug Ruhms an der Sommernachtstraum-Ouverture, die andern sollten andere Namen von Componisten tragen. {{Right|Eusebius. _____________ {32} Man betrachtet Jugendwerke von gewordenen Meistern mit ganz andern Augen, als die, die an sich eben so gut, nur versprachen und nicht hielten. {{Right|Raro.

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Es ist erstaunlich, wie Schwachheiten, Fehler, die man als Knabe an Andern schon bemerkte, sich in späterer Zeit als offene Geistesblößen, Talentschwächen etc. zeigen. {{Right|Raro.

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Darf sich das Talent die Freiheiten nehmen, die sich das Genie nimmt? {{Right|Fl.

Ja; aber jenes verunglückt, wo dieses triumphirt, {{Right|Raro. _____________

Manier mißfällt schon am Original, geschweige die nämliche am Copirenden (Spohr und seine Schüler). {{Right|Eusebius. [1832] _____________

Der seichteste Kopf kann sich hinter eine Fuge verstecken. Fugen sind nur der größten Meister Sache. {{Right|Raro.

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Man denke nur, welche Umstände sich vereinigen müssen, wenn das Schöne in seiner ganzen Würde und Herrlichkeit auftreten soll! Wir fordern dazu einmal: große, tiefe Intention, Idealität eines Kunstwerkes, dann: Enthusiasmus der Darsellung, 3) Virtuosität der Leistung, harmonisches Zusammenwirken wie aus einer Seele, 4) inneres Verlangen und Bedürfniß des Gebenden und Empfangenden, momentan günstigste Stimmung (von beiden Seiten, des Zuhörers und des Künstlers), 5) glücklichste Konstellation der Zeitverhältnisse so wie des speciellern Moments der räumlichen und anderen Nebenumstände, 6) Leitung und Mittheilung des Eindrucks, der Gefühle, Ansichten — Wiederspiegelung der Kunstfreude im Auge des Andern. — Ist ein solches Zusammentreffen nicht ein Wurf mit sechs Würfeln von sechsmal sechs? Eusebius. [1832]

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Ouverture zur Leonore.

Beethoven soll geweint haben, als sie, zum erstenmal aufgeführt, in Wien fast durchfällig mißfiel —, Rossini hätte höchstens gelacht im

{33} ähnlichen Falle. Er ließ sich bewegen, die neue aus D dur zu schreiben, die eben so gut von einem andern Componisten gemacht sein könnte. Du irrtest — aber deine Thränen waren edel. {{Right|Eusebius.

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Die erste Conception ist immer die natürlichste und beste. Der Verstand irrt, das Gefühl nicht. {{Right|Raro.

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Bebt ihr nicht zusammen, ihr Kunstschächer, bei den Worten, die Beethoven auf seinem Sterbebette sprach: ich glaube erst am Anfang zu sein —, oder wie Jean Paul: mir ist’s, als hätt' ich noch nichts geschrieben. {{Right|Fl.

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Symphonie von R.* (1833.)

Es kann mich rühren, wenn ein Künstler, dessen Bildungsgang weder unsolid noch unnatürlich genannt werden kann, für seine schlaflosen Nächte, die er dem Werke, arbeitend, vernichtend, wieder ausbauend, wieder verzweifelnd (vielleicht hie und da durch einen Geniusmoment unterbrochen) brachte, nun nichts vom Volke empfängt als nichts, nicht einmal Anerkennung der vermiedenen Fehler, in die der schwächere Jünger verfällt. Wie er dastand, so gespannt, unruhig, traurig, aus eine Stimme hoffend, die ihm einen leisen Beifall gäbe! Es kann mich rühren. E.

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Das Talent arbeitet, das Genie schafft. {{Right|Fl.

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Kritiker und Recensent.

Das bewaffnete Auge sieht Sterne, wo das unbewaffnete nur Nebelschatten. Fl.

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Recensenten.

Schweizerbäcker, die für den bon goût arbeiten, ohne das Geringste selbst zu kosten, — die nichts mehr vom bon goût profitiren, weil sie sich zum Ekel daran abgearbeitet.

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Der Stein des Anstoßes, den sie überall finden, möge nicht an ihnen zum Probirstein der Wahrheit versucht werden, der bekanntlich die Lächerlichkeit ist. {{Right|Fl.

Musikalische Scherteufel (diavolini): wenn ich über ein Sandkorn muß, um weiter zu schreiben —, wenn ich im Notenbogen die

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      *) Fr. Rohr.

{34} zwei inneren Seiten überschlage —, wenn Zweifel entsteht, ob die Tact- der Tonartbezeichnung vorgeht —, wenn ein Hammer nicht abfällt —, wenn im Compositionsfeuer kein Papier zur Hand. Der schlimmste: wenn beim Dirigiren der Tactstock durch die Lüfte fliegt. {{Right|Fl. _____________

Das Große macht sich auch in der Vernichtung geltend. Zerschneidet eine Symphonie von Gyrowetz, und eine von Beethoven — und seht, was bleibt. Compilatorische Werke des Talents sind wie einander umwerfende Kartenhäuser, während von denen des Genies noch nach Jahrhunderten Kapitäler und Säulen vom zerbrochenen Tempel übrig bleiben, so hoch übrigens auch die Zusammenstellung (Composition) in der Musik anzuschlagen ist. {{Right|E.

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Ein Drama ohne lebendiges Vorhalten vors Auge würde ein todtes, dem Volke fremdes bleiben, eben wie eine nur musikalische Dichtungsweise ohne die Hand, die sie verständigte. Kommen aber die Ausübenden (Spielenden) den Schaffenden (Dichtenden) zu Hülfe, so ist die Hälfte der Zeit gewonnen. {{Right|E.

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Der gebildete Musiker wird an einer Raphaelschen Madonna mit gleichem Nutzen studiren können wie der Maler an einer Mozartschen Symphonie. Noch mehr: dem Bildhauer wird jeder Schauspieler zur ruhigen Statue, diesem die Werke jenes zu lebendigen Gestalten; dem Maler wird das Gedicht zum Bild, der Musiker setzt die Gemälde in Töne um. {{Right|E.

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Die Aesthetik der einen Kunst ist die der andern; nur das Material ist verschieden. Fl.

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Daß sich in der Musik, als romantisch an sich, eine besondere romantische Schule bilden könne, ist schwer zu glauben. {{Right|Fl.

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Paganini ist der Wendepunct der Virtuosität. {{Right|Fl.

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Allerdings müssen Finger und Hände von Kindheit an locker, lose und schnell gemacht werden; je leichter die Hand, je vollendeter die Darstellung. {{Right|E.

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Was man in der Kindheit lernt, vergißt man nicht. {{Right|Fl.

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{35} Die Contrapunctischen.

Es ist ihnen nicht genug, daß der Jüngling die alte classische Form als Meister in seinem Geist verarbeitet; er soll es sogar in ihrem. {{Right|E.

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Die Musik ist die am spätesten ausgebildete Kunst; ihre Anfänge waren die einfachen Zustände der Freude und des Schmerzes (Dur und Moll), ja der weniger Gebildete denkt sich kaum, daß es speciellere Leidenschaften geben kann, daher ihm das Verständnis aller individuelleren Meister (Beethovens, Fr. Schuberts) so schwer wird. Durch tieferes Eindringen in die Geheimnisse der Harmonie hat man die feineren Schätzungen der Empfindung auszudrücken erlangt. E. _____________

Die Masse will Massen. {{Right|Fl. _____________

Willst du den Menschen kennen lernen, so frage ihn, welche seine Freunde sind, d. i. willst du übers Publicum urtheilen, so sieh zu, was es beklatscht — nein, was es im Ganzen für eine Physiognomie annimmt nach dem Gehörten. Wie die Musik, anders als die Malerei, die Kunst ist, die wir zusammen, in der Masse am schönsten genießen (eine Symphonie in der Stube mit einem Zuhörer würde diesem wenig gefallen), von der wir zu tausenden auf einmal und in demselben Augenblick ergriffen, emporgehoben werden über das Leben wie über ein Meer, das uns beim Sinken nicht umfaßt und tödtet, sondern den Menschen als fliegenden Genius zurückspiegelt, bis er sich niederläßt unter griechischen Götterhainen, — so hat sie auch Werke, die dieselbe Macht auf die Gemüther ausübten, die darum als die höchsten zu achten sind, der Jugend so klar wie dem Alter. Ich erinnere mich, daß in der C moll-Symphonie im Uebergang nach dem Schlußsatz hin, wo alle Nerven bis zum Krampfhaften angespannt sind, ein Knabe fester und fester sich an mich schmiegte und, als ich ihn darum fragte, antwortete: er fürchte sich! {{Right|Eusebius. _____________

Es ist ein Unterschied, ob Beethoven rein chromatische Tonleitern hinschreibt, oder Herz. (Nach dem Anhören des Es dur-Concertes.) {{Right|Fl. _____________

Das Große geht oft in ähnlichen Worten und Tönen durch die Geister im Kreise um. Fl.

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Der älteste Mensch war der jüngste; der zuletztgekommene ist der {36} älteste; wie kommen wir dazu, uns von vorigen Jahrhunderten Vorschriften geben zu lassen? {{Right|Fl.

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Deinen Ausspruch, Florestan, daß du die Pastoral- und heroische Symphonie darum weniger liebst, weil sie Beethoven selbst so bezeichnete und daher der Phantasie Schranken gesetzt, scheint mir aus einem richtigen Gesühl zu beruhen. Fragst du aber: warum? so wüßt' ich kaum zu antworten. {{Right|E.

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Es kann einem nichts Schlimmeres passiren, als von einem Hallunken gelobt zu werden. {{Right|Fl.

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Unverschämte Bescheidenheit.

Die Redensart: „ich hab’s in den Ofen gesteckt“ birgt im Grund eine recht unverschämte Bescheidenheit; eines schlechten Werkes wegen wird die Welt noch nicht unglücklich, und dann bleibt es auch immer nur bei der Redensart; man müßte sich ja wahrhaftig schämen. Kann die Menschen nicht leiden, die ihre Compositionen in den Ofen stecken. {{Right|Fl.

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Ueber Aendern in Compositionen.

Oft können zwei Lesarten von gleichem Werth sein. {{Right|Eusebius.

Die ursprüngliche ist meist die bessere. {{Right|Raro.

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Preisaufgabe.

Die allgemeine mus. Zeitung (red. von Herrn Mag. G. W. Fink) bietet seit geraumer Zeit eine Menge interessanter, mystischer, im Stil der Offenbarung Johannis geschriebener Leading-Artikel, transcendentale Davidsbündleriana, deren Bedeutung für die Kunst nicht hoch genug angeschlagen werden könnte, wenn man sich nicht hier und da über eine gewisse Dunkelheit beklagte, der vielleicht durch einen passenden Commentar abzuhelfen wäre.17 Die Redaction der Davidsbündlerschaft kann sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, auch hier zum Besten der Kunst zu wirken. Sie besitzt ein schönes Exemplar der Werke von Mozart-Haydn-Beethoven. Dürfte sie nicht dem Künstler, Kunstfreund, Gelehrten, Staatsmann, der im Stande, über jene überirdische Knnstgenossenschaft genaueren Ausschluß zu geben, dieses als Belohnung anzubieten sich erlauben, was zugleich als eine Preisausgabe betrachtet werden könnte? _____________

{37} Wie mich dies ärgert, wenn Einer sagt: eine Symphonie von Kalliwoda wäre keine von Beethoven. Freilich lächelt der Caviarschmecker sehr, wenn das Kind einen Apfel schmackhaft findet. {{Right|E. _____________

Wie es eine Schule der Höflichkeit (von Rumohr) gibt, so wundert es mich, daß noch Niemand auf eine Schule der Polemik gefallen, die bei Weitem phantasiereicher. Künste sollen nur von Talenten gepflegt werden, ich meine, die Sprache des Wohlwollens verstünde sich in der musikalischen Kritik von selbst, wenn man sie immer an Talente richten könnte. So aber wird oft Krieg von Nöthen. Die musikalische Polemik bietet ein noch ungeheures Feld; es kommt daher, weil die wenigsten Musiker gut schreiben und die meisten Schriftsteller keine wirklichen Musiker sind, keiner von Beiden die Sache recht anzupacken weiß; daher auch musikalische Kämpfe meistens mit gemeinschaftlichem Rückzug oder einer Umarmung endigen. Möchten nur die Rechten baldigst kommen, die sich tüchtig zu schlagen verstehen! {{Right|Fl.

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Musik der Tropenländer.

Bis jetzt kennen wir nur deutsche, französische und italiänische Musik als Gattungen. Wie aber, wenn die andern Völker dazukommen bis nach Patagonien hin? Dann würde sich ein neuer Kiesewetter* nur in Folianten aussprechen können. {{Right|Fl.

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Vorstellung des Moments während seiner Dauer.

Ein rasender Roland würde keinen dichten können; ein liebendes Herz sagt es am wenigsten. Die Phantasterei der Franz Lißtschen Compositionen würde sich gestalten, wenn er das einzusehen anfinge. Die merkwürdigsten Geheimnisse des Schaffens gäbe es über diesen Gegenstand zu untersuchen. Etwas fortzubewegen, darf man nicht darauf stehen.

Dem entgegen steht der krasse Materialismus der mittelalterlichen Figuren, aus deren Mäulern große Zettel mit erklärenden Reden hingen. {{Right|Fl.

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Warum nicht alle hohen Prometheuse an Felsen geschmiedet, weil sie zu früh das Himmelslicht holten! {{Right|Fl.

Eine Zeitschrift soll nicht blos die Gegenwart abspiegeln; der

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      * Raphael Georg Kiesewetter (1773—1850) galt schon damals wegen seiner preisgekrönten Schrift: „Die Verdienste der Niederländer um die Tonkunst“ und verschiedener musikgeschichtlicher Abhandlungen (größtentheils in der Leipziger allgem. musikal. Zeitung) als Autorität in der Musikgeschichte.

{38} sinkenden muß die Kritik vorauseilen und sie gleichsam aus der Zukunft zurückbekämpfen. {{Right|Fl. _____________

Eine Zeitschrift für „zukünftige Musik“ fehlt noch. Als Redacteure wären freilich nur Männer, wie der ehemalige blind gewordene Cantor an der Thomasschule* und der taube in Wien ruhende Kapellmeister** passend. {{Right|Fl.

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Wer viel Angst hat, seine Originalität zu bewahren, ist allerdings im Begriff, sie zu verlieren. {{Right|E.

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Nur wenige der eigentlichsten genialen Werke sind populär geworden (Don Giovanni). {{Right|Fl.

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Greift nicht in die Zeit ein; gebt den Jünglingen die Alten als Studium, aber verlangt nicht von ihnen, daß sie Einfachheit und Schmucklosigkeit bis zur Affectation treiben. Läutert ihn, daß er eine besonnene Anwendung der neuerweiterten Kunstmittel macht. {{Right|Raro.

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Grund zum Verfall der Musik sind schlechte Theater und schlechte Lehrer. Unglaublich ist, wie durch Anleitung und Fortbildung die letzteren aus lange Zeit, ja auf ganze Generationen segensreich oder verderblich wirken können. {{Right|Raro.

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Falkenjäger rupfen ihren Falken die Federn aus, damit sie nicht zu hoch fliegen. Fl.

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Roth heißt die Jugendfarbe. Stier und Truthahn werden sehr wüthend und aufgeblasen bei solchem Anblicke. {{Right|Fl.

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Kritiker und Recensent ist zweierlei; jener steht dem Künstler, dieser dem Handwerker näher. {{Right|Fl.

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Ist Genius da, so verschlägt’s ja wenig, in welcher Art er erscheint, ob in der Tiefe, wie bei Bach, ob in der Höhe, wie bei Mozart, oder ob in Tiefe und Höhe vereint, wie bei Beethoven. Fl.

Apollo ist Gott der Musen und der Aerzte zugleich. {{Right|Fl.

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    * Bach.
   ** Beethoven.

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1834.

{40}

[Leer]

{41} * Prospectus.

Neue Leipziger Zeitschrift für Musik.

Herausgegeben durch einen Verein von Künstlern und Kunstfreunden. *

Sie wird enthalten:

Theoretische und praktische Aufsätze (kunstästhetische, grammatische, pädagogische, biographische, akustische), Nekrologe, Beiträge zur Bildungsgeschichte berühmter Künstler, Beurteilungen ausgezeichneter Virtuosenleistungen, Operndarstellungen; unter der Aufschrift: Zeitgenossen. Skizzen mehr oder weniger berühmter Künstler, unter der Rubrik; Journalschau, Nachrichten über das Wirken anderer kritischen Blätter. Bemerkungen über Recensionen in ihnen, Zusammenstellung verschiedener Beurtheilungen über dieselbe Sache, eigne Resultate darüber, auch Antikritiken der Künstler selbst, sodann Auszüge aus ausländischen. Interessantes aus älteren musikalischen Zeitungen.

Belletristisches, kürzere musikalische Erzählungen, Phantasiestücke, Scenen aus dem Leben, Humoristisches, Gedichte, die sich vorzugsweise zur Composition eignen.

Kritiken über Geisteserzeugnisse der Gegenwart mit vorzüglicher Berücksichtigung der Compositionen für das Pianoforte. Auf frühere schätzbare, übergangene oder vergessene Werke wird aufmerksam gemacht,

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     * Dieser Prospect erschien auf einem einzelnen Quartblatte und wurde fast unverändert in die erste Nummer (3. April) der neuen Zeitschrift aufgenommen, die mit dem Motto eingeleitet war: 

{{Right|Die allein, {{Right|Die nur ein lustig Spiel, Geräusch der Tartschen {{Right|Zu hören kommen, oder einen Mann {{Right|Im bunten Rock, mit Gelb verbrämt, zu sehen, {{Right|Die irren sich. {{Right|Shakespeare. {42} wie auch auf eingesandte Manuseripte talentvoller unbekannter Componisten, die Aufmunterung verdienen. Zu derselben Gattung gehörige Compositionen werden öfter zusammengestellt, gegen einander verglichen, besonders interessante doppelt beurtheilt. Zur Beurtheilung eingesandte Werke werden durch eine vorläufige Anzeige bekannt gemacht; doch bestimmt nicht das Alter der Einsendung die frühere Besprechung sondern die Vorzüglichkeit der Leistung.

Miscellen. kurzes Musikbezügliches, Anekdotisches, Kunstbemerkungen, Musikalisches aus Goethe, Jean Paul, Heinse, Hoffmann, Novalis, Rochlitz u. A. m.

Correspondenzartikel nur dann, wenn sie eigentlichstes Musikleben abschildern. Wir stehen in Verbindung mit Paris, London, Wien, Berlin, Petersburg, Neapel, Frankfurt, Hamburg, Riga, München, Dresden, Stuttgart u. a. — Referirende Artikel fallen in die folgende Abtheilung.

Chronik, Musikaufführungen, Concertanzeigen, Reisen, Ausenthalt der Künstler, Beförderungen, Vorfälle im Leben. Es wird keine Mühe gescheut, diese Chronik vollständig zu machen, um die Namen der Künstler so oft wie möglich in Erinnerung zu bringen.

Noch machen wir vorläufig bekannt, daß, wenn sich die Zeitschrist bald einer allgemeinen Theilnahme erfreuen sollte, der Verleger sich erboten hat, einen Preis auf die beste eingesandte Composition, fürs Erste aus die vorzüglichste Pianofortesonate, zu setzen, worüber das Nähere seiner Zeit berichtet wird.

Ueber die Stellung, die diese nene Zeitschrift unter den schon erscheinenden einzunehmen gedenkt, werden sich die ersten Blätter thatsächlich am deutlichsten aussprechen.

Wer den Künstler erforschen will, besuche ihn in seiner Werkstatt. Es schien nothwendig, auch ihm ein Organ zu verschaffen, das ihn anregte, außer durch seinen directen Einfluß noch durch Wort und Schrift zu wirken, einen öffentlichen Ort, in dem er das Beste von dem, was er selbst gesehen im eignen Auge, selbst erfahren im eignen Geist, niederlegen, eben eine Zeitschrist, in der er sich gegen einseitige oder unwahre Kritik vertheidigen könne, so weit sich das mit Gerechtigkeit und Unparteilichkeit überhaupt verträgt.

Wie sollten die Herausgeber die Vorzüge der bestehenden, höchst

{43 achtbaren Organe, die sich ausschließlich mit musikalischer Literatur beschäftigen, nicht anerkennen wollen! Weit entfernt, die etwaigen Mängel der Unbekanntschaft mit den Forderungen, die jetzt der Künstler an den Kritiker machen darf, oder einem abnehmenden Kunstenthusiasmus zuzuschreiben, finden sie es auf der einen Seite unmöglich, daß das Gebiet der Musik, welches quantitativ sich so ausgedehnt, von einem Einzelnen bis ins Einzelne durchdrungen werden könne, auf der andern natürlich, daß beim Zusammenwirken Mehrerer, von welchen sich im Verlauf der Zeit Viele ausscheiden, an deren Stelle Andersgesinnte eintreten, der erste Plan vergessen wird, bis er endlich im Lockeren und Allgemeinen vergeht.

Künstler sind wir denn und Kunstfreunde, jüngere wie ältere, die wir durch jahrelanges Beisammenleben mit einander vertraut und im Wesentlichen derselben Ansicht zugethan, uns zur Herausgabe dieser Blätter verbunden. Ganz durchdrungen von der Bedeutung unsers Vorhabens legen wir mit Freude und Eifer Hand an das neue Werk, ja, mit dem Stolz der Hoffnung, daß es als im reinen Sinn und im Interesse der Kunst von Männern begonnen, deren Lebensberuf sie ist, günstig aufgenommen werde. Alle aber, die es wohlmeinen mit der schönen Kunst der Phantasie, bitten wir, das innge Unternehmen mit Rath und That wohlwollend zu fördern und zu schützen.

Leipzig, am 16. März 1834. {{Right|Die Herausgeber.18

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'Kritik.'

W. Taubert, Duo für Pianoforte zu 4 Händen (A moll), Werk 11.

Nach öfterm Anhören und Durchspielen des überdem klaren Satzes fühlte ich immer eine Lücke. Es war, als müßte noch etwas kommen oder als wäre etwas vorweg gegangen, was das Spätere erklärte. Formell und an sich ist es abgeschlossen, nicht der Idee nach. Ich weiß nicht, ob eine Sonate damit angelegt war und der Componist beim letzten Satz angefangen hat, wie das wohl geschieht.*

Die Menschen sind unleidlich und ungebildet überdies, die gleich ihren Musikschrank umwenden, um Aehnlichkeiten und Reminiscenzen herauszusuchen. Es kann kein Vorwurf sein, daß der Stil des Duos

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       * Hier war noch hinzugefügt: „Er muß das am Besten wissen. Hält er es für werth, so ist es ein Wunsch, daß er sich selbst in diesen Blättern darüber ausspreche.“

{44} dem der bekannten, aber tiefer gehenden Onslowschen Sonate in E moll etwas verwandt scheint, eben so wenig, daß, wie in jener ein Saiteninstrumentcharakter, im vorliegenden Stücke ein noch breiterer Instrumentalcharakter vorherrscht. Wer sein Instrument kennt und studirt hat, wird die Linie treffen. So wird anf der einen Seite der gehaltene Ton der menschlichen Stimme gewissen Instrumenten fremd bleiben, während durch vielfeitige Prüfung anderer, die dem eignen Instrument mehr oder weniger verwandt sind, neue Wirkungen sich entdecken. Wenn ich daher gleich in den ersten Tact Pauken, in den zweiten das antwortende Tutti, in die späteren kurzen Achtel Violinunisonos legen kann, so ist der Charakter des Instruments, für welches geschrieben worden, noch nicht verletzt, sondern der Genuß überhaupt vielleicht erhöht.

Nach den Proben, die der Componist in den vorjährigen Leipziger Winterconcerten von seinem Compositionstalent ablegte, ging ich mit etlichen Erwartungen, zu denen mich jene berechtigten, an das Werk. Ich täuschte mich nicht. Herr Taubert geht im Werke einen kräftigen schätzbaren Bürgerschritt, überschreitet nie* verbotene Wege, ohne Furcht, mit dem Paß in der Tasche. Wir sind Alle sehr schlimm. Sitzen wir im Wagen, so beneiden wir den Fußgänger, der langsam genießen und vor jeder Blume so lange stehen bleiben kann, als er will. Gehen wir zu Fuß, so werden wir’s recht herzlich satt und nähmen vorlieb mit dem Bock. Ich meine: gewisse Fehler des Einen würden wir dem Andern für Tugenden anrechnen. Gäbe es einen Geistertausch, so würde ich Herrn Taubert etwas vom Blute einiger Hypergenialen, diesen etwas von der Mäßigung und dem Anstande jenes geben. Man mache dieser Ansicht Vorwürfe! Allerdings soll ein Kunstwerk nicht ein Alphabet aller ästhetischen Epitheten geben; aber die Kritik soll die nothwendigen Forderungen (die vermißten, nicht die fehlenden), denen der Künstler nicht nachgekommen ist, nicht verheimlichen. Ich glaube, der echte poetische Schwung wäre eine. Im Werke gehen aber die Flügel nur langsam auf und nieder. Deute der Componist diesen Ausspruch nicht falsch! Von welchen [Männern] soll Heil, und Segen in der Kunst zu erwarten sein, als von denen, die außer dem edlern Streben auch die größere Kraft besitzen, beides in Einklang zu bringen? Gerade die Besseren mögen mit ihren unbedeutenderen Sachen zurückbleiben! Es kann mich erboßen, wenn ich so

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       * Den vierten Tact auf S. 14 vielleicht ausgenommen. [Sch.]

{45} zusammengeschriebene „Souvenirs“ von einem Meister wie Moscheles in die Hände bekomme mit componirenden Musikstatisten hinterdrein, die rufen: „Der hat’s auch nicht besser gemacht!“ Das vorliegende Duo ist freilich besser als tausend dergleichen, aber der Ansprüche an den Besseren gibt es auch tausend mehr. Gegen Talente soll man nicht höflich sein. Vor Herz oder Czerny ziehe ich den Hut — höchstens mit der Bitte, mich nicht ferner zu incommodiren.

Dies im Ganzen und für den Componisten, der Vielen durch ein vorzügliches Pianoforteconcert, das er der Welt bald vorlegen wolle, werth geworden ist. Wiegt nun unser Werk bei Weitem innerlich wie äußerlich leichter, so ist ihm doch Verbreitung zu wünschen. Man kann diese sogar voraussagen, da es ziemlich handlich, ohne höher fliegende Passagen geschrieben, angenehm, ja sogar schön klingen kann, wenn man es immer mit der vortrefflichen Dilettantin, der es zugeeignet ist,* spielen könnte.

Das Ganze geht in A moll, obwohl es vielleicht eher einen G moll-Charakter aussprechen will. So gesangreich, fast innig das erste Thema ist, so arm sticht das dritte in E moll dagegen ab. Den Gedanken, dem ersten gezogenen ein zweites in abgeschlossenen Noten als Contrast entgegenzusetzen, müßte man loben, wenn das in E moll bedeutender in der Erfindung und nicht so gar harmonieleer wäre. Das Mißlungene, Unkanonische tritt bei der spätern Verarbeitung um so stärker vor, die mehr gemacht, geschrieben, wenig Genialisches hat. Gut bleibt’s immer, daß sich die Armuth hier wenigstens offen zeigt. — Wollt ihr aber wissen, was durch Fleiß, Vorliebe, vor Allem durch Genie aus einem einfachen Gedanken gemacht werden kann, so leset in Beethoven und sehet zu, wie er ihn in die Höhe zieht und adelt, und wie sich das Anfangs gemeine Wort in seinem Mund endlich wie zu einem hohen Weltenspruch gestaltet.

Ich wünschte vorhin dem Werk Verbreitung. Ich meine so. Vor Allem thut es Noth, der jungen anwachsenden Zeit etwas an die Hand zu geben, was sie vor dem schlimmen Einfluß bewahre, den gewisse niedrig-virtuosische Werke auf Jene ausgeübt. Je allgemeiner der Kunstsinn, je besser. Für jede Stufe der Bildung sollen Werke da sein. Beethoven hat sicher nicht gewollt, daß man ihn meint, wenn von Musik die Rede ist. Er hätte das sogar verworfen. Darum für Alle das Rechte und Echte! Nur für das Heuchlerische, für das Häßliche,

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        * Frau Henriette Voigt.

{46} das sich in reizende Schleier hüllt, soll die Kunst kein Spiegelbild haben. Wäre der Kampf nur nicht zu unwürdig! — Doch, jenen Vielschreibern, deren Werkzahl sich nach der Bezahlung richtet (es gibt berühmte Namen darunter), jenen Anmaßenden, die sich wie außer dem Gesetz stehend betrachten, endlich jenen armen oder verarmten Heuchlern, die ihre Dürftigkeit noch mit bunten Lumpen herausputzen, mnß mit aller Kraft entgegengetreten werden. Sind diese niedergedrückt, so greift die Masse von selbst nach dem Bessern.*

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Christus am Oelberg. Kyrie und Gloria aus der

Missa solemnis von Beethoven.

Musikaufführung am 38. März in der Universitätskirche zu Leipzig.

Die Idee ist schon und poetisch, daß uns heute Beethoven als Jüngling und als Mann am Hochaltar der Kunst — gleichsam als Novize und Hoherpriester — vorgeführt worden. Vom oft schmerzenreichen Leben, das mitten inne lag, klingt nichts nach. Es ist das ganz in Andacht und Gottesbegeisterung versenkte Gemüth.

Für den hohen Genuß fühlen wir uns gegen Herrn Musikdirector Pohlenz zum lebhaftesten Dank verpflichtet und wünschen in diesem Sinn mehr Charfreitage. Es kann etwas, was mit solchem Eifer, solcher Uneigennützigkeit unternommen ist, gar nicht genug gerühmt werden. Die Masse schätzt das auch; aber sie hält sich an die Ausführung. War diese schlecht, so tadelt sie, gut, so lobt sie und vergißt es dann. An die unendlichen Hindernisse aber, an das mühsame Einstudiren, Probehalten, an das Beischaffen der Mittel, Beseitigen mancher Interessen und dergl. denkt sie mit keinem Wort; so möchte Herr Pohlenz die allgemeine Anerkennung einer zahlreichen und aufmerksamen Versammlung als Dank für sein verdienstvolles Wirken annehmen und als Anregung, uns ein Werk bald ganz vorzuführen, das ja zu den höchsten unserer Kunst gehört. — Von den großen Schwierigkeiten der Messe, die den Ausführenden theilweise wohl neu war, spürte man kaum etwas. Es war Leben, Zug und Sicherheit im Ganzen.

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       * Gestrichen: „Sonst aber wächst uns jenes Bündniß über kurz oder lang über den Kopf zusammen und mit ihm eine Sündfluth von Werken, die in der tiefern Verzweigung eine allgemeine der Geistesarmuth, Geistesohnmacht werden könnte.“

{47 Das Komische in der Musik.19

Die weniger gebildeten Menschen sind im Ganzen geneigt, aus der Musik ohne Text nur Schmerz oder nur Freude, oder (was mitten inne liegt) Wehmuth herauszuhören, die feineren Schattirungen der Leidenschaft aber, als in jenem den Zorn, die Reue, in dieser das Gemächliche, das Wohlbehagen etc. zu finden nicht im Stande, daher ihnen auch das Verständniß von Meistern wie Beethoven, Franz Schubert, die jeden Lebenszustand in die Tonsprache übersetzen konnten, so schwer wird. So glaub' ich in einzelnen moments musicaux von Schubert sogar Schneiderrechnungen zu erkennen, die er nicht zu bezahlen im Stande, so ein spießbürgerlicher Verdruß schwebt darüber. In einem seiner Märsche meinte Eusebius ganz deutlich den ganzen österreichischen Landsturm mit Sackpfeifen vorn und Schinken und Würsten am Bajonette zu erkennen. Doch ist das zu subjectiv.

Von rein komischen Instrumentaleffecten führ' ich aber an die in der Octave gestimmten Pauken im Scherzo der D moll-Symphonie, die Hornstelle

#Notenbeispiel

in dem der A dur-Symphonie von Beethoven, überhaupt die verschiedenen Einschnitte in D dur im langsamen Tempo, mit denen er plötzlich aufhält und zu dreimalen erschreckt (wie denn der ganze letzte Satz derselben Symphonie das Höchste im Humor ist, was die Instrumentalmusik aufzuweisen), dann das Pizzicato im Scherzo der C moll-Symphonie, obwohl etwas dahinter dröhnt.

So fängt bei einer Stelle im letzten Satz der f dur-Symphonie ein ganzes wohlbekanntes und geübtes Orchester* zu lachen an, weil es in der Baßfigur

  1. Notenbeispiel

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       * Das Leipziger,

{48} den Namen eines geschätzten Mitglieds (Belcke) zu hören fest behauptet. Auch die fragende Figur

#Notenbeispiel

im Contraviolon der C moll-Symphonie wirkt lustig. Die im Adagio der Läm-Symphonie

#Notenbeispiel

ist zumal im Baß oder in der Pauke ein ordentlicher Falstaff. Einen humoristischen Eindruck bringt auch der letzte Satz im Quintett (Werk 29) hervor von der schnippischen Figur

#Notenbeispiel

an bis zum plötzlichen Eintritt des Zweivierteltactes, der den gegenkämpfenden Sechsachtler durchaus niedermachen will. Gewiß ist, daß Beethoven im Andante scherzoso selbst eintritt (wie etwa Grabbe mit der Laterne in seinem Lustspiel*) oder ein Selbstgespräch hält, das sich anfängt: Himmel — was hast du da angerichtet! — da werden die Perücken die Köpfe schütteln (eigentlich umgedreht) etc. Gar spaßhaft sind dann die Schlüsse im Scherzo der A dur-Symphonie, im Allegretto der achten. Man sieht den Componisten ordentlich die Feder wegwerfen, die wahrscheinlich schlecht genug gewesen. Dann die Hörner am Schluß des Scherzo der B dur-Symphonie, die mit

#Notenbeispiel

noch einmal wie recht ausholen wollen. Wie viel findet sich dann im Haydn (im idealischen Mozart weniger)! Unter den Neueren darf, außer Weber, namentlich Marschner nicht unerwähnt bleiben, dessen Talent zum Komischen sein lyrisches bei Weitem zu überragen scheint. {{Right|Fn.

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       * In Grabbes Luftspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ tritt der Dichter zuletzt mit der Laterne auf.
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{49} * Zeitgenossen.

(Von einem alten Musiker.)

Anna Caroline von Belleville. 20

Eröffne du die Bilderreihe, jugendliche Meisterin, die meinen alten Tagen noch drei schöne gab! Könntest du nur halb so viel, so würde dich der Deutsche, der am Virtuosen durchaus Gefechte, Attacken, kurz Kampf mit seinem Instrument sehen will, leichter verstanden und schwerer nach England ziehen gelassen haben, England, das wie immer die Künstler vergräbt und zu Grunde richtet.

Verstand ich sie anders recht, so ist sie (vor etlichen zwanzig Jahren) zu Augsburg geboren, von französischem Stamm. Früh ans Reisen gewöhnt, spricht sie nach längerm Aufenthalt in England, Frankreich, irre ich nicht, auch in italiän, diese Sprachen, die ihren deutschen Accent geläutert und weicher gemacht haben. Im Gespräch mit Einzelnen gibt sie sich offen und zutraulich, obwohl ihre Ueberzeugung in Kunstansichten vertheidigend; in größeren Cirkeln soll sie etwas vom einsilbigen Künstlerstolz annehmen, der am rechten Ort gar nicht zu tadeln ist. — In Wien ward sie namentlich durch Czerny fortgebildet; der alte Andreas Streicher half nach. So trat sie in voller Kunstblüthe in Leipzig auf. — Ob französisch und englisch Blut zusammen passen, weiß ich nicht. Sie verehelichte sich später mit einem englischen Violinspieler Oury, mit dem sie eben aus einer Kunstreise durch Rußland begriffen war.

Den Kopf ein wenig senkend, woran Kurzsichtigkeit Schuld ist, und die sein gebauten Hände, weiß wie das Elfenbein der Tasten, etwas hoch über die Claviatur haltend, herrscht sie mit Leichtigkeit und Grazie über die spielenden Töne. Ihr Clavierspiel ist, was es sein soll, ein Spielen mit dem Instrument. Die Masse versteht dies Geheimniß nicht. Je krasser die Noten, je heiterer das Gesicht; je toller die Sprünge, je sicherer der Anschlag. Im Ausgearbeiteten, Abgerundeten, vom einfachen Ton an bis zu gegen einander rollenden, blitzesschnellen Doppelgriffen, steht sie anderen Meistern gleich. An Sicherheit der Volubilität übertrifft sie vielleicht alle. Kunstkenner erklären den Vortrag des C dur-Concerts von Pixis für ihre

{50} Meisterleistung, den des Hummelschen in A moll für die schwächste. Nur das Erste weiß ich. Ihr Eigenthümlich-vollendetes ist der abnehmende Triller, der zuletzt wie mit dem Aether zusammenfließt. Den Fehler, daß die linke Hand der rechten an Fertigkeit und Gesang im Anschlag bei Weitem nicht gleichkommt, wird sie vielleicht durch rechtes Studium und durch den Fleiß, der ihr vor allen Virtuosinnen eigen ist, beseitigt haben. Wie konnte aber Einseitigkeit und Vorliebe für eigne Methode einen sonst ausgezeichneten Künstler so verblenden, daß er ihr Schule und Anschlag absprach? — In der Composition guckt überall das Weibliche heraus — pathetische Anfänge, Unsicherheit in der Form und im Harmonischen, sentimentale Episoden in der Mitte, schnelles Abbrechen der Gedanken. — Nun, wir kennen euch, liebenswürdige, träumerische Wesen!

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Theodor Stein.

Wir würden weniger streng urtheilen, handelte es sich nicht in der That um ein seltneres Talent, das wohl gar gering geschätzt worden ist. Wir lieben die Wunderkinder. Wer in der Jugend Außerordentliches leistet, wird bei stetigem Fortlernen im Alter Außerordentlicheres zu Wege bringen. Gewisse Handfertigkeiten sollen gar so früh als möglich zur Virtuosität ausgebildet werden. Aber das. wodurch unser jugendlicher Künstler sich jenen Namen vorzugsweise erworben, bekämpfen wir als durchaus falsch — das öffentliche Phantasmen in jüngeren Jahren. — Zu ihm, dem wir Talent, ja ein ungewöhnliches zugestehen, sprechen wir nicht, aber zu seinem Führer, seinem Lehrer, nenn' er sich, wie er wolle.

Wer wird die aufgesprungene Knospe wieder zusammenzufalten versuchen! Es wäre unnütz. Eine früh erwachte Neigung gewaltsam zurückzudrängen, scheint so unnatürlich, als es naturgemäß sein kann, daß sich ein besonderer Sinn beim Einen früher zeitigt und entwickelt als beim Andern. Nur sollte man die seltnere Jännerblume, ehe man sie der weiten kalten Welt zur Schau bringt, im stillern Verschluß pflegen uud liebhatten. Wir wollen der Zukunft unsers Kunstjüngers nicht vorgreifen. Sie hätte glänzend werden können und unter Umständen werden müssen. Es scheint aber bei seiner Bildung so manches versäumt, es scheinen so viele Mißgriffe gethan worden zu sein, daß

{51} wir seinen Lehrer aufmerksam machen müssen, die spätere dauernde Anerkennung nicht einem unnützen Frühruhm opfern zu wollen. Alle Vorzüge seines Schülers sind jetzt nur solche des Talents, alle Fehler Folgen einer unrichtigen Erziehung. Wenn wir nun unter jene das sichere Eingreisen des Augenblicks und dessen Umsetzung in die Tonsprache, das meist glückliche Verflechten und Auswirren der Stoffe, den oft überraschenden Stimmenbau der Harmonie rechnen müssen, so fällt unter diesen am ersten ein trübes Einerlei der Gefühlsweise, das stille fortleidende Wesen der Melodieen, das endlose Fortziehen von Molltonarten aus. Er zeigt uns Gestalten, aber sie sind blaß, verweint. Das soll nicht. Steht dies auch nicht außer Verbindung mit der ganzen Richtung, welche die jüngste musikalische Vergangenheit genommen, so darf das nicht abhalten, der Jugend das blühende, kräftige Leben zu bewahren. Gebt Beethoven den Jüngeren nicht zu früh in die Hände, tränkt und stärkt sie mit dem frischen, lebensreichen Mozart! Es gibt wohl Naturen, die dem gewöhnlichen Gang der Entwickelung entgegenzustreben scheinen, aber es gibt auch ewige Naturgesetze, nach denen die umgestürzte Fackel, die früher erleuchtet hatte, nunmehr ihren Träger verzehrt.

Der Grund jener Mängel liegt nicht fern. Unser liebenswerther Künstler, durchaus sinnig und musikalisch, muß recht wohl fühlen, daß noch manches fehlt, selbst das eigentliche rechte Spielen seines Instruments, die ruhige Fertigkeit, die eine gute Schule bildet, die sichere Leichtigkeit, die sich erst aus anhaltender Uebung erzeugt, vor Allem der gesunde Ton, den Niemand aus die Welt mitbringt. Irren wir hierin nicht, so wird er es uns vielleicht in Jahren Dank wissen, daß wir ihm so ernst die Zukunst vorhielten, mit der nicht zu spielen ist. Ifrten wir aber, so müßten wir auch dann noch sagen, daß mit ihm ein Talent verloren gegangen wäre, das mehr verdient hätte.

In einem und dem andern Fall mög' er sich dann einer bedeutsamen alten Sage erinnern! Apollo pflog mit einem schönen Sterblichen Umgang. Wie dieser nun immer göttlicher werdend heranreiste, dem Jünglingsgotte ähnlicher wurde an Gestalt und Geist— da verrieth er sein Geheimniß zu früh den Menschen. Der Gott aber, darüber erzürnt, erschien ihm nicht wieder, und der Jüngling, erschüttert vom Schmerz, sah nun unaufhörlich in das Auge der Sonne, des fernen Geliebten, bis er starb. — Zeige denn deine Göttergaben den Weltmenschen nicht eher, bis es dich die Himmlischen heißen, die sie

{52} dir verliehen und denen du werth geworden bist. Dem Künstler, dem schönen Sterblichen, verwandelt sich der griechische Gott zum Phantasus.“ {{Right|Euseb.

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* Englisches Matrosenlied. [The sun sinks“.]

Musik von Mad. Malibran.

Die eigenthümliche Vortragsweise der geistreichen Sängerin Francilla Pixis hat dieses Lied in Deutschland berühmt und Vielen unvergeßlich gemacht. Es war der Abschied, den sie sang.** Vom schmerzlichen Ton im Lied mag nichts ihr Leben berühren! — Auch ohne diese Umstände würde es reizend und schwärmerisch bleiben. Es hat so etwas Wogendes, Echtmusikalisches. Man fühlt recht deutlich die »wide and silvered sea«, den Abend, der sich darüber gelagert und das wartende Schiff mit ausgezogenen Segeln. Es ist aber nicht ein grobes Hingemaltes, sondern ein Seelenbild, das andere weckt. 2.

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* I. Brandl,

Hero, Monodrama mit Chören und Pianoforte. Werk 57.

Mir träumte, Publicum, ich sähe aus einem lustigen Jahrmarkt zu Eßlingen zum Fenster hinaus. Flatternde Bänder, Pfefferkuchenbuden, herauslangende Verkäuferinnen, Affen aus Kameelen, Trommel und Papagenopfeife — alles liefe wirr durch einander. Am meisten beschäftigte mich ein alter Kerl mit einem großen Bild auf einer Stange, der die Bauerjungen haranguirte, einen aber, der ihn sehr zupfte von hinten, am Kragen faßte und in Kürze durchprügelte. Es war dies nur ein Vorspiel zur Geschichte. Denn ernsthaft holte er aus im überrheinischen Dialect, den ich verhochdeutsche: „Schauet da auf der großen, schönen Tafel eine seltsame Liebesgeschichte, die schlecht ablief — schauet da die Mademoiselle im rothen Rock, geheißen Hero, wie sie der alte Papa im Frack gewaltig anfährt und schlägt und solche

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      * Von dem ferneren Loos des jungen damals Hoffnungen erregenden Mannes ist uns nichts näher bekannt geworden. [Sch. 1852.] 
     ** Den 8. October 1833.

{53} in einen Thurm im Wasser stecken will, weil sie liebet einen Andern, den sie nicht soll — alles sehr gut gemacht ganz nach der Natur. Hier schauet nun, wie sie sitzt auf dem Thurm im Wasser und Strümpfe stopft, niedergeschlagen, da sie nicht lieben soll, den sie will.“ So ging’s eintönig fort bis zum Schluß, wo er mit etwas Naß aus den grauen Backen schrie: „Also sind ertrunken Hero und Leandros, die sich sehr liebeten.“ Der Jahrmarkt war sichtlich gerührt.

Als ich aber aufwachte, hatt' ich merkwürdiger Weise die 32. und letzte Seite in der Hand. {{Right|F-n.

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'Concert.'

Henri Vieuxtemps und Louis Lacombe.

Eine zufällige Vereinigung zweier sehr junger Franzosen, die sich auf ihren Wegen begegneten. — Tout genre est bon, exepté le genre ennuyeux, mithin auch ihres. Wollte man vom Beifall auf ihre Leistungen schließen, so müßten diese die unerhörtesten sein. Vorneweg beklatscht, in der Mitte zu vielenmalen, am Schluß im Tutti, Henri hervorgerufen — das alles im Gewandhaussaal zu Leipzig.

Freilich thut ein Dutzend klatschender Franzosen etwas und mehr als ein Saal entzücktschlafender deutscher Beethovener. Bei jenen klatscht jeder Nerv von Kopf zu Fuß: die Begeisterung schlägt sie wie Becken an einander. Die Deutschen gehen vorm Schluß in Kürze sämmtliche Musikepochen durch und vergleichen selbige flüchtig, obschon gut — da entsteht nun das Mezzoforte, das uns von jeher ausgezeichnet.

An jenem Abend war’s anders. Wer sollte sich nicht über ein feuriges Publicum freuen, da es die Knaben überdem verdienten.

Der sich der Welt vorstellt, soll weder zu jung noch zu alt sein, sondern blühend, nicht allein hier und da, sondern am ganzen Stamm. Bei Henri kann man getrost die Augen zudrücken. Wie eine Blume duftet und glänzt dieses Spiel zugleich. Seine Leistung ist vollständig, durchaus meisterlich.

Wenn man von Vieuxtemps spricht, kann man wohl an Paganini denken. Als ich diesen zuerst hören sollte, meinte ich, er würde mit einem nie dagewesenen Ton anfangen. Dann begann er und so dünn,

{54} so klein! Wie er nun locker, kaum sichtbar seine Magnetketten in die Massen warf, so schwankten diese herüber und hinüber. Nun wurden die Ringe wunderbarer, verschlungener; die Menschen drängten sich enger; nun schnürte er immer fester an, bis sie nach und nach wie zu einem einzigen zusammenschmolzen, dem Meister sich gleichwiegend gegenüber zu stellen, als Eines vom Andern von ihm zu empfangen. Andere Kunstzauberer haben andere Formeln. Bei Vieuxtemps sind es nicht die einzelnen Schönheiten, die wir festhalten könnten, noch ist es jenes allmähliche Verengen wie bei Paganini, oder das Ausdehnen des Maßes wie bei anderen hohen Künstlern. Wir stehen hier unvermuthet vom ersten bis zum letzten Ton wie in einem Zauberkreis, der um uns gezogen, ohne daß wir Anfang und Ende finden könnten.

Was nun Louis anlangt, so lass ich mir ihn als kleinen, feurigen Claviersvieler, der viel Courage und Talent hat, sehr wohl gefallen. Freilich wird der ältere Künstler weder die physischen noch psychischen Saiten bis zum Springen treiben, weil sie eben reißen. Was hat es zu sagen, daß das zarte A moll-Concert* unter den Händen unsers Kleinen zum ordentlichen Orlando furioso wurde, um den, wie bekannt, wenn er mit den Zähnen klapperte, die Menschen todt zur Erde niederfielen. Diese netten, kleinen Spieluhren liebe ich wenig. Der Ueberfluß an Kraft läuft später von selbst zurück. — Bei den Herzschen Variationen,** die uns glauben machen wollen, sie seien die schwersten, bedeutendsten, fand sich schon alles gehöriger, das heißt brillantirt, starkfarbig, schneidend, wie die Composition verlangt und das Publicum liebt. — Wenn nun auf keine Weise zu leugnen ist. daß beide Sätze sorgfältig einstudirt, überdem im französischen Geist und mit dem Selbstgefühl vorgetragen wurden, das zum Beifall herausfordert, so bitten wir seinen Lehrer, daß er ihn mit einzelnen und namentlich schlecht componirten Stücken nicht zu lange aushalte. Das macht jungen Sinn todt und thut der sonstigen Bildung Eintrag. Man merkte es recht deutlich an seiner Begleitung zur Violine, die sonderbar gegen das übrige Spiel abstach. Wie sehr man aber den Sinn, ob er geweckt und gebildet sei, nach dem Accompagnement messen könne, wissen wir Alle.

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      * von Hummel, erster Satz.
    ** „Ma Fanchette est charmante.“

{55} Und so wandert zu, ihr lieben Kleinen, und fragt, solltet ihr heute mich nicht ganz verstanden haben, nach Jahren einmal wieder!* {{Right|F-n.

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'* An die Leser der neuen Zeitschrift.'

In kurzer Zeit ist uns von allen Seiten solche Theilnahme geworden, freiwillige wie nachgesuchte, daß wir erkennen, es hat nicht an Männern, die mit ganzem Geist für das Echte wirken wollen, wohl aber an Gelegenheit gefehlt, diesen Willen oft zu bethätigen. Der Anfang ist gemacht. Von der Ausdauer wird das Vollbringen abhängen.

Bei Gelegenheit des Schlusses vom Goethe-Zelterschen Briefwechsel** in diesem Blatt bemerken wir, daß es nicht Absicht ist, unsere Kunstgenossen nur durch das, was sie unmittelbar durch Musik berühre, anzuregen, sondern daß wir sie auch mit Anderm, was sie als Kunstmenschen überhaupt interessiren könnte, erfreuen, geistig nähren möchten. Wir meinen, daß der Maler aus einer Beethovenschen Symphonie eben so gut lernen könne wie der Musiker anderes von einem Goetheschen Kunstwerk.

Schwer erscheint es allerdings, die vielen Materialien in [richtigen] Verhältnissen vorzuführen, das Wesentliche auszuscheiden. Jedem wie im Staat seine kleinere oder größere Stelle anzuweisen. Daß aber beim Beginnen eines Instituts nicht allen Wünschen der Art nachgekommen werden kann, wird uns wohl jeder Billigfordernde zugestehen.

Es darf uns nicht kümmern, ob unsere Ansichten, wie sie sich in den erschienenen Blättern, wenn auch nicht vollständig, kund geben, von Allen gebilligt werden möchten. Wir wünschen kaum von Jedem ein Gutheißen. Gilt es sicher auch Unerfreulichem, Hartnäckigem zu begegnen, so entschädigt anderseits die Thätigkeit der neuen Geister, die nur von Weitem geleitet zu werden braucht, um der Kunst neue Freude, neue Würde zu verschaffen.

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      * Es war der erste Ausflug der beiden jungen Franzosen. H. Vieuxtemps hat sich seitdem größeren Ruhm erworben. [Sch. 1852.]
     ** nämlich der Besprechung desselben von A. Bürck, mit welcher die erste Nummer der Zeitschrift eröffnet wurde.

{56} Möchten diese Blätter wie erste Thautropfen eines Morgens gelten, dessen Aufgangsstunde wir, wenn auch nicht feststellen, doch vorläufig als eine heitere Zukunft beglückwünschen wollen. Allen, welche diese Zeit beschleunigend, uns so freudig zum Verein entgegen gekommen sind, unsern Dank und Gruß!

      L[eipzig], am 1. Mai.

{{Right|Die Herausgeber.

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I. W. Kalliwoda,

Erste Onvertüre (DmoII), Werk 38. Zweite Ouverture (in F), Werk 44.

Die Gegenwart wird durch ihre Parteien charakterisirt. Wie die politische kann man die musikalische in Liberale, Mittelmänner und Reactionäre oder in Romantiker, Moderne und Classiker theilen. Auf der Rechten sitzen die Alten, die Contrapunctler, die Antichromatiker, auf der Linken die Jünglinge, die phrygischen Mützen, die Formenverächter, die Genialitätsfrechen, unter denen die Beethovener als Classe hervorstechen. Im Juste-Milieu schwankt Jung wie Alt vermischt. In ihm sind die meisten Erzeugnisse des Tags begriffen, die Geschöpfe des Augenblicks, von ihm erzeugt und wieder vernichtet.

Kalliwoda gehört zu den Mittelmännern, zu den Freundlichen, Klugen, zu Zeiten Gewöhnlichen. Seine Symphonieen sind Blitze, die einmal an römischen und griechischen Ruinen hingleiten. Sonst hat man von ihm als Republikaner nichts zu fürchten.

Als Einleitungssätze zu dieser oder jener öffentlichen Zusammenkunft mögen diese Ouverturen gut geheißen werden. Das Volk will dabei so wenig wie möglich nachdenken. Es gibt noch dies und das vor Schauspielanfang, vor dem eigentlichen Concert abzumachen, — da sind denn musikalische Allgemeinheiten, leichte, hübsch gestellte Redensarten am rechten Ort.

Das erste Violinthema der ersten Ouverture ist in der Art, wie sie durch Spohr und Weber bei Marschner, Reißiger, Wolfram angeregt worden. Das zweite in der gewöhnlichen Durtonart der Oberterz nicht neu, aber gut singend. Der Mittelsatz aus der Figur im einleitenden Adagio entlehnt, gut eingefügt, wenn auch nicht hoch


{57} contrapunctisch. Etwas zu kurz abspringende Cadenz in der Wiederholung des ersten Violinthemas. Alles wie vorher in der transponirten Uebergangwendung nach dem zweiten hin. Anspannung durch ein più mosso. Durschluß. — Die zweite scheint nur eine Zwillingsschwester der ersten, sonst freundlich genug mit italiänischen Augen sehend. Hat man über die eine gesprochen, so läßt sich wenig über die andere sagen. Als schöner ist das zweite Thema auszuzeichnen. Die Sextolen im Adagio sind keine, sondern Triolen. Wie oft soll man aus den Unterschied aufmerksam machen! {{Right|12.

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Der Psychometer.

Den wenigsten der Leser dürfe der Portiussche Psychometer* etwas Unbekanntes sein, obwohl ein Räthsel.21 Man soll nur in ihm keinen elenden Temperamentfisch suchen, der sich sehr zusammenkrümmte bei Sanguinischen, sondern, wie der Erfinder will, eine ordentlich aus wissenschaftlichem Weg gesundene Maschine, welche Naturell, Charakter des Experimentirten ohne tausend Worte und in den feinsten Schatzungen anzeigt, d. h. eine, die, nähme solche die Welt als stimmfähig an, eben so bald von der Menschheit zertrümmert würde, wie sie selbst in mancher Beziehung zertrümmerte. Denn der Mensch will gar nicht wissen, was alles Herrliches an und in ihm ist.

Erstaunt, verdutzt ging ich vom Seelenmesser fort, die Treppe hinunter, manches erwägend. Er hat das Gute, daß man einmal eine Stunde über sich nachdenkt. Unter den vielen traurigen Wahrheiten, die mir gesagt wurden, war ich aus einige offenbare Schmeicheleien gestoßen. Man ist geneigt, sich für den zu halten, für den man gehalten wird. Nicht ungern gesteh' ich, daß mich die Maschine erfinderisch genannt. Die Musik lag zu nahe, als daß ich nicht an etwas denken sollen, was ähnlich mit Erfolg auf diese anzuwenden wäre. Mein ganzes Blut schoß auf bei dem Gedanken.

Zuerst dachte ich an die Verleger. Kaum find' ich Worte, sie auf die Größe der Realisirung einer solchen Erfindung aufmerksam zu machen. Stürzte z. B. ein jugendlicher Componist zur Thür herein,

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      * Er war eine noch nicht erklärte Erfindung eines M. Portius, die damals in Leipzig viel von sich sprechen machte. [Sch. 1852.]

{58} so würde der Händler das Manuscript ruhig in den Compositions-Seelenmesser legen und, auf die unverrückt bleibende Magnetzunge fußend, dem Phantasten das „Nichtreflectirenkönnen“ bemerken, ohne daß es im Geringsten beleidigte. — Dann dachte ich an vieles und an die Welt überhaupt. Ganze Zukunftsfrühlinge zogen an mir vorüber, denen im Uranus ähnlich, auf welchem einer 21 Jahre, 184 Tage und 12 Stunden dauert. Klar ward mir’s, daß dann kein Mozartgenie in einer Kaufmannswiege verloren gehen, daß dann sämmtliche musikalische Cagliostros ohne Weiteres aus der Welt gejagt würden — auf Apollotempeln stünden Statuen der Themis ohne Wage und Schwert, an Themisaltären opferten unverhüllte Aphroditen — wahrlich! Künstler und Kritiker trügen endlich den Regenbogen des ewigen Friedens, unter dem die Kunst hinschiffte, als glücklichste.

Lange experimentirt' ich, nahm an, verwarf. Glückliche Versuche drängten wieder. Wie Nicolaus Marggraf, * als er den Demanten unter den Kohlen funkeln sah, rief ich oft in mir: „sollte wohl Gott so gütig sein gegen mich Sünder und Hund“ — um es kurz zu machen, der Demant lag da und blitzte stark.

Wie leicht es unter solchen Umständen ist, in Zeitungen zu schreiben, sieht Jeder. Die Welt liebt Autoritäten (zum Schaden beider), aber auch Wahrheit (zum Besten aller). Nun könnte es dieser einmal einfallen, jenen auf den Zahn zu fühlen, und dann würden leicht wunderbare Dinge zur Sprache kommen.

Vieles fragt man bei Werken, besonders viererlei, — ob sie von Talent, ob sie von Schule, ob sie von Selbsturtheil des Verfassers zeugen, endlich zu welcher Partei letzterer zu rechnen. —

Natürlich stellt der Psychometer Fragen wie folgende: I. Zeigt Componist hervorstechendes Talent? II. Hat er seine Schule gemacht? III. Hätte er mit seinem Werk zurückhalten sollen? IV. Neigt sich selbiger zu den 1) Klassikern, 2) Juste-Milieuisten. 3) Romantikern? Die Antworten heißen nun:

              a) nein (absolut negativ),
              b) ich weiß nicht (relativ negativ).

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       * „Komet“ von Jean Paul. [Sch.]

{59}

             c) ich glaube (relativ affirmativ),
             d) gewiß (absolut affirmativ).

Ich schmeichle mir, klar zu sein. Mag nun Jeder die Leistungen am Compositionen-Seelenmesser heiter und gründlich prüfen:

Beim ersten der unten angeführten Werke antwortete auf I=d, auf Il=d, auf III=a, IV schwankt zwischen 1 und 3. — Wie freudig fand ich mein eignes Urtheil auch in den folgenden Werkeigenschaften bestätigt, von denen ich einzelne nenne, als clavierschön, sauber gearbeitet, verständig, gestalt- und gehaltvoll, etwas Spohrisch, zurückhaltend, geistreich, edel, der wärmsten Empfehlung werth. Zu „zurückhaltend“ erlaube ich mir den Zusatz, daß der Psychometer vielleicht die Sordinen meint, die der Componist seinen Melodieen aussetzt. Es fehlt keineswegs die Lust der Jugend, ihr lautes Hinausrufen, aber es scheint, als fürchte er, die Welt möge seine Stimme noch nicht als voll anerkennen, — daher man in einzelnen Stellen, die sich in entfernte Tonarten wagen, eine gewisse Angst spürt, ob er sich auch zur rechten Zeit herauswickeln werde. Dies soll weniger einen Talentfehler als einen Charakterzug bezeichnen.

Bei den zweiten berichte ich kurz so. Mit I correspondirt d, mit II=a, mit Ill=b. Auf IV schweigt alles. Die Aussagen des Psychometer ließen sich in folgenden zusammenfassen. Es gibt Kopfwalzer, Fußwalzer, Herzwalzer, Die ersten schreibt man gähnend, im Schlafrock, wenn unten die Wagen, ohne einen einzuheben, zum Ball vorbeifliegen; sie gehen etwa aus C- und F dur. Die zweiten sind die Straußschen, an denen alles wogt und springt — Locke, Auge, Lippe, Arm, Fuß. Der Zuschauer wird unter die Tänzer hineingerissen, die Musiker sind gar nicht verdrießlich, sondern blasen lustig drein ein, die Tänze scheinen selbst mitzutanzen; ihre Tonarten sind D dur, A dur. Die letzte Classe machen die Des-und As dur-Schwärmer aus, deren Vater der Sehnsuchtswalzer zu sein scheint, die Abendblumen und Dämmerungsgestalten, die Erinnerungen an die verflogene Jugend und an tausend Liebes. Die vorliegenden gehören mehr zur ersten Gattung als zur letzten, zur zweiten gar nicht.

Nun lud ich die 8 Romanzen und Adagios in die Maschine. Mit guter Absicht und um sie im Springurtheil, was jetzt beliebt ist, zu versuchen, steckt' ich ein Orgelstück als Matrone zwischen Polichinells. Die herrlichsten Resultate blieben nicht aus.

Auf I kam a, auf II=c, auf III=c, auf IV entschieden 1. Der Psychometer fuhr etwas dunkel fort: „man kann Gutes im Stillen

{60} wirken, aber man soll nicht alles im Ganzen bedeutend nehmen; dadurch wird dem Bessern Platz genommen — Mittelstimmen müssen da sein: offenbar geht aber die eigentliche Melodie verloren, schreien jene so stark (es ist das wohl tiefer zu beziehen, als ans die Mittelstimmen im Werk). — Dennoch schadet guter Wille, sollte er auch nicht durch Talentkraft unterstützt sein, der Kunst seltener als talentvolle Anmaßung. Der Biene vergibt man den Stachel des Honigrüssels halber, der Wespe jenen nicht, weil ihr dieser fehlt. Nun fliegt noch eine Mittelclasse herum, ohne viel zu arbeiten, viel zu schaden. Man soll diese, schwirren sie uns nicht gerade unbequem vorm Auge, nicht gleich niederschlagen.“

Als ich die Allegresse einhob, bewegte sich alles rührig — c nach I, d nach II, a nach III, IV nach 2. Nun hörte ich dieses: „Die Uebersetzung der deutschen Fröhlichkeit in gladness, giocondità, l’allegresse wäre kaum nöthig gewesen. Hätte man gespielt, so müßte man sagen: das ist ein hurtig fröhlich Ding, Flattere nur zu, du Schmetterlingmädchen, du würdest die Farbe verlieren, griffe man dich hart an.“

Jetzt war die Maschine etwas ermattet. Als ich aber die Tänze einlegte, gerieth sie in sichtbare Unruhe. Es respondirte auf I=c, auf Il=a, auf Ill=d. Auf IV sprach 3 stark an. Folgendes erfuhr ich: „Er empfinde viel, aber meist falsch — trotz einzelner Mondblitze tappe er im Dunkeln, erwische wohl hier und da eine Blume, aber auch Stroh — vieles würde man für offenbaren Spaß halten müssen, ergebe sich nicht aus dem Ganzen, daß es ernstlich gemeint war — er ziele gut, mache aber (wie ungeübte Schützen) beim Losdrücken die Augen zu, — da er noch zu lernen habe, so möge ihm das Geständniß, daß Psychometer diese querspringenden poetischen Kobolde oft einem Dutzend gelehrten Mattaugen, Spitznasen vorziehe, ein aufmunterndes sein.“

Und so hätte ich nichts zu thun, als die Titel abzuschreiben, so wie meinen eignen.*

C. Krägen, 3 Polonaisen für Pste zu 4 Händen. Werk 9.

C. H. Hartknoch, 6 gr. Walzer für Pste. Werk 9.

C. Geißler, 8 Romanzen und Adagios für Physharmonica oder Orgel. Werk 11.

J. Otto, l'Allegresse. Rondoletto für Pste zu 4 Händen. Werk 19.

E. Günz, Tänze für das Pianoforte. {{Right|F-n.

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        * „obwohl ohne Orden“ setzte Florestan noch hinzu.
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{61} Aus den Kritischen Büchern der Davidsbündler.*

I.

Studien für das Pianoforte von J. N. Hummel.

Werk 125.

1.

Heiterkeit, Ruhe, Grazie, die Kennzeichen der antiken Kunstwerke, sind auch die der Mozartschen Schule. Wie der Grieche seinen donnernden Jupiter noch mit heiterm Gesicht zeichnete, so hält Mozart seine Blitze.

Ein rechter Meister zieht keine Schüler, sondern eben wiederum Meister. Mit Verehrung bin ich immer an die Werke dieses gegangen, der so viel, so weit gewirkt. Sollte diese helle Art zu denken und zu dichten vielleicht einmal durch eine formlosere, mystische verdrängt werden, wie es die Zeit will, die ihre Schatten auch auf die Kunst wirft, so mögen dennoch jene schönen Kunstalter nicht vergessen werden, die Mozart regierte und die zuerst Beethoven schüttelte in den Fugen, daß es bebte, vielleicht nicht ohne Zustimmung seines Vorfürsten Wolfgang Amadeus. Später nahmen Carl Maria von Weber und einige Ausländer den Königsthron ein. Als aber auch diese abgetreten, verwirrten sich die Völker mehr und mehr und wenden und strecken sich nun in einem unbequemen classisch-romantischen Halbschlaf.

Man hat ältern Künstlern den Rath gegeben, daß sie, hätten sie den Culminationspunct erreicht, anonym fortschaffen möchten, da man das, was vielleicht jüngeren, unbekannten Namen als Vorschritt gezählt würde, bei ihnen als Kunstnaturnachlaß ansähe. Wenn dadurch auch das erreicht würde, daß, was durch den Klang des Namens eine Zeit lang als bedeutend gegolten hatte, nun nicht mehr zum Irrthum reizte.

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      * Es wird angenommen, daß sich die Davidsbündler ein Buch hielten, in das sie ihre Gedanken über neuerschienene Werke etc., einzeichneten. [Sch. 1852.]

In der Zeitschrift stand als Anmerkung: „Leider können wir über die Aufschrift ,Davidsbündler' noch keine vollständige Aufklärung geben. Der geehrte Leser kann sie aber bald erwarten, da uns die unbekannte Hand, dieselbe, die schon in den vorigen Blättern die Chiffern Eusebius, F—n, Florestan unterzeichnete, dazu mehr als Hoffnung macht. {{Right|D. Red.“

{62} so würde es immer Zufall, ja Uebermuth sein, wenn der Kritiker jene culminirende Spitze zu treffen behauptete — (wie hätte er nach der siebenten Beethovenschen Symphonie eine achte, nach der achten eine neunte erwarten dürfen), — der Künstler aber, strebt er sonst vorwärts und edel, würde dennoch stets das letzte, gerade vollendete Werk für diesen Culminationspunct halten. —*

Es wäre unwahr, wollte man das vorliegende Werk des alten Meisters jenen vom 60sten bis 80sten als ebenbürtig an Schönheit an die Seite stellen, jenen Kunstwerken, wo alle Kräfte harmonisch walteten. Es ist wohl noch derselbe Strom, auch majestätisch noch und achtunggebietend, aber wie sich breiter ausdehnend in das aufnehmende Meer, wo sich die Berge abdachen und die Ufer den fortziehenden nicht mehr so blüthenreich gefangen halten. Ehret ihn aber in seinem Lauf und denkt, wie er ehedem die Außenwelt so treu in seinem Schooß aufnahm und zurückspiegelte!

Bei der großen Schnelle der Entwickelung der Musik, wie keine andere Kunst ein Beispiel aufstellen kann, muß es wohl vorkommen, daß selbst das Bessere selten länger als vielleicht ein Jahrzehent im Munde der Mitwelt lebt. Daß viele der jungen Geister so undankbar vergessen und nicht bedenken, wie sie nur eine Höhe anbauen, zu der sie gar nicht den Grund gelegt, ist eine Erfahrung der Intoleranz, die jede Epoche der jüngeren gemacht hat und künftig machen wird.

So jung ich bin, so möchte ich hierin nichts mit einem sogenannten, obschon sehr geliebten Florestan gemein und auf dem Gewissen haben. Florestan — wenn du ein großer König wärest und du verlörest

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     * Gestrichen: „Der erfahrene reflectirende Meister schreibt andere Studien als der junge, phantasirende. Jener kennt die Kräfte, die er zu bilden hat, Anfang und Ende ihrer Mittel und Zwecke, zieht sich feine Kreise und überschreitet die Linie nicht. Dieser setzt Stück auf Stück, wirft Felsen über Felsen, bis er selbst nur mit Lebensgefahr über den Herkulesbau kommen kann.

Halte ich auch die von Hummel darin für einseitig, daß sie namentlich nur Festigkeit in seinem Stil bezwecken, anders wie z. B. die des Moscheles, in denen bei durchgehender Einheit der Eigenthümlichkeit die mannigfaltigsten und höheren Arten der Darstellung berührt find, ohne daß darüber die technische Bildung versäumt wäre, so ist ja eben dieses lange ausgebildete Eine, Einzige, was den Schüler fest macht, ihm den Weg bahnt, den er dann selbständig weiterführen und mit andern durchkreuzen lassen kann. Auch den Vorwurf, den ich auf deinen Lippen schweben sehe, Florestan, daß nämlich im Werk nichts Neues vorzufinden wäre, beseitige ich damit, daß diese Studien eine Vorschule sein sollen, die du, der du die Meisterarbeiten kennst und kannst, nicht mehr brauchst.“

{63} einmal eine Schlacht, und deine Unterthanen rissen dir den Purpur von der Schulter, würdest du nicht zornig zu ihnen sagen: ihr Undankbaren! —* {{Right|Eusebius.

2.

Schönes Eusebiusgemüth, du machst mich wahrhaftig lachen. Und wenn ihr alle eure Uhrenzeiger zurückstellt, die Sonne wird nach wie vor aufgehen.

So hoch ich deine Gesinnung schätze, jeder Erscheinung ihre Stelle anzuweisen, so halt' ich dich doch für einen verkappten Romantiker — nur noch mit etlicher Namensscheu, welche die Zeit wegspülen wird.

Wahrlich, Bester, ging’s nach dem Sinn Gewisser, so kämen wir ja bald an jene goldnen Zeiten, wo’s Ohrfeigen gab, wenn man den Daumen auf eine Obertaste setzte.

Auf die Falschheit einzelner deiner Schwärmereien lass' ich mich gar nicht ein, sondern gehe geradezu aufs Werk selbst los.

Methode, Schulmanier bringen wohl rascher vorwärts, aber einseitig, kleinlich. Ach! wie versündigt ihr euch, Lehrer! Mit eurem Logierwesen** zieht ihr die Knospen gewaltsam aus der Scheide! Wie Falkeniere rupft ihr euren Schülern die Federn aus, damit sie nicht zu hoch fliegen — Wegweiser solltet ihr sein, die ihr die Straße wohl anzeigen aber nicht überall selbst mitlaufen sollt!***

Schon bei der Clavierschule Hummels (ihr wißt, Davidsbündler, daß ich allemal eine ungeheure Maschinerie anbrachte, weil das Notenpult nicht halten wollte) schöpfte ich einen leisen Verdacht, ob Hummel, wie er ein ausgezeichneter Virtuose seiner Zeit war, auch ein Pädagog für die künftige wäre. Es fand sich in ihr neben vielem Nützlichen so viel Zweckloses und blos Aufgehäuftes, neben guten Winken so viel

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       * Ausgelassen: „Es ist so. Wenn die Sonne über unserm Haupt steht, hoch und leuchtend, so wagen wir nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Wir erkühnen uns aber dessen, wenn sie dem Untergange nahe ist, da der Glanz uns nicht mehr blendet. Auch ich habe das gethan, aber nicht, ohne das Auge mit der Hand zu überdecken: denn ich sah hundert Sonnen ringsum, die mich an den erlöschenden Tag erinnerten und an die kommende Nacht.“
     ** Logier war der Erfinder des Chiroplasten, einer mechanischen Vorrichtung an der Claviatur zur Erlangung einer festen und sicheren Handhaltung; er unterrichtete immer mehrere Clavierschüler gleichzeitig.
   *** „Ich kann vor Gedanken gar nicht auf die eigentlichen kommen,“ war noch in Klammern hinzugefügt.

{64} Bildunghemmendes, daß ich ordentlich erschrack über die Ausgabe, die Haslingersche sowohl wie meine. Daß die Beispiele aus lauter Hummelianis bestanden, entschuldigt' ich, weil jeder seine Sachen am besten kennt und so schneller und treffender wählen kann. Auf den eigentlichen Grund, daß Hummel mit der einstweilen raschgehenden Zeit vielleicht nicht Schritt gehalten, fiel ich nicht. Die Zukunft und diese Etuden belehrten mich.

Studien, vortrefflichste Bündler, sind Studien, d. h. man soll etwas aus ihnen lernen, was man nicht gekonnt hat.

Der hochpreisliche Bach, der millionenmal mehr gewußt, als wir vermuthen, fing zuerst an für Lernende zu schreiben, aber gleich so gewaltig und riesenübermäßig, daß er erst nach vielen Jahren von den Einzelnen, die indessen auf eignem Wege fortgegangen waren, der Welt als Gründer einer strengen aber kerngesunden Schule bekannt wurde. 22

Dem Sohn Emanuel waren schöne Talente angeerbt. Er feilte, verfeinerte, legte dem vorherrschenden Harmonie- und Figurenwesen Melodie, Gesang unter, erreichte aber seinen Vater als schaffender Musiker bei Weitem nicht, wie Mendelssohn einstmals sagte: „es wäre, als wenn ein Zwerg unter die Riesen käme“. —*

Clementi und Cramer folgten. Der Erste konnte wegen seiner contrapunctischen, oft kalten Kunst im jungen Gemüth wenig Eingang finden. Cramer wurde vorgezogen wegen der lichtvollen Klarheit seiner Etudenmusik.

Später gestand man Einzelnen wohl speciellere Vorzüge zu, keiner als der Cramerschen Schule aber das Allgemeinbildende für Hand und Kopf.

Jetzt wollte man auch dem Gemüth etwas geben. Man sah ein, daß die (geistige) Monotonie dieser Etuden oft geschadet hatte, man sah auch, dem Himmel sei Dank! daß man sie nicht gerade gänseartig eine nach der andern und so fort einzulernen brauchte, um Fortschritte zu bemerken, obwohl dieselben.

Der seine Moscheles sann nun aus interessante Charakterstücke, durch die auch die Phantasie beschäftigt würde.

Nun tritt Hummel heran. — Eusebius, ich sag' es gerade heraus, die Etuden kommen etliche Jahre zu spät. Wirst du, wenn du reise, goldne Früchte die Fülle hast, dem verlangenden Kind bittre Wurzeln

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       * Zusatz aus 1852.

{65} geben? Lieber führ' es gleich in die reiche, frühere Welt seiner Werke, daß es trinke am Geist und an der Phantasie, die da in tausend Farben spielen.

Wer dürfte leugnen, daß die meisten dieser Studien meisterhaft angelegt und vollendet sind, daß in jeder ein bestimmtes Bild ausgeprägt ist, daß endlich alle in jener Meisterbehaglichkeit entsprungen sind, welche eine lange, wohlverlebte Zeit gibt? — Aber das, wodurch wir die Jugend anreizen, daß sie über der Schönheit des Werkes die Mühsamkeit, es sich eigen zu machen, vergesse, fehlt durchgängig: — der Reiz der Phantasie.

Denn glaube mir, Euseb — ist auch, in deiner Bildersprache zu reden, die Theorie der treue aber leblose Spiegel, der die Wahrheit stumm zurückwirft, aber ohne belebendes Object todt bleibt, so nenn' ich die Phantasie die Seherin mit dem verbundenen Auge, der nichts verschlossen ist und die in ihren Irrthümern oft am reizendsten erscheint. — Was sagt ihr aber. Meister? {{Right|Florestan.

3.

Jünglinge, ihr irrt beide!* Ein berühmter Name hat den Einen befangen, den Andern trotzig gemacht. Was steht doch im westöstlichen Divan?

Als wenn das auf Namen ruhte, Was sich schweigend nur entfaltet — Lieb' ich doch das schöne Gute, Wie es sich aus Gott gestaltet. {{Right|Raro

_____________ II.

Heinrich Dorns Tonblumen. [Bouquet musical p. P.]

1.

Was spricht denn die Hyacinthe? — sie sagt: mein Leben war so schön wie mein Ende, denn der schönste Gott hat mich geliebt und getödtet. Aus der Asche sproß aber die Blume, die dich trösten möchte.

Und die Narcisse? — sie spricht: denk' an mich, damit du nicht übermüthig werdest in deiner Schönheit. Denn als ich mein Bild zum

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      * „ — nur du schöner, Eusebius!“    (Gestrichen.)

{66} erstenmal in den Wellen sah, konnte ich den eignen Reiz nimmer vergessen, so heftig mich auch Echo liebte, die ich verstoßen hatte. Darum haben mich die Götter in die blasse Blume verwandelt, aber ich bin schön und stolz.

Und das Veilchen erzählt: — eine wonnige Maimondnacht war. Flog ein Abendfalter heran, sagte: „küsse mich!“ Ich aber zog meinen Duft tief in den Kelch, daß er mich für todt hielt. Kam eine lose Zephyrette, sagte: „sieh', wie ich dich überall finde, komm' doch in meine Arme und in die Welt — da unten sieht dich Niemand.“ Als ich antwortete: „ich wolle schlafen“, flog sie fort und sagte: „du bist ein schläfrig eigensinnig Geschöpf, da spiel' ich mit der Lilie.“ — Rollte ein dicker Thautropfen auf mich, sprach: „in deinem Schooß muß sich’s so recht bequem liegen bei Mondschein.“ Ich aber schüttelte mit dem Kopf, daß er herunterfiel und zerrann. Als nun auch von fern ein Mondstrahl heranschlich und ich das Geisblatt bat, daß es mich verstecken möchte, sagte die hohe Lilie zu mir: „pfui schäme dich! sieh', wie ich prange, wie mich Schmetterling küßt, Zephyr, Thautropfen und Mondstrahl, und wie die Menschen an mir stehen bleiben und mich ,schön' nennen — dich aber bemerkt in deinem Versteck Niemand.“ Antwortete ich: laß' mich nur, hohe Lilie! — denn früh kam ein schlichterner schöner Jüngling zu mir und sprach so freundlich: „wie lieb du bist — aber warte nur bis Abend, dann pflücke ich dich für sie.“ Lilie sagte: „dich wollte er pflücken? Du bist ein eingebildet Ding — mir versprach er’s.“ Als ich antworten wollte: „du lügst, hohe Lilie“, kam der Jüngling mit dem Mädchen, verschlungen Arm in Arm. Da bog er sich zu mir herunter, sagte: „wie gleichst du ihr“ — und brach mich; aber ich ruhe gebrochen so gern an ihrer Brust.

Das könnte ich mir bei euch denken, ihr Blumen, wäret ihr auch nicht von dem Mann gezogen, der mir Aufklimmenden zuerst die Hand gab,* und wenn ich zu zweifeln anfing, mich wohl höher zog, damit ich vom gemeinen Menschentreiben weniger sähe und mehr vom reinen Kunstäther.

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       * Dorn war Schumanns Lehrer gewesen.

{67} Sollte dir, theurer Künstler, dieses Blatt im Norden, wo du jetzt weilst, in die Hände kommen, so erinnere es dich an eine vergangene schöne Zeit. {{Right|Euseb.

2.

Ein Geschenk von zwei bis drei Blumen sagt mehr als ein ganzer Tragkorb. Deshalb möchte ich das „Bouquet“ weg. Warum so deutsche Blumen in französische parfümirte Töpfe setzen? Ein Titel wie „Narcisse, Veilchen und Hyacinthe — drei musikalische Gedichte“ klingt auch, und gut. — Wie wenig durch Einführung deutscher Titelblätter in der Sache gewonnen wird, weiß ich wohl — wäre es aber auch nur so viel, als Napoleon durch das Verbot des „Staëlschen Deutschlands“ erreichte, das lautete: es sei das Buch nicht französisch.

Möglich ist es, daß dem Tauben die Blume ebenso duftet, als dem Blinden der Ton klingt. Die Sprache, die hier zu übersetzen war, scheint eine so verwandte und feingeistige, daß der Gedanke an ein Pinseln à la bataille de Ligny* etc. gar nicht aufkommen kann. So unterscheiden sich auch diese Bilder von anderen klingenden, wie lebende von Porzellanblumen. Nur der Duft ist oben weggenommen, der Geist der Blume.

Ich habe wenig gesprochen, aber nicht schlecht. {{Right|Florestan.

* 3.

Mit der Tonmalerei ist’s ein wunderlich Ding: Die Einen vergessen über dem Pinsel die Sache, die Anderen umgekehrt. Wäre Herr Heinrich Dorn (der jetzt in Riga lebenslänglich als Domorganist angestellt ist) nicht hinlänglich durch frühere tüchtige Arbeiten bekannt, so würden wir hinter diesem sogenannten Blumenstrauß fade beliebte Klingeleien erwartet haben, an denen (wie leider in gewissen Zeiten so oft) das Beste die Titelvignette wäre. Dem ist aber durchaus nicht so. Abgesehen vom Werth oder Unwerth des Malens mit Tönen überhaupt tragen diese kurzen abgerissenen Sätze (es sind deren drei) das

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         * Mit solchen Schlachtenmalereien machten die Klavierspieler früherer Zeit viel Glück, namentlich Steibelt mit seiner “Bataille de Jemappes“, „Bataille de Neerwinde“, „L’incendie de Moscou“.. Aber auch die Schlachten von Austerlitz, Jena, Marengo, Wagram, Leipzig u. s. w. wurden musikalisch verwerthet. Beethovens „Schlacht von Vittoria“ hat sie freilich alle überlebt, „Vivat Genius und hol' der Teufel alle Kritik!“ rief Zelter in lautem Enthusiasmus, als er sie gehört.

{68} Gepräge einer schlagenden Charakteristik. Überzeuge sich der geschätzte Leser und Spieler selbst davon.

Nr. 1. La narcisse. Allegretto (B dur ¾ Tact) beginnt mit einem gut erfundenen, frischkräftigen Thema, das, im Anfang hin- und herwogend, endlich der Höhe zustrebt und dann wieder herabsinkt. Es geht ganz gut fort bis zum zweiten Theil. Hier fällt eine springende Figur (obwohl nicht unzusammenhängend mit dem vorigen) unbequem aus. Die folgende aus dem ersten Thema genommene Bewegung (obwohl aus weniger tonreichen Instrumenten die Bässe etwas undeutlich murmeln möchten), das zum Forte sich steigernde Crescendo, die Fortissimostellen mit eingeschalteten Pianoseufzern bis zu den sehr gewagten Sprüngen — (man sehe nur

#Notenbeispiel

— alles reiht sich schön aneinander. Der erste Rhythmus macht sich wieder bemerklich. Hier kommt eine Stelle, die wir scharf ins Auge faßten:

#Notenbeispiel

Genau betrachtet sind es weiter nichts als erst von oben und dann von unten umgangene Sextenaccorde, als

#Beispiel

Wir fragen, was wird aus dem e, dem d? und warum sind die letzten zwei Tacte mit der ersten Periode nicht conform gearbeitet? Dennoch klingt die Stelle nach etwas und wird ihre (wir wollen sie nicht bezeichnen) Liebhaber finden. Wohl dem, der die folgenden Decimen nicht allein greifen sondern, wie sich’s gehört, aushalten kann, obwohl die Schwierigkeiten (wie überhaupt durchgängig) keineswegs eingeschneit sind, sondern aus der Sache selbst entspringen. Die Rückkehr nach der Grundtonart (B dur) ist übrigens, diese Sprunggriffe abgerechnet, einfach


{69} und deutlich, der erste Theil auf herkömmliche Weise transponirt. Sehr wohl tönt die neue Baßbegleitung in gehaltenen, trotzig in die Tiefe wandelnden Dreiviertel-Noten heraus, gleichsam das nahe Ende vorhersagend. Das Ganze endigt mit einem Überschlagen der rechten Hand über die linke nicht ganz so, wie man vermuthet hatte.

Nr. 2. La Violette. Andantino (A dur ¾ Tact) u. s. w. —

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Dies wären im Kurzen, wie es der Raum dieser Blätter gestattet, unsere ungeFähren Bemerkungen. Auch dürfen wir dem geehrten Componisten das Zeugniß nicht versagen, daß er sich durch ähnliche Stücke bald Zutritt in die Salons verschaffen werde, d. h. in solche, in denen man lieber hört als spricht.

Die Ausgabe ist gut, der Stich scharf, das Papier lobenswerth. Unter den Druckfehlern heben wir die bedeutendsten heraus: S. 3, L. 9, Tact 4 statt e,g. S. 11, L. 1, T. 5 x vor ♯f. S. 11, L. 13, T. 1 c statt b. S. 12, L. 9, T. 4 eine Octave höher zu spielen. S. 13, L. 8, T. 3 h statt b. Andere sind mit kurzer Mühe leicht zu verbessern. {{Right|Rohr.

Zusatz d. Red. — Der Titel des besprochenen Werks heißt: H. Dorn, bouquet musical. Recueil de pièces detachées p. Piano Oeuv. 10.. Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß wir No. 3 für eine Florestansche Persiflage aus die Recension des Eusebius halten.23

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Compositionen von J. C. Keßler.

Es ist unstatthaft, ein ganzes Leben nach einer einzelnen That messen zu wollen, da der Augenblick, der ein System umzustoßen droht, oft im Ganzen erklärt und entschuldigt liegen kann. Zerschneidet eine Beethovensche Symphonie, die ihr nicht kennt, und seht zu, ob ein schönster herausgerissener Gedanke an sich etwas wirkt. Mehr als in den Werken der bildenden Künste, wo der einzelne Torso einen Meister beweisen kann, ist in der Musik alles der Zusammenhang, das Ganze — im Kleinen wie im Großen, im einzelnen Kunstwerk wie in einem ganzen Künstlerleben. Man hört oft — so falsch und unmöglich es ist —, Mozart hätte den einzigen Don Juan zu schreiben brauchen, und er wäre der große Mozart. Allerdings bliebe er der Componist des Don Juan, wäre aber noch lange kein Mozart.

{70} Mit einiger Scheu spreche ich mich daher über Werke aus, deren Vorläufser mir unbekannt sind. Ich möchte gern etwas wissen von der Schule des Componisten, seinen Jugendansichten, Vorbildern, ja selbst von seinem Treiben, seinen Lebensverhältnissen, — mit einem Wort vom ganzen Menschen und Künstler, wie er sich bis dahin gegeben hat. Dies ist mir in Hinsicht des Componisten, von dem die Rede ist, leider nicht vergönnt. Wer aber ohne solche Kenntniß an das Beurtheilen des Einzelnen geht, wird leicht lieblos oder beschränkt reden. Gern nehme ich diesmal den letzten Vorwurf aus mich; von Lieblosigkeit hat der Componist nichts zu fürchten, da er durch die vier Werke, * die ich von ihm kenne, nur Achtung einflößen kann.

Ungern gestehe ich, daß die zwei früheren Werke den späteren vorzuziehen sind, nicht etwa ihres Gedankengehalts oder einer vollendeteren Form wegen, die er gar nicht geben wollte, sondern in wirklicher Erfindung, in ungekünstelterem Fluß der Empfindung. Es wäre bedenklich, sollten den Künstler gewisse Vorbilder verleiten, einen Weg zu verlassen, den er, wenn auch nicht eigen gebahnt, eigen fortgeführt hat. Ich weiß, wie man jungen Geistern gegenüber im Erinnern, daß sie ihre Eigenthümlichkeit bewahren möchten, Vorsicht gebrauchen muß, weil sie sonst auf mannigfache Weise versuchen, dem Vorbild auszuweichen, es ganz zu vermeiden, wodurch die natürliche Entfaltung der schöpferischen Kraft nur noch mehr ausgehalten würde; doch zeigt sich hier andrerseits ein so kräftiges Dichtergemüth, daß es die Kette, welche nun einmal Geister an Geister bindet, ohne äußere Hilfe von selbst abstreifen muß.

So sind denn die vorliegenden Sätze, wie Kraftäußerungen eines noch gefesselten Geistes, Ausbrüche des Stolzes zugleich wie des Zorns, dazu von einem Jüngling ausgesprochen, der ganz in Verehrung versunken scheint gegen seine Oberen: Beethoven und Franz Schubert. Wird er weicher, schwärmerischer, so merkt man, wie er sich gegen Uebermannung sträubt.** Rafft er sich nun empor, so geht es ihm wie starken Jünglingen, die sich für hart halten, wenn sie nur ernst waren.

Ich sagte vorher, daß die zwei späteren Werke den früheren in Erfindung nachständen, — ich meine, die letzten enthalten mehr

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      * Sie sind: eine Phantasie, Werk 23, — Impromptu, Werk 24, — Bagatellen, Werk 30, — 24 Präludien, Werk 31; sämmtlich zweihändig für das Pianoforte.

{{Right|[Sch.]

     ** Gestrichen: „im Augenblick, wo ein Tropfen über die Augen will, zuckt um die Lippe ein Lächeln.“

{71 Entdecktes. Jenes, das Erfinden, ist das Enthüllen einer nie dagewesenen Schöpfung, dieses das Auffinden einer schon vorhandenen, — jenes Sache des Genies, das (wie die Natur) tausendfachen Samen ausstreut, dieses das Kennzeichen des Talents, das (wie die einzelne Scholle Landes) den Samen aufnimmt und in Einzelgebilde verarbeitet. Wenn ich dann in den erstem die Empfindung ungekünstelter fand, so nannte ich sie deshalb noch nicht durchaus natürlich und entwickelt. Denn obwohl seine Gedanken welche sind, obschon er stets weiß, was er will, so sucht er ihnen doch hier und da durch einen sonderbaren Schlußfall, Rhythmus etc. etwas Mystisches beizumischen, hinter dem der Laie vielleicht Tiefsinn, der Gebildete die Sucht erkennen wird, das Gewöhnliche, was in gewissen Fällen (als in Schlüssen etc.) nicht zu vermeiden, durch irgend etwas zustutzen, heben zu wollen. Man muß sich sehr hüten, dem Zuhörer nach dem Ende hin, wo der Gedanke ruhig ausströmen soll, noch irgend Neues fühlen oder überlegen zu geben. Freilich liegt es in der Form, vielmehr Nichtform der angezeigten Werke, daß die Empfindung sich nicht in jenen allmählichen Schwingungen, die das längere Kunstwerk in uns beschreibt, ausdehnen kann, — und in der Sache, daß wir uns hüten müssen, bei so momentan Entstandenem für unser Urtheil den Augenblick zu wählen, der der erforderlichen Stimmung ungünstig ist (eine entgegengesetzte könnte auch das Richtige treffen), aber immer hängt es dort von der Hand des Meisters ab, die auch im Kleinsten Abgeschlossenes, Befriedigendes schaffen kann, hier vom Gedanken, ob er im Augenblick einnimmt, sich als Beherrscher den unsrigen aufdrangt.

Das Resultat wäre, daß der werthe Kunstgenosse seine Kräfte klar prüfen, die Bahn, die er zurückzulegen hat, deutlich erkennen lerne, endlich sich weniger in der kleinsten obwohl witzigsten Kunstform, in der rhapsodischen, verflüchtige. Nach Steinen, die der Aetna zeitweise auswirft, kann man seine Gewalt nicht messen: wohl aber schauen die Menschen mit Staunen zur Höhe, wenn er in großen Flammensäulen zu den Wolken auflodert. Hierin liegt ein Vorwurf für ihn, daß er (in diesem Bild) Steine gab: für mich, daß ich sie aufhob und den größern Ausbruch nicht abwartete. Ich weiß, daß dies so voreilig ist, als wenn man nach einzelnen Umrissen die glückliche Vollendung des ganzen Bilds vorausbestimmen wollte, — ich weiß aber auch, daß in einer durch Berühmtgewordene verflachten Zeit von denen gesprochen werden muß, die, wie er, ein kräftiges Stieben zur Kunst heranbringen. {{Right|Raro.

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{72} Aphorismen.24

(Von den Davidsbündlern.)

Componistenvirtuosen.

Es ist im Allgemeinen nicht anzunehmen (und die Ersahrung spricht dagegen), daß der Componist seine Werke auch am schönsten und interessantesten darsellen müsse, namentlich die neusten zuletzt geschaffenen, die er noch nicht objectiv beherrscht. Der Mensch, dem die eigene physische Gestalt entgegen steht, erhält leichter im andern Herzen die idealische. {{Right|Euseb.

Richtig. Denn wollte der Componist, dem nach Vollendung des Werks Ruhe vou Nöthen ist, seine Kräfte gleichzeitig auf äußere Darstellung fixiren, so würde, wie einem angestrengten, auf einem punct haftenden Augenpaar, sein Blick nur matter werden, wenn nicht sich verwirren und erblinden. Es gibt Beispiele, daß in solcher erzwungenen Operation Componistenvirtuosen ihre Werke völlig entstellt haben. {{Right|Raro.

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Das Sehen der Musik.

Bei der Kalkbrennerschen vierstimmig-einhändigen Fuge fällt mir der verehrte Thibaut, der Dichter des Buchs „Ueber Reinheit der Tonkunst“ ein, der mir einmal erzählte, daß in einem Concert in London, das Cramer gegeben, eine vornehme, kunstverständige Lady sich gegen allen englischen Ton auf die Zehen gestellt, die Hand des Virtuosen starr angesehen, was natürlich die Nachbarinnen zur Seite und im Rücken, nach und nach die ganze Versammlung gleichfalls gethan, und endlich Th. ins Ohr, aber mit Ekstase gesagt hätte: „Gott! welcher Triller! Triller! Und noch dazu mit dem vierten und fünften— und in beiden Händen zugleich!“ Das Publicum (schloß damals Th.) murmelte leise nach: „Gott! welcher Triller! Triller! und noch dazu etc.“ {{Right|R—o.

Doch scheint dies das Publicum zu charakterisiren, das am Virtuosen, wie im Concert überhaupt, auch etwas sehen will. {{Right|Euseb.

Aber beim Himmel! Es wäre ein wahres Glück, wenn in der Künstlerwelt einmal ein Geschlecht der Bilfinger aufwüchse, das bekanntlich an zwei garstigen Uebersingern litt; da wär' es mit der ganzen Virtuosenwirthschaft vorbei. {{Right|Florestan.

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Das öffentliche Auswendigspielen.

Nennt es nun ein Wagstück oder Charlatanerie, so wird das doch

{73} immer von großer Kraft des musikalischen Geistes zeugen. Wozu auch diesen Souffleurkasten? warum den Fußblock an die Sohle, wenn Flügel am Haupt sind? Wißt ihr nicht, daß ein noch so frei angeschlagener Accord, von Noten gespielt, noch nicht ein halbmal so frei klingt wie einer aus der Phantasie? O, ich will aus eurer Seele antworten: allerdings kleb' ich am Hergebrachten, denn ich bin ein Deutscher, — erstaunen würde ich freilich in etwas, brächte plötzlich die Tänzerin ihre Touren, der Schauspieler oder Declamator seine Rollen aus der Tasche, um sicherer zu tanzen, spielen, declamiren; aber ich bin wirklich wie jener Philister, der, als einem Virtuosen die Noten vom Pult fielen und dieser trotzdem ruhig weiter spielte, singend ausrief: „Seht! seht! das ist eine große Kunst! der kann’s auswendig!“ {{Right|F—n.

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Das Beherrschende.

Schon längst war es mir aufgefallen, daß in Fields Compositionen so selten Triller vorkommen, oder nur schwere, langsame. Es ist so. Field übte ihn tagtäglich mit großem Fleiß in einem Londoner Instrumentmagazin, als ein stämmiger Geselle sich über das Instrument lehnt und stehend einen so schnellen, runden schlägt, daß Jener das Magazin verläßt mit der Aeußerung: kann der es, brauch' ich es nicht zu lernen. — Sollte aber hierin und in Aehnlichem nicht der tiefere Sinn zu erkennen sein, daß der Mensch sich eigentlich nur vor dem beugt, was mechanisch nicht nachzuahmen ist? {{Right|F—n.

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Das Anlehnen.

Würde ohne Shakespeare Mendelssohns Sommernachtstraum geboren worden sein, obgleich Beethoven manchen (nur ohne Titel) geschrieben hat? Der Gedanke kann mich traurig machen. {{Right|F—n.

Ja — warum zeigen sich manche Charaktere erst selbständig, wenn sie sich an ein anderes Ich gelehnt haben, wie etwa der größere Shakespeare selbst, der bekanntlich die meisten Stoffe seiner Stücke aus älteren oder aus Novellen und dergl. hernahm? {{Right|E—s.

Eusebius spricht wahr. Manche Geister wirken erst, wenn sie sich bedingt fühlen, frei. R —o.

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Rossini.*

Allzu einseitig wäre es, alles Rossinische bei uns zu unterdrücken,

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        * Die folgenden Bemerkungen scheinen einer früheren Zeit anzugehören. Jetzt ist schon manches anders geworden. A. d. R. [Sch. 1834.]

{74} wenn es nur einigermaßen im Verhältniß zur Aufmunterung deutscher Leistungen stünde. Rossini ist der trefflichste Decorationsmaler, aber nehmet ihm die künstliche Beleuchtung und die verführende Theaterferne und sehet zu, was bleibt. Ueberhaupt wenn ich so von Berücksichtigung des Publicums, vom Tröster und Retter Rossini und seiner Schule reden höre, so zuckt mir’s in allen Fingerspitzen. Viel zu delicat geht man mit dem Publicum um, das sich auf seinem Geschmack ordentlich zu steifen anfängt, wahrend es in früherer Zeit bescheiden von ferne zuhorchte und glücklich war, etwas aufzuschnappen vom Künstler. Und sag' ich das ohne Grund? Und geht man nicht in den „Fidelio“ der Schröder wegen (in gewissem Sinn mit Recht) und in Oratorien aus purem blanken Mitleiden? Ja! erhält nicht der Stenograph Herz, der sein Herz nur in seinen Fingern hat, — erhält dieser, sag' ich, nicht für ein Heft Variationen vierhundert Thaler und Marschner für den ganzen „Hans Heiling“ kaum mehr? Noch einmal — es zuckt mir in allen Fingerspitzen. {{Right|F-n.

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Rossinis Besuch bei Beethoven.

Der Schmetterling flog dem Adler in den Weg, dieser wich aber aus, um ihn nicht zu zerdrücken mit dem Flügelschlag. {{Right|E—s.

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italiänisch und Deutsch.

Seht den flatternden lieblichen Schmetterling, aber nehmt ihm seinen Farbenstaub, und seht, wie erbärmlich er herumfliegt und wenig beachtet wird, während von Riesengeschöpfen noch nach Jahrhunderten sich Skelette vorfinden, die sich mit Staunen die Nachkommen zeigen. {{Right|E—s.

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Dilettantismus.

Hüte dich, Eusebius, den vom Kunstleben unzertrennlichen Dilettantismus (im bessern Sinn) zu gering anzuschlagen. Denn der Ausspruch: „kein Künstler, kein Kenner“ muß so lang als Halbwahrheit hingestellt werden, als man nicht eine Periode nachweist, in der die Kunst ohne jene Wechselwirkung geblüht habe. {{Right|R—o.*

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        * Die Zeitschrift brachte am Schluß derselben Nummer folgende 

{{Right|Erklärung. Es gehen mannigfache Gerüchte über die unterzeichnete Bündlerschaft. Da wir leider mit den Gründen unsrer Verschleierung noch zurückhalten müssen, so ersuchen wir Herrn Schumann (sollte dieser einer verehrlichen Redaction bekannt sein), uns in Fällen mit seinem Namen vertreten zu wollen. {{Right|Die Davidsbündler.

Ich thu’s mit Freuden. {{Right|R. Schumann.

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{75}


1835.


{76}

[leer]

{77} Zur Eröffnung des Jahrganges 1835.

Unsre Thronrede ist kurz. Zwar Pflegen Journale an ersten Januaren vieles zu versprechen, nur ohne den künftigen Jahrgang bei der Hand zu haben. Deute sich der Leser das Motto von Shakespeare, welches diese von uns herausgegebenen Blätter schon einmal eröffnete,* auf eine Weise, die uns seine Gunst erhalten möge. Ob wir unsere Versprechungen durchaus gelöst und den Erwartungen entsprochen haben, die der weit umfassende Plan allerdings zu großen steigern mußte, wollen wir nicht entscheiden. In der Anerkennung der Jugend des Unternehmens liegen vielleicht auch die Ausstellungen, die man machen könnte. Im Wesentlichen werden Körper und Geist, welchen der Himmel ihm schenken möge, künftighin dieselben bleiben.

Es bleibt noch übrig, uns über die Fortsetzung des kritischen Theils dieser Blätter zu erklären.

Das Zeitalter der gegenseitigen Complimente geht nach und nach zu Grabe; wir gestehen, daß wir zu seiner Neubelebung nichts beitragen wollten. Wer das Schlimme einer Sache nicht anzugreifen sich getraut, vertheidigt das Gute nur halb. — Künstler, namentlich ihr Componisten, ihr glaubt kaum, wie glücklich wir uns fühlten, wenn wir euch recht ungemessen loben konnten. Wir kennen die Sprache wohl, mit der man über unsre Kunst reden müßte — es ist die des Wohlwollens; aber beim besten Willen, Talente wie Nichttalente zu fördern oder zurückzuhalten, geht es nicht immer — wohlwollend.

In der kurzen Zeit unseres Wirkens haben wir mancherlei Erfahrungen gemacht. Unsere Gesinnung war vorweg festgestellt. Sie ist einfach, und diese: an die alte Zeit und ihre Werke mit allem Nachdruck

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     * Seite 41.

{78} zu erinnern, darauf aufmerksam zu machen, wie nur an so reinem Quelle neue Kunstschönheiten gekräftigt werden können, — sodann die letzte Vergangenheit, die nur aus Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging, als eine unkünstlerische zu bekämpfen, — endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten, beschleunigen zu helfen.

Ein Theil hat uns verstanden, eingesehen, daß Unparteilichkeit, vor Allem lebendiges Mitinteresse die Beurtheilungen leitete.

Ein zweiter hat gar nicht darüber nachgedacht und wohlgemuth auf den Anfang vom Ende des alten Lieds gepaßt. Es wäre sonst rein unerklärlich, wie uns zugemuthet wurde, Sachen zu besprechen, die für die Kritik eigentlich wie gar nicht existiren.

Ein dritter nannte unser Verfahren rücksichtslos, rigoristisch. Wir wollen der entgegengesetzten Weise nicht gemeine, sondern die edelsten Gründe unterlegen, vielleicht den, daß unsere Kunstgenossen im Allgemeinen äußerlich nicht gerade die reichsten sind, deren oft mühsam erworbenen Lebensbedarf man nicht noch durch Aufdecken einer freudlosen Zukunft verkümmern solle — oder den, daß es schmerzt, nach einem lange zurückgelegten Wege zu erfahren, daß man den unrechten eingeschlagen; denn wir wissen wohl, wie der musikalische und jeder Künstler ohne Schaden für seine Kunst etwas Anderes, was ihm im bürgerlichen Leben einen Halt abgäbe, nicht treiben dürfe. Aber wir sehen nicht, was wir vor anderen Künsten und Wissenschaften voraus haben sollen, wo sich die Parteienossen gegenüber stehen und befehden, noch überhaupt, wie es sich mit der Ehre der Kunst und der Wahrheit der Kritik vereinbaren ließe, den drei Erzfeinden unsrer und aller Kunst, den Talentlosen, dann den Dutzendtalenten (wir finden kein besseres Wort), endlich den talentvollen Vielschreibern ruhig zuzusehen. Glaube Niemand, wir hätten z. B. etwas gegen gewisse Tagescelebritäten. Diese gelten, weil sie die Stellen, die ihnen vom mächtigen Zeitengenius bestimmt sind, vollkommen ausfüllen. Sodann sind sie, wie man sich leider gestehen muß, die Kapitale, mit denen die Verleger, die doch auch da sein müssen, den Verlust, welchen sie oft bei Herstellung classischer Werke tragen, in etwas decken. Aber drei Viertel von Andern sind unecht, unwerth veröffentlicht zu werden. Die Masse steckt bis an den Kopf in Noten, verwirrt sich, verwechselt; dem Verleger, Drucker, Stecher, Spieler, Zuhörer wird unnütz Zeit genommen. Aber die Kunst soll mehr als ein Spiel, als ein Zeitvertreib sein.

Das waren unsere Ansichten schon beim Beginnen dieser Zeitschrift, {79} hier und da leuchteten sie wohl durch; wir sprachen sie aber noch nicht so bestimmt aus, weil wir hofften, daß theils die Leistungen mancher jungen edlen Geister, welche wir in Schutz zu nehmen für Pflicht erachteten, theils ein absichtliches Uebergehen aller jener gewöhnlichen Conglomerate die Mittelmäßigkeit am schnellsten unterdrücken würden. Wir gestehen, daß wir später in ein Dilemma geriethen. Mancher Leser wird gesehen und geklagt haben, daß der Raum, den wir der Kritik anwiesen, in keinem Verhältniß zur Zahl der erscheinenden Werke stehe. Er war nicht in den Stand gesetzt, sich einen Ueberblick über alle Erscheinungen, gute wie schlechte, zu verschaffen. Nun waren es die drei obengenannten Hauptfeinde, die jenen erschwerten. Damit aber der Leser zu einem Standpuncte gelange, von dem er alles um sich wie im Kreise sehen könne, mußten wir aus ein Verfahren sinnen, wodurch zugleich der Besprechung des Nöthigen und Wichtigen kein Eintrag gethan würde.

Es sind nun die einzelnen Erzeugnisse dieser drei Gattungen unter einander sich so ähnlich, die der ersten an Leblosigkeit, die der andern an Leichtsinn, die der dritten an Handwerksmäßigkeit, daß sich mit der Charakterisirung einer einzelnen Composition die ganze Classe in ihren Grundzügen hinstellen ließe. Also in Berathung mit Künstlern, denen, wie die Erhebung der Kunst, auch das Leben des Künstlers am Herzen liegt, wollen wir für Compositionen, die sich, nicht nach einseitiger Meinung, sondern nach gewissenhafter Ueberzeugung Vieler in eine der obigen Classen rubriciren lassen, drei einzelne Stereotyp-Recensionen bereit haben, denen weiter nichts als die Titel der Compositionen untergesetzt werden. Wie sehr wir wünschen, daß dieses Verzeichniß so kurz wie möglich ausfalle, brauchen wir so wenig zu versichern, als wie wir alles, was sich, wenn auch nur durch einen kleinen glücklichen Zug unterscheidet, besonders und in längern oder in kürzern Aufsätzen besprechen werden.*

Und so beginne dieses Geständniß den neuen Jahreslauf! Man sagt oft „das neue Jahr, ein altes Jahr“, wir wollen hoffen, ein besseres.

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         * Ausgelassen: „Ob unser Verfahren die Billigung der Componisten erhalten werde, wissen wir nicht. Sollten sie darin vielleicht etwas finden, was der schönen Sprache des Wohlwollens entgegenstände, mit der man, wie wir früher sagten, über unsre heilige Kunst reden müsse, so möchten sie auch nicht zweifeln, daß wir, auf das Wohl der edlern Kunstjünger bedacht, nur dann, wenn wir uns selbst für besiegt erklären, die schreckhaft überhandnehmende Mittelmäßigkeit zu bekämpfen aufhören werden.“
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{80} Ferdinand Hiller.

[24 Etuden für Pianoforte, Werk 15.) 25

I.

Einen Zug der Beethovenschen Romantik, den man den provencalischen nennen könnte, bildete Franz Schubert im eigensten Geist zur Virtuosität aus. Auf diese Basis stützt sich, ob bewußt oder unbewußt, eine neue noch nicht völlig entwickelte Schule, von der sich erwarten läßt, daß sie eine besondere Epoche in der Kunstgeschichte bezeichnen wird.

Ferdinand Hiller gehört zu ihren Jüngern, zu ihren merkwürdigsten Einzelnheiten.*

Mit ihm zugleich schildere ich eine ganze Jugend, deren Bestimmung zu sein scheint, ein Zeitalter loszuketten, das noch mit tausend Ringen am alten Jahrhundert hängt. Mit der einen Hand arbeitet sie noch, die Kette loszumachen, mit der andern deutet sie schon aus eine Zukunft hin, wo sie gebieten will einem neuen Reich, welches, wie Mahomets Erde, in wunderbar geflochtenen demantnen Banden hängt und fremde, noch nie gesehene Dinge in seinem Schooß verbirgt, von denen uns schon der prophetische Geist Beethovens hier und da berichtete, und die der hehre Jüngling Franz Schubert nacherzählte in seiner kindischen, klugen, märchenhaften Weise. Denn wie es in der Dichtkunst Jean Paul war, der, nachdem er in die Erde gesenkt worden, wie ein heilbringender Quell in Schachten fortströmte, bis ihn zwei Jünger, die ich nicht zu nennen brauche, wieder ans Sonnenlicht leiteten und begeistert, nur zu heftig verkündeten, „es beginne eine neue Zeit“. — so war es in der Musik Beethoven. Unsichtbar wirkte er wie eine Gottheit in einzelnen Geistern fort und gebot ihnen, den Augenblick

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      * Ausgelassen: „Man könnte ihn lieben, wenn er nicht wollte, daß man ihn hassen solle; wie einen Schüler würde ich ihn einsperren können und dann ruhig zusehen, wie er sonnenan schwebt als Adler: ich würde ihn einen Meister nennen, wenn er ein Schüler sein wollte. Er will dich verführen, daß du ihn für einen Genius haltest, gesteht aber im Augenblick daraus selbst, daß er ein unausstehlicher Philister sei; wenn du zu ihm sagtest, er sei eine schwebende Blume, so würde er als Schmetterling ausruhen, damit du beide verwechselest. So wenig stehen seine Kräfte mit seinem Willen im Verhältniß, so wenig durchdringen sie sich. Widersprüche sind es, die er niederschrieb und die ich abschreibe. Die Natur hat ihn ausgestattet wie einen ihrer theuersten Lieblinge, und die Zeit hat ihn gefangen genommen wie einen Missethäter.“ 26

{81} nicht zu versäumen, wo der Götzendienst, dem die Masse lange, leere Jahre sich hingegeben, gestürzt werden könne. Und er empfahl ihnen, den Kampf zu bestehen, nicht die sanfte glatte Sprache des Gedichts an, sondern die freie ungebundene Rede, mit der er selbst schon oft gesprochen, und die jungen Geister bedienten sich ihrer in neuen und tiefsinnigen Formeln.

Die Altweisen lächelten sehr und meinten wie der Riese in Albanos Traum: „Freunde, hier geht kein Wasserfall hinauf!“* Die Jünglinge aber meinten: ei, wir haben Flügel! — Einzelne im Volke nun hatten die junge Stimme vernommen und sprachen „hört, hört!“ Dieser Augenblick steht jetzt in der Welt still.** {{Right|Florestan.

II.

Es ist schlimm, daß man seinen Recensionen nicht jedesmal die Composition mit einem Virtuosen, der sie uns gleich höchst vollendet spielte, oder (was das Beste wäre) ein Exemplar des ganzen Componisten anhängen kann; dann wäre manchem vorgebeugt. Gut aber ist es immer, wenn wir dem Leser gleich die Anfänge der ersten Etuden vorstellen, damit er uns nicht blindhin aufs Wort zu glauben und eigenes Urtheil beizumischen habe. Auch scheint ein Probegeben bei Etuden nicht so langweilig als bei andern Gattungen von Werken, weil die ersten Tacte doch meistens den Grund des Stückes bilden, den ein gleichgesinnter Geist vielleicht ähnlich ausführen würde. Hier folgen die Anfänge.***

Mit einem Seufzer fahre ich fort — keiner andern Kritik wird das Beweisen so schwer als der musikalischen. Die Wissenschaft schlägt mit Mathematik und Logik, der Dichtkunst gehört das entschiedene, goldene Wort, andere Künste haben sich die Natur, von der sie die Formen geliehen, zur Schiedsrichterin gestellt, — aber die Musik ist die Waise, deren Vater und Mutter Keiner nennen kann. Und vielleicht ist es, daß gerade in dem Geheimnißvollen ihres Ursprungs der Reiz ihrer Schönheit liegt.

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        * Jean Pauls „Titan“, im 99. Zykel.
      ** Ausgelassen: „Wir sprechen nichts weiter über den jungen Tondichter, der die Veranlassung zu diesen Bildern gab, denen nur der Rahmen fehlt. Aber eines rufen wir den Jünglingen zu: ehret eure Richter — seid aber zu stolz, um mit Schließknechten zu reden. Stellt sich euch der alte Feind gegenüber, so besiegt ihn, schlagt ihn aber nicht oder wollet ihn gar treten!... Und jetzt an die Arbeit!“ 
     *** Sie sind, vielen Raum einnehmend, hier ausgelassen. [Sch. 1852.]

{82} Man hat den Herausgebern dieser Blätter den Vorwurf gemacht, daß sie die poetische Seite der Musik zum Schaden der wissenschaftlichen bearbeiten und ausbauen, daß sie junge Phantasten wären, die nicht einmal wüßten, daß man von griechischer und andrer Musik im Grund nicht viel wisse und dergl. Dieser Tadel enthält eben das, wodurch wir unser Blatt von andern unterschieden wissen möchten. Wir wollen weiter nicht untersuchen, in wie sern durch die eine oder die andre Art die Kunst schneller gefördert werde, aber allerdings gestehen, daß wir die für die höchste Kritik halten, die durch sich selbst einen Eindruck hinterläßt, dem gleich, den das anregende Original hervorbringt.* Dies ist freilich leichter gesagt als gethan und würde einen nur höhern Gegendichter verlangen. Bei Studien indeß, von denen man nicht allein lernen, sondern auch schön und Schönes lernen soll, kommt noch anderes ins Spiel. Darum soll diesmal wo möglich wenig ausgelassen und Hillers Werk von vielen Seiten gefaßt werden, von der ästhetischen sowohl wie von der theoretischen und etwas von der pädagogischen.

Denn nach drei Dingen sehe ich als Pädagog besonders, gleichsam nach Blüthe, Wurzel und Frucht, oder nach dem poetischen, dem harmonisch-melodischen und dem mechanischen Gehalt, oder auch nach dem Gewinn für das Herz, für das Ohr und für die Hand.

Ueber manche Sachen aus der Welt läßt sich gar nichts sagen, z. B. über die C dur-Symphonie mit Fuge von Mozart, über Vieles von Shakespeare, über Einzelnes von Beethoven. blos Geistreiches hingegen, Manierirtes, Individuell-Charakteristisches regt stark zu Gedanken an, daher ich lieber diese Recension wie eine ordentliche Predigt in drei Theile zerlegen und das Ganze mit einer Charakteristik der einzelnen Etuden beschließen will.

Erster Theil: Poesie des Werkes, Blüthe, Geist. Ich glaube, Hiller wird nie nachgeahmt werden. Warum? weil er, eigentlich Original, sich so viel von anderen Originalen beigemischt, daß sich nun dieses fremd-eigne Wesen in den sonderbarsten Strahlen bricht. Der Nachahmer müßte sich daher aus diese Verbindung des Eigentlichen und Uneigentlichen einlassen, was einen Unsinn gäbe. Damit will ich nicht sagen, Hiller wolle nachahmen — denn wer wird das! —

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     * In diesem Sinne könnte Jean Paul zum Verständniß einer Beethovenschen Symphonie oder Phantasie durch ein poetisches Gegenstück möglich mehr beitragen (selbst ohne nur von der Phantasie oder Symphonie zu reden) als die Dutzend-Kunstrichtler, die Leitern an den Koloß legen und ihn gut nach Ellen messen. [Sch.]

{83} oder er habe keine Kraft, seine Natur gegen fremden Einfluß zu sichern — denn er besitzt im Gegentheil so viel, daß er nur fürchtet, sie möchte in ihren höchsten Aeußerungen nicht verstanden werden; aber er strebt den Ersten, Besten aller Zeiten mit einer Vermessenheit nach, will nicht allein so verwickelt wie Bach, so ätherisch wie Mozart (obgleich dies am wenigsten), so tiefsinnig wie Beethoven (aber dies am meisten) schreiben, sondern wo möglich das Hohe dieser und noch Andrer vereinen, daß es gar kein Wunder ist, wenn gar manches mißlingt. Solchem ungenügsamen Sinne folgt aber der Mißmuth auf dem Fuß, wenn sich, wie im Schillerschen Berg-Alten, die Riesengestalt herüberdehnt, die uns zuruft: „Weiter darfst du nicht, Freund, das ist meine Region.“ Darin liegt der Grund zu einer Bemerkung, die sich in jeder Etüde aufdrängt. Es ist das plötzliche Stocken, Zurücksinken mitten im Ausflug. Er nimmt den Anlauf wie ein Siegesroß und fällt kurz vor dem Ziel nieder; denn dieses steht fest und kommt uns nicht entgegen: ja, es scheint sogar zurückzufliehen, je mehr man sich ihm nähert. Darum geht auch ziemlich allen Etuden das goldne Wohlgefühl ab, das Vorahnen des Sieges, welches man starken Geistern schon beim ersten Wort anmerkt.

Sehe ich hier vielleicht zu viel oder irre ich mich, so glaube ich wenigstens die Vorzüge, die dagegen in die Wagschale zu legen, mit Sicherheit angeben zu können.

Sie sind: Phantasie und Leidenschaft (nicht Schwärmerei und Begeisterung, wie etwa bei Chopin), beide in ein romantisches Clairobscur eingehüllt, das sich vielleicht später zur Verklärung erheben wird; denn er hüte sich vor dem nächsten Schritt, über den hinaus Gnomen und Kobolde zu wirthschaften anfangen, und denke au die Ouverturen zum Sommernachtstraum und zu den Hebriden (die sich etwa wie Shakespeare und Ossian zu einander verhalten), in welchen der romantische Geist in solchem Maße schwebt, daß man die materiellen Mittel, die Werkzeuge, welche er braucht, gänzlich vergißt. Dennoch bewegt sich Hiller im Abenteuerlichen und Feenhaften, wenn auch nicht so poetisch fein wie Mendelssohn, doch immer sehr glücklich, und die zweite, siebzehnte, zweiundzwanzigste, dreiundzwanzigste Studie gehören, wie zu den gelungenen in der ganzen Sammlung, zu dem Besten überhaupt, was seit der F moll-Sonate von Beethoven und Anderem von Franz Schubert, welche dieses Wunderreich zuerst erschlossen zu haben scheinen, geschrieben worden ist.

Rechne man hierzu noch eine sehr starke Erfindung und einen

{84} Charakter, der vielleicht manchmal zu grundlos das Gewöhnlichere zurückweist, so haben wir das Bild eines Künstlerjünglings, der wohl verdient, das Interesse einzuflößen, welches viele am Adel seiner Geburt genommen, der ihn aber noch nicht aus die mäßige Weise zu benutzen versteht, welche zur Selbstkenntniß führt, mit der wir über unsre angebornen geistigen Reichthümer zu schalten und walten haben.

Wie dies gemeint ist, sollen die übrigen Theile noch deutlicher machen.

Zweiter Theil: theoretischer, Verhältniß der Melodie zur Harmonie, Form und Periodenbau. Wo Hillers Talent nicht ausreicht, da thut es auch sein Wissen nicht. Er hat vieles gelernt, scheint aber wie gewisse lebhafte Geister, die sich früh hervorthun wollen, manchmal schon auf den letzten Seiten geblättert und studirt zu haben, während der Lehrer noch an dem Anfang explicirte.

Daß ein so ehrgeiziger Charakter Mittel suchen wird, seine Schwächen zu verdecken, läßt sich denken. Daher will er uns oft durch bunte Harmonieen über die Flachheit der Arbeit täuschen, uns berauschen, oder wirst sich aus etwas gänzlich Heterogenes, oder er bricht plötzlich ab mit einer Pause u. s. w. Das erste z. B. gleich vom neunten Tact an in der ersten Etüde, an vielen Orten in der zwanzigsten, das andere in der fünfzehnten vom vierten Tact auf der 45. Seite an, in der 24sten in den letzten Tacten S. 73 bei dem Uebergang nach C moll, das letzte in Nr. 7 S. 19, Tact 5, in derselben Etüde noch an mehreren Stellen. Will er aber etwas ernstlich durchführen, verarbeiten, wie z. B. in der Fuge Nr. 12, in Nr. 18, die, beiläufig gesagt, die schwächste ist (ich weiß auch, warum sie es geworden), in Nr. 24, wo er das Thema des siebenten Tactes später wiederbringt, so wird er meistens dunkel, steif und matt.

Leider weiß ich auch nicht, was man einem ausgezeichneten poetischen Talente, das vielleicht zu rasch die Schule durchgemacht hat, anrathen soll. Mit Genies wird man leichter fertig; die fallen und stehen von selbst wieder auf. Aber was kann man Jenen sagen? Sollen sie Rückschritte machen, von vorne Anfangen, umlernen? Sollen sie sich der Natur und Einfachheit befleißigen, wie oft angerathen wird? Sollen sie Mozartisch schreiben? Aber wer kann denn Gesetze aufstellen, daß man gerade so weit gehen dürfe und nicht weiter! Soll man eine schöne Idee verdammen, weil sie noch nicht ganz schön ausgedrückt und ausgeführt ist? Ich weiß nicht, wie hoch es Hiller bringen wird; aber er ist um seiner selbst willen darauf aufmerksam

{85} zu machen, daß er das Gelungene von dem Mißrathenen abtrennen lerne, daß er wohlwollende Freunde frage, denen er ein Urtheil, in wie weit sich etwas für die Oeffentlichkeit schicke, zutrauen darf und die ihm sagen: “on ne peut pas être grand du matin jusqu’au soir“ — man soll die Kinder, die man lieb hat, züchtigen — in meinen vier Pfählen kann ich treiben, was mir gefällt; wer aber an die Sonne der Oeffentlichkeit tritt, wird von ihr beschienen.

Wir kommen zu den Etuden zurück. Eins fällt mir auf und ein. Hiller scheint oft die Worte, den Ausdruck eher zu haben als den Sinn, den Gedanken; er legt den Schmuck bereit, ohne die Schönheit zu besitzen, die jener erhöhen soll, — in Bildern: er hat die Wiege fertig, ehe an die Mutter gedacht ist; wie einem Juwelier geht es ihm, dem es gleich gilt, von welchem Kopf sein Diadem getragen wird, ob von einer schönstolzen Römerjungfrau oder von einer grauen Oberhofmeisterin, wenn er nur seine Waare anbringen kann. Obschon dieses Mißverhaltniß bei Studien nicht so hoch anzuschlagen ist als bei höhern Compositionsgattungen, so würde ich doch Etuden, wie Nr. 4, 8, 18, in denen die Figur als Haupt-, der Gedanke als Nebensache erscheint, der vielen andern wegen (wie 5, 6, 10, 16, 23), wo Etudenzweck und Gedankenadel vereint sind, gänzlich unterdrückt haben.

So steht auch die Melodie in untergeordnetem Verhaltniß zur Harmonie, welche reich, ja orientalisch, oft auch hart fortschreitet. Unbegreiflich ist es, wie Jemand, der so viel in Musik gelebt und geschrieben, Bestes und Schlechtestes gehört und unterscheiden gelernt hat, wie unser Componist, in seinen eignen Sachen Harmonieen stehen lassen kann, die nicht etwa falsch nach gewissen altwaschenen Regeln, sondern so widrig klingen, daß ich ihm, wenn ich ihn nicht weiter kennte, geradezu sagen müßte: „es fehlt dir das musikalische Ohr.“ Zu so einem Ausspruch würden mich die ersten Noten im zweiten Tact der neunten Etüde bestimmen; erst vermuthete ich Druckfehler, fand aber die gräßliche verdoppelte Terz bei der Wiederholung wieder. Fast in allen Etuden finden sich solche unleidliche Intervalle.*

Was nun die Form und den Periodenbau unsrer Etuden anlangt, so unterscheiden sie sich wesentlich von andern durch ihre Ungebundenheit, die freilich oft auch in Unklarheit und Mißverhältniß ausartet. Wir wollen hier eine zergliedern, gleich die erste:

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           * Hier waren noch in einigen Beispielen aus Nr. 1, 13, 14 und 19 unreine Harmonieen und orthographische Fehler nachgewiesen.

{86}

Erster Gedanke. A moll-Modulation nach E moll. 8 Tacte.

Ausfüllung. Modul. durch C dur

   7

auf 3♯

  A

8 Tacte. Zweiter Gedanke, den der erste begleitet. Modulation von D moll durch

 9b

7 6 6 3♯ 6 3b 5 A, F, F, H nach C moll. 8 Tacte.

Frei. Modul. durch G und D nach A moll. 12 Tacte. point d’orgue auf der Dominante E. Hauptcadenz. 12 Tacte. Wiederholung. des zweiten Gedankens, aber verändert. Harmonien:

             6♯
        6   4
   3♯ 5   3  6
A, D, E, F,
              6♯
 6     4
   6  5     3   6

Gis,A, H, C. 8 Tacte. Frei. Modul. Nach 7 {{Right|3♯

               Dis.

7 Tacte, Pause. Frei. Modul. durch

 9      9b        9
 7      7       5♯
 3♯    3♯     3♯

E,A,A, D,H,E nach A moll. 6 Tacte. Erinnerung. an das 2. Thema A moll. 4 Tacte. Schluß. A moll. 11 Tacte.


Gehört nun der Zergliederer obiger Etüde durchaus nicht zu denen, die gern in C dur anfangen, in G dur das zweite Thema bringen, nach einigem Aufenthalt in (höchstens) B dur, D moll, dann aber A moll, das erste Thema in C dur wieder aufnehmen, das zweite in derselben Tonart anhängen und sofort schließen, so liebt er doch eine gewisse Ordnung in der Unordnung, und diese geht der obigen Etüde etwas, andern (z. B. den Nummern 18, 20, 24) gänzlich ab. Manches hätte ich auch gegen die Schlüsse, an denen mir ziemlich durchgängig etwas wie zu wenig oder zu viel vorkommt, so wie gegen die Aufeinanderfolge der 24 Sätze im Ganzen einzuwenden; doch ist namentlich das letzte so individuell, daß ich es lieber übergehe.

Wir kommen zum kürzesten und

letzten Theil, zum mechanischen. — Für junge Componisten, die dazu Virtuosen sind, gibt es nichts Einladenderes, als Etuden zu schreiben, wo möglich die ungeheuersten. Eine neue Figur, ein schwerer Rhythmus lassen sich leicht erfinden und harmonisch fortführen; man lernt bei dem Componiren, ohne daß man es weiß, man {87} übt seine Sachen vorzugsweise, Recensenten dürfen nicht tadeln, daß man zu schwer geschrieben — denn wozu helfen sonst Etuden? — Hiller hat einen Namen als Virtuos und soll ihn verdienen. Früher von Hummel gebildet, ging er dann nach Paris, wo es an Nebenbuhlern nicht fehlt. Im Umgang mit Fr. Chopin, der sein Instrument kennt wie kein Andrer, mag dies und jenes angeregt worden sein, — kurz er setzte sich hin und schrieb. Es fragt sich, ob er im Anfang gewisse Zwecke im Auge gehabt, zu denen er seine Studien bestimmt, ob zur eignen Uebung, zu der seiner Schüler u. s. w. Wer weiß es? — aber der Clavier-spielende Leser und Lehrer kann verlangen, daß man ihm sage, ob er sie sich anschaffen solle, was er zu erwarten habe, wie schwer sie seien, für welche Classe von Spielern sie vorzugsweise passen. Daraus läßt sich allein dieses antworten. Zwar stellt sich in jeder einzelnen Etüde eine Uebung heraus, hier und da eine neue Schwierigkeit, aber es lag dem Componisten offenbar mehr daran, Charakterstücke zu geben und poetischen Sinn zu beflügeln, als mechanische Claviermäßigkeit auszubilden. Daher findet sich in der ganzen Sammlung kein Fingersatz angezeigt, selten ein Ausheben des Pedals, niemals, außer in den Ueberschriften, welche die Stimmung des Stückes im Ganzen andeuten, eine ängstliche Bezeichnung des Vortrags durch Worte, wie animato u. s. w. Dies alles setzt Fertigkeiten voraus, die man nicht aus die Welt mitbringt. Wollte ich also die Classe nennen, der man die Studien in die Hand geben dürfe, so würde ich jene geist- und phantasievollen Spieler darunter verstehen, welche die größere Herrschaft über ihr Instrument durch sie nicht erlangen wollen, sondern schon besitzen, überhaupt die musikalischen Menschen, an denen nichts mehr zu verderben ist. — Diese allgemeinen Bemerkungen beschließen wir mit einer kurzen Charakteristik der einzelnen Nummern.

1) Lebhafter Rhythmus, antiker Anstrich, Mattes und Starkes abwechselnd, Uebung in schwerem Staccato.

2) Traum. Unterirdisches Treiben. Die Erdgeister singen und hämmern. Feen neigen sich aus demantnen Blumen. Das geht lustig. Der Träumer wacht auf:„was war denn das?“

3) Kirchenstück, gothisch. Um einen Cantus firmus ziehen tiefere Stimmen auf und ab. Gute Idee, mißlungene Ausführung.

4) Nichts sagend, leidliche Uebung, die rechte Hand binden, die linke springen zu lassen.

5) Zartes Bild, etwa das eines bittenden Kindes. — Umkehrung

{88} der vorigen Uebung. Die rechte Hand schlägt schnell Octaven an, während der Tenor den gebundenen Gesang führt, der aber gegen die Mitte hin steif und schwulstig wird.

6) In Form und Haltung vielleicht die gelungenste in der Sammlung, wenn auch nicht reich an Erfindung. Wogende Bewegung in Decimenspannungen für eine Hand, während die andere eine Melodie festhält. Reine Harmonieen.

7) Etwas gemacht, auch als Uebung zu vag.

8) Lebendig aber reizlos. Zur Uebung im raschen Untersetzen des Daumens geschickt. Aus dem dritten System der 25. Seite stehen so viele Druckfehler, daß man förmlich umcomponiren muß.

9) Schönes Accompagnement, kalter Gesang. Uebung im Mordent. Der Vortrag eines Meisters könnte über den eigentlichen Gehalt täuschen.

10) hätte bei mehr Sorgfalt auf gedrängtere Form vortrefflich werden müssen. Das lebhafte Fortgehen bei der Rückkehr des ersten Themas im Fortissimo ist von brillantem Effect. Matter Schluß. Uebung in Baßsprüngen für die linke Hand und im Aushalten einer Melodie mit dem Daumen der rechten, welche die übrigen Finger begleiten.

11) Volle auf- und niedersteigende Dreiklangsmassen, in der Weise, wie Händel seine Chöre oft begleitet. Großartig, nur einige schwache Augenblicke.

12) Fuge in Bachscher Manier; im wohltemperirten Clavier steht eine in Tonart und Thema ähnliche. Die contrapunctische Meisterschaft noch nicht bedeutend. Zu viel freie Eintritte, häufiges Fallenlassen der Stimmen. Vortreffliches Thema, aus dem sich viel machen ließe.

13) Gigue im alten Stil. Getroffen, voll von einzelnen Schönheiten bis auf die Stellen, die oben angeführt. Vom fünften Tact ans Seite 41 an kann ich keine Auslösung finden.

14) Sehr rasch zu spielen. Hat etwas Reizendes, In der Dis moll-Stelle quält sich ein Gesang vergebens ab. Als Etüde ohne Schwierigkeit.

15) Gedankenlos, was ein seines Staccatospiel vielleicht vergessen machen wird. Der Mittelsatz an und für sich gut, wenn er im Zusammenhang mit dem Anfang und der Folge stünde. Die Empfindung geht immer im Zickzack, bergauf, bergunter.

16) Ausgezeichnet schön, fast durchgehends. Nur der Schluß stört durch seine Plattheit; ich würde vielleicht vom zweiten Tact des fünften

{89} Systems in den achten des sechsten springen. Auch scheint das Pedal, welches Hiller doch so selten anwendet, gerade in dieser Etüde am unrechten Orte, weil dann der innere Gesang noch mehr verschwömme. Als Etüde im Ueberschlagen der linken Hand über die rechte zu benutzen.

17) Wahrscheinlich die dankbarste im ganzen Hefte, wenn sie prestissimo gespielt wird. Doppelgänger, Einbeinmenschen, Schattenlose, Spiegelbilder spazieren drinnen herum — nun, man spiele.

18) nannte ich schon früher die schwächste von allen und versprach zu sagen, warum sie es geworden. Darum, weil Chopin zwei Etuden, eine in F-, die andre in C moll geschrieben, die Hiller jedenfalls gekannt hat, ehe er seine siebente und achtzehnte machte.* Das letzte klingt dunkel und mag es bleiben.27

19) wurde oben schon ausführlich erwähnt.

20) mag im raschen Tempo imponiren, wüthet aber zu sehr in Harmonieen. Im vierten Tact des fünften Systems S. 59 fängt ein schöner harmonischer Gang an. Als Etüde nützlich, aber ermüdend.

21) Die fünften Finger beider Hände bleiben liegen, während die andern sich doppelgriffig bewegen. Gute Uebung für Spannungen und für das Eingreifen in die Obertasten. Werthvoll als Composition.

22) gehört in die Feengattung; durchaus leise zu halten, duftig und luftig, Aeolsharfenmusik. Vortreffliche Uebung, die das Merkwürdige, vielleicht Einzige auf der Welt hat, daß die ersten vier Finger der rechten Hand gleich vielmal daran kommen, jeder nämlich 322 mal, der kleine Finger aber 324 mal anschlagen darf. Man sehe nach und wird es, wie ich, in einer Minute finden und lachen.

23) Originell und phantastisch. Studie für kurze Triller in beiden Händen.

24) Octavengänge in beiden Händen. Kräftiger Rhythmus im ersten Thema, im Verfolg etwas confus und ohne Einheit. Der Hauptgedanke wird zum zweiten Mal so frei und glücklich eingeleitet, wie es keiner andern Etüde gelungen. Das Hineinkommen (wie man sagt) in den Hauptgedanken bei der Wiederholung bleibt ein Geniuswurf.

Wir stehen am Ende. Hiller, wie er sein »Fino« unter Nr. 24 schreiben konnte, mag kaum froher gewesen sein als der Leser, der

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      * Ausgelassen: „Nun will er aber durchaus nicht merken lassen, daß es etwas Aehnliches gäbe, wird auf einmal zärtlich, was man gar nicht an ihm gewohnt ist; aber so sprechen keine Seelen — Kanonen könnten kaum durchs Fell.“

{90} losgelassen sein will. — Mit Aufmerksamkeit und Interesse habe ich die Studien vielmal selbst gespielt und durchgegangen. Wenn die Redaction dieser Blätter ihrer Besprechung einen größeren Raum gestattete, als sie beinahe verantworten kann, so mag dies dem jungen deutschen Künstler für ein Zeichen gelten, wie wenig er in seiner Heimath vergessen ist. Findet er den Tadel zu streng gegen das Lob, so bedenke er auch, nach welchem Maß er selbst gemessen sein will, d. h. nach dem höchsten. Würde aber der Leser ein Endurtheil verlangen, so könnte ich ihm zum Abschied nichts Besseres aus den Weg mitgeben als die Worte im Wilhelm Meister, die mir immer in diese Recension hineingeklungen:

„Der geringste Mensch kann complet sein, wenn er sich innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten bewegt; aber selbst schöne Vorzüge werden verdunkelt, ausgehoben und vernichtet, wenn jenes unerläßlich geforderte Ebenmaß abgeht. Dieses Unheil wird sich in der neuern Zeit noch öfter hervorthun, denn wer wird wohl den Forderungen einer durchaus gesteigerten Gegenwart und zwar in schnellster Bewegung genugthun können?“ {{Right|2.

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* Zeitgenossen.

Ludwig Cherubini, *

der große Tondichter, jetzt ein Greis von 74 Jahren, der wie ein Riese in unsre Zeit hereinragt aus jener alten, in welcher er neben seinen Kunstbrüdern Mozart, Haydn und Beethoven wirkte und schuf. In Florenz ward er geboren unter Orangenbäumen und Götterstatuen. Ein inniger Künstler schreibt irgendwo: „Lagt ihr vielleicht in einer Wiege, Beethoven und Cherubini, wie euch denn auch euer Vorname gemein ist, und gab vielleicht die Mutter dem italiänischen Kinde ein paar südliche Blumen mehr?“ — Luigi begann unter den gelehrten Felicis, Vater und Sohn, seine Studien, die er schon ganz früh in Compositionen verarbeitete. Der Erzherzog von Toscana ward auf ihn aufmerksam und brachte ihn nach Bologna, wo er Sartis Schüler

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      * Auf Ersuchen der Redaction des Damenconversationslexicon als Probe mitgetheilt, wie in ihrem Buch die musikalischen Artikel abgefaßt sind.

{{Right|D. Red. [Sch.]

{91 und Liebling wurde. Im zwanzigsten Jahre folgten schon Opern, welche die italiäner nur zu ernst und gelehrt fanden. Sein Ruf wird größer, er geht nach England und ein Jahr später nach Paris. Da hört er Haydns Symphonieen — zitternd und entzückt. Von nun an wendet er sich ganz der deutschen, edlern Muse zu und bleibt ihr treu. Iphigenia und Demophon waren die nächsten Werke, Lodoiska, Elisa, Medea folgten.

Deutschland, obschon bewegt von den neusten Schöpfungen Mozarts, Haydns und des jungen aufbransenden Beethoven, fängt an, seinen Namen öfter zu nennen. Der Wasserträger gibt ihm noch mehr Anspruch auf deutsches Ehrenbürgerrecht. Er wird 1805 nach Wien berufen; die hohe Faniska war hier sein erstes Werk. Nach einer schweren Krankheit wirft er seine ganze Kraft auf Kirchenmusik und hat es mit wenigen Zerstreunngen durch kleinere komische Opern und durch einzelne größere (Abenceragen, Ali Baba) bis zu diesem Augenblicke gethan, wo er hochgehalten dem Institut des Pariser Conservatoriums vorsteht.

Wie sehr seine Kirchencompositionen zu schätzen sind, sieht man daraus, daß Beethoven wenig Jahre vor seinem Ende freudig geäußert: „aus Cherubinis Requiem werde er sich vieles ad notam nehmen.“ Manche stellen sogar diese Leistungen über seine dramatischen; es wird aber durch solches Vergleichen nichts erreicht und wir stimmen, um ein Endurtheil zu geben, dem oben angeführten Künstler bei, welcher schrieb: „dadurch, daß er jene berüchtigte italiänische Endsilbe seinem Ideal opferte, ist er, der er ist — der blose schlanke Cherub, den Gott aus hoher Stirn und im Auge.“

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* J. Field, Nocturne pastorale pour le Piano. Nouvelle Fantaisie p. l. P.

Ich weiß noch, wie sich ein Recensent in einer alten musikalischen Zeitung über Fields erstes Werk lustig und her-macht und namentlich die Decimenspannungen als unnatürlich, unausführbar verwirft. Seitdem erinnere ich mich nie eine Opuszahl aus Fields Compositionen, wohl aber unzählige Decimengriffe gefunden zu haben. So viel bewirken Recensenten. Wie anders ist jetzt aber vieles! Ueber so breite Griffe wundert sich kein Kind mehr, und daß Field (gewiß nicht ohne

{92} Grund) keine Zahl mehr auf seine Compositionen gesetzt, verschlägt vollends nichts. Denn, wie die Shakespeareschen stehen sie im Kreise herum; es ist ganz zufällig, daß er das dritte Concert vor dem vierten geschrieben; eine Linie weniger Genie und die Welt hätte ihn nicht so leicht durch die Schule schlüpfen lassen. So aber sahen Tausende dem schönen Flüchtling zu, wie er sich lachend aus den dürren Hofmeistershänden heraus windet, und warfen ihm Blumen nach, die er nun als Kränze trägt.

Dürft' ich, so würde ich ihm einen aus Mohnblumen und Abendviolen aufsetzen, denn er ist der Geliebte der Dämmerungsstunde, wenn die Sonne hinuntergegangen und das ewige Heimweh der Seelen erwacht. Soll ich die, die ihn kennen, an die Stunden erinnern, wo sie noch länger hörten, als die Musik dauerte? Wollten sie etwas von diesen neuen Gedichten erfahren, soll ich wiederholen, was sie schon lange wissen, etwa das uralte Lied vom Herzen?

Schlage nur eine Weltsaite an, und sie schwingt unendlich fort. Die Minute muß entzückend sein, wo du dir bewußt wirst, daß du eine zuerst berührst, — wo du etwas ganz dein eigen nennen kannst, — dich als Ersten fühlst in der neuen Schöpfung und dein Werk als erstes Geschöpf, das dich nun inbrünstig umarmt und deinen Namen trägt. Wie glücklich mag er vor seinem ersten Notturno gestanden haben: denn es war ganz sein, und Niemand vor ihm hatte etwas Aehnliches gesprochen.

So scheint es, als entschleiere nach und nach der Künstler das Bild der Natur für seine Kunst, im Kleinen als Tag, im Großen als Jahr, im Größten als Zeit und Ewigkeit. Der kräftige Morgen gehört Bach und Händel an. Was sich vor ihnen geregt, waren nur Frühstimmen, Morgenahnungen, und oft recht kalte. Da führten Mozart und Haydn den Tag heran und das helle, lebendige Leben, das in der Sternennacht wiederum verstummte, welche &Beethoven& und Franz Schubert eröffneten. Nun sind jenen Hohepriestern noch Jüngere beigesellt. Field legt sein Opfer am Abend auf den Altar; was er spricht, versteht nicht Jeder, aber es stört Keiner den blassen Jüngling, da er betet. In später Stunde arbeitet noch Chopin, wie in einer Nordscheinverklärung, aber die Gespensterzeit spukt schon neben ihm, die Nachtraubvögel sind los, und einzelne Abendfalter von früher her stürzen erkältet und ermattet nieder. — Wir wären am Ziel? — Nein! Der geschlossene Tag mit seinen vier kleinen Zeiten wird im großen Umkreise nur einer des Frühlings sein, der wieder erst

{93} ein Theil des Jahres ist, — und dann zählt die Geschichte der Künste nach Jahrhunderten, die wiederum in der Ewigkeit als Augenblicke auf- und niedergehen. {{Right|Eusebius.

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Charakteristik der Tonarten.*

Man hat dafür und dagegen gesprochen; das Rechte liegt wie immer mitten innen. Man kann eben so wenig sagen, daß diese oder jene Empfindung, um sie sicher auszudrücken, gerade mit dieser oder jener Tonart in die Musik übersetzt werden müsse (z. B. wenn man theoretisch beföhle, rechter Ingrimm verlange Cis moll und dgl.), als Zelter beistimmen, wenn er meint, man könne in jeder Tonart jedes ausdrücken. Schon im vorigen Jahrhundert hat man zu analysiren angefangen; namentlich war es der Dichter C. D. Schubart, der in den einzelnen Tonarten einzelne Empfindungs-Charaktere ausgeprägt gefunden haben wollte. So viel Zartes und Poetisches in dieser Charakteristik sich findet, so hat er fürs Erste die Hauptmerkmale der Charakterverschiedenheit in der weichen und harten Tonleiter ganz übersehen, sodann stellte er zu viel kleinlich specialisirende Epitheten zusammen, was sehr gut wäre, wenn es damit seine Richtigkeit hätte. So nennt er E moll ein weiß gekleidetes Mädchen mit einer Rosaschleife am Busen; in G moll findet er Mißvergnügen, Unbehaglichkeit, Zerren an einem unglücklichen Plan, mißmuthiges Nagen am Gebiß. Nun vergleiche man die Mozartsche G moll-Symphonie, diese griechisch schwebende Grazie, oder das G moll-Concert von Moscheles und sehe zu! — Daß durch Versetzung der ursprünglichen Tonart einer Composition in eine andere eine verschiedene Wirkung erreicht wird, und daß daraus eine Verschiedenheit des Charakters der Tonarten hervorgeht, ist ausgemacht. Man spiele z. B. den „Sehnsuchtswalzer“ in A dur oder den „Jungfernchor“ in H dur! — die neue Tonart wird etwas Gefühlwidriges haben, weil die Normalstimmung, die jene Stücke erzeugte, sich gleichsam in einem fremden Kreis erhalten soll. Der Proceß, welcher den Tondichter diese oder jene Grundtonart zur Aussprache seiner Empfindungen wählen läßt, ist unerklärbar wie das Schaffen des Genius selbst, der mit dem Gedanken zugleich die Form, das Gefäß gibt, das jenen sicher einschließt. Der Tondichter trifft daher

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     * S. die Anmerkung auf S. 90.

{94} unmittelbar das Rechte, wie der Maler seine Farben, ohne viel nachzudenken. Sollten sich aber wirklich in den verschiedenen Epochen gewisse Stereotyp-Charaktere der Tonarten ausgebildet haben, so müßte man in derselben Tonart gesetzte, als classisch geschätzte Meisterwerke zusammenstellen und die vorherrschende Stimmung unter einander vergleichen; dazu fehlt natürlich hier der Raum. Der Unterschied zwischen Dur und Moll muß vorweg zugegeben werden. Jenes ist das handelnde, männliche Princip, dieses das leidende, weibliche. Einfachere Empfindungen haben einfachere Tonarten; zusammengesetzte bewegen sich lieber in fremden, welche das Ohr seltener gehört. Man könnte daher im ineinanderlaufenden Quintenzirkel das Steigen und Fallen am besten sehen. Der sogenannte Tritonus, die Mitte der Octave zur Octave, also Fis, scheint der höchste punct, die Spitze zu sein, die dann in den B-Tonarten wieder zu dem einfachen ungeschminkten C dur herabsinkt.

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Die dritte Symphonie von C. G. Müller.

(Gespielt im dreizehnten Leipziger Gewandhaus-Concert.)

Wär' ich ein Verleger, so müßte schon heute die geschriebene Partitur vor mir aufgeschlagen liegen und in einigen Wochen die gedruckte. Ohne diese kann man wohl etwas darüber sagen, aber nichts urtheilen, denn ein so deutsches Werk läßt sich nicht gleich von allen Seiten besehen, und was z. B. am Straßburger Münster von Weitem als Zierath, Ausfüllung erscheint, stellt sich in der Nähe als in inniger Beziehung zum Ganzen stehend heraus. Doch hat es auch sein Gutes, überläßt man der Phantasie den ersten Eindruck eines Werkes, etwa wie im Mondschein die Massen zaubrischer wirken als im Sonnenlicht, das bis in die Arabesken dringt.

Es ist eine bekannte Erfahrung, daß die meisten jungen Componisten ihre Sache gleich zu gut machen wollen, daß sie z. B. zu viel Material anlegen, das sich dann unter weniger geschickten Händen unbequem aufhäuft und in der späteren Verbindung der Stoffe zu unkenntlichen Klumpen zusammenballt. Man will etwas Aehnliches in den beiden frühern Symphonieen Müllers bemerkt haben; in dieser dritten trennt sich jedoch alles bei Weitem leichter und glücklicher, und es steht zu erwarten, daß, wie sich schon jetzt seine Symphonie in der Zeichnung, die nächste sich auch im Colorit der Meisterschaft nähern {95} wird. Das Fürnehmste bleibt natürlich immer der Geist mit seinem königlichen Gefolge; hier erhebt er sich (namentlich im letzten Satz) oft stolz, ja so kühn, daß es uns an einem, der früher sich fast zu schüchtern am liebsten da aufhielt, wo er festen Boden sah, jetzt doppelt auffällt und Freude macht. Das Einzelne, was an Beethovensche Art erinnert, reizt manchmal sogar zu Betrachtungen, die in gewissem Sinne zum Vortheil des jüngeren Componisten ausfallen, da das gelungene Selbsteigene von dem, wo er es dem fremden Vorbilde nachthun wollte, sich ganz glücklich unterscheidet; dahin rechne ich z. B. den äußerst zarten Rückblick vor dem Schluß der ganzen Symphonie, der wie von Wohlgefühl über den eignen Gedanken belebt, nun auch völlig frei ausbraust. Bei einer Durchsicht der Partitur würde sich anderes Interessante und einzelnes Schöne besser nachweisen lassen als jetzt beim blosen Nachtönen des Ganzen.

So erinnere ich mich nicht mehr genau des ersten Themas im ersten Allegro-Satz, ich weiß nur, daß ich zweifelte, ob ich es für Ernst oder Scherz nehmen sollte; es ist wohl beides; aber das zweite Thema spricht sich bei einem sehr lieblichen und eindringlichen Rhythmus viel wahrer und bestimmter aus.

In dem langsameren Mittelsatz fiel besonders das Stringendo auf, wo sich rasch ein zukunftsvolles Leben entwickelt. Eben daß man am Schluß das Vorgefühl erhält, es werde noch etwas kommen, ist ein dramatischer Vorzug vor den Sätzen anderer, namentlich der Symphonieen aus der alten Schule, wo die vier Theile, innerlich wie äußerlich abgeschlossen, einzeln neben einander stehen und ausruhen. Die Leipziger lieben es, nach Adagios zu klatschen, und sie thaten diesmal auch Recht daran.

Den Rhythmus des Scherzos erkennt man bei dem ersten Hören nicht deutlich; doch würde ein einziger Blick in die Noten zum Verständniß hinreichen. Das Alternativ kann ein Liebling des Symphonieen-Publicums werden; das gewichtige Drücken auf dem schlechten Tacttheil erinnert an die Schläge in der heroischen Symphonie,

#Notenbeispiel etc.

ist aber in der Wirkung gänzlich verschieden, daß einem die äußere Aehnlichkeit nur nebenbei einfällt. Irr' ich nicht, so bricht dieser Satz, wie ziemlich alle, etwas kurz ab. Man muß sich sehr hüten — schrieb ich bei einer früheren Gelegenheit —, dem Zuhörer nach dem Ende {96} hin, wo der Gedanke ruhig ausströmen soll, noch irgend Neues fühlen oder überlegen zu geben. Man hat solche spitze Enden oft originell genannt; es ist aber nichts leichter, als einen originellen Schluß zu machen (wie überhaupt jeden), treibt man es auch gerade nicht so weit wie Chopin, der neulich sogar mit einem Quartsextaccord aufgehört hat.28 Ich sage das im Allgemeinen und nicht in Bezug auf unsere Symphonie.

Der letzte Satz ist der leidenschaftlichste, fast durchaus wie von zischenden Violinenfiguren eingestrickt, manches vielleicht nicht mehr schön, aber sehr interessant gearbeitet und gedacht. Den Schluß des Ganzen erwähnte ich schon.

Nach der besten Ueberzeugung ist denn das Werk als ein neues, deutsches Talent hochehrendes vor den meisten dieser Art zu nennen. Dem Componisten selbst, der trotz aller Einflüsterung der Masse, ihr zu huldigen, sich so rein in seinem Streben erhält, möchten diese ohne allen Anspruch auf Untrüglichkeit der Ansicht geschriebenen Bemerkungen in etwas beweisen, mit welcher Erwartung und Freude Viele seinen künftigen Leistungen entgegensehen.

Ich sagte im Anfang ganz mit Absicht, daß ich, war' ich ein Verleger, die Partitur nach einigen Wochen drucken ließe. Ich würde nämlich, verstand' ich etwas von der Sache, den bescheidenen Componisten um einzelne kleine Aenderungen bitten. Etwas vollbracht zu haben, ist wohl ein selig Gefühl, aber von einem Anfange, auf dem die Hand des Genius ruht, hängt auch viel ab. So wünschte ich gleich in der Einleitung, die nur da zu sein scheint, weil es so hergebracht ist, manches anders. Was soll überhaupt das ceremonielle, pathetische Ding? Wie thut es wohl, wenn uns Mozart (in der G moll-Symphonie) und Beethoven (in den meisten seiner späteren) gleich in vollen Zügen vom reichen, sprudelnden Leben kosten lassen. Ja! ich halte — selbst an einigen Haydnschen Symphonieen — jenes plötzliche Ueberstürzen vom Adagio ins Allegro für einen größeren ästhetischen Verstoß als hundert chromatisch-gehende Quinten. Dann würde ich einzelne vierstimmige Sätze für Blasinstrumente irgend schattiren; denn es klingt solches immer, als wollten sie sagen: „horcht, wir blasen jetzt vierstimmig“, einer gewissen Verlegenheit des Publicums nicht zu gedenken, welches sehr auf die pausirenden Violinisten aufpaßt. Endlich würde ich vielleicht im letzten Satz bei der Steigerung des Forte und Fortissimo in die f f f einige Instrumente weglassen, um sie bei den f f f bei der Hand zu haben, wie etwa im letzten Satz der A dur-Symphonie, wo

{97} sich, als man glaubt, das Lärmen der Gesellschaft* könne nicht toller werden, auf einmal ganz neue Stimmen und Kräfte hören lassen, welche das Toben auf die vielleicht höchste (intensive) musikalische Höhe treiben. — Dann aber (wär' ich Verleger) müßte die Partitur hinaus in die Welt.

Geschrieben am Morgen nach der Aufführung. {{Right|Florestan.

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„Die Weihe der Töne“, Symphonie von L. Spohr.

(Aufführung in Leipzig am 5. Februar 1835.)29


Man müßte zum drittenmal nachdichten, wenn man für die, welche diese Symphonie nicht gehört, ein Bild entwerfen wollte; denn der Dichter verdankt die Worte seiner Begeisterung für die Tonkunst, die Spohr wiederum mit Musik übersetzt hat. Ließe sich ein Zuhörer finden, der, von dem Gedicht und von den Uberschriften zu den einzelnen Sätzen der Symphonie nicht unterrichtet, uns Rechenschaft von den Bildern, welche sie in ihm erweckt, geben könnte, so wäre das eine Probe, ob der Tondichter seine Ausgabe glücklich gelöst habe. Leider wußte auch ich schon vorher von der Absicht der Symphonie und sah mich wider Willen gezwungen, den Gestalten der Musik, die sich mir nur zu deutlich aufdrangen, das noch materiellere Gewand der Pfeifferschen Dichtung umzuwerfen.

Dies alles bei Seite gesetzt, berühre ich für heute etwas Anderes. Wenn ich aber das Unterlegen einer Musik gerade zu diesem Texte und somit freilich den innersten Kern der Idee angreife, so versteht es sich von selbst, daß damit ein übrigens musikalisches Meisterwerk nicht verdächtigt werden kann.

Beethoven hat gar wohl die Gefahr gekannt, die er bei der Pastoral-Symphonie lief. In den paar Worten „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“, die er ihr voransetzte, liegt eine ganze Aesthetik für Componisten, und es ist sehr lächerlich, wenn ihn Maler auf Portraits an einem Bach sitzen, den Kopf in die Hand drücken und das Plätschern

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   * Ich fürchte gesteinigt zu werden von den Beethovenern, wenn ich sagen wollte, was ich dem Schlußsatz der A dur-Symphonie für einen Text unterlege. [Sch.] 
    [Vgl. darüber den dritten Schwärmbrief.]

{98} belauschen lassen. Bei unsrer Symphonie, däucht mir, war die ästhetische Gefahr noch größer.

Hat sich jemals einer von den Andern abgesondert, ist sich irgend Jemand treu geblieben vom ersten Ton an, so ist es Spohr mit seiner schönen ewigen Klage. Wie er nun aber alles wie durch Thränen sieht, so laufen auch seine Gestalten zu formenlosen Aethergebilden auseinander, für die es kaum einen Namen gibt; es ist ein immerwährendes Tönen, freilich von der Hand und dem Geist eines Künstlers zusammengefügt und gehalten — nun, wir wissen es Alle. — Da wirft er späterhin seine ganze Kraft auf die Oper. Und wie einem überwiegend lyrischen Dichter, sich zu größerer Kraft des Gestaltens zu erheben, nichts Besseres anzurathen ist, als dramatische Meister zu studiren und selbst Versuche zu machen, so ließ sich vermuthen, daß ihn die Oper, in welcher er Begebenheiten folgen, Handlung und Charaktere durchführen mußte, aus seiner schwärmerischen Eintönigkeit herausreißen würde. Jessonda ist ihm aus dem Herzen gewachsen. Trotzdem blieb er in seinen Instrumentalsachen ziemlich der nämliche: die dritte Symphonie unterscheidet sich nur äußerlich von der ersten. Er fühlte, daß er einen neuen Schritt wagen mußte. Vielleicht durch die neunte Beethovensche Symphonie, deren erster Satz vielleicht denselben poetischen Grundgedanken enthält als der erste der Spohrschen, aufmerksam gemacht, flüchtete er sich zur Poesie. Aber wie sonderbar wählte er, aber auch wie seiner Natur, seinem Wesen getreu! Er griff nicht nach Shakespeare, Goethe oder Schiller, sondern nach einem fast Formenloseren, als die Musik selbst ist (wenn dies nicht zu kühn gesagt ist), nach einem Lob auf die Tonkunst, nach einem Gedicht, das ihre Wirkungen schildert, beschrieb also in Tönen die Töne, die der Dichter beschrieb, lobte die Musik mit Musik. Als Beethoven seinen Gedanken zur Pastoral-Symphonie faßte und ausführte, so war es nicht der einzelne kurze Tag des Frühlings, der ihn zu einem Freudenruf begeisterte, sondern das dunkle zusammenlaufende Gemisch von hohen Liedern über uns (wie Heine, glaube ich, irgendwo sagt), die ganze unendlichstimmige Schöpfung regte sich um ihn. Der Dichter der „Weihe der Töne“ fing diese nun in einem schon ziemlich matten Spiegel auf und Spohr warf das Abgespiegelte noch einmal zurück.*

Welchen Rang aber die Symphonie als musikalisches Kunstwerk an sich unter den neusten Erzeugnissen behauptet, darüber steht nicht

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     *Ausgelassen: „Und das ist’s, was mir nicht in den Sinn will,“

{99} mir, der ich mit Verehrung zu ihrem Schöpfer aufblicke, ein Urtheil zu, sondern dem berühmten Veteranen, der seine Ansicht in diesen Blättern niederzulegen versprochen.* {{Right|R. Sch.

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I. Moscheles,

Großes Septett für Pianoforte, Violine, Viola, Clarinette, Horn, Violoncell und Contrabaß (in D), Werk 88.

Die Recension wird wenig länger werden als der Titel, da wir das Werk noch nicht im Ensemble gehört. Das Pianoforte scheint natürlich zu dominiren, wenn auch nicht autokratisch, doch monarchisch, daher wir es verantworten wollen, wenn wir den Genuß, den uns die Clavierstimme und einzelne Blicke in die Instrumentalbegleitung gegeben, auch Anderen versprechen.

Sollten Manche, namentlich in den drei letzten Sätzen, das bewegliche Leben seines früheren Sextetts vermissen, so danke man doch überhaupt dem Himmel, daß wieder einmal ein complicirtes Stück erscheint, welches an sich den ganzen Ernst und Fleiß des Tonsetzers in Anspruch nimmt und diesmal auch das Studium, was es reproducirt erfordert, sicherlich verdient und belohnt. Denn es scheint, als wollten sich die jüngeren Pianofortecomponisten nach und nach außer aller Verbindung mit anderen Instrumenten setzen und ihr Instrument zum unabhängigen Orchester en miniature erheben, — ja, nicht einmal Vierhändiges sieht und hört man viel. Sei dem wie ihm wolle, geschieht damit ein Vorschritt der Pianofortemusik oder ein Rückschritt im größern Ganzen, so wollen wir auch an die Freude und den Nutzen denken, den öfteres Zusammenleben und Zusammenstreben immer geschafft hat und fürder schaffen wird.

Die Schwierigkeiten der Clavierstimme sind weder gewagt noch durchaus neu, aber wohlerwogen und zum Ganzen gehörig. Die eigenthümliche, gesunde und kernhafte Spielweise dieses Virtuosen fällt einem auf jeder Seite ein.

In der Ausgabe ohne Begleitung — (wie in allen Arangements überhaupt) — wünschten wir an den Stellen, welche durch die anderen Instrumente gestützt werden und erst durch sie Bedeutung annehmen,

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    * Es war Hr. Ritter Ignaz von Seyfried in Wien. [Sch. 1852.)

{100} eine noch genauere Angabe des Accompagnements, als es schon geschehen ist, nicht damit der Spieler weniger aufzupassen brauche, sondern damit er beim Einzelspiele die Instrumente in der Phantasie gleichsam forttragen könne. Sollen aber beim Fehlen des Accompagnements die Stimmen concentrirt werden, wie aus S. 10 angegeben ist, so dünkt uns, müsse man, was treu copirt auf dem Claviere nicht wirkt, durch andere und neue Mittel zu heben suchen. Wie es aber an der angeführten Stelle gemacht ist, empfindet man eine Lücke und Leere, die sehr leicht ausgefüllt werden konnte. Es ist das nur Nebensache und es kommt uns nicht bei, einem so denkenden und gewissenhaft arbeitenden Tonsetzer, als welcher Moscheles in seinen größeren Arbeiten dasteht, hiermit etwas zu sagen, was er nicht schon gewußt, als Referent seine Alexandervariationen studirte, nämlich vor mehr als zehn Jahren: aber für andere Componisten bemerken wir es. Denn darin, daß diese z. B. die Tutti ihrer Concerte so nachlässig und unclaviermäßig arrangiren, Bässe unten, Melodie oben, in der Mitte zwei stumme Octaven, darin liegt die Schuld, wenn sie (die Tutti) so unverantwortlich gemein als Nebensachen abgethan werden, daß man noch froher ist als der Spieler selbst, wenn er aufhört und mit dem Solo anfängt. Mit der Ausrede aber, daß man sich während der Tutti erholen müsse, verschont uns gänzlich, und wir können euch als Muster und zur Nachahmung, wie man Componisten und Compositionen zu achten habe, Niemanden mehr empfehlen als Moscheles selbst, den wir öfters privatim seine Concerte spielen gehört, und der mit solcher Kraft und Energie, mit solcher Zartheit in der Nüancirung der verschiedenen Instrumente das Orchester mit den zehn Fingern zusammenhielt und wiedergab, daß wir ihn darin erst recht als Künstler erkannten. {{Right|12.

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„Die Wuth über den verlornen Groschen.“

Rondo von Beethoven.

(Nachgelassenes Werk.)

Etwas Lustigeres gibt es schwerlich als diese Schnurre. Hab' ich doch in einem Zug lachen müssen, als ich’s neulich zum erstenmale spielte. Wie staunt' ich aber, als ich beim zweiten Durchspielen eine

{101} Anmerkung las des Inhalts: dieses unter L. v. Beethovens Nachlasse vorgefundene Capriccio ist im Manuscripte folgendermaßen betitelt: „die Wuth über den verlornen Groschen, ausgetobt in einer Caprice.“ — O, es ist die liebenswürdigste, ohnmächtigste Wuth, jener ähnlich, wenn man einen Stiefel nicht von den Sohlen herunterbringen kann und nun schwitzt und stampft, während der ganz phlegmatisch zu dem Inhaber oben hinaufsieht. — Aber hab' ich euch endlich einmal, Beethovener! — Ganz anders möcht' ich über euch wüthen und euch sammt und sonders anfühlen mit sanftester Faust, wenn ihr außer euch seid und die Augen verdreht und ganz überschwenglich sagt: Beethoven wolle stets nur das Ueberschwengliche, von Sternen zu Sternen flieg’ er, los des Irdischen. „Heute bin ich einmal recht aufgeknöpft“, hieß sein Lieblingsausdruck, wenn es lustig in ihm herging. Und dann lachte er wie ein Löwe und schlug um sich, — denn er zeigte sich unbändig überall. Mit diesem Capriccio schlag ich euch. Ihr werdet’s gemein, eines Beethoven nicht würdig finden, eben wie die Melodie zu: „Freude schöner Götterfunken“ in der D moll-Symphonie, ihr werdet’s verstecken weit, weit unter die Eroica! Und wahrlich, hält einmal bei einer Auferstehung der Künste der Genius der Wahrheit die Wage, in welcher dies Groschencapriccio in der einen Schale und zehn der neusten pathetischen Ouverturen in der andern lägen, —

— himmelhoch stiegen die Ouverturen. Eines aber vor Allem könnt ihr daraus lernen, junge und alte Componisten, was von Nöthen scheint, daß man euch manchmal daran erinnere: Natur, Natur, Natur!30

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Manuscripte.

  • Fr. P..tzsch, „Freudvoll und leidvoll“,

Lied von Goethe, für eine Singstimme mit Pianoforte.31

Ich würde das Lied gar nicht erwähnen und nach diesem Sonnenstäubchen die Sonne messen wollen (wie sich vielleicht der Componist ausdrückte), wenn es mich nicht des ihm beigeschlossenen Briefes halber interessirte. Das Lied ist so freudvoll und leidvoll wie viele andere und wird recht gut klingen, wenn man es in der Dämmerungsstunde etwa von einem Mädchen unter dem Fenster singen hört. Componire {102} nur mein Componist, wie er Briefe schreibt, d. h. lustig und guter Dinge, und die Welt wird es ihm danken! In dem Briefe les’ ich sogar von einer Symphonie, die er vor einigen Jahren gemacht. Da hat er ganz wohl gethan. Will man versuchen, ob man demanthaltig ist, so versuche und schleife man sich an Demant. Wird mir der Briefsteller seine Erlaubniß nachschicken, wenn ich ihn den freundlichen Lesern mit seinen eignen Worten vorstelle?

– – „Lassen Sie nur erst unsere Urenkel, ja Enkel auf unseren Köpfen stehen und wir (ich) werden am Ende vor Lorbeeren gar nicht vor uns sehen können! — Das ist auch natürlich, weil wir dann unter der Decke (nicht spielen, das weiß Gott! sondern kurz:) sind; hoffentlich aber deshalb nicht im Finstern tappen, wie hier so oft! — Dann kommt hinzu, daß ich dieses Stück (die Symphonie) unter eigenen Verhältnissen, mit Hilfe eines alten Spinetts (wie einst Rameau) setzte, welches noch obenein eine Terz zu tief stand. Muße hatte ich nur wenig, anßer wenn ich, als Cantor und Ludimagister von den Barfüßern verschont, Ferien genoß; oder mir, wenn ich gerade heftig kreiste, einige machte. Dies gelang ein paarmal im Sommer, wo ohnehin wenig Frequenz statthatte, weil mehrere meiner Eleven sich draußen im Freien, statt aus die Wissenschaften, aufs Heu legten und dem phantastischen Wolkenzuge und Vogelfluge freie Deutung gaben.

— Kam nun glücklicherweise blos ein Subject, so sagte ich ihm nach zwei bis drei Minuten: es spränge ihm wie mir in die Augen, daß heute jedenfalls, wie schon passsirt, Niemand weiter käme, und es könne daher keine Schule gehalten werden. — War dieser fort, so stellte sich freilich nach mehreren Secunden ein Zweiter ein. Dem klagte ich: „leider schien er heute der Einzige zu bleiben und solle demzufolge immer wieder gehen!“ — Schon hoffe ich. — Doch in Kurzem plänkelte ein Dritter heran, welchem ich bedeutete, daß das eingerissene „Hinter-der-Schule-Weglaufen“ der Andern, außer ihm, der gerade zu ungelegener Zeit ordentlich werde und dumm einplumpe, mich und ihn zwänge, aus der Noth eine Tugend zu machen und unverrichteter Sache nach Hause zu gehen. — Der Vierte, den ich, als zu spät Eingetroffenen, nachdrücklich abfensterte, war froh, daß er noch mit einem blauen Auge wegkam. — Jetzt schloß ich die Thüre ab und las blos noch einem Paar Nachzüglern (oben aus dem Fenster) derb den Text!

— Sie können denken, wie trotz dem meine Phantasie äußerst derangirt war durch die trivialen Anläufe und ich zwar feurig, aber gezwungen und mit ungünstigem Gewissen, fortcomponirte. — Endlich wurde ich dennoch fertig und flog mit Partitur und Stimmen zum Stadt-Musico loci, der mit seinen Leuten (dreien an Zahl) und

{103} Dilettanten bereits versammelt war. Nach einem Herz und Ohr zerreißenden Lärmen des Stimmens, Paukens, Trompetens und Zankens siegte mein verzweifeltes Gesicht. Man beruhigte sich; ich hob den Cellobogen (wer hätte außer mir Cello spielen sollen?) dirigirend zum Auftacte und das Andante maestoso begann. Weiter kamen wir auch in der ersten Probe nicht. Denn der Flötist, ein ehrlicher Strumpfwirker, blies jedesmal beim dreigestrichenen G das vor ihm stehende und des vis-à-vis-Nachbars Licht mit energischem Stoße aus, weshalb wir immer wieder von vorn anfangen mußten. Beiläufig: der Contrabassist (ein Hypochonder und Beutler) hatte die sonderbare Gewohnheit, nur in ganzen Tönen, ohne Rücksicht auf ƅ und ♯, zu spielen! Er sah nur auf den Stand der Note. Ging z. B. ein Stück aus Es, so spielte er ruhig stets E, A und H; folglich paßten nur manchmal die Töne: F, G, C, D. — Sagen durfte man ihm aber nichts! — Bei der Ausführung geriethen wir in ein viel bezeichnenderes „Chaos“, als Haydn in seiner Schöpfung-Ouverture. — Ich saß aber als Sturmhahn im Mastkorbe dieses Tonschiffes, als belebendes Princip meiner unartikulirten Schallmasse und lächelte seltsam und unter Thränen. — Doch“ u. s. w.

Die Hand, Ludimagister! Wir sind Freunde.

{{Right|Florestan.

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* G. Vommer, zwei Sonaten für Pianoforte.

Die Sonaten verdienen Aufmerksamkeit, wenn wir auch nicht unbedingt zur Herausgabe anrathen. Hier und da scheint ein gewisser Fleiß in der Arbeit, eine Aengstlichkeit um Symmetrie und Form, der Freiheit im Wege zu stehen. Das wird sich bei einer dritten und vierten Sonate geben, zu denen wir den Componisten freundlich anregen. Den ersten Satz der Sonate in As halten wir für den gelungensten, er schwebt wie eine Fee vorüber, das Gras zittert kaum unter dem Tritt. — Am Adagio werden die jetzigen Componisten immer scheitern, so lange sie welche wie Mozart und Haydn schreiben wollen. Warum denn rückwärts componiren? Wem die Perücke gut steht, der mag sich eine aufsetzen; aber streicht mir die fliegende Jugendlocke nicht weg, wenn sie auch etwas wild über die Stirn hereinfällt. Also Locken, Sonatenschreiber, und keine falschen! {{Right|F—n.

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{104} Fastnachtsrede von Florestan.

(Gehalten nach einer Aufführung der letzten Symphonie von Beethoven.)

Florestan stieg aus den Flügel und sprach:

Versammelte Davidsbündler, d. i. Jünglinge und Männer, die ihr todtschlagen sollet die Philister, musikalische und sonstige, vorzüglich die längsten (S. Komet 1833 die letzten Nummern).* —

Ich schwärme nie, Beste! — Wahrhaftig, ich kenne die Symphonie besser als mich. Kein Wort verlier' ich drüber. Es klingt alles so todtledern darauf, Davidsbündler. Ordentliche Ovidische Tristien feierte ich, hörte anthropologische Collegien. Man kann schwerlich wild über manches sein, schwerlich viele Satiren mit dem Gesichte malen, schwerlich tief genug als Jean Paulscher Giannozzo** im Luftballon sitzen, damit die Menschen nur nicht glauben, man bekümmere sich um selbige, so tief, tief unten ziehen zweibeinige Gestalten, die man so heißt, durch eine sehr enge Schlucht, die man allenfalls das Leben nennen könnte. — Gewiß, ich ärgerte mich gar nicht, so wenig als ich hörte. Hauptsächlich lachte ich über Eusebius. Ein rechter Schelm war er, als er einen dicken Mann so anfuhr. Der hatte ihn nämlich während des Adagio geheimnißvoll gefragt: hat Beethoven nicht auch eine Schlachtsymphonie geschrieben, Herr? — Das ist eben die Pastoralsymphonie, Herr, sagte unser Euseb gleichgültig. — Ah, ah, richtig — dehnte der Dicke fort sich besinnend.

Der Mensch muß wohl Nasen verdienen, sonst hätte ihm Gott keine gegeben. Viel vertragen sie, diese Publicums, worüber ich die herrlichsten Dinge berichten könnte; z. B. als ihr, Kniff, mir einmal umwendetet im Concert bei einem Fieldschen Notturno. Das Publicum besah sich zur Hälfte schon inwendig, es schlief nämlich. Unglücklicherweise erwisch' ich aus einem der abgelebtesten Flügelschweife, der sich je in eine Zuhörerschaft schwang, statt des Pedals den Janitscharenzug, glücklicherweise piano genug, als daß ich mir den Wink des Zufalls konnte entgehen lassen, das Publicum glauben zu machen, es ließe sich in der Ferne eine Art Marsch hören, den ich von Zeit zu Zeit in leisen Schlägen wiederholte. Natürlich trug Eusebius das Seinige zur Verbreitung bei; das Publicum rauchte aber vor Lob.

Aehnliche Geschichten fielen mir während des Adagio eine Menge ein, als der erste Accord im Endsatz einbrach. Was ist er weiter,

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     * Es ist der Aufsatz S. 10 gemeint.
   ** Der Luftschiffer Giannozzo im „Komischen Anhange zum Titan“.

{105} Cantor (sagte ich zu einem zitternden neben mir), als ein Dreiklang mit vorgehaltener Quinte in einer etwas verzwickten Versetzung, weil man nicht weiß, ob man das Pauken-A oder das Fagotten-F für Baßton nehmen soll? Sehen Sie nur Türk*, 19. Theil, S. 7! — „Ah Herr, Sie sprechen sehr laut und spaßen bestimmt.“ — Mit leiser, fürchterlicher Stimme sagte ich ihm ins Ohr: Cantor, nehmen Sie sich vor den Gewittern in Acht! der Blitz schickt keinen Livreebedienten, eh' er einschlägt, höchstens einen Sturm vorher und drauf einen Donnerkeil. Das ist so seine Manier. — „Vorbereitet müssen solche Dissonanzen dennoch“ — da stürzte schon die andere herein. Cantor, die schöne Trompetenseptime vergibt euch.

Ganz erschöpft von meiner Sanftmuth war ich, ich hatte gut mit meinen Fäusten gestreichelt.

Jetzt gabst du mir eine schöne Minute, Musikdirector, als du das Tempo des tiefen Themas in den Bässen so herrlich auf der Linie trafst, daß ich vieles vergaß vom Aerger am ersten Satz, in dem trotz des bescheidenen Verhüllens in der Ueberschrift: »un poco maestoso« die ganze langsam schreitende Majestät eines Gottes spricht.

„Was mag wohl Beethoven sich unter den Bässen gedacht haben?“ — Herr, antwortete ich, schwerlich genug; Genies pflegen Spaß zu machen, — es scheint eine Art Nachtwächtergesang: Weg war die schöne Minute und der Satan wieder los. Und wie ich nun diese Beethovener ansah, wie sie da standen mit glotzenden Augen und sagten: das ist von unserm Beethoven, das ist ein deutsches Werk — im letzten Satz befindet sich eine Doppelfuge — man hat ihm vorgeworfen, er prästire dergleichen nicht, — aber wie hat er es gethan — ja, das ist unser Beethoven. Ein anderer Chor fiel ein: es scheinen im Werk die Dichtgattungen enthalten zu sein, im ersten Satz das Epos, im zweiten der Humor, im dritten die Lyrik, im vierten (die Vermischung aller) das Drama. Wieder ein anderer legte sich geradezu aufs Loben: ein gigantisches Werk wär' es, kolossal, den ägyptischen Pyramiden vergleichbar. Noch andre malten: die Symphonie stelle die Entstehungsgeschichte des Menschen dar — erst Chaos — dann der Ruf der Gottheit: „es werde Licht“ — nun ginge die Sonne aus über dem ersten Menschen, der entzückt wäre über solche Herrlichkeit — kurz, das ganze erste Capitel des Pentateuchs** sei sie.

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     * Theoretiker älterer Zeit. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß es einen „19. Theil“ gar nicht gibt.
   ** der Schöpfungsgeschichte (eigentlich der fünf Bücher Mosis).

{106} Ich ward toller und stiller. Und wie sie eifrig nachlasen im Text und endlich klatschten, da packte ich Eusebius beim Arm und zog ihn die hellen Treppen hinunter mit ringsum lächelnden Gesichtern.

Unten im Laternendunkel sagte Eusebius wie vor sich hin: Beethoven — was liegt in diesem Wort! schon der tiefe Klang der Silben wie in eine Ewigkeit hineintönend. Es ist, als könne es kein anderes Schriftzeichen für diesen Namen geben. — Eusebius, sagte ich wirklich ruhig, unterstehst du dich auch, Beethoven zu loben? Wie ein Löwe würde er sich vor euch aufgerichtet und gefragt haben: wer seid ihr denn, die ihr das wagt? — Ich rede nicht zu dir, Eusebius, du bist ein Guter — muß denn aber ein großer Mann immer tausend Zwerge im Gefolge haben? Ihn, der so strebte, der so rang unter unzähligen Kämpfen, glauben sie zu verstehen, wenn sie lächeln und klatschen? Sie, die mir nicht Rechenschaft vom einfachsten musikalischen Gesetz geben können, wollen sich anmaßen, einen Meister im Ganzen zu beurtheilen? Diese, die ich sämmtlich in die Flucht schlage, laß' ich nur das Wort Contrapunct fallen, — diese, die ihm vielleicht das und jenes nachempfinden und nun gleich ausrufen: o, das ist so recht auf unser Corpus gemacht, — diese, die über Ausnahmen reden wollen, deren Regeln sie nicht kennen, — diese, die an ihm nicht das Maß bei sonst gigantischen Kräften, sondern eben das Uebermaß schätzen, — seichte Weltmenschen, — wandelnde Werthers Leiden, — rechte verlebte großthuige Knaben, — diese wollen ihn lieben, ja loben?

Davidsbündler, im Augenblick wüßt' ich Niemanden, der das dürfte, als einen schlesischen Landedelmann, der vor Kurzem so an einen Musikhändler schrieb:

Geehrter Herr, Nun bin ich bald mit meinem Musikschrank in Ordnung. Sie sollten ihn sehen, wie er prächtig ist. Innen Alabastersäulen, Spiegel mit seidenen Vorhängen, Büsten von Componisten, kurz prächtig. Um ihn aber auf das Köstlichste zu schmücken, bitte ich mir noch sämmtliche Werke von Beethoven zu schicken, da ich diesen sehr gern habe. 32

  • Was ich aber sonst noch zu sagen hätte, wüßt' ich meines Erachtens kaum.

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      * Hier ging noch der Satz vorher: „Ihr seht mich staunend an und schweigt; ich bin verstanden, wenn ihr mich nicht verstanden habt“.

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{107} Aus den Büchern der Davidsbündler.

Sonaten für Pianoforte.

Delphine Hill Handley, geb. v. Schauroth, Sonate (C moll). C. Loewe, Elegische Sonate (F moll), Werk 32. C. Loewe, Brillante Sonate (Es), Werk 41. W. Taubert, Große Sonate (C moll), Werk 20. L. Schunke, Große Sonate (G moll), Werk 3.

1,

Tritt nur näher, zarte Künstlerin, und fürchte dich nicht vor dem grimmigen Wort über dir!* Der Himmel weiß, wie ich in keiner Hinsicht ein Menzel** sondern eher wie Alexander bin, wenn er nach Quintus Curtius sagt: „mit Frauen kämpfe ich nicht; nur wo Waffen sind, greife ich an.“ — Wie einen Lilienstengel will ich den kritischen Stab über deinem Haupte wiegen, oder glaubst du, ich kenne die Zeit nicht, wo man reden will und nicht kann vor Seligkeit, wo man alles an sich drücken möchte, ohne noch eines gefunden zu haben, und wo es die Musik ist, die uns das zeigt, was wir noch einmal verlieren werden? — da irrst du.

Wahrhaftig, ein ganzes achtzehntes Jahr liegt in der Sonate; hingebend, liebenswürdig, gedankenlos — ach! was sie nicht alles ist, — auch ein wenig gelehrt. Lauter Augenblick, Gegenwart klingt heraus. Keine Furcht um das, was geschehen, keine Furcht vor dem, was kommen könnte. Und wäre gar nichts daran, man müßte die Corinna-Schwester*** loben, daß sie sich von der Miniatur-Malerei weg zu höheren Formen wendet und ein Bild in Lebensgröße geben will. Hätte ich doch dabei sein können, wie sie die Sonate niederschrieb! Alles hätte ich ihr nachgesehen, falsche Quinten, unharmonische Querstände, kurz alles; denn es ist Musik in ihrem Wesen, die weiblichste, die man sich denken kann; ja sie wird sich zur Romantikerin hinausbilden, und so ständen mit Clara Wieck zwei Amazonen in den funkelnden Reihen.

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     * „Kritik“ stand als Ueberschrift. [Sch. 1852.)
    ** Wolfgang Menzel, der scharfe und rücksichtslose Kritiker, bekannt als Gegner Goethes.
  *** Anspielung auf die beiden Romane der Frau v. Staël: „Corinna“ und „Delphine“.


{108 Nur eines kann sie noch nicht zusammenbringen, die Componistin mit der Virtuosin, an die ich bei ihrem früheren Namen denke. Sie wollte zeigen, daß sie auch Perlen habe, um sich zu schmücken. Das ist aber in der Dämmerungsstunde gar nicht nöthig, wo man, um glücklich zu sein, nichts verlangt als Einsamkeit, und um glücklich zu machen, eine zweite Seele. Und so lege ich die Sonate mit mancherlei Gedanken aus der Hand. {{Right|Eusebius.

2.

Jetzt an den Löwen! — Blitzen gleich gehen junge Kritische am liebsten nach hohen Stellen, wie nach Kirchthürmen und Eichenbäumen. — So himmelfest ich überzeugt bin, daß mein liebenswürdiger Eusebius manches in der Delphinsonate gefunden, was nicht darin steht, so sehr könnte ich mich jetzt im umgekehrten Fall befinden. Und dennoch ex ungue leonem. Deutlich sah ich’s an einer Stelle gleich im Anfang, über die ich ganz passabel wüthete, sie heißt:

#Notenbeispiel

{109} Himmel, dacht' ich während des Fortspielens, viermal einem Menschen zu sagen, daß man wenig sage, scheint mir doch zu viel, — und dann die philiströsen Verzierungen! — und dann die Klarheit im Allgemeinen! — Etwas milder ward ich, als mich im Verlauf folgendes Thema als zweites ansah:

#Notenbeispiel

Zum Schluß gefiel es mir mit den neuen Bässen noch mehr. Ich wende um, Andantino, was steht da?

#Notenbeispiel

Ein Allegro agitato folgt; als wolle es mich nun gar ärgern, springt mir entgegen:

#Notenbeispiel

Am Schlusse des Adagio wurde ich ganz beschwichtigt durch:

#Notenbeispiel

Im Scherzo fing ich an, mich über meine Wuth heimlich zu ärgern, und glaubte Ruhe zu haben vor der Figur. Das Finale beginnt;

{110} harmlos spiel' ich fort, da klingt pianissimo legatissimo das fürchterlich bekannte:

#Notenbeispiel

guckt in runden und eckigten Gestalten aller Orten hervor und nun vollends zum Schluß, um mich ganz außer mir zu bringen, tipst es und tapst es:

#Notenbeispiel

Zwei Stunden lang klang mir die Figur in den Ohren nach und dem Loewe gewiß das rechte, denn ich lobte ihn inwendig um manches an der Sonate und wandt' auf ihn eine Stelle, wenn auch nicht in ihrer ganzen Kraft an, die ein anderer Davidsbündler einmal schrieb und eine löbliche Redaction aufschlagen wolle.*

Aber einmal gereizt und herausgeführt, suchte ich anderwärts Achillesfersen beizukommen; denn wir wissen an ersten Tonhelden kleine Stellen, wo Recensirpfeile eindringen können und irdisches Blut treffen.

Nach dem, was ich bis jetzt von Loewianis gespielt, ist mir’s ziemlich klar, was ich will und zu sagen habe. Reich an innerm, tiefem Gesang, wodurch sich seine Balladen auszeichnen, wählt er sich ein Instrument, welches, um zu klingen und zu singen, mit andern Mitteln behandelt sein will und durch andere wirkt als die Menschenstimme. Loewe spielt getreu mit den Fingern nach, was er in sich hört. Nun kann wohl eine dürftige Claviermelodie, gut gesungen, noch ziemlich klingen, aber eine reiche Melodie für die Stimme wird erst halben Effect auf dem Clavier machen. Je älter ich werde, je mehr sehe ich, wie das Clavier, namentlich in drei Dingen, wesentlich

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     * „Wollt ihr wissen, was durch Fleiß, Vorliebe, vor Allem durch Genie aus einem einfachen Gedanken gemacht werden kann, so leset in Beethoven und sehet zu, wie er ihn in die Höhe zieht und adelt, und wie sich das anfangs gemeine Wort in seinem Mund endlich wie zu einem hohen Weltenspruch gestaltet.“ [Sch.]

Vergl. S. 45.

{111} und eigenthümlich sich ausspricht, — durch Stimmenfülle und Harmoniewechsel (wie bei Beethoven, Franz Schubert), durch Pedalgebrauch (wie bei Field), oder durch Volubilität (wie bei Czerny, Herz). In der ersten Classe trifft man die en gros-Spieler, in der andern die Phantastischen, in der dritten die Perlenden. Vielseitig gebildete Componistenvirtuosen wie Hummel, Moscheles und zuletzt Chopin, wenden alle drei Mittel vereint an und werden daher von den Spielern am meisten geliebt; alle aber, denen keines von ihnen eigenthümlich, die keines von ihnen besonders studirt, sind zurückgesetzt worden. Loewe nun benutzt sie auch zusammen: aber ich halte ihn für keinen feinen Spieler und der Geist macht’s nicht allein.

Ordentlich ernsthaft kann man bei dergleichen Untersuchungen sprechen, auch ohne an die elegische Sonate zu denken, die ich aus vielen Gründen liebe und der brillanten vorziehe, wie es der Componist selbst thun wird. Drei Theile zu einem Ganzen abzuschließen, ist meines Glaubens die Absicht der Sonaten-, auch Concert- und Symphonieen-Schreiber. Die Alten thaten es mehr äußerlich in Gestalt, Tonart; die Jüngeren breiteten die einzelnen Theile noch in Unterabtheilungen aus und erfanden einen neuen Mittelsatz, das Scherzo. Man blieb nicht dabei, eine Idee nur in einem Satz zu verarbeiten, man versteckte sie in andern Gestaltungen und Brechungen auch in die folgenden. Kurz, man wollte historisches (lache nicht, Eusebius!) und als sich die ganze Zeit poetischer entwickelte, dramatisches Interesse hineinbringen. Neuerdings knüpfte man die Sätze noch mehr zusammen und schloß sie durch augenblickliches Uebergehen in die Neuen aneinander.

Wenn in der brillanten Sonate der Faden mehr sicht- und fühlbar war, so spinnt er sich in der elegischen mehr geistig fort. F moll-Charakter bleibt es von Anfang bis Ende, er klingt selbst durch alle Ausweichungen hindurch. Die Flüchtigkeit, mit der Loewe componirt, liegt in seiner Eigentümlichkeit, nie bei dem Einzelnen stehen zu bleiben, das Ganze in einem Augenblick zu Erfinden und in einem Strich zu vollenden. Nur dadurch entschuldigt sich das manche Unbedeutende, das man mit in den Kauf nehmen muß, wie bei dem Landschaftsmaler die Gräser und die Wolken, obschon man sie in Natur besser haben könnte.

Noch eines spür' ich bei den Loeweschen Compositionen heraus, daß man nämlich, wenn er fertig ist, gern noch etwas wissen möchte. Leider ist es mir selbst oft und einfältig vorgekommen, wenn mich Jemand gefragt, was ich mir bei meinen eignen extravaganten

{112} Ergießungen gedacht hätte, darum will ich keine Antwort; — aber ich behaupte dennoch, daß bei Loewe oft etwas dahinter steckt. In der Einleitung stören mich gleich die Harmonieen

6ƅ 5ƅ 7ƅ 4 3♯ C, Des, H,

die im ganzen Satz wiederkehren. Man sehe nach! Sonst ist er aber kräftig-zart, fast zu leidenschaftlich, um elegisch zu heißen. Das Andante nenn' ich ein Lied, kurz und gut. Das Presto übergeh' ich, weil es mir durchaus mißfällt. Aus dem Finale sieht mich eine verschleierte Nonne wie durch ein Gitterfenster an: mittelalterlich ist es gewiß.

Lachen muß ich, wenn Loewe manchmal Fingersatz und oft recht sonderbaren anzeigt. Es wird ihm einerlei sein, mit welchen Fingern er gespielt wird, oder ob aus der G-Saite. Wie? — Ich sollte meinen. {{Right|Florestan.

3.

(Sonate von W. Taubert.)

„Den ersten Satz dieser Sonate halt' ich für den ersten, den zweiten für den zweiten, den dritten für den letzten — in absteigender Schönheitslinie.“ So etwa würdest du, mein Liebling Florestan, deine Rede anfangen. Ihr dürft mir aber nicht darüber, Jünglinge, die ihr gleich eure Eselskinnbacken anlegt! Denn wie Florestan eine merkwürdige Feinheit besitzt, die Mängel eines Werkes im Nu auszuspüren, so findet dagegen Eusebius mit seiner weichen Hand schnell die Schönheiten aus, mit denen er gar oft auch die Irrthümer zu überdecken weiß. Beide haltet ihr euch jedoch, wie Jünglinge pflegen, am liebsten und längsten bei Dichtungen aus, in denen das phantastische Element vorwaltet. Zu den letzteren gehört unsere Composition nicht.

Schon im vorigen Frühlinge hatten wir uns gemeinschaftlich über ein kleineres Clavierstück desselben Componisten berathen.* Wir haben nicht nöthig, von unserem damaligen Urtheil etwas zurückzunehmen. Hier wie dort finden sich, wenn auch keine neue extraordinäre Lebenszustände, doch allgemeine, treffliche Wahrheiten in edler Form von einem gebildeten Manne vorgetragen. Er hütet sich wohl, etwas zu sagen und zu versprechen, was er nicht verantworten und halten, oder etwas

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     *Das vierhändige Duo, S. 43.

{113} zu unternehmen, was ihn in Schulden stürzen könnte, so genau kennt er sein Vermögen und so weise versteht er damit umzugehen. In diesem Bezuge könnten Manche von ihm lernen.

Ist nun allerdings der Anblick einer ausschweifenden Natur (bis sie der Jüngling allmählich in ruhige Kunstkreise fassen lernt) erregender, großartiger und dem malerisch überstürzenden Wasserfalle zu vergleichen, so lassen wir uns doch auch gern vom willigen, gefahrlosen Flusse tragen, dessen Boden wir fühlen mit Goldkörnern und Perlen auf dem Grunde. Es wäre ungerecht, wollten wir es in Hinsicht auf unsere Sonate bei diesem Bilde bewenden lassen. Namentlich strömt der erste Satz vom Anfang bis Ende so lebhaft fort, daß sich der letzte, trotz der äußeren, größeren Schnelligkeit, fast matt ausnimmt; denn während dort die Bewegung aus der Tiefe nach der Höhe strebt, so scheint hier nur noch die Oberfläche erregt. Indeß kann es sein, daß Einer, der das Finale der Phantasiesonate in Cis moll von Beethoven nicht kennt, anders mittheilen möchte: weshalb ich den einfachen Ausspruch thue, woraus denn zuletzt alle musikalische Kritik hinausläuft, daß mir der letzte Satz nicht gefallen hat.

Dagegen dünkt mir der erste Theil so schön angelegt, fortgeführt und ausgebaut, daß er verdient, ihn schärfer ins Auge zu fassen. Und hier mag Eusebius sprechen, dessen Gedanken hierüber mir nicht mißfallen:

Halblaut fängt die Sonate an. Es ist, als wenn erst alles vorbereitet, zurecht gelegt würde. Der Gesang wird stärker. Wie im Orchester fällt das Tutti ein. Eine rasche Figur spinnt sich an. Wir haben bis dahin noch nichts Außerordentliches gehört; aber man wird fortgezogen, ohne sich gerade viel zu denken. Jetzt aber treten fragende Bässe aus in der harten Tonart; eine Stimme antwortet gar schön und schüchtern: „sehet mich nicht so hart an, thue ja Niemand etwas zu Leide“ und schmiegt sich an den ersten leisen Gesang an. Die vorigen raschen Figuren springen neugierig hinzu. Die Scene wird lebhafter; ein kleiner zarter, lustiger Gedanke kann kaum aufkommen. Auf- und Niederwallen; Vor- und Zurückdrängen; eine starke Hand greift ein und schließt ab. Zwei neue, aber blasse Gestalten treten hervor, eine männliche und eine weibliche, und erzählen, was sie erfahren an Schmerz und Lust. Theilnehmend kommen andere hinzu: „rafft euch nur auf, Thrän' aus dem Auge, Blitz in dem Auge“ — „aber den Schmerz um die, die nicht mehr sind, vergebt uns“ — nun ebnet sich alles, das Fremdartige vereinigt sich, das Bekannte geht mit dem Unbekannten;

{114} eine alte Stimme wohlgemuth meint gar: aber wer wird gleich über alles so außer sich sein! „Hört mich weiter“, spricht die erste Stimme. -- --

So weit Eusebius, wenn er auch offenbar manches hineinfühlt. Im zweiten Satz, von dem ich noch gar nichts gesagt, erscheint die frühere Hauptgestalt in ganz neuer Weise. Als wäre alles vergessen von der alten Wehmuth, tritt sie freundlich und sicher auf; vom Weinen sieht man kaum noch etwas und würde man sie darum fragen, so würde sie es leugnen. Der ganze Schauplatz ist verändert; es scheint alles praktischer, lebensthätiger; in einigen Physiognomiken liegen so zarte originelle Züge, daß ich euch gar nicht daraufs ausmerksam zu machen brauche. Der letzte Satz scheint mir etwas ungelenk an das Scherzo geknüpft, wie ich ihn denn überhaupt dem Componisten nicht verzeihen kann, der eine glücklichere Stunde hätte abwarten müssen. {{Right|Raro.

4.

(Sonate von Ludwig Schunke.)

Erinnerst du dich, Florestan, eines Augustabends im merkwürdigen Jahre 1834? Wir gingen Arm in Arm, Schunke, du und ich. Ein Gewitter stand über uns mit allen Schönheiten und Schrecknissen. Ich sehe noch die Blitze an seiner Gestalt und sein ausblickendes Auge, als er kaum hörbar sagte: „einen Blitz für uns!“ Und jetzt hat sich der Himmel geöffnet ohne Blitze, und eine Götterhand hob ihn hinüber, so leise, daß er es kaum gewahrte. — Ruft nun einmal — aber der Augenblick sei noch fern! — der Geisterfürst Mozart in jener Welt, die sich der schönste Menschenglaube gegründet, alle Jünger zusammen, welche den deutschen Namen „Ludwig“ in dieser getragen, sieh! welch edle Seelen werden zu ihm heranschweben, und wie wird er sie freudig anschauen, Ludwig Beethoven, Cherubini, Spohr, Berger, Schunke! — dem ersten von diesen folgte* der jüngste am Sonntagmorgen des letztvergangenen siebenten Decembers, wenige Tage vor seinem vierundzwanzigsten Jahre.

Den Winter vorher trat in R.'s** Keller ein junger Mensch zu uns heran. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Einige wollten eine Johannesgestalt an ihm finden; andere meinten, grübe man in Pompeji einen ähnlichen Statuenkopf aus, man würde ihn für den eines römischen

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      * Seitdem sind auch Cherubini und Berger verschieden. [Sch. 1852.] 
      ** Krauses Keller in der Katharinenstraße, nahe dem Markte.

{115} Imperators erklären. Florestan sagte mir ins Ohr: „da geht ja der leibhaftige Schiller nach Thorwaldsen herum, nur ist am lebendigen vieles noch Schillerscher.“ Alle jedoch stimmten darin überein. daß das ein Künstler sein müsse, so sicher war sein Stand von der Natur schon in der äußerlichen Gestalt gezeichnet — nun, ihr habt ihn Alle gekannt, die schwärmerischen Augen, die Adlernase, den feinironischen Mund, das reiche, herabfallende Lockenhaar und darunter einen leichten, schmächtigen Torso, der mehr getragen schien, als zu tragen.* — Bevor er an jenem Tage des ersten Sehens uns leise seinen Namen „Ludwig Schunke aus Stuttgart“ genannt hatte, hörte ich innen eine Stimme: „das ist der, den wir suchen“ — und in seinem Auge stand etwas Aehnliches. Florestan war damals melancholisch** und bekümmerte sich weniger um den Fremdling. Ein Vorfall, von dem ihr vielleicht noch nicht gehört, brachte sie einander näher.

Wenige Wochen nach Schunkens Ankunft reiste ein Berliner Componist*** durch, der mit jenem zusammen in eine Gesellschaft eingeladen wurde. Ludwig hielt etwas auf den berühmten Virtuosennamen seiner Familie, namentlich auf die Hornisten. Gott weiß, das Gespräch kam während des Diners auf die Hörner. Der Berliner warf kurz hin: „wahrhaftig, man sollte ihnen nichts zu blasen geben als C, G, E“ und „ob denn das erste Hornthema in der C moll-Symphonie, welches doch sehr leicht, nicht greulich genug allenthalben ausfiele?“ — Ludwig muckste nicht; aber eine Stunde darauf stürzte er hastig auf unsre Stube und sagte: so und so ständen die Sachen, er habe dem Berliner einen Brief geschrieben, sein Familienname wäre angetastet, er hätte ihn gefordert, auf Degen oder Pistolen gleichviel, und Florestan solle ihm secundiren. Heraus platzten wir mit lautem Lachen und Florestan meinte, der alte berühmte Lautenist Rohhaar habe einmal gesagt: ein Musikus, der Courage habe, sei ein —, „wahrlich, bester Louis Schunke, Sie beschämen den Lautenisten.“ Der nahm aber den Spaß fast krumm und die Sache überhaupt ernsthaft und sah sich auf der Straße stark nach Gewehrläden um. Endlich nach 24 Stunden kam eine auf Packpapier geschriebene Antwort vom Berliner: er (Schunke) müßte nicht recht bei Verstand sein — mit Vergnügen wolle er (der Berliner) sich mit

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        * Später wurde Schumann durch Liszts Erscheinung lebhaft an Schunke erinnert. (S. den zweiten Artikel über Liszt.)
      ** Schumann hatte im October 1833 seine Schwägerin Rosalie, im November seinen Bruder Julius durch den Tod verloren. 
    *** Es war Otto Nicolai. [Sch. 1852.]

{116} ihm schießen, aber im Augenblick, wo Sch. die Antwort läse, hätte ihn (den Berliner) der Postillon schon längst zum Thor hinausgeblasen aus der Eilpost direct nach Neapel u. s. w. — Wie er noch so liebenswürdig mit dem Brief in der Hand vor mir steht, zürnend wie ein Musengott und aufgeregt, daß man die Adern aus der weißen Hand zählen konnte, — und dabei lächelte er so schalkisch, daß man ihm um den Hals hätte fallen mögen; dem Florestan gefiel aber die Geschichte gar gut, und sie erzählten sich wie ein paar Kinder von ihren Leibgerichten an bis zum Beethoven hinauf. Der folgende Abend zog das Band zwischen beiden fest und auf ewig.

Wir hatten bis dahin noch nichts von ihm gehört als brillante Variationen, die er in Wien componirt, wo er überhaupt, wie er später selbst äußerte, nur als Virtuos Fortschritte, freilich ungeheure, gemacht hatte. Daß wir einen Meister im Clavierspiel hörten, merkten wir nach den ersten Accorden; Florestan blieb aber kalt, ließ sogar ans dem Heimweg gegen mich seine alte Wuth gegen die Virtuosen aus: einen Virtuos, der nicht acht Finger verlieren könne, um mit den zwei übrigen zur Noth seine Compositionen aufzuschreiben, halt' er keinen Schuß Pulver werth, und ob sie nicht daran Schuld wären, daß die göttlichsten Componisten verhungern müßten u. s. w. — Der feine Schunke merkte wohl, daß und wo er gefehlt hatte. Jener Abend kam; es waren mehrere Davidsbündler bei uns versammelt, auch der Meister mit; man dachte gar nicht an Musik, der Flügel hatte sich wie von selbst ausgemacht, Ludwig saß von ungefähr daran, als hätte ihn eine Wolke hingehoben, unversehens wurden wir vom Strome einer uns unbekannten Composition fortgezogen, — ich sehe noch alles vor mir, das verlöschende Licht, die stillen Wände, als ob sie lauschten, die ringsum gruppirten Freunde, die kaum athmen mochten, das bleiche Gesicht Florestans, den sinnenden Meister und inmitten dieser Ludwig, der uns wie ein Zauberer im Kreis festgebannt hielt. Und als er geendet hatte, sagte Florestan: „Ihr seid ein Meister eurer Kunst und die Sonate heiß' ich euer bestes Werk, zumal wenn ihr sie spielt. Wahrlich, die Davidsbündler würden stolz sein, solchen Künstler zu ihrem Orden zu zählen.“

Ludwig ward unser. Wollt ihr, daß ich euch noch erzählen soll von den glücklichen Tagen, die dieser Stunde folgten? Erlaßt mir die Erinnerungen! Wie Rosenkränze wollen wir sie ins geheimste Fach verschließen; denn der hohen Festtage, an denen man sie zur Schau tragen dürfte, gibt es wenige. —

{117 [nicht in GS] Wenn aber in dieser Minute der edlen Freundin, die ihm das Auge schloß, der Künstlerfrau, die ihre Gaben Pflichten nannte und ihre aufopfernde Güte den Tribut, den man dem Talente schulde, wenn ihr jetzt holdselige Traumgenien um die Sinne spielen, so denke sie, daß es die Wünsche der Freunde sind, in deren Herzen das Bild des verklärten Jünglings unzertrennlich von ihrem feststeht. Die aber, welche ihr ähnlich handeln, laßt uns nie anders heißen als „Henriette“![H 1]

Als sich solchergestalt die Davidsbündler mitgetheilt, lagerten sie sich um einander und erzählten noch allerhand Trübes und Freudiges. Da klangen aus Florestans Stube weiche Töne herüber, die Freunde wurden still und stiller, da sie die Sonate** erkannten. Und wie Florestan aufgehört, fagte der Meister: und nun kein Wort mehr! — wir sind ihm heute näher gewesen als je. Seitdem er von uns geschieden, steht eine eigne Röthe am Himmel. Ich weiß nicht, von wannen sie kommt. In jedem Falle, Jünglinge, schafft fürs Licht!

So schieden sie gegen Mitternacht.

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ϯ Und als ich zu Hause noch einmal den eilig ziehenden Wolken nachsah, rief unter den Fenstern eine fremde aber wohlthuende Stimme:

Ludwig - - Ludwig - - . Es mochte ein Fremder sein, der nichts wußte von dem, was geschehen. Ich aber drückte schnell das Fenster zu und das Auge in tiefe, tiefe Nacht. Draußen fiel ein leiser Regen vom Himmel, als wenn er sich recht ausweinen wollte. {{Right|R. S.

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Kürzeres und Rhapsodisches für Pianoforte.

E. Wenzel, Les adieux de St. Petersbourg, Valse sentimentale. A. Thomas, 6 Caprices en forme de valses caractérisitiques. Oe. 4. K. E. Hering, Divertimento (über bekannte Studentenlieder). M. Hauptmann, Oe. 12, 12 Pièces détachées. C. E. Hartknoch, Oe. 8., La Tendresse, la plainte, la consolation.

                Nocturnes caractéristiques.

Clara Wieck, Oe. 2, Caprices en forme de valses. J. Benedict, Oe. 20, Notre Dame de Paris. Rêverie. F. Hiller, La danse de fantômes. _____________

     * Frau Henriette Voigt. 
   ** Die Sonate ist Schumann gewidmet. 
    Ϯ Dieser Absatz fehlt in den Ges. Schriften.

{118}

  • F. Hiller, Oe. 17, Rêveries.
 * R. Schumann, Oe. 2, Papillons.
 * R. Schumann, Oe. 4, Intermezzi.
 * R. Schumann, Oe. 5, Impromptus sur une romance de Clara Wieck.
    J. C. Kessler, Oe. 24, Impromptus.
    J. Pohl, Caprices en forme d’anglaises dans les 24 tons de la gamme.
    F. Chopin, Oe. 15, 3 Nocturnes.
    F. Chopin, Oe. 20, Scherzo (H m.).
    F. Mendelssohn-Bartholdy, Oe. 5, Capriccio (Fis m.).
    F. Mendelssohn-Bartholdy, Werk 7, 7 Charakterstücke.
  F. Schubert, Oe. 94, Moments musicaux.
    Schunke, Oe. 13, 2 Pièces caractéristiques à 4 ms.
Wie politische Umwälzungen dringen musikalische bis in das kleinste Dach und Fach. In der Musik merkt man den neuen Einfluß auch da, wo sie am sinnlichsten mit dem Leben vermählt ist, im Tanze. Mit dem allmählichen Verschwinden der contrapunctischen Alleinherrschaft vergingen die Miniaturen der Sarabanden, Gavotten etc., Reifrock und Schönpflästerchen kamen aus der Mode, und die Zöpfe hingen um vieles kürzer. Da rauschten die Menuetten Mozarts und Haydns mit langen Schleppkleidern daher, wo man sich schweigend und bürgerlich sittsam gegenüberstand, sich viel verneigte und zuletzt abtrat; hier und da sah man wohl noch eine gravitätische Perrücke, aber die vorher steif zusammengeschnürten Leiber bewegten sich schon um vieles elastischer und graziöser. Bald darauf tritt der junge Beethoven herein, athemlos, verlegen und verstört, mit unordentlich herumhängenden Haaren, Brust und Stirne frei wie Hamlet, und man verwundert sich sehr über den Sonderling; aber im Ballsaal war es ihm zu eng und langweilig, und er stürzte lieber ins Dunkle hinaus durch Dick und Dünn und schnob gegen die Mode und das Ceremoniell und ging dabei der Blume aus dem Weg, um sie nicht zu zertreten, — und die, denen solch' Wesen gefiel, nannten es Capricen oder wie man sonst will. Eine neue Generation wächst indeß heran; aus spielenden Kindern sind Jünglinge und Jungfrauen geworden, so schwärmerisch und scheu, daß sie sich kaum anzusehen wagen. Hier sitzt einer mit Vornamen John* am Flügel, und die Mondstrahlen liegen breit darauf und küssen die Töne; ein anderer schläft dort auf Steinen und träumt vom wiedererstandenen Vaterland;** an Mittheilung, Geselligkeit, Zusammenleben denkt Niemand mehr. Jeder geht einzeln und sinnt und wirkt für sich; auch der Witz bleibt nicht aus und die Ironie und der

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     * Field. 
   ** Chopin.

{119} Egoismus. Im lustigen Strauß jauchzt noch eine hohe helle Saite empor, aber die von der Zeit gegriffenen tiefern scheinen nur eine Minute lang übertäubt. — wie wird alles enden und wo gerath' ich hin?

Ein Blick auf das „Lebewohl von Petersburg“, und ich war wieder aus der Erde. Die süßeste Herzensstutzerei (ein Florestansches Wort) finde ich darin, Ohnmachten mit daneben liegendem Schnupftuch und Kölnischem Wasser, so hohl-sentimental, wie es seit dem bekannten Es dur-Walzer von Carl Mayer und dem “dernière pensée de Weber“, die sich nur mit Gefahr auf der haarbreiten Linie von der Affectation zur Natürlichkeit halten, irgend vorgekommen ist. Echt Gemeines schätz' ich um vieles höher als so rosensarbene Armuth, viel höher ein einfaches „Adieu“ als ein parfümirtes „und so scheid' ich von dir mit zerrissenem Herzen“ u. s. w. Und doch was will ich? Das Lebewohl ist ganz hübsch, klingt hübsch und spielt sich hübsch. Daß es aus As geht, versteht sich von selbst.

Die Capricen von Thomas bewegen sich schon in höhern Cirkeln, sind aber trotz des sichtbaren Fleißes und des größern Talents nicht mehr als potenzirte Wenzeliaden, lederne deutsche Empfindungen ins Französische übersetzt, so freundlich, daß man auf seiner Hut sein muß, und wieder so aufgespreizt, daß man sich ärgern könnte. Manchmal wagt er sich sogar in mystische Harmonieen, erschrickt aber gleich von selbst über seine Kühnheit und nimmt mit dem vorlieb, was er hat und geben kann. Doch was will ich? — Die Capricen sind hübsch, klingen hübsch u. s. w. *

Beim dritten angeführten Stück von Hering war es weniger auf Raphaelsche Madonnenaugen als auf Teniersche nußbraune Holländerköpfe abgesehen. Die Ueberschrift heißt „Erinnerung an die akademische Jugendzeit“ und die Musik hält, was die Vignette verspricht, auf der eine Punschterrine sehr raucht. Die Einleitung find' ich namentlich getroffen, so bombastisch-studentisch, als stände aus einem Commers das Heil der Welt aus dem Spiel; nach und nach wird die Suite toller und mitternächtlicher und man „stürzt sich“, um es sich den

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     * Doch muß bemerkt werden, daß der Componist Bedeutenderes geschrieben, worüber gelegentlich mehr, und daß das Gesagte (wie überhaupt immer) nur den Menschen abschildern soll, wie er sich in der gerade angeführten Composition zeigt.

{{Right|[Sch.]

{120} Tag darauf wieder abzubitten. Clavierspielende Prediger und Actuarien werden das Stück mit Vergnügen hören, vorzüglich, wenn sie keine Schulden haben.

Die folgenden Componisten, Hauptmann und Hartknoch, scheinen mir Opfer fremder Erziehung oder eignen Fleißes; bei dem letzteren kommt es mir vor, als hätte er im spätern Alter nachholen müssen, was man als Kind handwerksmäßig lernt, bei jenem hat man versäumt, den Schüler von der Lehre in das Leben zu führen. Die erste Hauptmannsche Rhapsodie gefiel mir der vollen festen Tonmasse halber, die sich beinahe orgelähnlich unter den Fingern aus dem Claviere fortzieht, so ausnehmend, daß ich die folgenden gemüthlosen contrapunctischen, übrigens schwierigen und in ihrer Art gelungenen Kunststücke mit einer wahrhaften Verstimmung durchspielte. Die eingestreuten Walzer sind todte Blumen und haben nicht Wucht genug, der niederdrückenden Gelehrsamkeit des Uebrigen das Gleichgewicht zu geben. Wollte sich der Componist, dessen Aufenthalt und Wirkungskreis mir gänzlich unbekannt, von selbst- und andere- tödtender Speculation gleichweit entfernt halten wie vom spielenden Genre des Tanzes, dem seine solidschwere Bildung durchaus entgegensteht, so wäre bei so gediegener Kenntniß und entschiedenem Charakter manches tüchtige Werk zu erwarten. Der andere Componist ist in vorigem Jahre ziemlich jung gestorben. Ich zweifle, ob er sich je zu einer Selbständigkeit erhoben hätte; immerhin hat dieser frühzeitige Tod ein fleißiges Streben abgeschnitten, welches in Ausbildung der zwischen Hummel und Field liegenden Compositionsgattung, in der Carl Mayer in Petersburg einzelnes sehr Glückliche geliefert, Anerkennung verdient und gefunden hätte. Im Grunde sagen mir die Nocturnes nicht zu aber wir sind noch nicht alle durch Field-Chopinschen Caviar verwöhnt, und ein Kind, das recht beherzt in einen Apfel beißt, sieht auch nicht übel aus. “La plainte“ erinnert stark an C. Mayers vorzügliches Clavier-Rondo in H moll.

Mitten unter so vielen ernsthaften herumstehenden Männergesichtern könnte es einer Mignon wohl angst werden, und dann weiß ich auch, daß man die Puppe nicht berühren sollte, weil es dem Schmetterlinge schadet; indeß wird meine Hand nicht gerade ungeschickt eindrücken .... Als ich eben weiter schreiben will, fliegt ein etwas dunkler Maiabendfalter durch das Fenster, der mich ordentlich anzusehen und zu sagen scheint: „Grau, Freund, ist“ u. s. w. — und ich denke lieber an die künftige Psyche und verwandle, da mir eben


{121} die Worte Mozarts über Beethoven einfallen („der wird euch einmal was erzählen“), den Artikel in den weiblichen.

In Notredame de Paris von Benedict sehen wir ein leichtes Genrebild, das wir Alle ähnlich ausgeführt hätten, wenn wir auf die Idee gekommen wären; es ist die Geschichte vom Columbusei. Im Anfange wiegen sich die Glockenschlägel an Notredame aus, man kann es nicht besser ablauschen; im Verlaufe entspinnen sich amüsante Scenen; in der Kirche Hochamt, davor böhmische Musikanten, hier Blumenverkäuferinnen, von Weitem Wachparade, dort Murmelthier und Guckkasten u. s. w. Und fehlt dem Stücke zum Kunstwerk zarteres Colorit und poetische Auffassung — ja es ist auch in der Form nur ein Conglomerat — so ersetzt die Phantasie vieles durch die Romantik des Ortes, aus dem uns so alte Jahrhunderte anreden. — Die Octaven auf Seite 3, System 5, von Tact 6 zu 7 habe ich herausgehört, nicht herausgesehen, weshalb ich sie anführe. — Noch wundert mich, daß Neapel, welches so viel vergessen macht, noch nicht vermocht hat, die vielen vaterländischen Weberschen Anklänge gänzlich fortzuwehen.

Der Geistertanz von Hiller ist monoton und eine matte Copie seiner besseren Sachen in dieser Art. Er schreibt zu viele Hexengeschichten und sollte nicht vergessen, daß auch Grazien tanzen können.

  • Bei den Rêveries befind' ich mich in einer Verlegenheit wegen meiner frühern Recension über Hillers Etuden. Dort nämlich sprach ich es noch gar nicht so bestimmt aus, für was ich sein Talent, so weit es mir bekannt, im Grund gehalten habe, d. i. für die geistreichste Verstellung und Heuchelei, die sich je hinter Töne versteckt; ich stimmte sogar Florestan bei, der einmal meinte, daß Herz, hätte er so viel wie Hiller studirt, vielleicht dasselbe geleistet haben würde. Denn es fehlte mir immer das Letzte daran, für das ich so eigentlich gar keinen Namen finden kann; ich betastete, ich hörte, fühlte, sah alles vor mir, alle geistigen Kräfte waren in Anspruch genommen, nur nicht jener musikalische Seelennerv, den er so oft rühren möchte. Die letzte dieser Reverieen bestimmt mich, ihn für meinen Verdacht theilweise um Verzeihung zu bitten; ich sehe in ihr so viel Wahrheit und Wirklichkeit, und noch dazu erhöhte, idealisirte, daß wir uns zu künftigen, dieser Leistung an Einfachheit und Offenheit ähnlichen Compositionen aufrichtig Glück wünschen wollen. Andere Vorzüge dieser Reverieen erwähne ich gar nicht, da sie Jedem von felbst entgegen springen werden, und ist auch der Einfluß der Chopinschen Umgebung hier und da nicht

{122 zu verkennen, so bleibt die Sache interessant und geistreich und der besondern Aufmerksamkeit aller Schüler zu empfehlen.

  • Ueber die folgenden Papillons u. s. w. darf ich der Blutsverwandtschaft des Componisten mit der Zeitschrift halber nichts sagen, als daß sie da sind und Menschen suchen wie Diogenes. Wir verweisen dankbar auf das, was die allgemeine musikalische Zeitung, Gottfried Weber in der Cäcilia, der Wiener Anzeiger, Rellstab in der Iris, die erstern mehr oder minder übereinstimmend, der letztere verwerfend darüber geurtheilt haben. 32

Ueber Keßler und seine Impromptus enthielten diese Blätter schon früher einen ausführlichen Artikel vom Meister Raro, dem ich nichts hinzuzufügen weiß als das Bedauern, daß dieser Componist seit einiger Zeit gänzlich zu feiern scheint, und den Wunsch, daß er sein Stillschweigen um so erfreulicher und überraschender lösen möge.

Die Capricen von Pohl finde ich in zweifacher Art schön und vollendet, als einzeln neben einander und als Ganzes hinter einander. So vielem Gebildeten, Gesunden, Neuen, Vornehmen, ja Strahlenden wird man selten auf so wenig Blättern begegnen. Der Componist soll in jungen Jahren gestorben und diese Capricen schon vor langer Zeit erschienen sein. Scheint es doch, als ob, um auf die Nachwelt zu kommen, in keiner Kunst ein so anhaltendes Streben und Wirken gefordert würde wie in der Musik, und es liegt das vielleicht, wenn einentheils in der rasch aufeinander folgenden Selbstvernichtung der Epochen, auch am flüssigen unendlichen Element der Musik selbst, während ein großer Gedanke, in wenigen Worten hingestellt, seinen Urheber der Unsterblichkeit überliefert. Wenn man daher von Leisewitz und seinem Julius von Tarent sagte: „der Löwe hat nur ein Junges geworfen, aber es war wieder ein Löwe“, so wollen wir uns im Andenken an früh gestorbene Tonkünstler der Sage erinnern, welche die Schwäne nur einmal singen und an ihren Tönen sterben läßt.

Ueber Chopin, Mendelssohn und Schubert haben uns die Davidsbündler seit geraumer Zeit größere Mittheilungen versprochen und nach öfterem Anfragen stets geantwortet, daß sie in den Sachen, die sie am besten verständen, am gewissenhaftesten wären und am langsamsten urtheilten. Da sie uns aber dennoch Hoffnung geben, so führen wir vorläufig außer den Titeln die Bemerkungen an, daß Chopin endlich dahin gekommen scheint, wo Schubert lange vor ihm war, obgleich dieser als Componist nicht erst über einen Virtuosen wegzusetzen hatte, jenem freilich andrerseits seine Virtuosität jetzt zu

{123} statten kommt, — daß Florestan einmal etwas paradox geäußert: „in der Leonoren-Ouverture von Beethoven läge mehr Zukunft als in seinen Symphonieen“, welches sich richtiger auf das letzte Chopinsche Notturno in G moll anwenden ließe, und daß ich in ihr die furchtbarste Kriegserklärung gegen eine ganze Vergangenheit lese — sodann, daß man allerdings fragen müsse, wie sich der Ernst kleiden solle, wenn schon der „Scherz“ in dunkeln Schleiern geht, — sodann, daß ich das Mendelssohnsche Capriccio in Fis moll für ein Musterwerk, die Charakterstücke nur als interessanten Beitrag zur Entwicklungsgeschichte dieses Meisterjünglings halte, der, damals fast noch Kind, in Bachschen und Gluckschen Ketten spielte, obwohl ich namentlich im letzten einen Vortraum des Sommernachtstraums sehe, — und endlich, daß Schubert unser Liebling bleiben wird — jetzt und immerdar.

Mit der folgenden Composition betrat unser verklärter Freund Schunke von Neuem den Weg, den er zu verfolgen von Natur angewiesen war und als Virtuos, durch äußere Verhältnisse genöthigt, auf eine kurze Zeit verlassen hatte. Was er noch geleistet haben würde, ach, wer weiß es! aber nie konnte der Tod eine Geniusfackel früher und schmerzlicher auslöschen als diese. Hört nur seine Weisen und ihr werdet den jungen Grabeshügel bekränzen, auch wenn ihr nicht wüßtet, daß mit dem hohen Künstler ein noch höherer Mensch von der Erde geschieden, die er so unsäglich liebte. —

So laßt uns für heute den Kreis dieser Kleinbilder irdischer Schmerzen und Wonnen schließen! Wenn Heinse im Ardinghello sagt: „ich kann das Kleine nicht leiden, es geht mir wider den Sinn und ist' ein Schlupfwinkel, wohinein sich Mittelmäßigkeit und Schwäche verbirgt und bei Weibern, Kindern und Unverständigen groß thut“, so bezieht er das auf die Künste des Raumes und der Ruhe, Malerei und Plastik, und Kunstrichter mögen entscheiden, in wie weit dieser Ausspruch gültig ist. Denk' ich aber an Musik und Poesie, die Künste der Zeit und Bewegung, und ist es mir im Nachhören der obigen Werke klar geworden, wie selbst den glücklichsten Talenten im Kleinen vieles mißlingt, und wie wiederum den mittleren das abgeht, wodurch die Kürze wirkt, durch den Blitz des Geistes, der sich im Augenblick entwickeln, fassen und zünden muß, so glaube ich einen Grund zu haben, warum ich diese Nummer lieber mit dem griechischen Motto einleitete, welches hieß: „Alles Schöne ist schwer, das Kurze am schwersten.“ {{Right|2. _____________

  * Werk 15 Nr. 3.

{124} * Abschiedsconcert des Fräuleins Livia Gerhardt.

Es gibt uns ein schönes Vorrecht des Wohlwollens und der Liebe für künstlerische Erscheinungen, wenn wir sie aus unsrer Mitte erstehen und vor unsern Augen emporstreben und bis zu einem gewissen Grade der Vollendung reisen sehen. Livia Gerhardt genießt dies, und Alle schenken es ihr gerne: ihr Talent überflügelte die Zeit, ihr Wille ihre Kraft. Möge nun, wo wir sie scheiden lassen, nachdem wir uns der jugendlichen Blüthe erfreut, das lebhafteste Interesse an jenen Abschiedsabend,* den die Künstlerin uns widmet, zeigen, wie sehr wir ihr Streben anerkannten, und wie unsre Theilnahme ihr auch in der Ferne treu bleiben wird. . . . .34 {{Right|* * * {{Right|[Leipziger Tageblatt v. 24. Mai.]

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Kritischer Anzeiger.

S. Thalberg, oeuv. 12. Fantaisie sur Norma pour Piano. F. Kalkbrenner, oeuv. 123. Fantaisie sur la straniera p. P.

(Soirée bei der Gräfin.)

- - Attaché: Die glücklichen Tasten, die diese Finger tragen dürfen, Gräfin! Wahrhaftig, wär' ich ein Clavier, mit jedem Tone würde ich der Spielerin einen andern Namen der Schönheit und Tugend entgegenrufen, bei C. Corinna, bei D. Desdemona, bei E. Eleonore, bei F. Fiormona — Sie errathen, worum ich bitte? —

Mit gutem Grund stellen wir obige Compositionen zusammen. Der einzige Unterschied liegt in der 3 mehr bei der Opuszahl. Es sind liebenswürdige Charaktere, welche die große Welt glatt und blank wie Eis geschliffen. Man lernt schmeicheln, indem einem geschmeichelt wird: Geber und Empfänger trinken in gleichen Zügen vom süßen Gift; wahrhaftig . . . .

- - Gräfin: Die letzten Tage von Pompeji?** o ich liebe dieses Buch. Die Blinde ist göttlich.

   Künstler: Fällt Ihnen nicht Mignon dabei ein?
   Gräfin: Gewiß; aber ob Bulwer Deutsch versteht?
   Mutter: Hat er nicht den Götz von Berlichingen übersetzt?

wahrhaftig, ich beneide diese Componisten, wie sie sich mit der reizendsten

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      * Am 25. Mai 1835. 
    ** Bulwers Roman war 1834 erschienen.

{125} Gesandtin unterhalten können, ohne irgend durch genialische Urtheile zu verstoßen, mit welcher Grazie sie einen Handschuh aufzuheben verstehen und dabei zart auf den Schillerschen gefahrvollen anspielen. Zwar hat der jüngere der obigen noch zu thun, bis man ihm im Salon die Bedeutung einräumt, die sich der ältere seit lange gesichert; darum citirt jener noch manchmal Goethe oder Beethoven, spricht sogar geistreicher, als in höheren Cirkeln erlaubt ist, während dieser durch seine alten angenehmen Cavalierseinheiten schneller Eroberungen macht; indeß wünschen wir nicht, daß . . . .

- - Attaché: Sie können die Charade nicht lösen, Gnädige? Ich erlaube mir, sie zu wiederholen. Drei Silben nenne ich Ihnen. Die erste ist eine bekannte Erdcomposition, die sich in den zwei letzten, welche den Namen eines bekannten Berges vollkommen nachsprechen, wahrscheinlich oft vorfindet. Im Ganzen lieben Sie einen großen Virtuosen...

   Gräfin: Ich löse Ihre Charade durch eine andere von zwei Silben. Ohne die erste gäbe es keine 

zweite und umgekehrt. Das Ganze besitzt reiche Anlagen; nur hüte es sich, nicht dahin zu kommen, wo beide Silben aufhören... *

Da schlägt es schon elf. Wo mag der Eusebius stecken? {{Right|Florestan.

Schelm, ich sah dich wohl durchs Fenster beim Römer sitzen, wie du dich an die Stirne riebst und endlich nach dem Fidibus-Becher griffst, kritische Gedanken anzuregen. Das ist aber eine curiose Art zu recensiren . . . {{Right|Euseb.

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* Lipinski.

Lipinski ist da. Diese drei Worte reichen für den Musikfreund vollkommen hin, um alle seine Pulse in Bewegung zu setzen; fügen wir aber noch hinzu: Lipinski wird ein Concert geben,** so jubelt sein Herz vor Freude und er setzt sich sofort in Bewegung, um sich in den Besitz des Schlüssels zu diesem Hochgenuß zu setzen. Wir werden uns wohl hüten, irgend ein anderes Wort zur Empfehlung des großen Künstlers zu gebrauchen als seinen Namen. Wer diesen nicht kennt, der mag zu der Strafe verdammt sein, den andern Paganini nicht gehört zu haben. {{Right|[Leipziger Tageblatt vom 3. Juni.]

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     * „Kalkbrenner“ und „Thalberg“.
    ** Am 4. Juni 1835

{126} Lipinski.

„Himmlisch hat er gespielt.“

Schwerlich hat Jemand länger über Paganini geurtheilt als Börne mit den vier Worten oben. Auch wir wissen über Lipinski nichts zu sagen, zumal die Menschen noch eben aus dem Concert kommen und viel mit einander reden und unser Blut mehr als gewöhnlich pulsirt und rollt. So viel ist gewiß, hätte ihn Paganini, der bis jetzt die Herrscherinsignien allesammt getragen, hätte er ihn heute gehört, er würde ihm das Scepter (wenigstens) in die Hand gedrückt haben. Und so laßt uns dasselbe thun! Mehr darüber vielleicht nach dem zweiten Concert. {{Right|Am 4. Juni. {{Right|[Neue Zeitschrift vom 9. Juni.]

Lipinski

wird, wie den Lesern bereits aus den Ankündigungen bekannt ist, ein zweites Concert geben.* Für diejenigen, die das erste zu hören Gelegenheit hatten, bedarf es keiner Aufforderung mehr, sich einen Genuß zu verschaffen, der zu den seltensten und erhebendsten gehört, die uns die Tonkunst darbieten kann. Nur diejenigen, welche es bis jetzt versäumten, den mächtigen Beherrscher der Geige [zu hören], welcher auf seinem Instrumente Vielen bis dahin ganz unbekannte Regionen der Empfindung zu erschließen versteht, machen wir auf eine Gelegenheit aufmerksam, sich einen Kunstgenuß zu bereiten, welcher ihnen in dieser Art nicht leicht wieder zu Theil werden möchte. Freilich entführt die in ihrem schönsten Schmucke prangende Natur den Hallen der Kunst eine große Zahl der Gäste. Doch sind diese Genüsse nicht an die kurze Dauer eines Tages gebunden und bieten sich uns hoffentlich noch Wochen und Monate lang dar, den Künstler aber entführt uns das neidische Schicksal schnell. Hier will der Augenblick benutzt sein, das Versäumte läßt sich nicht nachholen. Deshalb zweifeln wir nicht, daß, auch trotz der schönen Tage, welche ein freundlicher Himmel uns schenkt, sich der Künstler eines so zahlreichen Besuches zu erfreuen haben wird, als sein großartiges Talent es verdiente.35 {{Right|[Leipziger Tageblatt vom 18. Juni.] _____________

          * Am 18. Juni.

{127 Compositionen für Pianoforte.

Felix Mendelssohn, sechs Lieder ohne Worte, Zweites Heft, Werk 30.

Wer hätte nicht einmal in der Dämmerungsstunde am Clavier gesessen (ein Flügel scheint schon zu hoftonmäßig) und mitten im Phantasiren sich unbewußt eine leise Melodie dazu gesungen? Kann man nun zufällig die Begleitung mit der Melodie in den Händen allein verbinden und ist man hauptsächlich ein Mendelssohn, so entstehen daraus die schönsten Lieder ohne Worte. Leichter hätte man es noch, wenn man geradezu Texte componirte, die Worte wegstriche und so der Welt übergäbe, aber dann ist es nicht das rechte, sondern sogar eine Art Betrug, — man müßte denn damit eine Probe der musikalischen Gefühlsdeutlichkeit anstellen wollen und den Dichter, dessen Worte man verschwiege, veranlassen, der Composition seines Liedes einen neuen Text unterzulegen. Träfe er im letzten Falle mit dem alten zusammen, so wäre dies ein Beweis mehr für die Sicherheit des musikalischen Ausdruckes. Zu unsern Liedern! Klar wie Sonnenlicht sehen sie einen an. Das erste kommt an Lauterkeit und Schönheit der Empfindung dem in E dur im ersten Hefte beinahe gleich; denn dort quillt es noch näher von der ersten Quelle weg. Florestan sagte: „Wer solches gesungen, hat noch langes Leben zu erwarten, sowohl bei Lebzeiten als nach dem Tode; ich glaube, es ist mir das liebste.“ Beim zweiten Lied fällt mir Jägers Abendlied von Goethe ein: „Im Felde schleich' ich still und wild, gespannt mein Feuerrohr“ u. s. w.; an zartem duftigem Bau erreicht es das des Dichters. Das dritte scheint mir weniger bedeutend, und fast wie ein Rundgesang in einer Lafontaineschen Familienscene; indeß ist es echter unverfälschter Wein, der an der Tafel herumgeht, wenn auch nicht der schwerste und seltenste. Das vierte find' ich äußerst liebenswürdig, ein wenig traurig und in sich gekehrt, aber in der Ferne spricht Hoffnung und Heimath. In der französischen Ausgabe finden sich, wie in allen Stücken so vorzüglich in diesem, bedeutende Abweichungen von der deutschen, die indessen Mendelssohn nicht anzugehören scheinen. Das nächste trägt etwas Unentschiedenes im Charakter, selbst in Form und Rhythmus, und wirkt demgemäß. Das letzte, eine venetianische Barcarole, schließt weich und leise das Ganze zu. — So wollet euch von Neuem der Gaben dieses edlen Geistes erfreuen! {{Right|2.

{128} W. Taubert, An die Geliebte. Acht Minnelieder, Werk 16.

Der Componist gehört zu den Talenten, die, ohne irgend den Kampf und Haß der Parteien zu erregen, sich bei Allen, Classikern wie Romantikern, Kennern wie Laien, Achtung und Ansehn erworben haben: zu den gebildeten Conservativen, die wohl mit voller Liebe am Alten hängen, aber auch Empfänglichkeit für neue Erscheinungen und Kraft zu eignen Anschauungen besitzen. Dies letzte offenbart sich namentlich in der obigen Composition von Neuem. Zwar find' ich schon in der reizend schwermüthigen G moll-Etüde von Ludwig Berger, dem Lehrer von Mendelssohn und Taubert, ein recht eigentliches Lied ohne Worte, aber Mendelssohn gab dem Genre einen Namen und Taubert führte ihn in noch anderer Weise aus. Nur hätt' ich (so wenig es im Ganzen verschlägt) statt der Ueberschrift „Minnelieder“ eine bezeichnendere gewünscht; denn man kann wohl Lieder „ohne“ Worte sagen, aber im Begriff Lied (ohne jenen Zusatz) liegt das Mitwirken der Stimme eingeschlossen. Vielleicht würd' ich die Musik einfach „Musik zu Texten von Heine“ u. s. w. genannt haben. Denn darin unterscheiden sie sich von den Mendelssohnschen, daß sie durch Gedichte angeregt sind, während jene vielleicht umgekehrt zum Dichten anregen sollen.

Ich weiß nicht, ob die Musik dem vorgesetzten Gedichte vom Anfang bis Ende folgt, ob der Grundton der ganzen Poesie oder nur der Sinn der angeführten Mottos in der Musik nachgebildet ist; doch vermuth' ich bei den meisten das letzte.

Die Composition an und für sich muß Allen, die Treffliches, Echtes, Musikalisches lieben, von Grund auf empfohlen werden; ja hier und da greift sie wohl mit den Wurzeln noch tiefer als die verwandten Lieder ohne Worte von Mendelssohn, in denen sich dagegen freilich die Blüthenzweige schlanker, freier und geistiger erheben: dort ist mehr in die Tiefe gebrochen, hier mehr in die Höhe erzogen.

Als schönstes, innigstes gilt mir das, was auch das leichteste ist: „Wenn ich mich lehn' an deine Brust, kommt’s über mich wie Himmelslust.“ Eine musikalische Uebersetzung des Schlusses desselben Heineschen Gedichtes: „Doch wenn du sprichst, ich liebe dich, so muß ich weinen bitterlich“, möge sich der Componist für die Zukunst zurückgelegt haben.

In Nr. 2 dünkt mir das Accompagnement zu malerisch, äußerlich: jedenfalls sollte bei dem Uebergang nach Dur eine neue beruhigende Figur austreten.

{129} In Nr. 1 „Der Holdseligen sonder Wank sing' ich fröhlichen Minnesang“ tritt die Musik gegen das freudige Hinausrufen der liebenden Seele zurück; auch wird es gegen die Mitte hin zu breit, nur am Schluß (von C moll nach As dur) erwärmt es wiederum.

Die übrigen Nummern sind mehr oder minder schöne, immer vom Herzen gehende Sänge; das einzige Nr. 5 würde ich, wenn es wegfiele, nicht vermissen.

Die Texte sind durchweg lyrisch. {{Right|22.

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Hector Berlioz,

Episode de la vie d’un Artiste. Grande Symhonie fantastique. Oe. 4.* Partition de Piano par F. Liszt.

  • 1

Nicht mit wüstem Geschrei, wie unsre altdeutschen Vorfahren, laßt uns in die Schlacht ziehen, sondern wie die Spartaner unter lustigen Flöten. Zwar braucht der, dem diese Zeilen gewidmet sind, keinen Schildträger und wird hoffentlich das Widerspiel des homerischen Hector, der das zerstörte Troja der alten Zeit endlich siegend hinter sich herzieht als Gefangene, — aber wenn seine Kunst das stammende Schwert ist, so sei dies Wort die verwahrende Scheide.

Wundersam war mir zu Muthe, wie ich den ersten Blick in die Symphonie warf. Als Kind schon legt' ich oft Notenstücke verkehrt auf das Pult, um mich (wie später an den im Wasser umgestürzten Palästen Venedigs) an den sonderbar verschlungenen Notengebäuden zu ergötzen. Die Symphonie sieht aufrecht stehend einer solchen umgestürzten Musik ähnlich. Sodann fielen dem Schreiber dieser Zeilen andre Scenen aus seiner frühesten Kindheit ein, z. B. als er sich um Spätmitternacht, wo schon alles im Hause schlief, im Traum und mit verschlossenen Augen an sein altes, jetzt zerbrochenes Clavier geschlichen und Accorde angeschlagen und viel dazu geweint. Wie man es ihm am Morgen darauf erzählte, so erinnerte er sich nur eines seltsam klingenden Traumes und vieler fremden Dinge, die er gehört und gesehen, und er unterschied deutlich drei mächtige Namen, einen im Süden, einen im Osten und den letzten im Westen — Paganini, Chopin,

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      * In dem Catalog der Berliozschen Werke vom Jahre 1852 steht die Symphonie als Op. 14 a.

{130} Berlioz. — Mit Adlerkraft und Schnelligkeit machten sich die beiden ersten Platz; sie hatten leichter Spiel, da sie in ihrer Person Dichter und Schauspieler zusammen vereinten. Mit dem Orchestervirtuosen Berlioz wird es schwerer halten und härtern Kampf geben, aber vielleicht auch vollere Siegeskränze. Laßt uns den Augenblick der Entscheidung beschleunigen! Die Zeiten streben immer und ewig: dem Urtheile der Künstigen sei es überlassen, ob vor- oder rückwärts, ob gut oder übel. Das letztere mit Bestimmtheit von unsrer Gegenwart vorauszusagen, hat indeß für mich noch Niemand vermocht.

Nachdem ich die Berliozsche Symphonie unzähligemal durchgegangen, erst verblüfft, dann entsetzt und zuletzt erstaunend und bewundernd, werde ich es versuchen, sie mit kurzen Strichen nachzuzeichnen. Wie ich den Componisten kennen gelernt habe, will ich ihn darstellen, in seinen Schwächen und Tugenden, in seiner Gemeinheit und Geisteshoheit, in seinem Zerstörungsingrimm und in seiner Liebe. Denn ich weiß, daß das, was er gegeben hat, kein Kunstwerk zu nennen ist, eben so wenig wie die große Natur ohne die Veredlung durch Menschenhand, eben so wenig wie die Leidenschaft ohne den Zügel der höhern moralischen Kraft.

Wenn sich beim alten Haydn Charakter und Talent, Religion und Kunst gleichmäßig veredelten, wenn bei Mozart die idealische Kunstnatur sich selbständig neben seinem sinnlichen Menschen entfaltete, wenn bei andern Dichtergeistern der äußere Lebenswandel und die künstlerische Production sogar eine völlig entgegengesetzte Richtung nahmen (wie z. B. bei dem ausschweifenden Dichter Heidenreich, der das verzehrendste Gedicht gegen die Wollust schrieb), so gehört Berlioz mehr zu den Beethovenschen Charakteren, deren Kunstbildung mit ihrer Lebensgeschichte genau zusammenhängt, wo mit jedem veränderten Moment in dieser ein anderer Augenblick in jener auf- und niedergeht. Wie eine Laokoonsschlange haftet die Musik Berlioz an den Sohlen, er kann keinen Schritt ohne sie fortkommen; so wälzt er sich mit ihr im Staube, so trinkt sie mit ihm von der Sonne; selbst wenn er sie wegwürfe, würde er es noch musikalisch aussprechen müssen, und stirbt er, so löst sich vielleicht sein Geist in jene Musik auf, die wir so oft in der Pans- oder Mittagsstunde am fernen Horizonte herumschweifen hören.

Solch ein musikalischer Mensch, kaum neunzehn Jahre alt, französischen Bluts, strotzend voll Kraft, überdies im Kampf mit der Zukunft und vielleicht mit andern heftigen Leidenschaften. wird zum erstenmal vom Gott der Liebe gefaßt, aber nicht von jener schüchternen

{131} Empfindung, die sich am liebsten dem Monde vertraut, sondern von der dunkeln Gluth, die man Nachts aus dem Aetna hervorschlagen sieht.... Da sieht er sie. Ich denke mir dies weibliche Wesen wie den Hauptgedanken der ganzen Symphonie, blaß, lilienschlank, verschleiert, still, beinahe kalt; - - - aber das Wort geht schläfrig, und seine Töne brennen bis ins Eingeweide, — leset es in der Symphonie selbst, wie er ihr entgegenstürzt und sie mit allen Seelenarmen umschlingen will, und wie er athemlos zurückbebt vor der Kälte der Brittin,* und wie er wieder demüthig den Saum ihrer Schleppe tragen und küssen möchte und sich dann stolz aufrichtet und Liebe fordert, weil er — sie so ungeheuer liebt; — leset es nach, mit Blutstropfen steht dies alles im ersten Satze geschrieben.

Wohl kann die erste Liebe aus einem Feigling einen Feldherrn machen, aber „einem Heros schadet eine Heroine sehr“ steht im Jean Paul. Ueber kurz und lang werfen feurige Jünglinge, deren Liebe unerwidert bleibt, den innern Plato über den Haufen und opfern zahllos aus epikuräischen Altären. Aber Berlioz ist keine Don Juan-Natur. Mit Glasaugen sitzt er unter den wüsten Gesellen, mit jedem springenden Champagnerstöpsel springt inwendig eine Saite! Die alte geliebte Gestalt wächst ihm, wie bei Fieberkranken, überall aus der Wand entgegen und legt sich beklemmend über das Herz, und er stößt sie fort, und eine laut lachende Dirne wirft sich ihm in den Schooß und fragt, was ihm fehle.

Genius der Kunst, da rettest du deinen Liebling, und er versteht das zuckende Lächeln um deine Lippen gar wohl. Welche Musik im dritten Satz! Diese Innigkeit, diese Reue, diese Gluth! Das Bild des Ausathmens der Natur nach einem Gewitter ist ein oft gebrauchtes; aber ich wüßte kein schöneres und passenderes. Die Schöpfung zittert noch von der Himmelsumarmung und thauet über aus tausend Augen, und die furchtsamen Blumen erzählen sich von dem fremden Gast, der sich zuweilen donnernd umsieht.

Und hier war die Stelle, wo einer, der sich den Namen eines „Künstlers“ verdienen wollte, abgeschlossen und den Sieg der Kunst über das Leben gefeiert hätte. Aber sie, aber sie! Tasso kam darüber in das Irrenhaus. Aber in Berlioz wacht die alte Vernichtungswuth doppelt auf, und er schlägt mit wahren Titanenfäusten um sich, und wie er sich den Besitz der Geliebten künstlich vorspiegelt und die

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     * Berlioz' Geliebte war die englische Schauspielerin Miß Harriet Smitson.

{132} Automatenfigur heiß umarmt, so klammert sich auch die Musik häßlich und gemein um seine Träume und um den versuchten Selbstmord. Die Glocken läuten dazu, und Gerippe spielen auf der Orgel zum Hochzeitstanz auf . . . Hier wendet sich der Genius weinend von ihm. Ist mir’s aber doch, als hört' ich auch in diesem Satze manchmal, aber furchtbar leise. Anklänge aus jenem Gedicht von Franz von Sonnenberg, dessen Grundton der der ganzen Symphonie ist:

Du bist’s! — und bist das glühend ersehnte Herz, Durch stumme Mitternächte so heiß ersehnt - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Du bist’s, die einst süßschauernd am Busen mir In langem Tiefverstummen, in liebenden Gebrochnen Ach’s, verwirrt, mit holdem Jungfraunerröthen ins Herz mir lispelt:

„Ich bin das Ach, das ewig die Brust dir eng „Zusammentrampft' und wieder zum Weltraum hob.“ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - „Dein erster Seufzer rief schon unwissend mich: „In jeder wild auflodernden Andachtsgluth „War ich’s in dir, dem du die Hände „Faltetest - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - „

„In allem ich, wonach du im Leben nur „Bei hoher Brust die Arm' auseinander warfst.“ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Du warst, du bist das große Unnennbare, Wonach in Götterstunden mein Herz sich hebt, Sich hebt, o wenn die ganze Menschheit An mich zu drücken ich wollustbebe. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Einander fassen! — zweite Unsterblichkeit! Des Wonneschauers aller Natur in mir! Des Augenblickes, Herkla, wenn wir Zitternd und stumm nun einander fassen! {{Right|Florestan.

2.

Mit Aufmerksamkeit hab' ich die Worte Florestans über die Symphonie und diese selbst durchgelesen, was sag' ich, bis auf die kleinste Note untersucht. Doch dünkt mir, der ich übrigens jenem ersten Urtheile ziemlich durchaus beipflichte, daß diese psychologische Art von

{133} kritischer Behandlung bei dem Werke eines nur dem Namen nach bekannten Componisten, über den noch dazu die widersprechendsten Meinungen ausgesprochen wurden, nicht völlig ausreicht, und daß jenes für Berlioz günstig stimmende Urtheil durch allerhand Zweifel, die das gänzliche Uebergehen der eigentlichen musikalischen Composition erregen möchte, leicht verdächtigt werden könnte.

Seh' ich nun gar wohl ein, wie ein mehr als allein poetischer Kopf dazu gehört, diesem merkwürdigen Werke schon jetzt seine richtige Stelle in der Kunstgeschichte anzuweisen, — d. h. ein Mann, der nicht allein philosophisch gebildeter Musiker, sondern ein vertrauter Kenner selbst der Geschichte der andern Künste, der über die Bedeutsamkeit und Verkettung ihrer Erscheinungen und den Tiefsinn ihrer Folge nachgedacht, — so möchten auch die Worte eines Musikers angehört werden, der, wenn er auch als Einzelner productiv die Richtung der neuen Generation verfolgt und was Hohes in ihr liegt, mit Leib und Seele vertheidigt, sich dadurch nicht abhalten lassen wird, im Angesicht des Gesetzes den Stab über das Haupt seines Lieblings zu brechen, dem er unter vier Augen vielleicht gern verziehe. Freilich sind diesmal mehr Lorbeeren zu brechen als Stäbe“.

Der vielfache Stoff, den diese Symphonie zum Nachdenken bietet, könnte sich in der Folge leicht zu sehr verwickeln, daher ich es vorziehe, sie in einzelnen Theilen, so oft auch einer von dem andern zur Erklärung borgen muß, durchzugehen, nämlich nach den vier Gesichtspuncten, unter denen man ein Musikwerk betrachten kann, d. i. je nach der Form (des Ganzen, der einzelnen Theile, der Periode, der Phrase), je nach der musikalischen Composition (Harmonie, Melodie, Satz, Arbeit, Stil), nach der besondern Idee, die der Künstler darstellen wollte, und nach dem Geiste, der über Form, Stoff und Idee waltet.

Die Form ist das Gesäß des Geistes. Größere Räume fordern, sie zu füllen, größern Geist. Mit dem Namen „Symphonie“ bezeichnet man bis jetzt in der Instrumentalmusik die größten Verhältnisse.

Wir sind gewohnt, nach dem Namen, den eine Sache trägt, auf diese selbst zu schließen; wir machen andere Ansprüche an eine „Phantasie“, andere an eine „Sonate“.

Bei Talenten zweiten Ranges genügt es, daß sie die hergebrachte Form beherrschen: bei denen ersten Ranges billigen wir, daß sie sie erweitern. Nur das Genie darf frei gebaren.36

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     * Bis hierher war der Anfang dieses zweiten Aufsatzes gestrichen.

{134} Nach der neunten Symphonie von Beethoven, dem äußerlich größten vorhandenen Instrumentalwerke, schien Maß und Ziel erschöpft*.

Es sind hier anzuführen: Ferdinand Ries, dessen entschiedene Eigenthümlichkeit nur eine Beethovensche verdunkeln konnte. Franz Schubert, der phantasiereiche Maler, dessen Pinsel gleich tief vom Mondesstrahle wie von der Sonnenflamme getränkt war und der uns nach den Beethovenschen neun Musen vielleicht eine zehnte geboren hätte.** Spohr, dessen zarte Rede in dem großen Gewölbe der Symphonie, wo er sprechen sollte, nicht stark genug wiederhallte. Kalliwoda, der heitere, harmonische Mensch, dessen späteren Symphonieen bei tieferem Grunde der Arbeit die Höhe der Phantasie seiner ersten fehlte. Von Jüngeren kennen und schätzen wir noch L. Maurer, Fr. Schneider, J. Moscheles, C. G. Müller, A. Hesse, F. Lachner und Mendelssohn, den wir geflissentlich zuletzt nennen.

Keiner von den vorigen, die bis aus Franz Schubert noch unter uns leben, hatte an den alten Formen etwas Wesentliches zu verändern gewagt, einzelne Versuche abgerechnet, wie in der neuesten Symphonie*** von Spohr. Mendelssohn, ein productiv wie reflectiv bedeutender Künstler, mochte einsehen, daß auf diesem Wege nichts zu gewinnen sei, und schlug einen neuen ein, auf dem ihm allerdings Beethoven in seiner großen Leonorenouverture vorgearbeitet hatte. Mit seinen Concertouverturen, in welchen er die Idee der Symphonie in einen kleineren Kreis zusammendrängte, errang er sich Kron' und Scepter über die Instrumentalcomponisten des Tages. Es stand zu fürchten, der Name der Symphonie gehöre von nun an nur noch der Geschichte an.

Das Ausland hatte zu alledem still geschwiegen. Cherubini arbeitete vor langen Jahren an einem Symphoniewerk, soll aber selbst, vielleicht zu früh und bescheiden, sein Unvermögen eingestanden haben. Das ganze übrige Frankreich und Italien schrieb Opern.

Einstweilen sinnt in einem dunkeln Winkel an der Nordküste Frankreichs ein junger Student der Medicin über Neues. Vier Sätze

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       * Hier folgte früher: „Die Riesenidee wollte einen Riesenkörper, der Gott eine Welt zum Wirken. Aber die Kunst hat ihre Grenzen. Der Apollo von Belvedere, etliche Schuh höher, würde beleidigen. Die späteren Symphoniecomponisten merkten das und einige flüchteten sogar zu den wohnlichen Haydn-Mozartschen Formen zurück.“
      ** Die Symphonie in C war damals noch nicht erschienen. [Sch. 1852.) 
    *** „Die Weihe der Töne.“

{135} sind ihm zu wenig; er nimmt, wie zu einem Schauspiele, fünf. Erst hielt ich (nicht des letzten Umstandes halber, der gar kein Grund wäre, da die Beethovensche neunte Symphonie vier Sätze zählt, sondern aus andern) die Symphonie von Berlioz für eine Folge jener neunten; sie wurde aber schon 1820 im Pariser Conservatoire gespielt, * die Beethovensche aber erst nach dieser Zeit veröffentlicht, so daß jeder Gedanke an eine Nachbildung zerfällt. Jetzt Muth und an die Symphonie selbst!

Sehen wir die fünf Abtheilungen im Zusammenhang an, so finden wir sie der alten Reihenfolge gemäß, bis auf die beiden letzten, die jedoch, zwei Scenen eines Traumes, wiederum ein Ganzes zu bilden scheinen. Die erste Abtheilung fängt mit einem Adagio an, dem ein Allegro folgt, die zweite vertritt die Stelle des Scherzo, die dritte die des Mitteladagio, die beiden letzten geben den Allegroschlußsatz. Auch in den Tonarten hängen sie wohl zusammen; das Einleitungslargo spielt in C moll, das Allegro in C dur, das Scherzo in A dur, das Adagio in F dur, die beiden letzten Abtheilungen in G moll und C dur. Bis hierher geht alles eben. Geläng' es mir auch, dem Leser, welchen ich Trepp' auf, Trepp' ab durch dieses abenteuerliche Gebäude begleiten möchte, ein Bild von seinen einzelnen Gemächern zu geben!

Die langsame Einleitung zum ersten Allegro unterscheidet sich (ich rede hier immer von den Formen) nur wenig von andern anderer Symphonieen, wenn nicht sogar durch eine gewisse Ordnung, die einem nach häufigerem Nach- und Voreinanderrücken der größern Perioden auffällt. Es sind eigentlich zwei Variationen über ein Thema mit freien Intermezzi. Das Hauptthema zieht sich bis Tact 2, Seite 2. Zwischensatz bis Tact 5, S. 3. Erste Variation bis Tact 6, S. 5. Zwischensatz bis Tact 8, S. 6. Zweite Variation aus der Tenue der Bässe (wenigstens find' ich in dem obligaten Horn die Intervalle des Themas, obgleich nur anklingend) bis Tact 1, S. 7. Streben nach dem Allegro zu. Vorläufige Accorde. Wir treten aus der Vorhalle ins Innere. Allegro. Wer beim Einzelnen lange stehen bleiben will, wird nicht nachkommen und sich verirren. Vom Anfangsthema übersehet rasch die ganze Seite bis zum ersten animato S. 9. Drei Gedanken waren hier eng einander angefügt: der erste (Berlioz nennt ihn la double idée fixe aus späteren Gründen) geht bis zu den Worten

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        * Darin irrte Schumann. Die Symphonie wurde 1829 componirt und 1830 zum ersten Male in Paris aufgeführt.

{136} sempre dolce e ardamente, der zweite (aus dem Adagio entlehnte) bis zum ersten sf, bis auf S. 9 sich der letzte anschließt bis zum animato. Das Folgende fasse man zusammen bis zum rinforzando der Bässe auf S. 10 und übersehe dabei die Stelle vom ritenuto il tempo bis animato auf S. 9 nicht. Mit dem rinforzando kommen wir an einen sonderbar beleuchteten Ort (das eigentliche zweite Thema, an dem man einen leisen Rückblick über das Vorhergehende gewinnt. Der erste Theil schließt und wird wiederholt. Von da an scheinen sich die Perioden klarer folgen zu wollen, aber mit dem Vordrängen der Musik dehnen sie sich jetzt kürzer, jetzt länger, so vom Anfange des zweiten Theiles bis zum con fuoco (S. 12), von da an bis zum sec. (S. 13) Stillstand. Ein Horn in ferner Weite. Etwas Wohlbekanntes erklingt bis zum ersten pp (S. 14). Jetzt werden die Spuren schwieriger und geheimnißvoller. Zwei Gedanken von vier Tacten, dann von neun Tacten. Gänge von je zwei Tacten. Freie Bogen und Wendungen. Das zweite Thema, in immer kleineren Zusammenschiebungen, erscheint nachher vollständig im Glanz bis zum pp (S. 16). Dritter Gedanke des ersten Themas in immer tiefer sinkenden Lagen. Finsterniß. Nach und nach beleben sich die Schattenrisse zu Gestalten bis zum disperato (S, 17). Die erste Form des Hauptthemas in den schiefsten Brechungen bis S. 19. Jetzt das ganze erste Thema in ungeheurer Pracht, bis zum animato (S. 20). Völlig phantastische Formen, nur einmal, wie zerbrochen, an die altern erinnernd. Verschwinden.

Berlioz kann kaum mit größerem Widerwillen den Kopf eines schönen Mörders secirt haben*, als ich seinen ersten Satz. Und hab' ich noch dazu meinen Lesern mit der Scction etwas genützt? Aber ich wollte dreierlei damit: erstens denen, welchen die Symphonie gänzlich unbekannt ist, zeigen, wie wenig ihnen in der Musik durch eine zergliedernde Kritik überhaupt klar gemacht werden kann, denen, die sie oberflächlich durchgesehen und weil sie nicht gleich wußten, wo aus und ein, sie vielleicht bei Seite legten, ein paar Höhenpuncte andeuten, endlich denen, die sie kennen, ohne sie anerkennen zu wollen, nachweisen, wie trotz der scheinbaren Formlosigkeit diesem Körper, in größern Verhältnissen gemessen, eine richtig symmetrische Ordnung inwohnt, des innern Zusammenhangs gar nicht zu erwähnen. Aber an dem Ungewohnten dieser neuen Form, des neuen Ausdrucks liegt wohl

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     * Er studirte in seiner Jugend Medicin. [Sch. 1852.]

{137} zum Theil der Grund zum unglücklichen Mißverständniß. Die Meisten haften beim ersten oder zweiten Anhören zu sehr an den Einzelnheiten, und es verhält sich damit, wie mit dem Lesen einer schwierigen Handschrift, über deren Entzifferung einer, der sich bei jedem einzelnen Wort aufhält, ungleich mehr Zeit braucht, als der sie erst im Ganzen überfliegt, um Sinn und Absicht kennen zu lernen. Zudem, wie schon angedeutet, macht nichts so leicht Verdruß und Widerspruch als eine neue Form, die einen alten Namen trägt. Wollte z. B. Jemand etwas im Fünfviertel-Tact Geschriebenes einen Marsch, oder zwölf an einander gereihte kleine Sätze eine Symphonie nennen, so nimmt er gewiß vorweg gegen sich ein, — indeß untersuche man immer, was an der Sache ist. Je sonderbarer und kunstreicher also ein Werk augenscheinlich aussieht, je vorsichtiger sollte man urtheilen. Und gibt uns nicht die Erfahrung an Beethoven ein Beispiel, dessen — namentlich letzte — Werke sicherlich ebenso ihrer eigenthümlichen Constructionen und Formen, in denen er so unerschöpflich erfand, wie des Geistes halber, den freilich Niemand leugnen konnte, im Anfang unverständlich gefunden wurden? Fassen wir jetzt, ohne uns durch kleine, allerdings oft scharf hervorspringende Ecken stören zu lassen, das ganze erste Allegro in weiteren Bogen zusammen, so stellt sich uns deutlich diese Form hervor:

Erstes Thema. Mittelsätze mit (G dur) Mittelsätze mit einem zweiten {{Right|dem zweiten {{Right|Erstes Thema. Thema. {{Right|Thema. Erstes Thema. {{Right|Anfang. (C dur) . . . . . . . . . . . . . . . . . {{Right|(C dur.) Schluß. {{Right|(C dur.) * * (G dur, E moll.) . . . (E moll, G dur.) * * (C dur.)

der wir zum Vergleich die ältere Norm entgegenstellen: {{Right|Mittelsatz. Zweites. (A moll.) Erstes Thema. Erstes Thema. ( G dur.) . .(Verarbeitung der . . . . (C dur.) Zweites,

(C dur).  .  .  .  .  .  .  .  .   .  .  beiden Themas,) ,  .  .  .  .  .  .  .  .   .  .  .  (C dur.)

Wir wüßten nicht, was die letzte vor der ersten an Mannigfaltigkeit und Uebereinstimmung voraus haben sollte, wünschen aber beiläufig, eine recht ungeheure Phantasie zu besitzen und dann zu machen, wie es gerade geht. — Es bleibt noch etwas über die Structur der einzelnen Phrase zu sagen. Die neuste Zeit hat wohl kein Werk aufzuweisen, in dem gleiche Tact- und Rhythmus-Verhältnisse mit ungleichen freier vereint und angewandt wären als in diesem. Fast nie entspricht der Nachsatz dem Vordersatze, die Antwort der Frage.

{138} Es ist dies Berlioz so eigenthümlich, seinem südlichen Charakter so gemäß und uns Nordischen so fremd, daß das unbehagliche Gefühl des ersten Augenblicks und die Klage über Dunkelheit wohl zu entschuldigen und zu erklären ist. Aber mit welch kecker Hand dies alles geschieht, dergestalt, daß sich gar nichts dazusetzen oder wegwischen läßt, ohne dem Gedanken seine scharfe Eindringlichkeit, seine Kraft zu nehmen, davon kann man sich nur durch eignes Sehen und Hören überzeugen. Es scheint, die Musik wolle sich wieder zu ihren Uranfängen, wo sie noch nicht das Gesetz der Tactesschwere drückte, hinneigen und sich zur ungebundenen Rede, zu einer höheren poetischen Interpunction (wie in den griechischen Chören, in der Sprache der Bibel, in der Prosa Jean Pauls) selbständig erheben. Wir enthalten uns, diesen Gedanken weiter auszuführen, erinnern aber am Schlusse dieses Abschnittes an die Worte, die vor vielen Jahren der kindliche Dichtergeist Ernst Wagners vorahnend ausgesprochen: „Wem es vorbehalten ist, in der Musik die Tyrannei des Tactes ganz zu verdecken und unfühlbar zu machen, der wird diese Kunst wenigstens scheinbar frei machen; wer ihr dann Bewußtsein gibt, der wird sie zur Darstellung einer schönen Idee ermächtigen; und von diesem Augenblick an wird sie die erste aller schönen Künste sein.“

Es würde, wie schon gesagt, zu weit und zu nichts führen, wenn wir, wie die erste, so die anderen Abtheilungen der Symphonie zergliederten. Die zweite spielt in allerhand Windungen, wie der Tanz, den sie darstellen soll: die dritte, wohl überhaupt die schönste, schwingt sich ätherisch wie ein Halbbogen auf und nieder: die beiden letzten haben gar kein Centrum und streben fortwährend dem Ende zu. Immer muß man bei aller äußeren Unförmlichkeit den geistigen Zusammenhang anerkennen und man könnte hier an jenen — obwohl schiefen — Ausspruch über Jean Paul denken, den Jemand einen schlechten Logiker und einen großen Philosophen nannte.

Bis jetzt hatten wir es nur mit dem Gewande zu thun: wir kommen nun zu dem Stoff, aus dem es gewirkt, auf die musikalische Composition.

Von vornherein bemerk' ich, daß ich nur nach dem Clavierauszuge urtheilen kann, in welchem jedoch an den entscheidendsten Stellen die Instrumente angezeigt sind. Und wäre das auch nicht, so scheint mir alles so im Orchestercharakter erfunden und gedacht, jedes Instrument so an Ort und Stelle, ich möchte sagen in seiner Urtonkraft angewandt, daß ein guter Musiker, versteht sich bis auf die neuen


{139} Combinationen und Orchestereffecte, in denen Berlioz so schöpferisch sein soll, sich eine leidliche Partitur fertigen könnte.

IJst mir jemals ein Urtheil ungerecht vorgekommen, so ist es das summarische des Herrn Fetis37 in den Worten: je vis, qu’il manquait d’idées mélodiques et harmoniques. Möchte er, wie er auch gethan, Berlioz alles absprechen, als da ist: Phantasie, Erfindung, Originalität, — aber Melodieen- und Harmonieen-Reichthum? Es fällt mir gar nicht ein, gegen jene übrigens glänzend und geistreich geschriebene Recension zu polemisiren, da ich in ihr nicht etwa Persönlichkeit oder Ungerechtigkeit, sondern geradezu Blindheit, völligen Mangel eines Organs für diese Art von Musik erblicke. Braucht mir doch der Leser nichts zu glauben, was er nicht selbst fände! So oft auch einzelne herausgerissene Notenbeispiele schaden, so will ich doch versuchen, das Einzelne dadurch anschaulicher zu machen.

Was den harmonischen Werth unserer Symphonie betrifft, so merkt man ihr allerdings den achtzehnjährigen,* unbeholfenen Componisten an, der sich nicht viel schiert um rechts und links, und schnurstracks auf die Hauptsache losläuft. Will Berlioz z. B. von G nach Des, so geht er ohne Complimente hinüber (s. Notenbeispiel I) s. S. 16. Schüttle man mit Recht über solch Beginnen den Kopf! — aber verständige musikalische Leute, die die Symphonie in Paris gehört, versicherten, es dürfe an jener Stelle gar nicht anders heißen: ja Jemand hat über die Berliozsche Musik das merkwürdige Wort fallen lassen: que cela est fort beau, quoique ce ne sout pas de la musique. Ist nun das auch etwas in die Lust parlirt, so läßt es sich schon einmal anhören. Zudem finden sich solche krause Stellen nur ausnahmsweise:** ich möchte sogar behaupten, seine Harmonie zeichne sich trotz der mannigfaltigen Combinationen, die er mit wenigem Material herstellt, durch eine gewisse Simplicität, jedenfalls durch eine Kernhaftigkeit und Gedrungenheit aus, wie man sie, freilich viel durchgebildeter, bei Beethoven antrifft. Oder entfernt er sich vielleicht zu sehr von der Haupttonart? Nehme man gleich die erste Abtheilung: erster Satz*** lauter C moll: hierauf bringt er dieselben Intervalle des ersten Gedankens ganz getreu in Es dur: ϯ dann ruht er lange auf Asϯϯ

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       * Berlioz war bereits 26 Jahre alt, als er die Symphonie schrieb. Vgl. S. 135. 
      ** Vergl, jedoch S. 61 T. 1 zu 2. 
     *** S. 1—3 T. 5
        ϯ S. 3 T. 6.
       ϯϯ S. 6 T. 4. [Sch.]

{140} und kommt leicht nach C dur. Wie das Allegro aus dem einfachsten C dur, G dur und E moll gebaut, kann man in dem Umrisse nachsehen, den ich oben zeigte. Und so ist’s durchweg. Durch die ganze zweite Abtheilung klingt das helle A dur scharf durch, in der dritten das idyllische F dur mit dem verschwisterten C- und B dur, in der vierten G moll mit B- und Es dur; nur in der letzten geht es trotz des vorherrschenden C-Princips bunt durcheinander, wie es infernalischen Hochzeiten zukommt. Doch stößt man auch oft auf platte und gemeine* Harmonieen, — auf fehlerhafte, wenigstens nach alten Regeln verbotene,** von denen indeß einige ganz prächtig klingen, — auf unklare und vage,*** auf schlecht klingende, gequälte, verzerrte. ϯ Die Zeit, die solche Stellen als schön sanctioniren wollte, möge nie über uns kommen! Bei Berlioz hat es jedoch eine besondere Bewandtniß; man probire nur, irgend etwas zu ändern oder zu verbessern, wie es einem irgend geübten Harmoniker Kinderspiel ist, und sehe zu, wie matt sich alles dagegen ausnimmt! Den ersten Ausbrüchen eines starken Jugendgemüthes wohnt nämlich eine ganz eigenthümliche unverwüstliche Kraft inne; spreche sie sich noch so roh aus, sie wirkt um so mächtiger, je weniger man sie durch Kritik in das Kunstfach hinüber zu ziehen verflicht. Man wird sich vergebens bemühen, sie durch Kunst verfeinern oder durch Zwang in Schranken halten zu wollen, sobald sie nicht selbst mit ihren Mitteln besonnener umzugehen und auf eigenem

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         * S. 2 T. 6. 7, S. 6. T. 1-3, S. 8 T. 1—8, S. 21 letztes System 1—4, in der zweiten Abtheilung S. 35 System 5 T. 1—18.
       ** Gleich im T. 1 S. 1 das H «wahrscheinlich ein Druckfehler), S. 3 T. 2—4, S. 9 T. 8 zu 9, T. 15—19, S. 10 T. 11—14, S. 20 T. 8—18, S. 37 T. 11—14, 28 zu 29, S. 48 System 5 T. 2—3, S. 57 System 5 T. 3, S. 62 T. 9—14, S. 78 System 5 T. 1—3 und alles Folgende, S. 82 S. 4 T. 1-2 und alles Folgende, S. 83 T. 13—17, S. 86 T. 11—13, S. 87 T. 5—6. Ich wiederhole, daß ich nur nach dem Clavierauszuge richte: in der Partitur mag vieles anders aussehen. 
      *** S. 20 T. 3; vielleicht sind die Harmonieen:

#Taktbeispiel

S. 62 System 5 T. 1—2, S. 65 System 4 T. 3, wahrscheinlich ein Spaß von Liszt, der das Ausklingen der Becken nachmachen wollte. S. 79 T. 8—10, S. 81 T. 6 u. ff., S. 88 T. 1—3 u. a. m.

        Ϯ S. 2 System 4, S. 5 T. 1, T. 9 T. 15—19, S. 17 von T. 7 an eine ganze Weile fort, S, 30 System 4 T. 6 zu 7, S. 28 T. 12—19, S. 88 T. 1—3 u. a. mehr. [Sch.]

{141} Wege Ziel und Richtschnur zu finden gelernt hat. Berlioz will auch gar nicht für artig und elegant gelten; was er haßt, faßt er grimmig bei den Haaren, was er liebt, möchte er vor Innigkeit zerdrücken, — [ob] ein paar Grade schwächer oder stärker: seht es einmal einem feurigen Jünglinge nach, den man nicht nach der Krämer-Elle messen soll! Wir wollen aber auch das viele Zarte und Schönoriginelle aufsuchen, das jenem Rohen und Bizarren die Wage hält. So ist der harmonische Bau des ganzen ersten Gesanges* durchaus rein und edel, so dessen Wiederholung in Es. ** Von großer Wirkung mag das vierzehn Tacte lang gehaltene As der Bässe sein,*** ebenso der Orgelpunct, der in den Mittelstimmen liegt.ϯ Die chromatischen, schwer auf- und absteigenden Sextaccordeϯϯ sagen an und für sich nichts, müssen aber an jener Stelle ungemein imponiren. Die Gänge, wo in den Nachahmungen zwischen Baß (oder Tenor) und Sopran greuliche Octaven und Querstände hindurchklingen, ϯϯϯ kann man nicht nach dem Clavierauszuge beurtheilen; sind die Octaven gut verdeckt, so muß es durch Mark und Bein erschüttern. — Der harmonische Grund zur zweiten Abtheilung ist bis aus einige Ausnahmen einfach und weniger tief. Die dritte kann sich an reinem harmonischen Gehalte mit jedem andern symphonischen Meisterwerke messen: hier lebt jeder Ton. In der vierten ist alles interessant und im bündigsten, kernigsten Stil. Die fünfte wühlt und wüstet zu kraus; sie ist bis aus einzelne neue Stellena unschön, grell und widerlich.

So sehr nun auch Berlioz das Einzelne vernachlässigt und es dem Ganzen opfert, so versteht er sich doch auf das kunstreichere, feingearbeitete Detail recht gut. Er preßt aber seine Themas nicht bis auf den letzten Tropfen ans und verleidet einem, wie Andere so oft, die Lust an einem guten Gedanken durch langweilige thematische Durchführung; er gibt mehr Fingerzeige, daß er strenger ausarbeiten könnte, wenn er wollte, und wo es gerade hinpaßt, — Skizzen in der geistreichen kurzen Weise

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        * S. 1 von T. 3 an.

{{Right|ϯ S. 11 T. I0.

      ** S. 3 T. 6.

ϯ *** S. 6 T. 4. S. 12. T. 13. ϯϯϯS. 17. T. 7. S. 76. vom Syst. 4 an, S. 80., wo der Ton Es in den Mittelstimmen gegen 29 Tacte lang still hält, S. 81. T. 20., der Orgelpunct auf der Dominante, S. 82. T. 11, wo ich vergebens die unangenehme Quinte auf Syst. 4. v. T. 1. zu 2. wegzubringen suchte. [Sch.]


{142} Beethovens. Seine schönsten Gedanken sagt er meistens nur einmal und mehr wie im Vorübergehen. (II)*

Das Hauptmotiv zur Symphonie (III), an sich weder bedeutend, noch zur contrapunctischen Arbeit geeignet, gewinnt immer mehr durch die späteren Stellungen. Schon vom Anfange des zweiten Theils wird es interessanter und so immer fort (II),** bis es sich durch schreiende Accorde zum C dur durchwindet.*** In der zweiten Abtheilung baut er es Note um Note in einem neuen Rhythmus und mit neuen Harmonieen als Trio ein.ϯ Ziemlich am Schlusse bringt er es noch einmal, aber matt und aufhaltend.ϯϯ In der dritten Abtheilung tritt es vom Orchester unterbrochen recitativisch auf; ϯϯϯ hier nimmt es den Ausdruck der fürchterlichsten Leidenschaft bis zum schrillen As, wo es wie ohnmächtig niederzustürzen scheint. Spätera erscheint es sanft und beruhigt, vom Hauptthema geführt. Im marche du supplice will es noch einmal sprechen, wird aber durch den coup fatal abgeschnitten.b In der Vision spielt es auf einer gemeinen C- und Es-Klarinette,c welk, entadelt und schmutzig. Berlioz machte das mit Absicht.

Das zweite Thema der ersten Abtheilung quillt wie unmittelbar aus dem ersten heraus;d sie sind so seltsam ineinander verwachsen, daß man den Anfang und Schluß der Periode gar nicht recht bezeichnen kann, bis sich endlich der neue Gedanke loslöst (IV) ,der kurz drauf fast unmerklich wieder im Basse vorkommt.e Später greift er ihn noch einmal auf und skizzirt ihn äußerst geistvoll (V); an diesem letzten Beispiele wird die Art seiner Durchführung am deutlichsten. Eben so zart zeichnet er später einen Gedanken fertig, der ganz vergessen zu sein schien.f

Die Motive der zweiten Abtheilung sind weniger künstlich verflochten, doch nimmt sich das Thema in den Bässen vorzüglich aus;g fein ist, wie er einen Tact aus demselben Thema ausführt. h

In reizenden Gestalten bringt er den eintönigen Hauptgedankeni der dritten Abtheilung wieder; Beethoven könnte es kaum fleißiger

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        * S. 3 T. 2, S. 14 System 4 T. 6—18, S. 16 System 6 T. 1—8, S. 19 System 5 T. 1—15, S. 40 System 4, T. 1—16.
       ** S. 16 System 6 T. 3.

{{Right|c S. 67 T. 1, S. 68 T. 1.

      *** S. 19 T. 7.

{{Right|d S. 10 System 5 T. 3.

        Ϯ S. 29 T. 1.

{{Right|e S. 11 T. 5, S, 12 T. 7.

      Ϯϯ  S. 35, System 5.

{{Right|f S. 9 T. 19, S. 16 T. 3.

      Ϯϯϯ S. 43 letzter Tact.

{{Right|g S. 31 T. 10, S. 37, T. 1.

              a S. 49 T. 3. 13.

{{Right|h S. 28 T. 10.

              b S, 63 T. 4.

{{Right|i S. 39 T. 4, S. 42 T. 1, S. 47 T. 1. [Sch.]

{143} gearbeitet haben. Der ganze Satz ist voll sinniger Beziehungen; so springt er einmal von C in die große Unterseptime; später benutzt er diesen unbedeutenden Zug sehr gut (VI).

In der vierten Abtheilung contrapunctirt er das Hauptthema (VII) sehr schön; auch wie er es sorgfältig in Es dur (VIII) und Gmoll (IX) transponirt,* verdient ausgezeichnet zu werden.

In der letzten Abtheilung bringt er das Dies irae erst in ganzen, dann in halben, dann in Achtel-Noten;** die Glocken schlagen dazu in gewissen Zeiträumen Tonica und Dominante an. Die folgende Doppelfuge (X) (er nennt sie bescheiden nur ein Fugato) ist, wenn auch keine Bachsche, sonst von schulgerechtem und klarem Baue. Das dies irae und Ronde du Sabbat werden gut in einander verwebt (XI). Nur reicht das Thema des letzten nicht ganz aus und die neue Begleitung ist so commod und frivol wie möglich, aus auf- und niederrollenden Terzen gemacht. Von der drittletzten Seite an geht es kopfüber, wie schon öfter bemerkt; das Dies irae fängt noch einmal pp an.*** Ohne Partitur kann man die letzten Seiten nur schlecht nennen.

Wenn Herr Fétis behauptet, daß selbst die wärmsten Freunde Berlioz' ihn im Betreff der Melodie nicht in Schutz zu nehmen wagten, so gehöre ich zu Berlioz' Feinden: nur denke man dabei nicht an italiänische, die man schon weiß, ehe sie anfängt.

Es ist wahr, die mehrfach erwähnte Hauptmelodie der ganzen Symphonie hat etwas Plattes, und Berlioz lobt sie fast zu sehr, wenn er ihr im Programm einen „vornehm-schüchternen Charakter“ beilegt (un certain caractère passionné, mais noble et timide); aber man bedenke, daß er ja gar keinen großen Gedanken hinstellen wollte, sondern eben eine festhängende quälende Idee in der Art, wie man sie oft tagelang nicht aus dem Kopfe bringt; das Eintönige, Irrsinnige kann aber gar nicht besser getroffen werden.38 Ebenso heißt es in jener Recension, daß die Hauptmelodie zur zweiten Abtheilung gemein und trivial sei; aber Berlioz will uns ja eben (etwa wie Beethoven im letzten Satze der A dur-Symphonie) in einen Tanzsaal führen, nichts mehr und nichts weniger.Ϯ Aehnlich verhält es sich mit der

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        * S. 87 T. 8.
       ** S. 71, System 4, T. 7, S. 72 T. 6, ebenda T. 16. 
      *** S. 55 T. 15, S. 37 T. 12, S. 58 T. 5, S. 60 T. 1. 10, und dann in der Umkehrung S. 61 T. 3. [Sch.]
         ϯ Früherer Zusatz: „So ist’s; wird einmal ein großer Mann zutraulich und stellt sich mit auf den gemeinen Boden des Lebens, dann heißt’s: ,seht, wie der sein kann!' — Den Kopf aber, mit dem er in die Wolken ragt, sehen sie nicht.“

{144} Anfangmelodie (XII) der dritten Abtheilung, die Herr Fétis, wie ich glaube, dunkel und geschmacklos nennt. Man schwärme nur in den Alpen und sonstigen Hirtengegenden herum und horche den Schalmeien oder Alpenhörnern nach; genau so klingt es. So eigenthümlich und natürlich sind aber alle Melodieen der Symphonie; in einzelnen Episoden streifen sie hingegen das Charakteristische ganz ab und erheben sich zu einer allgemeinen, höheren Schönheit. Was hat man z. B. gleich am ersten Gesange auszusetzen, mit dem die Symphonie beginnt? Ueberschreitet er vielleicht die Grenzen einer Octave um mehr als eine Stufe? Ist es denn nicht genug der Wehmuth? Was an der schmerzlichen Melodie der Hoboe in einem der vorigen Beispiele? Springt sie etwa ungehörig? Aber wer wird auf alles mit Fingern zeigen! Wollte man Berlioz einen Vorwurf machen, so wär' es der der vernachlässigten Mittelstimmen; dem stellt sich aber ein besonderer Umstand entgegen, wie ich es bei wenigen andern Componisten bemerkt habe. Seine Melodieen zeichnen sich nämlich durch eine solche Intensität fast jedes einzelnen Tones aus, daß sie, wie viele alte Volkslieder, oft gar keine harmonische Begleitung vertragen, oft sogar dadurch an Tonesfülle verlieren würden. Berlioz harmonisirt sie deshalb meist mit liegendem Grundbaß oder mit den Accorden der umliegenden Ober- und Unterquinten.* Freilich darf man seine Melodieen nicht mit dem Ohre allein hören; sie werden unverstanden an denen vorübergehen, die sie nicht recht von innen heraus nachzusingen wissen, d. h. nicht mit halber Stimme sondern mit voller Brust — und dann werden sie einen Sinn annehmen, dessen Bedeutung sich immer tiefer zu gründen scheint, je öfter man sie wiederholt.

Um nichts zu übergehen, mögen hier noch einige Bemerkungen über die Symphonie als Orchesterwerk und über den Clavierauszug von Liszt Raum finden.

Geborner Virtuos aus dem Orchester, fordert er allerdings Ungeheures von dem Einzelnen wie von der Masse, — mehr als Beethoven, mehr als alle Andern. Es sind aber nicht größere mechanische Fertigkeiten, die er von den Instrumentisten verlangt: er will Mitinteresse, Studium, Liebe. Das Individuum soll zurücktreten, um dem Ganzen zu dienen, und dieses sich wiederum dem Willen der Obersten

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      * Das erste z. B. S. 19 T. 7, S. 47 T. 1, das zweite in der Hauptmelodie des „Balls“, wo die Grundharmonieen eigentlich A, D, E, A sind, dann im Marsch S. 47 T. 1. [Sch.]


{145} fügen. Mit drei, vier Proben wird noch nichts erreicht sein; als Orchestermusik mag die Symphonie vielleicht die Stelle des Chopinschen Concerts* im Pianofortespiel einnehmen, ohne übrigens beide vergleichen zu wollen. — Seinem Instrumentationsinstincte läßt selbst sein Gegner, Herr Fétis, volle Gerechtigkeit widerfahren; schon oben wurde angeführt, daß sich nach dem blosen Clavierauszuge die obligaten Instrumente errathen ließen. Der lebhaftesten Phantasie wird es indeß schwer werden, sich einen Begriff von den verschiedenen Combinationen, Contrasten und Effecten zu machen. Freilich verschmäht er auch nichts, was irgend Ton, Klang, Laut und Schall heißt, — so wendet er gedämpfte Pauken an, Harfen, Hörner mit Sordinen, englisch Horn, ja zuletzt Glocken. Florestan meinte sogar, er hoffe sehr, daß er (Berlioz) alle Musiker einmal im Tutti pfeifen lasse, obwohl er eben so gut Pausen hinschreiben könnte, da man schwerlich vor Lachen den Mund zusammenzuziehen im Stande wäre, — auch sähe er (Florestan) in künftigen Partituren stark nach schlagenden Nachtigallen und zufälligen Gewittern aus. Genug, hier muß man hören. Die Erfahrung wird lehren, ob der Componist Grund zu solchen Ansprüchen hatte und ob der Reinertrag am Genusse mit jenen verhältnißmäßig steige. Ob Berlioz mit wenigen Mitteln etwas ausrichten wird, steht dahin. Begnügen wir uns mit dem, was er uns gegeben.

Der Clavierauszug von Franz Liszt verdiente eine weitläufige Besprechung; wir sparen sie uns, wie einige Ansichten über die symphonistische Behandlung des Pianofortes für die Zukunft auf. Liszt hat ihn mit so viel Fleiß und Begeisterung gearbeitet, daß er wie ein Originalwerk, ein Résumé seiner tiefen Studien, als praktische Clavierschule im Partiturspiel angesehen werden muß. Diese Kunst des Vortrags, so ganz verschieden von dem Detailspiel des Virtuosen, die vielfältige Art des Anschlages, den sie erfordert, der wirksame Gebrauch des Pedals, das deutliche Verflechten der einzelnen Stimmen, das Zusammensassen der Massen, kurz die Kenntniß der Mittel und der vielen Geheimnisse, die das Pianoforte noch verbirgt, — kann nur Sache eines Meisters und Genies des Vortrags sein, als welches Liszt von Allen ausgezeichnet wird. Dann aber kann sich der Clavierauszug ungescheut neben der Orchesteraufführung selbst hören lassen, wie Liszt ihn auch wirklich als Einleitung zu einer späteren Symphonie

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      * Das in E moll war damals erst bekannt.

{146} von Berlioz (Mélologue, Fortsetzung dieser phantastischen)* vor Kurzem öffentlich in Paris spielte.**

Uebersehen wir mit einem Augenblicke noch einmal den Weg, den wir bis jetzt zurücklegten. Nach unserem ersten Plane wollten wir über Form, musikalische Composition, Idee und Geist in einzelnen Absätzen sprechen. Erst sahen wir, wie die Form des Ganzen nicht viel vom Hergebrachten abweiche, wie sich die verschiedenen Abtheilungen meistens in neuen Gestalten bewegen, wie sich Periode und Phrase durch ungewöhnliche Verhältnisse von Anderem unterscheide. Bei der musikalischen Composition machten wir auf seinen harmonischen Stil aufmerksam, auf die geistreiche Art der Detailarbeit, der Beziehungen und Wendungen, auf die Eigenthümlichkeit seiner Melodieen und nebenbei auf die Instrumentation und auf den Clavierauszug. Wir schließen mit einigen Worten über Idee und Geist.

Berlioz selbst hat in einem Programme niedergeschrieben, was er wünscht, daß man sich bei seiner Symphonie denken soll. Wir theilen es in Kürze mit.

Der Componist wollte einige Momente aus dem Leben eines Künstlers durch Musik schildern. Es scheint nöthig, daß der Plan zu einem Instrumentaldrama vorher durch Worte erläutert werde. Man sehe das folgende Programm wie den die Musiksätze einleitenden Text in der Oper an. Erste Abtheilung. Träume, Leiden (rêveries, passions). Der Componist nimmt an, daß ein junger Musiker, von jener moralischen Krankheit gepeinigt, die ein berühmter Schriftsteller mit dem Ausdrucke “le vague des passions“ bezeichnet, zum erstenmal ein weibliches Wesen erblickt, das alles in sich vereint, um ihm das Ideal zu versinnlichen, das ihm seine Phantasie vormalt. Durch eine sonderbare Grille des Zufalls erscheint ihm das geliebte Bild nie anders als in Begleitung eines musikalischen Gedankens, in dem er einen gewissen leidenschaftlichen, vornehm-schüchternen

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     * unter dem Titel:  »Lélio, ou le retour à la vie, Monodrame lyrique ». Op. 14b.
   ** Ausgelassen: „Denen, die sich mit der seltenen Kunst des symphonistischen Vortrags vertraut machen wollen, muß dieses Clavierwerk als einzig genannt und empfohlen werden, wie wir hier in wärmster Anerkennung des Verdienstes, das sich Liszt dadurch erworben, auszusprechen uns verpflichtet fühlen.

Beiläufig muß noch die leichtsinnige Orthographie des Clavierauszugs erwähnt werden. Die reizbare Kritik sucht alles aus, um es als Waffe gegen ungewöhnliche Erscheinungen zu gebrauchen und so auch hier; einem Löwen mit Nadeln beizukommen, ist schwer; indessen wird er wenigstens stutzig gemacht.“

{147} Charakter, den Charakter des Mädchens selbst findet: diese Melodie und dieses Bild verfolgen ihn unausgesetzt wie eine doppelte fixe Idee. Die träumerische Melancholie, die nur von einzelnen leisen Tönen der Freude unterbrochen wird, bis sie sich zur höchsten Liebesraserei steigert, der Schmerz, die Eifersucht, die innige Gluth, die Thränen der ersten Liebe bilden den Inhalt des ersten Satzes. — Zweite Abtheilung. Ein Ball. Der Künstler steht mitten im Getümmel eines Festes in seliger Beschallung der Schönheiten der Natur, aber überall in der Stadt, aus dem Lande verfolgt ihn das geliebte Bild und beunruhigt sein Gemüth. — Dritte Abtheilung. Scene aus dem Lande. Eines Abends hört er den Reigen zweier sich antwortender Hirten; dieses Zwiegespräch, der Ort, das leise Rauschen der Blätter, ein Schimmer der Hoffnung von Gegenliebe — alles vereint sich, um seinem Herzen eine ungewöhnliche Ruhe und seinen Gedanken eine freundlichere Richtung zu geben. Er denkt nach, wie er bald nicht mehr allein stehen wird. . . Aber wenn sie täuschte! Diesen Wechsel von Hoffnung und Schmerz, Licht und Dunkel drückt das Adagio aus. Am Schluß wiederholt der eine Hirte seinen Reigen, der andre antwortet nicht mehr. In der Ferne Donner . . Einsamkeit — tiefe Stille. — Vierte Abtheilung. Der Gang zum Richtplatz (marche du supplice). Der Künstler hat die Gewißheit, daß seine Liebe nicht erwidert wird, und vergiftet sich mit Opium. Das Narkotikum, zu schwach, um ihn zu tödten, versenkt ihn in einen von fürchterlichen Visionen erfüllten Schlaf. Er träumt, daß er sie gemordet habe und daß er, zum Tode verurtheilt, seiner eignen Hinrichtung zusieht. Der Zug setzt sich in Bewegung; ein Marsch, bald düster und wild, bald glänzend und feierlich, begleitet ihn; dumpfer Klang der Tritte, roher Lärm der Masse. Am Ende des Marsches erscheint, wie ein letzter Gedanke an die Geliebte, die fixe Idee, aber, vom Hiebe des Beiles unterbrochen, nur halb. — Fünfte Abtheilung. Traum in einer Sabbathnacht. Er sieht sich inmitten greulicher Fratzen, Hexen, Mißgestalten aller Art, die sich zu seinem Leichenbegängnisse zusammengefunden haben. Klagen, Heulen, Lachen, Wehrufen. Die geliebte Melodie ertönt noch einmal, aber als gemeines, schmutziges Tanzthema: sie ist es, die kommt. Jauchzendes Gebrüll bei ihrer Ankunft. Teuflische Orgien. Todtenglocken. Das Dies irae parodirt.

So weit das Programm. Ganz Deutschland schenkt es ihm: solche Wegweiser haben immer etwas Unwürdiges und Charlatanmäßiges. Jedenfalls hätten die fünf Hauptüberschriften genügt; die

{148} genaueren Umstände, die allerdings der Person des Componisten halber, der die Symphonie selbst durchlebt, interessiren müssen, würden sich schon durch mündliche Tradition fortgepflanzt haben. Mit einem Worte, der zartsinnige, aller Persönlichkeit mehr abholde Deutsche will in seinen Gedanken nicht so grob geleitet sein; schon bei der Pastoralsymphonie beleidigte es ihn, daß ihm Beethoven nicht zutraute, ihren Charakter ohne sein Zuthun zu errathen. Es besitzt der Mensch eine eigene Scheu vor der Arbeitsstätte des Genius: er will gar nichts von den Ursachen, Werkzeugen und Geheimnissen des Schaffens wissen, wie ja auch die Natur eine gewisse Zartheit bekundet, indem sie ihre Wurzeln mit Erde überdeckt. Verschließe sich also der Künstler mit seinen Wehen; wir würden schreckliche Dinge erfahren, wenn wir bei allen Werken bis auf den Grund ihrer Entstehung sehen könnten.

Berlioz schrieb indeß zunächst für seine Franzosen, denen mit ätherischer Bescheidenheit wenig zu imponiren ist. Ich kann sie mir denken mit dem Zettel in der Hand nachlesend und ihrem Landsmann applaudirend, der alles so gut getroffen;38 an der Musik allein liegt ihnen nichts. Ob diese nun in einem, der die Absicht des Componisten nicht kennt, ähnliche Bilder erwecken wird, als er zeichnen wollte, mag ich, der ich das Programm vor dem Hören gelesen, nicht entscheiden. Ist einmal das Auge auf einen punct geleitet, so urtheilt das Ohr nicht mehr selbständig. Fragt man aber, ob die Musik das, was Berlioz in seiner Symphonie von ihr fordert, wirklich leisten könne, so versuche man ihr andere oder entgegengesetzte Bilder unterzulegen. Im Anfange verleidete auch mir das Programm allen Genuß, alle freie Aussicht. Als dieses aber immer mehr in den Hintergrund trat und die eigne Phantasie zu schaffen anfing, fand ich nicht nur alles, sondern viel mehr und fast überall lebendigen, warmen Ton. Was überhaupt die schwierige Frage, wie weit die Instrumentalmusik in Darstellung von Gedanken und Begebenheiten gehen dürfe, anlangt, so sehen hier Viele zu ängstlich. Man irrt sich gewiß, wenn man glaubt, die Componisten legten sich Feder und Papier in der elenden Absicht zurecht, dies oder jenes auszudrücken, zu schildern, zu malen. Doch schlage man zufällige Einflüsse und Eindrücke von außen nicht zu gering an. Unbewußt neben der musikalischen Phantasie wirkt oft eine Idee fort, neben dem Ohre das Auge, und dieses, das immer thätige Organ, hält dann mitten unter den Klängen und Tönen gewisse Umrisse fest, die sich mit der vorrückenden Musik zu deutlichen Gestalten verdichten und ausbilden können. Je mehr nun der Musik


{149} verwandte Elemente die mit den Tönen erzeugten Gedanken oder Gebilde in sich tragen, von je poetischerem oder plastischerem Ausdrucke die Composition sein, — und je phantastischer oder schärfer der Musiker überhaupt auffaßt, um so mehr wird sein Werk erheben oder ergreifen. Warum könnte nicht einen Beethoven inmitten seiner Phantasmen der Gedanke an Unsterblichkeit überfallen? Warum nicht das Andenken eines großen gefallenen Helden ihn zu einem Werke begeistern? Warum nicht einen Anderen die Erinnerung an eine selig verlebte Zeit? Oder wollen wir undankbar sein gegen Shakespeare, daß er aus der Brust eines jungen Tondichters ein seiner würdiges Werk hervorrief,* — undankbar gegen die Natur und leugnen, daß wir von ihrer Schönheit und Erhabenheit zu unseren Werken borgten? italiän, die Alpen, das Bild des Meeres, eine Frühlingsdämmerung — hätte uns die Musik noch nichts von allem diesem erzählt? Ja selbst kleinere, speciellere Bilder können der Musik einen so reizend festen Charakter verleihen, daß man überrascht wird, wie sie solche Züge auszudrücken vermag. So erzählte mir ein Componist, daß sich ihm während des Niederschreibens unaufhörlich das Bild eines Schmetterlings, der auf einem Blatte im Bache mit fortschwimmt, aufgedrungen; dies hatte dem kleinen Stück die Zartheit und die Naivetät gegeben, wie es nur irgend das Bild in der Wirklichkeit besitzen mag. In dieser feinen Genremalerei war namentlich Franz Schubert ein Meister, und ich kann nicht unterlassen, aus meiner Erfahrung anzuführen, wie mir einstmals während eines Schubertschen Marsches der Freund, mit dem ich ihn spielte, auf meine Frage, ob er nicht ganz eigene Gestalten vor sich sähe, zur Antwort gab: „wahrhaftig, ich befand mich in Sevilla, aber vor mehr als hundert Jahren, mitten unter auf- und abspazierenden Dons und Donnen, mit Schleppkleid, Schnabelschuhen, Spitzdegen“ u. s. w. Merkwürdigerweise waren wir in unseren Visionen bis auf die Stadt einig. Wolle mir keiner der Leser das geringe Beispiel wegstreichen!

Ob nun in dem Programme zur Berliozschen Symphonie viele poetische Momente liegen, lassen wir dahingestellt. Die Hauptsache bleibt, ob die Musik ohne Text und Erläuterung an sich etwas ist, und vorzüglich, ob ihr Geist inwohnt. Vom ersten glaub' ich Einiges nachgewiesen zu haben; das zweite kann wohl Niemand leugnen, auch nicht einmal da, wo Berlioz offenbar fehlte.

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      * Mendelssohns Sommernachtstraum.

{150} Wollte man gegen die ganze Richtung des Zeitgeistes, der ein Dies irae als Burleske duldet, ankämpfen, so müßte man wiederholen, was seit langen Jahren gegen Byron, Heine, Victor Hugo, Grabbe und ähnliche geschrieben und geredet worden. Die Poesie hat sich, auf einige Augenblicke in der Ewigkeit, die Maske der Ironie vorgebunden, um ihr Schmerzensgesicht nicht sehen zu lassen; vielleicht daß die freundliche Hand eines Genius sie einmal abbinden wird.

Noch mancherlei Uebles und Gutes gab' es hier zu berathen; indeß brechen wir für diesmal ab!

Sollten diese Zeilen etwas beitragen, einmal und vor Allem Berlioz in der Art anzufeuern, daß er das Excentrische seiner Richtung immer mehr mäßige, — sodann seine Symphonie nicht als das Kunstwerk eines Meisters, sondern als eines, das sich durch seine Originalität von allem Daseienden unterscheidet, bekannt zu machen, — endlich deutsche Künstler, denen er im Bunde gegen talentlose Mittelmäßigkeit eine starke Hand gereicht, zu frischerer Thätigkeit anzuregen, so wäre der Zweck ihrer Veröffentlichung erfüllt.39 {{Right|R. Schumann.

#Notenbeispiel


{151-154} [Noten]


{155} * Carl Loewe.

Herr Musikdirector Dr. Carl Loewe aus Stettin, dessen Balladen von tausend deutschen Stimmen mit Liebe und Begeisterung nachgesungen werden, gibt morgen Abend eine musikalische Unterhaltung im Hotel de Pologne. Sollten wir irgend einen lebenden Componisten bezeichnen, der vom Beginn seiner künstlerischen Laufbahn bis zum jetzigen Augenblicke deutschen Geist und deutsches Gemüth bekundet und es im Zartesten wie im Wildesten, in der Sprache der ersten Liebe wie im Ausbruche des tiefsten Zornes ausgesprochen hätte, so müßten wir Loewe nennen. Hierzu kommt noch das seltene Bündniß, das hier Componist, Sänger und Virtuos in einer Person geschlossen haben. Ein dramatischer Künstler, der uns etwa den Tasso in höchster Meisterschaft darstellte, würde uns kaum das Interesse einflößen als Goethe selbst, wenn er ihn vorläse; wir hören hier die Töne von dem, in dessen Brust sie zuerst entstanden, der sie zuerst empfunden, ohne den sie gar nicht existiren würden. Je seltener uns ein solcher Genuß geboten werden kann, je schneller sollten wir seinen Augenblick ergreifen. Und dann versetzen wir uns ja gern in jenes alte Zeitalter der Barden und Volkssänger, deren Lieder wie die Aussprüche eines Gottbegeisterten vernommen und verehrt wurden. Sollten wir kälter und unempfänglicher geworden sein? Wir greifen unserer Frage mit keiner Antwort vor: aber wir sehen mit Freude dem morgenden Abende entgegen, der uns Gelegenheit gibt, einem vaterländischen Künstler die Ehren zu bezeugen, welche sein hohes Talent in so hohem Maße verdient.40 {{Right|—n. {{Right|[Leipziger Tageblatt vom 29. Juli.]

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I. Moscheles.

(Concert am 9. October 1835.)

Ueber ältere bekannte Virtuosen läßt sich selten etwas Neues sagen. Moscheles hat jedoch in seinen letzten Compositionen einen Gang genommen, der nothwendig auf seine Virtuosität einwirken mußte. Wie er sonst sprudelte voll Jugend im Es dur-Concert, in der Es dur-Sonate, hierauf besonnener und künstlerischer im G moll-Concert und in seinen Etuden bildete, so betritt er jetzt dunklere, geheimnißvollere {156} Bahnen, unbekümmert, ob dies dem großen Haufen gefalle, wie er früher that. Schon das fünfte Concert* neigte sich theilweise in das Romantische, in den jüngsten erscheint, was noch zwischen Alt und Neu schwankte, als völlig ausgebaut und befestigt. Die romantische Ader, die sich hier durchzieht, ist aber nicht eine, die, wie in Berlioz, Chopin u. a., der allgemeinen Bildung der Gegenwart weit vorauseilt, sondern eine mehr zurücklaufende, — Romantik des Alterthums. wie sie uns kräftig in den gothischen Tempelwerken von Bach, Händel, Gluck anschaut. Hierin haben seine Schöpfungen in der That Aehnlichkeit mit manchen von Mendelssohn, der freilich noch in erster Jugendrüstigkeit schreibt. Ueber das, was man an jenem Abende gehört, sich ein untrügliches Urtheil zutrauen zu können, vermöchten wohl Wenige. Der Beifall des Publicums war kein bacchantischer, es schien sogar in sich gekehrt und seine Theilnahme dem Meister durch höchste Aufmerksamkeit zeigen zu wollen. Zu großer Begeisterung indeß brauste es nach dem Duo auf, das Moscheles und Mendelssohn spielten, nicht allein wie zwei Meister, auch wie zwei Freunde, einem Adlerpaare gleich, von dem der eine jetzt sinkt, jetzt steigt, einer den andern kühn umkreisend. Die Composition, dem Andenken Händels gewidmet,** halten wir für eines der gelungensten und originellsten von Moscheles' Werken. Ueber die Ouverture zur Schillerschen Jungfrau von Orleans lauteten die Urtheile, selbst der Kenner, verschieden; was uns anbelangt, so baten wir Moscheles im Stillen um Verzeihung, daß wir vorher nach dem Clavierauszug geurtheilt, der zu arm gegen das glänzende Orchester absticht. Ein Weiteres gehört in die Rubrik der eigentlichen Kritik, — für heute nur so viel, daß wir das Hirtenmädchen erkannt haben, von da, wo es sich den Panzer umschnürt, bis es als schöne Leiche unter Fahnen eingesenkt wird, und daß wir in der Ouverture allerdings einen echt tragischen Zug finden. Außerdem trug der Künstler den ersten Satz aus einem neuen „pathethischen“ Concert und ein ganzes „phantastisches“ vor, die man eben so gut Duos für Pianoforte und Orchester nennen könnte, so selbständig tritt dieses auf. Wir halten beide für so bedeutende Werke, dazu in der Form von früheren durchaus abweichend, daß wir wünschen, sie bald mit eignen Händen überwältigen zu können, um die hohe Meinung, die wir bis auf einzelne weniger erwärmende Stellen von ihnen

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        * C dur.
       ** Hommage à Händel.“

{157} hegen, ganz fest zu stellen. — Ueber die Spielweise dieses Meisters, die Elasticität seines Anschlags, die gesunde Kraft im Tone, die Sicherheit und Besonnenheit im höheren Ausdruck kann Niemand im Zweifel sein, der ihn einmal gehört. Und was etwa gegen früher an Jugendschwärmerei und überhaupt an Sympathie für die jüngste phantastische Art des Vortrags abgehen soll, ersetzt vollkommen der Mann an Charakterschärfe und Geistesstrenge. In der freien Phantasie, mit der er den Abend schloß, glänzten einige schöne Momente.

Noch gedenken wir mit großer Freude eines Genusses, den uns einige Tage vor dem Concerte die seltene Vereinigung dreier Meister und eines jungen Mannes, der einer zu werden verspricht, zum Zusammenspiel des Bachschen D moll-Concerts für drei Claviere bereitete. Die drei waren Moscheles, Mendelssohn und Clara Wieck, der vierte Hr. Louis Rakemann aus Bremen. Mendelssohn accompagnirte als Orchester. Herrlich war das anzuhören.

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* Concert von Clara Wieck.

Es gibt zwei Sprachen der Kunst, die gemeine irdische, welche die Mehrzahl der Kunstjünger bei Fleiß und gutem Willen in der Schule sprechen lernt, und die höhere, die überirdische, die des eisernsten Studiums spottet, und die dem Menschen angeboren sein muß. Die niedere Sprache ist ein Canal, der geradeaus einen geregelten, ja nur erzwungenen Lauf verfolgt; die höhere ist ein Waldstrom, der brausend aus der Nähe der Wolken stürzt, man weiß nicht woher? und wohin? der fließt, wie Klopstock sagt, „stark und gedankenvoll“. Die Propheten redeten diese Sprache, und sie ist auch die Sprache der Künstler; denn die Künstler sind Propheten. Die Tochter des Himmels legt einen Werth auf die Vorzüge ihrer irdischen Schwester, aus einen wohlgeordneten Anzug, aus eine gewisse Gemessenheit in Gang und Haltung; aber mehr gelten ihr Anmuth, Grazie, ja selbst Kühnheit, die sich bis zum heiligen Wahnsinn steigert, in welchem sie die Locken löst, die Augen rollt, göttlich bebt und stammelt und die Grammatik des vulgären guten Tons zerreißt, so daß ihr, wie einer weissagenden Sibylle, die vom Sturm getriebenen Blätter um das Haupt herumfliegen. Aber jedes der zerrissenen Blätter enthält einen Orakelspruch.

{158} Zu den Wenigen, welchen jene höhere Sprache der Kunst angeboren ist, gehört auch unsere junge Meisterin, Clara Wieck, eine Kunstprophetin, deren Anerkennung selbst im Vaterlande das gewöhnliche Sprichwort Lügen strafte. Die in rastlosem Weiterstreben begriffene Künstlerin wird, nachdem sie seit länger als Jahresfrist in Leipzig nicht aufgetreten, vor ihrer nächsten Kunstreise (nach Dresden, Breslau, Berlin u. s. w.) den 9. November im Saale des Gewandhauses ein großes Concert geben, welches bei der Wahl von lauter hier noch nicht öffentlich gehörten Claviercompositionen die Aufmerksamkeit aller Musikfreunde im höchsten Grade auf sich lenken muß. Sie spielt darin ein Capriccio brillant mit Orchester, von F. Mendelssohn-Bartholdy, reich an Kunstgehalt und originellen Gedanken, ein großes Concert von eigner Composition, ein Werk, das uns den Blick in ihre tiefste Seele erschließt, und höchst schwierige und brillante Variationen von Herz, Op. 36, für Pianoforte Solo über den Griechenchor aus der Belagerung von Corinth. Außerdem wird das Concert für drei Claviere von Joh. Seb. Bach unter Mitwirkung unseres genialen Mendelssohn-Bartholdy und des Herrn Rakemann aus Bremen zur Aufführung kommen. Es muß den Bewohnern Leipzigs eine interessante und merkwürdige Erscheinung sein, wenn der Geist ihres ehemaligen Mitbürgers, des alten Bach, in seiner ganzen tief-ernsten, gutmüthig-capriciösen, sauertöpfischen Liebenswürdigkeit einmal in ihre Mitte tritt, grüßend, mahnend und wie im derben Tone fragend: „Wie steht es jetzt in Eurer Kunstwelt? Seht, das war ich!“

Noch wird Herr Gustav Nauenburg, der gegenwärtig in Halle lebt und sich bei mehreren Musikfesten, wie auch vor zwei Jahren in Berlin als Barytonist in mehreren Concerten mit außerordentlichem Beifall hören ließ, unter Anderem eine der beliebtesten Balladen von Loewe vortragen. Nach den großen Meistern, die uns in diesen Tagen entzückten, die jüngere Clara Wieck eben jetzt in rascher Folge in den verschiedenartigsten Spielweisen zu hören, muß für das musikliebende Publicum so interessant als genußreich sein, das gewiß nicht ermangeln wird, seinen Sinn für die zu erwartenden ausgezeichneten Kunstleistungen durch die lebhafteste Theilnahme an dem Concerte zu bethätigen.41 {{Right|[Leipziger Tageblatt vom 5. November.]

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{159} Schwärmbriefe.*

1.

An Chiara.**

Zwischen all' unsern musikalischen Seelenfesten guckt denn doch immer ein Engelskopf hindurch, der dem einer sogenannten Clara bis auf den Schalkzug um das Kinn mehr als ähnlich sieht. Warum bist Du nicht bei uns, und wie magst Du gestern Abend an uns Firlenzer*** gedacht haben von der „Meeresstille“ an bis zum auflodernden Schluß der B dur-Symphonie!ϯ

Außer einem Concerte selbst wüßt' ich nichts Schöneres als die Stunde vor demselben, wo man sich mit den Lippenspitzen ätherische Melodieen vorsummt, sehr behutsam auf den Zehen auf- und abgeht, auf den Fensterscheiben ganze Ouverturen aufführt. . . Da schlägt’s drei Viertel. Und nun wandelte ich mit Florestan die blanken Stufen hinauf. Sebb, sagte der, auf Vieles freu' ich mich diesen Abend, erstens auf die ganze Musik selbst, nach der es Einen dürstet nach dem dürren Sommer, dann auf den F. Meritis,ϯϯ der zum erstenmal mit seinem Orchester in die Schlacht zieht, dann auf die Sängerin Mariaϯϯϯ und ihre vestalische Stimme, endlich auf das ganze Wunderdinge erwartende Publicum, auf das ich, wie Du weißt, sonst nur zu wenig gebe . . . Bei „Publicum“ standen wir vor dem alten Castellan mit dem Comthurgesicht, der viel zu thun hatte und uns endlich mit verdrießlichem Gesicht einließ, da Florestan wie gewöhnlich seine Karte vergessen. Als ich in den goldglänzenden Saal eintrat, mag ich, meinem Gesichte nach zu urtheilen, vielleicht folgende Rede gehalten haben: „Mit leisem Fuße tret' ich auf: denn es dünkt mir,

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    * „Wahrheit und Dichtung“ könnten auch diese Briefe heißen.42 Sie betreffen die ersten unter Mendelssohns Leitung gehaltenen Gewandhausconcerte im October 1835. [Sch. 1852.] 
   ** Clara Wieck. 
  *** d. h. Leipziger.
    ϯ Am 4. October trat Mendelssohn zuerst als Capellmeister der Gewandhausconcerte auf.
   ϯϯ Mendelssohn, dessen Ouverture „Meeresstille und glückliche Fahrt“ das Concert eröffnete.
  ϯϯϯ Henriette Grabau.

{160} als quollen da und dort die Gesichter jener Einzigen hervor, denen die schöne Kunst gegeben ist. Hunderte in demselben Augenblicke zu erheben und zu beseligen. Dort seh' ich Mozart, wie er mit den Füßen stampft bei der Symphonie, daß die Schuhschnalle losspringt, dort den Altmeister Hummel phantasirend am Flügel, dort die Catalani, wie sie den Shawl sich abreißt, da ein Teppich zur Unterlage vergessen war, dort Weber, dort Spohr und manche Andere. Und da dacht' ich auch an Dich, Chiara, Reine, Helle, — wie Du sonst aus Deiner Loge herunterforschtest mit der Lorgnette, die Dir so wohl ansteht.“ Mitten unter den Gedanken traf mich Florestans Zornauge, der an seiner alten Thürecke angewachsen stand, und in dem Zornauge stand ungefähr dieses: „daß ich dich endlich einmal wieder zusammen habe, Publicum, und aufeinander hetzen kann . . . schon längst, Oeffentliches, wollt' ich Concerte für Taubstumme errichten, die dir zur Richtschnur dienen könnten, wie sich zu betragen in Concerten, zumal in den schönsten. . wie Tsing-Sing* solltest du zum Pagoden versteinert werden, fiel' es dir ein, etwas von den Dingen, die du im Zauberland der Musik gesehn, weiter zu erzählen“ u. s. w. Meine Betrachtung unterbrach die plötzliche Todesstille des Publicums. F. Meritis trat vor. Es flogen ihm hundert Herzen zu im ersten Augenblicke.43

Erinnerst Du Dich, als wir des Abends von Padua weg die Brenta hinabfuhren? Die italiänische Gluthnacht drückte Einem nach dem Andern das Auge zu. Da am Morgen rief plötzlich eine Stimme: ecco, ecco, Signori, Venezia! — und das Meer lag vor uns ausgebreitet, still und ungeheuer, aber am äußersten Horizonte spielte ein feines Klingen auf und nieder, als sprächen die kleinen Wellen mit einander im Traume. Sieh, also weht und webt es in der „Meeresstille“, man schläfert ordentlich dabei und ist mehr Gedanke als denkend. Der Beethovensche Chor nach Goethe und das accentuirte Wort klingt beinah rauh gegen diesen Spinnewebenton der Violinen. Nach dem Schluß hin löst sich einmal eine Harmonie los, wo den Dichter wohl das verführerische Auge einer Nereustochter angeschaut haben mag, ihn hinabzuziehen, — aber da zum erstenmal schlägt eine Welle höher aus und das Meer wird nach und nach aller Orten gesprächiger, und nun flattern die Segel und die lustigen Wimpel und nun halloh fort, fort,

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      * Tsing-Sing, die komische Figur in Aubers chinesischer Feerie „das eherne Pferd“.

{161} fort... „Welche Ouverture von F. Meritis mir die liebste?“ fragte mich ein Einfältiger, und da verschlangen sich die Tonarten E moll, H moll und D dur* wie zu einem Graziendreiklang, und ich wußte keine bessere Antwort als die beste: „jede“. Der F. Meritis dirigirte, als hätt' er die Ouverture selbst componirt und das Orchester spielte darnach; doch fiel mir der Ausspruch Florestans auf, es hätte etwa so gespielt wie er, als er aus der Provinz weg zum Meister Raro in die Lehre gekommen; „meine fatalste Krisis (fuhr er fort) war dieser Mittelzustand zwischen Kunst und Natur; feurig, wie ich stets auffaßte, mußt' ich jetzt alles langsam und deutlich nehmen, da mir’s überall an Technik gebrach: nun entstand ein Stocken, eine Steifheit, daß ich irre an meinem Talent wurde; glücklicherweise dauerte die Krisis nicht lange.“ Mich für meine Person störte in der Ouverture wie in der Symphonie der Tactirstab,** und ich stimmte Florestan bei, der meinte, in der Symphonie müsse das Orchester wie eine Republik dastehen, über die kein Höherer anzuerkennen. Doch war’s eine Lust, den F. Meritis zu sehen, wie er die Geisteswindungen der Compositionen vom Feinsten bis zum Stärksten vorausnüancirte mit dem Auge und als Seligster voranschwamm dem Allgemeinen, anstatt man zuweilen auf Capellmeister stößt, die Partitur sammt Orchester und Publicum zu prügeln drohen mit dem Scepter. — Du weißt, wie wenig ich die Streite über Temponahme leiden mag und wie für mich das innere Maß der Bewegung allein unterscheidet. So klingt das schnellere Allegro eines Kalten immer träger als das langsamere eines Sanguinischen. Beim Orchester kommen aber auch die Massen in Anschlag: rohere, dichtere vermögen dem Einzelnen wie dem Ganzen mehr Nachdruck und Bedeutung zu geben; bei kleineren, feineren hingegen, wie unserm Firlenzer, muß man dem Mangel der Resonanz durch treibende Tempos zu Hülfe kommen. Mit einem Worte, das Scherzo der Symphonie*** schien mir zu langsam; man merkte das auch recht deutlich dem Orchester an der Unruhe an, mit der es ruhig sein wollte. Doch was kümmert Dich das in Deinem Mailand und wie wenig im Grund auch mich, da ich mir ja das Scherzo zu jeder Stunde so denken kann, wie ich eben will. Du fragst, ob Maria dieselbe Theilnahme wie früher in Firlenz finden würde. Wie kannst Du daran

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      * Sommernachtstraum, Hebriden und Meeresstille.
     ** Die Orchesterwerke wurden in der Zeit vor Mendelssohn, wo Matthäi an der Spitze stand, ohne tactirenden Dirigenten aufgeführt. [Sch. 1852.) 
    *** B dur von Beethoven.


{162} zweifeln? — nur hatte sie eine Arie* gewählt, die ihr mehr als Künstlerin Ehre, denn als Virtuosin Beifall brachte. Auch spielte ein westphälischer Musikdirector** ein Violinconcert von Spohr, gut, aber zu blaß und hager.*** Daß eine Veränderung in der Regie vorgegangen, wollte jeder aus der Wahl der Stücke sehen; wenn sonst gleich in ersten Firlenzer Concerten italiänische Pavillons um deutsche Eichen schwirrten, so standen diese diesmal ganz allein, so kräftig wie dunkel. Eine gewisse Partei wollte darin eine Reaction sehen; ich halt' es eher für Zufall als für Absicht. Wir wissen alle, wie es Noth thut, Deutschland gegen das Eindringen Deiner Lieblinge zu schützen; indessen gescheh’ es mit Vorsicht und mehr durch Aufmunterung der vaterländischen Jugendgeister als durch unnütze Verteidigung gegen eine Macht, die wie eine Mode aufkommt und vergeht. Eben zur Mitternachtsstunde tritt Florestan herein mit Jonathan, einem neuen Davidsbündler, sehr gegen einander fechtend über Aristokratie des Geistes und Republik der Meinungen. Endlich hat Florestan einen Gegner gefunden, der ihm Diamanten zu knacken gibt, Ueber diesen Mächtigen erfährst Du später mehr.44

Für heute genug. Vergiß nicht, manchmal auf dem Kalender den 13. August nachzusehen, wo eine Aurora Deinen Namen mit meinem verbindet, ϯ {{Right|Eusebius.

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2.

  • An Eusebius.45

--- --- Meine Pulse pochen in fieberhafter Erregung und Felicitasϯϯ schwermüthige Töne rauschen noch in meinem Innern. Das war nicht Beifall eines entzückten Publicums sondern Jauchzen und Toben einer entfesselten Menge; der Lärm eines Eurer nordischen Musikfeste klingt

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     * Arie von C. M. v. Weber, eingelegt in Lodoiska. 
   ** Otto Gerke.
  *** Hier ausgelassen: „Außerdem Introduction aus [Cherubinis] Ali Baba, die uns gar nicht gefallen.“
     ϯ Die Tage des 12, 13. und 14. August haben die Kalendernamen Clara, Aurora und Eusebius. — Der obige Brief hatte noch folgende Nachschrift: „Chopin war hier. Florestan stürzte zu ihm. Ich sah sie Arm in Arm mehr schweben als gehen. Sprach nicht mit ihm, fuhr ordentlich zusammen bei dem Gedanken.“
   ϯϯ Wir vermuthen, daß hier die Malibran gemeint ist , auch der Vorname paßt.

{{Right|D. R. [Sch.]

{163} wie das fromme Lallen eines „Dona nobis pacem“ gegen diesen Tuttichor der begeisterten Mailänder. Die Männer geberdeten sich wie gelenke Gliederpuppen und schlugen ihr Außer-sich-sein recht aus mit Händen und Füßen, die Damen nahmen die duftenden Blumensträuße und warfen sie zu hunderten zu Desdemonas Füßen, der Contrabaß legte den Bogen beiseit und klatschte den Baß zum Nachtutti, und der Pauker improvisirte, wo er eigentlich gar nichts zu thun, einen wüthenden Wirbel. Wir waren nicht müßig; selbst Livia schien sich auf einige Augenblicke [zu] vergessen. — Der Marchese bot seiner süßen Dulderin den Arm und ich mußte folgen.

Eben las und hörte ich Deinen Brief zu Ende. Deine Ideen von der Orchesterrepublik verstehe ich recht wohl; jenes Meisteradagio in der Meeresstille kann ich mir nicht anders denken, als daß jedes Instrument, vor allen der Baß, immer wie von ungefähr hineinkommt, wie aus dem Ozean immer eine weite Unendlichkeit nach der andern auftaucht. Auch Fritz Friedrich theilte ich Deine Ansicht mit, — das sei wohl sehr schön, meinte er, aber um in der Art z. B. diese Ouverture recht mit geistiger Wahrheit zu spielen, müßtest Du erst das Firlenzer Orchester zur See schicken. — Ali Baba verstehe ich nicht, habe Dir aber schon früher bekannt, welchen Ueberdruß ich gehabt, als ich ihn in Paris gehört; und dabei fällt mir Florestans lakonisches Wort ein: „Erzählt ein großer Dichter im schwachen Alter lange Ammenmärchen, so ist das natürlich — sieht man aber blauen Himmel, wo’s regnet, so ist das unnatürlich.“ — Nun aber noch vonFelicita; dies Weib ist wahrhaft unbegreiflich, so liebenswürdig wie außerordentlich; sie lud uns zu einer Probe, und wir stahlen uns weg vom Marchese. Du hättest sehen sollen, wie dies Wesen nicht nur ein ausgezeichnetes Glied, sondern recht die belebende Seele der ganzen Bühne ist und hierin ganz der Schröder gleicht. So ordnet sie das Costüm, die Stellung des Chors, verbessert die Action der Mitspielenden, gibt dem Orchester seine Tempos und improvisirt fast in gleichem Augenblick die graziösesten Verzierungen ihrer Arie. Ohne Gesang wäre sie die erste Schauspielerin und ohne Sprache die erste Mime des Jahrhunderts. Und bei diesem fessellosen Genie bestätigt sich wieder recht Meister Raros Ausspruch: „jenes müsse oft mit Gewalt geweckt und mit pedantischer Strenge bis zu einem gewissen Grad emporgebildet werden“, denn Felicita hatte an ihrem Vater einen sehr strengen Lehrer, der ihren schon vortrefflichen Jugendleistungen fast immer unzufriedenen Tadel und höhere Anfordernden entgegensetzte. Ja in New-York, wo

{164} sie als Desdemona, er als Othello auftrat, drohte er, sie in Wirklichkeit zu erdolchen, wenn sie nicht mehr Ausdruck in Spiel und Gesang entwickle; und diese Drohung eines so harten Lehrers wirkte mit solcher Wahrheit auf das sechzehnjährige Mädchen, daß der Vater ihr nach der Vorstellung freudetrunken ihre künftige Größe prophezeite. So hörte ich sie selbst mit Dank gegen die bessere väterliche Einsicht erzählen, und wenn Du dies Meister Raro mittheilst, so sehe ich, wie er dies Blatt mit triumphirendem Lächeln einer Gewissen zum Lesen reicht . . . .46

Livia lehnt sich über meine Schulter und möchte Mailand vom Dom aus in der Mondbeleuchtung sehen. Mit Freuden willfahre ich ihr. Du aber lebe wohl!

Oft klingen, wie von Geisterhand berührt, des Nachts Saiten an, dann denke, daß ich an Dich denke.

Unsere nächsten Briefe von Venedig. {{Right|Chiara.

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3.

An Chiara.

Der Briefträger wuchs mir zur Blume entgegen, als ich das rothschimmernde »Milano« auf Deinem Briefe sah. Mit Entzücken gedenk' auch ich des ersten Eintritts in das Scalatheater, als gerade Rubini mit der Méric-Lalande sang. Denn italiänische Musik muß man unter italiänischen Menschen hören; deutsche genießt sich freilich unter jedem Himmel.47

Ganz richtig hatt' ich im Programm zum vorigen Concert keine Reactionsabsicht gelesen, denn schon die künftigen brachten Hesperidisches. Dabei belustigt mich am meisten der Florestan, der sich wahrhaftig dabei ennüyirt und nur aus Hartnäckigkeit gegen einige Händel- und andere -ianer, die so reden, als hätten sie den Samson selbst componirt im Schlafrock, nicht geradezu einhaut in das Hesperidische, sondern es etwa mit „Fruchtdessert“ oder „Tizianischem Fleisch ohne Geist“ u. dgl. vergleicht, freilich in so komischem Tone, daß man laut lachen könnte, ragte nicht sein* Adlerauge herunter. „Wahrlich“ (meinte er gelegentlich), „sich über italiänisches zu ärgern, ist längst aus der

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      * Mendelssohns.

{165} Mode, und überhaupt warum in Blumenduft, der herfliegt und fortfliegt, mit Keulen einschlagen? Ich wüßte nicht, welche Welt ich vorzöge, eine voll lauter widerhaariger Beethovens oder eine voll tanzender Pesaroschwäne.* Nur wundert mich zweierlei, erstens: warum die Sängerinnen, die doch nie wissen, was sie singen sollen (ausgenommen alles oder nichts), warum sie sich nicht auf Kleines capriciren, etwa auf ein Lied von Weber, Schubert, Wiedebein — dann: die Klage deutscher Gesangcomponisten, daß von Ihrem so wenig in Concerten vorkäme, warum sie denn da nicht an Concert-Stücke, -Arien, -Scenen denken und dergleichen schreiben?“ — Die Sängerin** (nicht Maria), die etwas ausTorwaldo sang, fing ihr: Dove son? Chi m’aiuta? mit solchem Zittern an, daß es in mir antwortete: „in Firlenz, Beste; aide-toi et le ciel t’aidera!“ Aber dann kam sie in glücklichen Zug und das Publicum in ein aufrichtiges Klatschen. „Hielten sich“ (streute Florestan ein) „deutsche Sängerinnen nur nicht für Kinder, die nicht gesehen zu werden glauben, wenn sie sich die Augen zuhalten; aber so stecken sie sich meistens so stillheimlich hinter das Notenblatt, daß man gerade recht aufpaßt auf das Gesicht und nun gewahrt, welch' Unterschied zwischen deutschen und den italiänischen Sängerinnen, die ich in der Mailänder Akademie mit so schön rollenden Augen einander ansingen sah, daß mir bangte, die künstlerische Leidenschaft möchte ausschlagen; das letzte übertreib' ich, aber etwas von der dramatischen Situation wünscht' ich in deutschen Augen zu lesen, etwas von Freude und Schmerz in der Musik; schöner Gesang aus einem Marmorgesicht läßt am inwendigen Besten zweifeln; ich meine das so im Allgemeinen.“ Da hättest Du den Meritis mit dem Mendelssohnschen G moll-Concert spielen sehen sollen! Der setzte sich harmlos wie ein Kind ans Clavier hin und nun nahm er ein Herz nach dem andern gefangen und zog sie in Schaaren hinter sich her, und als er sie freigab, wußte man nur, daß man an einigen griechischen Götterinseln vorbeigeflogen und sicher und glücklich wieder in den Firlenzer Saal abgesetzt worden war. „Ein recht seliger Meister seid ihr in eurer Kunst“, meinte Florestan zu Meritis am Schluß und sie hatten beide Recht***. . . Meinen Florestan,

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       * Rossini war aus Pesaro gebürtig, daher sein Beiname „Schwan von Pesaro“. 
      ** Frl. Weinhold aus Amsterdam. 
    *** Gestrichen: „Du erinnerst Dich, daß wir die blose Pianofortestimme nie für etwas Selten-Originelles gehalten, wie denn Jünglinge im Durchschnitt das Subjectiv-Charakteristische dem Allgemein-Idealen vorziehen. Aber nun wir sie von Meritis und einem warm verstehenden Orchester gehört, soll das Concert ja gar nicht mehr aussprechen, als ein Meister in reinster Wohlgemüthlichkeit empfindet. Beim Einsatz

{166} der kein Wort über das Concert zu mir gesprochen, erkannt' ich gestern recht schön. Ich sah ihn nämlich in einem Buche blättern und etwas einzeichnen. Als er fort war, las ich, wie er zu einer Stelle seines Tagebuches „über manches in der Welt läßt sich gar nichts sagen, z. B. über die C dur-Symphonie mit Fuge von Mozart, über vieles von Shakespeare, über einiges von Beethoven“* an den Rand geschrieben: „über Meritis, wenn er das Concert von M. spielt.“ — Sehr ergötzten wir uns an einer Weberschen Kraft-Ouverture,** der Mutter so vieler nachhinkenden Stifte, desgleichen an einem Violinconcert, vom jungen * * *ϯ gespielt; denn es thut wohl, bei einem Strebenden mit Gewißheit vorauszusagen, sein Weg führe zur Meisterschaft. Von jahrein jahraus Wiederholtem, Symphonieen ausgenommen, unterhalt' ich Dich nicht. Dein früherer Ausspruch über Onslows Symphonie in A, daß Du sie, nur zweimal gehört, jetzt Tact für Tact auswendig wüßtest, ist auch der meine, ohne den eigentlichen Grund von diesem schnellen Sich-einprägen zu wissen. Denn einestheils seh' ich, wie die Instrumente noch zu sehr an einander kleben und zu verschiedenartige auf einander gehäuft sind, anderntheils fühlen sich dennoch die Haupt- wie Nebensachen, die Melodieenfäden so stark durch, daß mir eben dieses Aufdrängen der letzteren bei der dicken Instrumentencombination sehr merkwürdig erscheint. Es waltet hier ein Umstand, über den ich mich, da er mir selbst geheim, nicht deutlich ausdrücken kann. Doch regt es Dich vielleicht zum Nachsinnen an. Am wohlsten befind' ich mich im vornehmen Ballgetümmel der Menuet, wo alles blitzt von Diamanten und Perlen; im Trio seh' ich eine Scene im Cabinet, und durch die oftmals geöffnete Ballsaalthüre dringen die Violinen und verwehen die Liebesworte. Wie? — Dies hebt mich ja ganz bequem in die A dur-Symphonie von Beethoven, die wir vor Kurzem gehört. Mäßig entzückt gingen wir noch spät Abends zum Meister Raro. Du kennst Florestan, wie er am Clavier sitzt und während des Phantasirens wie im Schlafe spricht, lacht, weint, aufsteht, von vorn anfängt u. s. w. Zilia war im Erker, andere Davidsbündler in verschiedenen Gruppen da und dort. Viel wurde verhandelt. „Lachen“

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der Trompeten (wenn er auch von keiner ästhetischen Beziehung, freilich auch von keiner unästhetischen ist), fuhr Jemand neben mir ordentlich in die Höhe. Eins weiß ich, daß ich mir nie einfallen lassen soll, ein Concert in drei aneinander geschlossenen Sätzen schreiben zu wollen.“

      * Vergl. S. 84.
     ** zum Beherrscher der Geister.
      Ϯ Uhlrich.

{167} (so fing Florestan an und zugleich den Anfang der A dur-Symphonie), „lachen mußt' ich über einen dürren Actuarius, der in ihr eine Gigantenschlacht fand, im letzten Satze deren effective Vernichtung, am Allegretto aber leise vorbeischlich, weil es nicht paßte in die Idee, — lachen überhaupt über die, die da ewig von Unschuld und absoluter Schönheit der Musik an sich reden — (freilich soll die Kunst unglückliche Lebens-Octaven und -Quinten nicht nachspielen, sondern verdecken, freilich find' ich in [z. B. Marschners] Heiling-Arien oft Schönheit aber ohne Wahrheit, und in Beethoven [nur selten] manchmal die letzte ohne die erste).

— Am meisten jedoch zuckt es mir in den Fingerspitzen, wenn Einige behaupten, Beethoven habe sich in seinen Symphonieen stets den größten Sentiments hingegeben, den höchsten Gedanken über Gott, Unsterblichkeit und Sternenlauf, während der genialische Mensch allerdings mit der Blüthenkrone nach dem Himmel zeigt, die Wurzeln jedoch in seiner geliebten Erde ausbreitet. Um auf die Symphonie zu kommen, so ist die Idee gar nicht von mir sondern von Jemandem in einem alten Hefte der Cäcilia48 (aus vielleicht zu großer Delicatesse gegen Beethoven, die zu ersparen gewesen, in einen feinen gräflichen Saal oder so etwas versetzt) ... es ist die lustigste Hochzeit, die Braut aber ein himmlisch Kind mit einer Rose im Haar, aber nur mit einer. Ich müßte mich irren, wenn nicht in der Einleitung die Gäste zusammenkämen, sich sehr begrüßten mit Rückenkommas, sehr irren, wenn nicht lustige Flöten daran erinnerten, daß im ganzen Dorfe voll Maienbäume mit bunten Bändern Freude herrsche über die Braut Rosa, — sehr darin irren, wenn nicht die blasse Mutter sie mit zitterndem Blicke wie zu fragen schiene: „weißt du auch, daß wir uns trennen müssen?“ und wie ihr dann Rosa ganz überwältigt in die Arme stürzt, mit der andern Hand die des Jünglings nachziehend . . . Nun wird’s aber sehr still im Dorfe draußen (Florestan kam hier in das Allegretto und brach hier und da Stücke heraus), nur ein Schmetterling fliegt einmal durch, oder eine Kirschblüthe fällt herunter... Die Orgel fängt an; die Sonne steht hoch, einzelne langschiefe Strahlen spielen mit Stäubchen durch die Kirche, die Glocken läuten sehr — Kirchgänger stellen sich nach und nach ein — Stühle werden auf- und zugeklappt — einzelne Bauern fehen sehr scharf ins Gesangbuch, andere an die Emporkirchen hinauf — der Zug rückt näher — Chorknaben mit brennenden Kerzen und Weihkessel voran, dann Freunde, die sich oft umsehen nach dem Paare, das der Priester begleitet, die Eltern, Freundinnen und hinterher die ganze Dorfjugend. Wie sich nun alles ordnet und der Priester an den

{168} Altar steigt und jetzt zur Braut und jetzt zum Glücklichsten redet, und wie er ihnen vorspricht von den Pflichten des Bundes und dessen Zwecken, und wie sie ihr Glück finden möchten in Eintracht und Liebe, und wie er sie dann fragt nach dem „Ja“, das so viel nimmt für ewige Zeiten, und sie es ausspricht fest und lang — laßt es mich nicht fortmalen das Bild und thut’s im Finale nach eurer Weise“ .... brach Florestan ab und riß in den Schluß des Allegretto, und das klang, als würfe der Küster die Thür zu, daß es durch die ganze Kirche schallte....

Genug. Florestans Deutung hat im Augenblick auch in mir etwas erregt und die Buchstaben zittern durcheinander. Vieles möcht' ich Dir noch sagen, aber es zieht mich hinaus. Und so wolle die Pause bis zu meinem nächsten Briefe im Glauben an einen schöneren Anfang abwarten! {{Right|Eusebius.*

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4.

  • An Chiara.

-- -- -- Das erste, was wir hörten, flog wie ein junger Phönix vor uns auf, der nach oben flatterte. Weiße sehnende Rosen und perlende Lilienkelche neigten hinüber, und drüben nickten Orangeblüthen und Myrthen und dazwischen streckten Erlen und Trauerweiden ihre melancholischen Schatten aus: mitten drin aber wogte ein strahlendes Mädchenantlitz und suchte sich Blumen zum Kranz. Ich sah oft Kähne kühn über den Wellen schweben, und nur ein Meistergriff am Steuer, ein straffgezogenes Segel fehlte, daß sie so siegend und schnell als sicher die Wogen durchschnitten: so hört' ich hier Gedanken, die oft nicht die rechten Dolmetscher gewählt hatten, um in ihrer ganzen Schöne zu glänzen, aber der feurige Geist, der sie trieb, und die Sehnsucht, die sie steuerte, strömte sie endlich sicher zum Ziel. Nun zog ein junger Sarazenenheld heran wie eine Oriflamme, mit Lanze und Schwert und tournirte, daß es eine Lust war, und zuletzt hüpfte ein französischer Elegant herbei und die Herzen hingen an . . . . .

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       * Folgende Nachschrift ist gestrichen: „Auch von mir ein Wort. Livia bittet mich, über Concerte doch etwas in die **sche Zeitung zu liefern. Du weißt, wie ich abhorrescire vor publiken Musik-Schreibereien, namentlich vor den gutmüthig-arkadischen. Dies ließe sich etwa durch eine freiere, etwa Brief-Form erträglich machen. Wann müßten aber die Briefe noch ganz anders ausfallen als die an eine gewisse Chiara.

{{Right|Florestan.“

{169} So weit Euseb. Ich fand ihn gestern Abend mit dem Kopfe auf diesem Blatte liegen und fest schlafen; zum Malen und Küssen sah er aus, als träumte er Zilias Concert,* von dem er Euch schreiben gewollt, noch einmal nach. Wir schicken Euch den ganzen Zettel mit. Lacht nur nicht beim Concert für drei Claviere** vom alten Sebastian, das Zilia mit dem Meritis und dem sanften Davidsbündler Walt*** gespielt, sondern seid wie Florestan, der dazu meinte: da wird es einem recht klar, welcher Lump man ist.

Wie unser gewöhnliches Firlenzer Concert, das mit wohlthuender Sicherheit wöchentlich wiederkehrt, einmal ganz gefährlich gestört wurde, verdient allerdings berichtet zu werden. Gleich nach der Symphonie entstand nämlich Feuerlärm, Spritzen rasselten, Glocken hallten, ein Orkan von Unruhe wehte durch den Saal; viele hatten ihre Köpfe unterm Arm; ein kleiner Sänger, der nur mit einem Frackflügel (der andere war im Tumult abgerissen) über die Bänke wollte, um das Weite zu gewinnen, sah erbärmlich genug aus, ebenso die Sängerin, die vor dem dicken Pauker auf den Knieen lag, um Rettung ihn ansingend in wenig italiänischer Methode ... Da hättest Du Deine Davidsbündler sehen sollen! Wie Felsen standen sie und verlangten, auf ihre Entreekarte pochend, ruhig nach Musik; auch Meritis schoß Blitze und schwang den Tactscepter hoch über Aller Köpfe; ja ein Trompeter, der Courage hatte, blies sogar seine Stimme Solo ab . . . aber da half nichts. Endlich lief alles auseinander. Ein Lachfest war’s, als man am andern Morgen hörte, daß man einem eingeschlafenen Stadtsoldaten das Schilderhaus über dem Kopfe angesteckt habe.

Beim nächsten forschte Florestan genau, ob Gefahr vorhanden, denn auf dem Zettel stand eine Welt von Musik und er wollte sich keinen Ton nehmen lassen; aber Augen zünden noch schneller als Flammen: er kam im Saal neben zwei schwarze, und sein Herz, von ihnen getroffen, pochte feuriger als F. Meritis Tactirstab — woher es denn auch kommen mochte, daß er fast alle Tempi der heroischen Symphonie (Florestan nennt sie die „römische“, wie die vierte in B die „griechische“) zu langsam und steif fand „und ich schwör’s dem Meritis“ (sagte er auf der Straße,) „geht das so fort, so nehme ich,

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      * Clara Wieck hatte am 9. November ihr A moll-Concert (Werk 7) im Gewandhause gespielt. 49 
     ** D moll. 
    *** L. Rakemann.

{170} werde ich einmal Musikdirector, seine Lieblingsouverture nie anders als so:

#Notenbeispiel u.s.w.

Eine Bravourarie mit obligater Violine von Paëër trug mehr Reifrock und Schleppe als jugendliche Wangen. „Wie gefällt Ihnen unsere neue Sängerin?“ fragte mein Nachbar, — „Eleganz in der Methode, reine Intonation und ein gehorsames mezza voce sind viel in unserer armen Zeit, und ich glaube“ —

„Apropos, haben Sie schon gehört,“ fiel der zur Linken ein, „daß ein Verein deutscher Sängerinnen zusammengetreten, um die Preisfrage auszusetzen, wie man mit geschlossenem Mund und ohne Worte auszusprechen, doch ganz vollkommen singen könne?“ —

Eben war ein Flötenconcert beendet. „Ich wünschte sehr,“ meinte der zur Rechten, „die Flöte hätte vorhin Violine gespielt.“ — „Sie haben Recht“ (der Linke) „ich höre gern Flöte, aber besonders Piccolo, die schneidet einem so recht wohlthuend ins“ — Dabei schnitt der Tituschor so in mein Ohr — wir saßen ganz dicht bei den jungen Römern — daß ich die Worte des Empfindsamen verlor. Ich fand wieder, wie schwer die gute Herstellung eines Opernensembles im Concertsaal ist, so sehr ich mit der Wahl des heutigen einverstanden war, das vom Repertoire der Bühne fast verschwunden. Der Mangel der Scenerie, der eignen Bewegung in der Handlung, hat einen kaum zu entäußernden Einfluß auf die geistige Wärme und Harmonie im Vortrage, und dadurch erhält auch leicht der technische etwas Erlahmendes, Wankendes.

Endlich ist Francilla* angekommen, welche durch die Kunst mit Dir und Livia so eng vereinigt ist. Deine Worte von München aus lebten in unserm Gedächtniß. Du hast Recht, das ist ein Demant vom reinsten Feuer, der zündet wie er leuchtet, übergefährlich; eine Himmelsstürmerin, die mit keckem Schritte grade aufs Höchste losgeht. In ihrem Concert hatte das ganze Publicum nur ein Gesicht, ein im echten Vollgenuß strahlendes — und wie sie alle mit zurückgepreßtem Athem lautlos horchten, als wollten sie die Sirenentöne von ihren Lippen schlürfen, schien mir’s, als hörte ich den Tick-Tack der Herzen

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    * Francilla Pixis.

{171} und sah heimliche Seufzer und seliges Lächeln über die Seelen schweben, — und ein alter Contomann, der wie ein junger Raufbold hinter mir im Beifallsstürme losbrach, hatte wohl Grund dazu, denn er fühlte sich seit zwanzig Jahren heute zum erstenmal wieder an jene warme Jugendzeit voll glücklicher Liebesschmerzen erinnert, und es war vielleicht die letzte poetische Strophe in seinem engen Leben. Als wir heimgingen, sagte Raro, er möchte heut um keinen Preis eine Sängerin sein, die zugehört; Jonathan findet an ihr viel Aehnliches mit der Malibran; Florestan schimpfte wieder einmal auf das Ceremoniel, „daß man nicht gleich mir nichts dir nichts um den Hals fallen dürfe“ u. s. w.; Eusebius meinte sehr einfältig, daß es doch Schuldigkeit wäre, ihr ohne Weiteres das Davidsbündlerdiplom zuzuschicken; — von mir kann ich Dir nur melden, daß ich am andern Morgen, als ich zu ihr ging, noch nicht wußte, was ich sagen sollte, und auch nicht weiß, was ich gesagt, es müßte denn in meinen Augen zu lesen gewesen, daß Schweigen auch eine Sprache. Kurz, im Augenblicke beneide ich Dich kaum um Dein Venedig mit seinen leuchtenden Fluthen, mit seinen Frauen und Marmorpalästen, — (obwohl Venedig um Dich). {{Right|Serpentin.

Dir noch etwas ins Ohr, eh' Florestan kommt. Nach dem Concerte der Francilla hörte ich, wie Jonathan zu jenem sagte: „irr' ich nicht, Herr Florestan, so sah ich nach der Arie von Donizetti auf euern Backen etwas sehr Nasses.“ „Wohl möglich,“ erwiederte der, „aber Schweißtropfen waren’s.“ Als wir aber zu Hause, hörte ich Florestan wüthend auf seiner Stube auf- und abgehen, „o ewige Schande“ (dies sprach er in abgerissenen Perioden,) „o Florestan, bist du bei Sinnen, hast du deshalb den Marpurg studirt, deshalb das temperirte Clavier secirt, kannst du deshalb den Bach und Beethoven auswendig, um bei einer miserablen Arie von Donizetti nach vielen Jahren so etwas wie zu weinen? Und dieser Jonathan sieht’s obenein! Hätt' ich diese Thränen, zu nichts wollt' ich sie zerkratzen mit der Faust.“ Und hier setzte er sich unter schrecklichem Lamentiren ans Clavier und spielte jene Arie so wirthshausmäßig, so lächerlich und fratzenhaft, daß er endlich ganz beruhigt zu sich sagte: „wahrhaftig, nur der Ton ihrer Stimme war’s, der mir so ins Herz ging!“ — Ermiß aber daraus die göttliche Kunst der Francilla!

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{172} Neue Sonaten für das Pianoforte.

C. Loewe, der Frühling, eine Tondichtung in Sonatenform (in G), Werk 47.

Vom Frühling sollte schon an und für sich in jeder Musik etwas zu finden sein; diesmal legt der phantasievolle Sänger ein besonderes Opfer auf seinem Altare nieder. Zwar hätte man von Loewe eher eine Wintersonate erwartet, in der ich schon im voraus (käme er dem Wunsche nach) den Schnee unter dem Wagen höre und die Nachtvögel um den Thurmknopf; aber auch dem Frühling hat er seine Zeichen abgelauscht, wenn auch nicht wie Beethoven, dessen sechste Symphonie sich zu andern idyllischen Compositionen wie das Leben eines großen Mannes zu dessen Biographieen verhält, so doch wie ein Dichter mit klarem, offenem Auge; und das erfreut schon einmal in einer Zeit und in einer Kunst, die sich immer faustischer in sich hinein- und dem frischen Lebensgenusse finstre Mystik vorzieht. Wer also Nachtscenen und Nordlichter erwartet, irrt sich; aber dafür sieht er eine angrünende Wiese, hier und da eine Knospe mit einem Schmetterling. Dies über die Musik als Dichtung. Als Composition selbst kann man sie weder neu noch tief erfunden nennen; Melodieen und Harmonieen schließen sich natürlich, oft simpel an einander; das Ganze ist vielleicht zu flüchtig empfangen und geboren. Der Componist verstehe uns recht! Beethoven singt in seiner Pastoralsymphonie so einfache Themas, wie sie irgend ein kindlicher Sinn erfinden kann; sicher aber schrieb er nicht alles auf, was ihm die erste Begeisterung eingab, sondern wählte unter vielem. Und das ist’s, was wir dieser, wie mehreren andern Compositionen von Loewe vorwerfen, daß sie mit der leisesten Stimme oft rechte Ansprüche machen, und daß uns zugemuthet wird. Gewöhnliches, hundertmal Dagewesenes, weil es ein bedeutender Componist wiederholt, der Güte der Hauptsache halber so mit hin zu nehmen. Wir zweifeln, ob eines von den lebenden Talenten, die Loewe ebenbürtig gegenüberstehen, manches Einzelne in der Sonate hätte drucken lassen.* Will man auch Stellen wie das erste Thema des ersten Satzes, den Anfang des zweiten Theiles desselben Satzes u. m. a., durch die einfache Anlage und durch das Terrain, auf dem das Ganze spielt und

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     * Gestrichen: „Mag das streng klingen, — aber wir vermuthen, es fehlt Loewe ein rächender Freund, der ihm dies sagte, und als solchen möge er uns nehmen, die wir ihn überdies so sehr hochschätzen.“

{173} gemalt ist, entschuldigen, so muß doch, wie wir schon oft gesagt, in der Malerei so viel Musik enthalten sein, daß diese für sich gilt und das Ohr vom Auge nichts zu entlehnen hat. Daher finden wir den zweiten Satz, als den musikalisch selbständigsten, am gelungensten und daher z. B. die Einleitung am wenigsten gerathen.

Wie dem sei, so empfehlen wir die Sonate namentlich Lehrern nachdrücklich, daß sie sie jüngere Schüler spielen lassen, denen die durchweg klare und natürliche Empfindung wohlgefällig und bildend sein muß. {{Right|12.

Franz Graf von Pocci, Phantastische Sonate (in C). „ „ „ Frühlingssonate (in G).

Hätte mir Jemand den Titel zugehalten, so würde ich auf eine Componistin gerathen und vielleicht so geurtheilt haben: Wie du heißen magst. Adele — Zuleika, ich liebe dich vorweg, wie alle, die Sonaten schreiben! Hörtest du nur auch immer so auf, wie du anfängst, so z. B. in der Frühlingssonate, wo Einen auf der ersten Seite ordentlich Märzveilchen anduften. . . Aber während dein schwärmerisches Auge am Mondhimmel herumschweift oder dein Herz im Jean Paul, so fällt dir das Rosaband ein, das deine Freundin so wohl kleidet; auch verwechselst du noch häufig das „daß“ mit dem „das“, so nett deine Handschrift übrigens aussieht, — mit einem Worte, du bist ein gutes siebzehnjähriges Kind mit viel Liebe und Eitelkeit, viel Innigkeit und Eigensinn. Mit Worten wie „Tonica“, „Dominante“ oder gar „Contrapunct“ erschreck' ich dich gar nicht, denn du würdest mir lachend ins Wort fallen und sagen: „ich hab' es nun einmal so gemacht und kann nicht anders“, und man müßte dir dennoch gut sein. Wär' ich aber dein Lehrer und klug, so gab' ich dir oft von Bach oder Beethoven in die Hände (von Weber, den du so sehr liebst, gar nichts), damit sich Gehör und Gesicht schärfe, damit dein zartes Fühlen festes Ufer bekomme und dein Gedanke Sicherheit und Gestalt. Und dann wüßt' ich nicht, was dir selbst eine „neuste“ Zeitschrift für Musik anhaben könnte, das sich nicht aus „lieb und schön“ reimte. {{Right|E.

Wie schlau mein Eusebius drum herum geht! Warum nicht ganz offen: „der Herr Graf hat sehr viel Talent, aber wenig studirt“. {{Right|Florestan.

F. Lachner, Sonate zu vier Händen (in F), Werk 39.

Man würde erstaunen über den Ernst und die Tiefe, wenn obige Sonate von einem Franzosen oder gar italiäner componirt wäre. Es

{174} gibt eben noch keine Weltkunst und ebendaher keine Kritik, die nicht ihren Maßstab nach dem Standpuncte der Bildung, auf dem die verschiedenen Nationen stehen, und nach deren Charakter richtete. Lachner ist ein Deutscher; ein deutsches geradegehendes Wort wird ihm recht sein.

Wir wissen nicht, ob wir uns freuen oder betrüben sollen, daß wir außer dieser Sonate, vielen Liedern und einer Symphonie, die wir einmal gehört, nichts weiter von Lachners Compositionen kennen. Er ist einer der schwierigsten Charaktere für die Kritik, nicht deshalb, weil er so dunkeltief dächte, daß ihm gar nicht beizukommen, sondern der Schlangenglätte halber, mit der er überall, will man ihn festhalten, aus der Hand entschlüpft. Hat er etwas Fades gesprochen, so macht er es kurz darauf durch ein herrlich Wort gut; ärgert man sich an einem Spohrschen oder Franz Schubertschen Anklange, so kommt bald etwas ihm allein Gehöriges; hält man jetzt alles für Trug und Schein, so gibt er sich einen Augenblick später offen und unverhohlen. Man findet in dieser Sonate, was man will: — Melodie, Form, Rhythmus (in dem er jedoch am schwächsten erfindet), Fluß, Klarheit, Leichtigkeit, Correctheit, und dennoch rührt nichts, faßt nichts, dringt nichts tiefer als bis in das Ohr. Wir glaubten, die Schuld läge an unserer eigenen Stimmung und legten, um den späterm Eindruck mit dem ersten zu vergleichen, die Sonate geflissentlich lange Zeit bei Seite, fragten auch Andere um ihre Meinung; dasselbe Resultat, dieselbe Antwort. Die Sache darf nicht leicht genommen werden. Aus Lachner sind schöne Hoffnungen gegründet worden. Eine nachsichtige Kritik sah ihm seines Talentes halber vieles nach. Es wird Zeit, daß er streng über sich wache, um sich nicht noch unklarer in sich hinein zu verwickeln. Es gibt nämlich gewisse Halbgenies, die mit einer ungemeinen Lebhaftigkeit und Empfänglichkeit alles Außerordentliche, sei es Gutes oder Uebles, in sich aufnehmen und wie ihr Eigenthum verarbeiten. Sie haben einen Geniusflügel und einen andern von Wachsfedern. In guter Stunde, in der Erregung trägt wohl jener den andern mit in die Höhe; aber im Normalzustande der Ruhe schleppt der wächserne lahm hinter dem andern her. Oft möchte man solch hartes Urtheil über ähnliche Charaktere zurücknehmen, — denn es glückt ihnen mancher Wurf, — oft ihnen gänzlich vom Schaffen abrathen, weil sie selbst nicht wissen, wie arg sie sich und Andere täuschen. Sie leben in immerwährender Spannung, in einer steten Krisis, in der man sie auch ruhig lassen und sie sich selbst aus ihr herausarbeiten lassen sollte, weil sie ein Wort des Tadels noch hartnäckiger, ein Wort des Lobes jedoch leicht übermüthig

{175} macht. Da sie aber meist Ruhmsucht und nicht genug Gewalt über sich besitzen, der Welt gegenüber mit ihren Werken zurückzuhalten, so kann dieser natürlich das Unausgebildete und Zweideutige ihres Wesens nicht entgehen. Eben deshalb, weil in solchen Charakteren und Compositionen noch kein System und Stil beim Namen genannt werden kann, täuscht man sich auch oft in ihnen und über ihre Zukunft und sagt vielleicht Schlimmeres voraus, als geschieht. Das letzte wünschen wir in Bezug auf Lachner von ganzem Herzen und begeben uns von selbst aller divinatorischen Kritik. Nehme er dieses Wort, das mehr eine ganze Classe und Lachner nur theilweise trifft, als den Ausspruch Vieler an, die, über seine künstlerischen Anlagen durchaus einverstanden, das Nebengefühl nicht unterdrücken können, daß von ihm Höheres zu erwarten stände, wenn er den Beifall des großen Haufens dem schwerer wiegenden Lobe seiner Kunstgenossen aufopfern wollte. {{Right|2.

F. Mendelssohn, Sonate (in E), Werk 6. F. Schubert, Erste große Sonate (A moll), Werk 42.

    „      „              Zweite große Sonate (in D), Werk 53.
    „      „              Phantasie oder Sonate (in G), Werk 78.
    „      „              Erste große Sonate zu 4 Händen (in B), Werk 30.

Die Davidsbündler haben in verschiedenen Blättern von den neu erschienenen Sonaten berichtet. Sie wüßten diese Kette kaum mit edleren Diamalntschlössern zu schließen als mit den obigen Sonaten, d. h. mit dem Schönsten, was seit Beethoven, Weber, Hummel und Moscheles in diesem ihnen am werthesten Kunstgenre der Pianofortemusik erschienen ist. Hat man sich endlich einmal durchgearbeitet durch den hundertfachen Plunder, der sich unbequem um einen aufhäuft, so tauchen solche Sachen ordentlich wie Palmenoasen in der Wüste hinter dem Notenpult herauf.

Aus dem Kopf könnten wir sie recensiren, da wir sie (wir wollen uns heute des feierlichen Schlusses halber die Plural-Krone des „Wir“ aufsetzen) auswendig wissen seit vielen Jahren. Wir brauchen wohl nicht daran zu erinnern, wie diese Compositionen vielleicht schon seit acht Jahren gedruckt und wahrscheinlich vor noch länger componirt sind, denken jedoch beiläufig daran, ob es überhaupt nicht besser, alles nicht eher als nach so lang verflossener Zeit anzuzeigen. Man würde erstaunen, wie wenig es dann zu recensiren gäbe, und wie schmalleibig musikalische Zeitungen ausfallen würden und wie gescheut man worden. Nur was Geist und Poesie hat, schwingt fort für die Zukunft und je

{176} langsamer und länger, je tiefere und stärkere Saiten angeschlagen waren. Und wenn auch den Davidsbündlern die meisten Jugendarbeiten Mendelssohns wie Vorarbeiten zu seinen Meisterstücken, den Ouverturen, vorkommen, so findet sich doch im Einzelnen so viel Eigenthümlich-Poetisches, daß die große Zukunst dieses Componisten allerdings mit Sicherheit voraus zu bestimmen war. Auch ist es nur ein Bild, wenn sie sich ihn oft mit der rechten Hand an Beethoven schmiegend, zu ihm wie zu einem Heiligen aufschauend, und an der andern von Carl Maria von Weber geführt denken (mit welchem letzteren sich schon eher sprechen lässt), — nur ein Bild, wie sie ihn endlich aus dem schönsten seiner Träume, dem „Sommernachtstraum“, aufwachen sehen, und wie jene zu ihm sagen: „du bedarfst unser nicht mehr, fliege deinen eignen Flug“, — indeß es steht nun einmal da.

Klingt also in dieser Sonate auch vieles an, so namentlich der erste Satz an den schwermüthig sinnenden der letzten A dur-Sonate von Beethoven, und der letzte im Allgemeinen an Webersche Weise, so ist dies nicht schwächliche Unselbständigkeit sondern geistiges Verwandtsein. Wie das sonst drängt und treibt und hervorquillt! So grün und morgendlich alles wie in einer Frühlingslandschaft! Was uns hier berührt und anzieht, ist nicht das Fremde, nicht das Neue, sondern eben das Liebe, Gewohnte. Es stellt sich nichts über uns, will uns nichts in Erstaunen setzen; unsern Empfindungen werden nur die rechten Worte geliehen, daß wir sie selbst gefunden zu haben meinen. Sehe man nur selbst zu!“

Wir kommen zu unsern Lieblingen, den Sonaten von Franz Schubert, den Viele nur als Liedercomponisten, bei Weitem die Meisten kaum dem Namen nach kennen. nur Fingerzeige können wir hier geben. Wollten wir im Einzelnen beweisen, für wie hochstehende Werke wir seine Compositionen erklären müssen, so gehört das mehr in Bücher, für die vielleicht noch einmal Zeit wird.

Wie wir denn alle drei Sonaten, ohne tausend Worte, geradezu nur „herrlich“ nennen müssen, so dünkt uns doch die Phantasiesonate seine vollendetste in Form und Geist. Hier ist alles organisch, athmet

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      * Gestrichen: „Noch zeigen wir auf die verbindende Recitativfuge, da wir nichts Aehnliches in dieser Art kennen. S. 14 T. 7 fällt uns etwas auf, weil es später wiederkehrt. Dadurch, daß wir es verschweigen, wollen wir zur Neugierde und zum Durchstudiren reizen. Im Ueberschritte von demselben Tact zum folgenden liegt ein sehr reizender Pedaleffect, den man nicht übersehen möge.“
        [Das Auffällige in dem bezeichneten Tacte ist eine Octavenfortschreitung.]

{177} alles dasselbe Leben. Vom letzten Satz bleibe weg, wer keine Phantasie hat, seine Räthsel zu lösen.

Ihr am verwandtesten ist die in A mol. Der erste Theil so still, so träumerisch; bis zu Thronen könnte es rühren; dabei so leicht und einfach aus zwei Stücken gebaut, daß man den Zauberer bewundern muß, der sie so seltsam in- und gegeneinander zu stellen weiß.

Wie anderes Leben sprudelt in der muthigen aus D dur — Schlag auf Schlag packend und fortreißend! Und darauf ein Adagio, ganz Schubert angehörend, drangvoll, überschwenglich, daß er kaum ein Ende finden kann. Der letzte Satz paßt schwerlich in das Ganze und ist possirlich genug. Wer die Sache ernsthaft nehmen wollte, würde sich sehr lächerlich machen. Florestan nennt ihn eine Satire auf den Pleyel-Vanhalschen Schlafmützenstil; Eusebius findet in den contrastirenden starken Stellen Grimassen, mit denen man Kinder zu erschrecken pflegt. Beides läuft auf Humor hinaus.

Die vierhändige Sonate halten wir für eine der am wenigsten originellen Composiionen Schuberts, den man hier nur an einzelnen Blitzen erkennen kann. Wie vielen andern Componisten würde man einen Lorbeer aus diesem einzigen Werke flechten! — im Schubertschen Kranz guckt es nur als bescheidenes Reis heraus; so sehr beurtheilen wir den Menschen und Künstler immer nach dem Besten, was er geleistet. —

Wenn Schubert in seinen Liedern sich vielleicht noch origineller zeigt als in seinen Instrumentalcompositionen, 50 so schätzen wir diese als rein musikalisch und in sich selbständig eben so sehr. Namentlich hat er als Componist für das Clavier vor Andern, im Einzelnen selbst vor Beethoven, etwas voraus (so bewundernswürdig fein dieser übrigens in seiner Taubheit mit der Phantasie hörte), — darin nämlich, daß er claviergemäßer zu instrumentiren weiß, das heißt, daß alles klingt, so recht vom Grunde, aus der Tiefe des Claviers heraus, während wir z. B. bei Beethoven zur Farbe des Tones erst vom Horn, der Hoboe u. s. w. borgen müssen. — Wollten wir über das Innere dieser seiner Schöpfungen im Allgemeinen noch etwas sagen, so war' es dieses.

Er hat Töne für die feinsten Empfindungen, Gedanken, ja Begebenheiten und Lebenszustände. So tausendgestaltig sich des Menschen Dichten und Trachten bricht, so vielfach die Schubertsche Musik. Was er anschaut mit dem Auge, berührt mit der Hand, verwandelt sich zu Musik; aus Steinen, die er hinwirft, springen, wie bei Deukalion und Pyrrha, lebende Menschengestalten. Er war der Ausgezeichnetste

{178} nach Beethoven, der, Todfeind aller Philisterei, Musik im höchsten Sinne des Wortes ausübte. —

Und so sei er es, dem wir, wo die Jahresglocke schon zum letzten Schlag aushebt, noch einmal im Geiste die Hand drücken. Wolltet ihr trauern, daß diese schon lange kalt und nichts mehr erwidern kann, so bedenket auch, daß, wenn noch Solche leben wie Jener, von dem wir vorher gesprochen, das Leben noch lebenswerth genug ist. Dann sehet aber auch zu, daß ihr, wie Jener, euch immer selbst gleichkommt, dem Höchsten nämlich, was von höherer Hand in euch gelegt. —

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{179}

1836.

{180}

[leer]


{181}

Ouverture zum Märchen von der schönen Melusine.

Von F. Mendelssohn Bartholdy.

(Zum erstenmal 51 in Leipziger Concerten gehört im December 1835.)

Vielen macht nichts größere Sorge, als daß sie nicht dahinter kommen können, welche der Ouverturen von Mendelssohn eigentlich die schönste, ja beste. Schon bei den früheren hatte man vollauf zu thun und zu beweisen, — jetzt tritt noch eine vierte hervor. Florestan theilt deshalb die Parteien in Sommernachtsträumler (bei Weitem die stärkste), in Fingaller* (nicht die schwächste, namentlich beim andern Geschlechte) u. s. w. ein. Die der Melusinisten möchte man allerdings die kleinste heißen, da sie zur Zeit, außer zu Leipzig, nirgends in Deutschland gehört worden ist, und England, wo die philharmonische Gesellschaft sie als ihr Eigenthum zuerst aufführte, nur im Nothfall als Reserve zu gebrauchen wäre.

Es gibt Werke von so feinem Geistesbau, daß die bärenhafte Kritik selbst wie verschämt davortritt und Complimente machen will. Wie dies schon bei der Sommernachtstraum-Ouverture der Fall war (wenigstens erinnere ich mich über selbige nur poetische Recensionen [wär’s kein Widerspruch] gelesen zu haben), so jetzt wieder bei der zum Märchen von der schönen Melusine.

Wir meinen, daß, sie zu verstehen, Niemand die breitgesponnene, obwohl sehr phantasiereiche Erzählung von Tieck zu lesen sondern höchstens zu wissen braucht: daß die reizende Melusine von heftiger

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      * Die Ouverture zur Fingalshöhle war bei der ersten Ausführung in Leipzig (4. December 1834) unter dem Titel: „Ossian in Fingals Höhle“ angekündigt. Ursprünglich nannte Mendelssohn sie „Ouverture zur einsamen Insel“. (Brief vom 10. December 1830.)

{182} Liebe entbrannt war zu dem schönen Ritter Lusignan und ihn unter dem Versprechen freite, daß er sie gewisse Tage im Jahre allein lassen wolle. Einmal bricht’s Lusignan — Melusine war eine Meerjungfrau — halb Fisch, halb Weib. Der Stoff ist mehrfach bearbeitet, in Worten wie in Tönen. Doch darf man eben so wenig, wie bei der Ouverture zu Shakespeares Sommernachtstraum, in dieser einen so groben historischen Faden fortleiten wollen.* So dichterisch Mendelssohn immer auffaßt, so zeichnet er auch hier nur die Charaktere des Mannes und des Weibes, des stolzen ritterlichen Lusignan und der lockenden hingebenden Melusine; aber es ist, als führen die Wasserwellen in ihre Umarmungen und überdeckten und trennten sie wieder. Und hier mögen wohl in Allen jene lustigen Bilder lebendig werden, bei denen die Jugendphantasie so gern verweilt, jene Sagen von dem Leben tief unten im Wellengrund voll schießender Fische mit Goldschuppen, voll Perlen in offenen Muscheln, voll vergrabener Schätze, die das Meer dem Menschen genommen, voll smaragdener Schlösser, die thurmhoch über einander gebaut u. s. w. — Dieses, dünkt uns, unterscheidet die Ouverture von den früheren, daß sie derlei Dinge, ganz in der Weise des Märchens, wie vor sich hin erzählt, nicht selbst erlebt. Daher scheint auf den ersten Blick die Oberfläche fogar etwas kalt, stumm: wie es aber in der Tiefe lebt und webt, läßt sich deutlicher durch Musik als durch Worte aussprechen, weshalb auch die Ouverture (wir gestehen es) bei Weitem besser als diese Beschreibung davon. —

Was sich nach zweimaligem Anhören und einigen zufälligen Blicken in die Partitur über die musikalische Composition sagen läßt, beschränkt sich auf das, was sich von selbst versteht — daß sie von einem Meister in Handhabung der Form und der Mittel geschrieben ist. Das Ganze beginnt und schließt mit einer zauberischen Wellenfigur, die im Verlauf einigemal auftaucht, und hier wirkt sie, wie schon angedeutet, so, als würde man vom Kampfplätze heftiger menschlicher Leidenschaften plötzlich hinaus in das großartige, erdumfassende Element des Wassers versetzt, namentlich da, wo es von As durch G nach C modulirt. Der Rhythmus des Ritterthemas in F moll würde durch ein noch laugsameres Tempo an Stolz und Bedeutung gewinnen. Gar zart und anschmiegend klingt uns noch die Melodie in As nach, hinter der wir

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       * Ein Neugieriger frug einmal Mendelssohn, was die Ouverture zur Melusine eigentlich bedeute. Mendelssohn antwortete rasch: „Hm — eine Mesalliance“. [Sch. 1852.]

{183} den Kopf der Melusine erblicken. Von einzelnen Instrumentaleffecten hören wir noch das schöne B der Trompete (gegen den Anfang), das die Septime zum Accorde bildet, — ein Ton aus uralter Zeit.

Anfänglich glaubten wir die Ouverture im Sechsachtel-Tacte geschrieben, woran wohl das zu rasche Tempo der ersten Aufführung, die ohne Beisein des Componisten stattfand, Schuld war. Der Sechsviertel-Tact, den wir dann in der Partitur sahen, hat allerdings ein leidenschllftloseres, auch phantastischeres Ansehen und hält jedenfalls den Spieler ruhiger; indeß dünkt er uns immer wie zu breit und gedehnt. Es scheint dies Vielen vielleicht unbedeutend, beruht jedoch auf einem nicht zu unterdrückenden Gefühle, das wir freilich in diesem Falle nur ausbrechen, nicht als richtig beweisen können. So oder so geschrieben bleibt die Ouverture, wie sie ist. {{Right|2.

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* Manuscripte.

H. Neumann (in Köln),

erste Symphonie für Orchester. Partitur.

Bringt das Wort „Symphonie“ allein schon unser Blut in Wallung, so vorzüglich eine geschriebene (zumal in einer Zeit, wo über sieben und fünfzig eben so viel Damoklesschwerter schweben),* — eine geschriebene, von der noch Niemand weiß als der Vater, der sie lange im Verwahrsam gehalten, hundertmal umgewandt, bis es wie ein Blitz ihm durch den Kopf geht, daß man sie ja der Welt zeigen oder vor die Barre einer Redaction stellen könne. Mit einiger Heftigkeit daher fahren wir nach Partituren, da man ja nicht wissen kann, welcher verkannte, in irgend einer Weltecke vergrabene zukünftige Beethoven sie gemacht hat. — Die vorliegende rührt von einem kenntnißreichen Musiker her, dem vielleicht nur Reibung an anderen zu wünschen wäre, damit das eigene Innere mehr zum Vorschein käme. Er schreibt in jener leichten Art des Ernstes, wie wir ihn an der Haydnschen Schule lieben, dabei correct, klar, übersichtlich, mit einem Worte einnehmend; vor Allem weiß er geschickt und wirkungsvoll zu instrumentiren. Die ersten Theile des Scherzos scheinen uns das Eigenthümlichste an der

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         * bezieht sich auf das Preisausschreiben der Wiener Concerts spirituels. Vergl. „Die Preissymphonie“.

{184} Symphonie; die gewöhnliche Melodie des Trios müßte im Verlaufe durch feinere Arbeit (Einwebung einer Mittelstimme oder eines sonstigen Gegensatzes) interessanter gemacht werden, wie es im letzten Satze der Fall, wo die Violinen das Hauptthema mit einem neuen Gedanken begleiten. Die Einleitung zum ersten Satze klingt zu sehr nach Don Juan, weshalb wir eine andere vorschlagen. — Die Phantasie zu bereichern, rathen wir dem Componisten, die Partituren der letzten Symphonieen von Beethoven zu lesen, wie aus seiner ein gründliches Studium der älteren überall wahrzunehmen ist. Was der Fleiß kann, möge der höhere Muth zur Blüthe bringen. Wir wünschen es von Herzen.

W. Schüler (in Rudolstadt),

Adagio und Rondo aus einem Pianoforteconcert. Partitur.

Die Ansicht des Manuscriptes gibt noch den Vortheil, schon nach dem Charakter der Handschrift auf den der Musik zu schließen — und das obige ist so sauber, so ängstlich reinlich und radirt, daß wir ganz recht gleich im voraus die Musik dem ähnlich tarnten. — Das Adagio verdankt seine Entstehung, wie so vieles, einem Zufalle. Im Freien sitzend, zeichnete sich der Componist Linien in den Sand, aus denen ihm endlich eine musikalische Figur anlachte. Der Satz ist in seiner Einfachheit ausdrucksvoll, übrigens nur von drei Violoncells begleitet. Vom Rondo gesteht der Componist in einem der Partitur beigelegten Briefe, daß er damit einen Rückschritt zur alten Simplicität bezwecke. Da wird er an die Thüren pochen müssen, eingelassen zu werden. Wir sind keine Freunde von Rückschritten und wünschen eine Krankheit lieber durch eine starke Natur überwältigt, als durch kleine künstliche Mittel aus ein paar Augenblicke gehoben. Also vorwärts, Freunde! auf dem Gipfel wollen wir uns umsehen — eher nicht.

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Etuden für Pianoforte.

Kein Genre der Pianofortemusik hat so viel Treffliches aufzuweisen als das der Etuden. Die Ursache liegt nah: die Form ist eine der leichtesten und anziehendsten, der Zweck, für den gearbeitet wird, so klar und festgesetzt, daß man nicht fehlen kann. Wir stellen unten {185} übersichtlich Etuden mehrerer Componisten zusammen, theils ältere, die zum Theil übersehen, theils neuere, die noch nicht öffentlich besprochen worden sind. Im Allgemeinen schicken wir voraus, daß die zu besprechenden nur als Specialitäten anzusehen sind, als Verbindungsfäden, die sich zwischen den Epochen bezeichnenden Meister-Etuden von Cramer, Clementi, Moscheles und Chopin hindurchziehen, im Einzelnen aber manches Vorzügliche enthalten, weshalb sie von Zeit zu Zeit vorzunehmen sein möchten.

I. P. Pixis, Etuden in Walzerform. Werk 80.

Im weitesten Sinne ist jedes Musikstück eine Etüde und das leichteste oft die schwerste. Im engen müssen wir aber an eine Studie die Forderung stellen, daß sie etwas Besonderes bezwecke, eine Fertigkeit fördere, zur Besiegung einer einzelnen Schwierigkeit führe, liege diese in der Technik, Rhythmik, im Ausdruck, im Vortrage u. s. w.; finden sich untermischte Schwierigkeiten, so gehört sie dem Genre der Caprice an; dann thut man eben so wohl und besser, das Studium auf größere zusammenhängende Concertsätze zu verwenden, die in neuerer Zeit, wie bekannt, alle Arten Difficultäten enthalten und vollauf zum Studiren geben.

Die obige Forderung festgehalten, so kommen ihr, wie sich von dem auch als Lehrer geschätzten Componisten erwarten ließ, diese Miniaturetuden fast immer nach. Sollten Manche solchen pädagogischen Schmeichelmitteln nicht hold sein, so sollen sie doch bedenken, daß man ein Kind, ein Mädchen nicht täglich mit Tonleiter- und Fingerübungen-Spielen quäle, sondern zur rechten Zeit etwas Tanzliches einstreue. Im Gegensatz daher zu manchem berühmten Claviermeister greifen wir den berühmten Satz, „junge Seelen sollen keine Tänze spielen sondern womöglich gleich Beethoven“, als falsch an (ebenso wie den, daß sie nichts auswendig lernen sollen) und empfehlen diese Walzer als nützliche Intermezzi, als fingergut, artig, lebhaft und musikalisch. — Unter den Bässen des neunten Walzers steht das Wort Cornemuse. Wir erinnern uns genau, wie uns das Wort früher beunruhigte (die Etuden sind schon 8 —10 Jahre alt), da wir etwas Musenartiges dahinter vermutheten, bis wir endlich im Lexikon einen „Dudelsack“ fanden. Es scheint dies Wort eine Bereicherung der kritischen Terminologie, von dem nicht einmal Herr Gollmick in seiner weiß und das unter manche **sche

{186} Composition gehörte. Dabei (wir sind einmal im Kleinlichen) fällt uns die „Iris“ ein, die neulich hinter dem Worte Ecco, das im letzten Satze des zweiten Herzschen Concertes vorkommt, einen lateinischen Fingerzeig, aufzumerken, über die Schönheit der Composition nachzusinnen, sehen wollte, — während das Wort wohl kaum mehr als Echo bedeutet, d. h. Wiederholung einer Phrase wie aus der Ferne.

I. Pohl, Divertissements oder Exercices in Ecossaisenform. Werk 6.

Die Divertissements sind dieselben, die wir schon früher unter dem Titel: Caprices en forme d’Anglaises anführten und dort nach Gebühr lobten.* Wir wiederholen nachdrücklich, was wir von ihnen rühmten, obgleich sie allerdings mehr in die Allgemeinheit des Capriccio ausschweifen und nur einige (1. 4. 6. 15. 16. 21.) ausgeprägte Etudenphysiognomieen tragen. Für das Ueberschlagen der Hände und das Eingreifen der Finger in die andern, wodurch eine so besondere Färbung hervorgebracht wird, ist am meisten gesorgt, übrigens für alle Gattungen von Schwierigkeiten, wie sie freilich nur Spielern erster Classe geboten werden dürfen. Als Composition muß man das Heft dem Besten der Genremusik gleichstellen, — ein wahrer Brillantenschmuck, wo jeder einzelne eine besondere Farbe trägt und alle aus derselben Mine gekommen scheinen, — Geist und Originalität auf jeder Seite, daneben schöner freier Satz und innige Kenntniß der Mittel des Instruments. Ob der Componist auch über größere Formen herrsche, wissen wir leider nicht, da wir von seinen anderen Compositionen, die der Hofmeistersche Katalog auszählt, nichts zu Händen bekommen konnten. Erfahren wir etwas darüber, so soll es der Leser auch. Noch berichtigen wir einen Irrthum mit großer Freude. Wir führten an der oben bezeichneten Stelle an, daß der Verfasser gestorben sein solle. Nach anderen guten Nachrichten lebt er indeß noch in Paris, soll sich jedoch von aller weltlichen Musik losgesagt haben und nur dem Studium des Contrapuncts leben. Wir führen dies an, da nach den obigen Ecossaisen die Zukunst des Componisten mehr der glänzenden Welt als dem engen Kloster anzugehören schien, — jene müßten denn, wie es auch vorkommt, in einer besonders aufgeregten Lebensepoche entstanden sein.

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          * Schumann machte schon 1832, in der Vorrede zu seinen Paganini-Studien (Werk 3) auf diese „wenig bekannten und sehr geistreichen“ Capricen aufmerksam.

{187} Maria Szymanowska, 12 Etuden.

Der Name wird Vielen eine schone Erinnerung sein.51 Wir hörten diese Virtuosin oft den weiblichen Field nennen, worin, diesen Etuden nach zu schließen, etwas Richtiges liegen mag. Zarte blaue Schwingen sind’s, die die Wagschale weder drücken noch heben und die Niemand hart angreifen möchte. Muß man es schon hoch anschlagen, wenn Frauen Etuden nur spielen, so noch mehr, wenn sie sie schreiben; dazu sind diese wirklich gut und bildend, namentlich für Erlernung von Figuren, Verzierungen, Rhythmen u. s. w. Sieht man auch überall das unsichere Weib, besonders in Form und Harmonie, so auch das musikalisch fühlende, das gern noch mehr sagen möchte, wenn es könnte. An Erfindung und Charakter heißen wir sie jedenfalls das Bedeutendste, was die musikalische Frauenwelt bis jetzt geliefert, wobei noch zu bedenken, daß sie schon vor langer Zeit geschrieben sind und deshalb vieles für neu und außerordentlich geschätzt werden muß, was nach und nach gewöhnlich und allgemein geworden.

I. C. Keßler, 34 Etuden. Werk 20.

Es wundert uns, daß wir in so vielen Heften eines Componisten, den wir anderweitig als einen Mann von Geist, sogar poetischem Geist schätzen gelernt haben, fast nichts als Fingerübungen, Trocknes, Formelles und Verstandesmäßiges fanden. Denn sie sind sämmtlich so nach einer Weise zugeschnitten, dabei so in die Länge und Quere gezogen, daß man sie nur sehr phantasievollen Spielern zur Abkühlung anempfehlen kann, daß minder feurigen, blos mechanischen Spielern hingegen für die wenige Fertigkeit mehr, die sie durch deren Studium erlangen, vollends die letzten Tropfen Blutes ausgezogen würden. — Der Schreibstil an und für sich ist übrigens rein, ausgebildet, kräftig und nähert sich dem Cramerschen, ohne dessen Reize zu besitzen. Besäße man nur immer Faustmäntel, um in der Stunde, wo Componisten ihre Manuscripte an die Verleger absenden, zu ihnen stiegen zu können! — Diesmal hätten wir nur Nr. 1, 3, 15, 18, 22 und 24 fortgelassen, die andern stehen kürzer und bündiger im Cramer, — und nehmen wir nur noch Nr. 5 aus, vor der wir, hat sie der Componift wirklich mit kreuzweis über einander geschlagenen Händen am Claviere componirt und nicht etwa auf dem Papiere transponirt, im Staube

{188} niederfallen; man wird so einen Fall nur durch Zuziehung der Noten begreiflich finden.*

H. Bertini, 25 Capricen oder Etuden. Werk 94.

Der Componist schlägt hier zwei Weltsaiten an, die tiefe pathetische und die hohe frivole, und vereinigt somit die Krone Bellinis und Aubers unter einem Hut. Im Grunde halten wir jedoch diesen jungen Componisten für einen etwas faden Patron, der wohl nach bei ersten Bekanntschaft (durch seine alteren Etuden) einen angenehmen Eindruck hinterließ, in der Länge aber unausstehlich wird. So ist denn in diesen Etuden ziemlich alles nur aufgewärmt, coquett, studirt — Lächeln, Seufzen, Kraft, Ohnmacht, Anmuth, Arroganz. Wir leben des Trostes, daß sich solcher Flitter nie lange in der Welt halten kann, und fallen weiter nicht darüber her: — aus gewissen Gründen empfehlen wir sogar denen, die sich in der großen Welt nicht zu benehmen wissen und doch in ihr leben wollen und leben müssen, diese Etuden als vorzüglich, da allgemeine Redensarten kaum mit mehr Eleganz und scheinbarer Tiefe ausgesprochen werden können, als es Bertini versteht, d. h. da er so außerordentlich claviergemäß und wohlklingend setzt, daß man sein Glück machen muß — bei reichen Wittwen und auch sonstig.

Wenden wir uns zu edleren Werken, zu den Etuden von C. Mayer. F. W. Grund. C. E. F. Weyse. F. Ries und L. Berger.

C. Mayer, 6 Etuden. Werk 31.

Dem Achilles gibt man einen Centauren zum Lehrer, schöne Spiele jedoch wollen wir bei den Grazien lernen. Die obigen Etuden sind welche, Grazien von anmuthiger Gestalt und hellem Angesichte.

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   * Die Etüde führt vier Seiten lang kreuzhändiges Spiel durch: 

#Notenbeispiel

{189} Wir Alle wissen noch von der Schule her, wie wir uns vor gewissen Lehrern ihrer Kälte und Strenge wegen beinahe fürchteten, während wir uns auf die „Stunden“ anderer ordentlich freuten. Aehnlich verhalten sich andere Etuden zu unsern; man bleibt mit Freude über die Zeit bei ihnen und sucht sie recht inne zu werden, da sie einen gleich von vornherein freundlich ansehen und durch nichts Schwierigverwickeltes abschrecken. Und dann stoßen wir oft auf traurige Gestalten, welche die Schulstube zusammengedrückt, stumm und scheu gemacht hat. Sie wissen, sind sie sich selbst überlassen, weder rechts noch links, — wissen nicht, wie sie es anfangen sollen, weiter zu kommen, — gehen zwei Schritte vor und wieder einen zurück. In solche erkältete Naturen Leben und Ton zu bringen, gebe man ihnen diese und ähnliche Etudencompositionen in die Hand, deren Schwierigkeiten der Möglichkeit der freien Darftellung nicht im Wege stehen.

Als Etuden besonders besehen, so erkennt man in ihnen den gründlichen Virtuosen, der sein Instrument, wenn auch nicht nach vielen Seiten hin, doch dessen eigentlichen charakteristischen Ton studirt hat, der dem Spieler nichts zumuthet, was er nicht nach und nach mit Sicherheit ausführen lernen könnte, der, mit einem Worte, etwas Unclaviermäßiges gar nicht mehr erfinden kann. Erwarte man also keine gefährlichen Zickzackläufe oder Riesensprünge, sondern eben Graziengänge und Windungen, welche die Glieder minder kräftigen als frei und geschmeidig machen. Die erste und dritte scheinen etwas aufgeregter, doch wallt nichts über den Rand. Die zweite ist durchaus liebenswürdig, vom zweiten Theil an gut gesetzt, übrigens nützliche Uebung. Der Charakter der vierten erinnert an eine von Moscheles in E; sie würde durch Verkürzung gewinnen, indeß bleibt sie auch lang lieblich genug. Mit der fünften scheint ein Rondo angelegt, das wir, ausgeführt wünschten. Die letzte gefällt uns als Composition am wenigsten; es fehlt ihr ein rhythmischer belebender Gedanke, den wir der linken Hand gegeben hätten; als Uebung für die Geläufigkeit der rechten Hand rathen wir sie oft zu spielen.

F. Ries, 6 Exercices. Werk 31.

Wir genügen hier nur der Pflicht der Pietät gegen das Jugendwerk eines Meisters, dessen hohe Verdienste um die Ausbildung des Clavierspiels nicht vergessen werden dürfen. Mit Lust erinnere ich mich noch des Tages vor länger als zehn Jahren, wo mir dieses Heft

{190} in die Hände fiel. Alles dünkte mir riesig, unüberwindlich, namentlich die erste sonderbar verschränkte, ausgezackte, und die in D dur, wo Achtel, Triolen und Sechzehntheile übereinander gebaut sind, und bei der mein Lehrer äußerte: „sie sei zehnmal leichter zu componiren als zu spielen“, was ich damals nicht verstand. Die Schwierigkeit betreffend, änderte sich nachmals meine Meinung und nur der Respect vor diesen Etuden ist derselbe geblieben. Wir legen sie von Neuem Jedem und Allen ans Herz,

F. W. Grund, 12 große Etuden. Werk 24.

Vielleicht daß Mancher die Hand sieht, mit der wir diese Etuden (wie die nachfolgenden von Weyse und Berger) hoch über die Fläche mittelmäßiger Werke halten, welche Ausgezeichnetes weniger namhafter Künstler so oft zurückdrängen, öfters ganz überdecken. Sie sind dem Meister Moscheles gewidmet, und dürfen es sein; denn wir haben einen Künstler vor uns, der, was ihm von höherer Hand verliehen, auf die würdigste Weise ausgebildet und seiner Kräfte und Mittel sich bewußt, diese in ihrer Ausdehnung angewandt hat. Was uns die Etuden vorzüglich werth macht, ist, daß sie, eben so charakteristisch als technisch bildend, Nahrung für Hand und Geist zugleich bieten. Wir erinnern uns nirgends eine ausführliche Anzeige gelesen zu haben und geben diese. In der ersten ist eine Figur durchgeführt, die Finger der rechten Hand, namentlich die schwächeren zu stärken. Ein Zug, der dem Componisten beinahe Manier geworden, zeichnet diese Etüde wie ziemlich alle anderen aus, daß nämlich nach dem Ende hin gewöhnlich ein neuer melodischer Gedanke auftritt, wodurch die eigentliche Uebung wie etwas zurückgedrängt scheint, ohne jedoch ganz still zu stehn; es gefällt uns diese Weise ausnehmend. — Nr. 2. Uebung in Octaven und mehr als das: poetisches Bild von einer zarten Künstlerhand entworfen. — Nr. 3. Sanft und eben, ohne besondere Auszeichnung. Das Pedal heben wir erst zu Ende des Tactes auf, da die Vorhalte durch die vielen Hauptaccordnoten doch im Augenblicke zum Schweigen gebracht werden. In Bachs Exercices Heft 1 Nr. 2 steht eine ganz ähnliche Etüde. — Nr. 4 Leichtfertiges und Coquettes gelingt dem Componisten nur wenig, er ist zu deutsch dazu und mag’s getrost Andern überlassen. — In Nr. 5 lebt er wieder in seiner Sphäre, doch verliert das Stück aus Seite 14 System 3 an Spannung. — Nr. 6. In den Etuden von Cramer (Nr. 4. in C moll).


{191} Moscheles (Nr. 17 in Fis moll) und Ries (Nr. 1 in C moll) finden sich welche zu gleichem Zwecke. Die vorliegende scheint uns nicht frei genug geschaffen, mag aber, rasch, scharf Note auf Note gespielt, Effect machen. — Nr. 7. Gehört in die Gattung von Nr. 4. Als Uebung war sie uns ein alter Bekannter, der uns früher oft zu schaffen machte. — Nr. 8. Trefflich, Ossianischen Charakters. Die vorkommenden Quinten stören uns nicht; wir schätzen es sogar, daß er ihnen nicht pedantisch auszuweichen suchte. — Nr. 9. In Hummelscher Art. Die Fiorituren sind etwas steif und namentlich können wir den schmachtenden Ausgang wie Seite 25 im letzten Tact, Seite 26 Tact 5, gar nicht ausstehen. Die Art der Bearbeitung wie Seite 26 bei dem Wiederaustreten des Hauptgesanges steht dem Verfasser viel edler an. — Nr. 10. Die geistvollste und eigenthümlichste und zwar durchweg vom ersten bis zum letzten Tact. Wir streichen sie roth an. — Nr. 11. Schwierig, aber nützlich und dankbar. — Die letzte wird im Verlauf monoton, zumal schon die Figur in Nr. 7 verbraucht. Geistreicher, lebhafter Vortrag würde das Erstere vergessen machen.

C. E. F. Weyse, 8 Etuden. Werk 51.

Leider kennen wir von den Arbeiten dieses Componisten (der auch Symphonieen, Opern und Kirchenstücke geschrieben) nichts als die obigen Studien und Bravour-Allegros für Pianoforte. Bei den letzteren fällt uns der Ausspruch eines competenten Richters (Moscheles) ein, nach welchem Weyse durch dies eine Werk sich einen Platz unter den ersten lebenden Claviercomponisten gesichert hätte. Ein lobendes Privaturtheil darf wohl veröffentlicht werden, zumal hier, wo jeder Unbefangene ohne Weiteres einstimmen muß.

Die meisten der neu erscheinenden Etuden neigen sich mehr oder weniger der Schule dieses oder jenes Meisters zu (der Fieldschen, der Hummelschen, Cramerschen u. s. w.); die vorliegenden stehen durchaus selbständig und abgeschlossen da und vielleicht nur dem Stil Beethovens in etwas verwandt. Am liebsten (schreibt Eusebius irgendwo) möchte ich sie jenen einsamen Leuchtthürmen vergleichen, die über das Ufer der Welt hinausragen, während es freilich Geniusse höherer Art gibt, leicht und stolz wie Segel schwebend und neue Länder aufsuchend. Anders ausgedrückt: es finden sich einzelne Talente, die, weder der Allmacht des gerade herrschenden Genius noch der der Mode unterthan, nach eigenem Gesetze leben und schaffen; vom ersteren haben

{192} sie allerdings das an sich, was kräftigen und edlen Naturen überhaupt gemein: die Mode verachten sie aber geradezu, — und an dieser Unbeugsamkeit, ja Hartnäckigkeit, mit der sie alles, was einem Werben nach Volksgunst ähnlich sähe, von sich weisen, liegt es wohl, daß ihre Namen gar nicht bis zum Volke dringen, vielleicht zum Schaden Beider, obwohl das letztere natürlich am meisten verliert.

Was uns also hier geboten wird, rührt von einem Originalgeiste her, wie wir nicht viele aufzeigen können. Die erste Etüde gleich, wie gesund, deutsch und ritterlich! Die Farben sind ihm zu wenig zum Gemälde, er haut wie in Stein, und jeder Schlag trifft sicher. — In der zweiten singt eine Ballade, über welche tiefere Stimmen auf- und absteigen. Hier, wie in manchen anderen des Heftes, unterbricht der Componist den Faden der Etüde durch einen freien Gedanken; wir bemerkten etwas Aehnliches schon in den Grundschen Etuden, hier geschieht es indeß kühner und phantastischer. Die ganze Nummer ist ausgezeichnet. — In der dritten Nummer müssen Gesang und Begleitung vorsichtig geschieden werden; sie scheint uns jedenfalls zu lang und namentlich da, wo die linke Hand die Figur aufnimmt, melodieenleer: dagegen bietet sie eine gute Uebung im Staccato und im Eingreifen in die Obertasten. — Nr. 4 ist durchaus eigentümlich, in der Form etwas roh, aber phantastisch und überall Funken sprühend. — Die fünfte sticht nicht hervor, wird aber, sehr rasch, obwohl innerlich ruhig vorgetragen, der schönen reichen Harmonieen halber wohlthun. — Nr. 6 denken wir uns besser im Zweivierteltact; sie ist uns an Zartheit und Frische des Colorits die liebste. So wenig wir die Gefühlswegweiser der delirando u. a. leiden mögen, so wünschten wir doch für weniger lebhaft auffassende Spieler einige Schattirungen mehr angezeigt, namentlich in dieser, wo die ganze Wirkung von schöner Licht- und Schattenvertheilung abhängt. — Bei Nr. 7 fiel uns die Angabe des Metronoms auf: die der Zahl beigefügte halbe Note muß in eine Viertelnote corrigirt werden, und auch dann wird sie selbst einem guten Meister noch zu schaffen machen. Im Uebrigen zeichnet sich die Etüde wie durch Schwierigkeit so durch Glanz aus. — In Nr. 8 würden wir die Anfangsmelodie so spielen wie nachher, d. h. in Octaven; sonst klingt es zu dünn. Die Bemerkung ist klein gegen das, was uns die Etüde im Ganzen bietet, — was man je eher je besser selbst kennen lernen möge.

Mit wahrer Hochachtung schlagen wir die Etuden auf dem Clavier auf und erlaben uns daran. —

{193} Ludwig Berger, 12 Etuden. Werk 12.

Es kommt uns nicht in den Sinn, heute ein Werk empfehlen zu wollen, das, schon vielleicht vor 20 Jahren erschienen, von den ersten Autoritäten als ein muster- und meisterhaftes erklärt worden. Unbegreiflicherweise aber sind die Etuden nicht weit über die Kreise gedrungen, in denen Berger unmittelbar als Lehrer selbst wirkte — gerade diese Studien, die jeder Lernende auswendig wissen müßte, — ordentliche Platogespräche, wo das Wort der Weisheit zugleich aus dem Mund eines Dichters gekommen. — Was für Hoffnungen gründeten sich auf dieses Werk! — nicht als ob nicht in ihm selbst schon keine erfüllt lägen (denn schriebe nur jeder Mensch ein solches Heft, so stünde es gut um Alle), sondern weil man in diesen einzelnen Gedichten die Keime zu künftigen größeren Schöpfungen geborgen erblickte. Wem der Vorwurf zu machen ist, daß diese ausgeblieben — der Kritik, dem Publicum oder dem Componisten, entscheiden wir nicht; nur das wissen wir, daß der verehrte Meister vieles fertig geschrieben und namentlich ein zweites Heft Studien. So sprechen denn auch diese Zeilen weiter nichts als den Wunsch aus, sie nicht länger der Oeffentlichkeit vorzuenthalten. Als seine herzlichen Verehrer* bitten wir. {{Right|2.

VI Etudes de Concert comp. d’après des Caprices de Paganini par R. S. Oe. X.

Eine Opuszahl setzte ich auf obige Etuden, weil der Verleger sagte, sie „gingen“ deshalb besser, — ein Grund, dem meine vielen Einwendungen weichen mußten. Im Stillen hielt ich aber das X (denn ich bin noch nicht bis zur IXten Muse) für das Zeichen der unbekannten Größe und die Composition, bis auf die Bässe, die dichteren deutschen Mittelstimmen, überhaupt bis auf die Harmoniefülle und hie und da auf die geschmeidiger gemachte Form für eine echte Paganinische. Ist es aber löblich, die Gedanken eines Höhern mit Liebe in sich aufgenommen, verarbeitet und wiederum nach außen gebracht zu haben, so besitze ich vielleicht darauf einen Anspruch.

Paganini selbst soll sein Compositionstalent höher anschlagen als sein eminentes Virtuosengenie. Kann man auch, wenigstens bis jetzt, hierin nicht vollkommen einstimmen, so zeigt sich doch in seinen Compositionen und namentlich in den Violincapricen,** denen obige Etuden

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      * Ursprünglich: „Als seine Freunde und Schüler“
     ** Der Titel des Originals lautet: 24 Capricci per il Violino solo, dedicati agli artisti. Op. I, Milano, Ricordi.. [Sch.]

{194} entnommen und die durchgängig mit einer seltenen Frische und Leichtigkeit empfangen und geboren sind, so viel Demanthaltiges, daß die reichere Einfassung, welche das Pianoforte erheischte, dies eher festen als verflüchtigen möchte. Anders aber, als bei der Herausgabe eines früheren Heftes von Studien nach Paganini,* wo ich das Original, vielleicht zu dessen Nachtheil, ziemlich Note um Note copirte und nur harmonisch ausbaute, machte ich mich diesmal von der Pedanterie einer wörtlich treuen Übertragung los und möchte, daß die vorliegende den Eindruck einer selbständigen Claviercomposition gäbe, welche den Violinursprung vergessen lasse, ohne daß dadurch das Werk an poetischer Idee eingebüßt habe. Daß ich, dieses zu erlangen, namentlich in Hinsicht der Harmonie und Form,** vieles anders stellen, ganz weglassen oder hinzuthun mußte, versteht sich ebenso, wie daß es stets mit der Vorsicht geschah, die ein so mächtiger verehrter Geist gebietet. Es raubte zu viel Raum, alle Veränderungen und die Gründe anzuführen, warum ich sie gemacht, und ob es immer wohlgethan, überlasse ich der Entscheidung theilnehmender Kunstfreunde durch eine Vergleichung des Originals mit dem Pianoforte, was jedenfalls nicht uninteressant sein kann, .Mit dem Beisatz »de concert« wollte ich die Etuden einmal von den erwähnten früher erschienenen unterscheiden; dann aber schicken sie sich ihrer Brillanz wegen allerdings auch zum öffentlichen Vortrag. Da sie aber, was ein gemischtes Concertpublicum nicht gewohnt ist, meistens sehr frisch auf die Hauptsache losgehen, so würden sie am besten durch ein freies, kurzes, angemessenes Vorspiel eingeleitet. Von einzelnen Bemerkungen wünschte ich noch diese beachtet.54 In Nr. 2 wählte ich ein anderes Accompagnement, weil das tremulirende des Originals Spieler wie Zuhörer zu sehr ermüden würde. Die Nummer halte ich übrigens für besonders schön und zart und sie allein für hinreichend, Paganini eine erste Stelle unter den neueren italiänischen Componisten zu sichern. Florestan nennt ihn hier einen italiänischen Strom, der auf deutschem Boden mündet.

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      * Studien f. d. Pfte. nach Violincapr. v. Paganini. [W. 3.] Mit einem Vorwort53 etc. [Sch.]
    ** Man muß wissen, auf welche Weise die Etuden entstanden und wie schnell sie zum Druck befördert wurden, um manches im Original zu entschuldigen. Hr. Lipinski erzählte, daß sie in verschiedenen Zeiten und Orten geschrieben und von P. an seine Freunde im Manuscript verschenkt worden wären. Als später der Verleger, Hr. Ricordi, P. zu einer Herausgabe der Sammlung aufgefordert, habe dieser sie eilig aus dem Gedächtniß aufgeschrieben etc. [Sch.]

{195} Nr. 3 scheint für ihre Schwierigkeit nicht dankbar genug; wer sie indeß überwunden, hat vieles Andere mit ihr.

Bei der Ausführung von Nr. 4 schwebte mir der Todtenmarsch aus der heroischen Symphonie von Beethoven vor. Man würde es vielleicht selbst finden.55 — Der ganze Satz ist voll Romantik.

In Nr. 5 ließ ich geflissentlich alle Vortragsbezeichnungen aus, damit der Studirende Höhen und Tiefen sich selbst suche. Die Auffassungskraft des Schülers zu prüfen, möchte dies Verfahren sehr geeignet scheinen.

Ob die sechste von Einem, der die Violincapricen gespielt, im Augenblick wird erkannt werden, zweifle ich. Als Clavierstück ohne Fehl vorgetragen, erscheint sie reizend in ihrem Harmoniestrom. Noch erwähne ich, daß die überschlagende linke Hand (bis auf den 24. Tact) immer nur eine, die höchste nach obenzu gekehrte Note zu greifen hat. Die Accorde klingen am vollsten, wenn der überschlagende Finger der linken Hand scharf mit dem fünften der rechten zusammentrifft. Das folgende Allegro war schwierig zu harmonisiren. Den harten und etwas platten Rückgang nach E dur (Seite 20 zu 21) vermochte ich wenig zu mildern, oder man hätte gänzlich umcomponiren müssen.

Die Etuden sind durchweg von höchster Schwierigkeit und jede von eigener. Die sie zum erstenmal in die Hand nehmen, werden wohlthun, sie erst zu überlesen, da selbst blitzesschnellste Augen und Finger, beim Versuch eines Prima-vista-Spiels, der Stimme zu folgen kaum im Stande sein würden.

Steht daher auch nicht zu erwarten, daß die Zahl derer, die diese Sätze meisterlich zu bewältigen vermöchten, sich in das Große belaufen werde, so enthalten sie doch in der That so viel Genialisches, als daß ihrer von denen, die sie einmal vollendet gehört, nicht öfters mit Gunst gedacht werden sollte.56 {{Right|Robert Schumann.

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Die Pianoforte-Etuden, ihren Zwecken nach geordnet.

Vielen Lernenden würden die Flügel sinken, wenn sie die Massen von Etudencompositionen ausgeschichtet sähen. Die folgende Tabelle soll ihnen das Ausfinden des Aehnlichen erleichtern. Wenn wir darin bis aus die über hundert Jahre alten Exercices von Bach* zurückgehen

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     * Exercices. Oeuv. 1. Sodann Exercices. Oeuv. 2. [Sch.]

{196} und zu deren sorgfältigstem Studium rathen, so haben wir Grund dazu; denn nehmen wir das aus, was wir durch Erweiterung des Umfangs unseres Instrumentes an Mitteln, wie durch die schönere Ausbildung des Toncharakters an Effecten gewonnen haben, so kannte er das Clavier in seinem ganzen Reichthum.* Und wie er alles gleich gigantisch anlegte, so componirte er nicht etwa 24 Etuden für die bekannten Tonarten, sondern für jede einzelne gleich ein ganzes Heft. Wie viel Clementi** und Cramer*** aus ihm schöpften, wird Niemand in Abrede stellen. Von da bis Moschelesϯ trat eine Pause ein. Vielleicht daß es der Einfluß Beethovens war, der, allem Mechanischen feind, mehr zum rein-poetischen Schaffen ausforderte. In Moscheles und noch in höherem Grad in Chopinϯϯ waltet daher neben dem technischen Interesse auch das phantastische. Hinter diesen fünf, die am größten hervorragen, stehen am originellsten L. Bergerϯϯϯ und C. Weyse.a Riesb und Hummelc haben ihren eigentlichen Stil klarer in freien Compositionen niedergelegt als gerade in Etuden. Als solid und tüchtig müssen Grundd und Keßlere genannt werden, auch A. Schmitt,f dessen einfache Klarheit jungen Herzen wohlthun muß. Kalkbrenner,g Czernyh und Herzi lieferten keine Riesenwerke, aber Schätzenswerthes wegen ihrer Instrumentkenntniß. Potterk und Hillerl dürfen ihres romantischen Geistes wegen nicht übergangen werden, auch die zarte Szymanowskam nicht und der freundliche C. Mayer.n Bertinio

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      * Gestrichen: „Wenn Unverständige ihn trocken nennen, so bedenken sie nicht, daß dieser tausendzackige Blitz in einem Augenblicke Sternen und Blumen berührte.“
     ** Gradus ad Parnassum.
    *** Etudes ou 42 exercices doigtés dans les différents Tons.
       ϯ Studien zur höheren Vollendung bereits ausgebildeter Clavierspieler. W. 70. 
      Ϯϯ 12 grandes Etudes.  Oe. 10.
     Ϯϯϯ 12 Etudes. Oe. 12.

a 8 Etudes. Oe. 51.

 b 6 Exercices. Oe. 31.
 c 25 Etudes. Oe. 125.
 d 12 grandes Etudes. Oe. 21.
 e 24 Etudes. Oe. 20.
  f Etudes. Oe. 16. Derselbe Componist hat noch eine Menge Hefte herausgegeben, die wir nicht einzeln aufzählen.

g 24 Etudes. Oe. 20.

  h eine zahllose Menge sehr nützlicher Unterrichtsstücke.

i Exercices et Préludes. Oe. 21.

 k 24 Etudes. Oe. 19.
  l 24 Etudes. Oe. 15.
 m 12 Etudes.
 n 6 Etudes. Oe. 31.
 o 25 Etudes caractéristiques. Oe. 66. [Sch.]

{197} täuscht, aber anmuthig. Wer Schwierigstes will, findet es in den Paganini-Etudenϯ des Unterzeichneten.ϯϯ {{Right|R. Schumann.

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Schnelligkeit und Leichtigkeit (lockeres Fortbewegen der Finger, zarter Anschlag). Rechte Hand. Clementi Nr. 52. — Cramer 12, 23, 27*,ϯϯϯ 36*. — Moscheles 1. — Chopin 4*, 5* (spielt nur auf Obertasten), 8*. — Grund 1. — Keßler 1, ähnlich Bertini 1. — Szymanowska 1. — Potter 3, 16. — Hiller 2*, 22*. — C. Mayer 6. — Kalkbrenner 4. — Paganini-Etuden II, 5.

Insbesondere: Uebungen für den vierten und fünften Finger. Clementi 19, 22, 47. — Cramer 3, 28. — L. Berger 7* — Potter 15*. — Bertini 12.

Linke Hand. Clementi 87. — Cramer 9. — Chopin 12*. — Berger 6*. — Keßler 16, 4, 6. — Hiller 18. — A. Schmitt 6, Heft II. 16.

Für beide Hände. Bach HeftI. Allemande, V. Préambule. — Clementi 2, 7, 16, 28, 36. — Ries 3. — Hummel 1.— Keßler 9, 14. — Szymanowska 4, 8 (besonders nützlich). — Potter 5, 20. — Hiller 17*. — Kalkbrenner 1. — Herz 13. Bertini 3. — Schmitt Heft II. 1.

Schnelligkeit und Kraft (schwerer Anschlag im raschen Zeitmaße, mehr melodischer Vortrag der einzelnen Noten u. s. w.).

Rechte Hand. Clementi 48. — Cramer 1. — Bertini 21.

Linke Hand. Cramer 16.

Für beide Hände. Bach Heft I. Courante, II. Allemande, III. Gigue, V. Courante. — Clementi 44. — Cramer 38. — Moscheles 14. — Hummel 12. — Keßler 10. — Hiller 13. — Paganini-Etuden Heft I. 1.

Anmerkung. In verschiedenen schwierigen Gegenbewegungen, wie im ganzen Charakter, sind sich folgende sehr ähnlich: Clementi 72. — Cramer 4*. — Moscheles 17. — Ries 1. — Grund 6. — Paganini-Etuden Heft II. 6.

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       ϯ Etudes [Oe. 3] und Etudes de Concert d’après des Caprices de Paganini. Oe 10. [Sch.]
      ϯϯ Gestrichen: „So prüfet alles und das Beste behaltet!“ 
     ϯϯϯ Die mit einem * bezeichneten Nummern haben überdem einen poetischen Charakter. [Sch.]

{198} Gebundenes Spiel (ein- und mehrstimmig). Vergleiche auch Liegenbleiben einzelner Finger,ϯ Bach Heft II. Courante, III. Phantasie*. — Clementi 29, 33 Canon (Meisterstück), 52, 71, 79, 86, 100 (letztere vier sind sich sehr ähnlich). — Cramer 30. — Moscheles 9*, 20. — Berger 10. — Szymanowska 7. — Hiller 9. Die beiden letzten namentlich für die linke Hand. — A. Schmitt Heft II. 22.

Staccato (vergleiche auch schnelles Hintereinanderanschlagen derselben Finger und Octavengänge). Hiller 1, 15.

Legato in der einen und Staccato in der andern Hand. Cramer 31*. — Keßler 18, 22. — Hiller 4.

Melodie und Begleitung in der einen Hand zugleich (vergleiche auch die nächste Rubrik). Clementi 91. — Cramer 5, 41. — Moscheles 5*. — Potter 2*. — Hiller 3*. Die letzten drei sehen sich ganz gleich. — Chopin 3*, 6*. — Berger 4*, 11*. — Weyse 6*. — Hummel 11. — Hiller 5*, 10, 16. — Szymanowska 4. — C. Mayer 3, 5. — A. Schmitt 2. Bertini 6, 9. — Paganini-Etuden II. 2.

Liegenbleiben einzelner Finger, während andere anschlagen (vergleiche auch Triller mit Nebennoten). Clementi 1, 3, 27, 35. 86, 99. — Cramer 20, 25*. — Weyse 2*. — Potter 11*. — Hiller 21. — Kalkbrenner 13. — Schmitt Heft II. 8.

Stilles Ablösen der Finger auf derselben Taste. Clementi 46, 96*. Hummel 24* (besonders schön). — Hiller 19.

Vollgriffigkeit, schneller Accordenwechsel. Moscheles 2.* — Chopin 11*. — Ries 2. — Grund 8. — Keßler 3, 15. — Szymanowska 5. — Potter 22. — Hiller 1, 11*. — A. Schmitt 11. — Kalkbrenner 14. — Paganini-Etuden II. 4, 6.

Spannungen. Rechte Hand. Clementi 30*, 36. — Cramer 21. — Chopin 1'. — Berger 1 *. — Weyse 7. — Hiller 20. — Bertini 11. — Schmitt Heft II. 6.

Linke Hand. Clementi 81. — Chopin 9*. — Keßler 20. — Hiller 7. — Bertini 19. — Schmitt II. 7.

In beiden Händen. Cramer 40. — Moscheles 11. — Chopin 11*. — Hummel 5, 17. — Potter 17 (der vorigen sehr ähnlich), 14. — Szymanowska 5. — Hiller 6, 23. — Kalkbrenner 8.

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      ϯ Hierher sind auch die verschiedenen Fugen in Bach, Clementi u. a. zu rechnen. [Sch.]

{199} Sprünge (vergleiche auch die nächste Rubrik). Clementi 76. — Moscheles 16 (besonderer Art). — Weyse 7. — Hummel 5. — Grund 10*, ihr ähnlich Ries 4. — Keßler 3, 12. 19. — Szymanowska 3, 9. — Potter 6. 23 (besonderer Art), 24. — Hiller 8.

Ineinandergreifen der Finger und Ueberschlagen der Hände. Bach Heft I. Gigue*, V. Menuet*. — Clementi 53. — Cramer 33, 34, 37. — Ries 2. — Weyse 5. — Hummel 21. — Keßler 5, 7, 13. — Potter 9. — Hiller 16*, 22. — Kalkbrenner 9, 22.— Herz 7, 19. — Bertini 10. — Paganini-Etuden II. 6.

Schnelles Anschlagen derselben Finger (vergleiche auch Staccato und Octavengänge). Clementi 1, 27, 55. —Moscheles 8*. — Weyse 1*. — Potter 12*. — Keßler 2, 15*. — C. Mayer 2. Werk 40, 2*. — Hiller 5*. — Kalkbrenner 14. — Bertini 7, 18, 24, 25. — A. Schmitt II. 25.

Octavengänge. Clementi 65, 21. — Hummel 8, —Grund 2 (ihr im Rhythmus sehr ähnlich: Hummel 18). — Keßler 8. — Szymanowska 12. — Potter 18. — Hiller 1, 5, 24, — Bertini 4.

Wechsel der Finger und Hände auf derselben Taste. Clementi 30, 34. — Moscheles 19, 22. — Chopin 7* (doppelgriffig). — Berger 5*. — Hummel 20. — Grund 5. — C. Mayer Werk 40. 1. — Keßler 2. — Herz 2. — Bertini 20. — Paganini-Etuden I. 5.

Vorschläge. Clementi 77, 97. — Hummel 2*.

Doppelschläge. Clementi 11, 37. — Keßler 24. — Kalkbrenner 10. — Szymanowska 11. — Potter 4.

Pralltriller. Bach Heft I. Prélude. — Clementi 66. — Hummel 13. — Grund 5. — Szymanowska 2. — Hiller 9.

Kurzer Triller mit Nachschlag. Moscheles 7* 10*. — Potter 8. — Hiller 23*. — Paganini-Etuden II. 3.

Langer Triller. Rechte Hand. Clementi 50. — Keßler 22. — Schmitt Heft II. 3 — Linke Hand. Berger 3*. — Potter 9. — Bertini 13.

Triller mit Begleitung anderer Stimmen in einer Hand zugleich. Clementi 25. — Cramer 11. — Potter 13. — Kalkbrenner 14, 23. — A. Schmitt II. 10.

Sextentriller. Kettentriller. Clementi 68, 88.

Doppelterzen und Sexten. Clementi 88. — Cramer 19, 35. — Moscheles 13*. — Hummel 3. — Keßler 23 (der vorigen sehr ähnlich). — Grund 12. — Potter 10. — Kalkbrenner 20 und 21. Bertini 4. — Paganini-Etuden I. — A. Schmitt Heft II. 11.

{200} Drei- und vierstimmige Uebungen in einer Hand. Clementi 23. — Potter 15*. — Hiller 19.

Chromatische Tonleiter mit begleitenden Tönen. Moscheles 3. — Chopin 2.

Schwierige Accentuation, Tacteintheilung und Rhythmus. Bach Heft VI. Gigue. — Clementi 83, 94, 95 (Onintolen-Uebung. S. auch Hiller 23*). — Moscheles 8*, 18*. — Chopin 10*. — Ries 5. — Hiller 2, 10, 16. — Kalkbrenner 17.

Anmerkung. Aehnliche Figuren und Rhythmen sind durchgeführt A) Hummel 10. — Grund 4. — Potter 7. — Bertini 14. — B) Hummel 19. — Weyse 7. — Potter 24. — C) Cramer 37. — Grund 11. — Keßler 11. — D) Weyse 1*. — Hiller 14. — Kalkbrenner 5.

Adagio mit Verzierungen. Moscheles 4*. — Hummel 16, 22. — Grund 9. — C. Mayer 4.

Uebungen für die linke Hand allein. Berger 9. — Ein besonderes Heft Etuden von Greulich (Werk 19).

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Tanzliteratur.

I. C. Kessler, Drei Polonaisen für Pianoforte. W. 25. S. Thalberg, 12 Walzer. W. 4. Clara Wieck, Romantische Walzer. W. 4. L. v. Meyer, Salon. 6 Walzer. W. 4. F. Schubert, Erste Walzer. W. 9. “ “ Deutsche Tänze. W. 33.

— „Und nun spiele, Zilia! Ich will mich ganz untertauchen in den Tönen und nur zuweilen mit dem Kopf vorgucken, damit ihr nicht meint, ich wär' ertrunken an der Wehmuth; denn Tanzmusik stimmt schmerzlich und schlaff, wie umgekehrt Kirchenmusik froh und thätig. wenigstens mich“ — sprach Florestan, während Zilia schon in der ersten Keßlerschen Polonaise schwebte. „Freilich wär' es schön“, fuhr jener fort halb hörend, halb sprechend, „ein Dutzend Davidsbündlerinnen machten den Abend zum unvergeßlichen und umschlängen sich zu einem Grazienfest. Jean Paul hat schon bemerkt, wie Mädchen eigentlich nur mit Mädchen tanzen sollten (wo es dann freilich manche Brautfeste


{201} weniger gäbe) und Männer (setz' ich hinzu) überhaupt nie.“ — „Geschähe es aber dennoch (fiel Eusebius ein), so müßte man beim Trio zu der Davidsbündlerin sagen: „so einfach bist auch du und so gut“ — und beim zweiten Theil wäre sehr zu wünschen, daß sie den Blumenstrauß fallen ließe, um ihn im Fluge aufheben und aufsehn zu dürfen ins dankende Auge.“ Dies alles aber stand mehr in Eusebs seinem und in der Musik, als er es geradezu wörtlich sprach. Florestan reckte nur manchmal den Kopf in die Höhe, namentlich bei der dritten Polonaise, die sehr glänzend und voll Hörner- und Geigenklang.

„Jetzt etwas Rascheres, und spiel' du den Thalberg, Euseb, Zilias Finger sind zu weich dazu“, sagte Florestan, hielt aber bald auf und bat, die Theile nicht zu wiederholen, da die Walzer zu wasserhell, namentlich der neunte, der auf eine Linie ginge, ja in einen Tact „und ewig Tonica und Dominante, Dominante und Tonica. Indeß ist’s gut genug für den, der unten zuhorcht.“ Der aber unten stand (ein Student), schrie nach dem Schluß im Ernst Da Capo und Alle mußten viel lachen über Florestans Wuth darüber und wie er ihm hinunterrief, er möge sich fortscheren und nicht durch ähnliche Aufmunterungen stören, sonst würde er ihn durch einen stundenlangen Terzentriller zum Schweigen bringen u. s. w.

Also von einer Dame? (würde ein Recensent bei den Valses romantiques anfangen). Ei, ei, da werden wir die Quinten und die Melodie nicht zu weit zu suchen brauchen.

Zilia hielt vier leise Mondschein-Accorde aus. Alle horchten aufmerksam. Auf dem Flügel lag aber ein Rosenzweig (Florestan hat an der Stelle der Leuchter immer Vasen mit Blumen), der von der Erschütterung nach und nach auf die Tasten geglitten war. Wie nun Zilia nach einem Baßton haschte, berührte sie ihn zu heftig und hielt inne, weil der Finger blutete, Florestan fragte, was es wäre? — „Nichts“, sagte Zilia, — „wie diese Walzer sind’s noch keine großen Schmerzen und nur Blutstropfen von Rosen hervorgelockt.“ Die aber dieses sagte, möge nie andre kennen lernen! —

Nach einer Pause stürzte sich Florestan in den Meyerschen Salon voll glänzender Gräfinnen und Gesandtinnen. Wie einem das wohlthut, Reichthum und Schönheit im höchsten Stand und Schmuck und oben droben die Musik; Alle sprechen und Niemand hört vom Andern, denn die Töne überschlagen in Wellen! „Dabei (preßte Florestan heraus) verlangt’s einem ordentlich nach einem Instrument mit einer Octave mehr links und rechts, damit man nur recht ausholen könne und

{202} schwelgen.“57 Man hat keine Vorstellung, wie Florestan so etwas spielt und wie er fortstürmt und fortreißt. Auch waren die Davidsbündler ganz erhitzt und riefen in der Aufregung (eine musikalische ist unersättlich) nach „mehr und mehr“, bis Serpentin zwischen den Walzern von Schubert und dem Bolero von Chopin zu wählen vorschlug. „Treff ich“ — rief Florestan und stellte sich in eine Ecke weit vom Flügel — „mich von hier aus aus die Claviatur stürzend, den ersten Accord aus dem letzten Satz der D moll-Symphonie, so gilt Schubert.“ Natürlich traf er. Zilia spielte die Walzer auswendig.

Erste Walzer von Franz Schubert, kleine Genien, die ihr nicht höher über der Erde schwebt, als etwa die Höhe einer Blume ist, — zwar mag ich den Sehnsuchtswalzer, in dem sich schon hundert Mädchengefühle abgebadet, und auch die drei letzten nicht, die ich als ästhetischen Fehler im Ganzen ihrem Schöpfer nicht verzeihe; — aber wie sich die übrigen um jenen herumdrehn, ihn mit duftigen Fäden mehr oder weniger einspinnen, und wie sich durch alle eine so schwärmerische Gedankenlosigkeit zieht, daß man es selbst wird und beim letzten noch im ersten zu spielen glaubt, — ist gar gut.

Dagegen tanzt freilich in den „deutschen Tänzen“ ein ganzer Fasching. „Und trefflich wär’s“, schrie Florestan dem Fritz Friedrich* ins Ohr, „du holtest deine Laterna magica, und schattetest den Maskenball an der Wand nach.“ — Der mit Jubel fort und wieder da.

Die folgende Gruppe gehört zu den lieblichsten. Das Zimmer matt erleuchtet — am Clavier Zilia, die verwundende Rose in den Locken — Eusebius im schwarzen Sammetrock über den Stuhl gelehnt — Florestan (desgleichen) auf dem Tische stehend und ciceronesirend — Serpentin, Walts Nacken umschlingend mit den Beinen und manchmal auf und ab reitend — der Maler à la Hamlet, mit Stieraugen seine Schattenfiguren auskramend, von denen einige spinnenbeinigte schon von der Wand zur Decke liefen. Zilia fing an und Florestan mochte ungefähr so sprechen, obgleich alles viel ausgearbeiteter:

Nr. 1. A dur. Gedränge von Masken. Pauken. Trompeten. Lichtdampf. Perückenmann: „es scheint sich alles sehr gut zu machen.“ — Nr. 2. Komische Figur sich hinter den Ohren kratzend und immer „pst, pst“ rufend. Verschwindet. — Nr. 3, Harlekin die Arme in die Hüften gestemmt. Kopfüber zur Thür hinaus. — Nr. 4. Zwei steise vornehme Masken, tanzend, wenig miteinander redend. — 5. Schlanker

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     * Dem tauben Maler. [Sch.)

{203} Ritter, eine Maske verfolgend: habe ich dich endlich, schöne Zitherspielerin? — „Laßt mich los.“ — Entflieht. — 6. Straffer Husar mit Federstutz und Säbeltasche. — 7. Schnitter und Schnitterin, selig miteinander walzend. Er leise: „bist du es?“ Sie erkennen sich. — 8. Pachter vom Land zum Tanz ausholend. — 9. Die Thürflügel gehn weit auf. Prächtiger Zug von Rittern und Edeldamen. — 10. Spanier zu einer Ursulinerin: „sprecht wenigstens, da ihr nicht lieben dürft.“ Sie: „dürft ich lieber nicht reden, um verstanden zu sein!... .“

Mitten aber im Walzer sprang Florestan vom Tische zur Thür hinaus. Man war so etwas an ihm gewohnt. Auch Zilia hörte bald auf und die Andern zerstreuten sich hierhin und dorthin.

Florestan pflegt nämlich oft mitten im Augenblick des Vollgenusses abzubrechen, vielleicht um dessen ganze Frische und Fülle mit in die Erinnerung zu bringen. Diesmal erreichte er auch, was er wollte — denn erzählen sich die Freunde von ihren heitersten Abenden, so gedenken sie allemal des 28sten Decembers 18**. {{Right|(Aus den Büchern der Davidsbündler.)

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Kritische Umschau.

Concerte für Pianoforte mit Orchester.

E. H. Schornstein, erstes Concert (Fmoll). Werk 1.

Auch ohne daß es auf dem Titelblatt stände, wäre der Schüler Hummels zu errathen gewesen. Warum aber solche Zusätze, die nur auf Vergleiche zwischen Lehrer und Schüler führen? Mag es bescheiden sein, so geht es doch die Oeffentlichkeit und die Kritik nichts an, die sich dadurch weder zum Für noch zum Wider bestechen läßt und sich an die Selbständigkeit der Leistung allein zu halten hat. So lange aber überhaupt der Künstler von dem Werke, das er zum Druck gibt, nicht die Ueberzengung hegt, daß er damit nicht blos die Masse vermehre sondern auch geistig bereichere, so lange warte und arbeite er noch. Denn was hilft die Wiederholung der Ideen eines Meisters, die wir frischer von der ersten Quelle weg genießen? — Selbständigkeit fehlt nun allerdings auch unserm Concert; indeß besitzt es andere Vorzüge, von denen wir nicht hoffen, daß er sie mit dem Verluste jener sich erkauft haben möchte.

{204} Die, wie allbekannt, in der Mozartschen Schule und namentlich in den Hummelschecn Compositionen so bewundernswerthe Schönheit der Form finden wir auch hier in glücklicher Nachbildung, und nicht allein als Nachschnitt der Manier, sondern als wirklich dem Componisten eingebornen Sinn für Verlhältniß und Einheit. Damit ist schon viel gewonnen und der Jünger wenigstens auf den letzteren der äußeren Stufen, nahe dem Vorhange, der noch das Allerheiligste verdeckt. gibt es nun einzelne Kühne, die durch die Kuppel einstiegen, andere, die den Schleier gewaltsam wegreißen, viele, die weder zum einen noch zum andern Kraft haben, so bleibt doch der Weg, den unser Componist betreten, der sicherste und heilbringendste. Strebt er aber nicht weiter, so soll es nicht unsere Schuld sein, die wir ihm nur Energie und eine gewisse Selbsterhebung zusprechen, ohne welche das Talent nichts Ausgezeichnetes erreicht.

Der Beisatz „erstes“ Concert läßt auf späterfolgende schließen, vielleicht daß der junge Künstler einiges aus diesen Zeilen für sich nützen kann. Gegen den Bau der Sätze findet sich, wie gesagt, nichts einzuwenden; er ist der der besten Vorbilder, hat Haupt, Rumpf und Fuß und schließt sich natürlich aneinander und zusammen.

Die einzelnen Gedanken des Concertcs, die Art, wie sie vorgebracht, dargestellt und gewendet, erhebt sich weder zum Außerordentlichen, noch sinkt sie gerade zum Gemeinen herab. Ueberall aber wünschten wir noch mehr Sichtung, Wahl und Verfeinerung. Der erste Entwurf des Ganzen bleibt allerdings immer der glücklichste; wodurch sich aber das Talent Achtung und seinem Werke Dauer verschaffen kann, das Detail, muß oft gemodelt und durchfeilt werden, damit das Interesse, das die Conception des großen Ganzen nicht gibt, dadurch wach gehalten werde. Dahin rechnen wir Eleganz der Passagen, Reiz des Accompagnements zu Gesangstellen, Colorit in den Mittelstimmen. Ausarbeitung und Verarbeitung der Themen, Gegeneinanderstellung und Verbindung verschiedener Gedanken, sei nun davon in das Orchester oder in die Solostimme oder in beide gelegt. Von alle diesem kommt wohl hier und da einzelnes vor, selten aber in dem Grade, daß man nicht dabei dächte, es könne noch anders und noch besser gemacht sein. Dem Componisten gegenüber wollten wir, was durch Aufzeichnung zu weitschweifig sein würde, alles gern nachweisen;“

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       * Am Schluß der Recension der hier fehlt! sind allerlei verfehlte Einzelheiten nachgewiesen worden.

{205} glaube er nur, daß, wo die Phantasie nicht ausreicht, der Verstand noch Erstaunliches zu Wege bringen kann. Sollte aber das Schwierige jener Forderungen den Componisten einschüchtern, so geben wir ihm einen andern, scheinbar fast entgegengesetzten Rath, den, sich nicht zum Schaffen anzustrengen, nicht täglich zu componiren, sondern durch Ruhe die Kräfte zu sammeln, das Bedürfniß, sich mitzutheilen, zu steigern und dann ohne Zögern sich seinem guten Geiste hinzugeben. Leider treffen wir nur auf zu viele junge Componisten, die, wenn man sie nach ihren Werken fragt, wie Leporellos ganze Rollen von Geliebten-Namen abwickeln, mit einigen Symphonieen anfangen und ein Dutzend Kleinigkeiten verächtlich anhängen. Schüttelt man über die Fruchtbarkeit den Kopf und bemerkt ihnen, wie solches zuletzt bankerott machen werde, so bekommt man zur Antwort: „daß man sich heut zu Tage in allen Genren versuchen müsse“ u. dgl. — oder am häufigsten gar keine. Verzichte aber unser Componist auf diefen Ruhm der Productivität und gebe er, da er die Kräfte dazu besitzt, statt mehrerer matten ein gesundes, wohlgerathenes Werk. {{Right|2.

'Th. Döhler', erstes Concert (in A), Werk 7.

Vier Fünftel der neusten Concerte, von denen wir unsern Lefern noch berichten werden, gehen in Moll, so daß es einem ordentlich bangt, die große Terz möchte gänzlich aus dem Tonsystem verschwinden. Als ich nun beim Aufschlagen des Döhlerschen Concerts A dur, die Tonart, die vor allen überströmt in Jugend und Kraft, und auf dem Titel schon im Voraus Lorbeerzweige fand, so hoffte ich endlich einem freundlichen Menschen zu begegnen, der mir vieles von dem schönen italiän, wo er so lange gereist, erzählen und dem ich als Dank dafür die Zweige zum Kranze flechten könnte. Im Anfang ging es auch ganz leidlich, doch schon in der Mitte warf ich, während ich auf der einen Seite spielte, einige hoffende Blicke auf die nebenstehende, denn der Mann mißfiel mir immer mehr, und zuletzt mußte ich ihm das aufrichtige Zeugniß geben, daß er noch keine Ahnung von der Würde der Kunst habe, für die ihm die Natur einige Anlagen geschenkt, wenn auch keine verschwenderischen, weshalb er um so bester Haus zu halten. Denn schreibt Jemand ein lustiges Rondo, so thut er Recht daran. Bewirbt sich aber Jemand um eine Fürstenbraut, so wird vorausgesetzt, daß er edler Geburt und Gesinnung sei; oder, ohne überflüssig bilden: zu wollen, arbeitet Jemand in einer so großen Kunstform, vor welche die Besten des Landes mit Bescheidenheit und

{206} Scheu treten, so muß er das wissen. Und das ist’s, was hier so aufbringt. Bemühten sich doch selbst die talentvollsten Tagescomponisten, Herz und Czerny, in ihren größeren Sachen etwas Werthvolleres zu liefern. Muthet uns aber ein Jüngerer und bei Weitem Talentloserer zu, was nicht einmal seine Schutzpatrone, so verdient er deshalb ausgezeichnet zu werden, wie es hiermit geschieht. Zum Besten des Componisten aber füge es sein guter Geist, daß ihm dieses Blatt, noch ehe er zum zweitenmal seine Sachen nach Italien einpackt, in die Hände falle, und er unsere Bitte in Betrachtung ziehe: aus zw Italien anzig Meilen im Umkreise das Land zu meiden, das uns unsere jungen, kräftigen Musiker fast immer verweichlicht und arbeitsuntüchtig zurückschickt. Italien hat seine Zaubergesänge, aber auch seine Componisten dazu, so daß es gar nicht nöthig, daß wir uns noch als plumpe Schweizer in ihre Reihen stellen, im herrlichsten Falle unser eignes Land anzufallen, — der Verachtung gar nicht zu gedenken, mit der von ihren neuen Freunden solche Ueberläufer gemessen werden. Wollt ihr aber dort für euch nützen, so bringt wenigstens so viel Einsicht mit hin, daß ihr über einem Gewinn nicht zehnfachen Verlust zu bedauern habt; also opfert der Weichheit nicht die Kraft, dem Putze nicht die Schönheit, mit einem Wort, der Schale nicht den Kern! Und auch du, lustige Kaiserstadt, die du übrigens manchen trefflichen Künstler zu den deinen zählen magst, erinnere deine jungen Künstler öfter daran, daß in deinen Mauern einer der größten Menschen der Zeit gelebt, als daß du sie in deiner liebenswürdigen Bonhommie antreibst, einen Weg fortzusetzen, der zuletzt aus eine Triebsandbank hinausläuft, in die sie himmlisch leicht und unter deinen tausendfachen Bravos immer tiefer und tiefer einsinken! {{Right|2.

'* F, Hiller', Concert (F moll). Werk 5.

Hillers verwickelten Charakter haben wir schon bei Besprechung seiner Etuden, eines jedenfalls später als das obige geschriebenen Werks zu schildern gesucht. Noch heute möchten wir kein Wort von damals missen; dieselben Gebrechen, dieselben Vorzüge, angeborene wie erworbene, die wir dort nachzeigten, finden wir auch in dieser jüngeren Arbeit — womöglich nur noch unklarer und wirrer durcheinander. Wahrhaftig, wir fürchten, sein Talent wird nie zu einer natürlichen Entwickelung gelangen; er hat zu früh in sich hineingestört, um alles wieder gut machen zu können. Vielleicht reut es ihn jetzt selbst, daß


{207} er dies Concert veröffentlicht, welches, wie es allerdings auch Spuren eines kühnen Geistes an sich trägt, das Forcirte der Frühgeburt nirgends verleugnen kann, — vielleicht kümmert es ihn auch nicht, sonst hätte er ja später durch die That beweisen können, daß er von seiner gewaltsamen Art, sich berühmt zu machen, zurückgekommen sei, — Junge Componisten müssen wir aber vor diesem „kleinen Beethoven“, wie ihn Heine ironisch genug genannt, ganz besonders warnen. Ist es auch nicht denkbar, daß Hiller jemals eine größere Partei für sich gewinnen wird, da ihm, um eine innigere Freundschaft zu schließen, gerade die Hauptsache fehlt, das Gemüth, so weiß er uns doch mit allerhand wunderlichen Geschichten zu unterhalten, welche Unerfahrene leicht für Wahrheit nehmen und gut oder schlecht weiter erzählen möchten. Und wie uns im Leben manche Menschen durch ihre Sonderbarkeiten, selbst Schroffheiten und Unarten eine Zeit lang interessiren können, so auch in der Kunst; man gewöhnt sich endlich daran und schlendert wohlgemuth Arm in Arm eine Strecke mit ihnen, bis man zum Glück auf einen Vernünftigen trifft, der uns die Augen öffnet und die Gefahr zeigt. Versäume man jedoch deshalb keineswegs die Bekanntschaft der Compositionen Hillers zu machen und nehme nur, um zum Urtheile zu kommen, darauf zur rechten Zeit etwas anerkannt Gesundes, Goldgediegenes (wie von Beethoven oder Mendelssohn) zur Hand, und wer dann noch zweifelt, hat freilich seinen Abschied von der Kunst so gut wie in der Tasche.

Um nun etwas über das Concert selbst zu sagen, so fällt vor Allem und noch mehr als in seinen Etuden, wo er sich hinter Figuren verstecken konnte, die Armuth an Cantilene auf. Es gibt ein Würfelspiel, nach dem man sich Walzer und Arien zu Dutzenden zusammensetzen kann; sie klingen auch wohl äußerlich, aber leblos zum Sterben. Die Hillerschen Gesangstellen erinnern mich beiläufig daran. Er wird es gewiß am besten wissen, wie ihm Stellen wie S. 3 Syst. 4 T. 2 und ff., S. 4 Syst. 4 T. 2 und ff., S. 5 Syst. 4 T. 3 und ff., S. 8 T. 2 und ff., das ganze Adagio u. s. w. sauer geworden; wir würden ihm auch gerne den Mangel an der Göttergabe des Gesanges nachsehn, wenn er sie nur nicht affectiren wollte. Hierzu kommt noch, daß er, was ihm bei seinen Kenntnissen gar nicht schwer fallen könnte, seine Melodieenleere nicht einmal durch die Harmonie irgend zu heben sucht. Mit einem Federstriche waren so schale Bässe wie z. B. S. 3 Syst. 5, S. 5 Syst. 5 zu 6, so widerwärtige Verdoppelungen wie S. 3 T. 1 (sonderbarer Weise dieselbe Terz G, die wir bei den Etuden

{208} rügten),* wegzubringen oder zu bessern. Warum schreibt er aber schlechter als er kann? Warnm fragt er nicht Andere, wenn er seinem Ohre nicht mehr traut? Meister konnen wir nicht Alle sein, aber musikalisch und Musiker, das wird verlangt.

Wie gesagt, es ist traurig, wie neben so vielem wirklich Geistvollen und einzelnem Reizenden in diesem Concerte so viel Fades und Häßliches steht; keine Minute hält er aus, keine halbe Seite bleibt er sich gleich; wo man ausruhen will, stößt er ab, wo er fortreißen sollte, tritt er einem entgegen, und so geht es bis zum Schluß, wo man verdrießlich wie nach einer durchschwärmten Nacht auswacht und nur das Einzige tröstet, daß es kaum schlimmer kommen kann. Wenn wir aber schließlich aus die trefflichen Einzelnheiten, wie aus das sehr zarte, graziöse Thema des Rondos, in das er immer so glücklich einlenkt, auf den Hauptgedanken des ersten Satzes, wenn er auch etwas sonderbar austritt, wie auf das begleitende Orchester aufmerksam machen, so ersuchen wir zugleich Alle, die sich für diesen Künstler interessiren, das Concert selbst nachlesen und unser Urtheil mit dem ihrigen vergleichen zu wollen. {{Right|2.

'C. E. Hartknoch', zweites großes Concert (Gmoll). Werk 14.

Es ist leichter gesagt als bewiesen, daß wir alle zur rechten Zeit stürben. Gewiß hat auch in diesem Künstler der Tod die Thätigkeit eines Talents gebrochen, das sich mit der Zeit vollkommener ausgereift haben würde. Zwar schwebt über dem ganzen Concert ein gewisser Todeszug; einmal zeigt er sich als Müdigkeit, Lebensüberdruß, einmal zuckt die Kraft wieder heraus, aber krampfhaft; einmal überkommt es ihn sehnsüchtig, und alsdann schreibt er beinahe rührend, als wollte er der Welt sein letztes Vermächtniß empfehlen; — indeß kann auch die eingetretene traurige Wirklichkeit leicht verleiten, mehr zu sehen, als das Concert davon enthält. Wie dem auch sei, so bleibt diese Arbeit seine bedeutendste und war ihm selbst sicherlich der Liebling, auf dessen Bildung er seine meisten Stunden gewendet. Was er an Kenntnissen und Erfahrungen besessen, hat er in diesem Stücke vorzugsweise niedergelegt, und that er es fast zu viel, so daß oft eines das andere erdrückt, so wollen wir es ihm als besten Willen anrechnen, nichts unterlassen zu haben, was seiner Meinung nach diesem Lieblinge die Achtung und Liebe der Welt gewinnen könne.

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    * Vergl. S. 87.

{209 Es gehörte in den Kreis der mündlichen Unterhaltung, dem Schüler alles Gelungene und Verfehlte dieses Werkes deutlich vor Augen zu halten. Kein anderes aber eignet sich so gut zur Belehrung als dieses.

Einestheils noch zu sehr im Kampfe mit der Form begriffen, um die Phantasie frei walten lassen zu können, anderntheils zwischen alten Mustern und neuen Idealen schwankend, erfreute er sich dort an der Ruhe der Vergangenheit und der Weisheit ihrer Angehörigen, hier an der Aufregung der Zukunst und dem Muth einer kampflustigen Jugend. Daher das Unruhige, Zuckende überall; daher bricht er dort Stücke heraus, setzt sie hier wieder ein, daher spricht er dort einfach und heiter, hier wieder schwülstig und dunkel. Ein klares Selbst tritt noch nicht hervor, er steht unschlüssig auf der Schwelle zweier Zeiten.

Dieses Zweifeln zeigt sich gleichsam summarisch an jedem Ende der verschiedenen Sätze. Der ganze Charakter des ersten und letzten forderte durchaus die weiche Tonart; nun windet und krümmt er sich, in den Schluß einige hellere Dur-Töne zu bringen, und gibt so einen unangenehm halben Eindruck, gegen den sich das Ohr des Componisten nur durch vieles Spielen verhärten konnte. Umgekehrt berührt er im Adagio, wo man einen ungetrübten Dur-Schluß verlangt, allerhand kleine Intervalle und regt von Neuem auf, wo sich die Stimmung leise abdachen sollte. In solchen Fällen bedars es nur eines Schiedsrichters wie der Hausfrau Molières,* d. h. Jemandes, der richtig und einfach empfindet, um ohne Gnade zu ändern, wo auf Kosten der Natürlichkeit durch Zierat oder Schnörkelei gefehlt.

Es wäre leicht, mehrere Beispiele solcher hypochondrischen Unsicherheit nachzuweisen. So glaube ich nicht zu irren, wenn ich den ursprünglichen Anfang des Pianofortesolos acht Tacte später vermuthe, so auffallend stehen diese außer dem Zusammenhang des Ganzen. Vielleicht schob er sie ein, um in dem Hörer die Erinnerung an den Anfang des H moll-Concertes von Hummel, seinem Lehrer, zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht, wie man sieht, und dann ist eine zufällige Reminiscenz immer besser als eine verzweifelte Selbständigkeit. Wie leicht und schön ließ sich (vom Buchstaben B an) in G moll ausruhen und dann in den Anfang, den wir bezeichneten, hinleiten. Das Störende dieses eingesetzten Stückes fällt ebenso sehr auf, wo er es Seite 14 wiederbringt, anstatt von System 5 Tact 1 gleich in das

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     * Molière prüfte die Wirkung seiner Lustspiele, indem er sie seiner Haushälterin vorlas.

{210} Tutti zu springen. Offenbar that er es an der letzten Stelle der äußeren Symmetrie halber, und so schon solche Rückbuchungen und kleinere Formfeinheiten manchem großen Künstler gelingen und so ätherisch sie namentlich Beethoven hinzuhauchen weiß, so muß sich der Jüngere wohl hüten, ins Kleinliche zu fallen, und durch solche zierliche Verhältnisse den inneren Fluß des Ganzen zu unterbrechen.

Rechnet man solche und ähnliche Mißgriffe ab, die indeß hier, wie gesagt, aus dem gutgemeinten Grund entstanden sind, auch im Kleinsten Ausgearbeitetes und Kunstmäßiges zu liefern, so bleibt noch so viel Vorzügliches übrig, daß wir nur den Künstler bedauern, dem, wie es scheint, Anregung und Anerkennung gemangelt, und der auch von diesen Worten nichts mehr hört. Im Leben schon von seiner Heimath* getrennt und auf sich angewiesen, träumte er vielleicht von jenem schwärmerischen Jünglinge, den wir Chopin nennen — und wie der Traum oft in entgegengesetzten Bildern spielt, so ist’s, als drohte ihm deshalb sein alter verehrter Lehrer mit dem Finger, sich nicht abwenden zu lassen vom Glauben seiner Väter; und als er aufwachte, war das Concert fertig.

Dir aber, Eusebius, sehe ich es beinah an den Augen an, daß du den Frühgeschiedenen zu ehren gedenkst, indem du seinen Schwanengesang denen zu hören giebst, die dich darum bitten — das heißt, recht oft. {{Right|Jonathan.

'S. Thalberg', großes Concert (F moll). Werk 5.

Die Compositionen Thalbergs sind in diesen Blättern immer mit einer besondern Strenge besprochen worden, und nur darum, weil wir in ihm auch Compositionstalent vermutheten, das nur in der Eitelkeit des ausübenden Virtuosen unterzugehen drohte. Diesmal entwaffnet er uns aber vollkommen. Sein Stück reicht gar nicht bis zum Standpunct, von dem aus wir in diesem Concertcyklus urtheilen. Vielleicht bereut er jetzt selbst (das Concert erschien vor etwa drei Jahren), daß er sich von Freunden, die allein sein glänzender Vortrag berauscht, zur Herausgabe einer durchaus unreifen Jugendarbeit bewegen ließ. Mit diesem „Vielleicht“ drücken wir zugleich einen Zweifel aus, dessen Sinn nach Thalbergs späteren Leistungen kaum zweifelhaft sein kann; denn diese bestimmen noch keineswegs zur Annahme einer solchen Reue. — Wir wissen ihn in diesem Augenblick in Paris. Der Aufenthalt dort

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      * Er war geboren zu Riga und lebte in Petersburg, zuletzt in Moskau.

{211} kann seine guten und schlimmen Folgen haben — jene, weil ihm in unmittelbarer Berührung mit bedeutenderen Componisten unmöglich entgehen wird, wie klein sein Ziel gegen das idealische Streben Anderer, — diese, weil er in der Freude über die Lorbeerkränze, die man dort verschwenderisch um so ausgezeichnete Virtuosen hängt, den Componisten am Ende ganz und gar in die Flucht schlägt. Wäre das Letztere, so machen wir ihm darum keinen Vorwurf mehr. Genieße er immerhin auf Kosten eines unvergnüglichen Nachruhms die reizende Sterblichkeit des Virtuosenlebens und erlasse er uns nur, in seinen Werken mehr als dieses zu erblicken. Im ersteren Fall jedoch werden wir keinen Augenblick anstehen, ihm fernerhin die Anerkennung angedeihn zu lassen, mit der wir jedes Talent, selbst wenn es aus eine Zeit lang seine edlere Abstammung verleugnet, so gern zu fördern gewohnt sind. {{Right|12.

'H. Herz', zweites Concert (C moll). Werk 74.

Ueber Herz läßt sich 1) traurig, 2) lustig, 3) ironisch schreiben, oder alles auf einmal wie diesmal. Man kann kaum glauben, wie vorsichtig und scheu ich jedem Gespräche über Herz ausweiche und ihn selbst mir immer zehn Schritte vom Leibe halten würde, um ihn nicht zu stark ins Gesicht loben zu dürsen. Denn hat es, vielleicht Saphir ausgenommen, irgend Jemand aufrichtig mit den Menschen und sich gemeint, so ist es Henri Herz, unser Landsmann. Was will er denn, als amüsiren und nebenbei reich werden? Zwingt er deshalb Jemanden, Beethovens letzte Quartette weniger zu lieben und zu loben? Fordert er zu Parallelen mit diesen aus? Ist er nicht vielmehr der lustigste Elegant, der Niemandem einen Finger krümmt als zum Spielen und höchstens seine eignen, um Geld und Ruhm festzuhalten? Und ist sie nicht lächerlich, die lächerliche Wuth classischer Philister, die mit glotzenden Augen und vorgehaltenem Spieße schon zehn Jahre lang gerüstet dastehn und sich entschuldigen, daß er ihren Kindern und Kindeskindern nicht zu nahe kommen möchte mit seiner unclassischen Musik, während jene insgeheim sich doch daran ergötzen? Hätten die Kritiker gleich beim Ausgange dieses Schwanzsternes, der so viel Redens über sich gemacht, seine Entfernung von der Sonnennähe der Kunst richtig taxirt und ihm durch ihr Geschrei nicht eine Bedeutung beigelegt, an die er selbst gar nicht denken konnte, so wäre dieser künstlerische Schnupfen schon längst überstanden. Daß er aber jetzt mit Riesenschritten seinem Ende zueilt, liegt im gewöhnlichen Gang der Dinge. Das Publicum wird zuletzt selbst seines Spielzeugs überdrüssig und wirft es abgenutzt

{212} in den Winkel. Dazu erhob sich eine jüngere Generation, Kraft in den Armen und Muth. sie anzuwenden. Und wie etwa in einen gesellschaftlichen Kreis, wo vorher französische, artige Weltmännchen eine Weile das Wort geführt, plötzlich einmal ein wirklich Geistreicher eintritt, so daß sich jene verdrießlich in eine Ecke zurückziehn und die Gesellschaft aufmerksam dem neuen Gaste zuhorcht, so ist’s auch, als könnte Herz gar nicht mehr so frisch parliren und componiren. Man setirt ihn nicht mehr so, er fühlt sich unbequem und genirt; es will nicht mehr so klappen und klingen; er arbeitet, Jean Paulisch zu reden, mit Blechhandschuhen auf dem Claviere, da ihm Ueberlegnere über die Schulter hereinsehn und jeden falschen Ton bemerken und auch Uebriges. Dabei wollen wir aber durchaus nicht vergessen, daß er Millionen Finger beschäftigt hat und daß das Publicum durch das Spielen seiner Variationen eine mechanische Fertigkeit erlangt, die schon mit Vortheil auch anderweitig und zur Ausführung besserer, ja ganz entgegengesetzter Compositionen zu nützen ist. Wie wir also überzeugt sind, daß, wer Herzsche Bravourstücke besiegt, eine Sonate von Beethoven, wenn er sie sonst versteht, um vieles leichter und freier spielen kann, als es ohne jene Fertigkeit sein würde, so wollen wir guten Muthes unsern Schülern zur rechten Zeit, obwohl selten, Echt-Herzsches zu studiren geben und, wenn ein ganzes Publicum bei den herrlichen Sprüngen und Trillern „süperb“ rust, mitausrufen: „dies alles hat sein Gutes auch für uns Beethovener“.

Das zweite Concert von Herz geht aus C moll und wird denen empfohlen, die das erste lieben. Sollte an einem Concertabende zufällig eine gewisse C moll-Symphonie mitgegeben werden, so bittet man, selbige nach dem Concert anzusetzen. {{Right|2.

'F. Kalkbrenner', vlertes Concert (in As), Werk 137.

Zweierlei rüge ich besonders an Concert-Concertcomponisten (kein Pleonasmus), erstens, daß sie die Soli eher fertig machen und haben als die Tutti, unconstitutionell genug, da doch das Orchester die Kammern vertritt, ohne deren Zustimmung das Clavier nichts unternehmen darf. Und warum nicht beim ordentlichen Anfang Anfangen? Ist denn unsere Welt am zweiten Tage erschaffen worden? Und ist’s nicht überhaupt schwerer, einen zerrissenen Faden wiederaufzunehmen (namentlich musikalische, die so fein, daß jeder Knoten herauszufinden mit kritischen Fühlhörnern), als ihn ruhig fortzuziehn? Es gilt aber eine Wette, daß Hr. Kalkbrenner seine Einleitungs- und Mitteltutti später

{213} erfunden und eingeschoben habe, und es ist Grund da, daß sie gewonnen wird. Zweitens aber rüge ich die Modulation

7ƅ 5 5 3 {{Right|X-dur nach X + I-Dur,*

zu der sich namentlich jüngere Componisten flüchten, wenn sie nicht recht wissen, wie weiter, und die sie gewöhnlich so anwenden, daß, wenn es in der ersten Hälfte dieses Uebergangs kraus und stark auf- und niedergegangen, in der andern plötzlich leise wie überirdische Töne zu flüstern anfangen, welche Ueberraschung wir uns wohl einmal gefallen lassen und sie den HH. Döhler, Thalberg, die sie zu Dutzenden anbringen, zu gute halten, niemals aber einem Maestro wie Kalkbrenner, der Anspruch auf den Beinamen eines feinsten Weltmanns macht und durchaus auf neue Ueberraschungen sinnen muß. Nach gewissen Kleinigkeiten aber, die Viele für zu gering halten, um sich darin zu verstellen, kann man auf den ganzen Menschen schließen, und daher weiß ich auch bei einem, der mir mehreremale so modulirt, im Augenblick, wo er hingehört.

Sagte ich überhaupt, daß ich je ein großer Verehrer der Compositionen Kalkbrenners gewesen, so wäre es unwahr; wie ich eben so wenig leugne, daß ich sie in jüngeren Jahren zu vielen Zeiten gerne gehört und gespielt und namentlich seine ersten, munteren, wirklich musikalischen Jugendsonaten, nach denen sich Ausgezeichnetes für die Zukunft erwarten ließ und wo sich noch nichts von dem gemachten Pathos und einem gewissen affectirten Tiefsinne findet, der uns seine späteren größeren Compositionen verleidet. Jetzt, wo sich der Umfang seiner Leistungen genau bestimmen läßt, sieht man deutlich, daß das D moll-Concert seine höchste Blüthe war, das Stück, wo alle Lichtseiten seines freundlichen Talents durchgebrochen, aber auch die Grenze, wo ihn, wenn er darüber hinaus wollte, sein Stern verließ. Arierkennungswerth bleibt es immer, daß er, wenn auch vielleicht die Kraft, doch den Mnth nicht verlor, einige Schritte vorwärts zu ringen. Und

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      * Mit X bezeichnen wir allgemein einen Grundton, mit dem nebenstehenden X + I den Baßton der ersten Stufe aufwärts; Dur und Moll bestimmen die Art der Tonleiter. Die Zahlen darüber nennen die Intervalle der Accorde; die nebenstehenden ♯ erhöhen, die ƅ  erniedrigen. Wäre also

7b 7b 5 5 5 5 3 3 X = C, so wäre X + I = Des.

G. Weber (irre ich nicht) hat etwas Aehnliches in seiner Theorie vorgeschlagen. [Sch.]

{214} wir begegnen hier dem seltenen Falle, daß ein älterer bekannter Componist einem jüngeren* nachzufliegen versucht. Wir sehen nämlich im vorliegenden Concert unverkennbar den Einstich der jungen romantischen Welt, die Kalkbrennern aus der Schule lief, ihn selbst aber wie zweifelhast an einem Kreuzweg, ob er auf der alten Bahn mit den erworbenen Kränzen weiterziehn oder auf der anderen neue erkämpfen solle. Dort lockt ihn das Bequeme und Gewohnte, hier der feurige Zuruf, den die Romantischen erfahren. Ganz seinem vermittelnden Charakter gemäß wirft er sich aber nicht zu stark in die neue Sphäre, gleich als ob er erst das Publicum probiren wolle, was es dazu meine. Ist dieses nun wie wir, so muß es sich bekennen, daß ein ästhetisches Unglück daraus entstanden. Man denke sich nur den eleganten Kalkbrenner, die Pistole vor dem Kopf, wie er ein ,,con disperazione“ in seine Clavierstimme schrieb — oder verzweiflungsvoll in der Nähe eines Abgrunds, wenn er drei Posaunen zum Adagio nimmt. Es geht nicht, es steht ihm nicht; er hat kein Talent zur romantischen Frechheit, und wenn er sich eine diabolische Maske vorbände, man würde ihn an den Glacéhandschuhen kennen, mit denen er sie hält. Doch geben wir zu, daß nur die ersten Sätze in dieses Bild passen; im dritten wird er wieder ganz er selbst und zeigt sich wieder in seiner natürlichen Virtuosenliebenswürdigkeit, die wir so sehr an ihm schätzen. Halte er also seinen alten wohlverdienten Ruf als einer der geschicktesten, meisterlich für Finger und Hand arbeitenden Claviertonsetzer, der mit leichten Waffen so glücklich umzugehen weiß, so fest als er kann — und erfreue er uns immerhin von Neuem mit seinen blitzenden Trillern und fliegenden Triolen, — wir schlagen sie weit höher an, als seine vierstimmigen fugirten Tacte, falsch sehnsüchtigen Vorhalte u. s. w. {{Right|12.

'F. Ries', neuntes Concert (G moll). Werk 177.

Auch Napoleon verlor seine letzten Schlachten; aber Arcole und Wagram strahlen über. Ries hat ein Cis moll-Concert geschrieben und kann ruhig auf seinen Lorbeeren schlafen. Was ist es aber, was in älteren, d. h. in älteren Mannesjahren geschriebenen Werken, trotz des Nachlasses der Phantasie und der Kunstnatur, wenn sie sich in ihnen zeigt, noch immer so wohlthut und beglückt? Es ist die Feier der Meisterschaft, die Ruhe nach Kampf und Sieg, wo man keinen mehr

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    * Chopin.

{215} zu bestehn und zu erringen braucht. In diesem Sinne schließt sich dies neunte Concert seinen Vorgängern an. Wir treffen darin in keiner Hinsicht auf Vorschritte, weder des Componisten und noch weniger des Virtuosen. Dieselben Gedanken wie früher, ihr nämlicher Ausdruck, alles fest und klar, als könne es nicht anders sein; keine Note zu wenig; Guß des Ganzen, Harmonie, Grundidee, Musik. Ueber solche Werke läßt sich so schwer und so wenig sprechen wie über den blauen Himmel, der mir eben durch das Fenster hereinsieht, daher wir die Theilnehmenden, welche dies eben lesen, von demselben Auge angesehn wünschen, damit sie die Vergleichungspuncte zwischen dem Concert eines alten Meisters und jener blauen ruhigwogenden Fläche so schnell treffen wie wir. {{Right|12.

'W. Taubert', Concert (in E). Werk 18.

„Wollte Jemand an diesem Concert durchaus mäkeln, so könnte er höchstens sagen, daß ihm nichts fehlte als die Fehler der neusten Zeit“, so ungefähr drückte sich ein Mann aus, der im October 1833 die Gewandhaustreppen hinunterging , als eben Hr. Taubert sein Concert zu Ende gespielt. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich an jenem Abend an diesem Stück ergötzt und dem Mäkler aufsässig war, auf den das Concert keinen Eindruck gemacht als den bedauerlichen, daß es nicht schlechter ausgefallen. Als ich aber jene Worte genauer überlegte, so fand ich schon einen Sinn dahinter, worüber weiter unten.

Sollte nun das Lob, das ich wie aus Füllhörnern über diese Musik schütten möchte, noch nicht lobend genug ausfallen, so hat der Verleger die einzige Schuld, der mir nicht die Partitur geliehn, worum ich ihn doch bat (— er besitzt sie nämlich nicht). Ohne diese darüber zu richten, hieße wie über ein Ehebündniß sprechen, dessen eine Hälfte man nur kennt, so innig sind in ihr Pianoforte und Orchester vermählt. Was indeß aus einzelnen Summen zu holen, halte ich in der Phantasie treulich zusammen. An alle Componisten richte ich aber von Neuem die Bitte, zu bedenken, daß man sich nicht immer ein begleitendes Orchester herzaubern könne, daß sie also in ihrer herrlichen Concertstimme über die trefflichen Stellen, wo allein das Orchester der Sache den Ausschlag gibt, ein System mit einer Kleinpartitur anfertigen möchten, damit man ohne Zerstückelung genießen könne. Jetzt aber an das Concert selbst!

{216} Allegro, E dur, 6/8 Tact, Hörnerklänge von Weitem, — wen zieht’s dabei nicht gleich hinaus in die Ferne und tief hinein in die grünen Wälder! Wer Jägers Lust und Leben (wie es etwa Hoffmann einzig genug in den Teufels-Elixiren malt) in der Musik kennen lernen will, findet’s hier und von Romantik nicht mehr als ein paar sehnsüchtige blaßblaue Streifen unten am Waldesfuß, Was Dunkleres aber über dem Andante schweben möchte, ist nicht etwa Schmerz über diese oder jene bürgerliche Begebenheit, sondern recht liebe allgemeine Wehmuth, wie sie uns zur Dämmerung in das Herz einschleichen will. Der letzte Satz endlich ist eigentlich nur der Schluß des ersten und das Moll kaum mehr als ein verschleiertes Dur, bis dieses allein durchbricht licht und rosig. Unverblümt zu reden, das Concert heiße ich eins der vorzüglichsten. Und wenn sogenannte Classische herangerückt kommen und über Verfall der Musik in neuster Zeit schreien, uns ein Mozartsches Concert entgegenhalten und keuchen, „das sei klar und herrlich“, woran noch gar Niemand gezweifelt, dann sind solche Taubertsche Concerte gut, die erste Wuth zu stillen und mit höchster Kaltblütigkeit an ihnen den Beweis zu führen, daß man noch componiren könne und erfinden. Denn vom älteren Standpunct aus besehn — was könnte man dem Concerte vorwerfen? Ist es ausgewachsen in der Form, unnatürlich, verworren, zerrissen — die beliebten Worte der Classischen, wenn sie etwas nicht gleich verstehen — und besitzt das Concert, außer der vielgepriesenen Ruhe und Klarheit, nicht noch ganz andere Eigenschaften, die wir in älteren nur hier und da vereinzelt finden, z. B. poetische Sprache, Besonderheit der Situation, Zartheit der Contraste, Verflechtung der Fäden und eine Orchesterbegleitung voll Sprache und Leben? Sehen wir aber vom neuen und neusten Standpunct aus, so kommen wir jetzt auf die „fehlenden Fehler“ des Gewandhausmannes. Wir denken, er meinte so. Wir wissen Alle, Diamanten stehen höher im Werth als z. B. Bänder, eine tüchtige Composition höher als z. B. eine von Auber. „Nur alles zur Zeit, alles am Ort“ sagte unser Dorfküster Wedel mit der großen aufgeschlagenen Partitur* vor sich. Mit einem Concerte soll eine hundertköpfige Menge erfreut, womöglich entzückt werden, die wiederum ihrerseits den Virtuosen mit Beifall entzücken soll. Offenbar thun nun namentlich die Franzosen im Gebrauch pikanter Reizmittel und in,

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     * „Die große Partitur“. Aus den Aufzeichnungen des Dorfküster Wedel. (U. von Zuccalmaglio.) S. Neue Zeitschrift 1835, III, 53.

{217} immerwährender Aufbietung, neue zu erfinden, zu viel des Schlimmen, wir Deutschen aber zum Schaden des Virtuosen, der doch auch leben will, im Durchschnitt zu wenig des Guten. In dieser Hinsicht greifen wir nicht sowohl das vorliegende Concert als das ganze Princip einiger Tonsetzer, deren Stammsitz namentlich Berlin zu sein scheint, an, welche den Virtuosenunfug dadurch zu dämpfen meinen, wenn sie gewisse altbackene Formeln und Redensarten, als wär es Wunder was, vorbringen. Wollen wir Concert-Componisten aber unsern Altvordern bis aus Zopf und Perücke es in allem nachthun und in billiger Berücksichtigung neuerer Bedürfnisse auch etwas Neues dazu, wenn es sonst gut — und seien wir überzeugt, daß ein Genie, wie das eines Mozart, heute geboren, eher Chopinsche Concerte schreiben würde als Mozartsche. Um auf unsern ehrenwerthen Componisten zu kommen, so fehlt seinen Erfindungen hier und da das Neue und Reizendpikante. Der Himmel bewahre, daß wir ihn zu etwas machen wollten, was nicht in ihm liegt, zu einem Grazioso etc.; aber er wird uns verstehn, wenn wir z. B. das Passagenwerk, mit dem er seine Gedanken umhüllt, seiner herausgesucht, nicht so nach dem alten Schlage wünschten, und wenn wir ähnlichen Themas wie dem ersten zum letzten Satz, so vorzüglich es sich zur Bearbeitung schickt, etwas Unmodisches und dazu Steiffreundliches vorwerfen, was ein glänzendes Concertpublicum nicht mehr goutiren will. Wie es ist, kann es nicht geändert werden; möge er nur bedenken, daß man gewissen Anforderungen und Wünschen der Zeit sehr wohl genügen konne, ohne sich dadurch etwas von seiner Künstlerwürde zu vergeben. — Zum Schlusse noch etwas. So unpassend es mir immer geschienen, in Erzeugnissen weit gediehener Talente aus Reminiscenzen oder Aehnlichkeiten mit andern gleichzeitigen aufmerksam zu machen, so ist doch die Verwandtschaft des Concerts von Taubert mit dem von Mendelssohn (in G moll)' zu ausfallend und interessant, als daß dieses übergangen werden dürfte. Geistig zwar spielen sie auf völlig verschiedenen Terrains (und dies ist wohl der Grund, weswegen ihre Aehnlichkciten nicht beleidigen); äußerlich aber fallen sie in den entscheidendsten Momenten so genau zusammen, daß, wenn nicht eine nachringende Nebenbuhlerschaft, so doch gewiß eine gegenseitige Kenntniß ihrer Arbeiten während derselben zu vermutheu steht, so jedoch, daß Mendelssohn meistens immer ein paar Schritte weiter vorgerückt war, weshalb sich der Andere sputen mußte, einen so rüstigen Vorläufer einzuholen, und weshalb vielleicht auch sein Stück etwas Bündigeres und Eiligeres bekommen. Als jene Hauptmomente

{218} bezeichnen wir aber 1) das Auftreten des Tutti mit dem ganzen Thema a,* 2) den Trugcadenztriller b, 3) das Hinleiten in das Thema am Schluß des ersten Theils c, 4) die Vorbereitung des Mittelsatzes d, die bei Taubert zart und flüssig, bei Mendelssohn schroffer aber auch effektvoller. Im Andante dominirt bei Mendelssohn das Violoncell, bei Taubert die Hoboe; beide sind von ausgezeichneter Schönheit, beide verlieren sich in die Ferne. Beide ruhen eine Pause e; beide fangen den letzten Satz recitativisch an, deren Themas sich weniger den Noten nach als in ihrem Charakter und hauptsächlich in der Art ihrer Verarbeitung im Kleinen ähnlich sind. Beide bringen in ähnlicher Haltung einen leisen Gedanken aus einem früheren Satz f, beide gleich wirkungsvoll. Beide schließen einerlei.

Nenne man das Zufall, Sympathie oder sonst wie, so bleibt trotzdem Tauberts Concert ein, wie wir zum sechstenmal wiederholen, so vortreffliches und in sich selbständiges Werk, daß selbst L. Berger, der frühere Lehrer dieser jungen Meister (der uns, beiläufig gefügt, auch noch ein paar Concerte schuldig ist), freudig zweifelhaft sein müßte, wem die Ehrenstelle rechts oder links gebühre. Und so laßt uns dasselbe thun und zu unsern guten Clavierconcerten die Titel dieser beiden in gleiche Schönheitslinie setzen. {{Right|2.

'John Field', siebentes Concert (C moll).

Die beste Recension wäre, der Zeitschrift 1000 Exemplare des Concertes für ihre Leser beizulegen, und freilich eine theure. Denn ich bin ganz voll von ihm und weiß wenig Vernünftiges darüber zu sagen als unendliches Lob. Und wenn Goethe meint, „wer lobe, stelle sich gleich“, so soll auch er Recht haben wie immer — und ich will mir von jenem Künstler gerne Augen und Hände binden lassen und damit nichts ausdrücken, als daß er mich ganz gefangen und daß ich ihm blind folge. Nur wenn ich ein Maler wäre, würde ich zu recensiren mich unterstehn (etwa durch ein Bild, wo sich eine Grazie gegen einen Satyr wehrt), — und wenn ein Dichter, nur in Lord Byronschen Stanzen reden, so englisch (im Doppelsinn) finde ich das

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    * a) Mendelssohn S.  5 System 4. Taubert S.  3 System 4.
      b)   “           “        “  11      “      2.       “       “   6       “      7.
      c)   “           “        “  14      “      5.       “       “   9       “      2.
      d)  “            “       “   15     “                “        “   9       “      
      e)  “            “       “   18 Schluß.         “        “  15 Schluß.
       f)  “            “       “   29 System 2.     “        “  23 System 2.   [Sch.]

{219} Concert. — Die Originalpartitur liegt vor mir aufgeschlagen, man sollte sie sehn! — gebräunt, als hätte sie die Linie passirt — Noten wie Pfähle — dazwischen ausblickende Clarinetten — dicke Querbalken über ganze Seiten weg — in der Mitte ein Mondschein-Notturno „aus Notenduft und Lilienschnee gewoben“, bei dem mir der alte Zelter einfiel, der in einer Stelle der „Schöpfung“ den Ausgang des Mondes sah und dabei stereotypisch sich die Hände reibend selig sagte: „der kommt 'mal auf die Strümpfe“ — und dann wieder ein NB mit ausgestrichenen Tacten und drüber mit langen Buchstaben cette page est bonne“, — ja freilich ist alles bon und zum Küssen und namentlich du, ganzer letzter Satz in deiner göttlichen Langweiligkeit, deinem Liebreiz, deiner Tölpelhaftigkeit, deiner Seelenschönheit, zum Küssen vom Kopf bis auf die Zehe. Fort mit euren Formen- und Generalbaßstangen! Eure Schulbänke habt ihr erst aus dem Cedernholz des Genies geschnitzt und nicht einmal; thut eure Schuldigkeit, d. h. habt Talent; seid Fielde, schreibt was ihr wollt; seid Dichter und Menschen, ich bitt' euch!*

'I. Moscheles, fünftes Concert (in C). Werk 87.

“ “ sechstes Concert (Concert fantastique, in B). Werk 90.

Das Alphabet des Tadels hat Millionen Buchstaben mehr als das des Lobes, daher auch diese Kritik kurz und klein im Verhältnisse zur Vorzüglichkeit der beiden Concerte. Wir haben sie viele Male von ihrem Meister selbst gehört und dabei von Neuem die Erfahrung gemacht, daß Niemand, auch nicht der geübteste, gebildetste Musiker nach blosem Hören sich ein durch und durch treffendes Urtheil zutrauen dürfte. Vielleicht lag es auch an dem, wie bekannt, sehr ruhigen und gemessenen Vortrage des Componisten, daß diese Werke, die doch eben so wie seine früheren und nur dunklere Funken sprühen, nicht so packten, als sie von einem Begeisterten gespielt es allerdings müßten. Es dünkt uns, manche Compositionen phantastischer Art gewönnen und wirkten durch eine gewisse Derbheit im Vortrage weit schneller als durch modische Sauberkeit und Glätte der Virtuosität, wie man sie z. B. den übrigens gar nicht genug zu preisenden Gebrüdern Müller bei

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           * Ausgelassen: „Mit diesem Hexameter schließt Florestans Geständniß über das siebente Concert von Field. Wir wüßten ihm noch manches hinzuzufügen, z. B. daß wir uns mit dieser unserer Coda wie die andere Hälfte eines russischen Dampfbades vorkommen, dessen Nutzen man so sehr anrühmt; doch ziehen wir das Klügere — Schweigen — vor.“

{220} ihrem Spiele einzelner Beethovenscher Quartette vorwarf. Die letzteren Compositionen von Moscheles entkleiden sich aber zum Kunstvortheil immer mehr des äußerlichen Prunkes und verlangen, sollen sie fassen und gefaßt werden, vorzüglich einen musikalischen Menschen, der ein Gemälde herzustellen versteht, wo sich das Kleine dem höheren Ganzen unterordnen muß. Daß trotzdem der Virtuose in ihnen vollauf findet, sich zu zeigen und zu imponiren, ist ein Vorzug mehr. den wenig Andere in solch weisem Maße theilen.

Wir glauben in der Kunstbildung dieses Meisters drei Perioden mit Bestimmtheit bezeichnen zu können. In die erste, etwa vom Jahr 1814—20, fallen die Alexander-Variationen, das Concert in F und einiges aus dem in Es. Es war die Zeit, wo das Wort „brillant“ in Schwung kam und sich Legionen von Mädchen in Czerny verliebt hatten. Auch Moscheles blieb nicht zurück mit Brillanten, nur daß er, seiner Bildung gemäß, feiner geschliffene zur Schau stellte; der bessere Musiker ward aber im Ganzen von dem angestaunten kühnen Virtuosen verdunkelt. Mit der vierhändigen Es dur-Sonate geht er zur zweiten Periode über, wo sich Componist und Virtuos mit gleicher Stärke die Hand zum Bündniß reichen; — die Blüthenzeit, in der das G moll-Concert und die Etuden entstanden, zwei Werke, durch die allein er sich der Reihe der ersten Claviertonsetzer der Gegenwart anschließt. Die Brücke zur dritten Periode, wo die poetische Tendenz der Composition völlig zu überwiegen anfängt, bildet das fünfte Concert in C und das erste bedeutendste Werk in ihr das „phantastische“. Wenn wir diese zwei romantisch nennen, so ist damit die zauberische dunkle Beleuchtung gemeint, die über ihnen lagert und von der wir nicht wissen, ob sie von den Gegenständen selbst ausgeht oder von, wo andersher. Einzelne Stellen, wo der romantische Lichtduft am stärksten hervordränge, mit Händen greifen kann man nicht; aber man fühlt überall, daß er da ist, namentlich im seltenen E moll-Adagio des fünften Concerts, das in einem beinahe kirchlichen Charakter gar mild zwischen den anderen Sätzen steht, welche letztere mehr praktisch und feurig, und interessant, wo man hineingreift. — Ein echter musikalischer Kunstsatz hat immer einen gewissen Schwerpunct, dem alles zuwächst, wohin sich alle Geistes-Radien concentriren. Viele legen ihn in die Mitte (die Mozartsche Weise), Andere nach dem Schluß (die Beethovens). Aber von seiner Gewalt hängt die Totalwirkung ab. Wenn man vorher gespannt und gepreßt zugehört, so kommt dann der Augenblick, wo man zum erstenmal aus freier Brust athmen kann: die Höhe ist


{221} erstiegen und der Blick fliegt hell und befriedigt vor- und rückwärts. So ist das in der Mitte des ersten Satzes an der Stelle,* wo das Orchester mit dem Hauptmotiv einfällt: man fühlt, wie sich der eigentliche Gedanke endlich Lust gemacht und der Componist gleichsam mit voller Stimme ausruft: das habe ich gewollt. Im letzten Satz liegt dieser Moment, aber weniger vorbereitet, da, wo die Violinen zu fugiren anfangen, das Orchester das Thema kurz feststellt und das Clavier es wiederholt. Ueberhaupt humoristisch will er gar nicht in so stufenweisen Uebergängen, wie es ersten ernsten Sätzen zukommt, zum Ziel führen und blickt mit keckem Auge auf und nieder. Sehr Moscheles’isch ist alles: Moscheles zumal besitzt gewisse Stileigenheiten, bei denen man, wenn man sie selbst einzeln herausspielte, nur auf ihn rathen könnte.** Doch wünschten wir die Baß-Accorde zum ersten Thema in anderer Lage (in der der Decime) und die folgende Melodie (System 3 Tact 3) vielleicht eine Octave tiefer; durch das engere Zusammenhalten der Harmonie würden diese Stellen tonreicher.

Das phantastische Concert besteht aus vier, ohne Pausen aneinandergeschlossenen Sätzen in verschiedenen Zeitmaßen. Gegen die Form haben wir uns schon früher erklärt. Scheint es auch nicht unmöglich, in ihr ein wohlthuendes Ganzes zu erzeugen, so ist die ästhetische Gefahr zu groß gegen das, was erreicht werden kann. Allerdings fehlt es an kleineren Concertstücken. in denen der Virtuose den Allegro-, Adagio- und Rondo-Vortrag zugleich entfalten könnte. Man müßte auf eine Gattung sinnen, die aus einem größeren Satz in einem mäßigem Tempo bestände, in dem der vorbereitende Theil die Stelle eines ersten Allegros, die Gesangstelle die des Adagios und ein brillanter Schluß die des Rondos verträten. Vielleicht regt die Idee an, die wir freilich am liebsten mit einer eignen außerordentlichen Composition wahr machen möchten. Der Satz könnte auch für Pianoforte allein geschrieben sein.

Abgesehn also von der Form enthält das phantastische Concert rechte Musik für das Haus, ist tüchtig überall, originell, durch sich selbst gültig und trotz der etwas schwankenden Formen von voller Wirkung. Mit dem Orchester zusammen stellt es sich als ein geistvolles Wechselspiel dar, wo fast jedes Instrument einen Theil an der

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      * Seite 16 zu Anfang. [Sch.]
    ** Seite 18 System 5 zu 6, S. 29 letztes System, S. 31. Ein Scharfsichtiger würde leicht das Charakteristische verschiedener Componisten in kleinen Beispielen einzelner Tacte zeigen können. [Sch.]

{222} Sache hat, etwas mitzusagen und zu bedeuten. Am meisten gefällt uns nach dem ersten Satz das Andante in seiner antik-romantischen Weise, weniger das folgende Verbindungsstück, das die Gedanken aus dem ersten Satz etwas gezwungen wiederbringt. Das Hauptthema des letzten hat Aehnlichkeit mit dem der Ouverture zur Jungfrau von Orleans, was wir anführen, damit sich Andere nicht wie wir zu besinnen brauchen, wo sie die Stelle schon einmal gehört, Das zweite naive Thema, das die linke Hand zum Triller der rechten spielt, könnte eben so gut von Bach sein. Das Ganze schließt, wie Meister der Kunst pflegen, als könne es noch lange fortdauern.

Mit wahrer Freude sehen wir dem neuen „pathetischen Concert“ dieses Künstlers entgegen und dann auch einem neuen Cyklus von Etuden, worum wir schon früher baten.* {{Right|2.

'F. Chopin erstes Concert (E moll). Werk 11.

        „      „                 zweites Concert (Fmoll). Werk 21.

1.

Sobald ihr überhaupt Widersacher findet, junge Künstler, so wollet euch dieses Zeichens eurer Talentkraft sehr freuen und diese für um so bedeutender halten, je widerhaariger jene. Immerhin bleibt es auffallend, daß in den sehr trocknen Jahren vor 1830, wo man dem Himmel um jeden bessern Strohhalm hätte danken sollen, selbst die Kritik, die freilich immer hintennach kommen wird, wenn sie nicht von productiven Köpfen ausgeht, noch lange mit der Anerkennung Chopins achselzuckend anstand, ja daß Einer** sich zu sagen erkühnte, Chopins Compositionen wären nur zum Zerreißen gut. Genug davon. Auch der Herzog von Modena hat Louis Philipp noch nicht anerkannt, und steht der Barricadenthron auch nicht auf goldnen Füßen, so doch sicher nicht des Herzogs halber. Sollte ich vielleicht hier beiläufig einer berühmten Pantoffel-Zeitung *** erwähnen, die uns zuweilen, wie wir hören (denn wir lesen sie nicht und schmeicheln uns hierin einige wenige

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      * In einer Anmerkung werden die in den letzten Jahren erschienenen Concerte ausgezählt. Dann heißt es: „Noch kennen wir zwei Concerte, die wir gleichsam unter unsern Augen entstehen sahen, eins vom verstorbenen trefflichen Ludwig Schunke und eins von Clara Wieck, über die wir nach ihrem Erscheinen ausführlich berichten. Außerdem gibt es noch 23 Tonarten, in denen man (z. B. Mendelssohn) Concerte componiren könnte.“
     ** Rellstab über die Mazurkas, Werk 7.  (Iris 1833, S. 112.) 
     *** Finks Allgem. musikal. Zeitung.

{223} Aehnlichkeit mit Beethoven zu besitzen [siehe Beethovens Studien, von Seyfried herausgegeben]), die uns also zuweilen unter der Maske anlächeln soll mit sanftestem Dolchauge und nur deshalb, weil ich einmal zu einem ihrer Mitarbeiter, der etwas über Chopins Don Juan-Variationen geschrieben, lachend gemeint: er, der Mitarbeiter, habe wie ein schlechter Vers ein paar Füße zu viel, die man ihm gelegentlich abzuschneiden beabsichtige! — Sollte ich mich heute, wo ich eben vom Chopinschen F-moll-Concerte komme, dessen erinnern? Bewahre. Milch gegen Gift, kühle blaue Milch! Denn was ist ein ganzer Jahrgang einer musikalischen Zeitung gegen ein Concert von Chopin? Was Magisterwahnsinn gegen dichterischen? Was zehn Redactionskronen gegen ein Adagio im zweiten Concert? Und wahrhaftig, Davidsbündler, keiner Anrede hielt' ich euch werth, getrautet ihr euch nicht, solche Werke selbst zu machen, als über die ihr schreibt, einige ausgenommen, wie eben dies zweite Concert, an das wir sämmtlich nicht hinankönnen, oder nur mit den Lippen, den Saum zu küssen. Fort mit den Musikzeitungen! Ja Triumph und letzter Endzweck einer guten müßte sein (worauf auch schon Viele hinarbeiten), wenn sie es so hoch brächte, daß sie Niemand mehr läse aus Ennui, daß die Welt vor lauter Productivität nichts mehr hören wollte vom Schreiben darüber; — aufrichtiger Kritiker höchstes Streben, sich (wie sich auch manche bemühen) gänzlich überflüssig zu machen; — beste Art, über Musik zu reden, die, zu schweigen. Lustige Gedanken sind das eines Zeitungsschreibers, — die sich nicht einbilden sollten, daß sie die Herrgotts der Künstler, da diese sie doch verhungern lassen könnten. Fort mit den Zeitungen! Kommt sie hoch, die Kritik, so ist sie immer erst ein leidlicher Dünger für zukünftige Werke; Gottes Sonne gebiert aber auch ohne dies genug. Noch einmal, warum über Chopin schreiben? Warum Leser zur Langweile zwingen? Warum nicht aus erster Hand schöpfen, selbst spielen, selbst schreiben, selbst componiren? Zum letztenmal, fort mit den musikalischen Zeitungen, besonderen und sonstigen! {{Right|Florestan.

2.

Ginge es dem Tollkopf, dem Florestan nach, so wäre er im Stande, Obiges eine Recension zu nennen, ja mit selbiger die ganze Zeitung zu schließen. Bedenke er aber, daß wir noch eine Pflicht gegen Chopin zu erfüllen haben, über den wir noch gar nichts in


{224} unsern Büchern aufgezeichnet, und daß uns die Welt unsere Sprachlosigkeit aus Verehrung am Ende gar für etwas Anderes auslegen möchte. Denn wenn eine Verherrlichung durch Worte (die schönste ist ihm schon in tausend Herzen zu Theil worden' bis jetzt ausgeblieben, so suche ich den Grund einestheils in der Aengstlichkeit, die einen bei einem Gegenstande befällt, über dem man am öftesten und liebsten mit seinem Sinnen verweilt, daß man nämlich der Würde des Vorwurfs nicht angemessen genug sprechen, ihn in seiner Tiefe und Höhe nicht allseitig ergreifen könnte, — anderntheils in den innern Kunstbeziehungen, in denen wir zu diesem Componisten zu stehen bekennen; endlich aber unterblieb sie auch, weil Chopin in seinen letzten Compositionen nicht einen anderen, aber einen höheren Weg einzuschlagen scheint, über dessen Richtung und muthmaßliches Ziel wir erst noch klarer zu werden hofften, auswärtigen geliebten Verbündeten davon Rechenschaft abzulegen. . . .

Das Genie schafft Reiche, deren kleinere Staaten wiederum von höherer Hand unter die Talente vertheilt werden, damit diese, was dem ersteren in seiner tausendfach angesprochenen und ausströmenden Thätigkeit unmöglich, im Einzelnen organisiren, zur Vollendung bringen. Wie vordem z. B. Hummel der Stimme Mozarts folgte, daß er die Gedanken des Meisters in eine glänzendere fliegende Umhüllung kleidete, so Chopin der Beethovens. Oder ohne Bild: wie Hummel den Stil Mozarts dem Einzelnen, dem Virtuosen zum Genuß im besonderen Instrumente verarbeitete, so führte Chopin Beethovenschen Geist in den Concertsaal.

Chopin trat nicht mit einer Orchesterarmee auf, wie Großgenies thun; er besitzt nur eine kleine Cohorte, aber sie gehört ihm ganz eigen bis auf den letzten Helden.

Seinen Unterricht aber hatte er bei den Ersten erhalten, bei Beethoven, Schubert, Field. Wollen wir annehmen, der erste bildete seinen Geist in Kühnheit, der andere sein Herz in Zartheit, der dritte seine Hand in Fertigkeit.

Also stand er ausgestattet mit tiefen Kenntnissen seiner Kunst, im Bewußtsein seiner Kraft vollauf gerüstet mit Muth, als im Jahre 1830 die große Völkerstimme im Westen sich erhob. Hunderte von Jünglingen warteten des Augenblicks: aber Chopin war der Ersten Einer aus dem Wall oben, hinter dem eine feige Restauration, ein zwergiges Philisterium im Schlafe lag. Wie fielen da die Schläge rechts und links und die Philister wachten erbost auf und schrieen:

{225} „seht die Frechen!“ Andere aber im Rücken der Angreifenden: „des herrlichen Muthes!“

Dazu aber und zum günstigen Aufeinandertreffen der Zeit und der Verhältnisse that das Schicksal noch etwas, Chopin vor allen Anderen kenntlich und interessant zu machen, eine starke originelle Nationalität und zwar die polnische. Und wie diese jetzt in schwarzen Trauergewändern geht, so ergreift sie uns am sinnenden Künstler noch heftiger. Heil ihm, daß ihm das neutrale Deutschland nicht im ersten Augenblick zu beifällig zusprach und daß ihn sein Genius gleich nach einer der Welthauptstädte entführte, wo er frei dichten und zürnen konnte. Denn wüßte der gewaltige selbstherrschende Monarch im Norden, wie in Chopins Werken, in den einfachen Weisen seiner Mazurkas, ihm ein gefährlicher Feind droht, er würde die Musik verbieten. Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen.

In dieser seiner Herkunft, im Schicksale seines Landes ruht so die Erklärung seiner Vorzüge wie auch die seiner Fehler. Wenn von Schwärmerei, Grazie, wenn von Geistesgegenwart, Gluth und Adel die Rede ist, wer dächte da nicht an ihn, aber wer auch nicht, wenn von Wunderlichkeit, kranker Excentricität, ja von Haß und Wildheit!

Solch Gepräge der schärfsten Nationalität tragen sämmtliche frühere Dichtungen Chopins.

Aber die Kunst verlangte mehr. Das kleine Interesse der Scholle, auf der er geboren, mußte sich dem weltbürgerlichen zum Opfer bringen, und schon verliert sich in seinen neueren Werken die zu specielle sarmatische Physiognomie, und ihr Ausdruck wird sich nach und nach zu jener allgemeinen idealen neigen, als deren Bildner uns seit lange die himmlischen Griechen gegolten, so daß wir auf einer andern Bahn am Ende uns wieder in Mozart begrüßen.

Ich sagte: „nach und nach“; denn gänzlich wird und soll er seine Abstammung nicht verleugnen. Aber je mehr er sich von ihr entfernt, um so mehr wird seine Bedeutung für das Allgemeine der Kunst zunehmen.

Sollten wir uns über die Bedeutung, die er zum Theil schon gewonnen, in Worten in etwas erklären, so müßten wir sagen, daß er zur Erkenntniß beitrage, deren Begründung immer dringlicher scheint: ein Fortschritt unserer Kunst erfolge erst mit einem Fortschritt der Künstler zu einer geistigen Aristokratie, nach deren Statuten die Kenntniß des niederen Handwerks nicht blos verlangt, sondern schon vorausgesetzt, und nach denen Niemand zugelassen würde, der nicht so viel

{226} Talent mitbrachte, das selbst zu leisten, was er von Anderen fordert, also Phantasie, Gemüth und Geist, — und dies alles, um die höhere Epoche einer allgemeinen musikalischen Bildung herbeizuführen, wo über das Echte eben so wenig ein Zweifel herrsche wie über die mannigfaltigen Gestalten, in denen es erscheinen könne, unter musikalisch aber jenes innere lebendige Mitsingen, jene thätigwerdende Mitleidenschaft, jene Fähigkeit des schnellen Aufnehmens und Wiedergebens zu verstehen sei, damit in der Vermählung der Productivität und Reproductivität zur Künstlerschaft den höheren Zielen der Kunst immer näher gekommen werde. {{Right|Eusebius.

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Il.

Ouverturen.

H. Marschner, große Festouverture (in D). Werk 78.

Vor Marschners Talent haben wir jederzeit ehrerbietig den Hut gezogen, vor dieser Ouverture thun wir’s gar nicht. Es ist sehr zu wünschen, daß das Fach der Dutzend- und Juste-Milieu-Ouverturen, in denen ¼ italiänisch, ¼ französisch, ⅛ chinesisch, ⅜ deutsch und die Summe null ist, nicht auch noch von unseren besten Componisten cultivirt werde. Lieber lauter Rossinis, als Leute, die es Allen recht machen wollen. Hielten wir Marschner nicht für einen guten Königlichgesinnten, so könnten wir übrigens in seinen Gedanken über das God save the king (namentlich im Allegro, wo es verkürzt englisirt erscheint) ganz andere erblicken als enthusiastische. Doch das gehört vor ein anderes Gericht. {{Right|12.

'H. Berlioz', Ouverture zur heimlichen Vehme (in F). (Ouverture des Francs-Juges).  Werk 3.

Die Wahl der Stoffe, die sich Berlioz als Hintergrund seiner Musik stellt, verdient an sich schon den Beinamen des Genialischen. So schrieb er Compositionen zu Goethes Faust, zu Moores Gedichten, zum König Lear, zum Sturm von Shakespeare, zu Sardanapal, zu Childe Harold von Lord Byron. Von der obigen Ouverture weiß ich nicht, ob sie eine freie Concertouverture ist oder ein Drama einleiten soll.* Indeß bezeichnet der Titel den Inhalt und Charakter

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      * Berlioz schrieb 1826 eine Oper: Les francs-juges, die aber niemals aufgeführt wurde.

{227} scharf genug. Sie ist, wie sich der Leser aus einer früheren Lebensskizze über Berlioz entsinnen wird, in einer kritischen Epoche seines Lebens entstanden und trägt davon die Spuren. Freilich ist das Arrangement kaum mehr als ein ärmliches Skelett, woraus der Componist den Arrangeur gerichtlich belangen könnte,* und allerdings mag sich wohl keine Orchestermusik schwerer zu einem Arrangement eignen als Berliozsche. So viel aber die Phantasie das Orchester nach den Stimmen ergänzen kann, verlohnt es sich wohl der Mühe eines deutschen, die Ouverture auszuführen, wär' es auch nur, um die Extreme der französischen Musikschulen, der Auberschen und dieser, daraus zu sehen. So federleicht Scribisch jene, so ungeschlacht polyphemisch diese. Cantoren werden in Ohnmacht fallen über derlei Harmonieen und über Sansculottismus schreien. Auch uns fällt nicht bei, die Ouverture etwa mit der Mozartschen zum Figaro vergleichen zu wollen. In der festen Ueberzeugung jedoch, daß gewisse Schulbank-Theoristen viel mehr geschadet als unsere praktischen Himmelsstürmer, und daß Protection elender Mittelmäßigkeit viel mehr Unheil angerichtet als Auszeichnung solcher poetischer Extravaganz, fordern wir zugleich einfür allemal unsere Nachkommen auf, uns zu bezeugen, daß wir in Hinsicht der Compositionen von Berlioz mit unsrer kritischen Weisheit nicht wie gewöhnlich zehn Jahre hinterdrein gefahren, sondern im voraus gesagt, daß etwas von Genie in diesem Franzosen gesteckt. 58 {{Right|12.

'I.. Moscheles', Ouverture zu Schillers Jungfrau von Orleans.  Werk 91.

Die Armuth der wörtlichen Beschreibung fühlt man bei seinen Lieblingsstücken am lebhaftesten; diese Ouverture gehört zu unsern und nicht nur unter den Compositionen von Moscheles. Wenn bei ihrer Ausführung in Leipzig — so viel wir wissen, der ersten in Deutschland — das Publicum dieser gebildeten Stadt sich theilnahmloser bezeigte, als die Composition verdiente, so ist das erklärlich. Vielleicht dachten Viele an die Schillersche prächtig costümirte Tragödie, während unsere Musik allerdings von jener berühmten Begebenheit und einer bewegten Zeit berichtet, aber ohne groß Gepränge und leidenschaftlichen Ausdruck, gleich als ob uns nur die Geschichte interessiren sollte, nicht die Person des Erzählers. Es ist mir bei dieser Musik immer, als läse ich in einer alten Ritterchronik, die sauber mit gothischen Buchstaben

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  * In der That brachte Nr. 19 der Pariser Gazette musicale einen Brief von Berlioz an F. Hofmeister (vom 8. Mai), worin er sich über die vierhändige Bearbeitung seiner Ouverture hart beklagte.

{228} geschrieben und alterthümlich bunt ausgemalt. Nur gegen den Schluß hin wird es dem Componisten selbst wie wehmüthiger ums Herz an der schönen Stelle, wo Flöten und Clarinetten von oben herab rufen — derselbe Augenblick, wo die Schillersche Johanna nach dem Regenbogen in der Luft zeigt bei den Worten „Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen“ u. s. w. Wollte man sonst Gestalten suchen, so würde man leicht die demüthige Helden-Jungfrau, den ritterlichen Talbot u. U. erkennen können. Hier thut bei Jedem die Phantasie das ihrige; darin aber werden Alle übereinstimmen, daß die Ouverture kaum zu einem andern Sujet gedacht werden könne, so sehr scheint sie uns von dessen Geiste durchdrungen.

Von einem Orchester, das mir die Ouverture zu Dank spielen sollte, würde ich mehr als gewöhnliches Beherrschen der Noten, ja mehr als blos feurigen Vortrag verlangen. Es müßte eine Musik sein, woraus man nicht klatschen dürfte, eine Musik, deren Bedeutung uns erst nach ihrem Verklingen ausginge und dies durch einen Vortrag, wo jede einzelne Virtuosität auf Beifall resignirt, durch eine gleichsam erzählende Darstellung, die nicht sich, sondern die Begebenheit allein hervorzuheben gesucht hätte. {{Right|2.

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III.

Capriccios und andere kurze Stücke für Pianoforte.

Julie Baroni-Cavalcabò, Bravour-Allegro (E moll). Werk 8.

Die Namen unserer Componistinnen lassen sich bequem auf ein Notenblatt schreiben, daher wir jeder nachspüren und uns nichts entschlüpft von Damenwerken. Denn ein Mädchen, das über Notenköpfen Haubenund andere Köpfe vergessen kann, muß zehnmal mehr Grund besitzen zu componiren als wir, die wir’s nur der Unsterblichkeit wegen thun. Unsere Componistin mag aber noch etwas zum Schreiben begeistert haben; sie ist eine Schülerenkelin Mozarts, der Sohn Mozarts nämlich ihr Lehrer, ihre Heimath aber das weitentlegene Lemberg.59 Bei solchen Erinnerungen und an solchem Orte mag es einen wohl oft traurig überfallen, und ein Winterabend thut das Seinige. Kurz der Flügel wird aufgemacht, der dichterische angelegt, man phantasirt, ohne es zu wissen, und hat man Träume und Musik in sich, so thut man es so wie die, von der wir sprechen.

{229} Einzelne stockende Augenblicke, einige zu undeutlich verzogene Melodieen, die leicht ins Einfache und Völlig-Edle zurückzuführen wären, ausgenommen, finde ich alles wohl und recht, Anlage und Ausbildung vorhanden, und nur das beigefügte ,,di bravura“ stört mich, weil dann das Allegro unüberwindlicher sein müßte und die Gattung überhaupt den Frauen weniger ansteht, die lieber schwärmerische Romanzen und dergleichen schreiben sollten. Endlich aber wünschte ich den ganzen Satz von zwei anderen gefolgt, so daß eine Sonate fertig geworden, an deren einen ersten Theil (bis auf den fehlenden Mittelsatz) das Allegro am meisten anklingt, des Umstandes noch zu erwähnen, daß dann die bescheidene Dilettantin einen ganzen großen Schritt zur Namensverbreitung zurückgelegt hatte, während man in einer Zeit, wo so Viele halb vor- und zurückschreiten, die Besseren unter diesen verwechselt oder übersieht. So sei denn der nächste der größere! {{Right|12.

'G. C. Kulenkamp', Caprice (D moll).

„Sage mir, wo du wohnst, so will ich dir sagen, wie du componirst.“ Es liegt etwas in diesem Paradox Florestans, der es sogar umgedreht richtig gefunden wissen will. Spazierflüge, Reisen sind nicht anzuschlagen, wenn sie auch momentan einfließen. Aber schließt Beethoven zehn Jahre in ein Krähwinkel (der Gedanke empört) und seht zu, ob er darin eine D moll-Symphonie fertig gebracht. In [kleinen] Städten wohnen nämlich Leute, im schlimmsten Falle Freunde; man componirt, man fragt letztere, sie erstaunen, man schickt zum Druck, Zeitungen kommen drüber, und fangen etwa an: „Sage mir“ etc. — Ich meine, der geschätzte Componist obiger Caprice gehört in eine große Stadt, wo der stete Gegendruck anderer Talente neue Kräfte hervorruft und verdoppelt. Seinen meisten Empfindungen hängt etwas Aengstliches vom Kleinstadtleben an, über das er sich gern erheben möchte und auch könnte, wenn ihn nicht kräftige Bürgerhände zu sehr festhielten im Rücken. Daher bei allem Guten, Wohlgesetzten, bei dem unverkennbaren Streben nach dem edelsten Ziele das Ruckweise und Steife. Der eigentliche Gedanke kommt nicht ordentlich zur Sprache, so nahe er auch darum geht; es ist Grau in Gran, oder Silber in Silber, d. h. gehaltreich aber ohne scharf Gepräge, ohne hellen Klang. Vielleicht würde ihm nützen, wenn er einmal entschieden einem Meister nachzubilden sich bemühte, damit ihm in der Vergleichung seiner Ideen mit denen des Originals der Unterschied zwischen Dein und Mein recht

{230} klar entgegenfiele. Stehe er nur nicht stille und suche er namentlich nach ergiebigen Lebensquellen, die die Schaffenskraft erfrischen und nähren. Wie wir mit der Vorliebe, die uns jede ernste Kunstgesinnung einflößt, seine bisherigen Leistungen verfolgt haben, obwohl stillschweigend, weil wir auf eine außergewöhnliche warteten, so werden wir es auch künftighin öffentlich mit der Aufmerksamkeit und der Strenge, die er verdient. {{Right|12.

'Fr. Pollini', Toccata (C moll).  Werk 56.
Die Claviercompositionen der heutigen italiäner sind im Durchschnitt nicht viel werth. Pollini kann man als ihren Chopin betrachten; er schreibt, im italiänischen Sinn, ernst und schwierig, in der Harmonie interessanter, überhaupt satzrein und mit guter Kenntniß des Instrumentes. Diese Toccata zeichnet noch das Besondere aus, daß sie in drei Systemen niedergeschrieben ist, das obere für die Hauptmelodie, das mittlere für die Begleitung, das unterste für den Baß. Doch irrt vielleicht der Componist, wenn er dadurch erleichtert zu haben meint, ebenso wie darin, daß einige Phrasen seines Stückes nach der gewöhnlichen Einrichtung gar nicht darzustellen wären: ich schreibe es ihm von Anfang bis Ende in zwei Reihen und die Spieler werden meine Weise seiner vorziehen, welche der Composition ein unmusikalisches Ansehen gegeben, woran sich das Auge viel schwerer gewöhnt, als den Händen dadurch geholfen ist, die sich schon zurecht gefunden haben würden. Jedenfalls muß man den besten Willen hierin wie in der ganzen Composition loben.

{{Right|22.

'H. Dorn', l’aimable Roué, divertissement (in C).  Werk 17.

Wie oft im Wachen schrieb ich im ordentlichen Traume Folgendes über dieses Dornenstück nieder: Um den Hals möchte ich dem Componisten dafür fallen und lachendweinend ausrufen: „ja wohl, bester Musik-Juvenal, es ist schwer keine Satire zu schreiben, erstens überhaupt, und dann wieder über die Satire selbst.“ Und er würde mir antworten: „dem Himmel sei’s gedankt, daß mich wenigstens Einer verstanden; denn die Käufer des Pfennigmagazins (das Stück bildet einen Theil davon) merken meinen Heinismus schwerlich.“ „Heinismus“ scholl es aus allen Ecken, und das sonderbare Wort verlor sich in einzelnen Buchstaben durch die Lüfte. Ich aber wachte auf.

Im Grunde genügte der Traum zum Verständniß der Absicht des Componisten. Indeß stehe der Deutlichkeit wegen noch dieses da. Oft

{231} trifft es sich, daß wir Künstler, nachdem wir redlich einen halben Tag gesessen und studirt, unter eine Schaar Dilettanten gerathen und zwar unter die gefährlichsten, denn sie kennen die Beethovenschen Symphonieen. Herr, fängt der Eine an, die wahre Kunst hat mit Beethoven den Kulminationspunct erreicht; drüber hinaus ist alles Sünde; wir müssen durchaus in die alte Bahn einlenken. Herr, antwortet der Andre, Sie kennen den jungen Berlioz nicht; mit ihm beginnt eine neue Aera; die Musik wird wieder dahin zurückkehren, von wo sie ausgegangen ist, von der Sprache zur Sprache. Deutlich genug, fällt der Erste ein, scheint dies auch Mendelssohn in seinen Ouverturen zu wollen u. s. w. — Unsereiner sitzt aber kochend und stumm dazwischen (leider können wir Musiker alles, außer reden und beweisen) und gießt in bester Laune das Ueberlaufende in Dornsche und ähnliche Divertissements. So ist es denn auch die ausgelassenste Persiflage auf Dilettantismus, Italianismus, Contrapunct, Virtuosenbravour, auf die ganze Musik, auf des Componisten eigene Person, und ich bewundere allein seine Geduld, so etwas niederzuschreiben, wobei es freilich sehr gedonnert haben mag inwendig. Schleicht sich aber schon die Ironie in unsere Kunst, so ist wahrhaft zu befürchten, sie stehe ihrem Ende wirklich so nahe, als Manche vermuthen, wenn anders kleine lustige Kometen das größere Sonnensystem aus seiner Ordnung zu bringen vermöchten. {{Right|2.

'I. W. Kalliwoda', drei Solos.  Werk 68.

Nie lachte ich so als neulich in einer Gesellschaft von Musikern, meistens bekannten Virtuosen, wo ein Witziger den Vorschlag machte, in einem Tripelconcerte, die Stimmenrollen zu wechseln, so also, daß der Violinist das Clavier spielte, der Clavierist das Violoncello; auch eine unselige Flöte fand sich. Vom Komischen dieser Scene, und wie sich übrigens vollkommene Meister lächerlich auf Instrumenten abarbeiteten, die nicht ihre eigentlichen, kann man sich schwerlich einen Begriff machen; zum Bersten klang’s und namentlich die Flöte, die nicht blasen konnte vor Lachkrampf. Der Auftritt fällt mir bei dem liebenswürdigen Kalliwoda ein, der, eigentlich Meister auf der Violine, gern für das Clavier componiren soll, worauf er keiner. Wird er nun auch keineswegs dadurch so komisch wie das obige verkehrte Kleeblatt, so gefällt er mir doch auf dem Instrumente, das er anerkannt beherrscht, am besten. An guten Violincompositionen fließt unsere Zeit auch nicht über: möchte er daher lieber dafür sorgen. Ueber die Solos selbst läßt sich nicht viel


{232} sagen: sie sind leicht, munter, rothbäckig, aber gewöhnlich. Hätte ich seine dritte Symphonie geschrieben, so fürchtete ich die Herausgabe solcher Kleinigkeiten einmal zu bereuen. Doch muß Jeder am besten wissen, warum er dies und das thut. {{Right|12.

'Franz Otto', Phalènes.  Werk 15.

Sie sind Florestan und Eusebius dedicirt und nach des Componisten eigenem Geständnisse eine Folge ihrer „Papillons“, obwohl die letzteren bei Weitem mehr der Nacht angehören möchten. Das Talent dieses Componisten, der übrigens mit geistigen Steckbriefen seit lange verfolgt wird, weil er sich gar zu tief eingesponnen irgendwo, gehört durchaus dem lichten beweglichen Tage, wenn auch auf den unteren Flügelseiten seiner Falter hier und da sich dunklere Linien durcheinander ziehen. Einen Faden, einen tieferen Zusammenhang suche ich sonst in ihrer Folge nicht; jeder fliegt für sich, oft zackig, oft in schönen Bogen, oft träg, oft pfeilschnell. Betrachtungen lassen sich bei jedem einzelnen anstellen, und oft sinnigste, wenn man Theil zu nehmen weiß. Namentlich höre ich in der letzten Phaläne ein wehmüthig Lied aus verklungener Zeit. Wenn ich noch bemerke, daß sie sich aus dem Papier und in der zurückspielenden Phantasie um vieles bedeutender ausnehmen als im wirklichen Klangkörper, so lobe ich damit den Sänger, der auch im Freien zu componireu weiß, und tadle den Clavierspieler. der mit leichter Mühe manches hätte leichter stellen können. Sei er mit diesem herzlich gegrüßt, und möge von seinen Geistesflügeln sein Genius nichts abgestreift haben als den Staub, der sich leider zu oft über den sonnigen als zweite Kruste ansetzt! {{Right|R. S.

'B. Thalberg, Caprice (E moll)  Werk 15.

{{Right|“ “ 2 Nocturnes (in Fis und H) Werk 16.

Könnten die Wiener hassen, so geschähe es wegen der schlimmen Gedanken, die diese Zeitschrift bisher über die Compositionen Thalbergs gehegt, ihres Lieblings und Augapfels. Noch vor Kurzem versprachen wir, uns und Anderen Weh zu ersparen, seine Werke so lange gänzlich zu übergehen, bis wir eines nach vollster Ueberzeugung loben könnten. Bedenke man nur, daß wir etwas auf unser Lob geben und ordentlich geizen damit — daß vieles, was andere Zeitungen als „empfehlenswerth“ abthun, für uns noch gar nicht existirt, weil im anderen Fall sonst jeder Spatz wie ein Adler behandelt sein wollte und daraus pochte, daß er erschaffen worden und schüfe, — bedenke, daß man, sich loben zu lassen, nur an die Redactionen der . . oder des . . schreiben könne.

{233} die davon leben, — bedenke, daß, wer lobe, nach Goethe sich gleichstelle, worauf wir verzichten — und man wird froh sein, mit einem blauen Auge davon zu kommen. Ohne Seitenblicke: wir halten die zwei neusten Werke von Thalberg für seine besten, und worüber wir klar sind, darüber würde er uns täuschen, wenn er sie selbst vortrüge; denn herrlich soll er sein Instrument spielen und namentlich seine eigenen Compositionen. Ist es nun eben kein vollgültiger Beweis der Güte eines Tonstückes, wenn es nur unter den Händen des Componisten schön erscheint, sondern nur einer für die Vorzüglichkeit des Vortrags, so muß sich doch vieles auch unter fremden als reizend darstellen. Zwar geht der Caprice die Schärfe und Tiefe des Witzes ab; aber sie enthält einen gut entwickelten Hauptgedanken, einzelne wahre Glanzpuncte (so das Agitato, S. 10) und bildet ein ganzes Stück, dem unzählige Evvivas folgen müssen. Daß es von einem Spieler herrührt, der die Schönheiten des Pianofortes genau kennt und mit leichten wie mit schweren Mitteln gleich geschickt zu wirken versteht, sieht man jeder Seite der Caprice an, die übrigens mehr Verehrer als Ueberwinder finden wird. — Die Notturnos nun vergleiche ich einem jungen Mann von schöner Fignr, feiner Tournüre, etwas blaß geschminkt, in der Art, wie wir es oft auf Wiener Modekupfern sehen. Des vielen Lieblichen und wirklich Einschmeichelnden halber dauern mich im Herzensgrund die einzelnen banalen Reden, z. B. nach der zartsingenden Stelle der ersten Seite der zweite Tact des letzten Systems, S. 4 der zweite des zweiten Systems; darüber wegspringen möcht' ich, die Augen zudrücken und, die Wahrheit zu sagen, mir ist’s dann, als habe der Componist gar keinen rechten Drang zum Schaffen, als thäte er es nur, weil er gerade nichts Anderes anzustellen wüßte; er muß nicht, es muß. Heine pflegt zu einem reichen deutschen Componisten, dessen Name auch in diesen Blättern vielmals vorgekommen,* gewöhnlich zu sagen: „warum componirst du nur? du hast’s ja nicht nöthig.“ Es fehlt oft wenig, daß wir Hrn. Thalberg dasselbe zurufen möchten. Talent haben wir ihm zugesprochen — wie verdiente er denn so viel Aufhebens! Eine wahre Freude aber soll es uns sein, wenn wir von seiner nächsten Composition sagen könnten: sie sei durch und durch gleichmäßig gehalten, ohne virtuosisches Beiinteresse von Anfang bis Ende sich treu bleibend, eine reinste Regung des Gemüthes in geweihter Stunde. Verschaffe er uns diese! —

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     * Meyerbeer.

{234} Da wir aber gerade bei den Notturnos stehen, so will ich gar nicht leugnen, wie mich während dieses Schreibens zwei neue von Chopin in Cis moll und Des dir [Werk 27] unaufhörlich beschäftigten, die ich, wie viele seiner früheren (namentlich die in F dur und G moll, neben denen von Field für Ideale dieser Gattung, ja für das Herzinnigste und Verklärteste halte, was nur in der Musik erdacht werden könne.*

Endlich hat uns auch Herr John Field selbst mit drei neuen Notturnos beschenkt, dem vierzehnten bis sechszehnten. Ist es einem doch dabei, als kehrte man nach einer abenteuerlichen Tour durch die Welt und nach den tausend Gefahren zu Land und Meer zum erstenmal wieder ins elterliche Haus zurück. Alles steht da so sicher und am alten Fleck, und das Naß könnte einem in die Augen treten. Sonderbar und verdächtig scheint mir nur das sechszehnte Nachtstück; es werden einige Anstalten mehr darin gemacht, sogar ein Quartett von Violinen, Viola und Baß herzugezogen. Man meint Wunder, was da kommen soll; denn der alte Herr ist ein Schalk, der mit einem Strich ein einfältig Gesicht in ein blitzendes umzuzeichnen, ja, wie Garrick im Sprech-Vortrag, das einfachste musikalische A B C so zu sprechen weiß, daß man traurig dabei werden muß. . . Es kommt aber nichts. {{Right|12.

'H. Herz', 2ème Caprice sur la Romance fav.: la Folle d’ A. Grisar. Oe. 84

In der großen Weltpartitur** aber rechne ich Henri Herz ohne Weiteres zur Janitscharenmusik; auch er spielt mit, will beachtet sein und verdient sein Lob, wenn er gehörig pausirt und beim Einfallen nicht zu viel Lärmens macht. Ueberhaupt ist es neuster Ton der haute volée der Künstler, Herz zu loben, und wirklich bekommt man auch die Klagen fader Patrioten über „Ohrenkitzel, Klingelei“ u. s. w. nachgerade überdrüßig. Nicht als ob uns letztere jemals entzückt hätte oder als ob wir meinten, die Musik könne ohne Triangel nicht bestehen; — ist er aber einmal vom höchsten Capellmeister

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     * Hier war ursprünglich noch hinzugesetzt: „Lernen läßt es sich wohl nicht, wie man in so kleinem Raum so Unendliches sammeln könne; aber übe man sich in Bescheidenheit bei Betrachtung solch hoher dichterischer Vollendung; denn wie es hier vom Herzen quillt, unmittelbar, wie Goethe jenes Urausfließende nennt, übervoll, selig im Schmerz, unnachahmlich, laßt es uns bekennen und stolz sein auf den Mann unserer Kunst.“
   ** Erinnerung an Gottschalk Wedels, S. 216 erwähntes Phantasiestück „die große Partitur“.

{235} erschaffen und vorgeschrieben, so soll er auch hell und lustig zwischenklingen. Also: Herz lebe! Ueberdem kann man ja seine Compositionen als Wörterbücher musikalischer Vortragskunsttermen benutzen, in dieser Hinsicht erschöpft er die ganze italiänische Sprache: keine Note, die nicht einen Zweck, eine Ausdrucksvorzeichnung hätte, keine Schmachtstelle, wo nicht ein Smorzando darunter stünde. Und wenn nach Jean Paul wahre Dichterwerke keines solchen Dolmetschers bedürfen, weil sie sonst Solbrigschen Declamationsbüchern glichen, die bekanntlich mit siebenfach verschiedenen Schriftarten, je nach der sinkenden und steigenden Stimme, gedruckt, so weiß das Herr Herz, der für gar keinen Dichter gehalten sein will, und spricht seine Empfindungen gleichsam noch einmal in Worten interlinearisch aus. Wie viel gäbe es hier noch zu sagen, guckte mir nicht der Setzer ängstlich über die Schulter herein wegen der Pfingstfeiertage. Darum von der Caprice nur noch so viel, daß ihr 83 Werke vorausgegangen, die auf sie schließen lassen. Die Folle ist eine berühmte französische Salon-Romanze, das Bravourstück der Mad. Masi, eine folie de salon, wie sie unser Hamburger Correspondent nannte, das Capriccio aber nicht nur eben so gut, sondern besser. Namentlich schüttelt Herz gewisse leicht elegante, beinah üppige harmonische Gänge zu Mandeln aus dem Aermel (so S. 8) und geräth dabei in einen gewissen Schwung, dessen Zweck und Ziel von Haus aus leider zu bekannt. Kommen nun vollends seine Strettos, Allegro, Presto, Prestissimo 4/4, 2/4, 6/8, so schäumt das Publicum wie ein entzücktes Meer über, und auch der eminenteste Cantor könnte dann die Octaven S. 14 System 3 zu 4 überhören. {{Right|22.

'H. Dorn', Bacchanales. Rhapsodie (in D).  Werk 15.

Der Titel paßt. Die Trauben möchten platzen vor Wollust sammt den Trinkern. Ein Stück, an dem sich der geistreiche Recensent der Dornschen „Bettlerin“ (in einer Beilage zur Allg. mus. Zeitung) neue Lorbeeren (wir verweisen nur auf die Quinten S. 3 System 4 zu 5) holen kann. Wir hüten uns wohl, mit dem Componisten anzubinden. Er sticht. Ueber kurz und lang malte er uns in eine Rhapsodie unter dem Titel »Nous«, Rhapsodie sur le »Nous« des Journalistes etc. hinein und man hätte nichts davon als eine lächerliche Unsterblichkeit. Wir meinen, die Rhapsodie gefällt uns besser als ihr zukünftiger Recensent, Bacchanalien besser als Litaneien. Mit gelehrten Fragen, „ob denn in dem Stück ordentliche Logik zu finden sei, Plan; Einheit, Wohlhäbigkeit“, dringt man hier nicht durch und hat sich nur in Acht zu

{236} nehmen, daß einem nicht ein goldner Pokal an den gelehrten Kopf fliegt. Unter den vielen herkulischen und den anderen Gottheiten, die an den Tafeln schwelgen mögen, vermiss' ich aber Harmonias oberste Tochter, von der oft ein Blick genügt hätte, den Spaßen der wilden Gesellen eine Grenze zu setzen; man merkt gewiß, daß ich die Melodie meine. Sodann fällt mir aus der Mythologie ein, daß es beim berühmten alljährlichen Bacchantenumzug allerdings toll genug hergegangen, daß aber mitten durch die trunkenen Satyrs und Mänaden sich eine Reihe vornehmer sittiger Mädchen gezogen, mit hoch gehobenen Körben und Früchten des Frühlings darin. Sollte dies der Componist nicht gewußt haben? .. . Eben fliegt ein Pokal auf mich zu ... {{Right|12. {{Right|'W. Taubert, Miniatures. Werk 23. {{Right|“ “ Tutti Frutti. Werk 24. “ “ 6 Impromptus caractéristiques. Werk 14.

Wir stellen sie nach ihren Ansprüchen in aufsteigender Linie hinter einander, nicht nach der Opuszahl. Die Miniatures sind Guckkastenbilder für Kinder, hier ein Schäfer mit einem Hunde, dort eine Festung u. s. w., eins netter als das andere; ja ordentliche Hebelsche allemannische Volkslieder vom „Brünneli“ und „Vögeli“. Man hört oft von Lehrern, daß es an faßlichen Handstücken deutscher Composition fehle, und daß sie deshalb zu Herz und Hünten ihre Zuflucht nehmen müßten. Möchten sie jetzt nach diesen Miniaturen greifen, die wirklich musterhaft für ihren Zweck gearbeitet sind, dabei naiv, putzig, Kindes Hand, Herz und Geist bildend und jedes charakteristisch für sich.

Die Tutti Frutti versteigen sich in der Erfindung schon höher und schicken sich mehr für dreizehnjährige Buben, ja für ältere und Dilettanten, wenn sie nur auf der Claviatur fein zu Haus. Der Vermischung verschiedener Schwierigkeiten halber, wie der oft wechselnden Handlagen gebe man sie nur Applicaturfesten; sonst entstehen Unordnungen. Als Composition behagt mir am meisten der Marsch, der mehr eine Art davon, so nämlich, daß man die Soldaten wie hinter dem Berge traben hört. Gar hübsch alles! Den polnischen Tanz möchte ich weniger harmonisch bunt und mehr rhythmisch klar; auch die altmodischen Doppelschläge vermißte ich gern, obgleich sie hier nicht uncharakteristisch.

Wir kommen zu den sechs Impromptus, die eben so viel kleine lyrische Gedichte sind, sehr ansprechend, bilderreich, deutsch durch und durch. Nr. 1. Zu Weihnachten. Ein Kaminstück im Vordergrunde

{237} spielende Kinder mit Schnarre, Schaukelpferd etc.; zu Zeiten klingt’s wie aus der Christmette herein; der Schnee knistert unter den Wagen. Wir wüßten nichts hinzuzusetzen, eher wegzunehmen. Die Cantilene erinnert öfters an Mendelssohnsche, — Nr. 2. Maskenball. Auch ihn wünschten wir nicht so im Kleinen ausgeführt. Das Hauptthema ist ein wohlbekanntes. Die Scene wechselt oft, wie natürlich; in der Mitte fallen ernsthaftere Dinge vor. Im Alla polacca durchkreuzen sich Walzer- und Polonaisentempo, eine alte, immer artige Idee. Auf den letzten Seiten werden noch einmal alle früheren Gedanken berührt, aber mehr gesucht als von selbst kommend. — Nr. 3, Frühlingsempfindung, scheint der leichteste musikalische Vorwurf, und ist darum der schwerste. Die Einleitung trifft; die Hauptsache mißfällt mir. Man merkt die Abssicht u. s. w. Am Ganzen bleibt die Kürze zu loben. — In der Walpurgisnacht gibt es mehr musikalischen Anhalt; doch hat die neue Zeit so viel Geisterartiges der Art geliefert, daß man alles schon einmal gehört zu haben meint. Deutlicher kann’s aber noch nicht geschehen sein als hier, wo man die Hexen auf Böcken und Ofengabeln durch die Wolken reiten sieht. Nebenbei enthält das Bild gute Gedanken und ist mit sichtlicher Vorliebe ausgearbeitet. — Der Componist schließt mit einem Traum, dem poetischsten Stück der Sammlung; das Leben möge ihm und uns ähnliche Träume zu Gestalten krystallisiren. Was sonst darüber zu sagen wäre, steht lieblicher und fester in der Musik, die wir denen empfehlen, die in den Täuschungen der Kunst Ersatz suchen für die mancherlei der Wirklichkeit. {{Right|2.

'F. Mendelssohn-Bartholdy', drei Capricen (A moll, E, B moll). Werk 33.

Oft ist’s, als breche dieser Künstler, den der Zufall schon bei seiner Taufe beim rechten Beinamen genannt, einzelne Tacte, ja Accorde aus seinem Sommernachtstraum und erweitere und verarbeite diese wiederum zu einzelnen Werken, wie etwa ein Maler seine Madonna zu allerhand Engelsköpfen. In jenem „Traum“ liefen nun einmal des Künstlers liebste Wünsche ins Ziel zusammen: es ist das Resultat seines Daseins — und wie es schön und bedeutend, wissen wir alle. — Zwei der obigen Capricen mögen einer früheren Zeit angehören, die mittlere nur der jüngsten;* jene könnten auch von anderen Meistern geschrieben sein, in der mittleren steht aber auf jeder Seite wie mit

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       * Die erste ist 1834, die zweite 1835, die dritte 1833 entstanden.

{238} großen Buchstaben: F. M. B.; — vor Allem liebe ich diese und halte sie für eine Genie, die sich heimlich auf die Erde gestohlen. Da spannt und tobt nichts, spukt kein Gespenst, neckt nicht einmal eine Fee, überall tritt man auf festen Boden, auf blumigen, deutschen; ein Waltscher Sommerflug über Land aus Jean Paul ist es. Bin ich auch beinah überzeugt, daß dies Stück Niemand mit so unnachahmlicher Aumuth spielen könne als der Componist, und gebe ich Eusebius Recht, der meint, „er (der Componist) könne damit das liebendste Madchen auf einige Augenblicke untreu machen“, so mag sich dies durchsichtig schimmernde Geäder, dieses wallende Colorit, diese feinste Mienenbeweglichkeit doch von Keinem gänzlich unterdrücken lassen. Wie verschieden davon sind die anderen Capricen und fast in gar keiner Beziehung zur mittleren! In der letzten nämlich steckt so etwas von einem verhaltenen sprachlosen Ingrimm, der sich auch ganz leidlich bis zum Schluß beschwichtigt, aber dann aus voller Herzenslust losbricht. Warum? — wer weiß es! man ist eben zu Zeiten wild, nicht etwa über dies oder das, sondern möchte „mit sanftester Faust““ im Allgemeinen rechts und links ausschlagen und sich selbst aus der Erde hinaus, wenn’s nicht gerade noch zu ertragen wäre. Auf Andere wird die Caprice anders wirken, auf mich so; stehe es da. Dagegen werden wir sämmtlich bei der ersten übereinstimmen, wenn wir mit ihr ein leichteres Weh durchleben, das von der Musik, worin es sich gestürzt, Linderung verlangt und empfängt. Mehr verrathen wir nicht. Der nächste Blick des Lesers aber fliege in das Heft selbst.

'Ludwig Schunke, erste Caprice (C dur).  Werk 9.
                 “            “            zweite Caprice (C moll).  Werk 10.

Einmal im Frühling 1834 trat Schunke mit seiner gewöhnlichen Hast in meine Stube (es trennte uns nur eine offene Thür) und warf hin: „er wolle in einem Concert spielen, und wie er das Stück nennen solle, denn ,Caprice' sage ihm zu wenig.“ Dabei saß er längst am Flügel und im Feuer der zweiten in C moll. Leidlich entzückt antwortete ich im Spaß: nenn' es “Beethoven, scène dramatique“ — und also kam es auf den Concertzettel; in Wahrheit schattet das Stück aber nur ein Tausendtheil Beethovenschen Seelenlebens ab. nur eine kleine dunkle Linie in der Stirn. — Zwei Jahre sind seit jenem Frühling hinüber. Wenn ein Virtuose stirbt, sagen die Leute

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       * Jean Paul.

{239} gewöhnlich: „hätt' er doch seine Finger zurückgelassen!“ Diese machten’s bei Ludwig Schunke nicht: ihm wuchs alles aus dem Geist zu und von da ins Leben; ihn eine Stunde studiren, ja die Tasten C D E F G hin und her üben zu hören, war mir ein Genuß und mehr als manches Künstlerconcert. Hat er nun auch, nach dem jetzt möglichen Ueberblick, als Componist nicht die Höhe erreicht wie als Virtuos (die Sicherheit und Kühnheit seines Spiels, namentlich in den letzten Monden vor seinem Tod, stieg ins Unglaubliche und hatte etwas Krankhaftes), so war ihm nach dieser einzigen zweiten Caprice eine fruchtbare und ruhmesvolle Zukunft zuzusichern. Sie hat vieles von ihm selbst, die Excentricität, das vornehme Wesen, etwas Still-Glänzendes; dagegen wollte mir die erste von jeher kälter, der Kern sogar prosaisch vorkommen und gewann nur durch seinen Vortrag. Ja, ihn spielen zu hören! Wie ein Adler flog er und mit Jupiterblitzen, das Auge sprühend aber ruhig, jeder Nerv voll Musik, — und war ein Maler zur Hand, so stand er gewiß als Musengott auf dem Papier fertig. Bei seinem Eingenommensein gegen Publicum und öffentliches Auftreten, das sich in etwas aus dem Verdachte, nicht genug anerkannt zu werden, herleitete und sich nach und nach bis zum Widerwillen gesteigert hatte, was natürlich auf die Leistung zurückwirken mußte, kann man nicht verlangen, daß die, die ihn mir einmal obenhin gehört, in ein Urtheil einstimmen können, das sich auf dem Grund eines tagtäglichen Verkehrs zu so großer Erhebung herausstellte. Doch stehe hier, einen Begriff seiner weitgediehenen Meisterschaft zu geben, ein kleines Beispiel, das mir eben einfällt. Wenn man Jemandem etwas dedicirt, so wünscht man, daß er’s vorzugsweise spiele; aus vielen Gründen hatte ich ihm vielleicht eines der schwierigsten Clavierstücke, eine Toccata, zugeeignet. Da mir kein Ton entging, den er anschlug, so hatte ich meinen leisen Aerger, daß er sich nicht darüber machte, und spielte sie ihm, vielleicht um ihn zum Studiren zu reizen, zu Zeiten aus meiner Stube in seine hinüber. Wie vorher blieb alles mäuschenstill. Da, nach langer Zeit besucht uns ein Fremder, Schunke zu hören. Wie aber staunte ich, als er jenem die Toccata in ganzer Vollendung vorspielte und mir bekannte, daß er mich einigemal belauscht und sie sich im Stillen ohne Clavier herausstudirt, im Kopfe geübt habe. 60 — Leider brachte ihn aber jener Verdacht des Nicht-Anerkanntwerdens zuweilen auf unrechte Ideen; einmal hielt er seine Leistungen für noch zu gering und sprach begeistert von neuen Paganini-Idealen, die er in sich spüre, und „daß er sich ein halbes Jahr

{240} einschließen und Mechanik studiren werde“; einmal wollte er wieder die ganze Musik bei Seite legen u. s. w. — Doch zogen solche Gedanken nur wie ein Schmerz um ein erhaben Gesicht, und er blieb seiner Kuns mit allem Feuer bis zu seinen letzten Stunden zugethan, wo er im Fieber die Umstehenden bat, ihm eine Flöte zu bringen. . . . * {{Right|R. Sch.

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IV.

Duos.

F. Chopin und A. Franchomme, Großes Duo über Themas aus Robert der Teufel, für Pianoforte und Violoncello (in E).

Ein Stück für einen Salon, wo hinter gräflichen Schultern hin und wieder der Kopf eines berühmten Künstlers hervortaucht, also nicht für Theekränze, wo zur Conversation aufgespielt wird, sondern für gebildetste Cirkel, die dem Künstler die Achtung bezeigen, die sein Stand verdient. Es scheint mir durchaus von Chopin entworfen zu sein, und Franchomme hatte zu Allem leicht Ja sagen; denn was Chopin berührt, nimmt Gestalt und Geist an, und auch in diesem kleinern Salonstil drückt er sich mit einer Grazie und Vornehmheit aus, gegen die aller Anstand anderer brillant schreibender Componisten samt ihrer ganzen Feinheit in der Luft zerfährt. — Wäre der ganze Robert der Teufel voll solcher Gedanken, als Chopin aus ihm zu seinem Duo gewählt, so müßte man seinen Namen umtaufen. Jedenfalls zeigt sich auch hier der Finger Chopins, der sie so phantastisch ausgeführt, hier verhüllend, dort entschleiernd, daß sie einem noch lange in Ohr und Herzen fortklingen. Der Vorwurf der Länge, den ängstliche Virtuosen vielleicht dem Stücke machen, wäre nicht unrecht: auf der zwölften Seite erlahmt es sogar an Bewegung, echt Chopinsch aber reißt es dann auf der dreizehnten ungeduldig in die Saiten, und nun geht es im Flug dem Ende mit seinen Wellenfiguren zu. Sollten wir noch hinzusetzen, daß wir das Duo bestens empfehlen?

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   * Ursprünglicher Schluß:
      ... Erinnert euch des Jünglings manchmal, bitte ich noch.

{241}

'I. Moscheles', Großes Duo für zwei Pianofortes (in G). Werk 92.

Wer mitten in den Tagescompositionen sitzt wie unsereiner, und verdrießlich ja wüthend eine nach der anderen in den Winkel werfen muß, den lacht so ein Stück wie eine Kerze im Gefängniß an. So im Grund zuwider mir alles ist, was irgend nach Journalpolemik, offener wie versteckter, aussieht, so kann ich mir die Naivetät nicht erklären, mit der manche Redactionen ganz zuversichtlich gestehen, sie recensirten nur das, was ihnen durch den guten Willen der HH. Componisten und Verleger anvertraut würde. Wahrhaftig, es könnte die Zeit kommen, wo es weder den Einen noch den Anderen einfiele, und am wenigsten den besten Componisten, die sich um keinen Recensenten scheren, — und was dann?— Andere, anstatt also das Interessanteste, sei’s im Häßlichen oder Schönen, auszusuchen aus dem Erscheinenden, ziehen wieder mit bitterster Verachtung über alles Französisch-italiänische her, über Bellini, Herz etc., und füllen doch ihre Blätter mit Floskeln über Floskeln; ja im schönsten Fall bitten sie deutsche Componisten, sie sollen ihnen um Himmels Willen nichts von ihren Werken einschicken sondern nur dem Verleger, der sie dann heraussuche, — Ist das Kunstsinn, Künstlerachtung? Gleich wie in immerwährender Umgebung vorzüglicher Menschen oder steten Angesichts hoher Kunstschöpfungen, deren Sinnesart, deren Lebenswärme sich den Empfänglichen beinahe unbewußt mittheilt, daß ihnen die Schönheit gleichsam praktisch wird, so sollte man, die Phantasie des Volkes zu veredeln, es bei Weitem mehr in den Galerieen der Meister und der zu diesen aufstrebenden Jünglinge herumführen, als es von einer Bilderbude in die andere schleppen. Vor Häßlichem und Obscönem läßt sich warnen; nichts aber, was mittelmäßiger machte, als mittelmäßiges Sprechen darüber.* Kein Künstler aber braucht eines blühenden Spiegels seiner Kunst mehr als der Musiker, dessen Leben oft in so dunkle Umrisse ausläuft, und keine Kunst sollte man ans zarterer Folie angreifen als die zarteste, anstatt sie sich mit ungeschlachter Fleischerhand zum Verspeisen zu verarbeiten. Astrologische Liebhabereien, Langweiligkeiten,

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     * Hier ausgelassen: „Wir unsererseits wollen vor der Hand, ehe wir nicht Gleichgesinnte gefunden, die in der Weise, wie wir über einige Zweige mit Vorliebe geschrieben, sich über die andern verbreiteten, lieber den Vorwurf einer momentanen Einseitigkeit auf uns nehmen, als in jenen platt-allgemeinen Ton einstimmen, der in seinem Lob viel mehr Unheil angerichtet als Partnern und offene Scandalsucht.“

{242} Muthmaßungen etc. gehören in Bücher: in einer Zeitschrift mögen wir aber wie auf dem Rücken eines Stromes, reiche Wanderer am Bord, rasch durch die fruchtbarsten gegenwärtigen Ufer vorbeifliegen und, will es der Himmel, in das hohe Meer, zu einem schönen Ziel. Wie könnte es uns denn aufhalten, wenn einmal eine wimmernde Krähe in unsere Masten einhackt: im Gegentheil tragen wir sie leicht von dannen, und seht, seht — nun muß sie mit fort nach unserm Morgenland.

Das Vorige steht mit der Composition von Moscheles in der Beziehung, daß sie eine der lieblichsten, von der wir unsern Lesern erzählen können. Aug' und Ohr wird sich daran weiden; jenes, weil ihr alterthümlicher und dennoch galanter Schnitt in Vielen jene würdigen Gesichter mit großer Perücke und einem wachsamen klaren Auge darunter zurückrufen wird, wie wir sie oft auf Gemälden des vorigen Jahrhunderts schauen; dieses, weil es in gar zierlichen Melodieen und Harmonieen durcheinander lacht und schmollt. Warum es mit dem Namen „Händel“ prunken will, weiß ich nicht und ließe mir den Titel* nehmen. Doch war ein Zusatz nöthig, da man ohne ihn sich fragen müßte, ob Moscheles absolut und auf reinem Naturweg nach rückwärts trachtete, oder ob er sich nur auf einige Augenblicke in jenes Zeitalter der Gesundheit, Ehrbarkeit und Derbheit zurückversetzt. Das letzte ist der Fall und wir wissen es ihm herzlich Dank. Schließlich die Bemerkung, daß es dasselbe ist, das Moscheles und Mendelssohn im vorigen October in Leipzig, ich sagte damals wie zwei Adler, zusammen gespielt, man könnte auch sagen, wie leibhaftige Enkel Händelschen Stammes. {{Right|Rob. Schumann.

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Aus den Büchern der Davidsbündler.

Sechzehn neue Etuden.

Das Titelblatt hat sich verloren, und ich kann ohne alle Amorbinde und Blende recensiren: denn Namen machen unfrei und Personalienkenntniß vollends. Sollten die Etuden daher von Moscheles sein, so fürchte ich nicht, sie zu sehr tadeln zu müssen wegen Charakterschwäche — oder von Chopin, so soll mich sein schwärmerisch Auge

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        * „Hommage à Händel.“

{243} nicht verführen — oder von Mendelssohn, den spür' ich tausend Schritte weit in den Fingern und sonst — oder von Thalberg, so soll er die Wahrheit erfahren — oder gar von dir, Florestan, der du uns am Ende einmal mit „Violinetuden für Clavier“ überraschen wirst, wie du deren schon orchesterartige gesetzt, so soll unsern Goliathen nichts verschwiegen bleiben. Nachdem ich einen prüfenden En-gros-Blick in das Heft geworfen (ich halte viel von der Notengestaltmusik fürs Auge), so gesteh' ich, daß es wohl nicht allein an den sehr scharfen, einzeln stehenden, wie in Stein gehauenen Köpfen liegt, daß ein jeder etwas zu bedeuten und die lose verschlungenen Stimmfäden immer in einen klaren Büschel zusammen zu wachsen scheinen. Sodann sieht mich etwas ungemein Solides an, dabei Säuberliches, Geputztes, in der Art, wie sich alte Leute noch Sonntags gern anziehen, vor Allem aber etwas Wohlbekanntes, dem man schon im Leben einmal begegnet zu sein meint. Von romantischen Gießbächen hör' ich nichts, wohl aber von zierlichen Springbrunnen in verschnittenen Taxusalleen. Doch sind dies alles optische Ahnungen und bei Weitem sicherer schlag' ich gleich S. 30 auf — „Moderato en carillon“:

#Notenbeispiel.

Carillon heißt jedenfalls Glockenspiel und ich vergleiche die Etüde einem klingenden chinesischen Thurm, wenn der Wind unter die närrischen Glöckchen fährt. Sehr hübsch find' ich sie und erachte sie eines guten Musikers würdig: ja sie hat etwas Cramersches. Weiter — S. 32:

#Notenbeispiel.


{244} Melodie scheint mir deine Stärke nicht, verschleierter Künstler, aber wie kannst du auch S. 34 innig werden! Ist es doch, als glühe in ein greises Gesicht ein Blitz von früher hinein und verkläre es eine Weile, und es sinke dann wieder ermattet aufs Ruhebett zurück. Von Chopin ist die Etüde nicht darauf schwör ich. Zurück — S. 20:

  1. Notenbeispiel.

Hier könnte Moscheles seine Hand im Spiel haben, wenn sie sich nicht gar zu lang in der ursprünglichen Tonleiter bewegte; aber wie glücklich geräth sie in einer neuen Bewegung an ein Ziel:

  1. Notenbeispiel.

Weiter finde ich S. 23:

  1. Notenbeispiel.

Ludwig Berger feilt seit langen Jahren an einem Heft: ich bekomme ihn hier stark in Verdacht. Das geht so fest durch den Harmoniestrom, ohne Bangen, auf eine seichte Stelle oder eine Untiefe zu gerathen; ja im E dur steigt es ans Land und sonnt sich auf grünem Rasen, dann aber flugs wieder in die Wellen hinein. Zurück S. 18:


{245}

  1. Notenbeispiel.

- die mich irre am Componisten macht und einen fernen südlichen Anflug, ja Aehnliches von einem Quartett aus einer Bellinischen Oper hat. Ich vermuthete schon ein Oeuvre posthume von Clementi: aber hier fühl’ ich jüngste Einflüsse. Dagegen scheint mir S. 2 sehr altväterisch, S. 28 und 42 trocken und langweilig.

Was aber funkelt hier, S. 26, und duftet auf mich ein:

  1. Notenbeispiel.

Ein webendes Tonspiel von sechs und mehr Stimmen, ein glückliches Durcheinander, ein Plaudern von geliebten Lippen – und wahrhaftig, hier senk’ ich meinen Degen, denn nur ein Meister kann solches. Noch dazu macht mich dieser Gang stutzig:

  1. Notenbeispiel.


{246}

  1. Notenbeispiel.

— und gar zu meiner Verwunderung steht über einer der Etuden Nr. 97. — Sollten sie am Ende gar vom alten I. B. -- -- --

Freilich, Eusebius, sind sie’s, und ich übersetze schon seit lange an dem Titel, welcher lautet: 16 nouvelles Etudes pour le Pianoforte composées et dédiées à Mr. A. A. Klengel, organiste à la cour de sa Majesté le Roi de Saxe, par son ami J. B. Cramer, 61 membre de l’académie royale de Musique à Stockholm Oev. 81. (No. 85-100). Propriété des éditeurs. Enrégistré dans l’archive de l’union. Vienne, chez T. Haslinger, éditeur de musique etc. {{Right|Rob. Schumann.

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Compositionsschau.

Rondos für Pianoforte.

Erste Reihe.

S. A. Zimmermann, Rondo in As. Werk 5. Valerie Momy, Rondo mit Einleitung in F Werk 4. Cam. Grillparzer, Rondo in A,. I. Benedict, Rondo in As. Werk 19. H. Enckhausen, Rondo in G. Werk 38. F. X. Chwatal, Rondo in A moll. Werk 18. C. Haslinger, Rondo in G. Werk 8.

Ueber das erste Rondo würde man sich im Hausbackenthum der mus. Kritik so ausdrücken: „Das nicht leichte Rondo geht aus As dur und ist über ein Thema des vielbeliebten, vielschreibenden Auber gearbeitet. Wenn nun dem (muthmaßlich noch jungen) Componisten eine Kenntniß moderner, brillanter Passagen nicht abzusprechen ist, so u. s. f. — Das Werkchen wird sich bei einer gewissen Classe von Pianofortespielern Freunde erwerben u. s. w. — Die Druckfehler sind {247} nicht bedeutend.“ Gestehe ich nur, daß mir viele schlechte Recensionen vorgekommen sind — eine talentlosere Ohnmacht aber, eine trostlosere Nullität, eine gar nicht zu sagende Schlechtigkeit einer Composition noch nie. Hiergegen verschwindet alles, was je in kurzen Anzeigen angezeigt worden ist, ja aller anspielende Witz auf Säge, Zimmermannsarbeit und dgl. Zwischen zwei Brettern eingeklemmt steht man am Ende der Welt und kann weder vor noch zurück. Zum Fenster hinaus!

Valerie Momy, in schlimmer Stunde nahst du dich mir! Was ich von dir halte? Niemandem will ich’s sagen als dir ins Ohr: Although you have no heart, you possess a finger of the immortal Henri (das Wortspiel ist deutsch) and the hand yields not in whiteness to the keys it touches. I could indeed wish that the diamonds, which adorn it, existed in the mind (die Engländer und Franzosen haben kein Wort für unser “Gemüth”), - yet I would take the hand, if you would give it me, with this single promise on your part, that you would never composie anything.62

Dagegen wäre zu wünschen, Herr Camillo Grillparzer (ein Verwandter des Tragöden?)* componirte mehr, nicht weil er unentbehrlich wäre (was wäre das auf der Welt überhaupt, nicht einmal die Dmoll-Symphonie, die Allgemeine [musikal.] Zeitung), sondern weil er ein echtes Talent scheint, das sich freilich noch aus dem Rohen herauszuarbeiten hat. Das Rondo ist ein komisches Gemisch von Dichter- und Philisterblüthe und eigentlich keines, sondern eher ein Sonatensatz. Ohne Anfang trotz aller Einleitung, ohne Mittelpunct und ohne Ende trotz des Festsitzens in der Tonart, bewegt es sich in einem kleinen Cirkel von Gedanken und entschlüpft einem allerwärts. So wirkte es schon vor langer Zeit auf mich und jetzt wieder. Jedenfalls soll folgenden Compositionen nachgespürt werden.

Das Rondo von Hrn. I. Benedict heißt les Charmes de Portici und mißfällt mir durchaus in seinem Bestreben, italiänischen Ohren deutsche Gedanken genießbar zu machen; denn dazu ist’s offenbar geschrieben. Die wenige Erfindung, die Hr. B. überdies besitzt, kann da vollends nicht aufkommen und eine angeborene Unbeholfenheit macht’s noch schlimmer. Von Gemüth, Musik ist hier nicht die Rede; ohne irgend psychischen Zusammenhang, wie es eben die Finger treffen, windet sich das Stück unbequem Tact nach Tact ab. Gerade zum Rondo gehört die ätherische Schaffkraft, der die Form unter der Hand

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       * ein Bruder von Franz Grillparzer.

{248} wegläuft, und die sich am seltensten findet. Wir haben mehr gute Fugen als gute Rondos.

Bessere Anlagen entwickeln ohnstreitig die beiden nachfolgenden, namentlich Hr. Enckhausen, in dessen Rondo sich jüngere Spieler bald und mit Nutzen zurecht finden werden; Eigentümlichkeit geht ihm durchaus ab und die Leichtigkeit ist die der Prosa.

In der »Hardiesse« des Hrn. Chwatal rennt dagegen ein Kosak mit der Pike auf uns zu, aber nur um zu erschrecken; ein sehr guter scharfer Holzschnitt. Von allen Nationalitätsnachahmungen gefielen mir bisher die Kosakischen am wenigsten; die Phantasie muß immer ein gemeines bärtiges Bild mit fortschleppen. Es gibt ja auch in Sicilien Menschen und Sicilianerinnen.

Hr. Haslinger weiß das und sein „Frühlingsgruß“ kommt aus dem Süden. Es ist ein klares quellendes Gemüth, das uns schon durch eine mus. „Rheinreise“ werth geworden, über die ausführlicher in einer zukünftigen Variationenschau. Das Rondo hat viele Breiten und mehr Gräser als Blumen, aber es verschmilzt sich zu einem wohlthuenden Plan, und das gilt in diesen chaotischen Tagen schon genug. Man muß bedauern, daß der musikalische Mann der Muse nur den Hof macht.

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Zweite Reihe.

B. Lachner, Rondino in Es. C. W. Greulich, drittes gr. brill. Rondo (in E). Werk 22. O. Gerke, Phantasie und brill. Rondo (in F). Werk 21. I. Schmitt, brillantes Rondo in Es. Werk 250. Al. Schmitt, Rondo in Es. Werk 78. C. Mayer, 3 gr. brillante Rondos (in Des, E moll und H molI)

Der Triumphator heißt Franz mit Vornamen, daher ich nicht diesen sondern Vincenz, wie ich höre einen von seinen Brüdern, zu loben habe. Das Rondino ist ein kleiner nackter Liebesgott mit Grübchen in den Backen, eben schalkhaft und immer auf der Flucht begriffen; in der Mitte schleppt er sich sogar mit einem Stück Beethovenscher Löwenhaut (der Componi versteht uns gewiß) läßt es aber schnell fhren, da’s ihm zu schwer wird. Kurz, das Rondino macht hübsche Bilder und hinterläßt einen ganzen Eindruck: ja es brauchte sich selbst aus einer Franz Lachnerschen Siegerstirn nicht zu schämen als Lorbeerblatt; denn in Aufichtigkeit, wenn letzterer manchmal nach etwas über oder außer seinen

{249} Kräften zu streben geschienen, so unternimmt dieser nichts, dessen Gelingen er nicht voraussähe. Doch wolle man auch nicht zu früh von einem einzigen gelungenen Schlag auf einen ganzen Helden schließen. Bringt er aber, wie er ein echtes Rondino geschrieben, so eine echte Sonatine und arbeitet sich so durch die Sonate bis zum irgend Höchsten hinauf, so soll es nicht verschwiegen bleiben.

So viel Anziehendes das Zusammenstellen mehrerer Stücke derselben Gattung hat, so auch das Unvermeidliche des schärferen Kontrastes verschiedener Charaktere. Aber auch ohne vom vorigen Rondino befangen zu fein, bleibt das Rondo von Hrn. Greulich sehr steif; geradezu gesagt, zur Grazie mangelt ihm alles, wenn nicht auch die vollendete Kraft, aus der jene (nicht allein nach Schiller) als Blume hervorsteigt. Sein Rondo stolpert wie ein ungeschickter Tänzer, der in der Ronde die rechte Hand hingibt statt der linken und überall Verlegenheit und Verwirrung in die Kette bringt. Wozu gleich eine Einleitung wie zu einem Alcidor oder Nurmahal?* Solche ästhetische Versehen vergebe man schwerer als schülerhafte Quinten. Will ich Jemandem etwas Verbindliches sagen, so bereite ich ihn doch nicht mit einem Caraibengesicht dazu vor. Und auch das wollte man der größeren späteren Wirkung entschuldigen, bliebe das Freundliche nur nicht ganz aus. Aber was erhält man auf ganzen fünfzehn Seiten, als mühsam aneinandergearbeitete, auf und ab laufende Passagen, meistens in Hummelscher Weise; zu einer Entscheidung, zu einer Pointe gelangt das Stück nirgends. Einiges läßt vermuthen, daß es eigentlich mit Instrumentalbegleitung geschrieben, wo sich dann Manches zu Gunsten der Composition auslegen ließe. Wär' es nicht, so wär' es noch schlimmer; wär' es aber, so hätte es immerhin auf dem Titel bemerkt sein können. Harmonische Fertigkeit, d. h. Kenntnisse und Routine in der Harmonie, besitzt der Componist unbezweifelt; er sollte sie vor Allem zur Ausbildung und Veredelung der Melodie benutzen; denn daran gebricht es ihm gänzlich, und dies Urtheil basirt sich nicht auf dieses Werk von seiner Hand allein.

Wie es passive Genies gibt, so auch passive Talente: jene leben z. B. in und von Beethoven, diese in Hummel. Hr. O. Gerke scheint viel gehört, studirt und in sich aufgenommen zu haben; seine Compositionen haben Anordnung, Verhältniß, Sinn; aber nirgends zeigt sich eine primäre Kraft; seine Stimme ist stets wie belegt, gedämpft: er muß noch zu sehr nach dem rechten Ausdruck suchen, sich

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     * Opern von Spontini.

{250} erst in die Stimmung versetzen, als daß er sich frei und unbewußt in einer höheren ergehen könnte. Das Rondo ist, gegen zehn andere gehalten, jedenfalls schätzenswerth; aber es greift nicht durch, gebietet uns nicht, es anzuerkennen; es fordert nur unser Urtheil heraus, zur Theilnahme, Mitleidenschaft vermag es nicht zu erregen. Indeß kann sich das leicht zum Besten verkehren und eine Umsetzung auf fremden Boden thut oft Wunder. Man müßte ja wahrhaft bedauern, wenn ein gewiß edleres Bemühen als das von Hunderten, noch dazu bei so vielen technischen Hülfsmitteln, nicht einmal in die Mitte treffen sollte. Was an uns, so wird über spätere Leistungen die Rechenschaft nicht ausbleiben.

Wir kommen zu einem sehr talentvollen Mann, Hrn. Jacob Schmitt, der, wenn er nicht schon an den 250 stände, vielleicht weiter wäre. Mit einem Wort, er schreibt zu viel und nimmt die Sache zu leicht. Ueber die Launenhaftigkeit, mit der die Natur ihre Gaben austheilt, könnte man sich oft grämen. Dem gibt sie Charakter aber Starrheit; jenem Erfindung aber Leichtsinn; diesem Ruhmbegierde aber keine Ausdauer; jenem dichterische Gedanken aber keine Handhabe dazu; Vielen manches, den Meisten wenig. Hr. Jacob Schmitt besitzt von alle diesem etwas; seine instructiven Sachen gehören zu den besten ihrer Art, viele seiner freien Erzeugnisse sind voll musikalischen Lebens; aber sein Streben dreht sich im Kreise und kann keinen Mittelpunct finden; seine ersten Werke sind nicht schlechter als seine letzten; wo man hingreift, Talent — und ehe man sich’s versieht, ist er wieder über alle Berge. Liegt ihm doch in seinem Bruder, Hrn. Aloys Schmitt, ein Beispiel nahe, wie man sich selbst in einem engeren Wirken zu einer vollständigen Virtuosität erheben könne! Hat er nicht dieselben Kräfte und vielleicht vielseitigere? Aber wie überwiegt ihn der an Bildung, Geschmack (nicht im gewöhnlichen Modesinn), an Künstlerschaft. Hierin liegt Urtheils genug über die Rondos der Gebrüder S. Das von I. Schmitt hat eine bnnte Menge von Gedanken und bis aus die halbgelehrte unpassende Einleitung in Es moll (die Tonart, in der auf der Welt am wenigsten componirt worden) den rechten Rondozug. Wie weise wirtschaftet dagegen A. Schmitt und hält mit fester Hand zwei, drei Dinge fest, zieht sie zum Knoten zusammen, entwickelt sie eben so gut. Wollte man hier und dort am Speciellen stehen bleiben und mäkeln, so wäre kein Fertigwerden. Es handelt sich darum, wie sich des Künstlers Werk im Ganzen zeigt; im Einzelnen, was wäre da untadelhaft, was unverbesserlich!63

{251} Am Schluß dieser zweiten Reihe ergreife ich die Gelegenheit, an drei ältere Rondos von Carl Mayer zu erinnern. Man kann sie geradezu als Resumé seines Strebens betrachten. Die Gestalt gehört ihm (will man nicht leise an Field denken) beinahe ganz an, und klug that er, daß er sie in allen dreien unverändert beibehielt, weil man neugefundene Formen, wenn sie sich Platz in der Welt machen sollen, mehr als einmal wiederholen muß. An Kunstwerth steigen sie mit der Zahl, an phantastischer Bedeutung verhalten sie sich vielleicht umgekehrt; jedoch ist das nur eine Ansicht — und gleicht sich jedenfalls aus. Das Eigenthümliche ist das Einstechten einer langsamen Cantilene in das fliehendere Wesen des Rondos, wodurch die Gattung zwei Physiognomieen bekommt und von ihrem Ursprung sich entfernend wie ein zusammengegedrängter Sonatensatz erscheint. Zu dieser glücklichen Manier gesellen sich alle Vorzüge einer guten Composition, reizender Harmoniefluß, gewählter Schmuck, durchscheinender Bau, inniger Gesang und eine Clavierangemessenheit, die die Compositionen dieses Künstlers eingänglich gemacht und, wenn er fortschreibt, noch weiter verbreiten muß.64

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Monument für Beethoven.65

Vier Stimmen darüber.

1.

Das Mausoleum zukünftigen Andenkens steht schon leibhaftig vor mir — ein leidlich hoher Quader, eine Lyra darauf mit Geburts- und Sterbejahr, darüber der Himmel und daneben einige Bäume.

Ein griechischer Bildhauer, angegangen um einen Plan zu einem Denkmal für Alexander, schlug vor, den Berg Athos zu seiner Statue auszuhauen, die in der einen Hand eine Stadt in die Luft hinaushielte; der Mann ward für toll erklärt; wahrhaftig, er ist es weniger als diese deutschen Pfennigsubscriptionen. — Glücklicher Imperator Napoleon, der du weit da draußen im Ocean schläfst,* daß wir Deutschen für die Schlachten, die du uns abgewonnen und mit uns gewonnen, dich nicht mit einem Denkmal verfolgen können; auch würdest du aus dem Grabe steigen mit der strahlenden Rolle „Marengo, Paris, Alpenübergang, Simplon“, und das Mausoleum bräche ja

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    * Die Gebeine Napoleons wurden erst im December 1840 von St. Helena nach Paris übergeführt.

{252 zwergig zusammen! Deine D moll-Symphonie aber, Beethoven, und alle deinen hohen Lieder des Schmerzes und der Freude dünken uns noch nicht groß genug, dir kein Denkmal zu setzen, und du entgehst unserer Anerkennung keineswegs!

Seh' ich es dir doch an, Euseb, wie dich meine Worte ärgem, und wie du dich vor lauter Seelengüte zu einer Statue in einem Carlsbader „Sprudel“ versteinern ließest, wäre damit dem Comité gedient. Trag' ich denn nicht auch den Schmerz in mir, Beethoven nie gesehen, die brennende Stirn nie in seine Hand gedrückt zu haben, und eine große Spanne meines Lebens wollte ich darum hingeben. . . . . . . . .

Ich gehe langsam zum Schwarzspanierhause Nr. 200, die Treppen hinauf: athemlos ist alles um mich; ich trete in sein Zimmer: er richtet sich auf, ein Löwe, die Krone auf dem Haupt, einen Splitter in der Tatze. Er spricht von seinen Leiden. In derselben Minute wandeln tausend Entzückte unter den Tempelsäulen seiner C moll-Symphonie. — Aber die Wände möchten auseinanderfalten; es verlangt ihn hinaus: er klagt, wie man ihn so allein ließe, sich wenig um ihn bekümmere. — In diesem Moment ruhen die Bässe auf jenem tiefsten Ton im Scherzo der Symphonie; kein Odemzug: an einem Haarseil über einer unergründlichen Tiefe hängen die tausend Herzen, und nun reißt es, und die Herrlichkeit der höchsten Dinge baut sich Regenbogen über Regenbogen an einander auf. — Wir aber rennen durch die Straßen: Niemand, der ihn kennte, der ihn grüßte. — Die letzten Accorde der Symphonie dröhnen: das Publicum reibt sich in die Hände, der Philister ruft begeistert: „das ist wahre Musik“.

Also feiertet ihr ihn im Leben; kein Begleiter, keine Begleiterin bot sich ihm an: in einem schmerzlicheren Sinn starb er, wie Napoleon, ohne ein Kind am Herzen zu haben, in der Einöde einer großen Stadt. Setzt ihm denn ein Denkmal — vielleicht verdient er’s; dann aber möchten eines Tags auf eurem umgeworfenen Quader jene Goetheschen Verse geschrieben stehen:

So lange der Tüchtige lebt und thut, Möchten sie ihn gern steinigen; Ist er hinterher aber todt, Gleich sammeln sie große Spenden, Zu Ehren seiner Lebensnoth Ein Denkmal zu vollenden. Doch ihren Vortheil sollte dann Die Menge wohl ermessen, Gescheuter war’s, den guten Mann Auf immerdar vergessen. {{Right|Florestan.

{253} 2.

Sollte aber durchaus Jemand der Vergessenheit entzogen werden, so mache man doch lieber den Recensenten Beethovens einige Unsterblichkeit, namentlich Jenem, der in der Allgem. mus. Zeitung 1799. S. 151 voraussagt: „Wenn Hr. van Beethoven sich nicht mehr selbst verleugnen wollte und den Gang der Natur einschlagen, so könnte er bei seinem Talent und Fleiß uns sicher recht viel Gutes für ein Instrument liefern, welches“ u. s. w. Ja wohl, im Gang der Natur liegt’s und in der Natur der Dinge. Siebenunddreißig Jahre vergingen einstweilen: wie eine Himmelssonnenblume hat sich der Name Beethoven entfaltet, wahrend der Recensent in einem Dachstübchen zur stumpfen Nessel zusammengeschrumpft. Aber kennen möcht' ich den Schelm dennoch und eine Subscription für ihn und gegen etwaigen Hungertod eröffnen.

Börne sagt: „wir würden am Ende noch dem lieben Gott ein Denkmal setzen“; ich sage, schon ein Denkmal ist eine vorwärts gedrehte Ruine (wie diese ein rückwärts gedrehtes Monument) und bedenklich, geschweige zwei, ja drei. Denn gesetzt, die Wiener fühlten Eifersucht auf die Bonner und bestünden auch auf eins, welcher Spaß, wie man sich dann fragen würde: welches nun eigentlich das rechte? Beide haben ein Recht, er steht in beider Kirchenbüchern; der Rhein nennt sich die Wiege, die Donau (der Ruhm ist freilich traurig) seinen Sarg. Poetische ziehen vielleicht letztere vor, weil sie allein nach Osten und in das große dunkle Meer ausfließt; andre pochen aber auf die seligen Rheinufer und auf die Majestät der Nordsee. Am Ende kommt aber auch noch Leipzig dazu, als Mittelhafen deutscher Bildung, mit dem besonderen Verdienste, was ihm auch Himmlisches die Fülle herabgebracht, sich für Beethovensche Composition am ersten interessirt zu haben. Ich hoffe daher auf drei ....

Eines Abends ging ich nach dem Leipziger Kirchhof, die Ruhestätte eines Großen aufzusuchen: viele Stunden lang forschte ich kreuz und quer — ich fand kein „J. S. Bach“ . . und als ich den Todtengräber darum fragte, schüttelte er über die Obscurität des Mannes den Kopf und meinte, Bachs gäb’s viele. Auf dem Heimweg nun sagte ich zu mir: „wie dichterisch waltet hier der Zufall! Damit wir des vergänglichen Staubes nicht denken sollen, damit kein Bild des gemeinen Todes aufkomme, hat er die Asche nach allen Gegenden verweht, und so will ich mir ihn denn auch immer aufrecht an seiner

{254} Orgel sitzend denken im vornehmsten Staat, und unter ihm brauset das Werk und die Gemeinde sieht andächtig hinaus und vielleicht auch die Engel herunter.“ – – Da spieltest du, Felix Meritis, Mensch von gleich hoher Stirn wie Brust, kurz darauf einen seiner variirten Choräle vor: der Text hieß „schmücke dich, o liebe Seele“, um den Cantus firmus hingen vergoldete Blättergewinde und eine Seligkeit war darein gegossen, daß du mir selbst gestandest: „wenn das Leben dir Hoffnung und Glauben genommen, so würde dir dieser einzige Choral alles von Neuem bringen“. Ich schwieg dazu und ging wiederum, beinahe mechanisch, auf den Gottesacker und da fühlte ich einen stechenden Schmerz, daß ich keine Blume auf seine Urne legen konnte, und die Leipziger von 1750 fielen in meiner Achtung. Erlaßt es mir, über ein Denkmal für Beethoven meine Wünsche auszusprechen.* {{Right|Jonathan.

3.

In der Kirche soll man aus den Fußspitzen gehen, — du aber, Florestan, beleidigst mich durch dein heftiges Auftreten. Im Augenblicke hören mir viele hundert Menschen zu; die Frage ist eine deutsche: Deutschlands erhabenster Künstler, der oberste Vertreter deutschen Wortes und Sinnes, nicht einmal Jean Paul ausgenommen, soll gefeiert werden; er gehört unserer Kunst an; am Schillerschen Denkmal arbeitet man mühsam seit vielen Jahren, am Gutenbergschen steht man noch am Anfang. Ihr verdientet alle Verspottungen französischer Janins,** alle Grobheiten eines Börne, alle Fußtritte einer übermüthigen Lord Byronschen Poesie, wenn ihr die Sache sinken ließet oder saumselig betriebet!

Ich will euch ein Beispiel vor die Augen rücken. Spiegelt euch daran! — Vier arme Schwestern aus Böhmen*** kamen vor langer Zeit in unsre Stadt; sie spielten Harfe und sangen. Talent besaßen sie viel, von Schule aber wußten sie nichts. Da nahm ein in der Kunst geübter Mann ϯ sich ihrer an, unterrichtete sie, und sie wurden durch ihn vornehme und glückliche Frauen. Der Mann war lange hinüber und nur seine Nächsten erinnerten sich seiner. Da kam vielleicht

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      * Gestrichen: „Im geneigtesten Falle wollet mich für eine Cornelia halten, die zweimal ihr ,nichts’ wiederholte,“ 
     ** Der Kritiker Jules Janin. 
    *** Die Geschwister Podlesky. 
      ϯ Der Cantor der Thomasschule Hiller. [Sch. 1852.]

{255} nach zwanzig Jahren ein Schreiben der vier Schwestern aus fernen Landen und wies genug Mittel an, davon ihrem Lehrer ein Denkmal aufgestellt werden konnte. Es steht unter J. S. Bachs Fenstern, und erkundigen sich die Nachkommen nach Bach, so fällt ihnen auch das einfache Bildwerk auf, und dem Wohlthäter wie der Dankbarkeit ist ein rührend Andenken gesichert. 66 Und eine ganze Nation einem Beethoven gegenüber, der sie Großsinn und Vaterlandsstolz auf jedem Blatte lehrt, sollte ihm nicht ein tausendfach größeres errichten können? Wär' ich ein Fürst, einen Tempel im Palladiostil würde ich ihm bauen: darin stehen zehn Statuen; Thorwaldsen und Dannecker könnten sie nicht alle schaffen, aber sie unter ihren Augen arbeiten lassen; unter neun der Statuen meine ich, wie die Zahl der Musen, so die seiner Symphonieen: Klio sei die heroische, Thalia die vierte, Euterpe die Pastorale und so fort, er felbst der göttliche Musaget. Dort müßte von Zeit zu Zeit das deutsche Gesangesvolk zusammenkommen, dort müßten Wettkämpfe, Feste gehalten, dort seine Werke in letzter Vollendung dargestellt werden. Oder anders: nehmet hundert hundertjährige Eichen und schreibt mit solcher Gigantenschrift seinen Namen auf eine Fläche Landes. Oder bildet ihn in riesenhafter Form, wie den heiligen Borromäus am Lago Maggiore, damit, wie er schon im Leben that, er über Berg und Berge schauen könne — und wenn die Rheinschiffe vorbeifliegen und die Fremdlinge fragen: was der Riese bedeute, so kann jedes Kind antworten: Beethoven ist das — und sie werden meinen, es sei ein deutscher Kaiser. Oder wollt ihr fürs Leben nützen, so erbaut ihm zur Ehre eine Akademie, „Akademie der deutschen Musik“ geheißen, in der vor Allem sein Wort gelehrt werde, das Wort, nach dem die Musik nicht von Jedem zu treiben sei wie ein gemein Handwerk, sondern von Priestern wie ein Wunderreich den Auserwähltesten erschlossen werde — eine Schule der Dichter, noch mehr eine Schule der Musik in der griechischen Bedeutung. Mit einem Worte: erhebt euch einmal, laßt ab von eurem Phlegma und bedenkt, daß das Denkmal euer eigenes sein wird! {{Right|Eusebius.

4.

Euren Ideen fehlt der Henkel: Florestan zertrümmert und Eusebius läßt fallen. Gewiß ist, daß es höchstes Ehrenzeugniß wie echter Dankbarkeitbeweis für große geliebte Todte, wenn wir in ihrem Sinne fortwirken: du aber, Florestan, gieb auch zu, daß wir unsere Verehrung


{256} auf irgend eine Weise nach außen hin zeigen müssen, und daß, wenn nicht einmal der Anfang gemacht wird, sich eine Generation auf die Trägheit der andern berufen wird. Unter den kecken Mantel, den du, Florestan, über die Sache wirfst, möchte sich überdies auch hier und da gemeiner Sinn und Geiz flüchten, so wie die Furcht, beim Wort gehalten zu werden, wenn man Denkmale etwa zu unvorsichtig lobe. Vereinigt euch also!

In allen deutschen Landen möchten aber Sammlungen von Hand zu Hand, Akademieen, Concerte, Operndarstellungen, Kirchenaufführungen veranstaltet werden; auch scheint es nicht unpassend, bei größeren Musik- und Gesangfesten um eine Gabe anzusprechen. Ries in Frankfurt, Chélard in Augsburg, L. Schuberth in Königsberg haben bereits rühmlichst angefangen. Spontini in Berlin, Spohr in Cassel, Hummel in Weimar, Mendelssohn in Leipzig, Reißiger in Dresden, Schneider in Dessau, Marschner in Hannover, Lindpaintner in Stuttgart, Seyfried in Wien, Lachner in München, D. Weber in Prag, Elsner in Warschau, Loewe in Stettin, Kalliwoda in Donaueschingen, Weyse in Kopenhagen, Mosewius in Breslau, Riem in Bremen, Guhr in Frankfurt, Strauß in Carlsruhe, Dorn in Riga -- -- seht da, welche Reihe würdiger Künstler ich vor euch ausbreite und welche Städte, Mittel und Kräfte noch übrig bleiben. Und so möge dann ein hoher Obelisk oder eine pyramidalische Masse den Nachkommen verkünden: daß die Zeitgenossen eines großen Mannes, wie sie seine Geisteswerke über Alles ehrten, dies durch ein außerordentliches Zeichen zu beweisen bemüht waren. {{Right|Raro.

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Zu Gottschalk Wedels Verdeutschungsvorschlägen. 67

Unser sehr lieber, sehr sinniger Wedel muß längst gemerkt haben, wie auch uns der Gegenstand der Betrachtung werth erscheint. So gibt die.Zeitschrift die Compositionstitel so deutsch wie möglich; das Auge wird sich daran gewöhnen und man zuletzt sich wundern, warum z. B. ein „mit inniger Empfindung“ statt ,,con grand’ espressione“ sich nicht ebenso gut ausnehmen sollte, und auf jeder Seite soll’s überhaupt nicht bemerkt werden.

Ob man mit Einführung so seltsamer Wörter wie „Bardiet“ für „Symphonie“ anklingen wird, zweifle ich durchaus und stimme {257} nicht dafür; 68 unser „Lied“ nimmt uns Niemand, dagegen wir die „Sonata“, das „Rondeau“ da lassen wollen, wo sie entstanden; es wird gar nicht möglich sein, den Begriff zu verdeutschen, etwa durch das affectirte „Klangstück“ oder „Tanzstück“. Also nicht zu viel, aber werfe man die „composées et dédiées“ hinaus!

Statt der Vortragsbezeichnungen halte auch ich sehr auf eine Zeichenschrift, welche der der Noten näher steht als das schnell abschließende Wort. Wie schnell faßt das Auge das , während es das italiänische Wort erst buchstabiren muß; in den verschlungenen Bogen, Linien, Haken liegt ein besonderer Reiz, und die Art, wie Componisten bezeichnen, klärt fast rascher über ihre ästhetische Bildung auf als die Töne selbst.

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Kritische Umschau.

Trios für Pianoforte, Violine und Violoncello.

Der Zufall will’s, daß ich am ersten Tage des neuen Halbjahrgangs meine Leser, wenn auch nicht in einen Rosenhain zu führen habe — wie sollte man dann ein Beethovensches heißen! — so doch zu einem

'Trio von J. Rosenhain', für Pianoforte, Violine udn Violoncelle (Werk 2).

Nehme man die Tonart E moll, den verschränkten Dreivierteltakt, denke sich am Flügel einen feurigen Spieler und zwei leise begleitende, verstehende Freunde und gieße über das Bild etwas Morgenroth, und man hat eines vom Trio. Es gefällt mir durchweg in der Anlage wie im Ausbau; ja ich möchte den Componisten den Mendelssohnschen Charakteren, die den Sieg über die Form schon im Mutterschooß errungen, beizählen und ich hoffe, er täuscht uns nicht in unseren Erwartungen über sein künftiges Künstlerwirken, das überall Freude und Leben verbreiten müsse. gibt es nämlich sicher unter dem jugendlichen Nenwuchs manche Höherstrebende und Fliegende, so selten gewiß einen, der ihm ähnlich mit solcher Kraft wie Bescheidenheit, was er in sich aufgenommen, nach außen zu bringen wüßte; „in sich aufgenommen“ aber sag' ich; denn allerdings treffen wir in dem Trio auf keinen seltenen Zustand, keinen groß-eigenthümlichen Stil, stets aber auf Allgemein-Gültiges und Echt-Menschliches; es ist eine musterhafte Studie

{258} nach den besten Meistern: überall Liebe zur ergriffenen Kunst, Talent, ja Weihe. Dies thut wohl und soll anerkannt werden.

Am musikalischsten bewegt sich der erste Satz; hier fügt sich ziemlich alles glücklich und organisch aneinander. Manches glaubt man schon, namentlich im Beethoven und Ries, gesehen zu haben; doch fällt es nicht so auf, daß man es buchstäblich nachweisen könnte. Der Gesang des Satzes ist meistens leicht und edel; das Hinwenden in die Themas bürgt für kommende Meisterschaft. Die Wirkung, trotz einer beinahe heftigen Molltonart, ist stärkend und vollständig.

Im Andante ergeht er sich in der Weise, in der wir’s unsern berühmtesten Vorfahren, Mozart und den Anderen, nun einmal nicht gleichthun können; es scheint dies eine abgeschlossene Art von Musik, und man wird auf neue Mittelsätze anderen Charakters sinnen müssen. Immer aber finden wir musikalische Seele, und dies sei ein großes Lob.

Mit Nachdruck zeigen wir also auf dies Trio, das sich überdies der Leichtigkeit aller der drei Stimmen halber schnell einheimisch machen wird, um so nachdrücklicher aber, da die späteren Arbeiten dieses talentreichen jungen Mannes, soweit sie uns zu Gesicht gekommen, mit dem trefflichen Anfang schwerlich im Verhältniß stehen, was hier nur als eine Bitte dasteht, daß er seine größeren Compositionen bald nachfolgen lassen soll. —

Trätest du, lieber Leser, aus einem weißgetäfelten erleuchteten Marmorsaal auf einmal des Nachts hinaus und in einen Fichtenwald mit struppig und knollig über den Weg sich hinziehenden Wurzeln — vom Himmel fallen schwere einzelne Tropfen — du rennst mit dem Kopf links und rechts an, ritzest dich blutig in Sträuchern, bis sich endlich nach langem Umherirren ein Ausweg findet, — — so empfändest du, was ich beim Uebergang vom Rosenhainschen Trio zu einem von

'A. Bohrer', gleichfalls für Pianoforte, Violine und Violoncello (Werk 47).

Vornweg bekenn' ich gleich zweierlei, erstens meinen Irrthum, daß ich, nur wenige Bohrersche Compositionen bisher kennend, ihn den gemeinhin brillant schreibenden Virtuosen, den deutschen Lafonts beizählte, sodann, daß es keine elendere Partitur gibt, als die man sich aus einzelnen Stimmen selbst zusammenstoppeln muß, ja, daß ich das Trio nicht einmal gehört, weshalb das folgende sich alles Gedankens an Untrüglichkeit begibt.

{259} Was den ersten punct anlangt, so wird man allerdings überrascht, wenn man statt gehoffter Triolenperlen und harmonischen Goldflitters auf hochtragische Anlage und auf einen so verwilderten Schreibstil stößt, wie er mir selten in einem 47sten Werk begegnet, womit übrigens noch gar kein Tadel, sondern sogar die Hoffnung ausgesprochen wird, daß sich das letztere bei einem kleineren Ziel, das der Componist künftig sich stecken möchte, vielleicht ändern und verklären könne.

Eines gefällt mir an sämmtlichen Sätzen: sie haben nämlich alle einen Grundton, einen Charakter und wär’s eben der des Schwankenden, Bodenlosen. Der erste blickt so wüthend in das erbärmliche Menschentreiben hinein, fühlt sich so unbequem in seinen Kleidern und blickt so sehnsüchtig nach Rath und Trost herum, daß man nur bedauert, nicht mehr helfen zu können, da das Trio nun einmal gestochen.

Der zweite dagegen webt in C dur, etwas milder und lichter, aber dennoch sonderbar verstimmt und, von einem Bohrerschen Kleeblatt* getragen, gewiß einwirkend.

Der letzte versucht sich bis auf einzelnes Groteske in einem leichteren Fluge; ja einmal (S. 35 System 4) war er auf dem punct, sich zur rechten Höhe zu erheben; aber der unglückliche Ikarusftügel, den ich durch das ganze Trio schon lange spüre, reißt ihn wieder zur falschen hinauf.

In Paris, vor Franzosen gespielt, wird diese Composition zweifelsohne einen Eindruck der Verwunderung hinterlassen, und steht das Trio vom Pult aus, so seh' ich ordentlich, wie man ihm ehrfurchtsvoll Platz macht und es um die sogenannte deutsche Tiefe beneidet.

Mit einem Wort, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll (deshalb ist die Recension schon so lang); — gewiß glänzen in dieser Arbeit so viel seltenere Gedanken, zeigt sich aber ein mit einem unsichtbaren feindlichen Fremdlinge ringender Geist, daß es, wenn auch einen unreinen Eindruck, so doch auch Theilnahme und ein gewisses poetisches Verlangen nach dem, was man noch empfangen möchte, erzeugen wird. Gesteht dies Jemand, dem z. B. Beethovensche letzte Werke populär (im höchsten Sinn) und klar wie der Himmel vorkommen, so mag man glauben, daß etwas Wahres in seinem Ausspruch liege, wenngleich der

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      * Anton Bohrer war Violinist, sein Bruder Max Violoncellist, beider Frauen (geb. Dülken) waren vortreffliche Pianistinnen.

{260} Umstand, das Tonstück nicht einmal lebend vor Ohren gehabt zu haben, das Clairobscur sicher noch vermehrt.

So viel und nach genauer Begleichung aller Stimmen springt hervor, daß es dem Componisten nicht an Ideen aber an innerem Gesangleben entweder mangelt oder daß es noch nicht durchgebrochen ist. Hierzu kommt noch eine gewisse Unzufriedenheit an dem, was er gerade fertig hat; als fürchte er, nicht recht im Gleis bleiben zu können, greift er dann ins Blinde hinein und erwischt so greuliche Harmonieen, daß es einem wahrhaftig um die Ohren summt. So erscheinen S. 9 ein vollständig A moll, Es moll, H moll, F moll. Es kann dies unter Umständen gewiß ganz herrlich klingen: hier aber fühlt man jede Ausweichung so empfindlich und merkt immer das ängstliche Haschen, nach der Tonart zu kommen, die ihm von fern als gesetzmäßig vorschwebt.

Daß Violine und Violoncello instrumentgemäß behandelt sind, steht zu erwarten. Aber die Clavierstimme, huh, das ist ein Hackemack, an dem man seine schönen Finger verbiegen könnte. Das Schwierigste, was einer, der vollkommen auf der Claviatur bewandert ist, niederschreibt, spielt sich noch viel leichter als das Leichteste eines Laien. Hier könnte man gar nicht anfangen mit Belegen; aber ein fixer Clavierspieler sollte dem Componisten eine Pianofortestimme liefern, daß er sie mit Freuden wieder erkennen sollte.

Dies ist die Ansicht über das Trio, welcher der Componist zum wenigsten nicht vorwerfen kann, daß sie sich ohne Theilnahme ausgesprochen habe. —

Wenn man von einer Composition versichern kann, daß sie beinahe unverbesserlich im harmonischen Satze, gefällig im melodischen, hier und da leicht contrapunctisch verflochten, daß sie dabei voller freundlicher Gedanken und überhaupt einnehmenden Charakters sei, so viel Spohrsche Beitöne auch den Grundton manchmal schwächen, so ist damit immerhin viel gelobt und man denkt dabei gleich an Herrn A. Hesse, dessen 56stes Werk ein Trio in der beliebten Instrumentenzusammensetzung ist und allenthalben gern gehört werden muß. Es läßt sich über solche mit Routine und technischer Meisterlichkeit gefertigte Compositionen nicht viel sagen, als daß man ohne Anstoß wil' über einen Plan über sie hinweggleitet, und musikalische Zeitschriften müßten geradezu aufhören, wenn es nicht leider oder (wie man will) Gott sei Dank noch ungezogene Dichter genug gäbe, über welche herzufahren.

{261} So geht denn das Trio in der sogenannten Feldtonart Es dur seinen goldenen Convenienzweg zwischen Schmerz und Ausgelassenheit, wenngleich ich von letzterer wenigstens im Scherzo etwas zu spüren wünschte, was ja dazu erfunden, um sich auszusprudeln vom Champagnergeist. Nach dem Larghetto werden wir Alle übereinstimmen, daß es, schon Spohrisch eingekleidet, in der letzten Variation zum fertigen Spohrschen Spiegelbild aufsteht. Wir möchten das lieber weg. Herr Hesse hat Kraft und Jahre genug, als daß er sich noch an ein Vorbild und dazu an ein so blumenzartes anzulehnen brauchte; lieber thun wir es an Beethoven, unter dessen Mantel sich noch Tausende von uns verlaufen können. Auf mehr eigenem Fuße stehen der erste und letzte Satz da, nirgends aber so, daß man, wenn man den Titel nicht gesehn, nicht auch auf andere Versasser sinnen könnte.

Es läßt sich eben über solche Werke — beinahe fuhr ich jetzt in eine frühere Periode. Noch wundert mich, daß ein Mann von so bedeutenden contrapunctischen Kenntnissen sie nicht mehr merken laßt, — zwar will sich im letzten Satz eine Fuge aufthun, hört aber gleich wieder auf. Himmel, wie ich’s die Leute fühlen lassen wollte, daß sie keine Fugen machen könnten, vergrößern, umdrehen, doppelt rückwärts umdrehen! Oder gehört der Componist zu jenen Talenten, die immer klarer und durchsichtiger abquellen, je mehr sie arbeiten im geheimnißvollen Schacht des Contrapunctes, während Andere wohl Elephantenzähne, Perlen in Schalen, versteinerte Palmenblätter herausbringen? Das erste weiß ich; von letztern zeige er uns in künftigen Trios! —

Stiege nach der Güte der ersten Seite des Trios, das mir jetzt vorliegt —von F. W. Jähns (W. 10) —, nach dem wirklich glücklichen Anfang, die ganze Composition bis zum Schluß oder culminirte sie sich zur Mitte und fiele dann wieder in die Linie des Anfangs zurück, so könnte man loben nach Herzenslust. Aber, aber gleich aus der andern Seite überfällt den Componisten ein Rhythmus, den wir freilich Alle wie eine lyrische O- und Ach-Zeit durchzumachen haben, — derselbe, mit dem Beethoven seine C moll-Symphonie anfängt,* — und ich sah voraus, wie sich Componist nun zeigen werde und arbeiten, da ich ans Erfahrung weiß, wie er dem Unglücklichen aufhuckt, der sich mit ihm zu schaffen macht. Zwar bricht auf Seite 4 im letzten System ein viel zarter gezeichneter, wenn auch nicht neuer

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      * Gestrichen: und von dem ein K... [Knif, d. h. Fink] meinte, es hieße: „ihr seid sehr dumm“

{262} Gedanke hindurch; aber der frühere behält die Oberhand und der Satz vermag sich nun nirgends zu einer schönen Höhe zu erheben. Bedenkt man aber, daß es noch Viele gibt, welche diese rhythmische Figur noch nicht erkannt, — rechnet man hierzu den Fleiß und den Fluß, sodann die gut musikalische Gegenbewegung der äußeren Stimmen, was immer Zeichen eines gebildeten Musikers, — und sieht man dabei auf den unendlichen französich-italiänischen vorgezogenen Plunder, der solcher Arbeit als Maculatur dienen könnte, so wird der erste Satz gutgeheißen, gelobt werden müssen und seinen Platz an einem Trioabend schicklich füllen.

So enthält auch der zweite Satz, Adagio genannt, gute Gedanken. Im Ganzen aber ist er doch nur da, weil es einmal so Gebrauch. Sterne sagt: der Mensch hätte kaum Zeit, sich die Stiefel anzuziehen. Schreibt doch keine Adagios mehr, oder bessere als Mozart. Wenn ihr euch eine Perücke aufsetzt, werdet ihr darum weiser? Euren Adagiogedanken fehlt das Wahre, das Echte, das Leben, alles, und wo wollt ihr denn eure ungeheure Phantasie, euren Witz etc. hinthun? Sehnlichst hoffte ich also im Scherzo Lebendigeres und Originelles zu finden; aber das ist das schwächste Stück des Trios, dazu unleidlich Webernd, wogegen sich der Componist überhaupt zu waffnen.*

Wenig fehlte, und es läge ein zweites Opfer jenes C moll-Symphonie-Rhythmus in dem Trio [Werk 6] des Herrn J. C. Louis Wolf vor uns. Wer er sonst ist und wo er lebt, weiß ich nicht; aber sein Trio ist gut und fließt so leicht, prosaisch und natürlich fort, daß es leidliche Spieler ohne Stocken vom Blatte absausen können; ja ein musikalisch Bewanderter wird alle vier Tacte vorher mit ziemlicher Gewißheit voraussagen, wie es kommt und wohin es sich wendet.

Wie meistens, so ist auch hier der erste Satz der bedeutendste; zwar packt, wie schon bemerkt, den Componisten einigemal jener gefährliche Rhythmus an, aber nicht so, daß nicht noch andere Gedanken

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      * Gestrichen: „Im letzten Satz geht es ziemlich lustig und bewegt her: aber das Ganze fällt in einen gewissen gemeinen Ton....

Wer wird von einem jungen Künstler verlangen, daß er gleich Beethovensche B dur-Trios, Franz Schubertsche in Es, Chopinsche in G moll schreibe; muthe er uns aber auch nicht zu viel zu. Glaube man nur, wir möchten dazu beitragen, daß unser Zeitalter nicht zu sehr abstäche gegen das eben vergangene der drei Großen, und diesem nahe zu kommen, sprechen wir manchmal streng; zwingt uns aber auch nicht zu oft dazu, da wir es überall lieber als Freunde und Rather möchten.“

{263} aufkämen; den zweiten Satz bildet ein Larghetto in As dur^,» äur im Viervierteltact, hübsch und gutgemeint, nur allzu bürgerlich. Der letzte Satz hat einen echten Haydnschen Anfang und will nirgends mehr als Rondo sein.

Im Baue sehen sich die drei Sätze auf das Haar ähnlich und dehnen sich jedenfalls zu sehr in die Breite. Jeder zerfällt, wie hergebracht, in drei Theile, deren letzter die transponirte Wiederholung des ersten ist; im mittleren wird enger aneinander gehalten und etwas wie gearbeitet; nirgends aber spinnt es sich tiefer ein. Und so blickt denn aus allen Seiten dieses Heftes ein wohlwollender heiterer Charakter, der sich in Erinnerungen an die Mozart-Haydnsche Periode ergeht. Da das Trio aber erst das sechste Werk des Componisten, so steht zu hoffen, daß er weiter strebe. Denn wer meinte, mit dem Studium jener Zwei sei es in heutiger Zeit abgethan, würde sehr zurückbleiben. Die höchsten Berge sind noch immer nicht erstiegen worden, und die Meerestiefe mag noch manche Schätze hegen. —

Wir kommen zu einer sehr freundlichen Composition, einem (wie Wedel will) Gedreie von Ambrosius Thomas [Werk 3, in C] — ein Salontrio, bei dem man schon einmal lorgnettiren kann, ohne deshalb den Musikfaden gänzlich zu verlieren; weder schwer noch leicht, weder tief noch seicht, nicht classisch, nicht romantisch, aber immer wohlklingend und im Einzelnen sogar voll schöner Melodie, z. B. im weichen Hauptgesange des ersten Satzes, der aber im Dur viel von seinem Reiz verliert, ja sogar gewöhnlich klingt — so viel macht oft die kleine und große Terz.

In der Form zeichnen sich alle Sätze durch Kürze und Zartheit aus; im ersten erscheint sie so gedrängt, daß ein eigentliches zweites Thema nicht zum Vorschein kommt, dafür aber ein kleiner melodischer Gang der Violine, den das Violoncell ausnimmt. Das Andante gibt nichts Außerordentliches und leitet den letzten Satz und das geschickt ein. Ueber dem letzten steht „Finale“, Rondo wäre richtiger. Französische Leichtigkeit und deutsche Schule findet man auch hier. Der Componist hat sich zu hüten, daß er nicht ins Süßliche und Weibische verfalle, wogegen sich ja leicht zu schützen ist durch längeres Hinaufschauen an Ernsteres. Thu' er letzteres manchmal!

ϯ Ueber ein so eben erschienenes Trio von I. Felix Dobrzynski [A moll, Werk 17] kann ich leider nicht so ausführlich sprechen, als das Werk verdient, da man sich nach dem blosen mühsamen Vergleichen der verwickelten Stimmen wohl über die Hauptsachen, aber nicht

{264} über ihre Verbindung ein Urtheil zutrauen darf; auf das Ungewisse einer Aufführung hin aber wollte ich, einmal von den neuen Trios sprechend, am wenigsten dieses übergehen, das sicherlich überall Fleiß, Kraft und Liebe zur Kunst verräth.

Es ist dem ehrwürdigen Hummel gewidmet und erinnert viel an dessen Stil. Lerne der junge Künstler vor Allem das äußere Maß treffen; das Trio, um ein Drittel kürzer, müßte energischer wirken, während in der vorliegenden Gestalt das wärmere Interesse, das schon erregt war, oft wieder erkaltet. Wie viele junge Componisten, die es ehrlich meinen, befaßt er sich noch zu viel mit Nebendingen, arbeitet er zu ängstlich, sucht er eine kleinliche Figur einzuschieben, wo es nur gehen will, u. dergl. Nimmt man derlei nach Vollendung der ganzen Arbeit vor, so läßt sich da vieles zum Vortheil verändern. Grübelt der Componist aber beim ersten Erguß zu viel an Kleinigkeiten, so wird das allen Aufschwung hemmen. Wo freilich findet man den, als in den seltensten Meisterwerken; indeß läßt sich wenigstens warnen, daß man sich nicht mit eigner Hand an die Erde festschmiede. Immerhin sei das Trio in Ehren gehalten und der Componist gebeten, seinen sichern Weg ohne Seitenblick fortzugehen. . . . ϯ

Unverzeihlich wär’s, wenn ich Trio-Zirkeln, wie es deren manche selige im deutschen Reiche geben mag — wenn ich ihnen verschwiege, daß auch der unliebenswürdigste unserer Lieblinge, Ferdinand Hiller, Trios geschrieben. Und wie er’s immer den Höchsten nachthun möchte und oft nachthut, so gab er nicht wie schüchterne Anfänger eins, sondern wie Beethoven gleich drei, eines in B dur [Werk 6], das zweite in Fis moll [Werk 7], das dritte in E dur [Werk 8]. An den Tonarten sieht man, daß sie in keinem Zusammenhang stehn.

Leider kann ich auch hier nicht mit der Bestimmtheit, wie es sein müßte, urtheilen, da ich nur das in E dur vor langer Zeit gehört. Doch besinne ich mich genau, wie sich damals die Spieler nach dem Schlusse zweifelhaft ansahen, ob sie lachen oder weinen sollten. Sie legten also das Trio heimlich bei Seite, und las ich anders recht, so stand auf ihren Gesichtern etwa „das ist ein sonderbarer Kauz, der Hiller“ u. dergl. Mir kam es weniger närrisch vor und jetzt finde ich sogar außerordentliche Dinge darin. Muß ja überdies in einer Zeit, wo selbst Talentvollere aus Furcht, nicht schnell genug ins Publicum zu kommen, von umfangreicheren ernsten Arbeiten abstehen, ein so kräftiges Anfassen ausgezeichnet werden!

Später stellte sich meine Meinung über Hiller gänzlich fest und

{265} ist an verschiedenen Orten der Zeitschrift nachzulesen, weshalb wir uns für heute kurz fassen können. Vom früher ausgesprochenen Tadel nehme ich kein Jota zurück, dagegen ich aber in Bezug auf die Trios zum Lobe noch viel hinzuthun möchte. Besonders scheint mir das erste, und zwar alle vier Sätze, in glücklicher Stimmung und mit großer Frische und Lust geschrieben, worüber man das Barocke und Unreife, das in der Schnelligkeit mit untergelaufen, ausnahmsweise einmal nachsehen muß. Ja, einige Minuten lang war mir’s, als ständ' ich in höchst amerikanischen Urwäldern unter riesenblättrigen Pflanzen mit darum geringelten Schlangen und darüber wehenden Silberfasanen, zu so speciellen Bildern regt das Trio durch die Ungewöhnlichkeit an. Die beiden anderen scheinen matter und zugleich forcirter, als ob er gerade drei Trios fertig hätte machen wollen. Doch soll das Niemand abhalten,* sie bei Seite zu legen; denn des Neuen, Schlagenden, Frappirenden findet sich auch hier vollauf; doch lasse man es nicht bei Einmal-Durchspielen bewenden: die Perlen unter dem Schutt findet man nicht auf den ersten Griff. Genügen diese Worte, Trio-Zirkel und Andere auf diese früheren Werke Hillers aufmerksam zumachen!**

Mitten unter den Musikern von Fach begegnet uns auch ein Dilettant (wenigstens glaub' ich es), ein Herr Baron Carl August v. Klein, den man nicht rauh anlassen darf, zumal er es redlich mit der Kunst meint und, der Himmel weiß es, so bescheiden und zaghaft componirt, daß man ihm immer zurufen möchte, sich nicht zu sehr zu fürchten vor den Fachleuten.

Soll ich aufrichtig gestehen, so scheint mir in seinem Trio [Werk 5] eine pedantische schulmeisterliche Hand zu sehr gestrichen und gehauset zu haben. Wäre dies nicht, und hätte Herr v. Klein alles nach eigenem System so dünn und dürftig gesetzt, so treibe er die Einsachheit nicht bis zur Trockenheit und Assectation. Mit Grün und Blau läßt sich allenfalls eine Blume malen, auf Tonica und Dominante ein Walzer bauen, zu einer Landschaft aber muß man mit allen Farben

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     * bestimmen
   ** Gestrichen: „Es sind wohl zwei Jahre her, daß Hiller nichts veröffentlicht. Daß er während dem gefeiert hatte, ist bei seiner Jugend ebenso wenig denkbar, als daß ihn die Kritik, die ihn oft scharf behandelte, abschrecken gemacht. Gespannt sind wir allerdings auf seine neusten Leistungen. Ob ihm endlich ein klares Ziel aufgegangen, oder ob er sich noch tiefer in Widersprüche verwirrt habe — wir hoffen das Erstere, und wie wir ihn den Unliebenswürdigsten unter unseren Lieblingen nannten, soll er dann alle Ursache haben, uns seine Lieblinge unter den Allerunliebenswürdigsten, d. h, den Recensenten, zu heißen.“

{266} frei zu schalten wissen. Greife er also beherzt in die Tasten: ein unterlaufender falscher Ton wird durch einen starken Gedanken rasch übertönt. Leider ist aber trotzdem sein Werk nicht einmal correct geworden und verräth überall ein ungeübtes Ohr. Steiget meinetwegen in Quinten chromatisch auf und ab, verdoppelt die Melodie in allen Intervallen zu Octaven, ja, neulich hörte ich (aber im Traume) eine Musik von Engeln und zwar der himmlischsten Quinten voll, und dies kam, wie sie mir versicherten, nur daher, daß sie niemals Generalbaß zu studiren nöthig gehabt. Die Rechten werden den Traum wohl verstehen.

So sehr nun, wie gesagt, der Verfasser an Geist wie Hand noch von den Stricken und Ketten der Schule zusammengepreßt scheint, so blickt doch ein tüchtiger Charakter aus ihm hervor, der vielleicht nach und nach mit seinen Fesseln spielen lernen wird. In solcher Hoffnung berechtigt die kleine Romanze, so sehr sie auch stockt und schwankt. Das Scherzo würde durch ungewöhnliche Auffassung gewinnen; sein Trio aber auch dann nicht einmal, da es sich wirklich zu altfränkisch gerirt. Die Hauptmelodieen der beiden übrigen Sätze haben guten Gesang. Auf verwickelte Arbeit, Verbindung von Themas, Engführungen u. dgl. stößt man jedoch nirgends; gewöhnlich fängt die Violine ein Thema oder eine Passage an, dann bringt es das Cello, dann das Pianoforte, oder umgekehrt. Noch erwähne ich als charakteristisch, daß in allen Stimmen, bis auf einige ,,dolce“' und die gewöhnlichen p und f, keine Vortragsbezeichnung anzutreffen ist.

Was die Clavierstimme insbesondere anlangt, so müßte sie, um zu klingen und gespielt werden zu können, ein Virtuos erst voller und schwieriger setzen. Es klingt dies sonderbar und verhält sich dennoch so. Zwei Noten sind oft schwerer zu handhaben als zehn, und Lisztsche Phantasmen leichter als manche Zeilen des Trio von Klein. Dagegen sind die Streichinstrumente mit Vorliebe und Kenntniß ihrer Eigenthümlichkeit behandelt.

Um zu einem Schluß zu kommen, so stellt sich im Trio noch nichts so ausgebildet hervor, daß man mit Bestimmtheit auf die Art seiner künftigen Leistungen schließen könnte, ja nicht einmal das, ob es von einem jüngeren oder älteren Menschen geschrieben, obwohl das Erstere mit mehr Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Dies angenommen, möchte uns der Componist später lieber Anlaß zum Zügeln als zum Anspornen geben!

Will man aber im Triostil sicher und rund schreiben lernen, so nehme man sich z. B. die neuesten Trios von Reißiger zum Muster. {267} Denk' ich überhaupt an diesen Componisten, so reihen sich gleich die Worte „lieblich, naiv, schmuck“ und wie alle die Attribute jener kleineren Grazien heißen, die sich Reißiger zum Liebling auserlesen, wie zu einer Blumenschnur aneinander. Sobald sie ihn bei glücklicher Stimmung treffen, so kann man auf angenehme Unterhaltung rechnen; wendet er sich aber von ihnen und versucht sich tragisch oder humoristisch, so verfällt er leicht in ein gewisses theatralisches Declamiren oder (im letzten Falle) in einen oberflächlichen Balletton. So gefällt mir denn das achte Trio [Werk 97, F dur], wo er sich von beiden Extremen fern gehalten, ausnehmend und beinahe mehr als die vier früheren, die ich von ihm kenne. Da werden keine großen Anstalten gemacht und Stühle zurecht gesetzt; man steht unversehens vor einem Weltmann, der uns in glatter Sprache etwa von Reisen oder berühmten Menschen unterhält, nirgends anstrengt und bis zum Schluß aufmerksam erhält, wenn auch, wie nicht zu leugnen, mehr durch die Anmuth seines Vortrags als den Schwergehalt der Gedanken. Daß sich ein solcher Charakter viele Freunde erwerben wird, muß man natürlich finden, und wir sind weit davon, die Liebe Mancher zu so geselliger Musik anzugreifen; nur verachte man auch nicht einen, der vielleicht im ärmern Rock und noch ohne Namen von ferne steht und eben einen Beethovenschen Gedanken im Auge trägt.

So wird man denn in diesen neusten Trios den Componisten auf jeder Seite wiederfinden. Was im Allgemeinen nach Weber aussieht, hat sich nach und nach so mit seiner Physiognomie verschmolzen, daß es schwer zu unterscheiden. Dagegen störte mich ein Motiv im achten Trio, das einer Loeweschen Ballade (oder geht man weiter zurück, dem Scherzo zur Beethovenschen C moll-Symphonie) angehört. Als ich es nun auch im Scherzo wiederfand, so glaubte ich, daß es, in alle Sätze versteckt, eine Transfiguration dieses Gedankens sein sollte; doch täuschte ich mich — und da es sogar im Finale zum neunten Trio [Werk 103, F moll] noch einmal erscheint, so muß man es für einen Favoritgang des Componisten ansehen, dergleichen alle Componisten zu verschiedenen Zeiten verarbeiten. Ebenso wunderte mich der Anfang des Allegro zum neunten Trio, der ziemlich Note für Note in einem Trio von Loewe* auch zu Anfang steht. Indeß ist’s

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    * Dazu ursprünglich die Anmerkung: „Es erschien vor ungefähr sechs Jahren und ist vielleicht eines der grundechtesten, phantastischsten, des besten Meisters würdigsten Werke von Loewe. Jeder Triozirkel muß es haben. [Es ist das G moll-Trio, Werk 12.]

{268} eine Phrase, die schon unzähligemal dagewesen und so wenig wie der Reim „Klarheit — Wahrheit“ von Jemandem als sein Eigenthum vindicirt werden kann.

Wenn sich Jemand über die anwachsende Zahl der Trios von Reißiger wundern sollte (zwei sind schon wieder auf dem Wege nach Leipzig, wie wir hören), so muß man freilich sagen, daß er, einer der gewandtesten Capellmeister, es sich allerdings leicht macht. Auf neue Formen, Wendungen, Ausgänge sinnt er nicht; die zweite Hälfte des Satzes bringt die erste gewöhnlich Note für Note transponirt wieder; seine Passagen sind die faßlichsten. Eben so leicht und natürlich verweben sich Violine und Cello in das Clavier. Kurz, in zwei bis drei Tagen kann er ein Trio fertig haben und ein Kleeblatt es sich in eben so viel Stunden einstudiren. So mögen auch diese zwei Werke, leichte glückliche Wanderer, ihren Zug durch die Welt antreten. Verlangten sie einen ausdrücklichen Paß, so weiß ich, daß ich die Augen bezeichnete „blau“.

Die Reihe der seit etwa drei Jahren erschienenen Trios zu schließen, versprach ich dem Leser noch einiges über die von Moscheles, Chopin und Franz Schubert. Seitdem sind mir aber auch noch zwei weniger bekannte, eines von H. v. Lövenskiold [Werk 2, in F] und ein anderes von Bertini [Werk 43] zu Gesicht gekommen, weshalb zuerst über diese letzteren ein paar Worte.

Der Name des Ersteren ergibt sich als ein schwedischer und ist wohl schwerlich mit Schoppes Malernamen im Titan zu verwechseln, denn vom Leibgeberschen Geist trifft man im Trio gerade dessen Gegentheil, nämlich ein allgemeines, rein und wohlklingendes Gelegenheits- oder Gesellschaftsstück, das in keinem höheren Drange, immerhin aber von einer Hand geschrieben ist, die bei mehr Fleiß und Anstrengung wohl auch tiefere Kunstwerke anlegen und ausführen könnte. Das erste Thema zum letzten Satz muß man sogar graziös in der schöneren Bedeutung des Wortes heißen. Einen Tact muß ich seiner Originalität halber noch besonders erwähnen, den am Schluß des ersten Satzes, wo die beiden Hände, jede in Octaven, über die ganze F dur-Claviatur hinfahren müssen. Nun ist aber B eine Obertaste und schwerlich in der Vehemenz, die der rasche Tact verlangt, zu ergreifen: man muß mithin HI spielen, das man in der Geschwindigkeit wohl auch überhört. Der Componist nun, dem das H in F dur zum Schluß selbst spanisch vorgekommen sein mag, drückte aber ganz schelmisch das Auge zu und ließ B stehen, dem Spieler überlassend, wie er die Stelle sich herausstudiren möge. Sehr lustig scheint mir das.

{269} Gegen Herrn Bertini kann man beim besten Willen nicht grob sein: er kann einen außer sich bringen mit seiner Freundlichkeit und all den wohlriechenden Pariser Redensarten; wie lauter Sammt und Seide fühlt sich seine Musik an. Mag denn das Trio seine Bestimmung erfüllen, getragen und bei Seite gelegt werden. Zwar könnten alle Sätze, das Scherzo höchstens ausgenommen, um die Hälfte kürzer sein und würden dasselbe und noch weit mehr wirken; indeß gedruckt ist gedruckt, und man kann ja im ersten Satz, wo der brillante Theil dreimal, die sehr beliebte Harmoniefolge wie Seite 6 Tact 7 und Tact 13 zu 14 noch öfters wiederkommen, an etwas Anderes, an andere Compositionen von Bertini denken. Eines gefällt mir an ihm hauptsächlich, daß er nämlich weder zum alten noch zum jungen Deutschland gerechnet sein will und es ordentlich übel nehmen würde, ließe man ihn nicht als echten Pariser gelten. Im Besondern muß man am ganzen Trio eine leichte fließende Harmonie loben.

Bei Besprechung der noch übrigen Trios von Moscheles, Chopin und Schubert kommt mir allerdings zu statten, daß ich sie gehört und leidlich genug, das erste nämlich einigemal vom Componisten selbst, das andere von Clara Wieck und den Gebrüdern Müller, und das Schubertsche von Mendelssohn und David.

Das Trio von Moscheles [Werk 84, in C] gehört zu des Meisters vorzüglichsten Werken. Es hat etwas Erhebendes, ältere, fertig geglaubte Meister von Neuem streben zu sehen. Während daß Andere nach einem G moll-Concerte, nach zwei Heften Etuden, Musterstudien für alle Zeiten, müßig gefeiert hätten, verzichtet dieser gleichsam auf seinen alten Ruhm und stellt sich in die jüngern Reihen, mit ihnen gegen Formwesen, Modeherrschaft und Philistern zu ziehen. So finden wir denn auch im Trio die Idee vorherrschend, poetischen Grundstoss, edlere Seelenzustände. Ein Geist spricht aus allen Sätzen, minder weich und beredt als scharf-eindringlich, bündig, gediegen. Beim ersten Satz wird es Jedem auffallen, daß ihm eine zweite Melodie zwar nicht fehlt, aber daß die erste unverändert, nur in der harten Tonart wiederkommt. Es wundert mich das, da an derselben Stelle leicht ein anderer Gedanke gefunden werden konnte. Andererseits hat aber dadurch das Stück eine Einheit und rhythmische Kraft erhalten, die vielleicht sonst nicht zu erreichen gewesen. Noch fällt mir auf, daß der leise Nebengedanke (Seite 7 Syst. 5 von Tact 1 an) bei der Wiederholung am Ende nicht von der Violine wieder gebracht wird. Der zurückhaltende Schluß ist besonders schön. Das Adagio hat keine große

{270] Eigenthümlichkeit, fällt sogar im Mittelsatz in F moll gegen die erste Stimmung abwärts; indeß würde es selbst berühmten Namen noch immer zur Ehre gereichen. Durchaus witzig und geistreich bewegt sich das Scherzo, dem vielleicht eine schottische Nationalmelodie zum Grunde liegt. Den Uebermuth schnell beruhigend führt uns der letzte Satz eine Menge interessanter Bilder vorbei und endigt freudig, wie mit dem Bewußtsein, etwas Würdiges vollbracht zu haben.

Vom Trio von Chopin [Werk 8, G moll] setze ich voraus, daß es, schon vor einigen Jahren erschienen, den Meisten bekannt ist. Kann man es Florestan verdenken, wenn er sich etwas darauf einbildet, den wie aus einer unbekannten Welt kommenden Jüngling zuerst, leider an einem sehr einschläfernden Ort, in die Oeffentlichkeit eingeführt zu haben?* Und wie hat Chopin seine Prophezeiung wahr gemacht, wie ist er siegreich aus dem Kampf mit Philistern und Ignoranten hervorgegangen, wie strebt er noch immer, und nur einfacher und künstlerischer! Denn auch das Trio gehört Chopins früherer Periode an, wo er dem Virtuosen noch etwas Vorrecht einräumte. Wer wollte aber der Entwickelung einer solchen abweichenden Eigenthümlichkeit künstlich vorgreifen, dazu einer solchen energischen Natur, die sich eher selbst aufriebe, als sich von Anderen Gesetze vorschreiben zu lassen! So hat Chopin schon verschiedene Stadien zurückgelegt, das Schwierigste ist ihm jetzt zum Kinderspiel worden, daß er es wegwirft und als eine echte Künstlernatur das Einfsachere vorzieht. Was könnte ich über dieses Trio sagen, was nicht Jeder, der ihm nachzuempfinden vermag, sich selbst gesagt hätte! Ist es nicht so edel als möglich, so schwärmerisch, wie noch kein Dichter gesungen hat, eigenthümlich im Kleinsten wie im Ganzen, jede Note Musik und Leben? Armer Berliner Recensent,** der du von all' diesem noch nichts geahnet, nie etwas ahnen wirst, armer Mann!

Ein Blick auf das Trio von Schubert [Werk 99, in B] - und das erbärmliche Menschentreiben sticht zurück und die Welt glänzt wieder frisch. Ging doch schon vor etwa zehn Jahren ein Schubertsches Trio wie eine zürnende Himmelserscheinung über das damalige Musiktreiben hinweg; es war gerade sein hundertstes Werk, und kurz darauf, im November 1828, starb er. Das neuerschienene Trio scheint ein älteres. Im Stil verräth es durchaus keine frühere Periode und mag

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    *  Es ist der Aufsatz: Ein Werk II [S. 3] gemeint. [Sch. 1852.]
   ** Rellstab.

{271} kurz vor dem bekannten in Es dur geschrieben sein. Innerlich unterscheiden sie sich aber wesentlich von einander. Der erste Satz, der dort tiefer Zorn und wiederum überschwengliche Sehnsucht, ist in unserem anmuthig, vertrauend, jungfräulich; das Adagio, das dort ein Seufzer, der sich bis zur Herzensangst steigern möchte, ist hier ein seliges Träumen, ein Auf- und Niederwallen schön menschlicher Empfindung. Die Scherzos ähneln sich; doch gebe ich dem im früher erschienenen zweiten Trio den Vorzug. Ueber die letzten Sätze entscheid' ich nicht. Mit einem Worte, das Trio in Es dur ist mehr handelnd, männlich, dramatisch, unseres dagegen leidend, weiblich, lyrisch. Sei uns das hinterlassene Werk ein theures Vermächtnis! Die Zeit, so zahllos und Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie so bald nicht wieder. {{Right|R. Sch.

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Variationen für Pianoforte.

Erster Gang.

I. Rochlitz, Einleit. und Variationen über ein Originalthema. Werk 7. F. Deppe, Variationen über ein Thema von Rossini. L. Krebs, Einleit. und Variationen über ein Thema von Auber. Werk 41. Leopoldine Blahetka, Variationen über ein Thema von Haydn. Werk 28. H. Herz, Gr. Variationen über ein Thema von Bellini. Werk 82. C. Rummel, Phantasie u. Variationen über ein Thema von Donizetti. Werk 80. St. Heller, Einleit. u. Variationen über ein Thema von Herold. Werk 6. I. N. Droling, Brill. Variationen zu 4 Händen über ein Thema von Auber. W. 34.

Der die ersten Variationen ersonnen (doch am Ende wieder Bach), war gewiß kein übler Mann. Symphonieen kann man nicht täglich schreiben und hören, und so gerieth denn die Phantasie auf so anmuthige Spiele, aus denen der Beethovensche Genius sogar idealische Kunstgebilde hervorgerufen. Die eigentliche Glanzepoche der Variationen neigt sich aber offenbar ihrem Ende zu und macht dem Capriccio Platz. — Ruhe jene in Frieden! Denn gewiß ist in keinem Genre unserer Kunst mehr Stümperhaftes zu Tage gefördert worden — und wird es auch noch. Von der Armseligkeit, wie sie hier aus dem Grunde blüht, von dieser Gemeinheit, die sich gar nicht mehr schämt, hat man kaum einen Begriff. Sonst gab’s doch wenigstens gute langweilige

{272} deutsche Themas, jetzt muß man aber die abgedroschensten italiänischen in fünf bis sechs wässerigen Zersetzungen nach einander hinterschlucken. Und die Besten sind noch die, die’s dabei bewenden lassen. Kommen sie nun aber erst aus der Provinz, die Müller, die Mayer und wie sie heißen! Zehn Variationen, doppelte Reprisen. Und auch das ginge noch. Aber dann das Minore und das Finale im ⅜ Tact — hu! Kein Wort sollte man verlieren und dann Ritz Ratz in den Ofen! Solchen mittelmäßigen Schofel (das treffende Wort) in einzelnen Anzeigen, wie andere selige Zeitungen, unsern Lesern vorzustellen, halten wir sie und uns für zu gut. Ausgezeichnet-Schlechtes, Echt-Schülerhaftes soll indeß manchmal erwähnt werden; im Durchschnitt wird aber, bis auf diesen ersten Gang, in späteren nur der besseren Erscheinungen gedacht.

Zu den letzteren gehören nun die Variationen des Herrn Rochlitz gewiß nicht, und sähe aus ihnen nicht ein guter Wille, ein sichtliches Bemühen und dabei ein niedergedrücktes Wesen, das gern etwas in die Höhe möchte, heraus, so wären sie kaum einer Aufmunterung werth. Mich schlagen solche Compositionen förmlich nieder. Der junge Musiker will einmal drucken lassen; man räth’s ihm ab; es hilft nichts. Sagt man ihm, er solle erst auf die hohe Schule von Salamanca gehen und noch studiren, so hat man einen Todfeind mehr. Sie sind oft selbst überzeugt, daß ihre Sachen nichts taugen. Und dennoch soll’s gedruckt werden. Sieht man Talent, so läßt sich nützen. Fehlen aber sogar die ersten Schulkenntnifse, so kann man nicht anders als still sein und sie ihrem Schicksal überlassen.

Was Herrn Deppe anlangt, so ist auch er auf dem besten Weg, nicht auf die Nachwelt zu kommen. Keine einzige bessere Regung, kein Funken Geist; leere Czernysche Nachklingelei; nur die vierte Variation hebt sich etwas. Eine gewisse Routine und Leichtigkeit, aber die der niedrigsten Sphäre, hält allein ab, das Heft ganz und gar zu verwerfen.

Besonderer Art sind die Veränderungen des Herrn C. Krebs. Auf den ersten Anblick fürs Auge nehmen sie sich recht gut aus. Im Grunde ist’s aber lahmes Zeug, mit dem man, da es noch großprahlerisch verblüffen will, gar kein Erbarmen haben kann. Schon auf der zweiten Seite kommt man dahinter, so aus puren hohlen Phrasen ist es zusammengesetzt, aus Stückchen von Auber, Lafont, Kalkbrenner, sogar Spohr, — so ohne allen Grund brillant, ohne allen Grund gerade so und nicht anders. Herz und Lafont haben dasselbe Thema

{273} variirt. Da lerne er französische Manieren, coquettes Wesen, will er einmal damit entzücken. Doppelt traurig ist es, dies alles sagen zu müssen, da man gar nicht leugnen kann, daß sie von einem talentvollen, satz- und fingerfixen Componisten gemacht sind, der noch dazu das Instrument sehr gut kennt.*

Auch an den Variationen des Fräulein Blahetka wollen wir so rasch wie möglich vorbei. Sie ist eine treffliche Clavierspielerin und reizend. Zu einem St. Simon für weibliche Composition kann sie mich nicht machen.

Aber was ist mit unserm vortrefflichen Henri Herz vorgegangen? Ordentlich als ob er krank den Kopf senkte, als ob er gar nicht mehr so unschuldig und liebenswürdig hüpfen und springen könnte, als ob er die Launen und Untreue der Welt erfahren! Denn wahrhaftig, als Variationist erreicht ihn so leicht Niemand und er sich selbst nicht einmal wieder. Tausend und aber tausend vergnügte Stunden dankt ihm die Welt, und von schönen Lippen hörte ich. nur Herz dürfe sie küssen, wollte er. „Die Jahre vergehen.“ Einen Satz finde ich aber auch hier bewährt, daß man sich manche Modegenies, über deren schädlichen hemmenden Einfluß man übrigens durchaus im Klaren war, später, wenn sie selbst hinter sich zurückbleiben und nun eine Lücke entsteht, die Talentschwächere nur schlecht zu füllen versuchen, sehr oft zurückwünscht. So fingen die Kritiker Rossini erst recht herauszustreichen an, als Bellini aufstand; so wird man diesen erheben, da Caraffa und die Anderen ihn nicht zu ersetzen vermögen. So mit Auber, Hérold, Halévy. — Zu den Variationen! Sie sind von Herz, stehen aber, wie gesagt, gegen die älteren frischen und erfindungsreichen bei Weitem ab. Das Thema ist aus den Puritanern, der erste Theil voll Gesang auf Tonica und Dominante basirt, der zweite Theil aber

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     * Gestrichen: „Wenn schließlich ein Musiker nach 22 Seiten A dur sich dieser Orthographie bedient:
  1. Notenbeispiel

so mach' ich ihm darum keine Elogen.“

{274} so steril, daß freilich nichts Paradiesisches daraus zu schaffen. Daß er Seite 13 Syst. 4 Tact 5 und darauf noch einmal das Ges verdoppelt, war auch nicht nöthig. Herzisch bleiben sie jedenfalls und müssen gefallen.

Als einen diesem Pariser verwandten Geist gibt sich unverhohlen auch Hr. Rummel. Was ihm an französischer Finesse abgeht, ersetzt er aber durch eine ihm natürliche deutsche Gutmüthig- und Gemüthlichkeit, weshalb er mir immer wohlgefallen. Die Einleitung zu seinen neusten Variationen, den Satz des Themas von Donizetti (das sich in Francilla Pixis zum großen Liebesfang gestaltete) muß man sehr loben. Die Variationen (die zweite ausgenommen und das Finale sind gewöhnlichst.

In denen von Stephen Heller kann man Anzeichen eines gebornen Musikers gewahren. Das Thema ist das bekannte Lied des Zampa (nebenbei gesagt, zehnmal weniger forcirt und mehr originell als das Meyerbeersche ,,l’or n’est qu’une chimère“) und durch ein leichtes frivoles Allegro eingeleitet, wie es hier recht ist. Thema. Steht im Original Tact 7 die kleine None? Das schwächliche Ding paßt nicht zu Zampa. Die Variationen sehen sich zu ähnlich und fließen zu leise nach dem verwegenen Räuberlied. Dagegen hat das Finale Humor und konnte immerhin noch mehr toben und wüsten. Das Thema, sein Gegenstand dünkt uns einer größeren charakteristischen Behandlung werth, was sich der talentvolle Componist zu einer spätern Aufgabe mache.

Die vierhändigen Variationen von Herrn Droling sind auf ein sehr pikantes, allerliebstes Thema aus dem Maskenball eben so allerliebst gebaut, dazu federleicht, völlig anspruchslos, sehr zu empfehlen, weil sie eben nichts anderes sein und scheinen wollen. Bleibe der Componist in diesem ihm angewiesenen Kreise und erhalte er sich diese musikalische kindliche Frische, die man an den früheren kleinen Werken von Czerny loben mußte.


{275} Zweiter Gang.

J. R. Endter, Einleit. und Variationen über das Mantellied. E. Prudent, Gr. Variationen über ein Thema von Meyerbeer. Werk 2. C. Haslinger, Einleit., Variationen und Rondo mit Begleitung des Orchesters.

              Werk 1. 

J. Benedict, Einleit. und Variationen über ein Thema von Bellini. Werk 16. H. Elkamp, Phantasie und Variationen. Werk 15. F. X. Chwatal, Einleit. und Variationen über ein Thema von Strauß. Werk 23. H. W. Stolze, Einleit. und Variationen zu 4 Händen über ein russisches Thema.

               Werk 37. 

L. Farrenc, Variationen über ein russisches Thema. Werk 17. S. Thalberg, Variationen über zwei russische Themas. Werk 17.

Das Wort „Gang“ ist nicht ohne Feinsinn gewählt; nur denke man dabei nicht an Schmausetafeln, Galerieen, sondern an ordentliche Waffengänge. Die Kritik stellt sich gleichsam der Productivität entgegen: Thörichten, Eingebildeten schlägt sie die Waffe aus der Hand; Willige schont, bildet sie; Muthigen tritt sie rüstig freundlich gegenüber; vor Starken senkt sie die Degenspitze, salutirt sie. Zu den Willigen gehört der oben zuerst ausgeführte Componist. Schon an der Wahl des Themas erkennt man seinen Mann. Je mehr Erinnerungen sich an dieses knüpfen, je beziehungsvoller, tiefsinniger werden die Gedanken darüber ausfallen. Das allgemeine prosaische Mantellied kann aber schwerlich zu Außerordentlichem begeistern und dürfte es nicht einmal, da eben auch Variationen ein Ganzes bilden sollen, das seinen Mittelpunct im Thema hat (daher man dies manchmal in die Mitte oder auch zum Schluß setzen könnte). Daran denken freilich die Wenigsten; die Meisten ziehen die bequeme, im Grund sinnlose Art, sogenannte brillante mit soliden Variationen abwechseln zu lassen, vor. So vermisse ich auch in den Veränderungen des Hrn. Endter irgend Beziehung, Bedeutung, Idee. Gleich die Einleitung. Wie fällt da alles auseinander! Eine Weile lang Viertel, dann 32stel, dann Triolen, dann Achtel, dann wieder Triolen! Und dennoch wird das B dur nicht einmal harmonisch gut eingeleitet. Man weiß nicht, wozu das alles, wo es hinaus soll. Das Thema, wie gesagt, weder poetisch noch sonst etwas, taugt aber auch formell nichts. Der erste Theil hat nur vier Tacte, die sich wiederholen; der zweite aber sechs krumme Tacte; noch dazu schließen beide Theile einerlei. Auf so dürrem Boden läßt sich schlecht ackern. Einige Variationen haben mir dennoch, eines Anstrichs von Solidität halber, wohlgefallen, so die erste,

{276} zweite und vierte. Die polonaisenartige steht etwas geschmacklos mitten drin und müßte in weiteren Auflagen durchaus heraus. Mit der Gelinekschen Art zu variiren aber, d. i. eine der Hände zum Thema in Tonleitern auf- und abfahren zu lassen, verschone man uns gänzlich; solches darf man heut zu Tage nicht mehr drucken lassen. Im Einzelnen wollten wir dem Componisten noch Bogen voll bemerken. Nehme er dies Wenige im aufmunternden Sinn: vor Allem aber zerstückle er sich nicht in so kleiner Arbeit und in einem Genre, worin ihn Tausende überholen.

Hrn. Emil Prudent halte ich für einen jungen Franzosen, der sich Meyerbeer zum Götzen auserlesen. Große Erfindungen sind seine Variationen gewiß nicht: doch verrathen sie einen geschickten Spieler (man verspreche die Worte nicht), der Alltägliches recht einnehmend auszudrücken versteht. Auch hier würde ein glückliches Thema glücklichere Gedanken geweckt haben; der fatale Stimmengang in der Melodie und im Baß (Tact 3 des Themas) mußte somit leider in allen Variationen wiederkehren. Das Fleckchen Fuge im letzten Satz ist lustig genug.

Die Variationen des Hrn. Hasliuger haben den Haupttitel „Voyage sur le Rhin“, so daß ich schon auf eine ganze Bilderkarte mit den Ueberschriften ,,Mayence, Cologne“ u. s. w. aufsah. Nichts von dem, wenn man auch vielleicht in die Einleitung die Abfahrt, in die einzelnen Variationen die verschiedenen Stationen legen könnte. Viel poetischer schwebt nur im Allgemeinen über dem ganzen Heft ein munterer Rheinweincharakter, und die grünen Gläser klingen und schwarze Kellnerinaugen sehen von Weitem. Eine Musik, die froh ist und macht, auf der man fortschaukelt, ohne viel zu fragen warum oder wohin. Der Titel scheint also durchaus nicht überflüssig. Im Einzelnen steht mir allerdings vieles nicht an, gewisse Czernysche Läufer, Bellinische schwächliche Ausweichungen; aber der Grundton bleibt frisch und rein; die Variationen bilden ein Ganzes, erreichen das, was sie wollen. Und das ist eben Talent. Gleich die Einleitung hat Leben und führt ein; die Spannung geschieht fast unmerklich. Das Thema, ein brillanter E dur-Marsch von Stöber, wird vom ganzen Orchester fortissimo gespielt, eine neue, schickliche Art. Nur drei leicht-wechselnde schillernde Variationen folgen. Alles wohlberechnet. Statt eines langweiligen falsch-sentimentalen Adagio ist eine ziemlich durchaus interessante Cadenz von zwei Seiten eingeschaltet, in der ein kurzer, dem Componisten angehöriger Gedanke aus der Einleitung (S. 4 T. 4)


{277} weiter, aber noch immer etwas undeutlich ausgeführt wird; erst im Rondo hellt er sich zum klaren Gesang aus und bekommt da sogar etwas Phantastisches. Der Schluß ist kurz und feurig.

In ein ziemlich gleiches Fach sind die Variationen von Benedict zu stellen, nur daß, was bei dem Vorigen natürlich, fast bewußtlos kommt, bei diesem durch Verstand und Kunst getrieben ist. Aber fang' er’s noch so scharfsinnig an, er wird sich dennoch weder beim Publicum noch beim Künstler geltend machen können, eben weil er beiden genügen möchte. Dieses leidige Schwanken, dieses „Allen gefallen wollen“ kann nie zu etwas Rechtem führen. Indessen würde nur ein Unbilliger die vielen schönen Seiten dieser Variationen verkennen wollen. Die dritte ist geradezu vortrefflich, die zwei vorangehenden glänzend, mit Geschmack, mit Esprit gemacht. Dann schließt er aber matt, mit einem Rondo, als wollt' er dem großen Herz den Vorrang ablaufen. Nach so vielem Guten beleidigt das doppelt, und nun soll Jemand nach Lust loben, wie man es seiner Fähigkeiten und Kenntnisse halber gern möchte! Die Zeiten, wo man über eine zuckerige Figur, einen schmachtenden Vorhalt, einen Es-dur-Läufer über die Claviatur weg in Staunen gerieth, sind vorbei; jetzt will man Gedanken, inneren Zusammenhang, poetische Ganzheit, alles in frischer Phantasie gebadet. Das Andere flackert einen Augenblick auf und vergeht. Herr Benedict weiß das längst. Thäte er auch darnach!

Jetzt zu einem komisch-originellen Stück von Hrn. Heinrich Elkamp, einer Variationsphantasie ohne Thema. Schlüssel ohne Bart, Räthsel ohne Auflösung, Paganini ohne Violine, ein Stück für sich, — eine Ruine, wenn man will, für die kein Kritiker eine Regel aufstellen kann — beinahe nur Betrachtungen über die H moll- und D dur-Tonleiter. Manchmal scheint zwar das irrsinnige Glöckchenrondo von Paganini, manchmal der Hexentanz aus Faust von Spohr durchzuklingen. Deutlich kommt aber nichts zum Vorschein; die kleinen Flämmchen verlöschen vollends, stockfinster ist es ringsum. Ermesse hiernach Jeder, ob die Variationen nicht romantisch und interessant seien, und ziehe sich sein Theil heraus. Nie aber dachte ich lebhafter an jene Donauweibchenstücke, die man als Kind aus den Theatern mit so freudigen Schauern sieht, an jene Scenen, wo der neugierige Schildknappe gern hinter die Schliche seines Rittersmannes kommen möchte und schon durchs Schlüsselloch alle romantische Herrlichkeiten genießend von unsichtbaren Händen greulich zerbläut auf die grüne Wiese zurückgeschickt wird, wo er wiederum hüten muß das Roß seines edlen

{278} Herrn. Wer dunkel componirt, wird auch dunkle Recensionen verstehen .. .

Und wenn nun der Vorhang über den romantischen Spuk herabgefallen war und die bekannten Nachbarkindergesichter überall vorguckten und man so sicher und fest dazwischen saß, so war’s nur wenig von dem Wohlbehagen verschieden, das nach den obigen Variationen die des Hrn. F. X. Chwatal in mir erweckten, so fröhlich, rührig und guter Dinge spielen sie von einer zur andern fort, nicht zurückhaltend und vornehmthuend, eher etwas bäuerisch, aber zart und derb zugleich. Gehe der Verfasser nur immer mit der Zeit fort; ihr Schlechtes kann ihm nichts anhaben und vom guten Fremden läßt sich immer fürs Eigene nützen.

Beinahe dasselbe möchte man Herrn Stolze zurufen, wenn er überhaupt brilliren und sich einen europäischen Ruf machen wollte. Lieber wirkt er im kleinen häuslichen Zirkel und thut es da vollständig. Seine Variationen gehören der älteren Zeit an, müssen aber in jeder als anspruchslos, gemüthlich, dabei bildend für Anfänger geschätzt werden. Lehrern, die sich fleißige Schüler erhalten wollen, sind sie sehr zu empfehlen. Gleich von vornherein klang mir das Thema wie ein alter Bekannter, bis ich es als dasselbe russische erkannte, das Ries im Rondo seines jugendlichen Es dur-Concerts benutzte.

Legte mir ein junger Componist Variationen wie die von L. Farrenc vor, so würde ich ihn sehr darum loben, der günstigen Anlagen, der schönen Ausbildung halber, wovon sie überall Zeugniß geben. Zeitig genug erfuhr ich den Stand des Verfassers, der Verfasserin nämlich, die die Gemahlin des bekannten Musikhändlers in Paris, und bin verstimmt, daß sie schwerlich etwas von diesen aufmunternden Zeilen erfährt. Kleine, saubere, scharfe Studien sind es, vielleicht noch unter den Augen des Lehrers vollführt, aber so sicher im Umriß, so verständig in der Ausführung, so fertig mit einem Worte, daß man sie lieb gewinnen muß, um so mehr, als über sie ein ganz leiser romantischer Duft fortschwebt. Themas, die Nachahmungen zulassen, eignen sich bekanntlich am besten zum Variiren und so benutzt denn dies die Componistin zu allerhand netten canonischen Spielen. Sogar eine Fuge gelingt ihr bis auf die Umkehrungen, Engführungen, Vergrößerungen — und dies alles leicht und gesangreich. Nur den Schluß hätt' ich in eben so stiller Weise gewünscht, als ich vermuthet, daß es nach dem Vorhergehenden kommen würde.

Und da wir einmal im Lobesstrome stehen, so sei noch der sehr

{279} hübschen neuen Variationen von Thalberg gedacht, der vorzüglichsten gelungensten Composition, die mir bis jetzt von ihm vorgekommen. Zwei schöne russische Themas nahm er sich: das erste steht in den vor Kurzem in diesen Blättern abgedruckten „Bildern aus Moskau“ — die Bitte eines Kindes an die Mutter,* voll wahrhaft rührenden Ausdrucks. Das andere ist das neue Volkslied, vom Oberst Alexis von LwoffVorlage:Lwow componirt und im ganzen russischen Reich statt des God save the king eingeführt, ein männlicher, ruhig feuriger Gesang. Der Gedanke, zwei Themas auf einmal zu verändern, ist nicht neu, doch selten gebraucht und gewiß lobenswerth, zumal wenn sie in irgend einer Beziehung zu einander stehen wie hier, — wenn letzteres auch weniger im ästhetischen Sinn als ihres gleichen nationalen Ursprunges halber. Daß Hr. Thalberg das erste Thema mit Vorliebe behandelte, scheint mir natürlich: überhaupt schrieb er aber mit Liebe, in guter Stunde, und so entstand eine phantasie- und wirkungsvollste Einleitung, hinter der das Lied des Kindes reizend und verklärt wie ein Engelskopf hervortaucht. Eben so zart und bedeutsam schmiegen sich ihm zwei Veränderungen an, die man auch im musikalischen Satz, im Fluß der Stimmen, in der ganzen Abrundung gelungen nennen kann. Den Contrast zu diesem innigen Idyll bildet das glänzende Volkslied, in das im späteren Laufe das erste Thema eingewirkt wird. Der Schluß ist von der kurzen Art, daß das Publicum erst einige Secunden lauschen wird, ob nicht noch mehr komme, bis es dann in ein stürmisches Halloh ausbrechen muß, — äußerst dankbar, brillant, ja vornehm. Als strenger Kritiker wünscht' ich nur zwei kleine Stellen anders oder heraus: die Modulation auf Seite 8 Tact 2, wo man statt nach A- nach Fis moll zu kommen hofft, wie mir auch der Durchgang durch D dur und H moll nach G moll etwas gezwungen scheint; sodann mißfällt mir der viert- und drittletzte Tact auf Seite 17, wo ich klarere und weichere Stimmen möchte. Im Uebrigen wünschen wir dem großen Virtuosen, wie wir ihn auf jeder Seite wieder finden, Glück zu dieser Bahn, auf der er, bedachtsam und reinste Ziele im Auge, immer fortschreiten wolle!

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     * Der „rothe Sarasan“.

{280} Dritter Gang.

G. A. Osborne, Variationen über ein Thema von Donizetti. Werk 16. I. Rowalowski, Brill, Variationen über ein Originalthema. Werk 12. F. Kalkbrenner, Variationen über ein Thema von Bellini. Wert 131. C. Schunke, Gr. Bravourvariationen über ein Thema von Halévy. Werk 32. T. Döhler, Phantasie und Bravourvariationen über ein Thema von Donizetti.

              Werk 17.

C. Mayer, Variationen über ein Thema von Auber. Werk 31.

   „        „        Gr. brill. Variationen über ein russisches Thema. Werk 32.

L. Schunke, Concertvariationen über ein Thema von F. Schubert (in As).

              Werk 14. 

F. Chopin, Variationen über ein Thema aus Ludovic von Hérold und Halévy

              (in B). Werk 12.

Die beste Recension über die meisten obiger Variationen las der Leser so eben im Motto. * Sie gehören sämmtlich dem Salon oder dem Concertsaal an und halten sich, das letzte Heft ausgenommen, von aller poetischen Sphäre weit entfernt. Denn auch in diesem Genre muß Chopin der Preis zuerkannt werden. Jenem großen Schauspieler gleich, der auch als Lattenträger über das Theater gehend vom Publicum jubelnd empfangen wurde, kann er seinen hohen Geist in keiner Lage verleugnen; was ihn umgibt, nimmt von ihm an und fügt sich, noch so spröde, seiner Meisterhand. Im Uebrigen versteht sich, daß die Variationen, zu seinen Originalwerken genommen, in keinen Anschlag gebracht werden können.

Was die Concertvariationen vom seligen Ludwig Schunke anlangt, so muß man sie den glänzendsten Clavierstücken der neusten Zeit beizählen, mit denen er, wäre er am Leben geblieben, allerwärts Aufsehen erregt haben würde. Der seltene, sinnende Virtuos am Clavier sieht überall durch. Instrumentneues, Schwerübendes, Scharfcombinirtes findet man auf jeder Seite. An Idee stehen sie freilich gegen seine anderen Arbeiten zurück und er kannte meine Ansicht gar wohl, nach der es mir immer unpassend geschienen, so herzinnige Themas als den Fr. Schubertschen Sehnsuchtswalzer zu so Heldenstücken zu verarbeiten. Jedenfalls überragen sie im musikalischen Satz die meisten

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     * Schwarze Röcke, seidne Strümpfe,
       Weiße, höfliche Manschetten,
       Sanfte Reden, Embrassiren —
       Ach, wenn sie nur Herzen hätten!

{{Right|H. Heine. [Sch.]

{281} der neueren Bravoursachen. Vor Allem geistreich muß das Finale, eine Polonaise im patentesten Stil, ausgezeichnet werden, und spielt Jemand die dritte Variation wie er, so wird man ihn gewiß einen Meister im Treffen nennen.

Mehr geschmackvoll, aber wenig geist- und erfindungfreich, haben die großen Variationen von Carl Mayer ganz gleiche Bestimmung, Zuschnitt, Charakter wie die vorigen. Das Thema ist dasselbe russische Volkslied, das Thalberg in seinem Werk 17 variirt hat, und so glänzend bordirt, daß es sich schon vor der Kaiserin, der es gewidmet ist, hören lassen kann. Manches sticht mir zu süßlich gegen das markvolle Thema ab, wie es mich auch wundert, daß Mayer, der sonst so vorsichtig im Maßhalten ist, sich überhaupt nicht kürzer gefaßt hat. Dies bezieht sich namentlich auf die fünfte ziemlich vier Seiten lange Andante-Variation. Das Glück eines Concertstückes hängt an halben Minuten; eine zu viel, und irgend Jemand fängt an zu husten — weg ist der Enthusiasmus. Zu wenig geht eher. Wenn vielleicht Pedanten die im reinen Des dur gesetzte Einleitung aufstechen sollte, da doch das Ganze in F dur spielt und schließt, so beweist eben das Stück, daß man schon in verschiedenen Tonarten ein Stück anfangen und endigen und dennoch sehr schön componiren könne. Eine Ausnahme soll es allerdings bleiben, aber nur kein Verbot. Auf gefährliche Neuerungen, große Schwierigkeiten stößt man übrigens durchaus nicht im Heft, es schmiegt und schmeichelt sich alles an die Finger an. Ursprünglich sind die Variationen mit Orchesterbegleitung gedacht; doch fehlen die gestochenen Stimmen, was wegen des letzten Satzes, der durch die Instrumentation viel gewinnen wird, zu bedauern ist. — Die Variationen über ein bekanntes Thema der Auberschen Braut stellen sich von selbst weit unter die vorigen. Es läßt sich nichts darüber sagen, als daß sie sich durch ein lebhaftes Colorit vor vielen Salonvariationen Anderer hervorheben.

Vielleicht erinnert sich der Leser einer scharfen, nur gar zu richtigen Kritik über ein Clavierconcert von Hrn. Döhler. Variationen sieht man schon mit milderen Augen an. Hr. Rellstab bedient sich bei solchen Concertstücken meisthin der schlauen Wendung „Mozart und Beethoven haben zwar bessere Werke geschrieben, indessen“ — indessen sind es eben brillante Variationen über ein Thema von Donizetti, und man weiß alles im Voraus. Sobald nur der Componist und das Publicum solche Dinge für das erklären, was sie sind, so läßt man es passiren; sobald es sich aber breit machen will, so soll sich dem


{282} kanonenschwer entgegengestellt werden. Nichtsnützig ist es nun gar, wenn selbst musikalische Zeitungen über solche, wie sie sie nennen, „freundliche“ Talente als Kalkbrenner, Bertini etc., der Welt die Augen öffnen wollen. Durch Glas läßt sich schon sehen da brauchen wir keinen langweiligen Erklärer. Piff! Paff! Bis aufs kleinste „und“ kennen wir sie und ihre Finger. Wer würde Hrn. Döhler verargen, daß er sich größten Beifall erspielen will; er scheint ein bedeutender Virtuos, bringt manches Neue und stets Gutklingendes, notirt alles sehr fleißig, hat rhythmischen Sinn, schreibt im Verhältniß zur claviergemäßen Schwierigkeit dankbar. Dies ist alles schätzenswerth, „Beethoven und Mozart haben zwar“ — vgl. oben. Aufrichtige Elogen mach' ich ihm aber wegen der Solostelle der linken Hand auf Seite 2, mit dem darauf folgenden wirklich prächtig rauschenden Fortissimo und der echt-claviergemäßen Begleitung. Sehr effectvoll ist ebenso die dritte Variation und lobenswerth wegen der strengen Durchführung der Melodie, welche Andere, hätte sie sich nicht schnell gefügt, vielleicht hätten fallen lassen. Aber mit zwei Verzierungen möchten uns die Componisten nicht mehr wüthend machen: sie stehen unten in der Anmerkung* und sind nach und nach so zu Gemeinheiten geworden, daß man’s wirklich nicht mehr hören kann. Todfeindschaft Allen, die sie noch einmal drucken lassen. Wünscht man von uns andere Zieraten an Cadenzstellen, so stehen wir mit tausenden bereit.

Die Bravourvariationen von Carl Schunke sind den Eleven des Pariser Conservatoires gewidmet, ein Umstand, der vorweg für sie einnimmt, da man sich aus etwas Technisch- wie Aesthetisch-Bildendes vorbereitet. Was den ersten punct betrifft, so sind sie unleugbar sehr sorgsam, gewissenhaft im äußerlichen Vortrage, in der Declamation u. s. w. bezeichnet, handrecht und nützlich von einem durchgebildeten Spieler und Lehrer gesetzt. Was [sie] aber im Uebrigen [betrifft], so blühen sie vom neusten geschmacklosen Geschmack so hohl pathetisch, so gemeinfrivol über, daß man sie kaum zweimal hintereinander sich denken mag. Der gut-pädagogischen Eigenschaften halber muß man

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     *  #Notenbeispiel

{283} das mit wahrer Betrübniß gestehen, um so mehr, da der Componist gegen sein bisheriges Streben, das nur auf leichteste Modearbeit hinausging, hier einen Anlauf gemacht hat, dem man gern ein besseres Schicksal gönnte. Spiele und studire sie also, wer, Herz und Kopf auf dem rechten Fleck, seinen Fingern Bewegung und interessantere Uebung geben will. Die Virtuosen werfen es Beethoven oft genug vor, daß er ohne Berücksichtigung der Mechanik des Instruments schriebe, und spielen uns seine Compositionen dennoch; so wollen wir auch dankbar sein und manchmal der Virtuosen instrumentgemäßere Passagen, wenn auch ohne Beethovenschen Geistesbeisatz, zur besseren Beherrschung jener einüben. Beiläufig noch eine Anmerkung zu dem facilité, das in neueren Compositionen so oft zu finden ist. Abgesehen davon, daß ein echter Gedanke überhaupt gar keine Veränderung verträgt, so scheinen mir in Stücken, in denen einmal Schwierigkeiten überwunden werden sollen, solche Erleichterungen unnöthigen Platz wegzunehmen, — des andern Umstandes noch zu erwähnen, daß auch weniger fertige Schüler, haben sie nur einen Funken Ehrgeiz, niemals die leichtere Variante wählen, sondern gerade aus das Schwerere wie erpicht werden. Also wozu das? Verändert aber der Componist in der Art wie z. B. Hr. Schunke Seite 19, wo, statt daß ursprünglich die Töne in einem brillanten Gang in die Höhe, sie in der Variante mit faden Triolen in die Tiefe gehen, so ist mir das eine unbegreifliche Herabsetzung seiner eigenen Ideen. Genug — und führe sich Jeder die Bemerkung nach Gefallen aus.

Die Variationen von Kalkbrenner können auf eine lange Besprechung wohl keinen Anspruch haben. Sie sind leicht, ansprechend u, s. w., im Grunde recht arm.

Eben so schnell können wir über die Hrn. Rowakowski und Osborne weggehen. Der eine ist ein Pole mit, der andere ein Schwede* ohne Compossitionstalent. Beide kennen ihr Instrument. Das Thema des Polen muß man hübsch finden, das von Osborne gewählte aus Anna Bolena sehr lahm. Herr Rowakowski kann es zu etwas bringen, wenn er mehr studirt als Herr Osborne.

Zwei Dinge auf der Welt sind sehr schwer, einmal, sich einen Ruhm zu gründen, sodann ihn sich zu erhalten. Gepriesen seien aber die Meister — von Beethoven bis zu Strauß,69 jeder in seiner Weise!

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         * Osborne war ein geborener Irländer und lebte damals in Paris.

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{284} Phantasieen, Capricen etc. für Pianoforte.

Erster Zug.

C. Schnabel, Erinnerungen an Mad. Schröder-Devrient. Phantasie über Motive aus Opern von Bellini. Wert 14. A. Mereaux, Große Phantasie über ein Thema von Halévy. Werk 42. J. A. Ladurner, Phantasie, Fuge und Sonate über ein Thema von Händel. S. Thalberg, Phantasie über Themas aus den Hugenotten. Werk 20.

Die secondaire Art der Composition, über Themas Dritter zu phantalsiren, nimmt auf eine traurige Weise überhand und steckt sich, wie bekannt, unter den schönen Namen, mit dessen Bedeutung sie so wenig gemein hat. Namentlich versenkte sich Hr. Schnabel in ein ganzes Meer von Phantasielosigkeit und hat es mit seinem Potpourri durchaus bei uns verscherzt. Wär' ich Mad. Schröder-Devrient, der diese Erinnerungen dedicirt sind, wie einen Pizarro* wollte ich den Componisten mit meinem Pistolenblick durchbohren. Vieles vergebe ich einem Deutschen — Geschmacklosigkeit, Unordnung, seine Theorieen, sogar Faulheit, nie aber solch geflissentliches Nachäffen der feuchten italiänischen Sentimentalität, wie es sich hier zeigt. Schon zu viel der Worte!

Zwischen die Parteien Herz und Chopin in Paris hat sich die einer romantisirenden Salonmusik eingeschlichen, in der sich auch Herr Amadeus Mereaux, und mit Glück ergeht. Sie trägt ihren Paß zu deutlich an der Stirn, als daß man über sie im Unklaren sein könnte; er heißt: „von allem etwas wo möglich.“ Indeß ist Hr. Mereaux nicht ohne eigenes Talent und würde sich unter einer schärferen Scheere zu etwas haben bilden können. In seiner „großen“ Phantasie findet man zwar nicht mehr als eine Einleitung, die nicht viel taugt, dann aber ordentliche sehr brillante Variationen über einen Marsch aus der Jüdin, der auch in der Tonart etwas an den Alexandermarsch erinnert. Hier und da verflicht er sich auch gelehrter, nie aber länger, um nicht noch dem Gähnen des Zuhörers zuvorzukommen.

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     * Anspielung an die großartige Darstellung des Fidelio durch Wilhelmine Schröder-Devrient.

{285} Die erste Variation klingt sehr gut. Im ersten Theil der dritten ist gegen allen Rhythmus ein Tact zu viel.

Besäße Hr. Ladurner nur ein Viertel von der Tournüre des Vorigen und er würde so rasch ins Publicum gelangen, als er seines Fleißes halber nur verdienen mag. Bei vielen Vorzügen, die diese Phantasie vor vielen anderen auszeichnen, ermangelt sie aber auch jeder und aller Grazie, entbehrt sie durchaus der feineren Bildung, die man selbst bei rohen Talenten stellenweise antrifft. Gegen frühere Zeiten genommen, hat unsere Musik so sehr an Biegsamkeit des Organs, an Gewandtheit im Ausdruck, an Vielartigkeit der Nüancirung gewonnen, daß man eine so harte Originalität in ihrer Schwerfälligkeit gar nicht mehr gewohnt ist. Daß man über ein Thema von Händel nicht so leichthin faseln dürfe als über eines von Bellini, versteht sich. Unser Componist kennt auch die Höhe seines Vorwurfes, behandelt ihn sorgsam, würdig, mit aller Liebe, deren eine schroffere Natur nur fähig ist. Hierin liegt so viel Lob für ihn, daß ihn der oben ausgesprochene Tadel nirgends abhalten möge, im gleichen Sinn, aber mit gewählteren Mitteln fortzuarbeiten. Sehe ich recht, so ist der Verfasser in Kenntniß des Vorhandenen nicht viel über Beethoven und vielleicht noch gar nicht bis zu ihm gedrungen. Findet er in sich selbst einen Lohn für seine Arbeit, so wünschen wir ihm Glück dazu; von der Mitwelt erwarte er aber so wenig einen als für ein lateinisches Gedicht. Wer nicht auf der Höhe der Gegenwart steht, wird sich meistens über die Wirkung seiner Leistung, oft auch über diese selbst, in Irrthum befinden. Stände Herr Ladurner aber oben, wie würde er über die vielen jungen lachenden Gesichter erschrecken, die auf nichts mehr als auf Zöpfe erpicht sind, als z. B. auf das unaufhörliche Hinüberschlagen der rechten Hand über die linke, eine lange Melodie im Baß vorzutragen (vgl. die sogenannte Todtenpolonaise,* das Trio), auf die altmodischen Harpeggios in den tiefsten Baßregionen, auf die Doppelschläge und Mehreres. Wo man ihm aber nichts anhaben kann und wo er so kräftig Händelsch arbeitet, daß sich das junge Volk respectvoll zurückziehen wird, ist in der Fuge, wenn ich auch für meinen Theil zu ihrer Länge mehr Aufbau und Steigerung wünschte. Leid thut es mir, daß dem Componisten die Tenormelodie auf Seite 3 (da, wo sich das Thema zum erstenmal zeigt) späterhin gänzlich entfallen ist; sie hätte namentlich in der Sonate, die aber nur aus einem

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      * des Grafen Oginsky.

{286} Satz besteht, als ein zweites Thema gut eingeschaltet werden und dem Ganzen ein blühenderes Colorit geben können. Mit Antheil sehen wir immerhin den weiteren Leistungen des Componisten entgegen.

„Glücklich aber sind die zu preisen, die ihre Geburt sogleich über die unteren Stufen der Menschheit hinaus hebt: die durch jene Verhältnisse, in welchen sich manche gute Menschen die ganze Zeit ihres Lebens abängstigen, nicht durchzugehen, auch nicht einmal darin als Gäste zu verweilen brauchen.“ Also Goethe, und nie fiel mir diese Stelle aus Wilhelm Meister lebhafter ein als jetzt beim Uebergang vom vorigen Componisten zum zuletztgenannten. Wie ist der Herr seiner Sprache und Gedanken, wie benimmt der sich weltmännisch: noch mehr, wie schließt, verschlingt und löst er so leicht die Fäden, daß es gar nicht wie Absicht aussieht. Weder überspannend noch abmattend zieht er die Zuhörerschaft, wohin er nur will: er hat den leisesten Pulsschlag des Publicums belauscht, wie selten Einer, erregt es und beruhigt es wieder; kurz, der allgemeine Enthusiasmus über Thalbergs Hugenottenphantasie in Paris und anderwärts ist ganz in der Ordnung. Die günstige Form, deren er sich in ähnlichen seiner neueren Compositionen bedient, gebraucht er auch hier. Eine kurze Einleitung mit Vorklängen an künftige Themas, dann diese selbst mit einer Veränderung, in der sich schon Laute aus dem zweiten Thema einfinden, dann Verbindung der zwei Themas, und endlich ein kurzer herausfordernder Schluß. Es würde schwer sein. Einem, der sich nicht mit eigenem Aug' und Ohr davon überzeugt, über die Art, wie Thalberg das Instrument behandelt, einen Begriff zu geben, von der Ueberkleidung der Melodie durch neu gefundene Accompagnements, von den seltenen Pedaleffecten, vom Durchgreifen einzelner Klänge durch die Massen, so daß man oft verschiedene Stimmen zu hören glaubt u.s.w. So bilden sich unsere bedeutendsten jungen Claviercomponisten jeder gleichsam seine besondere Instrumentation: für die freilich, die im Clavier nichts sehen als eine Maschine, eine Spieluhr von auf- und niederrollenden kleinen Tönen, sind diese Sachen nicht. Die Anderen aber werden sich an der Vielseitigkeit des Instruments erfreuen, das im einzelnen Klang so dürftig, in der Combination sich so ungeahnt reich zu zeigen vermag.


{287}

Zweiter Zug.

C. Rummel, Erinnerung an Sabine Heinefetter. Werk 79. J. Ruckgaber, Erinnerung an Bellini. Werk 35. E. Köhler, Erinnerung an Bellini. Werk 54. H. Herz, Dramatische Phantasie über den berühmten protestantischen Choral aus den Hugenotten. Werk 89. C. G. Kulenkamp, Die Jagd, ein humoristisches Tongemälde zu 4 Händen. Werk 49.

Eine sehr kurze Recension machte bekanntlich Voltaire, indem er, eben um eine befragt, in einem ihm vorgelegten Buch am Wort Fin den letzten Buchstaben wegstrich. Es bleibt dahin gestellt, ob das I, das Florestan aus die Rummelsche Erinnerung geschrieben, nicht noch eine kürzere sei, wenn es anders nicht die Zahl sondern einen lateinischen Buchstaben bedeutet. Jedenfalls ist die Composition ein passables Gelegenheitsstück mit den bekannten Reimen „Herz— Schmerz“, eine Apotheose, wenn nicht entzückend, doch in einer Entzückung über die Landsmännin entstanden. Würde einmal die Wahrheit verboten, so müßte man die Erinnerung den besseren Werken beizählen.

Letzteres gilt auch von Herrn Ruckgabers Souvenir. Viele (z. B. wir und ich) denken selten an Bellini, und dann ist so ein Aufrütteln gut. An der Stelle der Original-Verleger litte ich aber so ein Honigaussaugen aus Bellinis Opern durchaus nicht: wahrhaftig, das Beste wird herausgezogen.

Sonderbar ist es, daß obige Erinnerungen, auch die von Hrn. Köhler, sämmtlich aus Es dur gehen und ein Beitrag sind zur Charakteristik der Tonleiter; eben so sonderbar, daß sie alle einerlei, nämlich höchst glänzend anfangen und nur die Ruckgabersche in leise pp verhaucht, während die anderen ordentlich wie die Sinfonia eroica schließen. Hrn. Köhlers Phantasie zeichnet sich aber überdies durch eine organischere Form vor den anderen rühmlichst aus und verräth überall solide Studien und Gedanken. Von einem Orchester, das dazu gehört, gut begleitet und mit Feuer und Liebe gespielt, was auch dazu gehört, wird sie überall applaudirt werden. Wie gesagt, es ist zu wünschen, daß erste deutsche Componisten sich auf diese Weise an und in italiänischen Componisten zu verewigen fortfahren.

Mozart, mit seligem Auge dem Allegrischen Miserere zuhörend,*

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      * Im Jahre 1770 hörte Mozart in der sixtinischen Capelle zu Rom das zweichörige Miserere von Allegri. Der vierzehnjährige Knabe gab eine erstaunliche

{288} mag kaum mit mehr Spannung gelauscht haben, als unser verehrter Herz der ersten Ausführung der Hugenotten. Ihr Schelme, mochte er bei sich denken, man müßte kein Musiker sein, um nicht trotz aller Eigenthumsrechte Anderer sich das Beste und Beklatschteste einzuzeichnen hinter die Ohren — und noch spät Mitternacht setzte er sich hin und brütete und schrieb. Der Titel ist übrigens eine offenbare, jedoch dem Käufer vortheilhafte Täuschung: anstatt einer dramatischen Phantasie über „le célèbre Choral protestant intercalé par Giac. Meyerbeer dans les Huguenots“ erhält man, außer diesem, der nur einmal wie hineingeplumpt kommt, eine Scene mit Chor, echt Meyerbeerisch, nämlich unecht, eine Arie mit wirklich schönen Stellen, eine Bohémienne, über die sich nichts sagen läßt, und ein sehr hübsches Air de Ballet. Wir selbst sind noch nicht so tief in die Hugenotten gedrungen, um mit Sicherheit sagen zu können, was Herz, was Meyerbeer angehöre; indessen getrauten wir es uns. Daß übrigens alles mit Geschick, oft Geist aneinander gefädelt ist, kann man versichern. Apropos, was bedeuten denn die kleinen hübschen Kästchen □ über einzelnen Noten? vielleicht einen leisen Druck, ein graziöses Aufheben der Hände? Im Stuttgarter Universallexicon fehlt das Kästchen gewiß. Wir machen aufmerksam darauf.

Ueber die vierhändige „Jagd“ des Hrn. Kulenkamp kann man keine neuen Gedanken aufbringen, da der Inhalt auf einer sehr sauberen Vignette und in einem Programm ausführlich zu sehen und zu lesen ist. Da findet man z. B.: „11. Ein Hase springt auf; Fehlschüsse. 12. Spöttische Bemerkungen. 13. Fade Entschuldigungen“ u. s. w. Der Componist fürchtet selbst in einem an die Redaction gerichteten Schreiben, „daß solche bemerkte Details Anlaß zu Spötteleien geben könnten, daß er aber solche Kleinigkeiten der wahrheitsgemäßeren Darstellung halber nicht hätte übergehen dürfen“ u. s. w. Im ersten punct hat er ganz, im zweiten nur halb Recht. Zwischen wirklicher Gemeinheit und Shakespearescher ist noch ein Unterschied. Was soll ich es verschweigen, die Jagd hat mich total verstimmt. Wenn ein Componist Jahre lang mühsam arbeitet, vierzig Stücke schreibt mit lobenswerthem Eifer und endlich auf ein Thema fällt, das schon gar keine poetische Regung aufkommen lassen kann, und wenn er es noch

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Probe seinen Gehörs und scharfer Auffassung, als er das berühmte Musikstück, von welchem nicht einmal eine Abschrift ausgegeben werden durfte, nach einmaligem Hören aus dem Gedächtniß zu Papier brachte. Ein paar geringe Ungenauigkeiten seiner Niederschrift verbesserte er während des zweiten Hörens.

{289} dazu so trocken und witzlos wie möglich behandelt, so kann das einen theilnehmenden Beschauer nur traurig machen. Das ist kein Ton aus freier Brust: so klingt kein Jagdhorn; kurz, die Musik lebt nicht. „Sage mir, wo du wohnst, so will ich dir sagen, wie du componirst,“ meinte Florestan bei einer früheren Composition von Hrn. Kulenkamp. Florestan hat Recht, und Rellstab auch, wenn er sinnbildlich genug einmal ausrief: „einen Hasen können sie todtschießen, unsere Componisten — aber einen Löwen erwürgen nicht.“

Dritter Zug.

I. Rosenhain, Erinnerung. Romanze. C. Czerny, Erinnerung an meine erste Reise (in Sachsen). Brill. Phantasie. W. 413. H. Bertini, Erinnerungen. (Impressions de voyage.) Werk 104.

   „       „          Caprice über eine Romanze von Grisar. Werk 108.
   „       „          Sarah. Caprice über eine Romanze von Grisar. Wert 110.
   „       „           2 Notturnos. Werk 102.

A. Le Carpentier, Caprice über eine Romanze von Grisar. Werk 16. C. G. Kulenkamp, Drei Notturnos. Werk 42. Delphine Hill-Handley, Caprice (B moll). A. J. Becher, 9 lyrische Stücke. Werk 2.

Die „Erinnerungen“ bilden eine ordentliche Rubrik im heurigen Meßkatalog, der Reminiscenzen nicht zu gedenken. Große Monumente sind mir darunter noch nicht vorgekommen: indessen ist das Thema musikalisch, und die Musik an sich ja eine Erinnerung an das Schönste, was auf der Erde gelebt und gestorben.

Die Romanze von Rosenhain erhebt sich nicht über eine leichte lyrische Passivität. Man kann sie sich denken. Schüchtern, wie eine erste Liebe, wird es ihr selbst recht sein, wenn man weiter nicht viel über sie spricht. Wo bleiben aber die Sonaten, Concerte etc., die uns Hr. Rosenhain noch schuldig ist? Er hat noch Kraft und Jugend und könnte schon „einen Löwen erwürgen.“

Man erzählt sich, daß Hr. Czerny, von einer Glorie von vierhundert Werken bereits umstrahlt, noch in letzter Messe an seine Verleger geschrieben, „daß sie sich freuen möchten, denn jetzt wolle er erst recht ans Componiren gehen.“ Und in der That fängt er jetzt wiederum mit einer Rüstigkeit an, der man den Beinamen einer unverwüstlichen zu geben geneigt wäre. Betriebe er die Sache nicht zu sehr en gros (oft haben 10 bis 12 starke Hefte nur eine Opusnummer), so stünde er schon jetzt als der Erste da, den drei Nullen schmückten,

{290} man müßte denn an Scarlatti denken, der allein an 200 Opern schrieb, oder an Bach, dem gar nicht nachgerechnet werden kann: so berühren sich große Geister und Extreme. Heute entdecken wir sogar ein neues Talent an ihm, das charakteristisch-pittoreske, das jetzt so allgemein gesucht und vorgezogen wird. Eine ganze Reisebeschreibung erhält man. Der Postillon bläst, der Componist guckt schon zum Wagenfenster heraus: „wär' es möglich,“ ruft er aus in einem Recitativ, „du reistest wirklich“ — und das schöne Wien fliegt immer weiter und weiter zurück. Was dem Componisten alles begegnet sein mag, wer weiß es? Zum erstenmal treffen wir sogar in einer Czernyschen Composition auf dunklere Partieen, die wir nicht zu deuten verstehen. Im Uebrigen ist jedes Werk mehr werth als die Kritik darüber; darum studire man nur. Und wenn Florestan neben mir auf und ab tobt und sagt. „wär' er Czerny, nie edirte er ein Werk, das so vortheilhaft abstäche gegen frühere,“ — so verdient er wohl nur den Namen eines Hypochonders.

Anderer Natur, verwickelter, mysteriöser sind die Reiseerinnerungen des Hrn. Bertini. Arme Schläfer, die ihr ihn für fade haltet! Sei hiermit die Hand gedrückt, die die Welt noch immer aus die Herrlichkeiten aufmerksam macht, die sich auch in diesem Werke über einander aufthürmen. Mehr einer Luftfahrt vergleich' ich die Reise und nur der Schluß könnte etwas an den empfindsamen Yorikschen erinnern. Donizetti ist Professor des Contrapukts, Bertini kann es noch zu einem der Aesthetik bringen. Wie quillt hier eines aus dem andern vor, wie löset die Kraft die Anmuth ab, den Verstand die Phantasie, wie durchdringen sich hier Kunst und Natur! Alles dies gilt noch im höhern Grade von den Notturnos, die etwas Schwärmerisches, Wollüstig-Leidendes auszusprechen scheinen. Ebenso sind die beiden Capriecen Wunderwerke des menschlichen Geistes, wie wir deren so viele aufuweisen haben z. B. auch in der folgenden Caprice von e Carpentier Hier hört aber aller Spaß auf und ohne Umschweif muß sie dem Schlechtesten beigezählt werden, was die französische Literatur. welche Verleger zu ihrem eigenen Vortheil mit mehr Auswahl übersiedeln sollten, neuerer Zeit hervorgebracht hat.

Die Physiognomiennehmen jetzt einen interessanteren, deutschen Schnitt an. Zuerst über die Notturnos von Hrn. ulenkamp Laßt uns gleich eines tactweise durchgehen. Nr. II. E dur. Es beginnt im rechten Charakter. Tact 1—8. Gut. Tact 9 — 16. Noch besser, wenn ich auch freiere Decamationwünschte, Cis moll war berührt:

{291} er geht also nach H. D dur tritt schon beängstigend auf: der Componist fühlt selbst das Unpassende dieser Tonart im E-Grundton und leitet nach Fis moll (Tact 25). Ein böser Geist führt ihn nach A dur; die Perioden verlieren schon die Deutlichkeit; er wird immer ängstlicher und rettet sich nach G dur; auch das genügt ihm nicht. Es dur kommt vollends wie aus den Wolken. Noch unglücklicher fährt er nach A dur, und von da war freilich nicht schwer ins gewünschte E dur zu gelangen. Warum aber auf einmal das Thema in Octaven, wodurch es allen Ausdruck verliert? Warum fehlt in der Periode von Tact 9—15 Seite 11 ein Tact? Warum nach dem Accorde E + gis + h + d den C dur-Accord, was nie auf der Welt klingen kann?

Daß trotz solcher Mängel die Notturnos von einer edleren Gesinnung zeugen als hunderte der anderen Tageserscheinungen, wird Jeder finden. Fragt man aber, wem durch sie genützt ist, dem Publicum, der Kunst, dem Componisten selbst, so würde die Antwort kaum zweifelhaft ausfallen. Sinnig, nacheifernd, wie wir den Componisten kennen, fällt sein Schaffen in eine Zeit der Zerwürfnisse, wo es mehr als je der strengsten Erwägung seiner Kräfte bedarf, um nicht auf unglückliche Wege zu kommen. So schwankt denn auch er zwischen Alt und Neu, versucht es hier und da, möchte gerne genügen, ist schon ganz nahe, und im Augenblick wieder meilenweit vom Ziel. Dies alles hält jedoch nicht ab, ihm zuzusprechen. Wir verzweifeln gar nicht daran, daß er einmal etwas Vollkommnes bringen wird, möge auch er es nicht und schreibe noch mehr Notturnos, ja hunderte. Gelingen nur zwei, drei davon, so ist’s immer mehr, als etwa nach einem ersten nicht durchaus geglückten Angriff gänzlich abzulassen.

Den Kindern aber wird’s im Traum bescheert. Die Caprice von Delphine Hill-Handley, Manchen vielleicht unter dem Namen Schauroth bekannter und lieber, gehört mit allen ihren kleinen Schwächen zu den liebenswürdigen. Die Mängel sind solche der Ungeübtheit, nicht des Ungeschicks; der eigentliche musikalische Nerv fühlt sich überall an. Diesmal ist es noch eine sehr zarte leidenschaftliche Röthe, die dies Miniaturbild interessant macht.

Nicht minder interessant sind die lyrischen Stücke von Hrn. A. J. Becher.* Der Titel paßt jedoch nicht zu allen. Von einigen

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       * Später eines traurigen Todes gestorben. [Sch. 1852.] 
          Becher wurde im November 1848 zu Wien auf Grund standrechtlichen Urtheils erschossen.

{292} vermuthe ich, daß sie componirte Texte, für das Clavier allein eingerichtet. Wäre das, so verdiente es einen Tadel, da mir ein solches Verfahren wie ein Vergehen an seinem eignen Kinde scheint. Wär' es aber nicht, so bleiben Nummern wie 2, 4, 7 durchaus unverständlich. Für Originalclavierstücke halte ich nur die Nummern 3, 5, 6, bei den übrigen schwanke ich. In allen herrscht ein leidender Ausdruck, ein Ringen wie nach etwas Unerreichbarem, eine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, oft mühsam und kalt ausgesprochen, oft leicht und rührend. Musikalisch genommen, sieht man überall Streben nach Bedeutung und Eigenthümlichkeit, seltne Harmonieen, sonderbare Melodieen, scharfeckige Formen. Ruhig abgeschlossen finde ich keines. Einzelne Tacte mißfallen mir sogar gänzlich, ebenso die Folge, in der die Stücke stehen; dies hätte viel natürlicher und angenehmer geschehen können. Wolle der Componist seinen künftigen Gestalten noch etwas von der Anmuth verleihen, die uns aus den Werken seines Vorbildes, dem die lyrischen Stücke zugeeignet sind,* so verführerisch entgegenweht. An innerem Adel fehlt es ihm keineswegs.

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Lied und Gesang.

Für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte.

C. Loewe, Esther, ein Liederkreis in Balladenform in fünf Abtheilungen von L. Giesebrecht. Werk 52.

König Casimir von Polen verlangt die schöne Jüdin Esther zur Buhlin. Sie ergibt sich ihm unter der Bedingung, daß ihrem aus Ungarn vertriebenem Volke Schutz in seinem Lande zugesichert werde, dagegen sie ihren Erstgebornen christlich taufen lassen muß. Später sterben der König und das Kind, Die Mutter wird ans dem königlichen Schloß gewiesen. Ihr Kind liegt aus dem Christen-Kirchhof.

Dies der Inhalt des Gedichts, das man neu und natürlich erfunden nennen muß, wenn es sich auch erst nach öfterem Lesen in seinen einzelnen Theilen vor uns entfaltet. Namentlich schwankt man bei den ersten Versen, wem sie in den Mund zu legen, — ob dem

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     * Mendelssohn

{293} Königssohne, der noch nicht zum Thron gelangt ist, oder irgend wem. Wie viel musikalische Elemente die Handlung übrigens in sich begreift, sieht Jeder; ein übermüthiger Herrscher und ein gedrücktes Volk, ein großer König und eine schöne Jüdin, der Schmerz der Mutter und die Aufopferung für ihr Volk: Gegensätze, wie sie die Musik wiederzugeben und wie sie ihrem Charakter nach Niemand besser als gerade Loewe zu einem Gemälde zu vereinen vermag.

Jedes der Lieder hat seinen besonderen Ton. Im ersten heimliches Sehen, feurige Liebeserklärung, Abwehren der Jüdin: „Christ, deine Liebesworte brennen mir in die Seele heiß und scharf. Von Israel sollt' ich mich trennen, das Gott erwählt, das Gott verwarf?“ Fast alles A moll, wenig C dur.

Im zweiten Abschnitt Verlangen des Königs nach Esther, drohender Ton, da sie jenen ausschlägt, drohendere Wiederholung. F dur geht nach Moll. Endlich entschließt sie sich: „doch, König, nur um hohes Pfand, um der Hebräer Heil und Leben und um dein halbes Polenland“. Die Musik ist leidenschaftlich, fast theatralisch.

Im dritten Liede erst Ergebung Esthers und Trost im Heil, das sie über ihr Volk gebracht; dann Schmerz über ihren Erstgebornen: „Wohin, wohin? die Priester kommen, die Taufe hat sein Haupt genetzt“. Das folgende Motiv erinnert an eines aus dem zweiten Abschnitt.

Im vierten Liede Freude Esthers an ihren Zwillingstöchtern, die man ihr gelassen, mit eigenthümlicher Begleitung. Meldung vom Tode ihres Sohnes: „Gott Abrahams, du hast gegeben! Was du genommen hast, ist dein“. Prächtige Accorde, die sich in ein Glockengeläute verlieren. Der Marschall sagt den Tod des Königs an. Sie wird fortgewiesen: „Kommt Kinder, kommt zu unserm Volke, die Judengasse nimmt uns auf“. Der Rückblick auf den Anfang des Ganzen hebt sich in der Musik zart hervor.

Im letzten Liede reiches A dur. Israel ist wohlhabend worden: „Auch meine Zwillingstöchter stehen wie Lilien Gottes aufgeblüht: doch muß ich still im Leide gehen“, spricht Esther. Die Musik kehrt in das ursprüngliche A moll zurück: „Das weiße Kreuz das ist das Zeichen, da find' ich meines Sohnes Grab. Hier ist es still, hier möcht' ich weinen“ etc. Und der Vorhang rollt leise über die einsame Scene.

{294} 'Bernhard Klein, Der Gott und die Bajadere, von Goethe.

        „              „         Ritter Toggenburg, von Schiller.
        „              „         Die Braut von Korinth, von Goethe.
        „              „         7 Gedichte aus den Bildern des Orients und der Frithiofssage.
        „              „         Hymne, von Rellstab.
        „              „         3 Gesänge, von Goethe.

{{Right|(Heft 1—6 der nachgelassenen Balladen und Gesänge.)

Wenn Loewe fast jedes Wort des Gedichtes charakteristisch ausmalt in der Musik, so zeichnet B. Klein seinen Gegenstand, gleichviel welcher es sei, nur in den nöthigsten Umrissen hin, in einer Einfachheit, die oft unglaublich wirkt, oft aber auch beengend und quälend. Einfachheit macht das Kunstwerk noch nicht und kann unter Umständen eben so tadelnswerth sein als das Entgegengesetzte, Ueberladung; der gesunde Meister aber nutzt alle Mittel mit Wahl zur rechten Zeit. So mag der Gott und die Bajadere, dieses schön-menschlichste aller Gedichte, was dessen ruhige, großartige Stellen betrifft, kaum würdiger aufgefaßt werden, als es B. Klein gelungen ist. Wo die Dichtung aber sinnlicher, malerischer, indischer wird, bleibt die Musik meistens zu ungefällig zurück; man will dann mehr, weichen fleischigen Ton, im gleichen Grad, wie hier Franz Schubert, Loewe und viele der Neueren oft zu materiell auftragen, thut es Klein zu wenig, und wo er gezwungen es möchte, ohne Freiheit und Luft. Denke man sich nur an manchen Stellen die bedeutenden Worte weg und man findet oft fast nichts als allgemeine Harmonien, gewöhnliche Rhythmen und Melodieen. Diese Hartnäckigkeit, mit der wir in Kleins Compositionen alle materiellen Mittel vernachlässigt sehen, bei Seite gelassen, empfängt man, wie wir versichern können, in den beiden Goetheschen Balladen zwei höchst edle, ihres Schöpfers würdige Dichtungen, an denen sich der Componist sichtlich selbst gelabt haben mag. Und wenn er vom Genie, das Höhe und Tiefe zugleich, nur einen Theil an der letzteren hat, so erhebt er sich namentlich am Schluß von Mahadöh, gleich wie der Gott mit der Bajadere selbst, daß man der seligen Erscheinung, die sich mit dem Aether vereint, noch lange und tiefergriffen nachschaut.

Eben so schmucklos und ruhig wird uns die Geschichte vom Toggenburg erzählt: einzelne Stellen stehen sogar still. Um zu wirken, bedarf die Musik der Belebung durch zarteste Declamation, wie sie dem Vortrage B. Kleins so eigen gewesen sein soll. Die Musik an sich bietet nichts Besonderes.

{295} Unter den sieben Gesängen zeichnet sich der fünfte durch den unvollkommenen Schluß aus: ein Hindeuten auf etwas Zukünftiges, wie es das Gedicht ausspricht. Von den orientalischen Bildern von Stieglitz verlangte ich mehr Reiz, Wärme, Neuheit, dagegen die starren Tegnérschen Sagen um so eigner anklingen werden.

Die Hymne von Rellstab beginnt der Componist in G moll und schließt in As dur, gleich als ob, wie in dem Gedicht, die Stimmung eine höhere würde. Im Uebrigen war das Gedicht kaum zu verfehlen, aber auch nicht tiefer aufzufassen.

In den letztangeführten Goetheschen Liedern scheinen mir das zweite und noch mehr das letzte vortrefflich, dagegen ich in Mignons Lied „Kennst du das Land“ wenn nicht die schmerzliche Innigkeit, doch alle Grazie vermisse, die uns aus den Worten wie aus einem himmlischen Gesichte entgegenströmt.

'H. Marschner', Bilder des Orients von H. Stieglitz. Werk 90.

Bilder sind es, die du hier empfängst, lieber Leser, — Bilder in silbernen und goldenen Rahmen, darauf du die Liebesgeschichte zwischen Rose und Nachtigall sehen kannst, oder Hafis' seligschauende Gestalt, oder ziehende Karawanen, oder schnaubende Maurenrosse. Schon die Gedichte wie aus einem morgenländischen Quell über Ananasfrüchte hinfließend, und der Sänger fing die Fluth in köstlichen Schalen auf! Erlabe sich Jeder an solcher Musik, an solchem Doppelleben in Sprache und Musik; hier lebt und flüstert alles, fühlt sich jede Silbe, jeder Ton; zwei Meister begegneten und verstanden sich. Im ersten Liede stehst du vor Fitnes Zelt in liebeglühender Erwartung. Im zweiten losen die Husseiniten, „wer Turans Mörder sich dürfte rühmen“; im dritten wird Jussuff Turan rächen. Dann will Fitne den erschlagenen Geliebten mit ihren Küssen erwecken — ein Gesang so schmerzlich, so wahr; die Töne sind wie fallende Thronen. Im fünften aber steht Maisuna am Brunnen und harrt auf den Geliebten, — und wie sie seines Besitzes gewiß ist, so gibt es auch die Musik fest, mild, dabei immer orientalisch wieder. So scheint sich, wo man nur aufschlägt, Reiz, Frische, Eigenthümlichkeit und Schönheit dieser Lieder nach allen Zeiten hin zu steigern, daß ich nicht weiß, welchem einzelnen der Preis gebühre. Ehre also dem Meister!

{296}

'F. Stegmayer', 8 Gesänge von G. Kril. Werk 13.

Das ausländische Gesinge aus dem Feld zu schlagen und die Liebe des Volkes zur wahren, d. h. zu der Musik, die natürliche, tiefe und klare Empfindungen kunstgemäß ausspricht, wiederum zu beleben, bedarf es vor Allem der Pflege und Schätzung unseres guten deutschen Liedes. Wie wenig es uns überhaupt an Liedern fehlt, weiß Jeder; man könnte ganz Deutschland alljährlich damit überbauen. In dieser Unzahl aber nichts zu übersehen, wer vermöchte das, und wie viel des Bescheidenen mag hier verborgen geblieben sein! Sei hiermit also der Lieder von Stegmayer gedacht, die, wie sie aus einem innigen Herzen kommen, diesen Ursprung nirgends in ihrer Wirkung verhehlen können. Eben nur ein Deutscher kann solche heimliche trauliche Lieder machen. Dazu singen sie sich, so zu sagen, von selbst; nichts was da aufhielte oder in ein gelehrtes Erstaunen setzen wollte. Gedanken eines Glücklich-Liebenden, Seligkeit des Kusses, ein Lied in der Nacht, eines im Frühling, eines der Spinnerin, zuletzt ein deliciöses Ständchen, alles in hübschen Worten, von der Musik belebt und verschönt. Ebenso hält sich die Begleitung wie vom alten Triolenschlendrian so von ultraromanesker Malerei frei und tritt, je nach den Worten, zurück oder mehr vor. Im letzten Lied, das ich eben deliciös nannte, fällt nur der plötzliche Rückgang in die anfängliche Tonart am Schluß auf; es hätte gewiß viel bedeutsamer in Des dur geschlossen. Unwillkürlich schlägt man aber auf der letzten Seite um, ob nicht noch mehr Lieder kommen; mit andern Worten, wir bitten um viele noch.

'Joseph Klein, 6 Gedichte aud Wilhelm Meister von Goethe.

        „          „          Das Schloß am Meere und der Wirthin Töchterlein, zwei Balladen von Uhland.

Soll ich es gleich gestehen, so scheint es mir, als ob sich der Componist noch zu sehr vor seinem Gedichte, als ob er ihm wehe zu thun fürchte,* wenn er es zu feurig anfaßte; daher überall Pausen, Stockungen. Verlegenheiten. Das Gedicht soll aber dem Sänger wie eine Braut im Arme liegen, frei, glücklich und ganz. Dann klingt’s wie aus himmlischer Ferne. Sind aber noch formelle Rücksichten zu nehmen, oder fehlt es gar an Sympathie, so kommt nichts Beglückendes

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      * „vor seinem Gedichte fürchte, als ob er ihm wehe zu thun dächte, wenn etc.“

{297} zu Stande, was es doch sein soll. Dieses Eckige im Einzelnen, das dem Eindruck des oft gründlich aufgefaßten Ganzen in den obigen Gesängen überall im Wege steht, wird noch durch den Uebelstand vermehrt, daß der Componist in kleinen, zwölf Zeilen kurzen Liedchen zu oft den Tact wechselt. Wozu solche Maßregeln? Folgt denn etwa in den Wilhelm Meister-Liedern ein Hexameter nach einer dreifüßigen Jambuszeile, und ist’s nicht vielmehr der regelmäßigste Pulsschlag eines Dichterherzens, wie es freilich nur eines auf der Welt gegeben hat? Sodann beleidigt mich, daß im „Kennst du das Land“ das ausdrucksvolle „dahin“ von den meisten Componisten so leicht, wie ein Sechszehntel genommen wird. Gewiß soll es nicht, wie z. B. in der Jessonda, gewiß aber inniger und bedeutender accentuirt werden, als man es in den meisten der bekannten Compositionen findet. Was aber noch schlimmer, überhaupt kenne ich, die Beethovensche Composition ausgenommen, keine einzige dieses Liedes, die nur im Mindesten der Wirkung, die es ohne Musik macht, gleich käme. Ob man es durchcomponiren müsse oder nicht, ist eins; laßt es euch von Beethoven sagen, wo er seine Musik her bekommen. Unter den übrigen Liedern aus Wilhelm Meister scheinen mir das zweite und fünfte die bedeutendsten, dagegen ich Philinens Lied für mißlungen halte.

Die beiden sinnverwandten Uhlandschen Balladen sind wohl angelegt und enthalten einzelne schöne Stellen. In der zweiten wagt der Componist einen Kampf mit Loewe. Der Gedanke, das Lied mit dem Gaudeamus igitur anfangen zu lassen, wäre zu loben, wenn es nicht der Declamation der Worte hier und da im Wege stünde. Die erste Hälfte der Antwort der Wirthin gefällt mir durchaus, die zweite scheint mir unpassend. Wahrer Schmerz schreit nicht, selbst bei niederen Menschen nicht. Um wie viel zarter hätte Hr. Klein die zweite Hälste wie die erste, nur in Es moll, singen lassen konnen. So ist auch, dem Ausdruck des Gedichtes entgegen, der Schmerz des ersten Burschen in der Musik viel tiefer als der der Uebrigen. Loewe hat uns hier ein Meisterstück geliefert, wie denn das Vergleichen der beiden Compositionen viel Lehrreiches und Anziehendes darbieten muß.

'H. Triest, 4 Gesänge für Baß oder Bariton.  Werk 1.
    „       „         6 Gesänge.  Werk 2.

Und wie man einem jungen Componisten über sein Opus 1 nichts Erfreulicheres sagen kann, als daß es von Talent zeuge, so soll Hr. Triest gleich von vornherein dies Schönste erfahren. Vieles freilich

{298} fehlt, namentlich den Liedern unter Werk 2, zur Vollendung; einige echeinen mir auch, wenn nicht des Druckes unwerth, doch im Verhältmß zu den Ansprüchen, die man der Kraft des Verfassers stellen kann, zu unbedeutend, als daß ich sie veröffentlicht hätte. Zu den verfehlten rechne ich Nr. 4, „Auf der Reise“, deren Musik fast durchaus gegen den Sinn der Worte anstrebt, namentlich in der sich viermal wiederholenden steigenden Sexte, — zu den mißlungenen das „Sehnen“ von Heine, für dessen tiefen wunden Schmerz die Musik noch ganz andere Zeichen besitzt, — zu den unbedeutenden endlich das „Thal“ und „Engelstöne“, in welchem letzteren ich auch die übel angebrachte Malerei des Nachtigallenschlags wegwünschte oder, bestünde der Componist durchaus auf Täuschung, sie wenigstens in das begleitende Pianoforte gelegt hätte. Was außer diesen Liedern übrig bleibt, verdient Lob; am bedeutendsten heben sich der erste und dritte Sang in Werk 1 hervor, was um so bemerkenswerther ist, da sie sich gerade in einer Sphäre bewegen, in der Loewe so Einziges geschaffen, — aber auch um so natürlicher, da sich der Componist auf dem Titel einen Schüler von Loewe nennt. Auch das „Lied des Gefangenen“ von Uhland gefällt mir bis auf eine kleine harmonische Steifheit am Schluß hin gar wohl; das Lied schließt im Gesange mit einer scharfen Dissonanz. Möge sie dem Verfasser in spätem Compositionen zur reinsten Blüthe aufgegangen sein.

'F, Ries, 4 Lieder von Lord Byron, mit deutschem und englischem Texte. Werk 179. 

W. D. Tomaschek, 6 böhmische Lieder von W. Hanka (mit deutscher Uedersetzung von Swoboda). Werk 71.

Mit großer Theilnahme nahm ich die beiden Hefte zur Hand. Stimmt es doch zu allerhand freudigen und wehmüthigen Betrachtungen, zwei anerkannte Meister in ihren älteren Tagen noch einmal leichte Lieder singen zu hören: zu freudigen— denn wir wissen sie noch am Leben und wirkend: zu wehmüthigen Bildern — denn jeder Abend „mit seinen langen Schatten, die nach Osten zeigen“ weckt ja welche. Ob man nach diesen späten Nachkömmlingen auf das frühere Kunstschaffen dieser Componisten schließen dürfte? Im heutigen Fall beinahe. Die Lieder von Tomaschek sind heiter, lebenslustig, beinahe verliebt: die Texte, die er sich wählte, naive Liebeslieder, die von Nachtigallen, blauen Augen, Veilchen handeln: — die von Ries dagegen düster, unzufrieden, Lord Byronscher Weltansicht, — beide Hefte durchaus einfach, aus dem Ganzen gearbeitet, meisterlich, im Einzelnen schön. {{Right|Sch.

{299}

Die Preissymphonie.*

1.

[Von Gottschalk Wedel.]

Da mancher wache Traum in meinen Aufzeichnnngen steht, was sollte ich mich lange besinnen, einen wirklichen nächtigen hinzuzufügen, und hier niederzulegen, daß ich diese Nacht den Preis zu verdienen meinte, den der Wiener Kunstverein auf die beste Symphonie gesetzt hatte.70 Einig war ich mit mir selbst, daß die Wiener Herren Urtheiler diesesmal sich dem neuen in Frankreich blühenden Kunstgeschmacke, der auch hier und da schon in Deutschland zu spuken beginnt, hinneigen würden,** und daß ich mir desfalls nur diesen anzueignen habe. Im Traume geschieht dies noch viel leichter als im Wachen, und nachdem ich geschwinder mich umgegossen, als ein anderer nur das Hemde wechselt, fuhr ich fort: „Gluck, der Ritter, als er seine Iphigenia schuf, setzte sich ans frischgrüne Wiesenmatten, unter deren Blüthendolden er seine Champagnerstaschen verborgen; Sarti arbeitete in der Nachtstille und in öden Sälen eingesperrt, indeß Cimarosa im Saus und Brause eines fröhlichen Gesellenschwarmes die Gedanken zu seiner heimlichen Ehe auffaßte; Sacchini ließ sich zu seinen Werken durch die Gesellschaft seiner jungen Frau begeistern, während Traëtta sich in den Säulenwald der Dome schlich, dort sich seinen Gedanken zu überlassen; dem alten Paër floß erst der Quell seiner unerschöpflichen Weisen, wenn er seinem Freunde gegenübersaß, und Vater Haydn mußte sich sein Perückchen zurecht kämmen und sich geschniegelt und gestriegelt an sein Clavier setzen, um in sein Tonreich einzugehen, Zingarelli las die Kirchenväter, um sich für seinen „Romeo und Julie“ Gedanken zu schöpfen, wogegen Anfossi sich die Tafel mit duftenden Gerichten belastete und Kapaunbraten und Spanferkel nach dem Tacte seiner Begeisterung verarbeitete. Mozart sammelte, eine Elfenseele in lichten Mondnächten, in Zauberhainen die strahlenden, ewig thaufeuchten

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      * Des Verständnisses der Recension Nr, 2 halber war es nöthig, auch obige von Gottschalk Wedel (A. v. Zuccalmaglio) hier abzudrucken, [Sch. 1852.]
     ** Der ausgesetzte Preis wurde keinem „Neuromantiker“, wie Wedel befürchtete, sondern Fr. Lachner zuerkannt für seine Sinfonia passionata (später als Werk 52 gedruckt).

{300} Blüthen seiner Kunst, indeß Rossini schrieb, wann, wo, wie und wofür man es nur haben wollte, und Paësiello am liebsten auf der Gedankenjagd im Anstand lag, wo ich eben jetzt liege: im Bette. Keiner all' dieser Künstler aber nebst den vielen ungenannten, nicht minder gefeierten, stand auf dem rechten Standpunct, eine solche Symphonie zu setzen wie die, welche mir jetzt im Kopfe summt, und wie sie unsere neusten Fortschritte erheischen. Dazu muß man den Rabenstein besuchen und auf das Hochgericht steigen. Alle gewöhnlichen Beziehungen des Lebens sind längst so oft abgehaspelt, daß Keiner sie mehr niederschreiben, geschweige lesen möchte, daher spinnen jetzt die Belustigungsschreiber Außerordentliches, und Paris liefert uns saubergeschriebene Pulververschwörungen, Höllenmaschinen und Schandpfähle, die auf einen ordentlichen Mann ihren Eindruck nicht verfehlen. Von der Tonkunst gilt dasselbe, und wir Deutsche sind alte Perücken, wenn wir glauben, daß es mit den Symphonieen unseres Haydn, Mozart und Beethoven rein abgeschlossen, daß überhaupt etwas Würziges an diesen Sachen sei, und daß sich die feingebildete Menge dazu hergeben könnte, so etwas anzuhören. Eingestehen laßt uns, daß uns der Franke Berlioz eine neue Bahn gebrochen, und daß dieser erst recht ausgeführt hat, wonach der gute Vater Haydn in seiner Kindersymphonie tappte, wonach Beethoven in seiner Schlacht bei Vittoria spürte.

Was vor Allem zu beachten, ist dies, daß ein gutgewähltes Schild immer den Gasthof und den Laden füllt, und daß die Menge sich nicht allein mit Broten sondern auch mit Worten abspeisen läßt; Ueberschriften sind uns also für unser Werk nöthig, und wahrlich tüchtige, statt aber nun meinen Symphonie-Helden sich in Opium übernehmen zu lassen, statt ihn auf die Galeere zu liefern oder nach dem Blutgerüste zu fahren, statt überhaupt einen solchen mir zu suchen, wähle ich sinnreich blos einen Namen, der für die ganze Handlung schon Vollgültigkeit und Deutung hat.

Lamennais werde ich meinen Einleitungssatz, meinen langgehaltenen, oft kraus unterbrochenen überschreiben und drinnen so toll drauf los setzen, daß ich dem wunderlichen Heiligen, der mein Schirmvogt, keinen Aerger mache. Balzac dann sei der Fluß, in den dieser erste Erguß übergeht. Da mengt sich schon lustiger das Leben, und der Teufel und ein bißchen Tollheit mischt sich drein, was die gute Wirkung nicht verfehlen kann; besonders da ich im nun folgenden Satz, im langsamen, Victor Hugo dagegen stelle und unter seinem Banner einen Todtentanz beginnen lasse, wie ihn noch kein Holbein


{301} gemalt hat. Mein Menuett wird nicht vergessen, und damit ich ihn recht lüderlich setzen kann, widme ich ihn der Frau Dudevant,* jener Bajadere des Tages, die mit ihrem sinnbildlichen Beinaufheben die feingebildete hohe Welt entzückt, bis ich in meinem Schlußsatze Sue heraufbeschwöre, Eugen Sue, — bis ich den Strom meiner Weisen steigere bis zu dem Flibustier-Gelag, das ich mit den Ausbrüchen ihrer viehischen Wuth und Grausamkeit würze und mit den Flammen von Lima wie mit einer bengalischen der Bühne beleuchte. Hölle und Teufel, das wird ein Meisterstück werden! Mozart und Beethoven liegen schon unter mir wie stille himmelspiegelnde Alpenseen und Haydn wie eine Sennenhütte vor mir lawinendonnerndem Gletscher. Drauf los gearbeitet! Sauer darf ich es mir nicht werden lassen! Ja ich fühl' es ordentlich, wie leicht diejenigen arbeiten, die sich die Ueberflieger zu nennen belieben, wie schöpfungskräftige Geister über alle Gesetze und Satzungen wegsehen, an denen die gewohnlichen matt sich anlehnen und abreiben. Nein, alles so obenweg nur hingeworfen, wie mit dem Besen zusammengekehrt, um daß es nur um so neuer, um so großgedachter klingt, — und Satzfehler, Quinten- und Octavengänge nur frisch stehen lassen wie Unkraut in der üppigen Saat! Denn Niemand weiß noch, was ein gutes Ohr sich alles gefallen lassen kann. Die altflorentinischen Maler der angeblich verdorbenen Schule malten in Kellern, um alle Lichtwirkung so kräftiger und vorherrschender zu machen; Tonsetzer unseres Schlages sollen in Stampfmühlen und Eisenhammern schreiben, damit sie nach dem Gepolter die Süßigkeit einer Weise schätzen lernen und lehren. Bisher hat es immer schwache Seelen gegeben, die den Fluß, den Strom eines Satzes für etwas Rechtes hielten und gerade übersahen, daß Geistiges, statt zu fließen, in tausend Richtungen auf zum Himmel spritzet, — wie solche, die ihre Geistesarmuth unter einer gewissen Einheit versteckten, die mir äußerst vertrakt vorkommen will. Ich wie jeder Mann des Tages, wir wollen uns erlustiren, Neues ist unser Begehr, und wenn so in meiner Symphonie eine Weise nach der anderen ansthaut, wie weiland die eingefrornen in Münchhausens Posthorn, so wird mir die schöne Welt Dank wissen. Was kann lästiger sein für Manche, als wenn sie im Kreise von ein paar Gedanken, die freilich oft tüchtig aus- und durchgeführt werden, herumschweben müssen; indeß sich auf unsere neue Weise wie an einer Festtafel alles, von der Suppe bis zum Nachtische

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     * George Sand

{302} zu, mit immer neuem Reize genießen läßt. Geist ist die Hauptsache, und den zu zeigen, muß man nicht faul sein. Ist man aber einmal im Arbeiten, muß man auch bedenken, was man vor sich hat, darf man die bunte Menge der Instrumente nicht unbenutzt lassen, und wie ein Sturm so durch den Paukenwirbeler wie durch den Geiger durchfahren. Neue Instrumente für das Orchester zu Erfinden, möchte schwer halten, wie nöthig sie auch unser einem werden, aller seiner Gedankenwirbel sich zu entladen; aber gewissermaßen kann man doch zum Ergänzen kommen, wenn man bemerkt, daß jedes Instrument, über Gebühr angestrengt, außer seiner Bahn getrieben, wieder frisch als etwas Neues dastehen, für eine neue Erfindung gelten kann, was mancher Schwachkopf, der kopfschüttelnd in eine unserer Partituren blicket, schwer verdauen kann. So mache ich die Trompete zur Klarinette, Clarinette zur Flöte, Horn zur Hoboe. Baß zur Geige und umgekehrt, und schaffe mir derart durch Stimmenverwechselung die Menge zur tausendstimmigen um, und so muß mir der Preis werden selbst vor denen, die vom Seineufer aus den Leuten Sand in die Augen streuen.“ — Gott weiß, was ich zusammengesetzt, wenn ich nicht aufgewacht wäre. Mein erster Blick aus dem Bette fiel gerade auf die Zeitung, die mir sagte: daß meine Anstrengung zu spät, und daß wirklich der Preis durch einen Landsmann, durch Lachner in München, gewonnen sei. Herzlichen Handschlag meinem deutschen Bruder, obschon sein Kunstwerk, das mir noch unbekannt, in einem anderen Geschmack gesetzt ist als das von mir entworfene. Auch ist mit dem Erwachen meine Nebenbuhlerschaft so stark nicht mehr, und gerne will ich mich mit ihm von den Tagesgötzen wegwenden zu den alten Lichtern, unter denen die Wolken nur wegziehen können. Schön und rühmlich ist es, mit ihnen die Kunst, einen erhabenen Hain Wingolf, von den Verirrungen des Lebens, eine Geistessprache von allen Anklängen rein zu halten, statt sie hinunter zu ziehen in die kothbefleckte Bahn und sie zur Magd der niederen Leidenschaften zu machen. 71

2.*

Wie unser sanfter Gottschalkischer Wedel ordentlich in Wuth gerathen ist über den Franken Berlioz! So fromme Dorfküster als du

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     * Dieser Aufsatz war mit dem Goetheschen Motto eingeführt:

{{Right|„Ein Kranz ist gar viel leichter binden, {{Right|Als ihm ein würdig Haupt zu finden.“ {303} sind wir freilich nicht alle in der Kunst, und die Völker beten die Gottheit verschieden, ja jeder Mensch sie anders an. Berlioz, wenn er noch oft Menschen schlachtet am Altar oder sich toll geberdet wie ein indischer Fakir, meint es eben so aufrichtig als etwa Haydn, wenn er eine Kirschblüthe darbringt mit demüthigem Blick. Gewaltsam wollen wir aber Niemandem unsern Glauben aufdringen.

Was nun den Messias, den du in der Symphonie von Lachner anzukündigen hofftest, anlangt, so irrtest du leider und könntest sie nur darum lieben, weil von V. Hugoschem oder Lamennaisschem Geist, der dir ein solcher Greuel, in ihr allerdings nichts anzutreffen ist, wenn ich sie auch in etwas den Meyerbeerschm Halbgeschöpfen beizählen möchte, jener Gattung, wohin z. B. Seejungfern, fliegende Fische etc. gerechnet weiden, die ihrer Gestaltung halber die Menge wohl eine Weile erstaunen kann, die in der That aber nur die unschönen Uebergänge der Schöpfung bilden. Mit klarerem Worte, die Symphonie ist stillos, aus Deutsch, italiänisch und Framzösisch zusammengesetzt, der romanischen Sprache vergleichbar. Von deutscher Weise benutzt Lachner zu den Anfängen, zu canonischen Nachahmungen, von italiänischer zur Cantilene, von französischer zu den Verbindungsfätzen und Schlüssen. Wo dies mit so viel Geschick, oft Schlag auf Schlag, wie bei Meyerbeer, compilirt ist, mag man es bei milder Stimmung noch anhören; wo man sich dies aber bis zur Langenweile bewußt wird, wie es auf dem Gesicht des Leipziger Publicums zu lesen war, so kann nur die nachsichtsvollste Kritik nicht geradezu verwerfen. Und diese nach allen Seiten hin getriebene Breite ist es, weshalb sich die Symphonie auch nicht einmal beim Publicum einschmeicheln wird, selbst wenn Kenner und Künstler das Auge zudrücken wollten. In einem anderen Sinn als Jemand sagte, daß er während des zwanzig Systeme großen Adagios eines Es dur-Quartetts* von Beethoven ein ganzes Jahr lang geschwelgt zu haben glaubte, glaubt man in der Symphonie eine ganze endlose Ewigkeit hinzubringen. Zu dieser unnöthigen äußerlichen Ausdehnung (die letzte große Symphonie von Beethoven hat 226 Seiten, die Preissymphonie aber 304) kommt aber vollends niederschlagend eine Einförmigkeit an Rhythmus, wie man es selten finden wird. So bewegt sich der erste und zweite Satz durchgehends in dem bekannten, mit drei Achteln Aufttact anfangenden Rhythmus, dem freilich (wie man sich vielleicht aus einer Bemerkung im

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       * Des sog. Harfenquartetts, Werk 74

{304} Triocyklus dieses Bandes entsinnen wird)* schon viele Componisten als Opfer zugefallen sind. Wäre er etwa wie in der C moll-Symphonie von Beethoven durchgeführt, so wäre kein Grund da, warum man dem Componisten dafür nicht zu Füßen fallen sollte. Hier aber dürfen wir der Wahrheit gemäß nicht verschweigen, daß der Gehalt der Gedanken überhaupt von so wenig Schwere, daß er, in der Verarbeitung sich immer mehr verdünnend, endlich zur gänzlichen Oede und Leere verschwindet. Dies namentlich im Adagio, dessen Sinn z. B. in dem ersten Theile des Schubertschen Sehnsuchtswalzers hundertmal kürzer ausgedrückt ist als in dem hundertmal längeren Satz, der auf jeder Seite endet und nirgends enden will. Gäbe es grobe Schnitzer, Formenschwächen, Extravaganzen, so ließe sich darüber sprechen, bessern, aufmuntern; hier aber kann man nichts sagen als etwa „es ist langweilig“, oder „recht gut“, oder seufzen, oder an etwas Anderes denken.

Das Beste, das Frischeste enthält der erste Satz der Symphonie; in ihm spricht sich doch eine Art Leidenschaft aus, wenn sie vielleicht auch nicht auf den poetischsten Hebeln ruht. Es meinte sogar Jemand, „der Anfang drücke offenbar das Ringen nach dem Preis aus, während im Adagio leise Zweifel, im Scherzo jedoch wieder ein Schimmer von Hoffnung aufsteige, die sich im letzten Satz zur fröhlichsten Zuversicht verwandele“. Die prosaische Bemerkung bei Seite gesetzt, so scheint es auch wirklich natürlich, daß unter ähnlichen Umständen hervorgerufene Werke immer etwas Befangenes, Aengstliches an sich haben werden, und daß viele der Bewerber ganz andere Symphonieen erfunden hätten ohne den köstlichen Nebengedanken an den Kranz. Wollte man künftighin einen Preis auf schon vollendete einzusendende Werke setzen, so wäre dadurch vielleicht mehr gefördert. Wie dem auch sei, so müßte man sich wahrhaft betrüben, wenn sich, was jetzt freilich nur unter Schwierigkeiten zu ermitteln wäre, nicht wenigstens im Einzelnen Originelleres, Vorzüglicheres unter der großen Zahl der Arbeiten gefunden haben sollte, — schon der edeln Absicht halber, die doch die Preisaussteller unleugbar hatten und die auf diese Weise, wenn auch nicht gerade zum Schaden der Kunst, gewiß auch nicht zu ihrer Verherrlichung ausgeschlagen ist. Glaube Niemand, daß wir die Symphonie einem strengeren Maßstabe unterworfen, weil sie selbst eine so vielen andern vorgezogene, oder daß wir sie vielleicht auch mit

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      * Seite 261.

{305} gespannterer Erwartung als jede andere Composition angehört und durchgelesen hätten. Jede Anzeige einer neuen Symphonie ist ein Fest für uns und nur mit günstigstem Vorurtheil nehmen wir jedes Werk solchen Umfangs in die Hand. Der erste Satz, voll schöner Einzelheiten (wie z. B. einige Crescendos, die imposante Melodie der Baßinstrumente, die aber, unbegreiflich, bei der Wiederholung von den höchsten beantwortet wird), aber auch voller langweiliger Schwächen (wie die ewige Wiederkehr gewisser harmonischer Perioden, gewöhnlichste Nachahmungen, sogenannte Rosalien), machte unsere Hoffnung schon etwas schwankend, zumal wir sahen, daß, was äußeren Kraftaufwand anlangt, in den künftigen Sätzen nicht leicht weiter gegangen werden konnte. Im Adagio fielen aber alle Hoffnungen in Trümmer. Da die beiden ersten Sätze fast keinen einzigen lebendigen Staccatogedanken brachten, so sahen wir wenigstens im Scherzo (dessen Tempobezeichnung beiläufig gesagt ein Druckfehler ist) auf einen Gegensatz aus. Aber auch ihm fehlt aller Humor, dem Trio sogar aller Geist. Im letzten Satze endlich erscheinen zwei hübsche Hauptmotive, die gut in einander verwebt und nach hergebrachter Art fugatoartig verarbeitet werden. Die Empfänglichkeit des Publicums hatte aber bereits so sehr abgenommen, daß selbst die stärksten Massen jeden Eindruck auf Ohr und Herz verleugneten. Und so klatschten Einige, was wohl auch der übrigens tadellosen Aufführung galt: bei Weitem die Meisten aber waren der endlichen Erlösung froh. {{Right|Die Redaction.

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Fragmente ans Leipzig. I.

[Die Gewandhausconcerte.]

Trefflicher Leser, es war nicht eher als heute möglich, mich zum Niedersetzen zu bringen, um von all den Herrlichkeiten zu erzählen, die die vergangenen zwei Monate an Musik und Musikmenschen über uns ausgeschüttet, — eben der Herrlichkeiten halber, die sehr vom Schreiben abhielten. Mendelssohn, Lipinski, die Lachnersche Preissymphonie, Henriette Grabau, der durchfliegende Chopin, Anfang der Euterpe, Henriette Carl, Döhler, acht Abonnement-, eben so viel Extra-Concerte, Ludwig Berger, Anfang der Quartette, Elisabeth Fürst,

{306} polnische, französische und englische Künstler (Nowakowski, Brzowski, Stamaty, Bennett), eine Menge anderer mit Briefen, Israel in Egypten, Symphonie von Reißiger, Theater, Bachsche Motetten -- -- kurz, Blüth' auf Blüthe trieb es: jede Woche, jeder Tag brachte etwas.

Zuerst also, wie Alle wissen, daß Mendelssohn auch diesmal an der Spitze eines treuen Orchesters die Hauptbegebenheiten leitete mit der Kraft, die ihm eigen ist, und mit der Liebe, die ihm das allseitige Entgegenkommen einflößen muß. Wenn ein Orchester, ohne Ausnahme eines Einzelnen, an seinem Dirigenten hängt und an ihn glaubt, so gebührt unserm das Lob, wozu es freilich auch Grund haben mag. Von sogenannten Cabalen und dem Aehnlichem hört man hier nichts, und so ist’s recht und müssen Kunst und Künstler gedeihen.

Ihm zur Seite steht David, die Stütze des Orchesters, ein Musiker vom feinsten Korn. Auch die liebgewohnte Erscheinung der ersten Sängerin Frl. Grabau nicht zu vergessen, von deren Marienstimme die Zeit höchstens das genommen, was etwa noch zu erdig daran war. Endlich der tüchtigen Mitglieder nicht zu vergessen, als da sind die HH. Queißer, der Posaunengott, C. G. Müller, Uhlrich, Grenser, die erst da recht zu arbeiten anfangen, wo Andere schon ermatten.

Von solchen Kräften unterstützt und gehoben, gab es bis jetzt acht Concerte im Gewandhaus.

Nur des Ausgezeichnetsten von dem, was sie an neuen Compositionen und Virtuosenleistungen Einheimischer und Fremder gebracht, kann hier Erwähnung geschehen.

Von neuen oder hier noch nicht gehörten Compositionen sei zuerst der wenig bekannten ersten Ouverture zu Leonore von Beethoven gedacht, die an Höhe der Erfindung die Mitte zwischen der gewöhnlichen in E dur und der großmächtigen in C dur, vielleicht das Ergreifendsten, was die Musik überhaupt aufzuweisen hat, behaupten mag. Bekanntlich gefiel die großmächtige in Wien wenig bei ihrer ersten Aufführung (Beethoven soll darüber geweint haben). Daher die verschiedenen Ouverturen. Hr. Schindler in Aachen hat noch eine.*

Sodann einer ganz neuen Ouverture zu (Shakespeares?) „Was Ihr wollt“** von Ferdinand Hiller. Es wäre schlimm, wollte man nach

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        * Es ist die seitdem als Nr, 2 bei Breitkopf u. Härtel erschienene. [Sch. 1852.] 
      ** Ouverture zur Oper „Was Ihr wollt“.

{307} der Ausnahme von Seiten des Publicums einen Maßstab für ihren Werth oder für die Bildung des letzteren abnehmen. Der Grund der Kälte, wenigstens Stummheit, liegt allerdings zum Theil im Charakter der Ouverture selbst, deren feiner versteckter Humor durchaus mehr zum Nachdenken und Vergleichen als zur Begeisterung auffordert. Das Publicum, wie der Einzelne haben ihre hellen und dunkeln Stunden. Spiele man die Ouverture nur noch einmal, und der Vorhang wird gewiß zum Schleier, hinter dem das überraschte Auge eine Menge lustiger und trauriger Gestalten in vielfältigen Trennungen und Vereinigungen wahrnehmen wird. Außer diesem höchst besonderen Grundton ist es aber auch der natürliche Wuchs, so zu sagen, und die künstlerische Gewandung, wodurch sich das Werk als Hillersches auszeichnet: an Geist überwiegt es ohne Weiteres alle die Gelegenheitsouverturen, mit denen uns der Himmel in neuer Zeit so oft bestraft.

Sodann kam und ging unter unzähligen Pauken und Trompeten die Preissymphonie von Lachner. Die Zeitschrift hat über sie schon Rechenschaft gegeben.

Ebenso blieben die Ouverture, einzelne Sätze und Finale aus der neuen komischen Oper „Die Macht des Liedes“ von Lindpaintner unter der Erwartung. Jeder Kunstnaturnachlaß schmerzt, doppelt, wo Ausländischem oft so unverdiente Ehre widerfährt. Auch zeigte sich das Publicum bei dieser Gelegenheit beinahe gebieterisch, indem es einzelne zum Schluß Klatschende im Augenblicke zur Ruhe verwies. Vielleicht, daß die Oper auf der Bühne anders wirkt.

Die jüngste Neuigkeit war endlich eine Symphonie, die erste,* von Reißiger. Bei Weitem aushaltender an innerer Kraft als die Lachnersche, kürzer, anspruchloser, schlägt sie vielleicht noch zu sehr ins Gebiet der Ouverture hinüber. Da der stattliche Capellmeister selbst dirigirte, so war die freudige Aufnahme eine natürliche und ganz an der rechten Stelle.

Dies das Bemerkenswertheste, im Ganzen wenig Erfreuliche über neugebrachte Compositionen. Von älteren meist Beethoven und Weber.

Noch erwähn' ich den 27. October, den sich sicher mancher Gewandhausmusiker roth angestrichen im Gedächtniß. Was in anderen Städten zur Alltäglichkeit herabgezogen worden, das Wiederverlangen von ganzen Orchestersätzen, mag in Leipzig als außergewöhnliche Auszeichnung gelten, wie sie eben in jeder Hinsicht das Orchester durch

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       * in Es dur, später als Werk 120 gedruckt.

{308} hinreißenden Vortrag der großen Leonorenouverture an jenem Abend verdiente. Wie herrlich stand da die Kunst über den äußeren und inneren Spaltungen, die an einem Orte, wo sich so viele bedeutende Naturen durchkreuzen, freilich nicht ausbleiben können, und rückte alles versöhnend aneinander.

Bilden so die größeren Leistungen die Säulen des Musiklebens, so schlingen sich die der Virtuosen wie duftige Kränze hindurch, unter denen die schönsten wiederum: ein Violinconcert, von David meisterlich gespielt, italiänische Bravourarien, von Frl. Fürst gesungen mit italiänischer Stimme und eigentümlicher Manier, Claviersätze, von Hrn. Theodor Döhler zum Entzücken gespielt und zum Wildwerden componirt, ein interessantes, vielleicht zu viel verschlungenes Violoncellconcert von J. B. Groß, ebenso ein leichteres Quartettstück über eine Barcarole, von ihm, den HH. David, Uhlrich und Queißer wahrhaft reizend ausgeführt, vor Allem das G dur-Concert von Beethoven für Clavier mit seinem großgeheimnißvollen Adagio, von Mendelssohn begeistert und begeisternd gespielt, sodann Violinvariationen von Fr. Schubert (nicht unserm), von Uhlrich glänzend vorgetragen, deutsche Arien von Weber und Spohr, von Hrn. Sesselmann aus Darmstadt gut gesungen, endlich ein Flötenconcert von Lindpaintner, von Hrn. Grenser mit der wohlthuenden Meisterschaft vorgetragen, die diesen Künstler so hoch stellt.

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Anmerkungen[Bearbeiten]

{309}


'Anmerkungen.'

{310}

[leer]

{311} 1 (Seite 5). Schumann sagt in einer Anmerkung, daß er diesen Aufsatz in seine Ges. Schriften aufgenommen habe, da es „der erste sei, in dem sich die Davidsbündler zeigen.“ — Das Werk selbst hatte er schon im Herbst 1830 kennengelernt und mit Begeisterung gespielt. Vermuthlich war er durch Rellstabs nüchterne Besprechung (Iris v. 5. Novbr. 1830) und durch Finks vollkommenes Schweigen zu seiner begeisterten Kundgebung veranlaßt worden. Er sandte am 27. Sept. 1831 den Aufsatz, der „nicht theoretisch eindringe, sondern nur einen ersten Eindruck wiedergeben solle“, an G. W. Fink, den Redacteur der Leipziger Allgem. Musikalischen Zeitung. Nur mit Widerstreben scheint der phantastische Erguß aufgenommen zu sein. Das geht einerseits aus dem verzögerten Abdrucke desselben (7. Decbr.), andererseits aus der Gegenrecension hervor, welche Fink dem Schumannschen Aufsatz unmittelbar folgen ließ, um (wie er in einer Vorbemerkung sagte) nach dem „Zögling der neusten Zeit“ einen „angesehenen und würdigen Repräsentanten der älteren Schule“, einen „durchaus tüchtigen, vollgeübt und kenntnisreichen Mann“ sich aussprechen zu lassen. Dieser Anonymus findet in dem nach Schumanns Ausdruck) genialen Opus nur „Bravour- und Figurenwerk“. Einer Nachbemerkung Finks zufolge mußte eine dritte, von F. Wieck „im Sinne des Hrn. Schumann“ verfaßte Recension der Variationen aus Mangel an Raum zurückgelegt werden. (Sie ist in der Pariser Revue mus. und in der Cäcilia von 1831 sowie im Kometen von 1832 erschienen). Der Abdruck von Schumanns Aufsatz war nicht correct, auch hatte Fink die Unterschrift „Julius“ gestrichen und statt dessen unter die Ueberschrift „Von K. Schumann“ gesetzt. Mit „Julius“ ist Schumanns Freund Julius Knorr gemeint, der die Variationen am 27. Oct. 1831 im Gewandhausconcert gespielt hatte und somit der erste gewesen ist, der Chopin in den Concertsaal einführte, — wenn man von dem Componisten selber absieht, der die Variationen bereits am 11. August 1829 in Wien öffentlich vorgetragen hatte. — Schumanns Aufsatz sollte den Anfang einer Reihe von Kritiken bilden, allein weitere Zusendungen an Fink unterblieben. Bald nach Begründung der „Neuen Zeitschrift für Musik“ trat die Gegnerschaft zwischen dieser und der Allgem. Zeitung offen zu Tage.

2 (S. 7). In etwas erweiterter Fassung steht dieser Satz in der Zeitschrift (1834 S. 78) unter der Aufschrift Kunstbemerkung: „Der gemeine Gedanke, wird er wahr und einfach ausgesprochen, beleidigt an sich nicht — aber der verblümte, zugestutzte, der mehr und heiliger sein will. Wo man nichts zu sagen weiß, sagt

{312} Jean Paul, ist der Reichstag- und Reichsanzeiger-Stil viel besser, weil ei wenigstens in seinen Selbstharlekin umzudeuten ist, als der prunkende, geldauswerfende, der vor sich her ausrufen läßt: er kommt“. — Andere Aphorismen aus diesem Aufsatz wird man in dem „Dicht- und Denkbüchlein“ (S. 25) wiederfinden.

3 (S. 10). Dieser Aufsatz gehört vermuthlich zu den in Schumanns Briefen erwähnten „Vorarbeiten“ für die musikalische Zeitschrift, die er im Verein mit Gleichgesinnten zu gründen beabsichtigte. Sie sollte im Herbst 1833 ins Leben treten und Fr. Hofmeister den Verlag übernehmen. Da dieser sich hernach aber wieder zurückzog und auch Schumanns Bruder in Schneeberg den Verlag ablehnen mußte, weil seine buchhändlerischen Kräfte anderweitig in Anspruch genommen waren, so galt der Plan Ende des Jahres 1833 wohl als gescheitert. Inzwischen erschien dieser Aufsatz im „Kometen“, d. h. in dessen Beiblatt „Zeitung für Reisen und Reisende“, in den Nummern vom 7. und 14, Dec. 1833 und 12. Jan. 1834.

4 (S. 11). Nachdem Florestan, Eusebius und Raro schon in dem Chopin-Artikel von 1831 redend eingeführt worden sind, treten sie und ihre Genossen nunmehr als Davidsbündler auf. Zu näherer Erklärung des geheimnißvollen Bundes erfährt man aber weiter nichts, als was die lakonische Aufforderung des Meisters und seiner Jünger andeutet, und was weiterhin aus den, auch nur bruchstückweise mitgetheilten Protokollen der selbstverständlich fingirten Bundes-Sitzungen zu entnehmen ist. Was die hier genannten Davidsbündler betrifft, so sind die Urbilder derselben unter Schumanns Freunden zu suchen, wiewohl ihnen doch immer nur einzelne Züge entlehnt sind. Zur Erklärung der Namen und zur Charakteristik der Persönlichkeiten diene Folgendes. Meister Raro soll Friedrich Wieck sein. Auf ihn ist wohl auch der „scharfe, schiefnasige Schwedenkopf“ zu deuten, der in der That an Wiecks Bildniß (in A. v. Meichners „Fr. Wieck und seine Töchter“, Leipzig 1875, und Kohuts „Fr. Wieck“, Dresden 1889) erinnert. Gleichwohl sind die mit Raro unterzeichneten Aussprüche Wieck nicht zuzuschreiben. In einem einzelnen Falle mag Schumann immerhin einen fremden Gedanken festgehalten und geformt haben, — im Uebrigen war es nicht feine Sache, Anleihen bei Anderen zu machen. Man kann kurz fügen: Schumann war der Bund ganz allein; seine Vorliebe für das Geheimnißvolle, Verschleierte ließ ihn verschiedenartige Kunstcharaktere erfinden, durch deren Mund er die ihn bewegenden Gedanken aussprach. — Wieck war aus einem Candidaten der Theologie Instrumenten- und Musikalienhändler geworden. Lust und Liebe zur Musik hatten ihn noch in reiferem Alter zu umfassenden Studien über Technik des Claviers und Theorie des Tonsatzes angetrieben. Von seiner ungewöhnlichen Lehrgabe zeugten die außerordentlichen Leistungen seiner Tochter Clara, die er auf eine staunensweithe Hohe der virtuosen Ausbildung gebracht hatte, ohne selbst Clavierspieler zu sein. C. F, Pohle sagt darüber in einem Aufsatz über Clara (Leipziger Tageblatt vom 1. Mai 1833): „Sie hat einen Vater, der die Stelle eines Wetzsteins vertritt, wie es im Horatius: de arte poetica heißt, der selbst nicht schneidet, aber das Eisen in den Stand setzt zu schneiden, der, ohne selbst technisch ausgebildeter Künstler zu sein, Andere zu Künstlern bilden kann.“ Wiecks Kunstrichtung fußte auf den fast allgemein als richtig erkannten Ansichten der älteren Schule. Seine Aussprüche und Urtheile verriethen ein starkes Selbstgefühl und hatten häufig etwas Derbes, Rücksichtsloses, Grokteses. (Vergleiche Dorn „Aus meinem Leben“, 2. Samml., Seite 118 und „Ostracismus“, 1875, Seite 78. Schumann war Wiecks Clavierschüler, zuerst 1828 als Student, hernach 1830, nachdem

{313} er die Musik zum Lebensberuf erwählt hatte und sich zum Virtuosen ausbilden wollte. Schon bald nach dem Beginn dieses letzten Unterrichts faßte er den Gedanken, seine Studien unter Hummels Leitung zu vollenden. „Ich warf neulich (so schrieb er am 17. Dec. 1830 seiner Mutter), bei Wieck den Plan wegen Hummel leicht und sorglos hin — er nahm’s aber übel und fragte, ob ich Mißtrauen in ihn setze oder wer? und ob er überhaupt nicht der erste Lehrer wäre? Ich erschrak sichtbar über seinen übereilten Zorn, aber wir sind wieder freundlich, und er behandelt mich lieb wie sein Kind. Von seinem Feuer, seinem Urtheil und seiner Kunstansicht hast du kaum einen Begriff, aber spricht er in seinem oder Claras Interesse, so wird er wild wie ein Bauer.“ Schumann hielt seinen Plan, den Unterricht bei Wieck demnächst zu beenden, aufrecht; „Zu Ostern geh' ich nach Weimar zu Hummel“, schrieb er am 11. Januar 1831 an seinen Heidelberger Freund Lemke. Aber erst im August desselben Jahres knüpfte er mit Hummel an, doch kam es ebenso wenig zu diesem Unterricht wie im folgenden Jahre zu den beabsichtigten Studien in Wien, da er sich inzwischen durch übertriebene Fingergymnastik eine Lähmung des Zeigefingers der rechten Hand zugezogen hatte und daher die Virtuosenlaufbahn aufgeben mußte. So dankbar Schumann seinem ehemaligen Lehrer gesinnt war, so freundschaftlich er zu ihm stand, so verbarg er seiner Mutter doch nicht, daß er „wenig Aussicht habe, mit Wieck je in seiner Kunstansicht zusammenzutreffen“. ( Brief vom 28. Juni 1833.) Es geht schon hieraus hervor, daß man Wieck nur mit Einschränkungen als „Meister Raro“ gelten lassen darf. Was in der Zeitschrift unter Raros Namen steht, gehört ausnahmslos Schumann an, Wiecks Mitarbeit war unerheblich. Er selbst gibt darüber Auskunft in einem (bisher ungedruckten) Briefe (Hamburg d. 28. März 1835) an Rieffel: „Lesen Sie nicht im Holsteinischen die Neue Leipziger Zeitschrift für Musik, herausgegeben von (meinem Schüler) Robert Schumann, unserm deutschen Chopin und Bach, wie schon seine Toccata, Impromptus etc. andeuten? Wollen Sie sich nicht für diese schöne Zeitschrift, welche der heillosen Juste-Milieu-Wirthschaft ein Ende macht und sehr billig ist, damit sie auch die Schüler sich anschaffen können, interessiren? Das Pädagogische darin, z. B. „Ueber den Handleiter“ [unterzeichnet: „Der alte Clavierschulmeister“], Toccata Op. 92 [„4.“] und Uebungsstücke Op. 239 [„14.“] von Czerny, über das Glöckchen-Rondo Op. 120 [„ – nz –“] von Pixis, ist von mir“. Wiecks Mitarbeit scheint sich auf diese vier im Jahrgang 1834 erschienenen Artikel beschränkt zu haben, wenigstens habe ich keine weiteren herausfinden können. Wiecks Theilnahme für Schumann und seine Zeitschrift nahm schon in den nächsten Jahren ab, verkehrte sich aber ins grade Gegentheil, als er erfahren mußte, daß seine Sturmläufe gegen das von Schumann und Clara geschlossene Verlöbniß vollkommen fruchtlos waren. Raros Name wird zum letzten Mal am 24. Juni 1836 in der Zeitschrift genannt. Die veränderte Stellung Schumanns zu Wieck kennzeichnet sich auch dadurch, daß die Impromptus, welche Schumann 1833 seinem Lehrer in Dankbarkeit gewidmet hatte, in der zweiten, 1843 erschienenen Ausgabe diese Widmung nicht mehr aufweisen. 1840 verlegte Wieck seinen Wohnsitz nach Dresden. Die 1843 von ihm bewirkte Aussöhnung mit Schumann war mehr eine äußerliche und stellte ein wirklich herzliches Verhältniß zwischen beiden nicht wieder her.

In „Florestan“ und „Eusebius“ sind die verschiedenen Seiten von Schumanns „Doppelnatur“ verkörpert. Florestan ist der brausende, übermüthige Stürmer,

{314 Feind aller Philistrosität, — grundehrlich, aber oftmals den seltsamsten Grillen hingegeben; dagegen ist Eusebius der zartbesaitete, bescheidene, immer mild urtheilende Jüngling, der Vertreter der Gesetzmäßigkeit in der Kunst. Diese kurze, nur andeutende Charakteristik der beiden Haupt-Davidsbündler mag hier genügen; die Bezeichnungen treffen alle etwas von Schumanns Wesen, ohne es freilich zu erschöpfen.

Mit „Friedrich“ (hernach immer „Fritz Friedrich“) ist J. P. Lyser gemeint. Lyser war der Sohn eines Schauspielerpaares und wollte sich anfänglich zum Musiker bilden, verlor aber vom sechzehnten Jahre an nach und nach das Gehör und wurde Maler und Schriftsteller. Ueber seine immer zunehmende Taubheit bekannte er 1844: „Ich war 1834 ganz taub geworden, so, daß ich nur auf Stunden, durch die stärksten Reizmittel, die aber meine Gesundheit gänzlich zu Grunde zu richten drohten, mir das Gehör für Musik wieder verschaffen konnte. Worte hörte ich nie wieder.“ Lyser war ein Duzfreund von Schumann, lebte Anfang der dreißiger Jahre in Leipzig und schrieb 1834 für die neue Zeitschrift seine ersten Novellen („von einem ehemaligen Thomasschüler“), die theilweise in seine Sammlungen „Kunstnovellen“ (1835 und 1837) übergegangen sind. Die 1839 bis 42 beigesteuerten Novellen sind mit seinem eigenen Namen, die Korrespondenzen („Davidsbündlerbriefe“) aus Dresden (wo er seit November 1835 lebte) mit „Fritz Friedrich“ gezeichnet. Lyser war als belletristischer Schriftsteller und Mitarbeiter aller möglichen Tagesblätter äußerst fruchtbar. Die Erzeugnisse seiner Feder sind aber von sehr ungleichem Werth und jetzt größtentheils vergessen. Von Gram und Sorgen aller Art verbittert — seine Frau trennte sich von ihm und heirathete den Componisten Pearson — beschloß Lyser sein unstetes Leben im Jahre 1859 zu Altona.

„Vg.“ halte ich für eine Abkürzung von „Bergen“, Gustav Bergen, der Literat oder Musiker oder etwas von beiden war. Schumann führt ihn einmal (Brief v. 4. Jan. 1834) unter seinen „täglichen Gesellschaftern“ mit auf — freilich als „Berger“, wie der Name in den Jugendbriefen gedruckt ist. Das beruht aber jedenfalls auf einem Lesefehler, denn Ludwig Berger, an den man zunächst dabei denkt, war nur vorübergehend 1831 und 1836 in Leipzig. Im „Kometen“ kommt Bergen ziemlich häufig vor, bald als musikalischer Berichterstatter, bald als Recensent, in letzterer Eigenschaft meistens über unbedeutende Compositionen Unbedeutendes sagend. Auch im Leipziger Tageblatt trifft man vereinzelt auf seinen Namen. Er war Mitarbeiter an dem (unvollendet gebliebenen) Brüggemannschen Conversationslexikon, ferner Redacteur des (bei J. Wunder herausgekommenen) „Pfennig-Magazins“, eines musikalischen Sammelwerks, in welchem u. a. L. Schunkes Sonate erschien. (Schumann wollte anfänglich ein „Allegro, Kuntschen gewidmet“ dazu beisteuern, es kam aber nicht dazu.) Als Componist hat Bergen eine Anzahl Rondos, Variationen und Tänze für Clavier veröffentlicht. Zur Beurtheilung seines künstlerischen Standpuncts genügt es, zu wissen, daß er sein Opus 12 „Pfennig-Magazin-Walzer und 15000 Auflage-Galopp“ betitelte und Mendelsohns Ouverture zum Sommernachtstraum (1833) „oberflächlich“ fand. Zu Schumanns näherem Umgange hat Bergen nicht gehört. Sein Name kommt auch nicht in der Zeitschrift vor; allenfalls könnten im Jahrgang 1834 eine Correspondenz, mit „G. B.“, und ein paar kleinere Recensionen, mit „B.“ gezeichnet, von ihm geschrieben sein. Wenzel, den ich einmal nach ihm befragte, schien ungern an ihn erinnert zu werden;

{315} wenigstens antwortete er nur mit einer abwehrenden Handbcwegung: „Bergen? mauvais sujet — wurde bald abgelehnt.“

Mit „St.“ ist Ferdinand Stegmayer, tüchtiger Pianist und Geiger, von 1832 bis 1838 Capellmeister am Leipziger Theater, gemeint. Schümann hielt viel auf den talentvollen Musiker, „Stegmayer ist auch so ein herrlicher Musikmensch, dem ich viel zu danken habe“, schrieb er (19. März 1834) der Mutter, „er lebt aber so wüst, daß man nicht mit ihm fortkann“. (Wahrscheinlich ist die Bemerkung im „Dicht- und Denkbüchlein“ über den „etwas dissolut lebenden Künstler S.“ ebenfalls auf Stegmayer zu beziehen.) An Clara berichtet Schumann humoristisch, Stegmayer habe „eine Petition an den Landtag eingereicht, daß man des Tages schlafen und des Nachts arbeiten möchte“ und fügt schalkisch hinzu: „ich habe sie mit unterzeichnet“. Für die Zeitschrift hatte Schumann auf Stegmayers thätige Unterstützung gerechnet und bezeichnete ihn noch im März 1834 als „Mitdirigenten“ derselben, allein diese Mitarbeiterschaft blieb ein frommer Wunsch. Als sich 1835 das Gerücht von Stegmayers Abgang verbreitet hatte, schrieb Schumann (N. Ztst. 1835, II, 128): „Ist es wahr, daß er uns zu Michaelis ganz verlassen wollte, so wäre das ein unersetzlicher Verlust für Leipzig, da es in ihm einen der ersten Musikmenschen verliert“. Stegmayer componirte nur wenig. Schumann gab ihm in einem Briefe an Dorn (1836) das Prädikat „leider sehr faul“ und bemerkte ein anderes Mal in der Zeitschrift (1833, VIII, 48), daß Stegmayer „leider noch nicht die Hälfte so viel Werke geschrieben, als er Jahre zählt“. Daß seine günstige Meinung von ihm als Künstler dieselbe geblieben war, bezeugt ein Brief aus dem Iabre 1853 (an C. v. Brunck), worin er Stegmayer einen „sehr routinirten Musiker“ nennt, dem er „in früherer Zeit manche praktische Belehrung zu danken habe“. Stegmayers Bemerkung über Schumanns Shmphoniesatz (S. 17) ist ganz in seinem Wiener Dialect wiedergegeben.

„Hf.“ ist wahrscheinlich der Musikalienhändler Friedrich Hofmeister. Er war ein bewegliches Männchen von 51 Jahren mit rabenschwarzem, krausem Haar, — gescheut, witzig (daher auch Präsident der nach dem Muster der Wiener Ludlamshöhle gestifteten literarisch-artistischen Gesellschaft „Tunnel über der Pleiße“), im Grunde aber zu sehr Geschäftsmann, um den Davidsbündler-Ideen sonderlich hold zu sein. Zur Uebcrnahme des Verlags der neuen Musikzeitung war er anfänglich bereit; in seinem Hause hatten Besprechungen darüber stattgefunden (bei welchem Anlaß Schumann einmal einen in dialogischer Form geschriebenen Aufsatz vorlas, wie Wenzel mir erzählte), selbst der auszugebende Prospect war schon entworfen, allein Ende des Jahres 1833 war alles wieder aus. Hofmeister, dem „als Kaufmann an der Gunst des Publicums alles, an der des Kritikers nichts gelegen war“, mochte die Forderung einer Musikzeitung für bedenklich halten, die nach Schumanns Ausdruck „als Vertreterin der Anrechte der Poesie alle Schäden der Zeit schonungslos angreifen sollte.“ Wie Hofmeister dem neuen kritischen Unternehmen nicht zugethan war, so hegte er auch von Schumanns Zukunft als Componist keine sonderlichen Erwartungen, was freilich vom kaufmännischen Standpunct aus und in Anbetracht des geringen Erfolges der von ihm verlegten Paganini-Studien, der Intermezzi und der Toccata erklärlich ist. Erst im Jahre 1852 verstand er sich wieder zur Herausgabe eines neuen Schumannschen Werkes, der Violinsonate in A moll. Als Schumann ihm 1842 die Stichplatten der ursprünglich auf eigene Kosten herausgegebenen Impromptus (Werk 5) um einen Spottpreis anbot, erschien {316} die neue Ausgabe derselben doch erst nach Verlauf von acht Jahren. — Jedenfalls nimmt sich Hofmeister als „Davidsbündler“ etwas sonderbar neben Florestan und Eusebius aus, namentlich wenn man weiß, daß er wenige Jahre später (von 1836 bis 1842) mit Schumanns ehemaligem Zeitschrift-Verbündeten C. Banck so freundschaftliche Briefe wechselte. Das Verständniß für Schumanns Künstlerthum, für sein stilles, ernstes, allem anspruchsvollen Scheine abgeneigtes Wesen mußte ihm abgehen, der noch im Jahre 1841, in einem Briefe an Banck, über Schumanns vermeintlichen „Schlaf“ witzelte. Die Zeitschrift von 1834 und 35 enthält von Hofmeisters Hand ein paar kurze Artikel über Interessen des Musikalienhandels.

Hinter „Knif“ ist Julius Knorr verborgen. Von Haus aus Philologe, war er zur Musik übergegangen und lebte als Clavierlehrer in Leipzig. Mit seinem Freunde Schumann durch die gleiche Kunstrichtung verbunden, theilte er mit ihm insbesondere den Enthusiasmus für Chopin, erwartete auch von Schumanns Compositionstalent Großes. Ueber Knorrs Clavierspiel liegen nur unvollständige Zeugnisse vor. Nach seinem Vortrage der Chopinschen Don Juan-Variationen im Gewandhause (27. Oct. 1831) berichtete Fink kurz, daß der Spieler „viel Fertigkeil gezeigt und verdientes Lob erhalten habe.“ Auffallend kühl schrieb Schumann (den 11. Jan, 1832) an Wieck: „K. spielte neulich die Variationen von Chopin, wie Sie wissen. Es war weder schön noch schlecht, weder rein noch unrein, weder groß noch klein — sondern er spielte nun eben die Variationen von Chopin. Darum gefielen sie auch wenig.“ Um die Laufbahn als Concertspieler mit Erfolg betreten zu können, scheint es Knorr an Energie gefehlt zu haben; sein Name wurde später durch musikalisch-pädagogische Arbeiten ehrenvoll bekannt. Der Name „Knif“ ergibt von rückwärts gelesen den Namen des alten Fink. Wie Schumann, so hatte auch Knorr eine Liebhaberei für Buchstabenversetzungen und für Rückwärtslesen; jedenfalls lag sowohl der Wahl dieses Namens als auch der Bezeichnung Knifs als „Balkentreter (Bälgetreter) an St. Georg“ eine Schelmerei zu Grunde, über die man freilich nur Muthmaßungen haben kann. Die „Grenzboten“ (1889, IV, 36) erweitern „St. Georg“ in „Waisenhauskirche zu St. Georg“. Es wäre nicht unmöglich, daß Knorr vorübergehend oder in Vertretung des Organisten F. L. Gradehand die Orgel in der Kirche des Georgenhauses gespielt hätte, wiewohl seine alten Freunde niemals davon gehört haben. Da man aber weiß, daß Knorr, der entschieden humoristisch beanlagt war, immer ein besonderes Vergnügen an der Musterung der niederen musikalischen Aemter gefunden, so möchte eher anzunehmen sein, daß Schumann, um Fink zu necken, den Davidsbündler Knif nannte und als musikalischen Beamten der letzten, niedrigsten Sorte zeichnete. — Der neuen Zeitschrift gehörte Knorr 1834 als Mitredacteur an, seine Beiträge sind mit den Ziffern 1,11 und 21 gezeichnet. Von 1835 an, als Schumann alleiniger Redacteur war, scheint er nicht mehr Mitarbeiter gewesen zu sein. — Knorrs äußere Erscheinung war eigenthümlich: dunkles, glattes Haar, bleiches, mageres Gesicht, hinter der Brille ein paar kluge dunkle Augen, um den zahnlosen Mund ein spärlicher Henri quatre, im Munde die auf und nieder balancirende Cigarre, die Kleidung gleichmäßig dunkel, — denkt man sich dazu den von einem verwachsenen Fuß herrührenden schwankenden Gang und den burschikosen Ziegenhainer in der Hand, so konnte seine Gestalt wohl an Mephisto erinnern. Dieser Eindruck schwand aber, so wie er in ein Gespräch gezogen wurde, in welchem er sich stets als ein liebenswürdiger und geistreicher Künstler zeigte. Hätte er mehr Willenskraft und weniger gutmüthigen Leichtsinn {317} besessen, so wäre er wohl auf einen grünen Zweig gekommen; so aber stellte er in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens das Musiklehrerthum nicht eben von der erfreulichsten Seite dar.

5 (S. 15). In einem Briefe Schumanns an seine Mutter (28. Juni 1833) heißt es: „Daß ich mit Kalkbrenner, dem feinsten, liebenswürdigsten (nur eitlen) Franzosen oft verkehrt habe, wird Dir wohl Eduard gesagt haben. Jetzt, nachdem ich die bedeutendsten Virtuosen (Hummel ausgenommen) kenne, weiß ich erst, was ich selbst früher geleistet habe, nämlich viel. Man glaubt von berühmten Männern das Neueste zu hören und findet oft nur seine alten, lieblichen Irrthümer in glänzende Namen gehüllt. Namen — glaube mir, da ist die Hälfte des Sieges. Dennoch reiche ich vor allen männlichen Virtuosen zwei Mädchen die Palme, der Belleville und der Clara“.

6 (S. 15). Nach Wiecks Meinung hatte Fink die zweite Recension geschrieben, nur um einen Grund zur Ablehnung der Wieckschen, ihm von Rochlitz empfohlenen Recension zu haben. (Siehe Komet 1832 Nr. 7.)

7 (S. 17). Dieser Gedanke steht, etwas weiter ausgeführt, als Motto der Nr. 27 der Zeitschrift von 1835 voran: „Die größte Kunst in der Kunst ist, den Stoff zu vergeistigen, daß alles Materielle desselben vergessen wird. Nicht aber ein Vernachlässigen, Verachten desselben führt zum Idealen, denn bei einem solchen Verfahren bricht das Materielle doch auf einer Seite durch, sondern ihr Brechen und Verschmelzen“.

8 (S. 17). Schumann begann im October 1832 die Composition einer Symphonie in G moll. Der erste Satz derselben wurde am 18. Nov. 1832 in Zwickau, am 12. Febr. 1833 in Schneeberg und am 29. April 1833 in Leipzig in Claras Concert (hier als „erster Satz der ersten Symphonie“ bezeichnet) zu öffentlicher Aufführung gebracht. In C. F. Pohles Concertbericht (Leipziger Tageblatt vom 1. Mai 1833), der hauptsächlich Claras Spiel und Wiecks Unterrichtsmethode bespricht, wird der Symphoniesatz nur kurz aber anerkennend erwähnt: „Wenn ich zum Lobe der Compositionen heute viel sagen wollte, so würde sich mir Stoff genug darbieten. Wer hat sich nicht gefreut über die wahrhaft poetische und originelle Ouverture zum Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn-Bartholdy und den ideenreichen Symphoniensatz von Schumann“! — Da Fink ganz über Claras Concert schwieg, so beruht alles, was über die ungedruckt gebliebene Symphonie bekannt geworden ist, auf Andeutungen, die sich in Schumanns Briefen finden. Unterm 2. Nov. 1832 bittet Schumann den Musikdirector G. W. Müller, ihm Unterricht im Instrumentiren zu ertheilen und „einen eigenen Symphoniesatz“ mit ihm durchzugehen. „Wie sehr Sie mich dadurch verbinden würden, kann ich nicht sagen, da ich fast ganz nach eigenem Sinn und ohne Anleitung gearbeitet habe und überdieß ziemlich mißtrauisch gegen mein symphonisches Talent bin“. (Bezüglich des Adressaten dieses in Schumanns „Jugendbriefen“ abgedruckten Schreibens muß ein Irrthum vorliegen. Von einem Musikdirektor G. W. Müller wissen die damaligen Leipziger Blätter nichts. Es wird jedenfalls Carl Gottfried Müller gemeint sein, der sich durch seine Orchestercompositionen — zuletzt durch eine am 8. März 1832 im Gewandhause aufgeführte Symphonie — vortheilhaft bekannt gemacht hatte. Als Schumann sich an die Composition einer Symphonie gemacht hatte und die Nothwendigkeit gründlicher Unterweisung in der Instrumentirung fühlte, lag es nahe, daß er sich an diesen tüchtigen Musiker wandte, der auch als praktischer Orchesterdirigent

{318} die erforderliche Instrumentenkenntniß besaß und daher für Schumanns Zweck die geeignetste Persönlichkeit war. Ob es zu dem Unterricht gekommen ist, war bisher nicht festzustellen.) Am 6. November gibt Schumann seiner Mutter die „fröhliche“ Nachricht, daß Clara in Zwickau ein Concert geben werde, worin „ein Symphoniesatz“ von ihm gespielt werden solle. An Rellstab schreibt er am 7. Dec. aus Zwickau, daß er in kurzer Zeit nach Berlin zu kommen hoffe, aber „mit einer Symphonie unter dem Arm“. An Hofmeister ebendaher am 17. Dec.: „In meiner kleinen traulichen Kinderstube arbeite ich fleißig an der Symphonie. Freilich nehme ich in der Instrumentation des ersten Satzes oft gelb für blau, halte aber auch diese Kunst für so schwierig, daß nur ein [langjähriges] Studium Sicherheit der Beherrschung bringen mag. Sollten Sie dazu beitragen können, daß sie diesen Winter einmal in L[eipzig] zur Aufführung käme, so wäre das wohl die schönste Aufmunterung für mich. Mag Ihnen das nicht unbescheiden klingen! Sic haben mich immer mit so viel Freundlichkeit als Kunstjünger aufgenommen, daß ich wohl eine solche Bitte wagen zu können glaube.“ Wieck berichtet er unterm 10. Januar 1833 (aus Zwickau) von der Umarbeitung, dem „völligen Umstürzen“ des ersten Satzes und dem „Nachtragen der anderen Sätze“, indem er hinzufügt: „Anfang Februar komme ich bestimmt mit der vollständigen Symphonie unter dem Arme. Können Sie etwas dazu beitragen, daß sie zur Aufführung käme, so wäre das die schönste Aufmunterung“. Aus Schneeberg schreibt er unterm 29. Jan. 1833 an Hofmeister: „Mit der Symphonie gehts vorwärts. Sie wird hier mit vielem Fleiß einstudirt und ist gegen die Zwickauer Aufführung kaum zu erkennen“. Töpken meldet er am 5. April 1833: „Im ganzen verflossenen Winter nahm eine große Symphonie fürs Orchester, die nun beendigt ist, meine Zeit weg; von ihr erwarte ich, ohne Eitelkeit, das Meiste für die Zukunft“. Seiner Mutter schreibt er unterm 28. Juni 1833, daß seine Symphonie ihm „viel Freunde unter den größten Kunstkennern gemacht, als Stegmayer, Pohlenz, Hauser“. Seit der Zeit ist von der Symphonie nicht mehr die Rede. In einem Briefe vom 15. März 1839 an Simonin de Sire erwähnt Schumann bei Aufzählung seiner Compositionen, daß in das Jahr 1832 „eine ziemlich fertige Symphonie“ und ein „auch nicht ganz vollendetes“ Clavierconcert falle.

9 (S. 19). Ernst Ferd. Wenzel, wie Dörffel (s. Grenzboten1889, IV, 37) angieht. Wenzel hatte Philologie studirt, war Wiecks Schüler geworden und lebte seitdem als Musiklehrer in Leipzig. Seine musikalisch-poetische Richtung führte ihn frühzeitig mit Schumann zusammen. Wenn er im Text „schöner Bube“ genannt wird, so war diese Bezeichnung vollkommen zutreffend, wie ich häufig habe bestätigen hören. Wenzel war damals 25. Schumann 23 Jahre alt. C. Loewe erwähnt ihrer in einem Briefe v. 29. Juli 1835 an seine Frau: „Schumann gefällt mir sehr, er steht in allgemeiner Achtung und Liebe; er ist ein stiller, guter und sinniger junger Mann, den man erst schätzen lernt, wenn man seine nähere Bekanntschaft macht. Er wird heute bei mir mit dem niedlichen, allerliebsten jungen Clavierlehrer Wenzel essen.“ — Wenzels nicht eben zahlreiche Beiträge für die Zeitschrift sind meistens mit W. oder Wl. gezeichnet. 1843 wurde er an dem neubegründeten Conservatorium als Lehrer des Clavierspiels angestellt und verblieb bis zu seinem Tode in dieser Stellung.

10 (S. I9.) In einer Fußnote bemerkt Schumann, daß der erste Artikel so viele Druckfehler enthalte. „Er bietet eine ordentliche Sammlung von Anagrammen,

{319} Wortnetzen, Quiproquos, bei denen sowohl der Scharfsinn des Setzers zu bewundern als die Handschrift des Referenten zu verabscheuen ist. H. Heines Handschrift kann den bekannten Hippelschen Ausspruch kaum mehr zu Schanden machen als meine eigne, da ich im Gegensatz zu ihr ein wahrer Engel zu nennen bin. Macht mich der Gedanke, daß ich am Ende nur Druckfehlerverzeichnisse der Verzeichnisse der Druckfehler (im dreifachen Sinn) zu geben habe, in etwas trübe, so könnte ich mich als redlicher Ictus mit dem angenehmen trösten, daß ich ja auch Liquidationen der Liquidation der Liquidationen bis ins Unendliche auszufertigen wüßte.“ Nachdem nun „die stärksten Verbrecher“ aufgezählt sind, heißt es zuletzt: „S. 391, 19. Zeile v. u. [lies] statt: würden Halt, Sicherheit — würden halt Sicherheit. (Im letzten Falle beschämt der Druckfehler den wahren Sinn, ähnlich wie Referenten ein Fehlgriff auf dem Clavier oft auf die herrlichsten Gedanken brachte, [wie] den Maler ein zufälliger Strich, den Bildhauer ein verunglückter Meißelschlag u. s. w.) — Schumanns Handschrift war klein und oftmals kaum zu entziffern. Für die außerordentliche Gewandtheit im Schreiben spricht schon der Umstand, daß in seinen Briefen, trotzdem er sie mit rapider Schnelligkeit schrieb, wohl einmal ein Wort ausgelassen, aber fast nie eins ausgestrichen ist. Er scherzte manchmal über seine unleserliche Handschrift, sein „Sanskrit“. Einen Brief an Rosen schließt er mit den Worten: „Deine Augen dauern mich, ich kann den Brief selbst nicht lesen.“ Seiner Mutter schrieb er: „Was meine Handschrift anbetrifft, so kann ich sie bei Gott nicht verbessern und werde in meinem ganzen andern Leben nicht anders schreiben lernen als in diesem oder in allen oder im vorigen Brief, bei dem ich mich gerade recht zusammengenommen hatte, um mich in meinem kalligraphischen Vortheil zu zeigen.“ „Beifolgend kannst Du als Probe meines willigen Geistes bei schwachem Fleische einen gemalten Brief lesen, in dem ich alle meine kalligraphischen Künste niederlegen wollte, was mir auch bis auf etliche große H's und A's, die ich in meinem ganzen Leben nicht habe produciren können, ziemlich glorreich gelang.“ An Henriette Voigt (1838): „Die Musiken mancher Componisten gleichen ihren Handschriften: schwierig zu lesen, seltsam anzuschauen; hat man’s heraus aber, so ist’s, als könne es gar nicht anders sein; meine Handschrift gehört zum Gedanken, der Gedanke zum Charakter etc. Kurz, ich kann nicht anders schreiben und componiren, als Sie mich einmal kennen, meine liebe Freundin.“ Es gehört in der That viel Uebung dazu, Schumanns Briefe, namentlich die aus seinen 20er Jahren, enträthseln zu lernen. Daher findet man auch so viele derselben unrichtig abgedruckt. Wo geradezu Widersinniges gebracht ist, da darf man das immer auf Rechnung des Abschreibers setzen.

11 (S. 20). Wenn Knif mit Fritz Friedrich eine Reise (och dazu eine Fußreise) nach „Venedig“ gemacht hat, so ist das eine dichterische Ausschmückung. Ohne Zweifel hat man sich eine sächsische Stadt — vielleicht Dresden — darunter zu denken.

12 (S. 21). Bei „Zilia“ (Abkürzung von Cäcilia?) hat man an Clara Wieck zu denken, bei „Giulietta“ an Livia Gerhardt, die ihrer jugendlich-anmuthigen Erscheinung und ihres seelenvollen Gesanges wegen als eine Verkörperung von Kreislers Julia erscheinen mochte.

13 (S. 22). Die Ueberpinselung der Oeserschen Fresken und der grellbunte Anstrich der Saalwände hatte allgemeines Mißfallen erregt, das sich in den Leipziger Blättern Luft machte. Eine anonyme Anfrage in F. Gleichs „Eremiten“ {320} lautete: „Wer hat in Leipzig über die neue Anstreichung des schönen Concertsaales verfügt?“ Eine derbere im Kometen: „Behufs einer neu einzurichtenden Küche bittet man um den Namen des Maurers, der den großen Leipziger Concertsaal angestrichen hat.“ G. Bergen schrieb nach dem Eröffnungsconcert im Kometen 11. October: „Wenn früher der Saal durch geschmackvolle Einfachheit imponirte, so waren wir nicht wenig erstaunt, hier in Leipzig, dem Sitze des feingebildeten Geschmacks, diesen herrlichen Saal auf eine Weise decorirt zu sehen, welche unmöglich den Beifall des Publicum« erhalten kann und wird. Wenn ein Reicher seinen Marstall oder seine Küche auf diese Weise decorirte, so würden wir sagen: Der Mann hat Geschmack.“ Hierauf bezieht sich Schumanns Bemerkung über den Küchenwitz

14 (S. 25.) Eine Fortsetzung ist nicht erschienen. Schumann hatte mit diesem Aufsatz übrigens noch einen weiteren Plan. Er trug sich längere Zeit mit dem Gedanken, einen Roman „Die Davidsbündler“ zu schreiben. Die eirten Spuren davon zeigen sich 1831, wo die typischen Figuren des Florestan, Eusebius und Raro bereits in dem Chopin-Aufsatz vorkommen. Aus 1832 liegt eine briefliche Aeußerung Schumanns vor, die ebenfalls darauf zu beziehen sein wird. Er theilt seiner Mutter am 5. Mai mit, daß er vielleicht ein Buch schreiben werde — „die Idee ist da.“ Nach dem Erscheinen des Davidsbündler-Aufsatzes schrieb er ihr 4. Jan. 1834: „Die Davidsbündler im Kometen überschlage nicht; sie sind von mir und machen etliche Sensation. Es wird eine Art Buch, das ich später einzeln bei Karl und Eduard herausgebe.“ In der nächstfolgenden Zeit mußte dieser Plan in den Hintergrund treten, weil Schumann nunmehr seine ganze Thätigkeit der „Neuen Zeitschrift für Musik“ zuwendete. Als Nebenarbeit lieferte er nur die musikalischen Artikel für Herloßsohns Damen-Convers.-Lexikon, das im Verlage seines Freundes v. d. Lühe erschien. Wenn Schumann unterm 18. August 1834 an Töpken schrieb: „Die Davidsbündlerschaft grüßt Sie. Wir leben jetzt einen Roman, wie er vielleicht noch in keinem Buche gestanden“, so scheint auch dies darauf hinzudeuten, daß das Leipziger Kunst- und Künstlerleben seine dichterische Phantasie fortdauernd beschäftigte. In den nächsten Jahren verlautet nichts über den Plan; erst 1837 kommt Schumann wieder darauf zurück, um Zuccalmaglio ein gemeinsames Werk, eine Verschmelzung von dessen „Wedeliana“ mit seinen eigenen „Davdsbündlereien“ vorzuschlagen, was aber nicht zu Stande kam. Als er sich 1846 einen ersten Copin-rtikel von Härtel „zu einer Arbeit“ erbat (— die Zeit der Veröffentlichung desselben hatte er sich so wenig gemerkt, daß er irrthümlich den Jahrgang 1833 der Finkschen Zeitung angab, in welchem er stehen müsse —!) handelte es sich schwerlich noch um die Idee eines Romans sondern wahrscheinlich schon um eine Sammlung seiner kritischen Arbeiten.

15 (S. 25). Carl Voigt, der langjährige Freund Schumanns, erklärte diesen Ausspruch für Schumanns Eigenthum. Er erzählte, daß er nach jedesmaliger Aufführung der D moll-Symphonie ein Geschenk von 100 Thalern anonym an das Orchester gesandt habe, ursprünglich in der Absicht, eine öftere Wiederholung des Werkes zu bewirken, was ihm auch gelungen sei. Als er einstmals nach einer Probe der Symphonie Schumann beim Ausgange des Saales angetroffen und begeistert ausgerufen habe, daß er „das göttliche Werk in seinem Testament bedenken wolle“, da habe Schumann diese Aeußerung freilich nur mit einem innigen Händedruck gelohnt, vielleicht aber den hernach niedergeschriebenen poetischen Worten deswegen seinen Namen untergesetzt. Der Direction der Gewandhausconcerte sind nach Voigts {321 letztwilliger Bestimmung 6000 Mark überwiesen worden mit der Bedingung, die 9. Symphonie alljährlich oder längstens alle zwei Jahre aufzuführen und die Zinsen des Capitals alsdann an die Orchestermitglieder zu vertheilen.)

16 (S. 31). Ein recht harmloses Buch „für Musiker und Musikfreunde“, dessen Standpunct aus folgender Erklärung auf Seite 21 zu erkennen ist: „Espressivo mit Ausdruck. Eine mit espressivo überschriebene Stelle soll den Spieler aufmerksam machen, solche ja nicht ausdruckslos vorzutragen“; und nochmals S. 181: „espressivo mit Ausdruck, heißt: die bezeichnete Stelle ja nicht ausdruckslos vortragen.“

17 (S. 36). Vom Jahre 1835 an bis zu Finks Rücktritt von der Redaction (1841) brachte die Allgem. musikal. Ztg. jedesmal zur Eröffnung des Jahrganges solche Leitartikel, deren Spitze sich gegen die Neue Zeitschrift richtete, ohne daß diese jedoch genannt worden wäre. Die neue Kunstrichtung war Fink durchaus unsympathisch. Hatte er Schumanns ersten Werken (1833) noch eine wohlwollend gehaltene Besprechung gewidmet, so würdigte er nach der Zeit den Componisten Schumann keiner Erwähnung mehr. Diese Gegnerschaft kam Schumann nicht unerwartet. „Mit Fink wird es schlimm“, schrieb er seiner Mutter am 9. April 1834, „der ist schon jetzt wüthend und will nichts außer sich leiden. Es dauert mich, daß ein alter, sonst schätzbarer Mann sich so gemein herunterzieht. Jedenfalls wird in der Folge Kampf, so würdig auch der Ton im Ganzen sein soll. Verlaß Dich darauf, daß ich das unterstrichene Wort halte. Sollte es einmal geistige Steine regnen, so halten fünf Buckel doch immer mehr aus, zumal da Jugend darunter steckt, als ein alter, schon sehr gebückter.“ Die Haltung der Neuen Zeitschrift war dem entsprechend ruhig und sachlich. Weniger ruhig traten andere Blätter auf, so daß Finks gleich anfangs hervortretende Gereiztheit gegen die neue Zeitschrift wohl erklärlich ist. Bergen hatte im Kometen (1. Nov. 1833) einen bissigen Artikel gegen Fink gebracht; ebenso herausfordernd kündigte (10. April 1834) der Berliner „Freimüthige“ (W. Häring) das Erscheinen der Schumannschen Zeitschrift an. Die Anzeige schloß: „Der Prospectus läßt viel Gutes erwarten. Im Laufe dieses Jahres wird es sich wohl entscheiden, ob das früher so würdig bestandene ältere Institut (die Allgem. mus. Ztg.) neuen Aufschwung nehmen oder altersschwach, den Anforderungen der Zeit nicht mehr genügend, einschlafen wird.“ Finks Erwiderung darauf (Allg. mus, Ztg. 1834, S. 178) ist im Gegensatz zu seinen späteren, vorsichtig-mysteriösen Anspielungen sehr zuversichtlich. „Bündler rechts, Bündler links, Figaro hier, Figaro da“, meint er, „...... bis jetzt aber sind wir noch auf dem Platze und haben Lust, ein Wörtchen mitzureden, und zwar ordentlich.“ Die Zeitschrift sagt in einer „Journalschau“ (1834) von der Allgemeinen, daß deren Kritik „das Zugeständnis; des Geistreichen, Genialen, so wie den offenen Kampf gegen das Mittelmäßige, Talentlose mit gleicher Vorsicht umgeht. Ihre Tendenz ist die höchste Toleranz, gleichweit entfernt vom Lob der Begeisterung und vom Tadel der Verwerfung; ihr Wahlspruch: leben und leben lassen.“ (Genau so urtheilte Mendelssohn. „Fink wußte immer am Vortrefflichen eine mangelhafte Seite herauszukehren und das Stümperhafte nicht ganz ohne Verdienst zu finden“, schrieb er am 15. Febr. 1844.) Solche Urtheile erbosten Fink, daher seine herausfordernden Artikel, die Schumann aber kaum um die gute Laune brachten. Als Fink wieder einmal, aber mit vorsichtiger Verschweigung aller Namen, auf das vermeintliche Coteriewesen in der Neuen Zeitschrift anspielte, bemerkte Schumann dazu kurz: „Das große Predigerthum der Wüste hat etwas

{322} de amicitia geschrieben. Man wird dem Wesen ehestens die Kutte über die Ohren zusammenziehen.“ (1830, V, 9.) Wenn die Kritik in der Allgem. Ztg. einmal von ihrer zahmen Toleranz abließ und eine entschiedenere Sprache zu reden wagte, so gewann das Schumann schon einen ermunternden Zuruf ab: „Nr. 9 der allg. mus. Ztg. bringt ganz gegen ihr System eine sehr scharfe Recension der Esther von Loewe. Nur mehr dergleichen!“ (1837, VI, 90.) Fink blieb bis zuletzt höchst erbittert auf Schumann und seine Zeitschrift. Als er Ende 1841 seinen Rücktritt von der Redaction anzeigte, schrieb Schumann: „Herr Dr. Fink, der sonst immer leise auftritt, nimmt einen ziemlich polternden Abschied von der Redaction der Allgem. mus. Ztg. Man lese ihn. Er spricht auch von Feinden, die er sich ,verdient', und zielt deutlich auf diese Blätter. Er irrt. Wir haben uns nie viel um ihn gekümmert und werden’s auch künftig nicht.“ (1842, XVI, 8.) Daß auch die Verleger der Allgem. Ztg., Breitkopf und Härtel, mit Finks Redactionsführung nicht zufrieden waren, geht daraus hervor, daß sie wiederholt einen anderen Redacteur zu gewinnen suchten. Marschner schrieb unterm 11. Dec. 1833 an F. Hofmeister: „Bergens Angriff auf Fink hat uns viel Spaß gemacht, einestheils der Sache selbst wegen, anderntheils weil ich dahinter Wieck spuken sah. Nun, Bergen und Wieck haben Recht, und ich wünschte, sie grobsäckelten nicht nur fürder, sondern sie deckten all die arrogante Dummheit der Allgemeinen recht gründlich auf und den Redacteur zu. Uebrigens scheinen Härtels die Sache auch satt zu haben. Sie frugen sogar mich, ob ich redigiren wolle, allein mein Biedersinn regte sich und ich lehnte den Spaß ab.“ Desgleichen schrieb Mendelssohn an Moscheles (7. Febr. 1835: „Neulich frug eine Musikhandlung mich, ob ich nicht eine Musikzeitung redigiren wolle; ich hätte die Handlung gern herausgefordert.“ Das ist wohl nur auf Härtels zu beziehen, denn mit den Verlegern der anderen Musikzeitungen hatte Mendelssohn gar keine Verbindung.

18 (S. 43). Daß Schumann den Prospect geschrieben, schreibt er unterm 19. März 1834 an seine Mutter.

19 (S. 47). Auf Anregung von K. Steins (Kefersteins) Aufsatz „Das Komische in der Musik“ (Cäcilia 1833, S. 221) geschrieben. Schumann wollte seiner Skizze einen Aufsatz „Vom Humor in der Musik“ folgen lassen, der „alles deutlicher entwickeln werde“; er ist aber nicht erschienen.

20 (S. 49). Dieser Aufsatz trägt ein so entschieden Schumannsches Gepräge — nach Form und Inhalt — daß ich ihn unbedenklich aufgenommen habe. Die Aufschrift: „Von einem alten Musiker“ spricht nur scheinbar gegen meine Annahme, da Schumann seine Autorschaft häufig hinter einer unbekannten Chiffre versteckte. Eusebius ist unverkennbar; einzelne Gedanken im Aufsatz spricht er fast mit denselben Worten auch an anderen Orten aus. Eine weitere Bestätigung finde ich in der biographischen Notiz über die Belleville in Herloßsohns Damen-Conversationslexikon, deren Uebereinstimmung mit dem Zeitschrift-Artikel in die Augen fällt. Auch darin erkennt man Schumann wieder, daß er das unbillige Urtheil „eines sonst ausgezeichneten Künstlers“ über Anschlag und Schule so entschieden zurückweist.

21 (S. 57). Schumann schrieb seiner Mutter über den Psychometer, den er am 8. April 1833 besucht: „Das Ganze ist eine bis jetzt unerklärbare, jedenfalls auf einer magnetischen Wechselwirkung der Metalle mit den physischen Kräften beruhende Erfindung des hiesigen Magisters Portius, aber so interessant in Bestimmtheit und Feinheit der Charakterunterscheidungen, daß ich eher verdutzt als befriedigt

{323} fortging. Nachdem man mit der Maschine in magnetischen Rapport gebracht worden ist, erhält man den Eisenstab, den der Magnet anzieht, wenn man diese oder jene Eigenschaft, Temperament, Charakterzug u. s. w. besitzt, aber abstößt im entgegengesetzten Falle. Wirklich war ich’s leibhaft, wenn ich auch mancher der angezogenen guten Eigenschaften nicht ganz traue.“ — Ein Artikel im Leipziger Tageblatt (30. Mai 1833) versucht eine Erklärung des Psychometers, der auf den Magnetismus und die Wirkungen der Elektricität gegründet sei. „Alle Eigenschaften“ (schreibt der Berichterstatter) „die wir zu haben oder nicht zu haben glaubten, ja selbst solche, durch die wir uns von Anderen unterschieden, wurden uns von der Maschine richtig angedeutet; als Beweis aber, daß sie keineswegs schmeichle, diente uns der Umstand, daß sie uns eine kleine Untugend verrieth, die wir vorher noch nicht bemerkt hatten und doch bei genauerem Nachdenken fanden.“ Eiteln und Eingebildeten wird widerrathen, die Maschine zu probiren, damit sie nicht enttäuscht würden. Der Erfinder habe mit vielfachen Vorurtheilen zu kämpfen, sein Psychometer aber verdiene die volle Aufmerksamkeit jedes denkenden Mannes und könne die Veranlassung werden, „über höchst bedeutsame, vielleicht noch in tiefes Dunkel gehüllte, geheime Naturkräfte nähere Aufschlüsse zu erlangen.“ — Im folgenden Jahre wiederholte der Erfinder seine „physikalisch-psychologischen Experimente“, über die das Tageblatt (12. April 1834) abermals berichtete. Schumann hatte ein ungewöhnliches Interesse für den Gegenstand. Ich halte es sogar für nicht unmöglich, daß die beiden Tageblatt-Artikel von ihm find. — Es überrascht nicht, daß Schumann 1853 auch zu den eifrigsten Anhängern des Tischrückens und Tischklopfens gehörte.

22 (S. 64). Ein anderer, ziemlich derselben Zeit ungehöriger Ausspruch Schumanns über Bach ist dem Artikel „Bach“ in Herloßsohns Damen-Conversationslexikon entnommen: „Wie groß und reich stach sein inneres Leben gegen das äußere ab! Nicht allein Fleiß war es, der ihn hinaushob über alle Schwierigkeiten der musikalischen Combinationen, sondern angestammtes Genie des Scharfsinns. Was wir Nachkömmlinge für Wunderbares in der Verflechtung der Töne gefunden zu haben meinen, liegt schon in ihm angesponnen und oft ausgewickelt. Zu dieser vollkommenen Beherrschung des Physischen kommt nun auch der Gedanke, der Geist, der seinen Werken innewohnt. Dieser war durch und durch Mann. Daher finden wir in ihm nichts Halbes, sondern alles ganz, für ewige Zeiten geschrieben. Dieser Geist schuf aber auch nicht einseitig, sondern reich, ja üppig. Wie das höhere Genie meistens auch das fruchtbarere ist, so hat er uns eine Sammlung von Kunstwerken hinterlassen, deren blos äußerer Umfang in Erstaunen setzt.“

23 (S. 68). Es war wohl zugleich auch eine ironisirende Nachahmung der Finkschen Zeitung, welche 1832 eine Recension desselben Heftes gebracht hatte und sich überhaupt durch ihre pünktlichen Bemerkungen über Druck und Papier auszeichnete. Der letzte Absatz („Die Ausgabe ist“ etc..) legt diese Deutung nahe, nachdem Schumann sich noch kurz vorher (1834, S. 31) über die „abgelebten Recensionsendreime über Ausstattung und treffliches Papier“ unmißverständlich genug geäußert hatte. — Diese dritte Recension ist hier aufgenommen worden, um noch ein weiteres Beispiel von Schumanns Verfahren zu geben, ein und dasselbe Werk aus verschiedener Anschauungsweise heraus zu beurtheilen.

24 (S. 72). Diese Aphorismen hat Schumann größtentheils dem Davidsbündler-Aufsatz von 1833 entnommen und mit kleinen Abänderungen in der Zeitschrift unter der Aufschrift „Grobes und Feines“ zusammengestellt. Außer diesen

{324} finden sich noch einige Aphorismen (vielleicht ebenfalls Auszüge aus einem unbekannt gebliebenen Aufsatze), die als Mottos verwandt worden sind. Da sie keine Unterschrift tragen, so sind sie Schumann zuzuschreiben, der es mit seinen Quellenangaben genau nahm. Der folgende Gedanke, Motto zu Nr. 47 von 1835, könnte von Florestan sein:

„Die ihr euch so gern in das Andenken der alten guten Zeit versenkt, denkt ihr gar nicht daran, daß diese Zeit nothwendig immer weiler zurückschreiten wild, daß vollends alle alten Herren bald den schon Vorangegangenen folgen, und daß dann nothwendig die Jüngeren allein das Wort führen werden, weil sie allein noch übrig sind? Diese Betrachtung muß aber dahin führen, zu überlegen, welche Richtung die neue Generation nehmen kann und nehmen wird. Dann aber dünkt es mich ungleich wichtiger, daß der Kritiker mit Kraft und Umsicht in die neue Thätigkeit der neuen Geister eingreift, als daß er sich tändelnd mit den Reliquien alter Liebschaften beschäftige. Das vornehme Zurückziehen oder das pedantische festhalten am alten Zopf oder das Zurückträumen in die Jugendliebe taugt und nützt da nichts. Die Zeit geht fort, und man muß mit ihr fortgehen,“

Dem 2. Theil des Fétisschen Aufsatzes gegen Berlioz war als Motto vorangestellt:

„Wofür Jemand keinen rechten Sinn hat, das wird er falsch beurtheilen, und je geistreicher er sonst ist, desto gefährlicher und verführerischer wird sein Irrthnm sein, und habe er das Wesen vom Orient, von Griechenland und Rom in sich aufgenommen, so wird seine Ungerechtigkeit gegen die von ihm verkannte Kunstseite nur um so qualificirter sein; denn er wird all sein Denken als Waffe gegen sie brauchen, um ihr den Raum und die Wirksamkeit streitig zu machen, die sie im Kreise der übrigen Künste einnehmen soll.“ (1835, II, 201.)

Auch poetische Mottos sind vorhanden:

„Scherzend bieten wir euch die nackend verletzende Wahrheit. Wenn euch verletzet der Ernst, heil' euch ergötzend der Scherz.“ {{Right|(1834, S. 149.)

„Göttlich nennst du die Kunst? Sie ist’s — — Aber das war sie nur, eh' sie dem Staate gedient. Willst du nur Früchte von ihr, die kann auch die Sterbliche zeugen: Wer um die Göttin freit, suche das Weib nicht in ihr.“ {{Right|(1835, III, 93.)

Epigramm auf Mozart. „Solch' ein Genius, solch' ein Kind?“ — O wahrlich, ich sag' euch, Werdet ihr so nicht, ihr kommt nie in den Himmel der Kunst. {{Right|(1839, XI, 89.)

25 (S. 80). In einer Anmerkung sagt die Redaction: „daß nur die mit Zahlen unterzeichneten Kritiken und Anzeigen die Gesammtmeinung der Heransgeber vertreten, daß aber die andern Chiffern besonderen Mitarbeitern gehören. Doch werden wir es vorziehen, bei Besprechung von Werken, die ungewöhnlich gelobt oder getadelt werden, den Namen des Beurtheilers zu nennen“. — In den Ges. Schriften hat Nr. 1 dieser beiden Recensionen die Unterschrift Florestan erhalten, in der Zeitschrift sind beide mit „2“ unterzeichnet.

{325} 26 (S. 80). Mendelssohn, der im Juli 1836 einige Wochen in Frankfurt lebte, schrieb über Hiller: „Dann ist Hiller hier, der mir zu allen Zeiten eine liebe Erscheinung war, und wir haben von jeher viel und Interessantes mit einander zu verhandeln gehabt. Er ist mir nur — wie soll ich’s nennen — nicht einseitig genug. Von Natur liebt er Bach und Beethoven vor Allen und schlüge sich daher am liebsten ganz auf die ernste Seite. Aber nun gefallen ihm Rossini, Auber, Bellini etc. auch, und mit der Vielseitigkeit kommt kein Mensch recht weiter. Das macht nun den Stoff aller unserer Unterhaltungen, sobald wir uns sehen, und so ist mir’s doppelt lieb, gerade jetzt einige Zeit mit ihm zusammen zu treffen und wo möglich in meinem Sinn auf ihn einzuwirken“. Speciell über Hillers Etuden schrieb er (25. März 1835) an Moscheles: „Ich habe neulich Etuden von Hiller gesehen, die mir auch gar nicht gefallen haben, und das thut mir leid, weil ich ihm gut bin und glaube, daß er Talent hat; aber Paris ist gewiß ein schlechter Boden“. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, ihn aus der Pariser Ehren- und Plaisir-Atmosphäre in die Arbeitsstube zurück zu persuadiren“. (Brf. v. 23. März 1835 an seinen Vater.)

27 (S. 89). Wahrscheinlich hat Schumann den ganzen Schluß entfernen wollen und den letzten Satz irrthümlich stehen lassen. Das „Dunkle“ liegt doch wohl nur in dem gestrichenen Satze.

28 (S. 96). Vielleicht hat Chopins A moll-Mazurka (Werk 17 Nr. 4) Schumann hierbei vorgeschwebt: sie schließt aber nicht mit einem Quartsext- sondern mit einem Sextaccord. Das Heft war wenige Tage vor Abfassung des obigen Aufsatzes erschienen.

29 (S. 97). Schumanns Zusatz aus 1852: „Erste Aufführung in Leipzig, im Februar 1835“ ist nicht genau. Die Symphonie war schon am 11. Dec. 1834 zur ersten Aufführung gelangt, während Schumann sich in Zwickau befand.

30 (S. 101). Hatte die räthselhafte Unterschrift: „Aus den musikalischen!? und — von Mir“.

31 (S. 101). Anscheinend handschriftlich eingesandt, da kein Verleger angegeben ist.

32 (S. 106). Die Fassung des Briefes ist hier etwas anders als in der Zeitschrift; der Brief ist also jedenfalls erdichtet.

33 (S. 122). Von den ersten fünf Werken Schumanns finden sich Besprechungen in Finks Allgem. mus. Zeitg. 1833: Werk 1, 2, 3 und 5. Webers Cäcilia 1834: Werk 1, 2, 4 und 5.

Castellis Allgem. mus. Anzeiger 1832: Werk 1 und 2; 1833: Werk 3; 1834: Werk 5; 1835: Werk 4 (zusammen mit 7 und 8).

Rellstabs Iris 1832: Werk 1 und 2; 1833: Werk 3; 1834: Werk 4 und 5. Einer (sehr lobenden) Kritik der Intermezzi im Kometen von 1834 erwähnt Schumann nicht.

Es sei hier noch eine Charakteristik der Papillons mitgetheilt, welche in J. Knorrs „Führer auf dem Felde der Clavierunterrichts-Literatur“ (Leipzig, C. F. Kahnt) enthalten und auf Schumann selbst zurückzuführen ist. Knorr, der in den ersten dreißiger Jahren viel mit Schumann musikalisch verkehrte, schreibt:

Papillons. Poetische Kleinigkeiten aus einem reichen musikalischen Gedankenschatze herausgegrissen und zusammengestellt, wie sie das bunte {326} Durcheinanderflattern (papillons) auf einem Faschingballe zu malen am besten geeignet schienen. Das Bild vollständig zu machen, ward die Schlußnummer hinzucomponirt. Welchen Sinn von diesem angedeuteten Standpunct aus man den einzelnen Nummern unterlegen wolle, ist im Grunde genommen ganz einerlei; doch möge Schumanns eigene Interpretation derselben hier einen Platz finden.

Nr. 1. Eigentliche, der Indroduction folgende Eröffnungsmelodie. Nr. 2. Imposanter Eindruck eines erleuchteten Saals; buntes Flimmern der Lichter durcheinander. Nr. 3. Verschiedene Maskenzüge, die sich (im Kanon) durchkreuzen. Nr. 4. Ein Arlequin, der sich neckend darunter mengt. Nr. 5. Eine skizzirte Polonaise. Nr. 6. Eine Scene im Trinkzimmer, dazwischen (im 2. und 4. Theil( Musik draußen im Saal. Nr. 7 und 8. Darauf bezügliche Fortsetzung, deren Mittheilung an dieser Stelle zu lang sein würde. Nr.9. In Folge einer kurzen Musikpause entstandenes Gewühl durcheinander. Nr. 10. Man beginnt (1. Hälfte des 1. Theils, sich schon wieder zu sammeln, und alles läuft (2. Hälfte desselben Theils) herzu, da (im 2. Theil) die Musik aufs Neue ertönt, dieselbe Musik, welche früher (Nr. 6) in der Ferne gehört ward, nur jetzt in der Nähe sich, so zu sagen, gröber ausnimmt.

Das Folgende ist eine Art Aufforderung zum Tanz, bei welcher sogar die fashionable Welt im Frack nicht übersehen zu sein scheint.

Nr. 11. Eine (in freier Form) ausgeführte Polonaise mit Trio.

Nr. 12. Gleichsam zum Kehraus die bekannte Großvatermelodie, nachher verbunden mit jener oben erwähnten Eröffnungsmelodie. Doch erlahmt nunmehr (wo die Synkopen eintreten) die nächtliche Luft unaufhaltsam, und alles zerstreut sich bis auf den letzten Mann. Die Thurmuhr schlägt sechs, womit das Geräusch der Faschingsnacht vollends verstummt. Zu Hause endlich angelangt, will man der Ruhe pflegen, doch lange klingt’s und singt’s noch im Gehöre nach“. —

In der zweiten Auflage der Papillons hat Schumann (außer einigen kleinen Aenderungen in Nr. 2, 6 und 7) gegen das Ende des Finales die Worte nachgefügt: „Das Geräusch der Faschingsnacht verstummt. Die Thurmuhr schlägt sechs.“

Eine etwas andere Deutung gibt Schumann den Papillons in einem Briefe an Rellstab, dem er sie zur Beurtheilung eingesandt hatte: „Weniger für den Redacteur der Iris, als den Dichter und den Geistesverwandten Jean Pauls, erlaub' ich mir den Papillons einige Worte über ihr Entstehen hinzuzufügen, da der Faden, der sie in einander schlingen soll, kaum sichtbar ist. Ew. Wohlgeboren erinnern sich der letzten Scenen in den Flegeljahren — Larventanz — Walt — Vult — Masken — Wina — Vults Tanzen — das Umtauschen der Masken — Geständnisse — Zorn — Enthüllungen — Forteilen — Schlußscene und dann der fortgehende Bruder. Noch oft wendete ich die letzte Seite um: denn der Schluß schien mir nur ein neuer Anfang — fast unbewußt war ich am Clavier, und so entstand ein Papillon nach dem andern. Möchten Ew. Wohlgeboren in diesen Ursprüngen eine Entschuldigung des Ganzen finden, das im Einzelnen sehr oft eine verdient!“ — Frau Henriette Voigt gegenüber bemerkte Schumann (1834), daß er den Text der Musik untergelegt, nicht umgekehrt. „Sind Ihnen die Papillons nicht an sich klar? Es ist mir interessant, dies zu erfahren.“

{327} Rellstabs Recension (Iris 1832, S. 83) war kühl, aber nicht unfreundlich gehalten. Ihm fehlte der „Schlüssel“, um die „Räthsel“ der Composition lösen zu können. „Das Kunstwerk darf nicht durch ein fremdes Etwas, es muß ganz allein, voll, durch sich selbst verständlich sein; die Seele muß in ihm, nicht außer ihm wohnen, sonst ist es nicht mehr als der Leichnam auf der Bahre, dessen Seele schon über den Sternen weilt“. Rellstab schloß mit den Worten: „Mit Liebe und Freundschaft reiche ich dem Dichter, wenn auch nur in Tönen, die Hand; dem Musiker strecke ich die Hand auch entgegen, aber mit einem scharfen Hieber bewaffnet und in der Auslage zum Zweikampf“. Die Recension stimmte Schumann froh und dankbar, so daß selbst der „hingeworfene Handschuh“ ihn nicht verletzte, „Ich heb' ihn aber auf“ (schrieb er Rellstab bei Zusendung der Paganini-Studien Werk 3) „mit den beifolgenden Paganinianis. Nehmen Sie die Arbeit in Gunst auf und meine Bitte um gütige Vormundschaft. Spreche ich auch nur für ein Stiefkind, so zog ich es groß mit Fleiß und Lust, auch nicht ohne eigenes Interesse, da es mein theoretisches Examen vor der Kritik sein soll. Im Ernst, — die Arbeit war herrlich, aber sonst nicht leicht, da die Harmonieen oft dunkel und mehrdeutig (selbst uncorrect), auch manche der Capricen an Rundung und Einheit der Form nicht ganz meisterhaft zu nennen sind. Beim ersten Durchspielen eines solchen einstimmigen Satzes ist’s einem oft wie in einem luftleeren Raum; später, wenn man die feinen durchgehenden Seelenfäden aufgegriffen hat, wird es aber schön und licht und der fremde Genius klar. Doch mag ich lieber sechs eigene machen, als noch einmal drei bearbeiten“. Nach der (lobenden) Anzeige dieses Heftes (Iris 1833, S. 3) erschienen im Jahrgang 1834 Besprechungen des 4. und 5. Werkes. Ueber die Intermezzi sagt Rellstab: „. . . . Bestrebte sich der Componist ebenso das Natürliche zu erreichen, wie er sich Mühe gibt, originell durch Seltsamkeit zu sein, so müßten wir alle Achtung vor ihm haben. So aber glauben wir und sagen es ihm grade heraus, daß er auf einem völligen Irrwege ist. In seiner Arbeit behagt uns, und wie könnte es anders sein, Einzelnes sehr wohl, allein das Ganze stößt uns durchaus zurück. Diese Art vou Modulation, diese abgebrochenen Rhythmen, diese gesuchten Künsteleien der Finger, alles thut der Natur Gewalt an. Zugleich werden die Compositionen dadurch sehr schwierig, und der Verfasser verlangt also auch ein besonderes Studium für seine freudlose Arbeit von uns. Dies ist zu viel. . . . . Unser Wunsch ist, diese Worte möchten den Componisten nicht kränken sondern bestimmen, einen andern Weg einzuschlagen“.

Trotz der abfälligen Kritiken blieb Schumanns Gesinnung gegen Rellstab dieselbe achtungsvolle, die auch aus der „Journalschau“ (Neue Zeitschr. 1834 S. 193) hervorleuchtet, worin die „Iris“ eine eingehende Besprechung findet. Sie lautet im Wesentlichen:

„Im ehrendsten Sinn könnte man den Titel gleich für den Träger wie für die Last nehmen, theils für den Regenbogen selbst, theils für die Göttin, die auf ihm vom Himmel gleitet. Dort könnte man ihn als siebenfarbigen Halbkreis des Friedens deuten, hier wäre es die Himmlische, die Kunde bringt von ihren Ebenbürtigen. Die indische Sage geht noch weiter und läßt alle Götter auf dieser ätherischen Hängebrücke zur Erde hinabsteigen. Es klänge nach Schmeichelei (wenn sie auch Recensenten Recensenten gegenüber mehr ausüben als gegen Autoren), wollte man vom Vorliegenden das Letzte behaupten. Aber einzelne kommen in Augenblicken herab, nicht allein welche von Fleisch und Gestalt,

{328} sondern von Geist und Gedanken, noch dazu griechische, leise verhüllte. [Folgen Zitate aus der Iris.] Man könnte die Regenbogenvergleiche noch weiter treiben, etwa entschuldigend: „hat doch der Astronom Frauenhofer in den reinen Irisfarben dunkelschwarze Streifen entdeckt, und du wolltest zürnen, wenn einmal eine schöne Seele irrt“? oder tadelnd: „diese Iris ist allerdings ein Regenbogen, der, wie der idealische Mensch, mit dem Fuß an der Erde haftet, während das Haupt die Wolken berührt, er ist aber einfarbig“, oder auf die Zeit angewandt: „der unbewölkte Himmel malt keinen, wohl aber der dunkle — desto fester tritt er dann hervor“. Und dergleichen ließe sich viel sagen, wäre man nicht vom Ernst einer Journalschau lebhaft durchdrungen. Rellstab selbst war es (haben wir gehört), der sich einmal mündlich gegen einen Freund über die jetzige Zeit und die Kunstmenschen in ihr geäußert: einen Hasen können sie todtschießen, einen Löwen aber nicht erwürgen. Dieser Timonsgedanke, ob er schon packt, schneidet denn auch überall durch“.

An verschiedene abfällige Urtheile Rellstabs über jüngere Componisten (Schumann, Keßler und namentlich Chopin), in denen er „eine ganze Schule für Irrungen“ erblickte, knüpft Schumann folgende Bemerkungen: „Wir glauben und hoffen nicht, daß Rellstabs Kraftmaß als Virtuos ihn in seinem Urlheil bestimme. Er selbst wird nicht von Schiller verlangen, daß er seinen hundertstimmigen Wallenstein ungeschrieben lassen sollen, weil ihn Winkeltruppen nicht aufführen können, oder einen Reisenden, der vielleicht nach Griechenland wandert, glauben machen wollen, er sei auf einem falschen Weg, weil er (Rellstab) nach dem Norden zu will — verschiedene Kräfte verlangen verschiedene Nahrung, und wir gehen eben nicht denselben Weg. Es scheint uns aber hier der Ort, obwohl dem Versprechen der Einleitungsworte der Journalschau entgegen, nach dem wir die einzelnen Organe durch sich selbst sprechen lassen wollten, unsere Meinung über diesen Gegenstand auszusprechen. Sie geht dahin.

Rellstab hat das Verdienst, der erste zu sein, der ohne Rücksicht, mit Ausdauer, daher mit Glück die Richtung unterbrochen hat, welche die Deutschen den italiänern und Franzosen nachzugehen anfingen. Damit zugleich that er einen Angriff gegen die verkühlte kritische Sprachweise, gegen den Geist der Unentschiedenheit, der sich den Schein der Unparteilichkeit gab, um seine Charakterlosigkeit zu verbergen. Sonderbar kam es jedoch, daß, während er dem Feind auf den Fersen nachfolgte mit allen Waffen des Witzes und Spottes (das Engelsschwert ist noch einem Kunstgenie aufgehoben), im Rücken ein neuer aufstand, von dem er selbst zugibt, daß er vornehmerer Abkunft sei. Hätte er sich mit dem letzten vereint, so war jener ohne Weiteres verloren. So aber kam er dem edleren Gegner, der noch dazu jugendlich, zukunftsvoll, also mächtiger dasteht, keine Spanne entgegen, ja er blieb mit einem Starrsinn auf seiner Stelle, daß dieser ihn nun weniger beachtete, während er sonst einen wohlwollenden Vorwurf des Excentrischen und Extremen dankbar aufgenommen und benutzt hätte. Erst in der jüngsten Zeit scheinen sich beide Parteien anzunähern; wenigstens erkannte die eine das neue Fürstenthum de facto an, das die andere schon de jure zu besitzen glaubt.... Wie dem auch sei, möge durch diesen Gegendruck die neue Blüthe länger zurückgehalten worden oder die künftige Frucht eine wirklich giftige sein, so bleibt an sich die Gesinnung dieser Götterbotin eine edle, ihres Ursprungs würdige, und wenn auch die Ehrfurcht vor zwei Künstlern, Bernhard Klein und Ludwig Berger, die Schuld tragen sollte, daß Rellstab die späteren Zeitgenossen zurückmessen wollte, so bleibt es immer anzuerkennen daß {329} diese Geister, die vielleicht sonst, wenn nicht untergegangen, doch übersehen worden wären, von ihm verherrlicht worden sind, wie sie es in solchem Maß verdienen… Wir schließen diese Bemerkungen mit Dank gegen einen echten Künstler; er ist Ludwig Rellstab selbst. Der ältere Streiter hat uns jüngere Kunstkämpen unaufgefordert mit solcher Theilnahme der Welt als turnierfähige Jünglinge vorgestellt [vgl. Iris 1834, S. 87], daß wir die Schwerter um so schärfer schliffen, einzuhauen in alles Kranke, Unkünstlerische und Häßliche. Und wenn wir auch hier und da Anderes schützten und angrissen, so erinnere er sich der Worte, die er uns vor Kurzem selbst schrieb: „Es gäbe ein großes Unglück, wenn wir stets dieselbe Ansicht theilten, da selbst das Vielseitigste noch einseitig ist gegen die tausendseitige Welt in der Menschenbrust“.

Die persönlichen Beziehungen der beiden Redacteure zu einander waren die ersten Jahre freundlicher Art, Rellstab betheiligte sich 1834 und 35 sogar als Mitarbeiter an der Neuen Zeitschrift. Dagegen hat er sich mit den Compositionen Schumanns niemals befreunden können; sie berührten ihn „förmlich unangenehm“, wie er bei Besprechung des Allegros Werk 8 sagte. „Wir werden leider mit dem sonst so von uns geachteten, wir möchten sagen, uns befreundeten Componisten hier stets aufeinandertreffen wie entgegengesetzte Pole des Magnets“. (1836, S. 40.) Das war ein im Grunde unhaltbares Verhältniß. Allmählich trat denn auch eine Wandlung ein, die damit begann, daß Rellstab in der Pariser Gazette musicale (1837, Nr. 50) gelegentlich eines Berichts über den Zustand der Musik in Deutschland von der Neuen Zeitschrift tadelnd bemerkte, „daß sich ihre Mitarbeiter leider gar zu oft unter einander selbst lobten“. Schumann wies diese verletzende Aeußerung gegen ein „mit Opfern erhaltenes Institut, das seine ganze Ehre gerade in seine bewiesene Unparteilichkeit, seine treu bewahrte Künstlergesinnung setzt“, mit ernsten Worten zurück. (1838, VIII, 28; Gazette musicale 1837, S. 577.) Mit dem guten Einvernehmen zwischen beiden war es vorbei. Zwar brachte die Iris hernach noch zwei Besprechungen Schumannscher Werke — der symphonischen Etuden (1838) und der Kinderscenen (1539) — aber namentlich die letztere war in so überlegen-abweisendem Tone geschrieben, daß Schumann seinen Unwillen nicht verbarg. „Ungeschickteres und Bornirteres ist mir nicht leicht vorgekommen“, schrieb er an Dorn, „als es Rellstab über meine Kinderscenen geschrieben. Der meint wohl, ich stelle mir ein schreiendes Kind hin und suche mir die Töne dann danach..... Rellstab sieht aber wahrhaftig nicht viel über das A B C hinaus manchmal und will nur Accorde“. Auch in der Zeitschrift wurde Schumanns bis dahin sehr rücksichtsvolle Haltung gegen Rellstab eine andere, die Verschiedenheit ihrer Kunstrichtung trat schärfer hervor. Daß Schumann trotzdem doch keine feindselige Gesinnung gegen Rellstab hegte, ersieht man aus den Worten, mit denen er (1842, XVI, 8) die Nachricht von dem Aufhören der Iris meldete: „Herr Rellstab scheidet mit so antheilerregenden Worten von seinen Lesern, daß man ihn nur ungern ziehen sieht. Wir bedauern den Zurücktritt dieses wenn oft starren, aber redlichen und ehrenwerthen Mannes auf das Aufrichtigste“. — Schumanns Verhältniß zu Gottfried Weber und dessen Cäcilia war immer ein erfreuliches. „Große Freude“ machte ihm die Beurtheilung seiner Erstlingswerke durch G. Weber iden „auserlesensten unserer Kritiker“). Ein Auszug daraus mag darlegen, daß Weber zu den wenigen gehörte, die Schumanns Begabung früh erkannten. „Nicht versagen darf ich dem (wie ich wiederholt voraussetze,

{330} jungen) Componisten das Zeugniß, daß aus seinen — nicht sowohl unreifen, als vielmehr im Treibhaus vorzeitigen Haschens nach Außerordentlichteit gereiften Productionen dennoch so viel Genialität hervorblickt, daß man gar nicht wissen kann, ob er nicht aus dem gegenwärtigen Gewirre abenteuerlicher Tongebilde seiner Zeil den Weg zur Einfachheit und Natürlichkeit zurück und von da zur Höhe der Kunst finden wird. Ich habe zwar schon oft daran erinnert und es jungen Tondichtern als Studienplan zur Nachahmung empfohlen, daß das höchste Musikgenie aller Zeiten, Mozart, mit ganz einfachen, ja bis zur Trivialität einfachen, nur immer auf Wohlklang berechneten Compositionen angefangen und so, von unten anfangend, die höchste Stufe erstiegen hat, auf welcher er sich dann erst erlaubte, dem Gehöre mitunter auch wohl einmal etwas Ungewöhnliches und Herbes zu bieten, was er in seiner vollendeten classischen letzten Epoche sogar wieder gänzlich unterließ! — die Introduction zum C dur-Quartett war das Letzte, was er sich in dieser Art erlaubt hatte;) — unsere heutige Generation aber will es nicht machen wie Mozart, will nicht von unten, sondern gleich oben und allerwenigstens mit dem anfangen, was Mozart auf seiner Höhe sich erlaubt (noch höher aber sogar wieder aufgegeben) hat. Doch auch diesem Bildungsgange wollen wir keineswegs das Verdammungsurtheil sprechen; auch er kann durch Umwege, namentlich durch den des Zurückkehrens zur Natürlichkeit und Einfachheit, ans Ziel führen, — und ich wiederhole es: wer weiß, was aus einem, wenn auch allzu vorzeitig wilde Funken sprühenden jungen Künstler, wie Herr Schumann, noch werden kann? Wir wenigstens wollen ihm das beste Glück nicht nur wünschen, sondern wir dürfen es auch hoffen, indem ihm au manchen Orten, wo das ewige Bestreben, ganz außerordentlich genial und original zu sein, ihn vorübergehend zu verlassen scheint, gar Manches recht lobenswerth gelingt“.

Weitere Besprechungen Schumannscher Werke erschienen in der Cäcilia nicht. Als Beweis aber für Webers Aufmerksamkeit auf den Componisten darf es gelten, daß er sich im December 1837 mit der Bitte an Schumann wandte, ihm seine zuletzt erschienenen Werke einzusenden (Vgl. Kohut’s „Friedr. Wieck“ S. 109.) Eine Recension derselben ist freilich nicht erfolgt. G. Weber starb den 21. Sept. 1839. —

Castellis „Allgem. musikal. Anzeiger“ hat Schumanns Compositionen immer nur günstig beurtheilt, was in einem Wiener Blatte der dreißiger Jahre doppelt ausfällt. Hier folge das Wesentliche aus den Beurtheilungen.

(Ueber Werk 1 und 2.) „Es ist allerwege hübsch, wenn man auf eigenen Füßen ruht und keiner Krücken noch Anderer Schultern zur Unterstützung benöthigt. Der uns zum ersten Male begegnende, wahrscheinlich noch jugendliche Tondichter gehört zu den seltenen Erscheinungen der Zeit; er hängt an keiner Schule, schöpft aus sich selbst, prunkt nicht mit fremden, im Schweiße des Angesichts zusammengelesenen Federn: hat sich eine neue ideale Welt erschaffen, worin er fast muthwillig, zuweilen sogar mit origineller Bizarrerie herumschwärmt; und schon aus diesem Grunde, eben weil ihm die Phönixeigenthümlichkeit inne wohnt, der Accolade [des Ritterschlags] nicht unwerth ist. Freilich werden Manche, sonderlich Jene, für welche beispielshalber Jean Pauls tiefgefühlte Lebensbilder böhmische Dörfer sind, oder welche vor Beethovens genialen Blitzstrahlen abhorresciren, als ob ihnen ein Vomitiv verabreicht würde — probabiliter, sag' ich, werden diese Herren in as und es auch daran gewaltig Aergerniß nehmen, ob der Kühnheit des obscuren Neophyten das Näslein rümpfen und erklecklich Aufsehen davon machen; vielleicht wohl gar über {331} das: „wie es ist“ und „wie es sein sollte“ einige Bücher Papier consumiren und ein Viertelhundert Federn abstumpfen; — immerhin! — was einmal der Oeffentlichkeit übergeben wird, fällt auch dem allgemeinen Urtheile anheim; ein belehrendes verschmäht nur der Eigendünkel, während es der nach höherem Strebende dankbar empfängt, aber treu bleibt seinem Genius, der ihn nicht leicht auf eine Irrbahn verleitet....... “ (1832 Nr. 26.)

(Ueber W. 3.) Nach eingehender Besprechung des die Studien einleitenden Vorworts lauten die Schlußworte:

„Der Sache Wichtigkeit mag dieser ungewöhnlich ausgedehnten Anzeige zur Entschuldigung dienen. Es war ein mit zahllosen Schwierigkeiten verknüpftes Problem; doch es ward begonnen mit gleich großer Liebe, Beharrlichkeit und Umsicht, und steht nun vollendet da auf eine Art und Weise, daß alle Pianisten wahre Freude, vielen Genuß daran haben und dem Verfasser dafür hochverpflichtet sich bekennen müssen.“ (1833, Nr. 10.)

(Ueber W. 5.) „Wir gestehen offenherzig, lange, vielleicht noch nie, sind uns so höchst eigenthümliche, wunderbare, ganz originelle Ideengänge vorgekommen, wie in diesen 12 thematisch geführten Sätzen, von denen nur die beiden letzten länger ausgesponnen, die gleichsam Variationen zu sein scheinen und doch wieder keine sind, die fast unschuldig aussehen und dennoch die heimliche Tücke, den losen Schalk nicht bergen können. Mit Bewunderung haben wir die selbständige Auffassung, das consequente Festhalten, die ungemein fleißige Arbeit, die fremdartigen Rhythmen, die reiche Phantasie schon beim aufmerksamen Durchlesen erkannt. .......Indem wir den Inhalt dieser 15 Seiten — nach bester Ueberzeugung — ein wirklich geniales Kunstproduct nennen, so mit vielen, die einen gefeierten Namen an der Stirn tragen, ungescheut sich messen darf, muß auch der Verlagshandlung mit Auszeichnung gedacht werden; schon die Herausgabe eines Werkes, das so himmelweit die Grenzen einer beliebten Popularität überschreitet und demnach geringen finanziellen Gewinn verheißt, fordert einen beherzten Entschluß, wie ihn nur Selbstkenntniß und reiner Kunstsinn erzeugen kann “ (1834, Nr. 37.)

Diese Recensionen sind mit der Chiffre 76 gezeichnet, hinter der, wie Schumann vermuthete, Grillparzer sich versteckte. Nach Hanslicks Mittheilung aber („Musikal. Stationen“ S. 356) hat Grillparzer sein Talent als Musikkritiker „niemals für die Oeffentlichkeit ausgeübt.“

Die folgende, mit „56“ gezeichnete Besprechung der Intermezzi sei hier noch mit herangezogen, obwohl sie erst ein paar Monate später erschien, als Schumann auf die bereits vorhandenen hinwies.

„Einer unser liebwerthen Collegen hat sich schon bei mehreren Anlässen über die genialen Compositionen dieses interessanten Pianisten gebührend ausgesprochen, und die vorliegenden Werke [Toccata, Allegro und Intermezzi] zwingen uns, jenem allerdings competenten Urtheile beizupflichten. Wir haben selbe genau, sorgfältig, strengprüfend durchgesehen, oder richtiger bezeichnet: durchstudirt; können jedoch ohne versinnlich erläuternde Notenbeispiele, so uns leider nicht zu Gebote stehen, platterdings keinen vollständigen Abriß davon geben; hoffen indessen, daß auch das Inhaltsskelett den beabsichtigten Zweck nicht verfehlen und die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde erregen müsse..... “ (1835, Nr. 39.)

In der (von Schumann unerwähnt gebliebenen) Anzeige der Intermezzi im {332

„Kometen“ vom 7. März 1834 wird gesagt, daß sie sich „der Form nach den größeren Beethovenschen Scherzos anschließen und hinsichtlich ihrer schönen, außerordentlich vollstimmigen Harmonie sowohl, als wegen der charaktervollen, niemals ins Gewöhnliche streifenden Melodie genial und höchst gelungen genannt zu werden verdienen.“ Der Componist wird auf die Sonatenform hingewiesen, in der er „Ausgezeichnetes leisten werde.“ Nie verwerfende Recension der Intermezzi in der Iris veranlaßt den (ungenannten) Veurtheiler zu der Bemerkung, daß sie „einen gerechten Zweifel gegen Rellstabs kritische Autorität“ errege.

34 (S. 124). Dieser Artikel wird derselben Hand (— Schumanns —) zugeschrieben werden müssen, die nach dem Concert in der Zeitschrift (1835, II, 196) schrieb: „. . . Ueber die Sängerin sagte Jemand neben mir: ,man sähe ihren Gesang und höre ihre Gestalt, so innig harmonirten hier Seele und Hülle.’ Ich weiß nur, daß ich an die Stelle eines Rossinischen Gesangquartetts zum Schluß und letzten Abschied gern das vorhergehende Lied von Banck gewünscht hätte; oder es müßte Einer unter vielen Augen lieber Abschied nehmen als unter vieren (zwei davon gehören dem Publicum). Es gehe ihr wohl!“ — Livia Gerhardt hatte einige Jahre der Leipziger und der Berliner Bühne angehört, als sie sich (1836) mit dem Dr. jur. Prof. Woldemar Frege in Leipzig verheirathete, dessen Haus seit der Zeit der Sammelplatz der hervorragendsten Künstler war. Schumann stand lebenslang in freundschaftlichem Verkehr mit der hochbegabten Künstlerin und bewies ihr seine Verehrung durch die Widmung der Reinickschen Lieder (Werk 36). In den Gewandhausconcerten sang Frau Dr. Frege auch in späteren Jahren noch bisweilen, wenn besondere Veranlassungen ihre Mitwirkung wünschenswerth machten, — immer mit derselben Hingebung und derselben Zaubermacht. Als „Peri“ hat sie Schumann wahrhaft beglückt, wie Dörffel berichtet. „Nie wieder, wenigstens in Leipzig nicht, hat ihr eine Peri-Sängerin gleichkommen können.“ — Die aus Schumanns Nachlaß herausgegebenen Lieder Werk 142 widmete Frau Clara Schumann der langjährigen Freundin.

35 (S. 126). Da von diesen drei, nach Form und Ton so ganz übereinstimmenden Notizen die (zweite( unzweifelhaft von Schumann geschrieben ist, so rühren wohl alle drei von ihm her. — Als Lipinski (den Paganini seinen gefährlichsten Concurrenten nannte) Anfang August Leipzig verlassen hatte, schrieb Schumann in der Zeitschrift: „Dieser herrliche Künstler wird hier unvergeßlich bleiben.“ Im Herbst 1836 kam Lipinski abermals auf einen Monat nach Leipzig, wo Schumann ihn privatim auch in Beethovenschen Quartetten und Bachschen Sonaten (mit Mendelssohn am Clavier) spielen hörte. „Mit Lipinski verlebte ich viele schöne Stunden; er liebt mich, glaub' ich, wie seinen Sohn“, schrieb er seiner Schwägerin Therese. So geschah denn die Widmung des Carnaval an Lipinski (Herbst 1837) wohl im Gefühl herzlicher Zuneigung.

36 (S. 133). Zur Vergegenwärtigung des Eindruckes, den Schumann von Berlioz' Symphonie empfangen hatte, mögen einige von den Mottos dienen, mit denen die Nummern der Zeitschrift, welche die Besprechung derselben enthielten, eröffnet waren:

„Der seltne Mann will seltenes Vertraun; Gebt ihm den Raum, das Ziel wird er sich setzen.“ {{Right|Wallenstein.

{337}

„Die vermehrte Kunstbildung kann zwar im Betreff der Politur viel verbessern: aber was man Kraft und Saft nennt, das quillt immer aus dem eignen Reichthum des Genius, und gewöhnlich äußert sich die Kraft, wenn ihr eine gewisse Politur fehlt, mit einer Gediegenheit und Naivetät, welche die vollendetste Kunstbildung nicht geben aber sehr leicht unterdrücken kann.“

{{Right|Thibaut.

„Jeder Genius muß nur nach dem, was er selbst will, studirt werden.“ {{Right|Heinse.

37 (S. 139). Schumann druckte Fétis' in der Revue mus. erschienenen „fulminanten, übrigens kostbar geschriebenen“ Aufsatz über Berlioz' Compositionen in der Zeitschrift ab (1835, II, 197), nachdem er sich die Symphonie aus Paris verschrieben hatte. Ueber diese sagt er in einer Vorbemerkung: „Mit Entsetzen sahen und spielten wir. Nach und nach stellte sich unser Urtheil fest und dem des Hrn. Fétis im Durchschnitt so hart gegenüber, daß wir, theils um die Aufmerksamkeit der Deutschen doppelt auf diesen geistreichen Republikaner zu ziehen, theils um Manchem Gelegenheit zu eigenem Vergleichen zu verschaffen, die Fétissche Recension kurz und frei übersetzt unsern Lesern vorzulegen beschlossen.“

Fétis' Aufsatz lautet mit einigen Kürzungen:

„Ich erinnere mich, daß einmal vor ungefähr zwölf Jahren, als ich Mitglied der Jury über die Compositionsklasse am Conservatorium der Musik war, sich unter den Zöglingen, die ihre Prüfungsarbeiten beibrachten, ein junger Mensch befand, den die Sitzung sehr zu ennüyiren schien. Er legte mir, ich weiß nicht mehr was für ein Unding vor, das er für doppelten Contrapunct ausgab, das jedoch nichts als ein Gewebe harmonischer Greuel war. Ich corrigirte einiges daran und setzte dem jungen Manne die Gründe dazu auseinander. Statt aller Antwort sagte er, er habe den größten Abscheu vor allen Studien und glaube, daß sie einem Menschen von Genie gar nichts nützten. Ueber dieses Glaubensbekenntnis; geriethen der Director am Conservatorium [Cherubini] und einige meiner Collegen in großen Zorn; ich für meine Person nahm die Sache nicht so streng, sagte dem jungen Menschen, daß das Studium in der Musik nur denen etwas hülfe, welche den Nutzen uud Endzweck davon einfachen, und rieth dem jungen Contrapunct-Todtschläger, sich mit Dingen, die er so wenig achtete, gar nicht abzugeben und sich frei seinem Genie zu überlassen, falls er welches hätte. Er folgte mir, verließ das Conservatorium und fing von da an, seine Rolle als Reformator der Mnsik zu spielen. Dieser junge Mensch war Herr Berlioz......

Endlich vor ungefähr acht Jahren kam der Tag, wo Herr Berlioz ein Concert gab, um uns seine Compositionen hören zu lassen; das kleine Publicum bestand fast blos aus seinen Freunden und Gästen. Hier hörte man zum erstenmale seine „phantastische Symphonie.“ Man glaubte dabei den Alp zu bekommen; doch bemerkte man den Marche du supplice wegen der Neuheit einiger Effecte und klatschte. Von diesem Moment an bildete sich meine Meinung über Herrn Berlioz; ich sah, daß er keinen Sinn für Melodie, kaum einen Begriff von Rhythmus hatte; daß seine Harmonie aus meistens monströsen Klumpen von Noten zusammengesetzt, nichts destoweniger platt und monoton war; mit einem Worte, ich fand, daß es ihm an melodischen und harmonischen Ideen fehlte, und urtheilte, daß sich sein barbarischer Stil nie cultiviren werde. Doch bemerkte ich Instrumentations Instinct an ihm und meinte, daß er sein Talent für manche Combinationen, die dann Andere besser als er anwenden könnten, ausbilden werde.

{334} Trotz dem, daß Herr Berlioz meine Meinung über seine Werke kannte, hatte er doch Zutrauen zu mir und wandte sich mehrmals an mich, weil er mich für einen Mann hielt, der den Künstler gern ausmunterte und gewähren ließ.....

Die Lage der Dinge hat sich sehr geändert. Die Zeit ist vorbei, wo ich Herrn Berlioz gegen die Verachtung einer ganzen berühmten Schule, gegen das Publicum trotz meiner eignen Abneigung in Schutz nahm; jetzt geberdet sich Herr Berlioz als ein Neuerer, der über seine Gegner triumphirt habe .... Man sieht ein, daß Nachsicht gegen einen solchen Menschen übel angebracht wäre, er würde sich dadurch sogar beleidigt fühlen....

Immer habe ich gewünscht, daß die Werke des Herrn Berlioz in das Publicum gelangen möchten, d, h. nicht in eins aus lauter Freunden sondern in das aufgeklärte, mit gesundem Menschenverstand urtheilende Publicum. Die Publication, der große Tag der Publication erschien mir durchaus als nöthig, um allen Disputationen und Coterien ein Ende zu machen. Wie viele voreilige Berühmtheiten sind zu Schanden geworden, wenn sie an die Sonne der Welt traten. Mit Berlioz, meint' ich, würde es nicht viel anders sein....

Der Symphonie ist ein Programm über den Inhalt jedes der fünf Theile, aus denen sie besteht, angebogen. Ich habe schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht, daß solche Programme der beschränktesten Idee, die man sich von der Musik machen kann, angehören, denn die Macht dieser Kunst liegt eben in ihrer Unendlichkeit. Ich werde daher nicht untersuchen, ob jeder von den Abschnitten dem Plane entspricht, den der Componist in seinem Programme vorgezeichnet hat, weil ich weiß, daß die Musik das, was er fordert, nicht ausdrücken kann und schon dieser Anforderungen halber verunglücken mußte.“ —

[Nach einer kurzen Schilderung der einzelnen Satze heißt es:]

„In einem kürzlich publicirten Artikel versichert Herr Berlioz, daß ein Tag kommen werde, wo man den Künstler nicht mehr in Betreff der Anwendung seiner Ideen und der zur Versinnlichung seiner Gedanken gebrauchten Mittel quälen werde. Dieser Tag ist gekommen, Herr Berlioz! Wagen Sie alles, wenn Sie die Natur zu einem Musiker geschaffen hat, wenn Sie wahres Schönheitsgefühl in sich tragen, wenn es Ihnen nicht an Phantasie fehlt; aber bleiben Sie, der Sie alle erdenklichen Mittel aufbieten, nicht hinter Ihren Prätentionen zurück und verrathen Sie Ihre Schwäche und Ohnmacht nicht! Haben Sie mit einem Worte das, was Ihnen vor Allem gebricht, wahres schöpferisches Genie, und wir wollen Ihnen alles erlauben, — die heute als Ihre Richter dastehen, sollen fortan Ihre Bewunderer werden! Bis dahin aber lassen Sie sich es gesagt sein: Sie mögen sich geberden wie Sie wollen, deshalb wird das, was Sie bis jetzt componirt haben, noch lange nicht zum Kunstwerk!“ —

Wie Fétis, so urtheilte auch Mendelssohn sehr ungünstig über Berlioz. In einem Briefe an Moscheles (April 1834) sagt er über seine Instrumentirung: „Sie ist so entsetzlich schmutzig und durcheinander geschmiert, daß man sich die Finger waschen muß, wenn man mal eine Partitur von ihm in der Hand gehabt hat. Zudem ist es doch auch schändlich, seine Musik aus lauter Mord und Noth und Jammer zusammenzusetzen; denn selbst, wenn’s gut wäre, käme nichts anderes darin vor als dergleichen atrocités. Er hat mich eigentlich zu allererst recht melancholisch gemacht, weil er so klug und kalt und passend über alle Anderen urtheilt, so gänzlich

{335} vernünftig ist, und so grenzenlos unvernünftiges Zeug bei sich gar nicht bemerkt.“ In der Symphonie kommt ihm die ganze Musik „so schrecklich langweilig“ vor „und das ist das Schlimmste. Toll und unverschämt und frech und ungeschickt kann doch zuweilen noch lustig amüsant sein, aber dies ist so fade und unlebendig.“ (25. März 1835). Mendelssohn hatte, als er dies schrieb, bereits seine vier Concertouverturen, das G moll-Concert, das Octett, die A dur-Symphonie, den größten Theil des Paulus u. s. w. componirt. —

38 (S. 143). Ueber dies „Treffen“ sprach sich Schumann schon, bevor er die Symphonie kennengelernt hatte, aus. Er druckte (1835, II, 102) das Urtheil Börnes über die Symphonie aus dessen „Briefen aus Paris“ (Nr. 16, v. 8. Dec. 1830) ab. Börne schrieb: „Sonntag habe ich einem Concerte im Conservatoire beigewohnt. Ein junger Componist, Namens Berlioz, ließ von seinen Compositionen aufführen: das ist ein Romantiker. Ein ganzer Beethoven steckt in diesem Franzosen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles sehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine dramatische in fünf Acten, natürlich blos Instrumental-Musik; aber daß man sie verstehe, ließ er wie zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text drucken. Es ist die ausschweifendste Ironie, wie sie noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles gottlos. Der Componist erzählt darin seine eigene Jugendgeschichte. Er vergistet sich mit Opium und da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordet und werde zum Tode verurtheilt. Er wohnt seiner eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unvergleichlichen Marsch, wie ich noch nie einen gehört. Im letzten Theile stellt er den Blocksberg vor, ganz wie im Faust, und es ist alles mit Händen zu greifen. Seine Geliebte, die sich seiner unwürdig zeigte, erscheint auch in der Walpurgisnacht; aber nicht wie Gretchen im Faust, sondern frech hexenmäßig .. ..“ Zu den gesperrt gedruckten Worten bemerkte Schumann in einer Fußnote: „Das fürchten wir eben.“

39 (S. 150). Dies ist die ausführlichste Kritik, die Schumann geschrieben. Als scherzhaftes Gegenstück mag auch die kürzeste aus seiner Feder hier eine Stelle finden. Unter der Aufschrift „Monstrum“ druckte er aus einer zur Recension eingesandten „Geschichte der Musik aller Nationen, nach Stafford und Fétis, mit Benutzung der besten deutschen Hülfsmittel etc.“ eine Blüthenlese unglaublichen Unsinns ab und schrieb darunter: „Das Publicum wird demnach wohlthun, wenn es uns nachahmt, die wir vor den Augen Mehrerer das Buch feierlich zerreißen und hinter den Ofen werfen.“ (1835, III, 120).

40 (S. 155). Die Echtheit dieses Artikels wird durch Loewe selbst bestätigt. S. dessen Selbstbiogr., herausgeg. v. C. H. Bitter, Berlin 1870.

41 (S. 158). Diesen Aufsatz glaube ich unbedenklich Schumann zuschreiben zu müssen. Deuten schon die ideale Kunstanschauung, die geistvolle Sprache, die freudigen Worte über Mendelssohn, die ehrfurchtsvollen über den „alten Bach“ (lvergl. den „alten Sebastian“ im 4. Schwärmbrief) auf Schumann hin, so erkennt man ihn ganz besonders auch an der bewundernden Huldigung, die er aus der Tiefe warmer Empfindung heraus der hohen Künstlerin Clara darbringt. Drei Monate später gestand er ihr seine Liebe. Vergl. auch den Schluß des dritten, wenige Tage nach diesem Aufsatz geschriebenen Schwärmbriefes.

42 (S. 159). Die Schwärmbriefe geben ein so schönes Bild von Schumanns echter Dichternatur, daß die Aufnahme aller vier Briefe keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Die darin gegebenen thatsächlichen Mittheilungen — vorwiegend die {336} ersten Gewandhausconcerte unter Mendelssohn betreffend — bilden die Unterlage, in ihrer phantastisch-freien Einkleidung aber tritt überall Schumanns Neigung hervor, seine Erlebnisse poetisch zu verklären, Künstler und Künstlerinnen in einer geheimnißvollen Verschleierung auftreten zu lassen (vergl. Anm. 4). Ueber seinen Wunsch, auf diese Weise Alltägliches oder weniger Erhebliches in anziehender Form behandelt zu sehen, spricht er sich mehrfach aus. Als er Franz Otto (in London) zur Mitarbeitcrschaft an der Zeitschrift aufforderte (9. Aug. 1833), schrieb er: „Es wäre wünschenswerth, daß Du als Ferner den Briefstil als den lebendigsten und den Verhältnissen nach den natürlichsten wähltest und etwa an eine ideale Person (eine Geliebte, Vult Harnisch, Peter Schoppe) schriebest.... Hast Du nicht Lust, Deine Gedanken einzurahmen oder zu garniren, so überlaß mir dies die Naturfrucht soll schon durchschimmern.“ Töpken regte er zur Fortsetzung seiner unterbrochenen Correspondenzen mit den Worten an (6, Febr. 1835): „Haben Sie so wenig historischen Stoff, nun, so bauen Sie die schönsten kritischen Bemerkungen ein. Sie kennen mich ja und wissen, wie wenig mir an den Künstlern und wie viel an der Kumt liegt, ich meine, wie wenig personell Ihr Bericht zu sein braucht, wenn Personen und Data fehlen sollten.“ — Die Schwärmbriefe sind auch an eine „ideale Person“ gerichtet: an Chiara, d. i. Clara Wieck, die sich aber nicht in „Mailand“ sondern in Dresden befand. Die gemeinschaftliche Fahrt nach Venedig ist ebenfalls erdichtet, Schumann mochte an seine eigene italiänische Reise (1829) zurückdenken.

43 (S. 160). Schumann kündigte in der Zeitschrift vom 4. Sept. Mendelssohns Ankunft mit den Worten an: „Felix Mendelssohn-Bartholdy ist in Leipzig angekommen, um die nächsten Winterconcerte im Gewandhaussaale zu leiten. Wir haben dieser Anzeige nichts hinzuzufügen, als was sich Jeder, der ihn recht innig verehrt, selbst sagen mag.“

44 (S. 162). Es ist zweifelhaft, wer hinter „Jonathan“ zu suchen sein mag, Wasielewskis Annahme, daß L. Schunke (der schon im December 1834 gestorben war) damit gemeint sein könne, theile ich nicht. Mehr Wahrscheinlichkeit spricht für Chopin, dessen persönliche Bekanntschaft Schumann in den ersten Tagen des Oct. 1835 machte. Er berichtete darüber unterm 6. October in der Zeitschrift (1835, III, 112): „Chopin war hier, aber nur wenige Stunden, die er in engeren Zirkeln zubrachte. Er spielt genau so, wie er componirt, d. h. einzig.“ Es entspricht ganz dem Charakter der beiden Davidsbündler, was der Schluß des Schwärmbriefes (der in der Nummer v. 20. Oct. Steht) besagt, daß nämlich Florestan zu ihm „stürzt“ und alsobald mit ihm disputirt, während Eusebius schon bei dem Gedanken „zusammenfährt“, mit dem verehrten Manne sprechen zu sollen. — Die Zeitschrift enthält nur zwei mit „Jonathan“ unterzeichnete Aufsätze (1836), die aber von Schumann selbst sind. Auch sonst bediente er sich manchmal der Unterschrift eines anderen Davidsbündlers.

45 (S. 162). Dieser Brief ist angeblich aus Mailand. Was darin über die Malibran-Garcia berichtet wird, beruht übrigens auf Thatsachen, denn am 12. Sept. 1835 war die geniale Sängerin in Mailand als Desdemona aufgetreten.

46 (S. 164). Anspielung auf die Strenge, welche Fr. Wieck (Meister Raro) beim Unterricht seiner Tochter anwandte,

47 (S. 164). Schumanns eigene Eriunerungen. Eingehenderes in seinem Briefe an Wieck, Heidelberg d. 6. Nov. 1829.

{337} 48 (S. 167). Es war C. Fr. Ebers, der in der Cäcilia (1825, II, 271) eine Auslegung der Symphonie versuchte, woraus sich denn die Legende der Hochzeitsfeier entwickelt haben mag. Ebers' Ausführung hat allerdings Schumanns Skizze hervorgerufen, allein sie verhält sich zu dieser wie Prosa zur Poesie. Sie schließt mit einem Appell an Beethoven selbst, der zum Aussprechen seiner Intentionen bewegt weiden soll. — Es mag nicht unerwähnt bleiben, daß Gustav Nicolai als erwiesen hinstellt, Beethoven habe in seiner A dur-Symphonie eine Bauernhochzeit schildern wollen. Aber obwohl er die eigene Erklärung Beethovens ausdrücklich als „geschichtlich“ bezeichnet („Arabesken f. Musikfreunde“ 1835, I, 128), so ist die Zuverlässigkeit seiner Mittheilung doch nicht als genügend verbürgt anzusehen.

Werthvoller als Nicolais unbeglaubigter Bericht möchte für die Deutung des Finales der A dur-Symphonie eine Thatsache sein, die Sir George Grove entdeckt und mir mitgetheilt hat. Das Thema des Finales weist nämlich eine merkwürdige Übereinstimmung mit dem Nachspiel des von Beethoven bearbeiteten irischen Liedes „Nora Creina“(s. Beethovens Werke, Gesammtausgabe von Breitkopf und Härtel, Heft 258, Nr. 8) auf.

Symphonie:

#Notenbeispiel

Nachspiel des Liedes:

#Notenbeispiel

Die Schlußstrophe des Textes lautet:

Fort mit Weisheit, trüb' und alt, Hah! Narrethei nur mag uns frommen; Still mein Lied — ein Laut erschallt, — Der Reigen naht — die Tänzer kommen. Wird dort einer, der mich sieht, Mir Lust und Narrheit taumelnd preisen, Er nur, der mich so berieth, Beim Himmel! machte mich zum Weisen.

       (Chor.) Du, der mehr als Weise weißt,
                   Sing dein Lied aus voller Brust;
                   Dankbar lauscht der Jugend Geist
                   Dem Wort, das Liebe räth und Lust. 

Beethoven bearbeitete die irischen etc. Gesänge in den Jahren 1810 bis 1815; die Symphonie vollendete er im Mai 1812.

49 (S. 169). Einige Jahre später (April 1838) schrieb Schumann an Clara über ihr A moll-Concert: „Es sind Sterne von Gedanken im ersten Satz — doch hat er keinen ganzen Eindruck auf mich gemacht. Wenn Du am Clavier sitzest, kenn' ich Dich nicht — mein Urtheil ist ganz eine Sache für sich.“

50 (S. 177). Von Schuberts Instrumentalwerken waren damals u. a. die Quartette in D moll und G, das Quintett in C, die Symphonie in C noch nicht bekannt geworden.

51 (S. 181). Die Ouverture zur Melusine wurde zum erstenmal am 23. Nov. 1835 im Gewandhause gespielt. In Abwesenheit Mendelssohns, der zum Begräbniß seines Vaters in Berlin war, hatte C.G.Müller die Direction übernommen.—

{338} Das Werk war noch nicht gedruckt, die Partitur, welche Schumann eingesehen hatte, Mendelssohns Originalhandschrift. Sie trägt am Schluß das Datum „Leipzig den 17. Nov. 1835“, componirt ist das Werk schon im Jahre 1833. Ueber die Anregung zu demselben schrieb Mendelssohn unterm 7. April 1834 an seine Schwester Fanny: „Ich habe diese Ouverture zu einer Oper von Conradin Kreutzer geschrieben, welche ich voriges Jahr um diese Zeit im Königstädter Theater hörte. Die Ouverture wurde da capo verlangt und mißfiel mir ganz apart. nachher auch die ganze Oper, aber die Hähnel nicht, sondern die war sehr liebenswürdig und namentlich in einer Scene, wo sie sich als Hecht präsentirt und sich die Haare macht, da bekam ich Lust, auch eine Ouverture zu machen, die die Leute nicht da capo riefen, aber die es mehr inwendig hätte, und was mir am sujet gefiel, nahm ich und kurz, die Ouverture kam aus die Welt und das ist ihre Familiengeschichte“.

52 (S. 187). Goethe lernte die ebenso durch Schönheit und Anmuth wie durch ihre Kunstleistungen ausgezeichnete Frau 1823 in Marienbad kennen, sah sie auch noch in Karlsbad und Weimar wieder und war von ihrem „wundervollen Talent“, von ihrem „herrlichen“, „unglaublichen“ Clavierspiel wahrhaft entzückt. „Hinter der polnischen Liebenswürdigkeit stand Las größte Talent gleichsam nur als Folie, oder, wenn Sie wollen, umgekehrt das Talent würde einen erdrücken, wenn es ihre Anmuth nicht verzeihlich machte“. In das Album der Frau Szymanowska (die seit 1820 von ihrem Manne getrennt lebte) schrieb Goethe im August 1823 das Gedicht „Aussöhnung“, das auch auf seine Begegnung mit Ulrike v. Levezow Bezug nimmt:

Die Leidenschaft bringt Leiden! Wer beschwichtigt Beklommnes Herz, das allzuviel verloren? Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt? Vergebens war das Schönste dir erkoren! Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen; Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen! Da schwebt hervor Musik mit Engelsschwingen, Verflicht zu Millionen Tön' um Töne, Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen, Zu überfüllen ihn mit ew’ger Schöne: Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen Den Götterwerth der Töne wie der Thränen. Und so das Herz erleichtert merkt behende, Daß es noch lebt und schlägt und möchte schlagen, Zum reinsten Dank der überreichen Spende Sich selbst erwidernd willig darzutragen. Da fühlte ich — o daß es ewig bliebe! — Das Doppelglück der Töne wie der Liebe.

53 (S. 194). In dem Vorwort zu den Ende 1832 erschienenen Paganini-Studien (Werk 3) heißt es: „Die Aufgabe für ihn [den Herausgebers] war: bei einer dem Charakter und den mechanischen Mitteln des Claviers angemessenen Uebertragung dem Original möglichst treu zu bleiben. Er gesteht gern, daß er mehr geben wollte, als eine blose Baßbegleitung. Denn obschon ihn das Interesse, welches die Composition an sich für ihn hatte, zur Arbeit anregte, so glaubte er auch dadurch Solospielern Gelegenheit zu geben, einen ihnen oft gemachten Vorwurf von sich abzuwenden: daß sie nämlich andere Instrumente und deren Eigenthümliches zuwenig zur Ausbildung und Bereicherung des eigenen benutzen; hauptsächlich aber hoffte er dadurch manchen sonst sehr achtbaren Künstlern nützlich zu werden, die aus Scheu gegen alles Neue von veralteten Regeln nicht gern lassen wollen. — Der {339} Herausgeber hat nicht gewagt, an Paganinis Bezeichnung des Vortrags, so launenhaft-eigenthümlich sie ist, etwas zu ändern. Wenn er aber hier und da ergänzte oder claviermäßiger machte, d. i. daß er lang fortgesetzte halbgetragene Violinpassagen in völlig gebundene veränderte, zu große Sprünge in der Octave verkleinerte, unbequem liegende Intervalle in nähere verkehrte und dgl., so geschah dies, ohne daß das Original gerade beschädigt wurde. Nie aber opferte er eine geistreiche oder eigenthümliche Wendung einem schwierigen oder freieren Fingersatz auf“.

54 (S. 194). Gestrichen ist folgende Anmerkung zur ersten Etüde: „In Nr. 1, Syst. 4 zu 5 (und dann Wiederholung Seite 5) ziehe ich jetzt die Baßbegleitung vor:

#Notenbeispiel

Die Bearbeitung geschah schon vor fünf Jahren und in der Correctur war die Veränderung nur mit Umständlichkeit anzubringen“. — In die von Clara Schumann herausgegebene „Kritisch durchgesehene Gesammtausgabe von R. Schumanns Werken“ (Breitkopf u. Härtel) ist diese Aenderung nicht aufgenommen worden.

55 (S. 195). Gestrichen: „Die Accorde Seite 11, Syst. 6, Tact 3, sind im Original nur die Terzenläufe der oberen Stimmen; ich wußte keine andere Rettung, sie genießbar zu machen.

{{Right|6# 9ƅ Der plötzliche Uebergang von H nach C { 3# nach 7♯ } kann eine frappante Wirkung {{Right|h 5♯ {{Right|g

nicht verfehlen“.

56 (S. 195). Die Anzeige dieses Heftes fällt der Zeitfolge nach erst zwischen die Besprechungen der Concerte von Moscheles und Chopin. Sie ist hierher vorausgenommen und der Besprechung der Etuden angereiht worden, da der folgende Aufsatz: „Die Pianoforte-Etuden, ihren Zwecken nach geordnet“ schon auf dies Heft Bezug nimmt. — Dies zweite Heft der Paganini-Studien erschien im September 1835, nachdem es bereits ein Jahr vorher als „nächstens erscheinend“ angezeigt war. Die von Hofmeister gezeichnete, aber jedenfalls von Schumann geschriebene erste Ankündigung (1834, S. 196) lautet: „R. Schumann, Capricen für das Pianoforte, auf dem Grund der Paganinischen Violinstimme. Hat der Verf. schon vordem durch seine Etudes p. l. Piano d’après les Caprices de Paganini Eigenthümliches der Violine auf das Pianoforte, zur Ausbildung und Bereicherung, wo dies dem Charakter und den mechanischen Mitteln desselben angemessen, zu übertragen gesucht: so hat er in diesen Capricen eine ganz freie, selbständige Bahn betreten, indem er, das Tiefere und Poetische Paganinis im Auge, das Skelett zum schöneren, seiner Violinnatur völlig entsagenden Körper formte. Dem eifrig Studirenden werden Interesse und Nutzen gleich groß sein“.

{340} Keine einzige Musikzeitung brachte eine Besprechung des Heftes; das mochte Schumann veranlassen, selbst darauf aufmerksam zu machen (April 1836). — Vgl. auch Schumanns Brief an Rellstab, Anmerk. 33, S. 327.

57 (S. 202). Schumann kannte diese Walzer schon seit einem Jahre. Als Leopold v. Meyer in einer Wiener Korrespondenz der Neuen Zeitschrift (1835, II, 101) erwähnt und sein Vortrag Chopinscher und Thalbergscher Compositionen gerühmt wurde, bemerkte Schumann in einer Anmerkung dazu: „Ist er derselbe, der vor einiger Zeit Salonwalzer componirt und herausgegeben, so würden wir ihn auffordern, sein schönes Talent zur Composition durch strengere Studien noch weiter ausbilden zu wollen“. Leopold v. Meyer mag diese Aufforderung vielleicht gelesen haben, — befolgt hat er sie jedenfalls nicht. Er kam, wenige Ausnahmen abgerechnet, wo er einen höheren Anlauf versuchte, aus der Sphäre der gewöhnlichen Salon- und Tanzmusik nicht heraus, wie er denn auch zeitlebens in die Geheimnisse der musikalischen Orthographie nicht eingedrungen ist. Die Zeitschrift hat nicht wieder Veranlassung gefunden, seiner zu erwähnen. Als Virtuos war Leopold v. Meyer bei einem Theil des Wiener Publicums sehr gefeiert; der andere fand, daß er seine Finger wohl zu etwas Besserem hätte gebrauchen können als nur zu Laufburschendiensten. Als er einmal gefragt wurde, warum er denn Schumanns Compositionen so ganz ignorire, erwiderte er: „Warum soll ich in meinen Concerten Sachen von Schumann spielen? seine Frau spielt auch nichts von meinen Compositionen“. (Vergl. in Hanslicks „Aus dem Concertsaal“ S. 391 den „großen Clavierpauker“.)

58 (S. 227). Ein Jahr später wurde die Vehmrichter-Ouverture der Gegenstand eines Federkrieges zwischen Lobe und Zuccalmaglio. Lobe veröffentlichte in der Zeitschrift (1837, VI, 147) ein enthusiastisches „Sendschreiben an Hrn. Hector Berlioz“, in welchem er die Ouverture als eine „tiefe, originelle, naturwahre, den ganzen Menschen emporwirbelnde Schöpfung“, als „echte Volksmusik“ pries und verkündete, daß in dem Werte „mehr Regeln beobachtet seien, als wir bis jetzt kennen“ u. s. w. Zuccalmaglio schrieb einen Gegenartikel, ein „Sendschreiben an die deutschen Tonkundigen“, trat bei der „Heiligsprechung Berlioz'“ als advocatus diaboli auf und bezeichnete die Ouverture als „alltäglich, ja schülerhaft“. Schumann hatte Zuccalmaglios Artikel anfänglich abgelehnt wegen zu großer Länge und weil ihm die Ouverture „gar nicht das viele Reden werth scheine“. Darauf kürzte Zuccalmaglio seinen Aufsatz und ersuchte schließlich die Redaktion „um ein entscheidendes Schlußwort“. Schumann schrieb nun folgendes Nachwort:

„Wo hier anfangen, wo aufhören! Auf der einen Seite ein excentrischer Lobredner, auf der anderen ein gepanzerter Ankläger, der Gegenstand der Schilderhebung ein dem Componisten vielleicht selbst schon entfremdetes Werk! — Wir glauben, alle drei müssen Zugeständnisse machen: Lobe, daß er die einzelnen Schwächen, die ihm bei ruhigem Blute nicht entgehen konnten, verschwiegen habe — Wedel, daß er, ohne die Partitur und ohne das Werk von einem großen Orchester in Vollkommenheit gehört zu haben, sich nicht wohl zutrauen dürfe, einen Eindruck des Ganzen zu besitzen — Berlioz endlich, daß er selbst recht gut wisse, kein Meisterstück, daß sich eben mit Beethovenschem messen könne, geliefert zu haben. So hätten wir es denn mit dem Werke eines achtzehnjährigen Franzosen zu thun, der wenn auch etwas weniger Genie hat, als der Eine, doch auch mehr Schöpferkraft, als der Andere will. Eine genauere Auseinanderlegung der Gründe verlangte abermals

{341} [einen] so großen Artikel. Besser, man spiele die Ouverture aller Orten, am besten endlich, man mache, anstatt sich über die Jugendarbeit eines wenn auch ungebildeten, immerhin merkwürdigen Talentes zu erhitzen, schönere und die schönsten; und damit sei Eins dem Anderen empfohlen! {{Right|Die Redaction“.

Ueber Berlioz' künstlerische Ausbildung zu der Zeit, als er die Vehmrichter componirte, sagt F. Hiller („Künstlerleben“ S. 101): „In der ganzen Musikgeschichte findet sich kein zweites Beispiel von einem Componisten, der bis ins neunzehnte Jahr so wenig Musik gekannt und gehört hatte, wie es bei Berlioz der Fall gewesen, — von dem, was Musiker Musik nennen, hatte er kaum eine Vorstellung. Ebenso wenig mag ein anderer mit complicirteren Versuchen begonnen haben als er, — denn nach den Aufführungen, welchen er in der großen Oper beigewohnt, nach dem Studium Gluckscher Partituren, das er mit bewundernder Freude aufgenommen, begab er sich unmittelbar an die Composition größerer Gesangstücke mit Orchester“. — Damit stimmt, was Berlioz selbst in seinen Memoiren über die Vehmrichter-Ouverture, seine erste Orchestercomposition, sagt: „Ich war noch so unwissend in Betreff des Mechanismus einiger Instrumente, daß ich, nachdem ich in der Introduction der Ouverture den Des dur-Accord für die Posaunen geschrieben, befürchtete, es werde dies den Bläsern die größten Schwierigkeiten bereiten. Aengstlich befragte ich darüber einen Posaunisten der großen Oper, der mich vollkommen beruhigte und mir von dieser Stelle sogar einen großen Effect versprach. Diese Versicherung erfüllte mich mit solcher Freude, daß ich, nach Hause eilend, auf den Weg nicht achtete und mir den Fuß verstauchte. Seitdem thut mir der Fuß weh, so oft ich das Stück höre. Anderen wird vielleicht der Kopf weh thun“.

59 (S. 228). Julie Baroni-Cavalcabo war den 16. October 1813 in Lemberg geboren. Ihr Vater bekleidete dort das Amt eines Gubernialraths bis 1838, wo er nach Wien übersiedelte. Zu dem auserlesenen Künstlerkreise des Hauses, dessen Mittelpunct seine Frau Josephine, geb. Gräfin Castiglione, bildete, gehörte in dem Winter 1838/39 auch Schumann. In Erinnerung daran widmete er dieser im Jahre 1841 sein Liederheft Werk 30. Julie wurde bis zu ihrem 14. Jahre von Mozarts Sohn unterrichtet, später setzte sie ihre theoretischen Studien bei dem Componisten Joh. Mederitsch, gen. Gallus (geb. 1765 in Böhmen) fort. Sie hat 28 Compositionen — in Clavierstücken und Liedern bestehend — veröffentlicht, von denen die ersten 1830, die letzten 1844 erschienen. Ein Lied von ihr („Eigne Bahn“) ist in den musikal. Beilagen zur Zeitschrift (1840) enthalten. Schumann lernte die junge Künstlerin persönlich kennen, als sie im Juni 1835 mit Mozart zusammen Leipzig besuchte. Sie verheirathete sich 1839 mit dem Appellationsrath v. Webenau in Wien, der aber schon 1841 starb. Im folgenden Jahre schloß sie eine zweite Ehe mit dem Secretair der brasilianischen Gesandtschaft in Wien, Hrn. v. Britto, einem eigenartigen Manne, der für ernstere Musik keinen Sinn hatte und sich fast ganz auf den Verkehr mit seinen Landsleuten (Portugiesen und Brasilianer) beschränkte. Er lebte von 1855 an auf einer Besitzung bei Cilli (Steiermark) in beinah völliger Abgeschiedenheit von der Welt; 1867 zog er nach Marburg (Steiermark), zwei Jahre später nach Graz, wo er 1877 starb. Erst in Graz fand Frau v. Britto, die der Musik und dem Verkehr mit Künstlern fast ganz hatte entsagen müssen, endlich wieder Gelegenheit, neuere musikalische Erscheinungen in Theater und Concert kennen zu lernen. Sie schloß (wie Herr Professor Gaston v. Britto in den biographischen Mittheilungen über seine Mutter sagt) „ihr an {342 Bitterkeiten und Enttäuschungen reiches Leben“ am 3. Juli 1887. — Für Schumann (mit dem sie auch eine zeitlang correspondirte) hat sie immer eine große Verehrung gehegt. Eine vorzügliche Pianistin, war sie auch eine der ersten, die seine Musik (Carnaval, Davidsbündlertänze, Phantasiestücke u. a.) in Wien zur Anerkennung zu bringen suchte. Schumann bezeugte der begabten Künstlerin seine hohe Achtung bald nach ihrer ersten Verheirathung (1839) durch die Widmung seiner in Wien entstandenen Humoreske, was die Componistin im folgenden Jahre durch die Zueignung ihrer Phantasiestücke (Werk 25) an Schumann erwiderte.

60 (S. 239). Ueber Schunkes Vortrag der Toccata, im Vergleich mit dem Clara Wiecks, sagt der ungenannte Berichterstatter des Kometen über Claras Concert vom 11. Sept. 1834: „Einen wunderbaren Eindruck machte das letzte Stück, eine Toccata von Schumann. Das Werk ist ein Guß von Originalität und Neuheit und wirkte trotz seinem strengen Stil auf alle Zuhörer mit einem tiefergreifenden Zauber. Wir sind überzeugt, was ein Seb. Bach, was ein Beethoven, was ein Paganini in sich getragen, das ruht auch in Schumann; ja er besitzt vielleicht noch mehr als Chopin die Kraft, die moderne musikalische Schule durch die eigenthümlichen Productionen zu ihrem höchsten Glanze zu erheben. Dem Geschmack des Publicums fröhnt er nicht und wird ihm trotz allen oft an ihn gemachten Anforderungen nicht fröhnen; aber gewiß wird er aus seinem Wege ein ganz anderes Ziel erreichen als die Modecomponisten, die keinen höhern Gedanken fassen, als den Leuten jeden Bissen mundgerecht zu machen. Schumanns Toccata ist so schwer, daß sie außer Schunke5 und der Clara Wieck hier wohl Niemand gut spielen kann. Beide spielen sie verschieden. Ersterer trägt sie als Etüde vor mit höchster Meisterschaft; Letztere weiß sie zugleich poetisch aufzufassen und ihr durch und durch eine Seele einzuhauchen. Auch diesmal belebte sie sie mit so zarten und tiefgefühlten Schattirungen, daß das originelle Tonstück, mit dem das Concert frappant abschloß, in seinem höchsten Glanze erschien“.

61 (S. 246). Im Jahrgang 1836 finden sich einige biographische „Noten“ über Künstler, von denen kurz vorher ein Werk in der Zeitschrift besprochen worden war. „Mehr als sonst (sagt Schumann in der Vorbemerkung) müssen wir aber für diese Rubrik Gestattung leichtester rhapsodischer Abfassung vorausnehmen. Kann man doch kaum mit all dem geistigen Menschen Schritt halten, geschweige wenn man sich auch noch den leiblichen aufbürdet. Wir thun es aber gern, und den Leser soll es unterhalten. Erwarte man aber, wir bitten nochmals, keine gelehrten Durchführungen und Fugen sondern eben nur Anmerkungen, Noten; vielleicht werden sie hier und da zu Klängen“. Ueber J. B. Cramer heißt es (1836, IV, 198) u. a.: „Sein Leben zeichnet nichts Besonderes aus und ist hoffentlich eine so treffliche Studie für das zukünftige, als er uns so viele in der Kunst geschenkt. Doch darf ich eine Erfahrung nicht verheimlichen, die ich sogar an guten Köpfen gemacht, daß zu vieles Studiren seiner Etuden ängstlich und befangen macht. Seinen anderen Compositionen geht das ab, was zur Vorzüglichkeit einer Etüde nicht wesentlich erfordert wird, Melodie und Schwung der Phantasie. ..... Auf die Art seines Clavierspiels läßt sich sicher aus seinen Stücken schließen; doch soll auch er jenes Geheimniß der originellen Virtuosität besitzen, daß er nämlich etwas an sich hat, was ihm Niemand nachmachen und man auch nicht beim Wort benennen kann; es sind dies oft leiseste Schattirungen, Wendungen, aber man hört sie durch Thüren hindurch“. — Ein anderes Wort über Cramer steht 1839, X, 192 unter den vermischten Nachrichten:

{343

„Herr A. Lewald erzählt in seiner ,Europa' ein artiges Scherzwort, das J. B. Cramer auf seiner Durchreise in Stuttgart gemacht; er habe nämlich auf ein ihm gemachtes Compliment, daß er der père des artistes' wäre, geantwortet: ,mais le déluge est venu, et à présent je suis un être antediluvien'. Vergessen bist du aber noch nicht, alter ehrlicher Cramer, und so lange gesunder Menschenverstand noch in der Welt vorhanden, werden deine Etuden von Enkel zu Enkel forterben. Im Uebrigen enthält der Scherz trotz scheinbarer Bescheidenheit ein feines Selbstlob, wie man’s aber gern gelten läßt“.

62 (S. 247). „Obwohl du kein Herz hast, so besitzest du doch einen Finger des unsterblichen Henri und deine Hand ist ebenso weiß wie die Tasten, auf denen sie spielt. Wären nur die Edelsteine, welche sie schmücken, auch im Gemüth! Doch wenn du mir die Hand reichen wolltest, würde ich sie nehmen unter der Bedingung, daß du mir nie wieder etwas zu componiren versprächest.“

63 (S. 250). Aus den „Noten“ (1836, V, 26): „Herrn A. Schmitt hörte Notist 1829 in einem Concert, das Paganini in Frankfurt gab; man kann sich kaum größere Extreme denken. Sicher spielt er meisterlich, aber überall guckt der Mann der Etüde durch, während in Paganinis Hand die trockensten Uebungssormeln zu Pythiasprüchen aufflammen“. — Paganini gab 1829, vom 26. Aug. bis zum 11. Sept., sechs Concerte in Frankfurt. Schumann war damals Student in Heidelberg. Da er aber zu dieser Zeit auf seiner italiänischen Reise begriffen und (nach den „Jugendbriefen“) am 31. Aug. in Bern war, so wird er sich in der Zeitangabe geirrt und Paganini nicht vor Ostern 1830 gehört haben.

64 (S. 251). „Er hat sich kein enormes Ziel gesteckt, es hängt aber voll Blumen“. (Schluß der „Note“ über C. Mayer, 1836, V, 26.)

65 (S. 251). Der Bonner Verein zur Errichtung eines Monuments für Beethoven hatte unterm 17. Dec. 1835 einen Aufruf zu Geldbeiträgen erlassen. Schumann wollte persönlich zu dem Denkmal beisteuern durch Herausgabe einer Composition, deren Betrag dem Bonner Comité überwiesen werden sollte. In einem Briefe an Kistner (19. Dec. 1836) bezeichnete er diesen „Obolus auf Beethovens Denkmal“ als „Große Sonate von Florestan und Eusebius“, deren einzelne Sätze die Ueberschriften „Ruinen, Trophäen, Palmen“ trugen. Der Verleger ging auf den Vorschlag nicht ein. Die Sonate erschien, theilweise überarbeitet, 1839 als „Fantasie für Pianoforte, Werk 17“. — Das Beethoven-Denkmal wurde erst am 12. Aug. 1845 enthüllt.

66 (S. 255). Ueber dieses Denkmal, das am 29. Juni 1832 enthüllt wurde, veröffentlichte V. H. Schnorr von Carolsfseld einen Bericht in der „Ztg. f. d. eleg. Welt“ v. 30. Juni 1832, der etwas gekürzt und mit einigen Zusätzen hier folgen möge.

In einer Leipziger Messe (1776) erschien vor Hillers Wohnung ein junges Mädchen, begann auf der Harfe zu spielen und dazu zu singen, Hiller, angezogen durch die schöne Stimme, rief die Sängerin in sein Zimmer und besprach sich mit ihr. Nach mehreren Fragen erfuhr Hiller, daß die Sängerin aus Böhmen und ihr Name Thekla Podlesky sei. Hiller äußerte nun, ob sie nicht Lust habe in Leipzig zu bleiben? Betroffen durch diese unerwartete Frage erwiderte das Mädchen: „Ja, auf welche Weise könnte das geschehen?“ Je nun — ich würde mich Deiner annehmen, Dich erziehen und bilden, antwortete der gutmüthige Mann. — Das Resultat dieser Unterredung war: Thekla Podlesky trat, nach gehöriger Rücksprache mit den Ihrigen, nebst ihrer ältesten Schwester Mariane bei Hiller ein. Und dieser redliche {344 Mann — damals selbst in einer beschränkten Lage — nahm sich des jungen Mädchens an, bildete seine Schülerin zu einer bedeutenden Concert- und Opernfängern, und wurde so Theklas Wohlthäter in mehr als einer Hinsicht. Hiller war übrigens zur Zeit, als er die Schwestern Podlesky bei sich aufnahm, noch nicht Cantor an der Thomasschule, sondern nur auf zufällige Einnahmen angewiesen — „ein zweiter Rousseau“, wie Thekla ihn einmal nennt. 1789 wurde er (wie Döffel angibt) zunächst Doles' Adjunct und erst 1797 erhielt er (in seinem 69. Lebensjahre) das volle Cantorat. — In dem ersten Concert, das in dem neuerbauten, hernach so berühmt gewordenen Concertsaal des Gewandhauses zu Leipzig stattfand (25. Novbr, 1781), trat die siebzehnjährige Thekla mit Sacchinis Arie: „So che un dolor“ auf. Sie verließ Leipzig 1782, verheirathete sich mit dem Flötisten und Hoboisten Veit Batka in Mitau (Curland) und lebte nach ihrem Abschiede von der Bühne — seit etwa 1807 in Prag als Gesanglehrerin. Unter ihren zahlreichen Verehrern wird auch (Schiller( genannt, der die hochgefeierte Sängerin auf der Leipziger Bühne kennen leinte und von ihrem seelenvollen Gesänge entzückt war. — Auch Mariane ging aus Hillers Schule als eine sehr geachtete Sängerin hervor und ließ sich mehrere Jahre mit großem Beifall in Petersburg hören. Sie verheirathete sich nach Magdeburg und wurde (1789) die Mutter des seiner Zeit rühmlichst bekannten Friedr. Ernst Fesca, des Vaters von Alexander F. — Thekla verlebte den Winter 1820 wieder in ihrem geliebten Leipzig, als ihre Pflegetochter Cathinka Comet (später Frau Podhorsky) dort als Concertsängerin engagirt war. Damals lernte Schnorr, Director der Leipziger Akademie der bildenden Künste, sie bei Rochlitz kennen, sah sie auch öfter in seinem eigenen Hause. Ihre kindlich-treue Dankbarkeit gegen den „guten Vater Hiller“ war unverändert dieselbe geblieben. Schon bei seinem Tode (1804) hatte sie den Plan gefaßt, sich so viel zusammenzusparen, um ihm ein würdiges Denkmal setzen zu tonnen. Als sie endlich im Jahre 1830 das dazu Erforderliche beisammen hatte, wandte sie sich an Schnorr, im Wesentlichen Folgendes schreibend: „Seit Hillers Tode habe ich im Stillen den heißen Wunsch in meinem Herzen getragen und bis heute unwandelbar bewahrt, meinem verewigten Lehrer und väterlichen Wohlthäter, erfüllt von der tiefsten Dankbarkeit — und zwar zugleich im Namen meiner übrigen drei Schwestern, denn uns Allen hat Vater Hiller wohlgethan — in Leipzig ein Monument zu errichten und solchergestalt dieses Mannes Andenken zu erhalten...... Jetzt glaube und hoffe ich, so viel erübrigt zu haben, um den Aufwand der Kosten dazu bestreiten zu können Zu Ihnen, verehrter Herr Director, hege ich nun das unbegrenzte Vertrauen, daß Sie dieser Angelegenheit sich gern unterziehen und diese Idee, meinem Innersten entsprechend, als Künstler ausführen werden“. Nun folgte die Darlegung des Gedankens: vor Allem Hillers Büste, darunter vier jugendliche weibliche Gestalten in verschiedenen Stellungen mit dem Ausdruck der Dankbarkeit und dem Blicke nach oben. „Mich“, so schrieb die fromme Stifterin „mich stellen Sie knieend dar“. Darnach zeichnete Schnorr denn auch die Gruppe für das Basrelief. Die Widmung sollte lauten: „Ihrem verewigten Lehrer und väterlichen Wohlthäter die vier Schwestern: Mariane, Franziska, Aloysia, Thekla Podlesky“. Die drittgenannte hieß ursprünglich Josepha; sie erhielt den Namen Aloysia bei ihrem Eintritt ins Kloster der Elisabethinerinnen zu Prag; Schnorr stellte sie daher auf dem Denkmale mit einem Schleier dar. Aus Theklas Briefe theilt Schnorr noch die hübsche Stelle mit: „Wenn der gute Hiller einem seiner Freunde den Eindruck, den wir zwei Schwestern bei unserm ersten

{345 Eintritte in sein Zimmer auf ihn machten, schildern wollte, sagte er in seiner derben Weise: Die kleine Thekla sah so trotzig und muthig aus, als wollte sie sagen: ,ich fürchte mich vor dem Satan nicht!' und Mariane mit ihrem etwas zur Seite gesenkten Kopf: ,ach, lieber Herr, freß' Er mich nur nicht!' In diesen wenigen Worten bezeichnete Hiller die Verschiedenheit unserer Temperamente“. — Thekla starb den 28. Aug. 1852. Sie hatte dem Gewandhaus-Orchester, dem sie schon bei früheren Gelegenheiten kleinere Geldgeschenke gesandt, letztwillig 50 Thaler vermacht.

67 (S. 256). Dies ist das „Nachwort“ zu einem Aufsatz Wedels: „Sprache der Tonkunst“ (1836, V, 11), der gegen den Gebrauch der Fremdwörter in der Musik eiferte, Zuccalmaglio, ein Deutscher mit Leib und Seele, ging in seinem verdienstlichen Bestreben, die deutsche Sprache von allem Fremdländischen zu reinigen, insofern zu weit, als er auch diejenigen Kunst-Ausdrücke beseitigt wissen wollte, die überall fest eingebürgert und schwerlich durch deutsche Bezeichnungen zu ersetzen sind. Er selbst bediente sich grundsätzlich niemals eines Fremdworts, wiewohl seine Verdeutschungen manchmal recht ungefügig und gezwungen waren. Darin liegt wohl auch der Grund, daß seine Mitarbeiterschaft an der Zeitschrift, für die er eine ansehnliche Zahl meist freier Aufsätze schrieb, die verdiente Würdigung — wenigstens in weiteren Kreisen — nicht gefunden hat. Zuccalmaglio schrieb z. B. Tonspiel oder Bardiet statt Symphonie, Tonzeug statt Instrument, Tonbühne statt Orchester, Gedreie, Geviere statt Trio, Quartett, Klangstück statt Sonate, Laise st. Choral, Pommer statt Fagott, Zinke statt Clarinette, Ruhklang und Unruhklang statt Consonanz und Dissonanz, liedlich statt lyrisch, bühnlich statt dramatisch u. s. w.

68 (S. 257). Dieser Satz lautete in der ersten Fassung: „Ob Wedel aber mit Verdeutschung so gar geliebter Wörter als ,Symphonie' etc. durchdringen werde, zweifeln Davidsbündler und möchten es auch nicht“ u. s. w. — Es müßte auffallen, daß Schumann sich hier so entschieden für die Einführung deutscher Titel ausspricht und doch noch drei eigene Werke mit französischer Aufschrift erscheinen ließ, wenn es nicht am Tage läge, daß er darin den Verlegern hatte zu Willen sein müssen. Im April 1836 kündigte er in der Zeitschrift als demnächst erscheinend an: „Fasching. Schwänke aus 4 Noten für Pianoforte von Florestan, Op. 12“, — das Werk erschien im August 1837 unter dem Titel: „Carnaval. Scènes mignonnes etc. Oe. 9“. Im Mai 1836 war angezeigt: „X Etuden im Orchestercharakter für Pianoforte von Florestan und Eusebius, Op. 13“, — sie erschienen im September 1836 als Etudes symphoniques“ und unter Schumanns Namen, gleichzeitig auch das „Concert sans Orchestre, Oe. 14“. Letzteres war ursprünglich als Sonate bezeichnet. Da aber der Verleger einer „Sonate“ keine sonderliche Zugkraft zutrauen mochte, so wurde das Werk, nach Ausscheidung der beiden Scherzos, in ein „Concert“ umgewandelt. In einer zweiten Ausgabe (1853) wurde die erste Bezeichnung wieder hergestellt. Im Juni 1836 war die Fis moll-Sonate unter dem Titel: „Pianoforte-Sonate, Clara zugeeignet von Florestan und Eusebius“ erschienen. Schumanns Wunsch (Brief vom 7. Febr. 1838), eine neue Ausgabe unter dem Titel: „1ste Sonate für Pianoforte von Rob. Schumann“ herzustellen, erfüllte der Verleger nicht. Erst zwei Jahre später erschien eine neue Titel-Ausgabe, aber mit französischer Aufschrift — schwerlich mit Zustimmung des Verfassers. — Von 1837 an bediente sich Schumann nur deutscher Titel. , ,

69 (S. 283). Schumann war immer ein großer Tanzfreund. Seine zahlreichen Tanzcompositionen aus allen Lebensperioden bezeugen das ebenfalls. Er

{346} tanzte nicht nur in seinen jungen Jahren gern, sondern auch nach seiner Verheirathung, wenn einmal eine heitere Gesellschaft mit einem improvisirten Tanzvergnügen beschlossen wurde. Daß er nicht etwa nur scherzweise von „Meister“ Strauß, spricht, beweist die Thatsache, daß er, als Strauß mit seiner Capelle Leipzig besuchte, mit Mendelssohn, David und Bennett zusammen dem Vortrage der Tänze zuhörte. Es war am 9. Nov. 1836 „in einem Garten etwas außerhalb der Stadt“, wie es in Bennetts handschriftlichem Tagebuche heißt.

70 (S. 299). Als im Januar 1835 das Wiener Preisausschreiben erlassen war (Schiedsrichter sollten Eybler, Weigl, Gänsbacher, Gyrowetz, Kreutzer, Seyfried und Umlauf sein) schrieb Mendelssohn an Spohr (8. März): „Die Ankündigung aus Wien war mir interessant; ich hatte noch nichts davon gehört. Sie machte mir wieder das Gefühl recht lebhaft, wie unmöglich es mir sein würde, irgend etwas mit dem Gedanken an eine Preisbewerbung zu componiren — ich käme nicht bis zum Anfange, und wenn man zum Musiker sich müßte examiniren lassen, so bin ich überzeugt, ich wäre von vornherein abgewiesen worden, denn ich hätte nichts halb so gut gemacht, als ich könnte. Der Gedanke an einen Preis oder eine Entscheidung macht mich zerstreut, und dennoch kann ich mich nicht so darüber hinweg setzen, daß ich ihn ganz vergäße. Aber wenn Sie irgend die Stimmung dazu finden, sollten Sie es doch ja nicht unterlassen, eine Symphonie bis dahin zu componiren und einzuschicken, denn ich wüßte nicht, wer Ihnen den Preis unter den Lebenden streitig machen könnte (zweiter Grund), und wir bekämen dann wieder eine neue Symphonie von Ihnen (erster Grund). Ueber die Zusammensetzung des richtenden Ausschusses in Wien habe ich meine Gedanken, die aber nicht recht legitim sind sondern ein wenig rebellisch. Wäre ich die Richter, so bekäme das ganze Comité keinen Preis, wenn sich’s darum bewürbe“. Gegen Hauser sprach Mendelssohn sich noch unverhohlener aus: „In Wien haben sie für die beste Symphonie einen Preis von 50 Dukaten ausgesetzt, und Seyfried, Umlauf und Conradin Kreutzer und Consorten sollen’s entscheiden, lauter Kerls, die keine Symphonie zusammenbringen können, und wenn sie sich drei Jahre kasteiten. Wär' es ein Comité von den besten Componisten der ganzen Welt, so möcht' ich auch um keinen Preis concurriren; der blose Gedanke, daß ich eine Preismusik componirte, machte mich so unmusikalisch wie Umlauf und Seyfried zusammengenommen. Und hätte ich eine Symphonie fertig liegen, so würde ich mich hüten, die hinzuschicken, denn da können die andern Leute drüber urtheilen, und am Ende findet sich’s doch, ob sie was taugt oder nicht. Das ist so eine Art Treibhauscultur, und die 50 Ducaten sind das Mistbeet; ob aber eine Cactus-Symphonie herauskommt, ist die große Frage“. Hanslick „Suite“ S. 33.j

71 (S. 302). Zuccalmaglios Eigenheit, alle fremdsprachlichen Ausdrücke durch deutsche zu ersetzen, tritt auch in diesem Aufsatze hervor. Es wird die Billigung des Lesers finden, daß ich die überall gebräuchlichen Bezeichnungen „Symphonie, Instrument, Orchester“ etc. in ihr altes Recht wieder eingesetzt habe. Ebenso habe ich einige stilistische Unebenheiten ausgeglichen, die Zuccalmaglio so leicht aus der Feder flossen, weil er rasch schrieb und es nicht liebte, hinterher viel zu feilen. — Es sei noch erwähnt, daß Zuccalmaglio sich in der günstigen Meinung von Lachners Symphonie doch enttäuscht fand, nachdem er sie kennen gelernt hatte. Er nannte sie (1837, VII, 1) ein „Cnakswerk“ und meinte, daß die über alles Maß lange Preissymphonie doch nur „den Preis über die Geduld der Zuhörer“ davongetragen habe.

  1. [GJ] Frau Henriette Voigt. [WS] Henriette Voigt, geb. Kuntze, 24. 11. 1808 in Leipzig geboren, dort gestorben 15. 10. 1839, Pianistin, Schülerin von L. Berger in Berlin, erste Frau von Carl Voigt. Schumann widmete ihr seine Klaviersonate Nr.2 g-moll op. 22 (1833-38). Siehe Erinnerungen an eine Freundin, GS III,173-183.