Diskussion:Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/OCR-Bd2

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OCR roh Band 2 nach Jansen[Bearbeiten]

Band 2

[Büchereistempel]
Alle Rechte, insbesondere das der Uebersetzung, vorbehalten.


1837.


{5}

William Sterndale Bennett.

Nach vielem Sinnen, wie ich dem Leser zum Anfang des Jahres 1837 etwas bieten könnte, was auch sein Wohlwollen für uns belebe, fiel mir neben manchem Glückwunsch, nichts ein, als daß ich ihm gleich eine glückliche Individualität selbst vorstelle. Es ist dies keine Beethovensche, die jahrelangen Kampf nach sich zöge, kein Berlioz, der Aufstand predigt mit Heldenstimme und Schrecken und Vernichtung um sich verbreitet, vielmehr ein stiller, schöner Geist, der. wie es auch unter ihm tobe, einsam in der Höhe wie ein Sternenwärter fortarbeitet, dem Kreislauf der Erscheinungen nachspürt und der Natur ihre Geheimnisse ablauscht. Sein Name ist der oben angegebene, sein Vaterland das Shakespeares, wie auch sein Vorname der dieses Dichters. In der That, wär' es denn ein Wunder, wären sich Dicht- und Tonkunst so fremd, daß jenes hochberühmte Land, wie es uns Shakespeare und Byron gab, nicht auch einen Musiker hervorbringen könnte! Und wenn schon durch den Namen Field, dann durch Onslow, Potter, Bishop u. a. ein altes Vorurtheil wankend gemacht wird, um wie viel noch durch diesen Einzigen, an dessen Wiege schon eine gütige Vorsehung gewacht. Haben nämlich große Väter selten Kinder erzeugt, die wieder groß in derselben Wissenschaft, derselben Kunst, so sind doch die glücklich zu preisen, die schon durch die Geburt an ihr Talent gekettet, auf ihren Lebensberuf hingewiesen sind, glücklich also Mozart, Haydn, Beethoven, deren Väter schlichte Musiker waren. Mit der Milch schon sogen sie Musik ein, lernten im Kindestraume; beim ersten erwachenden Bewußtsein fühlten sie sich Glieder der großen Familie der Künstler, in die Andere sich oft erst mit Opfern einkaufen müssen. Glücklich also auch unser Künstler, der wohl manchmal unter der


{6} großen Orgel, wenn sie sein Vater, der Organist in Sheffield in der Grafschaft Yorkshire, spielte, erstaunt und selig gelauscht haben mag. Mit Händel, an dem die Engländer nichts verdrießt als sein deutscher Name, soll keine andere Nation so vertraut sein als die englische. Man hört ihn mit Andacht in den Kirchen, singt ihn mit Begeisterung bei den Gastmahlen; ja, Lipinski erzählte, er habe einen Postillon Händelsche Arien blasen hören. Auch ein weniger glückliches Naturell hätte sich unter dieser günstigen Umgebung so naturgemäß und rein entfalten müssen. Was eine sorgfältige Erziehung in der königlichen Akademie in London, Lehrer wie Cyprian Potter und Dr. Crotch, unausgesetzte eigene Studien noch dazugethan haben mögen, weiß ich nicht, und nur so viel, daß dem Schulgespinst eine so herrliche Psyche entflogen ist, daß man ihrem Flug, wie sie sich jetzt im Aether badet, jetzt von den Blumen nimmt und gibt, mit sehnenden Armen nachfliegen möchte. Wie aber einem so geflügelten Geiste die Scholle allein, auf der er geboren, nicht für immer genügen konnte, so mochte er sich wohl oft nach dem Lande sehnen, wo die Ersten in der Musik, Mozart und Beethoven, das Licht der Welt erblickt, und so lebt er denn seit Kurzem in unserer nächsten Nähe, der Liebling des Londoner Publicums, ja der musikalische Stolz ganz Englands.

Sollte ich noch etwas über den Charakter seiner Compositionen sagen, so wäre es wohl das, daß Jedem im Augenblick die sprechende Bruderähnlichkeit mit Mendelssohn auffallen wird. Dieselbe Formenschönheit, poetische Tiefe und Klarheit, ideale Reinheit, derselbe beseligende Eindruck nach außen, und dennoch zu unterscheiden. Dieses sie unterscheidende Kennzeichen läßt sich in ihrem Spiel noch leichter entdecken als in der Composition. Das Spiel des Engländers ist nämlich vielleicht um so viel zarter (mehr Detailarbeit), als das Mendelssohns energischer (mehr Ausführung im Großen). Jener schattirt noch im Leisesten so fein, wie dieser in den herrlichsten Kraftstellen erst noch recht von neuer Kraft überströmt; wenn uns hier der verklärte Ausdruck einer einzigen Gestalt bewältigt, so quellen dort wie aus einem Raphaelschen Himmel hunderte von wonnigen Engelsköpfen. Etwas Aehnliches gilt auch von ihren Compositionen. Wenn uns Mendelssohn in phantastischen Umrissen den ganzen wilden Spuk eines Sommernachtstraums vorführt, so ließ sich Bennett lieber durch die Figuren der „lustigen Weiber von Windsor“ zur Musik anregen;*

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      * Er schrieb eine Ouverture zu diesem Stück von Shakespeare. [Sch. 1852.]

{7} wenn jener in einer seiner Ouverturen eine große tiefschlummernde Meeresfläche vor uns ausbreitet, so weilt der andere am leisathmenden See mit dem zitternden Monde darin. Das Letzte bringt mich gleich auf drei der lieblichsten Bilder von Bennett, die eben nebst zwei anderen seiner Werke auch in Deutschland erschienen sind; sie haben die Überschriften: the Lake, the Millstream und the Fountain [Werk 10] und sind, was Colorit, Naturwahrheit, dichterische Auffassung betrifft, wahre Claude Lorrains an Musik, lebende, tönende Landschaften, und namentlich die letzte unter den Händen des Dichters voll wahrhaft zauberischer Wirkung.

Noch manches möcht' ich mittheilen, — wie dies nur kleine Gedichte seien zu Bennetts größeren Werken, wie z. B. sechs Symphonieen, drei Clavierconcerten, Orchesterouverturen zu Parisina. zu den Najaden etc. gehalten, — wie 'er Händel auswendig weiß, — wie er alle Mozartschen Opern auf dem Clavier spielt, als sähe man sie leibhaftig vor sich, — doch kann ich ihn selbst gar nicht mehr abhalten, der mir schon seit lange über die Schultern sieht und schon zum zweitenmale fragt: Then, what do you write?— Bester, schreibe ich nur noch, wüßtest du’s! 1 {{Right|Eusebius.

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* C. Decker,

Gr. Sonate für das Pianoforte (in As), Werk 10.

Der Klang mancher Namen erweckt oft gleich von vornherein gute Meinung. So der dieses Componisten, dessen Sonate das Erste, was mir bis jetzt von seiner Hand bekannt worden. Das Wort „Hand“ wünschte ich etwas betont. Die Sonate scheint mir nämlich durchaus mehr ein Werk der Hände, des Verstandes, als des Geistes, der Begeisterung. Wenn ich manche Componisten und Compositionen einem verstimmten, aber einem Instrumente von schönem Tone vergleichen möchte, so andere wieder einem allzu mathematisch scharf im Einzelnen gegen einander gestimmten, was deshalb wieder im Ganzen nicht zusammenklingen will. Das Letztere beziehe ich auf die Sonate; sie ist noch zu ängstlich abgemessen, ihre Einfachheit ist nicht die der Meisterschaft sondern die eines unjugendlichen Selbstzwanges, ein Uebel, woran z. B. auch die ganze B. Kleinsche Schule mehr oder weniger

{8} leidet und gelitten hat. Hier und da sieht man wohl, wie der Componist sich der Ketten entledigen möchte, und an manchen Reminiscenzen, daß er mit Beethoven vertraut ist; im Ganzen will sich aber nirgends die feinere Gesangesblüthe entfalten, die zur wärmeren Theilnahme an das Wert fesselte. Immerhin wird es als eine ernste Bestrebung der allgemeinen Beachtung empfohlen. 2.

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Der alte Hauptmann.

Als gestern der Sturm so wüthend an meine Fenster schlug und klagende Leiber durch die Lüfte zu tragen schien, kam mir recht zur Stunde dein Bild, alter poetischer Hauptmann, vor die Seele und ließ mich alles draußen deinethalben vergessen.

Schon im Jahre 183* hatte sich, kaum wußten wir wie, in unserem Kreise auch eine schmächtige, würdige Figur eingefunden. Niemand wußte seinen Namen, Niemand fragte, woher er kam, wohin er ging: der „alte Hauptmann“ hieß er. Oft blieb er wochenlang aus, oft kam er täglich, wenn es Musik gab, setzte sich dann still, als würde er nicht gesehen, in eine Ecke, drückte den Kopf tief in die Hände und brachte dann über das, was eben gespielt war, die treffendsten, tiefsinnigsten Gedanken vor. „Euseb“, sagte ich, „es fehlt uns gerade ein Harfner aus Wilhelm Meister in unserem wildverschlungenen Leben, wie wär’s, wir nähmen den alten Capitain dafür und ließen ihm sein Incognito?“

Lange Zeit behielt er es auch. Doch, so wenig er über sich sprach, ja wie er auch jedem Gespräche über seine Verhältnisse sorgfältig auswich, so stellte sich nach allen Nachrichten so viel fest, daß er ein Herr v. Breitenbach, ein aus *schen Diensten verabschiedeter Militair mit so viel Vermögen, als er gerade brauche, und so viel Liebe zu den Künstlern, daß er für sie auch alles hingeben könnte. Wichtiger noch war, daß er theils in Rom und London, theils auch in Paris uud Petersburg gewesen, meistentheils zu Fuß, wo er die berühmtesten Musiker sich angesehen uud gehört, daß er selbst Beethovensche Concerte zum Entzücken spiele, auch Spohrsche für die Violine, die er auf seinen Wanderungen inwendig an den Rock angebunden immer bei sich hatte. Ueberdies male er alle seine Freunde in ein


{9} Album, lese Thucydides, treibe Mathematik, schreibe wundervolle Briefe etc.

An Allem war etwas wahr, wie wir uns bei genauerem Umgang überzeugten. Nur was die Musik betrifft, so konnten wir nie etwas von ihm zu hören bekommen, bis ihn endlich Florestan einmal zufällig belauscht hatte und, nach Hause gekommen, uns im Vertrauen sagte: „greulich spiel' er und habe ihn (Forestan) sehr um Verzeihung zu bitten für sein Lauschen. Es sei ihm dabei die Anekdote vom alten Zelter eingefallen, der eines Abends mit Chamisso durch die Straßen Berlins spazierend in einem Hause Clavier spielen gehört und zugehört, nach einer Weile aber Chamisso beim Arm genommen und gesagt: Komm, der macht sich seine Musik selbst“.* Und natürlich genug, daß ihm alle sichere Technik fehlte. Denn wie sein tiefpoetisches Auge alle Gründe und Höhen der Beethovenschen Musik zu erreichen vermochte, so hatte er seine musikalischen Studien nicht etwa mit einem Lehrer und mit Tonleitern begonnen, fondern gleich mit dem Spohrschen Concert, die Gefangsscene geheißen, und der letzten großen B dur-Sonate von Beethoven. Man versicherte, daß er an diesen beiden Stücken schon gegen zehn Jahre lang studirt. Oft kam er auch freudig und meldete, „wie es nun bald ginge, wie ihm die Sonate gehorchen lernte, und wie wir sie bald zu hören bekommen sollten“ — manchmal aber auch niedergeschlagen, „daß er, oft schon auf dem Gipfel, wieder herunterstürze, und daß er doch nicht ablassen könne, von Neuem zu versuchen“.

Sein praktisches Können mochte also mit einem Worte nicht hoch anzuschlagen sein, desto höher war es der Genuß, ihn Musik hören zu sehen. Keinem Menschen spielte ich lieber und schöner vor als ihm. Sein Zuhören erhöhte; ich herrschte über ihn, führte ihn, wohin ich wollte, und dennoch kam es mir vor, als empfing' ich erst alles von ihm. Wenn er dann mit einer leisen klaren Stimme zu sprechen anfing und über die hohe Würde der Kunst, so geschah es wie aus höherer Eingebung, so unpersönlich, dichterisch und wahr. Das Wort „Tadel“ kannte er gar nicht. Mußte er gezwungen etwas Unbedeutendes anhören, so sah man ihm an, daß es für ihn gar nicht existire; wie in einem Kind, das keine Sünde kennt, war in ihm der Sinn für Gemeines noch gar nicht erwacht.

So war er jahrelang bei uns aus- und eingegangen und immer

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       * Von den Worten an: „Es sei ihm dabei“ Zusatz aus 1852.


{10} wie ein überirdisches gutes Wesen aufgenommen worden, als er vor Kurzem länger als gewöhnlich außen blieb. Wir vermutheten ihn auf einer größeren Fußreise, wie er deren zu jeder Jahreszeit machte, als wir eines Abends in den Zeitungen lesend seine Todesanzeige fanden. Eusebius machte hierauf folgende Grabschrift:

Unter diesen Blumen träum' ich, ein stilles Saitenspiel; selbst nicht spielend, werde ich unter den Händen derer, die mich verstehen, zum redenden Freund. Wanderer, eh' du von mir gehst, versuche mich. Je mehr Mühe du dir mit mir nimmst, je schönere Klänge will ich dir zurückgeben. {{Right|(Aus den Büchern der Davidsbündler.)

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Aeltere Claviermusik.

Ausgewählte Tonstücke für das Pianoforte von berühmten Meistern aus dem 17. und 18.

Jahrhundert, gesammelt von C. F. Becker.

In der Zeit, wo sich alle Blicke auf einen der größten Schöpfer aller Zeiten, J. Seb. Bach, mit verdoppelter Schärfe richten, mag es sich wohl schicken, auch auf dessen Zeitgenossen aufmerksam zu machen. Kann sich freilich, was Orgel- und Claviercomposition anlangt, Niemand seines Jahrhunderts mit ihm messen, ja will mir alles Andere, gegen seine ausgebildeten Riesengestalten gehalten, wie noch in der Kindheit begriffen erscheinen, so bieten einzelne Stimmen jener Zeit ihrer Gemüthlichkeit wegen noch Interessantes genug dar, als daß man sie ganz überhören dürfte. Die neuen Ausrufer alter Musik versehen es meistens darin, daß sie gerade das vorsuchen, worin unsere Vordern allerdings stark waren, was aber auch oft mit jedem andern Namen als mit dem der „Musik“ belegt werden muß, d. h. in allen Compositionsgattungen, die in die Fuge und den Canon gehören, und schaden sich und der guten Sache, wenn sie die innigeren, phantastischeren und musikalischeren Erzeugnisse jener Zeit als unbedeutender hintenansetzen. Die Sammlung, die vor uns liegt, vermeidet diesen Fehler und bringt uns eine Reihe freier, wirklicher Tonstücke, die in ihren naiven schmucklosen Wendungen auch noch eine andere als die Verstandesseite in Anspruch nehmen. Für das Interessanteste halten wir die Sätze von Couperin (ϯ† 1733). Konau[H 1] (ϯ† 1722) und


{11} G. Böhm (um 1680). Der von Couperin hat sogar einen provencalischen Anflug und zarte Melodie, während es einem bei dem steifen Kuhnauschen Adagio ordentlich schaurig wird; G. Böhm vollends setzt mit einer gespenstigen Caprice dem Ende die Krone auf. {{Right|12.

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Compositionsschau.

Concerte für das Pianoforte mit Begleitung des Orchesters.

Camille Stamaty, Concert (A moll). Werk 2.

Nur ein sehr fester, ja harter Charakter würde den Einfluß einer abstoßenden oder anziehenden Persönlichkeit auf das Urtheil über deren Kunstleistungen gänzlich verleugnen können. In dem Grade daher, wie manche Werke zu verlieren scheinen, wenn wir ihre Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen, gewinnen andere eben durch Bekanntsein mit dem Urheber. Man kommt den Fehlern rascher auf die Spur, lernt sie mit den guten Eigenschaften in eine Verbindung bringen und kann so eher helfen und rathen. Ist dies alles nun in einer Kunst, wo, wie in der unsern, so viel vom Vortrag abhängt, der Gewöhnliches oft so fein zu verdecken weiß, damit das Kostbare um so mehr glänze, so kann es nicht wundern, daß ich obiges Concert, nachdem ich es vom Componisten exemplarisch gut gehört, mit viel mehr Interesse betrachtete, als es vielleicht sonst der Fall gewesen.

Der junge Künstler, der heute zum erstenmal in diese kritischen Hallen eingeführt wird,* aus einer griechischen Familie stammend, aber zu Rom geboren, lebte seit früher Kindeszeit in Paris. Daß ein lebhafter strebender Geist in einer Stadt, wo die politischen Häupter kaum rascher wechseln können als die künstlerischen, noch etwas schwankt, unter welcher Fahne er seine Lorbeeren holen soll, ob unter der Aubers oder Berlioz', Kalkbrenners oder Chopins, kann ihm Niemand zum großen Vorwurf machen. Indeß lernte unserer bei Reicha seinen ordentlichen Generalbaß und Contrapunct und bei Kalkbrenner ein elegantes Clavierspiel. Damit aber nicht zufrieden setzte er endlich im letzten Herbste den langgefaßten Plan, deutsche Musik auf deutschem Boden zu hören, ins Werk und begann seine Studien unter

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      * „er verneigt sich“, stand in Klammern daneben.

{12} meisterlicher Leitung* aufs Neue mit einem Fleiß, der den französischen Musikern sonst nicht eigen sein soll, und so mit Vortheil, daß sich spätere Compositionen leicht genug von seinen älteren unterscheiden lassen werden. Vor einigen Wochen ging er wieder nach Paris zurück.

Das Coneert, über das wir heute einiges mittheilen wollen, Stamatys stärkstes Werk, dem Umfang und dem Inhalt nach, fällt, wie gesagt, in jene frühere Periode, wo der junge Künstler, noch nicht recht wissend, wem er angehört, oft poetisch zart, oft auch wild wie ein Chinese in die Saiten griff, höheren Gefühlen, die sich in ihm allerdings und, scheint es, zum erstenmal zu regen anfingen, Luft zu machen. Phantasievoll, wie wir den Componisten kennen, führt er uns so durch Täuschung und Wahrheit hindurch, bergauf bergab, immer athemlos, das Nächste überspringend, oft ermüdend, oft wegen seiner Tollheit in Verwunderung setzend. Ich bin überzeugt, daß M — der Name des unsterblichen Mannes ist mir entfallen), der im Mozartschen C dur-Quartett so viel Fehler, als das Jahr Tage hat, herausgefunden mit den Füßen, aus unserm Concert an die Millionen herausbringen kann. Nicht gerade Quinten und Octaven sind’s, aber barbarische Ausweichungen, Vorhalte u. dgl. mehr, namentlich im ersten Satz, wo der Componist sich noch nicht so ins Feuer geschrieben und gespielt wie im letzten, und wo er, wenn die Form sich irgend etwas verwickeln will, der Sache über kurz oder lang mit einem Kraftgriff ein Ende macht. So leicht ihm diese Compositionsmanier früherhin gefallen sein mag, so schwer, hoffen wir, soll es ihm in der Zukunft werden, dergleichen hinzuschreiben, ja nur zu denken. Denn wer, wie er, in S. Bach schwelgen gelernt hat, wird von der Entzückung wohl auch etwas in die eigene Phantasie mit hinübernehmen, wie mir dies schon in späteren Compositionen von seiner Hand, die noch nicht gedruckt sind, offenbar geworden.

Das Concert gäbe seiner schwachen wie glänzenden Seiten wegen Stoff zu stundenlangen Gesprächen. Genügen indeß diese Zeilen, unsern Freund der deutschen Aufmerksamkeit zu empfehlen! {{Right|R. Schumann.

H. Herz, drittes Concert (D moll). Werk 87.

„Herz, mein Herz, warum so traurig“ sang ich immer beim Spielen; dreimal im ersten Satz allein kommen con dolore’s vor, der

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      * Mendelssohns.


{13} espressivo’s und smorzando’s nicht zu gedenken. Ueberhaupt spannen aber die ganzen Präliminarien sehr. D moll schon, die Don Juan-Tonart, der seltenere Dreivierteltact, ein leiser Anfang, ein vier Seiten kurzes Tutti — gewiß sein tiefsinnigstes Werk, dachte ich. Und so ist es auch. Unser geflügelter Liebling hat sich in Eisen und Panzer gehüllt und wenn er sich manches zur Rüstung von Anderen borgte, so leugnet er’s gar nicht. Schlagen wir einmal auf! In der Einleitung könnten zwar nur seine boshaftesten Gegner, wie große Seelen dergleichen zu allen Zeiten gehabt haben, eine Verwandtschaft mit der zum G moll-Concert von Moscheles, im ersten Thema eine mit dem Chopins in F moll, S. 6 Syst. 5 T. 3 einen Anklang an Kalkbrenners D moll-Concert, S. 8 Syst. 3 T. 3 einen an C. M. v. Weberschen und S. 14 einen an Thalbergschen Grundton finden. Aber das Andante müssen auch seine Freunde als eine Apotheose der Romanze aus demselben Concert von Chopin erklären, dagegen im Anfang des Finales ein Beethovensches Scherzo (aus der zweiten Symphonie) leicht angedeutet wird, in das das zweite Thema abermals mit einem Chopinschen Gedanken einfällt, dem S. 35 der Marsch aus Jessonda folgt. Ja, dramatisches Leben hineinzubringen, steht S. 31 oben sogar eine Stelle aus der neunten Symphonie von Beethoven, die Herz doch gewiß nicht kennt, und das ganze Concert schließt S. 43 Syst. 4 T. 2 der Einheit wegen (S. den Anfang) mit einem Gange aus desselben Moscheles' G moll-Concert. Alles Uebrige aber, gestehe man es, der Schmuck, die chromatischen Perlen, die fliegenden Arpeggiobänder etc. gehören ihm grundeigen. Man sieht, von den Besten will er lernen, und nur etwa bei Kalkbrenner und Thalberg ließ er sich auch zu Helden zweiten Ranges herab. Halte seine Tapferkeit nur an und aus; wir wollen ihm Herolde sein, trotz der allgemeinsten musikalischen Zeitung, die ihn und Hünten schon längst als Meister anerkannt hat und Händel auch, und studire man sich das Concert ordentlich ein. Wozu hat man seine Finger? {{Right|12.

'W. Sterndale Bennett', drittes Concert (C moll). Werk 9.

„Ein englischer Componist — kein Componist“, sagte Jemand vor dem Gewandhausconcerte, worin Hr. Bennett vor einigen Wochen das obige Werk vortrug. Als es aber vorüber war, wendete ich mich wie fragend zu ihm: „ein englischer Componist“ — „und wahrhaftig ein englischer“, vollendete der Engländerfeind wortspielend. Wenige Worte genügen für heute. Eusebius hat in der ersten Nummer dieses Bandes

{14} mir so aus der Seele heraus gelesen und geschrieben, daß ich jenem Umriß nur Weniges hinzuzufügen wußte. Wahrhaftig — erwägt man, daß obiges Concert vor schon drei Jahren, also im neunzehnten Jahre des Componisten geschrieben ist. so muß man erstaunen über diese früh ausgebildete Künstlerhand, über die ruhige Disposition, über den Zusammenhalt des Ganzen, über den Wohllaut der Sprache, die Reinheit des Gedankens. Wünschte ich höchstens vielleicht im ersten Satz einige kleine Breiten weg, so ist das individuell. Im Ganzen trifft man nichts Unwesentliches, nichts, was nicht in inniger Verwandtschaft zur Grundempfindung stünde, und selbst da, wo neue Elemente hinzutreten, schimmern immer noch jene goldenen Fäden hindurch, wie sie nur eben eine Meisterhand fortzuführen versteht. Welche Wohlthat, im ewigen Wust von Schülerarbeiten einmal auf ein organisches lebensvolles Ganzes zu stoßen, und welche Freude, daß es das Leipziger Publicum, so wenig es darauf vorbereitet war, rasch und freudig zu erkennen wnhte. Das Urtheil des Publicums wird hier nämlich auf eine ganz andre Weise als bei andern Virtuosen auf die Probe gestellt. Hier gilt es nicht, eine Fertigkeit anzuerkennen, eine Schule zu unterscheiden, mit andern Virtuosen Parallelen zu ziehen. Man mußte bei unserm Künstler vielmehr erst der Bescheidenheit, mit der er alles Auffallende von sich wies, auf die Spur kommen, ob sie auch auf einem schönen reichen Boden ruhe, ob man hier eine von den selteneren, innigen Künstlernaturen vor sich habe, die, wenn sie einmal dem Außen einen Blick in das Seelenleben erlauben, unbekümmert darum, nur mit sich zu verkehren, in sich zu leben scheinen. Nach dem ersten Satz, einem rein lyrischen Stücke voll so schön menschlichen Empfindens, wie man es nur in den besten Musterwerken trifft, war man in der Hauptsache, daß es sich hier um eine vornehmere Art von Künstler handle, natürlich im Klaren. Doch folgte nicht jener allgemeine aus Boden und Decke donnernde Beifall, wie ihn kecke Virtuosen herausfordern. Man verlangte mehr, man war sichtlich gespannt, man wollte den Engländer merken lassen, daß er im Laude der Musik wäre. Da begann jene Romanze in G moll. so einfach, daß man die Noten darin zählen kann. Wenn ich es auch nicht aus der ersten Quelle wüßte, daß dem Dichter hier während des Componirens das Bild einer Nachtwandlerin vorgeschwebt hätte, so mußte doch jedem gefühlvollen Herzen all das Rührende, das eine solche Scene hat, augenblicklich überkommen. Als fürchtete man, die Träumerin auf der hohen Zinne zu wecken, wagte da Niemand zu athmen, und wenn die


{15} Teilnahme an mancher Stelle sogar gleichsam ängstlich war, so wurde sie durch die Schönheit der Erscheinung zum reinen Kunstgenuß gemildert. Und hier trat jener wundervolle Aceord ein, wo die Wandlerin außer aller Gefahr, wie ans ihr Ruhebett hingelagert scheint und ruhige Mondesstrahlen darüber stießen. Dieser glückliche Zug entschied über den Künstler und man überließ sich im letzten Satz ungestört der Freude, die wir vom Meister zu erhalten gewohnt sind, mag er uns nun zu Kampf oder Frieden führen.

Hab' ich mich in den vorigen Zeilen vielleicht zu sehr hinter das Urtheil des Publicums geflüchtet, oder wollte vollends Jemand einwenden, ich hätte darin zu viel Günstiges herausgelesen, so bin ich auch bereit, alles, was ich über die Trefflichkeit des Concerts berichtet, allein zu vertreten. Denn zu sehr Noth thut es, daß wahrhaft musikalischen Künstlern die Ehren gesichert werden, mit denen man Virtuosen, die nichts als ihre Finger haben, oft so unbedacht überhäust, und daß man beide von einander trennen lerne. Ja, gäb' es nur noch viele Künstler, die in dem Sinne wie St. Bennett wirkten — und Niemandem dürfte mehr vor der Zukunft unserer Kunst bange sein. —

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  • Da wir bei den neusten Concerten stehen, so wäre hier allerdings der Ort, auch über ein bei Haslinger erschienenes sogenanntes

Concert sans Orchestre zu berichten, das das Schelmenpaar Florestan und Eusebius unter dem Namen des Unterzeichneten herausgegeben. Strafe ich sie für diesen Namenraub, daß ich selbst keine Silbe über ihr Opus 14 verrathe. Indeß scheinen mir einige Worte aus dem Briefe eines geliebten Meisters (desselben, dem es zugeeignet ist) * zu bedeutend, als daß ich sie ganz unterdrücken könnte. Darin heißt es nämlich unter Anderem :

„In Motivirung des Titels ließe sich einiges einwenden. Das Werk hat weniger die Erfordernisse eines Concertes und mehr die charakteristischen Eigenheiten einer großen Sonate. wie wir einige von Beethoven und Weber kennen. In Concerten ist man (leider) gewohnt, neben der Einheit im Stile einige Rücksichten auf glänzende Bravour oder coquettirende Eleganz des Spieles genommen zu sehen, welche in diesem Werke keinen Platz finden konnten, ohne es von dem

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  • J. Moscheles.

{16} Standpuncte zu entfernen, den ihm Ihre Phantasie eingeräumt hat. Der Ernst und die Leidenschaft, die im Ganzen herrschen, stehen sehr im Gegensatz mit dem, was ein Concert-Auditorium unserer Zeit erwartet. Es will eines Theils nicht tief erschüttert werden, und andern Theils fehlt es ihm an den Fähigkeiten und der musikalischen Weihe, solche Harmonieen und genialische Verschlingungen zu verstehen und aufzufassen, wie es nur den Ohren und dem Gemüthe möglich ist, welches bewandert ist in der höheren Sprache der Heroen der Kunst. In manchen Harmonieführungen sind Dissonanzen gebraucht, deren folgende Auflösung nur einem erfahrenen Ohre die Härte ihres Eindrucks mildern. Die Vorhalte und Suspensionen, deren Entwicklung zuweilen erst im zweiten und dritten Tacte sich erklärt, sind oft herbe, obschon gerechtfertigt. Um dadurch nicht gestört oder beleidigt zu werden, muß man ein erfahrener Musiker sein, der im voraus erräth und erwartet, wie sich alle Widersprüche lösen, wie ich mir einen Staatsminister denke, der mitten im tobenden Gewimmel eines Hofballs sein Auge und Ohr überall zu fesseln scheint, und doch es Einigen vorzugsweise leiht, die er diplomatisch zu erforschen strebt etc.“ So ist es. Macht euch aber, Florestan und Euseb, eines so wohlwollenden Urtheils dadurch würdig, daß ihr auch künftighin so streng gegen euch selbst seid wie so manchmal gegen Andere. {{Right|Robert Schumann.

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Fragmente aus Leipzig. II.

[Die Gewandhausconcerte. Fortsetzung.]

Als ich heute die Zettel der letzten zwölf Abonnementsconcerte durchflog und mir die Buchstaben manches der gehörten Musiken vollständig, vieles halb zurückriefen, strebte die Phantasie alles in ein Bild zusammenzufassen, und unversehens stand eine Art blühender Musenberg vor mir, aus dem ich unter den ewigen Tempeln der älteren Meister neue Säulengänge, neue Bahnen anlegen sah, zwischendurch, wie Blumen und Schmetterlinge, lustige Virtuosen und liebliche Sängerinnen: alles in so reicher Fülle und Abwechselung durcheinander, daß sich Gewöhnliches und Unbedeutenderes von selbst übersah.


{17} Was in der Zeit von älteren Compositionen gegeben wurde, findet man in den vorhergehenden Nummern in der Chronik notirt. Manche Leute glauben ihr Möglichstes zu thun, wenn sie auf „einen Mozart“, „einen Haydn“ etc. als auf große Meister aufmerksam machen. Als ob man das nicht an den Sohlen abgeschliffen haben müßte! Als ob es sich nicht von selbst verstände, ob man ihre Musik nicht in- und auswendig kennen müsse! Nur die D moll-Symphonie macht ihnen noch zu schaffen, und sie fragen, ob sie denn eigentlich nicht über die Grenzen des Rein-Menschlichen hinausginge? — Freilich soll man Beethoven nach Zollen messen (nach König Learschen aber gewiß) und das Studium der Partitur thut das Uebrige.

Dankbar aber vor allem muß man anerkennen, wie sich die Direction, namentlich in dieser Saison, angelegen sein ließ, Manuscripte, weniger Gekanntes, kurz Neues vorzuführen. In dieser Hinsicht möchten sich kaum die Weltstädte mit dem kleinen Leipzig messen. Und wenn man sich auch in manchem getäuscht fand, so wurden doch Urtheile angeregt, Meinungen festgestellt, hier und da auch freudige Aussichten eröffnet. So gab es neue Symphonieen vom Stuttgarter Molique, vom Capellmeister Strauß in Carlsruhe, vom M.D. Hetsch in Heidelberg. Das Publicum stimmte in seinem Urtheil über sie fast zusammen, obgleich ohne Zweifel der ersteren der Vorrang gebührt. In allen geschickte Arbeit, wohlklingende Instrumentation, treues Festhalten an der alten Form, sonst aber nachweislich überall Anklänge an Dagewesenes, in der von Strauß, besonders im ersten Satz, so auffallend in Ton- und Tactart, Form und Idee, daß man den ganzen ersten Satz der heroischen Symphonie wie eine Gestalt am Wasser abgespiegelt sehen kann, aber freilich umgestürzt und blässer.

Ganz besondere Erwähnung gebührt der von Eduard Marxsen für großes Orchester instrumentirten sogenannten Kreutzerschen Sonate von Beethoven, von der schon Hr. Ritter von Seyfried in diesen Blättern gerühmt, wie es die mit ungewöhnlicher Instrumentkenntniß, mit Liebe und Phantasie im Beethovenschen Geist geschriebene Partitur verdient. Dagegen scheint mir der Gedanke, das im Original fehlende Scherzo durch eines aus der großen, in einer ganz andern Lebens- und Kunstepoche entstandenen B dur-Sonate zu ersetzen, in so hohem Grade unglücklich, ja auch die Instrumentation dieses Satzes im Vergleich zu den andern so ungeschickt und wie von einer andern Hand herrührend, daß ein ordentlicher Beethovener darüber eher wüthen als in die Heiterkeit des Leipziger Publicums


{18} einstimmen müßte; der dithyrambische Aufschwung im letzten Satz machte das verkehrte Einschiebsel allerdings durchaus vergessen. Seien hiermit alle Concertdirectionen um Aufführung dieser prachtvollen, ins Große gemalten Copie ebenso angegangen wie um Hinweglassung des Scherzos, und machten sie sich den reproducirenden Componisten zum Todfeind dadurch.

Wenn sich die neugebrachten Symphonieen also in ziemlich gleichen Kreisen bewegten, so waren die neuen Ouverturen ihrer innern und äußern Verschiedenheit halber um so merkwürdiger. Florestan fragte neulich schelmisch genug, zu welchem Stück von Shakespeare denn die meisten Ouverturen geschrieben würden* etc.: bei den vier fraglichen wäre jedoch der Witz nichts weniger als gut anzubringen. Eine zur Oper „Der Besuch im Irrenhans“ von J. Rosenhain in Frankfurt verrieth freilich viel Sympathie zu unsern westlichen Nachbaren, und Schönes, Sonderbares und Gemeines wechselte darin so rasch, daß man nirgends Fuß fassen konnte; indeß; zeugte sie auch von einem gewandten Talent, dem, wenn es noch Würdigeres leisten sollte, nur mehr Wachsamkeit über einen angeborenen Leichtsinn anzurathen wäre. In einem phantastischen Vorspiel zu Raupachs „Tochter der Luft“ von Spohr stellte sich seine bekannte Eigentümlichkeit mehr als je heraus, seine elegisch klagenden Violinen, seine wie vom Hauch berührt anklingenren Clarinetten, der ganze edle, leidende Spohr; im Ganzen bin ich jedoch nicht klar geworden und die Partitur konnte ich mir nicht verschaffen. Um so genauer kenn' ich die gegebene Ouverture von Ferdinand Hiller, Namens „Fernando“, spanischen Charakters, ritterlich, durchweg interessant, überaus sorgsam und fein gearbeitet, nach Beethovenscher Bedeutsamkeit strebend, im Hauptrhythmus aber leider Note für Note auf einen Gedanken von Franz Schubert (aus einem Marsch in C dur)“ so genau gebaut, daß sie mir (auch im Grundcharakter) wie eine größere Ausführung dieses Schubertschen Marsches vorkam. Mit nicht minderer Freude habe ich oft „die Najaden“, Ouverture von William Sterndale Bennett, durchlesen; ein reizendes, reich und edel ausgeführtes Bild. Wenn sie sich allerdings an das Mendelssohnsche Genre anlehnt (wie ja auch Mendelssohn sich an die Ouverture zu Leonore), ja wenn er alles, was sich von Anmuth

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     * Euseb antwortete gutmüthig: „zu Romeo und Julie“.2  Florestan meinte aber wohl zu „viel Lärm um Nichts“. [Anm. der R. Zeitschr.]
   ** Werk 121  Nr. 1:  #Notenbeispiel

{19} und Weiblichkeit in Weber, Spohr und Mendelssohn findet, wie zu einer Tonfluth vermischt und davon aus vollen Bechern reicht, so ist es eben geistige Brüderschaft, die die Vorzüge Anderer lebendig in sich aufgenommen und sich zu eigen gemacht hat. Welche blühende Poesie aber überdies in dem Werk, wie innig im Gesang und zart im Bau, welch' schöne weiche Instrumente! Gegen den Vorwurf einer gewissen Monotonie kann man sie indeß kaum in Schutz nehmen; namentlich gleichen sich die zwei Hauptthemas zu viel.

Interessant waren die einzelnen Scenen aus Faust vom Fürsten Radziwill. Bei aller Hochachtung für das Streben des erlauchten Dilettanten will es mir scheinen, als hätte man dem Werk durch das allzu große Lob von Berlin aus eher geschadet. Die wirklich äußerst unbehülflich instrumentirte Ouverture schon müßte dem Musiker die Augen öffnen, wenn nicht die Wahl der Mozartschen Fuge gleich von vornherein dem Beurtheiler. Wenn sich der Componist der Aufgabe der Ouverture nicht gewachsen fühlte und die gewiß nicht zu verwerfende Idee, ein Faustdrama mit einer Fuge, der tiefsinnigsten Form der Musik, zu eröffnen, nicht auszuführen vermochte, so gab es doch gewiß noch andere,* mehr Faustschen Charakters, als die von Mozart, die doch Niemand ein Meisterstück nennen kann, wenn man anders welche von Bach und Händel kennt. Der Eintritt der Harmonika1 und der nacheinander aufgebaute Dreiklang wirkt im Anfang allerdings eigen und schauerlich, in der Länge aber geradezu quälend, daß man sich wegwünschte. Und dann meine ich, ist doch mit einem einzigen, gewiß zwei Minuten aushallenden Cis dur-Accord zu wenig musikalische Kunst entwickelt. Vielem Einzelnen der folgenden Nummern kann aber Niemand ihren eigentümlichen Werth absprechen, eine unbefleckte Phantasie, eine so zu sagen fürstliche Einfalt, eine Erfindungskraft, die die Sache oft an der Wurzel packt.

Neu, d. h. erst hundert Jahr alt. war auch das D moll-Concert für Clavier von J. S. Bach, von Mendelssohn gespielt und vom verstärkten Saitenquartett begleitet. Vieles, was mir bei diesem erhabenen Werk, wie bei einigen Scenen aus einer der Gluckschen Iphigenien an Gedanken beikam, möchte ich hier sagen. Ein Blick auf den weiten Weg, den wir noch zurückzulegen haben, verhindert mich daran. Eines soll aber je eher je besser die Welt erfahren. Sollte sie es

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        * z. B. die bekannte fünfstimmige in Cis moll aus dem Wohltemperirten Clavier, der zufälligerweise das Thema der Mozartschen Fuge als Gegenthema hätte dienen können. [Anm. der N. Zeitschr.]

{20} wohl glauben, daß in den Musitschränken der Berliner Singakademie, welcher der alte Zelter seine Bibliothek vermacht, noch wenigstens sieben solcher Concerte und außerdem unzählige andere Bachsche Compositionen im Manuscript wohlbehalten aufbewahrt werden? Nur Wenige wissen es; sie liegen aber gewiß dort. Ueberhaupt, wär' es nicht an der Zeit und von einigem Nutzen, wenn sich einmal die deutsche Nation zu einer vollständigen Sammlung und Herausgabe sämmtlicher Werke von Bach entschlösse?* Man sollte meinen und könnte ihr vielleicht dann die Worte eines Sachkundigen, der sich Seite 76 dieses Bandes der neuen Zeitschrift über dies Unternehmen ausläßt, als Motto voransetzen. Dort heißt es nämlich: „Daß Sie Sebastian Bachs Werke herausgeben wollen, ist etwas, „was meinem Herzen, das ganz für die hohe große Kunst dieses „Urvaters der Harmonie schlägt, recht wohl thut, und ich bald im „vollen Kaufe zu sehen wünsche etc.“** Man schlage nur nach!

Und jetzt zu den Sängerinnen und Virtuosen, die diese nie genug zu lobenden Concerte verschönerten als Arabesken. Gewöhnlicheres übergeh' ich. So sind es denn von ersteren: Fräul. Grabau, wie immer fertig, fest, künstlerisch, echt, und Fräul. Werner, Novizin, jung, frisch an Stimme und Gestalt, talentvoll. B. Moliques meisterliches Spiel seines D moll-Concertes (Jemand meinte, B moll läge hier näher) ist schon in diesen Blättern erwähnt worden, ebenso St. Bennetts innig musikalisches Leben im Vortrag. Als Kunstgenüsse erster Art bleiben noch zu erwähnen das E moll-Concert von Spohr. von David gespielt, Posaunenvariationen von C. G. Müller, von Queißer geblasen, das Es dur-Concert von Beethoven und das in G moll von Mendelssohn, von Mendelssohn gespielt, d. h. in Erz gegossen nach seiner Weise.

Den Beschluß des diesjährigen Concertcyklus machte die neunte Symphonie von Beethoven. Das unerhört schnelle Tempo, in dem der erste Satz gespielt wurde, nahm mir geradezu die ganze Entzückung, die man sonst von dieser überschwenglichen Musik zu erhalten gewohnt ist. Dem dirigirenden Meister gegenüber, der Beethoven kennt und verehrt, wie so leicht Niemand wieder, mag dieser Ausspruch unbegreiflich scheinen, und endlich, wer könnte hier entscheiden als

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     * Der Gedanke hat sich zur Freude aller Künstler seitdem verwirklicht. [Sch. 1852.]
   ** Aus einem Briefe Beethovens (vom 15. Januar 1801) an den Capellmeister Hofmeister, Firma Hofmeister & Kühnel (jetzt C. F. Peters) in Leipzig.


{21} Beethoven selbst, dein dies leidenschaftliche Treiben des Tempos unter Voraussetzung eines makellosen Vortrags vielleicht gerade recht gewesen? So muß ich denn diese Erfahrung, wie so manche, zu meinen merkwürdigsten musikalischen zählen, und mit einiger Trauer, wie schon allein über das äußere Erscheinen des Höchsten ein Meinungszwiespalt entstehen kann. Wie sich aber freilich im Adagio alle Himmel aufthaten, Beethoven wie einen aufschwebenden Heiligen zu empfangen, da mochte man wohl alle Kleinigkeiten der Welt vergessen und eine Ahnung vom Jenseits die Nachblickenden durchschauern.

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Bericht and Jeanquirit* in Augsburg

über den letzten kunsthistorischen Ball beim Redacteur **.

Lies und staune, Geliebter! der Redactceur der „neusten musikal. Zeitschrift“ pflegt nämlich alljährlich wenigstens einmal eine Art kunsthistorischen Balles zu geben: die Geladenen denken ihretwegen, der Fuchs lächelt aber ganz heimlich dazu, da er sich dadurch nur des verdrießlichen Durchgehens der Tanzliteratur überheben, vielleicht auch des Eindrucks der Musik auf das Publicum um so sicherer sein will — mit einem Worte, da er mit dem Feste Kritik, ja die lebendigste bezweckt. Du sollst den Patron noch kennen lernen. Zwar waren auch mir Gerüchte über die sonderbare, wenig tanzliche Musik, die wir als seine Maschinen daselbst abschleifen müssen an den Füßen, zugekommen; indeß wie dürfte ein junger Künstler solche Einladung ausschlagen? Wallfahrteten wir nicht im Gegentheil geschmückten Opferthieren gleich und scharenweise in den Festsaal? Hat der Redacteur etwa keine Töchter, bei denen sich mit Vortheil zu insinuiren, — eine ungemein lang, die viel recensiren soll in der „Neusten“, und dann eine jüngere, eigentlich Malerin, die Unschuld selbst — Mädchen, Jeanquirit, die ein grenzenloses Unheil über mich gebracht! Ueberhaupt aber wünschte ich dich an jenem Abend mehr als je her. Auf- und abwandelnde Componisten, zusehende schöne Mütter von Dilettantinnen, der **sche Gesandte mit Schwester, Musikverleger in Röcken,

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         * Stephen Heller,

{22} ein paar reiche Jüdinnen, an Säulen angelehnte Davidsbüudler — kurz, nur mit Mühe konnte ich durch und zur Mitredactrice (Ambrosia heißt die Riesin), sie zur ersten Polonaise aufzuziehen. (Unten kannst du das Tanzprogramm lesen.*) Viel sprachen wir zusammen, z. B. ich über das eigentliche Wesen der Polonaise, und wie wir uns auch darin als Deutsche zeigten, daß wir selbst im Tanz den verschiedenartigsten Völkern nachfußten, und daß Strauß in dieser Hinsicht (und vielleicht nur in dieser, schaltete Ambrosia ein) ein wahrer Heiland, und daß der letzte Tact der Polonaise mit seinem Schlußfall etwas Trauriges für mich habe u. dgl. Seit der Eroberung von Warschau, bemerkte meine Tänzerin, tanze auch ich diesen Tanz immer mit einer Furcht, es möchte etwa ein Kosak eintreten mit einem Verdict — die armen Polen! seufzte sie, — meine Beda spielt Chopin nie ohne Thränen. . . (Ich) Wie edel Sie fühlen, — und wie artig melodiös ist auch die Polonaise dieses neuen polnischen Componisten, die wir so eben tanzen, (Sie) In der That, das Trio spricht mich sehr an, aber wie sehr à la Chopin! — So hatte sie denn die romantische Schule zum zweitenmal bei den Haaren hergezogen, mich über solche zu erforschen. Mit aller Liebenswürdigkeit und Schlauheit verfuhr ich, vorteilhaftesten Eindruck für mich und künftige Werke aus dem Gespräche zu ziehen; immer lästiger wurde mir’s aber, je mehr sie mich mit ihren liebesüchtigen Augen beschoß. Zum Glück endigte der Tanz. Kaum abgetreten, rief sie mich zurück und flüsterte: „die letzte Polonaise von Chopin an so künstlerischer Hand zu feiern, würde mich“ — mich

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'* Tanzordnung.'

Erste Abtheilung.

Große Pathetische Polonaise von I. Nowakowski. Wert 11. Walzer von F. Chopin (in Es). Werk 18. Vier Mazurken von I. Brzowski. Werk 8. Sechs vierhändige Walzer von C. H. Zöllner. Große Polonaise von F. Ries. Werk 174.

In der Pause: Bolero von Chopin. Werk 19.

Zweite Abtheilung.

Drei vierhändige Polonaisen von C. Krägen. Werk 15, Großer Bravourwalzer von Liszt. Werk 6. Vier Mazurken von E. Wolff. Werk 5. Zwei Polonaisen von Chopin (Cis moll und Es moll). Werk 26. [Sch.]

{23} glücklich machen, schloß ich mich verbeugend. Eine Schlacht war gewonnen, aber der Roman begann erst. Mein Nächstes war, Beda, die jüngere Schwester, zum Chopinschen Walzer aufzusuchen. Wunder nahm es mich, daß mir der Engelskopf, den ich heute zum erstenmal sah, zusagte, den Tanz nämlich und überhaupt, da mir Eusebius einen Augenblick zuvor verstimmt genug gesagt, sie hätte ihm ihn hocherröthend verweigert. Kurz, mit mir tanzte sie. Schwebte und jubelte ich aber je, in diesen Augenblicken war’s. Zwar konnte ich nur einige „Ja“ aus ihr hervorlocken, aber diese sprach sie so seelenvoll, so fein nüancirt in ihren verschiedenen Beziehungen, daß ich immer lauter fortschmetterte als Nachtigall. Beda, glaub' ich, schwiege eher, als daß sie ein widersprechendes Nein über ihre Lippen bringen könnte: um so unbegreiflicher, Jeanquirit, war mir der Korb an Euseb. Als uns nun Chopins Körper und Geisterhebender Walzer immer tiefer einhüllte in seine dunkeln Fluthen, und Beda immer schwermüthiger in das Gedränge blickte, lenkte ich das Gespräch leise auf Chopin selbst. Kaum, daß sie den Namen gehört, als sie mich zum erstenmal ganz anblickte mit großen guten Augen. „Und Sie kennen ihn?“ Ich gab zu. „Und haben ihn gehört?“ Ihre Gestalt ward immer hehrer. „Und haben ihn sprechen gehört?“ Und wie ich ihr jetzt erzählte, daß es schon ein unvergeßlich Bild gäbe, ihn wie einen träumenden Seher am Clavier sitzen zu sehen, und wie man sich bei seinem Spiele wie der von ihm erschaffene Traum vorkäme, und wie er die heillose Gewohnheit habe, nach dem Schlusse jedes Stückes mit einem Finger über die pfeifende Claviatur hinzufahren, sich gleichsam mit Gewalt von seinem Traum loszumachen, und wie er sein zartes Leben schonen müsse, — schmiegte sie sich immer ängstlich-freudiger an mich an und wollte mehr und mehr über ihn wissen. Chopin, schöner Herzensräuber, niemals beneidete ich dich, aber in dieser Minute wahrhaftig stark. Im Grunde aber, Jeanquirit, war ich dumm und nichts als der Pinsel, der ihr das Bild ihres Heiligen erst recht kußnahe vor die Seele geführt, und wirklich dumm. „Bin ich kindisch“, sagte sie am Schlußstretto, „wenn ich Ihnen gestehe, daß ich mir, ohne ihn je gesehen zu haben, sein Bild gemalt, und holen will ich’s Ihnen, und sagen Sie mir, ob ich recht getroffen, — und ja Niemandem etwas davon“? Bei den letzten Worten fühlte ich ihren Händedruck. Am Abschied bat ich sie noch um einen Tanz: „sie hätte keinen mehr als die letzte Chopinsche Polonaise und mit Freuden tanze sie mit mir“. Erlaß mir, Bester, dir von meiner Langenweile während der folgenden


{24} Tänze zu erzählen. Aber eine Entdeckung machte ich, die mich rächen soll an dem doppelzüngigen Redacteur und Ballgeber dieses Abends. Als ich nämlich in einem halberleuchteten Nebenzimmer auf- und abging, fiel mein Blick auf eine Stimmgabel und ein Blatt Papier. Zu meinem Erstaunen las ich darauf u. A.: „Mazurken von Brzowski — komisches, unklares, oft plattes Zeug, mehr Nasen- als Brusttöne, nicht ganz uninteressant. — Walzer von Zöllner — etwas langweilig und untanzlich, aber fleißig und eben zu gut als Tanzmusik: scheinen von einem Organisten für Collegenhochzeiten geschrieben“ u. s. w. — Das Blatt wieder hinlegend entfernte ich mich und sah bald durch eine Vorhangspalte, wie der Redacteur zurückkam, sich niedersetzend die Stimmgabel öfters vom Schlag zum Ohr führte und ruhig schrieb. War ein Tanztheil vorbei, husch öffnete er die Ballsaalthüre, wahrscheinlich die vox populi zu prüfen, und schrieb weiter. Der Mann dauerte mich: er recensirte. Im besten Lauschen hielt mir auf einmal Jemand rücklings die Augen zu. Beinah grob wurde ich, als ich im Scherzmacher einen flamändischen Fagottvirtuosen, einen Hrn. de Knapp hinter mir erkannte — ein Gesicht, das wie das offene Feldgeschrei des Scandals aussieht, seiner Glatze, seines moralwidrigen Nasenwurfes nicht zu gedenken, ein elender Fingerirer, der mich haßt', weil ich ihn einmal in Brüssel von Weitem hören lassen, ein Fagottkünstler, der nicht nebenbei Violine spiele wie Paganini, brauche sich vor mir ganz und gar nicht abzuarbeiten; kurz, einen ganzen Shakespeare von Schimpfwörtern entdeck' ich in mir, wenn ich nur an ihn denke. „Verzeihung für meinen Scherz“, entschuldigte er sich (er ist beiläufig Hausfreund im Redactionspalast und Ambrosias Shawlträger), „aber Frl. Beda fängt so eben den Bolero an“. Grundes genug, ihm den Rücken zu kehren. Du kennst diese zarte liebetrunkene Composition, dies Bild von südlicher Gluth und Schüchternheit, von Hingebung und Zurückhaltung — und nun Beda mit schwärmerischer Lieblichkeit am Clavier, das Bild ihres Geliebten in und vielleicht am Herzen, mir, mir es zu zeigen. . . Fort lief ich beim letzten Gedanken und hoffte nur noch von der letzten Polonaise. Die Begebenheiten drängen sich jetzt Schlag auf Schlag. Laß mich eilig über ein paar Polonaisen hinweggehen (der Componist war selbst zugegen, ein etwas sachter, aber angenehmer Mann wie seine Polonaisen). Den Bravourwalzer von Liszt drosch Ambrosia mehr, als sie ihn verstand, und schwitzte sichtlich. „Nur mit Wuth könne man so ein Ungeheuer bezwingen“, sagte ich ihr ins Ohr, „und sie thäte ganz gut,


{25} daß sie nicht schonte“. Sie lächelte mich liebend an. Noch waren einige Mazurken übrig bis zum Tanz mit Beda, der über das Schicksal des Abends entscheiden sollte. Die schönen Melodieen dieser Tänze verfolgten mich, als ich mich zufällig wieder vor dem Vorhang befand, wohinter der Redacteur kreiste. Kaum hatte ich einige Augenblicke gelugt, als mir, gerade wie vorhin, Jemand die Augen zuhielt. Als ich abermals de Knapp hinter mir fand, sagte ich ihm, einen Witz dürfe man kaum wiederholen, keinen aber gewiß niemals. Und da de Knapp nicht viel Deutsch versteht, übersetzte ich es ihm flämisch noch einmal mit den Augen. „Entschuldigen Sie, mon cher“, stotterte er, „aber Frl. Ambrosia warten zur Polonaise“. Jetzt aber gewahrte ich erst meine schlimme Lage. War es denn nicht derselbe Tanz, den ich Beda versprochen? Andrerseits wie würde mir Ambrosia je verzeihen? Wird sie nicht die Liebespfeile, mit denen sie mich jetzt bestürmt, späterhin in kritische Aqua Toffana eintunken, mich heruntermachen nach Noten? Ein Blick nach Beda, und ich ließ den Lorbeer fahren und griff ihre Hand zum Tanz. Freund, du weißt, viel vertrag' ich, Schmerzen wie Champagner, — aber sich in solcher Musik an solcher Seite zu ergehen, auf Strahlenfittigen mit solchem Mädchen durchs Blau zu schweben, — kaum hielt ich mich vor Schwindel. Wohl hütete ich mich auch, an Chopin zu erinnern, damit sie mich nicht wie einen Verbrecher aus der einsamen seligen Höhe herabstürze. Als sie mich aber fragte, ob sie mir das Bild zeigen dürfe, griff ich mechanisch zu. Das Bild war trefflich gemalt, der Kopf bis auf den revolutionären Zug um Chopins Mund beinahe ähnlich, die Gestalt eher etwas zu groß. Den Körper etwas zurückgebogen, bedeckte er sich das rechte Auge mit der Hand, das andere starrte kühn in das Dunkel: im Hintergrunde spielten Blitze und gaben dem Ganzen die Beleuchtung. „Gut“, sagte ich, vielleicht etwas scharf, denn sie drang in mich, ob mich das Bild vielleicht an eine trübe Vergangenheit erinnere. „Nein“, antwortete ich, „eher an die Zukunft“. Hart und stumm schritt ich fort. Ambrosia, die ohne Tänzer neben de Knapp sitzend mit zuckenden Lippen zugesehen, entfernte sich eilig. Kurz darauf flüsterte de Knapp Beda etwas ins Ohr; sie ward bleich und entschuldigte sich, daß sie nicht weiter tanzen könne. Mein Befremden kannst du ermessen! Der Anblick de Knapps gab mir aber meinen ganzen Humor wieder; ja, als er nach Beendigung des Balls nicht weit von mir gegen einen Dritten etwas von „unanständigem Benehmen gegen die Töchter des Haufes“ fallen ließ, forderte ich ihn ohne


{26} Weiteres, natürlich auf Schuß. Deute dir aber, was ich von Euseb höre, der mich mit geheimnißvollem Wesen in eine Nische zieht und erzählt, an seinem Korb wäre ich Schuld; der Vater Redacteur hätte Beda ausdrücklich verboten, mit mir (Florestan) zu tanzen, da ich ein Erzromantiker, ein Drei-Viertel-Faust sei, vor dem sich zu hüten wie vor einer Lisztschen Composition, — Beda uns aber wahrscheinlich unserer großen Aehnlichteit wegen verwechselt und ihm den Korb gegeben, der eigentlich mir bestimmt, — daher das plötzliche Abtreten Bedas, die von de Knapp nach dem Willen des Vaters vom wahren Bestand der Sache unterrichtet worden etc. Und dieser Redacteur, dieser phantasielose Zopf, dessen kritisches Stimmgabelverfahren ich der Welt noch einmal aufdecken will, macht mir auf der Treppe noch den Antrag, daß ich ihm etwas für seine „Neuste“ über die eben gehörten Tanzmusiken liefern möchte, versichert mir, daß er mich an sein Haus (an Ambrosia, der ein Mann fehlt, natürlich, da sie schon einer ist) zu ketten wünsche u. dgl. Jeanquirit, daß ich ihm etwas Dumpfes antwortete, wäre zu erwarten gewesen; daß ich aber Bedas wegen wie ein Lamm vor ihm stand und nichts sagte, beim Himmel, verzeihe ich mir nie. Und doch hat an allem nur Chopin die Schuld. {{Right|Fl.

#Notenbeispiel

Nachschrift. Wie ich’s vorausgesehen! — Nr. 37 der „Neusten“ enthält eine Recension unseres Carnavals: „das wären einmal wieder Zwiebelmonstra, bei denen man vor lauter Mitleid nicht zum Weinen kommen könne, — Componisten sollten ihre Werke doch erst die Linie passiren lassen, ehe sie entstöpselten, — sollten nicht denken, daß, wenn sie ihren Nullen von Gedanken Schwänzchen anhingen, gleich Neunen daraus würden“ etc.

NB. De Knapp hat sich in voriger Nacht aus dem Staube gemacht. 4

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       * d. h. B —e—d—a.
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{27} 'Rondos für Pianoforte.

K. F. Heckel, Vergißmeinnicht, Rondo.  Werk 11.

A. F. Mohs, Rondo in B. Werk 3. C. Erfurt, 3 leichte Rondos nach Motiven von Auber. Werk 30.

 „        „         Abschied von Magdeburg, Rondo. Werk 32.

Louise Farrenc, La grand-mère, Rondo in D. A. Gutmann, Leichtes und brill. Rondo. F. Glanz, La tendresse, charakteristisches Rondo. Werk 2. Adele Bratchi, Großes Rondo. Werk 2. R. von Herzberg, Brillantes Rondo. Werk 11. Th. Döhler, Rondino über ein Thema von Strauß. Werk 19.

    „        „              „           „       „      „         „   Coppola. Werk 20.

J. F. Dobrzynski, Rondo alla Polacca mit Orchester. Werk 6. E. Köhler, Elegantes Rondo mit Einleitung. Werk 47. O. Gerke, Einleitung u. brill. Rondo mit gr. Orchester. Werk 26. C. A. v. Winkhler, 2 brillante Rondos. Werk 45 und 46. C. Czerny, Großes Rondo. Werk 405. F. Ries, Einleitung und Rondo alla Zingaresco. Werk 181. St, Heller, Rondo-Scherzo (in G). Werk 8. F. Chopin, Rondeau alla Mazur (in F) . Werk 5. J. Moscheles, Rondo über eine schottische Melodie.

    „       „    „         Brill. Rondo mit Einl. über ein Thema von Dessauer. W. 94.

„Vergiß mein nicht! Du Jüngling, den ich meine, Zu welchem dieses Lied hier spricht, Um dessen Glücke ich zu Gott oft betend weine, Vergiß mein nicht!“

Ihr irret, Componistenjünglinge, wenn ihr meint, ich hab' euch so eben angesungen. Der Vers ist nur der Anfang des Gedichtes, das man auf dem Titelblatt des ersten der obigen Rondos vollständig lesen kann, und der Componist scheint somit auf eine neue Gattung (etwa „Rondo mit Worten“) zu denken, wozu ihm und uns nur Glück zu wünschen. Man irrt aber wiederum, wenn man in der Musik ähnliche Sentimentalität zu finden hofft; im Gegentheil fährt diese so dick und rothbäckig wie möglich hinterdrein. Einem ordentlichen Recensenten wird es nicht schwer fallen, seine Gelehrsamkeit an dem armen Kind zu zeigen und seine Uebermacht; bescheidenere vergleichen sich lieber gleich Menschen wie Lawrence Sterne, der eben im Begriff eine Fliege todtzumachen, sie zum Fenster hinausließ mit dem Bemerken, daß die Welt für sie beide ja groß genug. Entlassen wir mithin auch das zweite Rondo, auch das dritte, das vierte und das fünfte. Bei Nr. 3 und 5 könnten Manche, namentlich Lehrer einwenden, daß sie ja

{28} offenbar für Kinderhände gedacht wären, und daß Combinirteres und Tieferes da am unrechten Ort etc. Ich aber sage! seid nur immer hübsch geistreich; das talentvolle Kind will das, und spürt, wo es fehlt, eben so gut wie wir älteren, mit so durchweg matten Producten wird nichts gefördert. Daher gefällt mir das Rondo von Gutmann, das „für Kinder, die noch nicht eine Octave spannen können“, geschrieben ist; in ihm ist mehr Melodie und Leben.

Die drei folgenden Rondos wären ebenfalls am besten ungedruckt geblieben. Das von Adele Bratchi gibt sich zwar Mühe, etwas mehr zu sein als gewöhnliche Rondomusik, und verräth in seinen Reminiscenzen (so in der Einleitung an die Preghiera von Rossini, im ersten Thema an Field, im zweiten an Webers Aufforderung zum Tanz) Vertrautheit mit vieler Musik, wird aber in der Länge immer klarer uud langweiliger, des kindischen Satzes der Harmonie nicht zu erwähnen. Völlig bedeutungslos sind die Stücke von F. Glanz und R. von Herzberg; zwar hat das letztere keine so schreienden Quinten und Octaven wie das erstere, zeugt aber überall von noch ganz unsicherer Hand und von einem noch wenig gebildeten Ohr, dort im Bau des Ganzen, hier in der Harmonie; übrigens ist es schwer und will studirt sein. Hr. Th. Döhler gibt mit seinen zwei leidlich hübschen Rondos abermals den Beweis, wie es ihm um den Ruhm eines Czerny des Zweiten zu thun. Was Strauß und Coppola für große Leute, gewahrt man erst, wenn man die Döhlersche Zuthat dagegen hält. Es ist merkwürdig und traurig, wie ein so bedeutender Klavierspieler so wenig als Componist zu leisten vermag. Wahrhaftig, junge Künstler, hütet euch vor allen Gräfinnen und Baronessen, die Compositionen dedicirt haben wollen; wer ein Künstler werden will, muß den Cavalier lassen.

Das Rondo von Hrn. Dobrzynski ist von geschickten Fingern componirt, correct geschrieben, nationell gehalten, in der Form etwas breit, aber in richtigen Verhältnissen. Eine eigentliche Idee sucht man jedoch auf den vierzehn Seiten umsonst; Originelles hat sie gar nichts. An einem Rondo élégant von Hrn. Köhler kann man, was das Aeußere, die Technik betrifft, ebenfalls nichts aussetzen, Ueberall vermißt man auch in ihm wie in allen vorigen Rondos eigentliche Musik, schönen Gesang, feinere Bildung. Ueber sein Talent hinaus kann freilich Niemand; aber die Kräfte bilden, veredeln sollte wenigstens Jeder. Ich weiß nicht, wem mit solchen Compositionen gedient ist; für Dilettanten zu trocken, für Virtuosen zu wenig glänzend, für

{29} Musiker zu uninteressant, bieten sie Allen etwas, befriedigen sie Keinen vollständig.

Das brillante Rondo des Hrn. O. Gerke hat den Haupttitel Souvenir de Weimar“ und erinnert an Hummels Weise, dem es auch zugeeignet ist. In der Mitte benutzt Herr Gerke ein russisches Lied, das, wenn ich nicht sehr irre, auch von Hummel schon in ein größeres Rondo eingeflochten ist. Daß er es einigemal förmlich und in derselben Tonart variirt, gibt dem Rondo einen neuen Anstrich und muß mit dem Orchester zusammen von Wirkung sein. Bis auf die Einleitung, mit der mir doch zu wenig gesagt scheint, ist die Arbeit von Werth. In der Cantilene hat sich der Componist vielleicht vor einigen schwächlichen Vorhalten, überhaupt vor einem gewissen weitschweifigen Sentimentalisiren zu hüten; in der freien unbelauschten Phantasie mag man sich in solcher Weise ergehen, — der Oeffentlichkeit gebe man aber nur Schönstes und dies so kurz und energisch wie möglich ansgedrückt.

Die zwei Rondos von Herrn von Winkhler sehen sich wie Geschwister ähnlich, d. i. erheben sich nirgends über die bürgerlichste Prosa und wollen es auch nicht. Auffallende Fehler sind in ihnen so, wenig zu finden als Schönheiten; so wäre denn diesem in einer mittleren Sphäre sich gefallenden harmlosen Componisten nur noch mehr Sichtung dessen, was er für den Druck bestimmt, anzurathen.

Hr. Czerny nimmt mit seinem Allegro agitato einen romantischen Anlauf. Nur Wenige würden auf ihn als Componisten dieses Stückes rathen, in einen so grauen Incognitorock hat er sich eingeknöpft. Dringt auch manchmal der Alte plötzlich und mächtig durch, so kann einem doch die Veränderung, die in seinem Wesen vorgegangen zu sein scheint, kaum entgehen. Wie das enden wird, wer weiß es? Daß das Rondo hübsch und angenehm klingt, versteht sich.

Eben so schwer wäre das folgende Rondo als eine Composition von Ries zu erkennen, eine so gewöhnliche allgemeine Physiognomie hat sie. Rechnet man dem Alter den Nachlaß an Phantasie als natürlich an, so doch nicht den an Ernst und Fleiß als etwas Rühmliches. Künstlerische Zwecke können es wenigstens nicht sein, die einen anerkannten Meister zur Veröffentlichung so gar unbedeutender Sachen bewegen.

Im Rondo von Stephen Heller begegnen wir endlich einer aus wahrem Geiste kommenden Composition. einer echten Künstlernatur, über deren Eigenthümlichteit beim Erscheinen größerer Werte die Zeitschrift ausführlicher sprechen wird. Das Rondo, so klein es ist, sprudelt


{30} recht eigentlich von Geist und Witz über. Zart, naiv, klug, eigensinnig, immer liebenswürdig, scherzt es wie ein Kind herum, setzt sich uns auf den Schooß, bringt die wunderlichsten Einfälle vor, springt wieder fort — kurz, man muß es lieb haben.* Der Leser soll also bald mehr über dies ausgezeichnete Talent erfahren.

Das Rondo von Chopin ist vielleicht schon im achtzehnten Jahre geschrieben, aber erst vor Kurzem erschienen. Die große Jugend des Componisten ließe sich höchstens an einigen verwickelten Stellen, aus denen er sich nicht so schnell herauszufinden weiß, errathen so am Schluß der S. 6), im Uebrigen ist das Rondo durch und durch Chopinsch, mithin schön, schwärmerisch, voll Grazie. Wer ihn noch nicht kennt, wird am besten mit diesem Stück den Anfang machen.

Die zwei Rondos von Moscheles sind für mittlere Spieler geschrieben. Wer ein Meister einmal, fasse an, was er will: es hat alles ein Ansehen. Die Rondos haben keinen höheren Werth als etwa Kreidezeichnungen, wie sie ein Maler mehr zur Belustigung auf Tisch und Wand hinwirft; verleugnen aber kann sich die Meisterschaft nirgends. In dieser Art erfreue sich Jedermann der kleinen Bilder. {{Right|22.

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Variationen für Pianoforte.

J. Risle, Thema mit Variationen. Werk 44. C. G. Kulenkamp, Brill. u. leichte Variationen über einen Fandango. Werk 51. J. Ruckgaber, Variationen über ein Originalthema, Werk 32. J. Stocks, Brill, Variationen über ein Thema von Auber. C. Haslinger, Brill. Variationen über ein Thema von Auber. Werk 6. L. Böhner, Variationen über ein bekanntes Thema. Werk 99. F. X. Chwatal, Variationen über ein Thema von Wolfram. Werk 11.

  „     „        „           Leichte Variationen. Werk 28.
  „     „        „           Variationen über ein bekanntes Thema zu 4 Händen. Werk 29.
  „     „        „           Variationen über ein bekanntes Thema. W. 33.
  „     „        „           Variationen über ein Thema von Strauß. Werk 34.

W. Hauck, Gr. Variationen über ein Thema aus Aschenbrödel. Werk 36. C. Czerny, Brill. Variationen über ein italiänisches Thema. W. 302. G. A. Osborne, Brill. Variationen über ein Thema von Halévy. Werk 21.

  „    „       „                „            „             „       „        „       „   Meyerbeer. Werk 24.

C. Stamaty, Brill. Variationen über ein Originalthema. Werk 3. H. W. Stolze, Variationen über ein russisches Thema. Werk 29.

Unsterblich ist keines der obigen Werke, hübsch manches. Es käme nur darauf an zu wissen, was die resp. Componisten selbst über ihre

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        * Es ist Florestan und Eusebius zugeeignet.

{31} Werke urtheilten. Hielten sie solche für ewig, so müßte man sie von ihrer Idee abzubringen suchen; gäben sie aber lachend zu, daß es ja Kleinigkeiten, über die nicht viel Worte zu verlieren, so müßte man ihre Bescheidenheit loben; denn Bachs können wir nicht in jeder Stunde sein, obwohl solches wünschenswerth.

Nr.1 und 2 gehören der blanksten Gewöhnlichkeit an. Herr Kulenkamp schrieb der Redaction der Zeitschrift einmal einen Brief, in dem er sehr auf sie loszieht und den zurückgesetzten großen Künstler überall durchscheinen läßt. Wären wir seine Feinde, wie könnten wir uns jetzt rächen! Denn wer Compositionen wie Werk 51 herausgibt, darf keine anmaßenden Briefe an die Redactionen schreiben. Aber wozu Feindschaft? Schreibe er also nur nicht noch einmal und ähnlich, sonst müßten wir ganz anders mit ihm reden.

Die Variationen des Hrn. Ruckgaber sind hübsch, etwas fade, aber nicht um darüber in Harnisch zu kommen. Quinten und Octaven, die greulichsten, könnte man nachweisen; — als ob das die größten Sünden der Variationisten wären! Die so gerne von einer Verschmelzung von Deutsch und italiänisch5 sprechen, können ihre Traume hier verwirklicht hören. Nehmt einen Baß mit einer Triolenfigur in der Decimenlage, singt dazu eine Melodie, werft einige schwindsüchtige Vorhalte hinein, und die deutsch-italiänische Schule ist fertig.

In Hrn. Stocks lernen wir einen angehenden Saloncomponisten kennen. Fehlt ihm noch manches an feinster Tournüre, so läßt sich das durch eifriges Studium der Herzschen Werke ja nachholen, Ein junger Pariser, der mit hohen Begriffen von der deutschen Musik hierher gekommen und sich weiter bilden wollte, gestand mir, wie er sich nicht genug verwundern könne, daß in Deutschland Musik gedruckt erschiene, die in Frankreich schon wegen Mangels an modischer Eleganz nicht gespielt werden würde. Das ist eben das Unausstehliche, antwortete ich ihm, diese geschmacklose Solidität, in die wir unsere Salonkünste tauchen, gegen welche Herz ein wahrer Engel an Musik. Daß wir indeß unserm Componisten nicht Unrecht thun: — er kann Talent haben; wenigstens hat das Finale Bewegung und guten Zug.

Ein bekannter deutscher Componist antwortete einmal auf die Frage, wie ihm eine neue Oper von Auber gefalle, die gerade in Paris gegeben wurde: „die Taglioni tanzt wunderhübsch“. Aehnlich würde ich, wollte Jemand mein Urtheil über die Variationen des Hrn. C. Haslinger, sagen: „die Wiener sind ein lustig Volk“. Loben muß man schon, wenn ein heutiger Componist, der ein kleines.

{32} scherzhaftes Thema vorhat, nicht mit einer Einleitung anfängt, als gält' es die Mauern von Jericho umzucomponiren. So hält sich denn das ganze Heft in einer natürlichen heiteren Stimmung, die sich nur in der zweiten Variation etwas erhöht, dann aber sogar Werthvolleres hervorbringt. Der Schluß ist überraschend.

Mitten unter den jungen Gesichtern sieht uns auf einmal eine alte Ruine an. Die grünen Zweige, die sie noch trägt, wolle man ihr lassen; sie erzählen von alten Zeiten und großen Menschen, die sie gesehen. Nicht ohne Theilnahme kann man’s betrachten. 6

Die Variationshefte des Hrn. Chwatal sind fast sämmtlich instructiven Charakters und enthalten, weniges Trockene abgerechnet, allerliebste Sachen, Stübchenmusik möcht' ich sie nennen. Musikalischen Gehalt hat W. 11 am meisten, und in diesem wieder die Einleitung. Bei der zweiten Variation fällt mir das unleidliche Quinquiliren zwischen kleiner und großer None auf, das noch vor etlichen Jahren zu den Feinheiten des Tages gezählt wurde. Der Componist, sonst ja ein gesunder Harmoniker, erinnere uns nicht mehr an jene Zeiten!

Wenn man die Variationen über ein Thema aus Aschenbrödel demselben Componisten zuschreiben muß, der vor Kurzem gestorben und ein schätzbarer Künstler gewesen sein foll, so scheint diese Composition einer früheren Periode anzugehören, in der sich noch keine edlere Kunstansicht in ihm entwickelt hatte. Die Variationen sind unter jedem Gesichtspunct unbedeutend und nicht einmal mit der Leichtigkeit geschrieben, die die Trivialität ähnlicher Werke in etwas vergessen macht. Halte man sie lieber ganz unterdrückt!

Hrn. Czerny kann man nicht einholen, mit aller kritischen Schnelligkeit. Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäb' ich ihnen zu hören, sie zu vernichten. Die Fadheit dieser Variationen ist wahrhaft remarkabel.

Die zwei folgenden Componisten sind Schüler von Kalkbrenner und vortreffliche Virtuosen, ihre Variationen keine Kunstwerke, aber elegante Pariser Modearbeiten, und immer noch erträglicher als diese deutschen Plumpsäcke, die oben flüchtig berührt wurden. Gut gespielt müssen die Variationen des Hrn. Osborne W. 21, in Entzücken setzen sie scheinen mit einer gewissen Selbstgefälligkeit geschrieben und haben den Vorzug, leichter zu sein, als sie klingen. In den Variationen über ein Thema aus den Hugenotten kommt im Finale mehr als überraschend der Choral „ein feste Burg“ etc. Bleibt Meyerbeer leben, so werden wirs noch von den Lerchen in der Luft hören.


{33} Besonderer, ausgesuchter, eigenthümlicher sind die Variationen von Stamaty über ein Originalthema, das freilich selbst wie eine Variation scheint, übrigens aber von weichem, zerfließendem Ausdruck ist. Talent findet man durchgängig, in der zweiten Variation auch viel Empfindung, Die vielen vorkommenden Octavengänge haben ihren Grund wohl mehr in der Bravour, mit der sie der Componist spielt, als in einer ästhetischen Nothwendigkeit.

Sehr schätzensmerth, wie alles was uns von den Arbeiten des Hrn. Stolze bekannt, sind auch die oben erwähnten Variationen, und zeichnen sich durch interessantere Stimmenführung, eignen Zuschnitt und durch etwas Geistigeres aus, was manchen seiner anderen Compositionen abzugehen schien. Wünschte ich dem Componisten etwas, so wäre es ein Verleger, der seine Werke zeitgemäßer ausstattete. Ein so graues Kleid schadet dem ersten Eindruck beim Durchspielen ungemein. In der Phantasie habe ich mir das Werk aber möglichst schon nachgesungen und der besten Empfehlung werth gefunden. {{Right|22.

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Phantasieen, Capricen etc. für Pianoforte.

Erste Reihe.

I. Tedesco, Phantasie über Motive aus Robert der Teufel. Werk 6. C. Schunke, Gr. charakt. Caprice über ein Thema von Meyerbeer. Werk 46. J. Risle, Brillantes Allegro. Werk 45. J. Schmitt, Gr. Brill. Phantasie (Douleur et triomphe). Werk 225. Hommage à Clara Wieck. Recueil p. l. Piano. O. Gerke, Amusement. Werk 16. J. P. E. Hartmann, 4 Capricen, Werk 18. Heft 1.

Wer weiß, wie Herr Tedesco mit obiger Phantasie in Leipzig wenigstens in Erstaunen gesetzt, ja wer sogar jener Execution selber beigewohnt hat, kann es dem Componisten nicht verargen, daß er ein bescheidenes: Exécutée par l’auteur dans ses concerts“ auf dem gedruckten Titelblatt beifügte. Ueber gewisse Dinge spräche man nicht, wenn man nicht oft gegen seinen Willen dazu gezwungen würde. Wer wird einem jungen reifenden Künstler übel wollen, ihm nicht förderlich sein! Nur das ,,exécutée“ etc. hätte der Virtuos weglassen sollen, dieses „exécutée“ etc. läßt mir keine Ruhe und Rast, verfolgt mich seit einigen Tagen in meine Träume, versetzt mir den Athem. Und

{34} dann lesen wir in einigen norddeutschen Blättern von einem Wunderspieler, dem Hannibal der Octaven etc. Auch dies mochte sein und verdiente keine Widerlegung, Aber dies ,,exécutée, dies einzige Wörtchen — — Ich kann nicht weiter.

Ueberhaupt, wer hat die Schuld am Glücke so vieler junger Componisten? — Meyerbeer. Ich sage nichts vom unmittelbaren Einfluß seiner Werke auf den ganzen Menschen, nichts von dem europäischen Universalstil, in welchen sich durch Bearbeitung seiner Themen am sichersten einzuschießen; ganz materiell deute ich nur auf das Gold, das göttliche, das eifrige Jünger aus ihm schlagen, auf den Vortheil, hinter den Fetzen eines großen Mannes sich mit in die Unsterblichkeit einschmuggeln zu können. So auch Hr. C. Schunke. Mit Wonne wälzt er sich in des Meisters Tönen, reicht vom großen Gesammteindruck noch einmal aus duftenden Schnapsgläschen, sich tausendfach zu berauschen: kurz, Meyerbeers tapferster Herold ist er. Fragt mich nicht genauer, was ihr auf den 20 Seiten Musik für welche bekommt, gewiß gute Anfänge, verwehende Clavierseufzer, eine Menge delicater Kleinigkeiten, dann das Meyerbeersche und allerliebste Ausführung, zum Schluß endlich, worauf ich längst gepaßt, eine Andeutung des Lutherschen Chorals. Doch sind dies nur Worte, Winke, die nur schwach wiedergeben, was ich mir bei den Hugenotten selbst vom Kleiderausziehen der Mädchen an bis zum Choral hinauf gedacht. Daher schwelge man nur von der Quelle selbst!

Beinahe traurig gegen solche Freudenmusik nimmt sich eine unschuldige Polonaise von Hrn. Risle aus. der die Welt indeß wenig kennt, wenn er solche mit Palestrinaschen Dreiklängen zu packen meint. Das Trio allein hat etwas mehr Farbe und angenehmen Charakter: das Uebrige ergeht sich in den gewöhnlichsten Harmonieen: das Ganze scheint wie eine Composition aus Vanhals Zeiten.

An der Phantasie des Hrn. J. Schmitt mißfällt mir allein das bombastische Aushängeschild. Warum Douleur et Triomphe? Warum Inspiration musicale? Warum grande Fantaisie brillante? Gewiß bleibt deshalb die Musik dieselbe: aber warum als altes bemoostes Haupt thun. was man beim Schüler belächelt, wenn er in verzeihlicher Selbstbegeisterung seine Schriften mit zolllangen Buchstaben bemalt! Und daß es mit dem Schmerz und gar mit dem Triumph nicht so weit her ist, merken gewiß auch die, auf welche selbige Schilder etwa von vornherein einen Eindruck machen. Nennen wir die Sache also beim Namen: „Introduction, Thema und Variationen“ und


{35} urtheilen von dieser Höhe, so erhalten wir in der Phantasie ein sehr angenehm klingendes, mit Geschick und Geschmack gesetztes Musikstück voll einnehmender Melodie und wenn nicht tiefem doch anmuthendem Charakter. Vor Bertinis Compositionen, mit denen unser Componist, in harmonischer Behandlung wie der des Instrumentes, viel Aehnliches hat, zeichnen sich seine durch etwas Deutscheres, Handfesteres aus, während man dort freilich mehr Modisch-Neues antrifft. Das Stück wird sich ohne unser Zuthun beliebt machen.

Scheint es doch, als hätten die sämmtlichen fünf geschätzten Componisten der großen Künstlerin, der sie mit der fünften der obigen Nummern ein Andenken gebracht, zu tief in das Auge gesehen, in so romantischer Weise ergehen sie sich; ja selbst zwei ehrenfeste Organisten schwankten einen Augenblick. Im Ernst, die Sammlung ist interessant. Gleich das erste Stück, eine Caprice von E. Franck, fällt durch Kürze, Frische, Kraft und Einheit auf, während sich die Rhapsodie von A. Hesse unter dem romantischen Einfluß noch etwas verlegen benimmt, aber mit Talent aus der Schlinge zieht. Die Vision unsers geschätzten Dr. Kahlert bekenne ich nicht ganz zu verstehen, ja bekenne, daß ich sie erst Adagiosissimo spielte, als ich zu meinem Erstaunen Presto als Tempo fand: nun war es vollends dunkel um mich. Ein kleines Ungeheuer von Romantik hält man sicherlich unter den Händen, Die Toccata von E. Köhler ist auf eine lebendige Figur gebaut und klingt, rasch gespielt, gut und brillant. Daß im zweiten Theil immer dieselben Harmonieen vorkommen, fällt etwas auf. Ein Notturno von B. E. Philipp schließt; es ist eine Copie, aber mit einem Talent gemacht, das mehr Nahrung und Aufmunterung verdient, als es vielleicht erhalten hat.

Aus dem Amusement des Herrn Gerke wünschte ich nur den Walzer und die Polonaise weg, um es als ein gutes empfehlen zu können. Wahrhaftig, man sollte eine besondere Redaction für Manuscripte honoriren, die im Voraus Tod und Verderben jungen, talentvollen Componisten schwüre, wenn sie offenbar Verbotenes mit ihren besten Gaben in die Welt einzuschwärzen trachteten. Ohne jene Stücke, bei denen die Achtung, die er sich bei dem Kritiker und Künstler erwerben muß, wieder zur Gleichgültigkeit und zum Verdruß herabfällt: welche werthvolle Sammlung hätte es gegeben! Die andern Sätze, ein Marsch, ein Scherzo, das freilich sehr an das Hummelsche in der D dur-Sonate erinnert, ein Rondo und eine Mazurka gehören zu dem Gedankenvollsten, das mir bis jetzt von den Arbeiten dieses Componisten

{36} zu Gesicht gekommen. Halte er daran fest; die elegante Sphäre lasse er in Gottes Namen Anderen.

Die vier Capricen von Hrn. J. P. E. Hartmann sind wohl gearbeitet, verständig, ernst, ja finster. Es scheint aber, als wolle er des Guten zu viel, als hafte er zu lange am Einzelnen; seine Musik spricht noch nicht frei, gleich als ob ein Dämpfer darüber läge. Wo man hinfühlt, Formen und Gedanken, aber — mit einem Wort kein Gesang. In der dritten Caprice, die melodischer werden will, zeigt sich das am stärksten: sie hat wohl Melodie, schweift aber unlustig und unsicher auf und nieder; wo man rechts zu kommen glaubt, geht sie links, wo man in die Tiefe, strebt sie in die Höhe. Die zarte melodische Ader, die sich in den Werken der Meister durch die verwickeltsten Labyrinthe der Harmonie hindurchzieht, kann freilich Niemand mit Gewalt in sich bringen; gewiß läßt sich aber durch stetes Aufmerken, der Harmonie nicht eine zu große Herrschaft über die Melodie einzuräumen, diese von jener nicht gänzlich unterdrücken zu lassen, gar manches erreichen. Daraus scheint mir der Componist achten zu müssen. Wär' es, daß wir mit unserm Rathe nicht zu spät kämen, und daß er mit freier leichter Brust das Ziel verfolge, dessen glückliche Erreichung wir jeder wahren Bestrebung von so ganzem Herzen gönnen! {{Right|22.

Zweite Reihe.

L. Schuberth, Gr. Phantasie in Form einer Sonate (Souvenir à Beethoven). Werk 30. C. M. v. Weber, Phantasie (Les Adieus). Nachgelassenes Werk. S. Thalberg, 3 Notturnos. Werk 21.

   „       „       „     Große Phantasie. Werk 22.

W. Taubert, Brill. Impromptu über ein Thema von Meyerbeer. Werk 25.

    „      „       „    Brill. Divertissement (Bacchanale) mit Orchester. Werk 28.

Sollte einem der obigen Componisten vor einigen Augenblicken das linke Ohr so stark geklungen haben, daß er vor sich selbst hätte fliehen mögen, so ist das natürlich; denn ich ließ mich eben so gegen einen Bekannten aus: „Freund, du weißt, ein ganzer Jean Paulscher Walt* von Sanftmuth steckt in mir; in gewissen Fällen aber könnt' ich denn doch getrost aus der Haut fahren. Wir hatten neulich eine Symphonie vor, deren Verfasser so tapfer zusammengestohlen, daß wir

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       * in den „Flegeljahren“


{37} uns die einzelnen Sätze recht gut zurückrufen konnten, wenn wir sie bezeichneten mit „Eroica-Satz, Sommernachtstraum-Satz“ etc. Der Symphonist ist aber ein Kind gegen unseren Beethovenverewiger .... Sind wir denn dahin gekommen, daß wir Componisten, ehe sie componiren, erst fragen müssen, ob sie Knigges Umgang mit Menschen gelesen — dahin, daß wir sie aufmerksam machen müssen, daß man in gebildeter Gesellschaft die Stiefel nicht ausziehen dürfe? Kennen sie nicht den Anfang des ABC der ersten Bildung? Sollen wir sie an die griechischen Schulen erinnern, in welchen den Schülern ausdrücklich gesagt wurde, daß sie die Melodieen ihrer Väter sacht und ernst nachsingen müßten und ,daß sie scharfe Schläge bekamen, wenn sie jene Melodieen durch Schnörkeleien verzierlichen wollten?' Vergeht sich die Unbildung so weit, die erhabenen Gedanken eines Meisters zu betasten? Noch mehr, wagt sie es, sie förmlich zu verändern, zu verrücken? Wahrhaftig, an ihrer Verehrung kenn' ich sie. Hidschnu-Chan-Murzach wälzt sich vor einem Klotz im Staude, Peter kneipt seinen Schatz in den Backen, und Componisten schreiben Souvenirs à Beethoven!“ Mein Freund sagte, ich äußere mich etwas stark. Ich aber gelobte mir von Neuem, gegen Gemeinheit und Verkehrtheit, solange ein Tropfen Bluts in mir, anzukämpfen.

In der Phantasie mit Webers Namen glaubt' ich mich etwas von meinem Verdruß erholen zu können; aber schon auf der dritten Seite schien mir jede Note wie zurufen zu wollen' „ich bin nicht von Weber.“ Und wenn man mir seine Handschrift zeigte, ja, stände er selbst aus dem Grabe auf und betheuerte, daß die Phantasie von ihm, ich könnt' es nicht glauben. Die Getäuschten thun uns herzlich leid; meine moralische Ueberzeugung kann mir aber Niemand nehmen. Man wird uns vielleicht Papiere vorlegen, niemals aber beweisen können, daß mit der Veröffentlichung eines durchaus schalen, auseinanderfallenden Musikstückes, und trüge es den Namen des Besten an der Stirne, irgend etwas gefördert ist. 7

Beim Durchgehen der Compositionen von Thalberg war ich von jeher immer in einer gewissen Spannung, nicht als ob ich aus Platituden lauerte, sondern weil er sie immer so gründlich vorbereitet, daß man die kommende kahle Stelle ziemlich genau vorauszubestimmen weiß. In kleineren Compositionsgattungen, die keine so nachhaltende Energie zur Vollendung erheischen als größere Formen, finden sich solche Stellen natürlich weniger, daher mir auch das Meiste der Notturnos gefallen hat, wenn man vorweg von Vielseitigkeit und

Großartigkeit der Erfindung absieht und dem Componisten eine gewisse Süßlichkeit nicht als Schwäche anrechnet. So sind die Melodieen der Notturnos durchweg einschmeichelnd, wenn auch nicht neu und vollkommen edel. Die im ersten scheint mir nur eine Veränderung vom alten „An Alexis“ etc., ist aber so zu sagen schon instrumentirt. Auch der zweite melodische Gedanke (in As dur) im zweiten Notturno singt recht zart, schleppt aber zuletzt. Am besten will mir das Thema zum dritten Notturno gefallen, da es nicht so breit auseinander fließt und südlicher Natur ist; in der Folge (Tact 13 zu 14) kommt indeß eine

Fortschreitung ( dis e ), die mir unerträglich. — Die Rückgänge, in {{Right|gis a denen sich die Meisterhand am ersten kund thut, geschehen noch nicht mit der Leichtigkeit und Natürlichkeit, wie wir es bei Field und Chopin treffen; wie sich Thalberg überhaupt zu Letzterem verhält wie Carl Mayer zum Ersteren. — Die Phantasie Werk 22 besteht aus einer Menge kleiner Abteilungen, die sich um einige Grundharmonieen bewegen, aus denen sich hier und da auch recht schöne Melodieen entwickeln. Sie enthält manches Anmuthige und Zarte, so schwierig und vollstimmig sie geschrieben ist. Ein musikalisches Blatt enthielt jüngst bei Besprechung Thalbergscher Compositionen die Bemerkung, daß man beim Anhören freilich um die Hälfte des Genusses käme, wenn man die Augen zudrücke, d. h. wenn man sie sich vierhändig gespielt dächte. Ich meine aber, daß es nicht gering anzuschlagen ist, wenn ein Einzelner vollbringt, wozu sonst zwei gehören. Dies könnte also die Achtung nur erhöhen. Daß aber bei Thalberg, wie bei Herz und Czerny, das Hand- und Fingerwerk Hauptsache bleibt, und daß er mit glänzenden Mitteln über oft schwächliche Gedanken zu täuschen weiß, könnte zu einem Zweifel veranlassen, wie lange die Welt an solcher mechanischen Musik Gefallen finden möchte.

Von den Compositionen, die durch die Hugenotten hervorgerufen sind, und deren uns der Himmel nicht zu viele schenken wolle, verdient allein die von Hrn. Taubert den Namen — wenn auch nicht Kunstwerk, doch den eines guten Musikstückes. So wenig originell mir der Chor „Rataplan“ etc. vorkommt, ja beinahe wie eine Brechung der Galopade aus Wilhelm Tell, so hätte ich ihn doch, wenigstens einmal, uuverändert zu hören gewünscht, als so wie ihn sich Herr Taubert gesetzt. Doch ist das Nebensache, und das, was der Arbeit Werth gibt, der Bau des Ganzen, worin es den deutschen Künstlern nun Niemand zuvorthut. Der Verfasser selbst legt vielleicht nur wenig


{39} Werth auf sein Hugenottenstück; indeß würden wir gar nicht dagegen sein, schriebe er auch in der Zukunft manches derlei zum Vortheil für das Publicum wie für seinen eigenen, — für jenes, das von der gediegenen Arbeit der Schale, woraus es von seinen Lieblingsgenüssen zu kosten bekommt, ungleich mehr lernen kann als von den windigen französischen Champagnergläsern, — für ihn, daß er von den Feinheiten des Salons so lange für sich nütze, als es einem ernsteren Streben keinen Abbruch thut, wie denn Florestan neulich in einer anderen Beziehung meinte: „man müsse manches in sich hineincomplimentiren, um es nur wieder herauszuprügeln“, welchen Spaß wir ihm gern gönnen.

Im Bacchanale finden wir gerade kein bacchantisches Leben, für das dem Componisten wohl auch der höchste Schwung der Begeisterung mangelt, aber ein lustiges Gelage, dem keine Polizei etwas anhaben wird. Die Instrumente scheinen viel darin zu sagen zu haben, wir können es leider nicht genau angeben, fehlender Partitur halber. Anklänge an Mendelssohn, wohl auch an Weber finden sich hier und da, aber in einer Weise, die ich umgekehrte Nachahmung nennen möchte, indem mancher Componist gerade dem, dem er ähnlich wird, mit allem Fleiß auszuweichen sucht, bis er ihm in einem unbelauschten Augenblick mit dem ganzen Körper in die Arme fällt. {{Right|22.

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Fragmente aus Leipzig. III.

[Die Concerte der Gesellschaft Euterpe.]

Es mag wohl über zehn Jahre her sein, daß sich in einem unscheinbaren hiesigen Locale einige junge Musiker versammelten, theils gute alte Werke, theils ihre eigenen neusten aufzuführen, oder auch sich unter einander hören zu lassen.8 Mitglieder auf Mitglieder meldeten sich; nach und nach verlautete auch im Publicum davon, Theilnahme und Neugierde trieb Mehrere hinein; die geheime Gesellschaft bekam Muth, führte größere Werke mit größeren Mitteln auf, gab sich einen Namen, Euterpe, wählte einen Ausschuß und in einem anerkannt guten Musiker, Herrn C. G. Müller, einen Director. Schon im Winter 1835 verlegte die Gesellschaft ihr Uebungszimmer in einen


{40} anständigen schönen Saal.* Daß er immer gedrückt voll, bezeugte ihr die wachsende Gunst des Publicums — und so gab es auch im vergangenen Winterhalbjahre vom 24. October bis 14. März zwölf solcher Concerte, und wenn man etwa Montags fragte, ob es Abends nicht irgend was gäbe, bekam man auf echt Leipzigerisch meistens zur Antwort: „'s ist Euterpe“. Im Grunde mußte sich aber die ehrenwerthe Gesellschaft ihre Concertabende recht zusammenborgen, da die meisten Mitglieder auch im Theater, in den Gewandhaus-, Extra- und andern Concerten mitspielen und es nur wenige Tage gibt, wo es nicht hier und da zu thun gäbe. Tiefes Nichtbestimmtsein eines eigentlichen Concertabends gibt aber dem Institut sogar einen leichten Anstrich von poetischer Freiheit, und stehen die Euterpisten nun wirklich vor ihren erleuchteten Pulten, so spielen sie so frisch zu, daß sie einem sogar lieber als irgend eine fürstliche Capelle, wo Niemand zucken soll mit den Augen und selig sein in der Musik. Zur Sache! Die ursprüngliche Tendenz des Vereins also, Aufführung der besten Werke der besten Meister, dann von Compositionen Neuerer (Einheimischer wie Fremder), endlich Vortrag von Solo-, auch Ensemblestücken von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern des Vereins, gilt auch jetzt noch fort, nur daß sich das Ganze auf eine höhere Stufe gehoben hat, daß mit mehr Wahl verfahren wird. Gesang ist durchaus ausgeschlossen,** was manches gegen sich, aber auch das für sich hat, daß so der Verein eine bestimmte Farbe bekommen, ja, daß er sich zu seinem Vortheil nur im Instrumentalen befestigt.

Die Ausführung der Symphonieen und Ouverturen gibt der in den Gewandhausconcerten nicht viel nach, natürlich, da es meist Musiker von daher sind. Spielt man dort mit mehr Respect, so hier mit mehr Keckheit; steht dort der Director felsenfest im Tempo, so geht es hier in einem Beethovenschen Scherzo über Kopf und half dem Ende zu. Beide Institute sind einander nützlich, beide von größtem Einfluß auf die verschiedenen Stände der Zuhörer. Gewisse Fehler dürften freilich nie vorkommen und müßten mit einer Art Tod bestraft werden; so blies ein Euterpist in den ersten Tacten des Allegretto der siebenten Symphonie von Beethoven ein verdammtes Cis; doch wollen wir solche Fälle neckenden Kobolden beimessen, die sich zufällig wohl einmal in eine Hoboeröhre verkrochen. Von den Symphonieen der Meister gab

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         * Das alte, ein Jahrzehnt spater abgebrannte Hôtel de Pologne.
       ** Nicht ganz richtig! es waren schon Gesangsachen zum Vortrage gekommen.

{41} es nun die in C moll, D dur, die Pastorale, F dur und eine gewisse in A dur von Beethoven, von Mozart die in C dur mit der Fuge (Jupiter), von Haydn die in Es dur, von Spohr die Weihe der Töne; — von Mitgliedern der Gesellschaft eine ältere in D dur und die oft besprochene in C moll von C. G. Müller, eine in F moll von F. L. Schubert; — von Fremden eine in G moll von Gährich. In den Ouverturen war ebenfalls schönste Auswahl von älteren getroffen, unter denen namentlich die zu Samori vom pedantisch-genialen Abt Vogler zu erwähnen; von neusten gab es welche von Attern, Conrad und von Berlioz die zu den Vehmrichtern,* welche letztere für ein Ungeheuer ausgeschrieen ist, während ich in ihr nichts als eine nach gutem Schnitt, klar gehaltene, im Einzelnen noch unreife Arbeit eines französischen Musikgenies entdecken kann, das jedoch hier und da einige Blitze schleudert wie Vorläufer des kommenden Gewitters,** das in seinen Symphonieen ausdonnert. In den heimischen Euterpesaal zurückkehrend, so sticht freilich nach solchen Donnerwettern ein Concertino für Horn u. dgl. schwächlich genug ab, wie wir denn die Vorträge der Solisten getrost übergehen können, da die von gänzlich unbekannten nicht der Art, daß sie eine strenge Kritik aushallen könnten, die der bekannteren (wie Queißer, Uhlrich, Grabau) anderweitig genug bekannt sind. Damit sei aber nicht gemeint, daß die Euterpe die ersten Versuche junger Virtuosen ausschließen solle, im Gegentheil sei sie gebeten, diese vorbereitende praktische Schule für öffentliches Auftreten und Concertroutine fortbestehen und Allen, die aufzutreten wünschen, offen stehen zu lassen.

Hatte man nun noch nicht genug an den 32 Concerten im Gewandhaus und Hôtel de Pologne, so konnte man sich ruhiger in den Quartetten ergehen, die Hr. Concertmeister David mit Hrn. Uhlrich, Grenser und Queißer veranstaltet. Leider gab es nur vier, die nächsten Winter wenigstens zu verdoppeln wären. Die Herren sind bekannt; namentlich erhalte uns der Himmel diesen Concertmeister.

Wenn wir so mit einigem Stolz auf drei Institute sehen, wie sie, mit Begeisterung an den edelsten Werken unseres Volkes aufgezogen, kaum eine andere deutsche Stadt aufzuweisen hat, so wird sich mancher Leser gefragt haben, warum die Zeitschrift mit einem Bericht über die einzelnen Leistungen oft so lange angestanden. Bekennt es Schreiber

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       * Erste, durch Schumann veranlaßte Aufführung eines Berliozschen Werkes in Deutschland,
      ** ursprünglich: „des kommenden prächtigen Gewitters“


{42} dieser Zeilen offen, so ist seine doppelte Stellung als Redigent und als Musiker daran Schuld. Den Musiker interessirt nur das Ganze und von den Einzelnen nur die Bedeutendsten; als Redigent möchte er von allem sprechen. Als Musiker müßte er manches verschweigen, was der Redigent der Vollständigkeit wegen erwähnen müßte. Wo aber auch Zeit hernehmen, alles Einzelne gründlich und mit Nutzen für die Künstler zu besprechen! Denn mit Phrasen wie: „hat sich Beifall erworben, fand Theilnahme, wurde sehr beklatscht“, wird nichts vom Fleck gebracht, alles verwaschen. Niemand geehrt, Meister und Schüler über einen Leisten geschlagen. So werden wir auch künftighin, immer mehr die Sache als die Person im Auge, die Ereignisse in größern Zeiträumen zusammenfassen, wo sich das Kleinere von selbst ausscheidet und ein schärferer Abriß des Ganzen sich herausstellt — den Lebenden und Nachfolgenden aber ein erfreuliches Bild der Jugendkraft und des schwungvollen Lebens, dem die Musikgeschichte unserer Stadt kein ähnliches an die Seite zu stellen hat.

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Musikfest in Zwickau.

[Am 12. Juli 1837.]

„Bester Capell- und anderer Meister“, sagte ich auf der Hinfahrt zum Fest, „hätt' ich doch nie gedacht, daß dieses kleine Zwickau, trotz seiner alphabetischen Auszeichnung, eine der letzten Städte im Cannabich* zu sein, beim Himmel vielleicht die sechste in der Welt ist, die den Paulus aufführt, und nicht etwa halb oder zwei Siebentel, wie Berlin, sonderu ganz, wie es echten Zwickauern ziemlich.“ Und wie denn die ganze Gegend heiter und gesprächig stimmt, so vollends Einen, der einige Augenblicke gewiß einmal ihr jüngster Bewohner war, d. h. der in selbiger Feststadt zu seiner Zeit geboren; daher man in diesen Zeilen vergebens auf scharfe Kritik passen mag, sondern auf die lindeste. hingehendste, die je ein Musikfest veranlaßt, was viel sagen will.

Die Aufführung geschah also zum Besten der Sanct Marienkirche. in der sie auch stattfand. Eines der merkwürdigsten Gebäude in Sachsen, dunkel und etwas phantastisch von Aussehen, ist es, wenn auch nicht im reinsten Stil gehalten, doch von einem nicht gemeinen

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        * d. h. in Cannabichs Lehrbuch der Geographie

{43} Meister, theilweise von einem großartigen Sinn erdacht worden. Ein Schiff mit hohen sich in die Decke ausweitenden Säulen, ein großer Altarplatz mit Bildern von Lucas Cranach, auf dem das Orchester aufgerichtet war, rechts und links allerhand Gemälde und kirchliche Seltenheiten, vergoldete Schnitzarbeiten, alte aufbewahrte Fahnen aus Kriegszeiten — alles weniger überladen als vielleicht vernachlässigt und hier und da wohl mit mächtiger Spinnewebe überzogen, so daß eine Ausputzung und Verschönerung der Kirche an der rechten Zeit scheint. Wie aber der Ort, wo wir Musik hören, von größtem Einfluß auf Stimmung und Empfänglichkeit ist, so durfte ich das nicht unerwähnt lassen.

Viele Jahre liegen dazwischen von heute bis dahin, wo der Berichterstatter in der nämlichen Kirche eine Aufführung des „Weltgerichts“ stehend accompagnirte am Clavier und er mitten im Getümmel der Instrumente keine Zeit hatte zu untersuchen, wie sich die Musik in diesen Hallen ausnähme; heute aber, kaum war der Choral begonnen, fiel ihm die ruhige wellenförmige Ausbreitung des Tones ganz besonders auf, und ich wüßte in Sachsen keine für Musik günstiger gebaute.

Der Hauptschmuck des Festes war Mad. Bünau, unter dem Namen Grabau wohl Allen bekannt. Vielleicht daß hauptsächlich ihre Gegenwart Mitwirkenden wie Zuhörern eine Theilnahme einflößte, ohne welche das Ganze weniger glücklich von statten gegangen wäre. Ihr zur Seite war ihr Bruder, Hr. Grabau, Organist aus Förthen Vorlage:Gemeint ist: w:Verden (Aller) unweit Bremen, ein sehr gewandter Musiker, der die Tenorpartieen übernommen hatte, und Dlle. Pilsing, letzten Winter zweite Concertsängerin in Leipzig. Den Paulus gab ein Dilettant, in die andern Partieen hatten sich ebenfalls angesehene Dilettanten und Dilettantinnen getheilt. Dirigent war Hr. Cantor H. B. Schulze, der gute und sichere Tempos angab und für die Mühe langen Einstudirens durch Aufmerksamkeit des gegen 200 starken Personals sich belohnt fühlen wird.

Was Mad. Bünau sang, war natürlich alles trefflich, namentlich die Arie „Jerusalem“, die vom Componisten für sie wie besonders geschrieben scheint. Eine Stelle, die freilich auch mittelmäßig ausgeführt ihre Wirkung niemals verfehlen kann, die Musik nämlich bei den Worten: „Siehe, ich sehe den Himmel offen“, kam so gut heraus wie irgend bei der Aufführung in Leipzig; ebenso der Chor: „Siehe, wir preisen selig, die erduldet“. Worin aber die Zwickauer der Leipziger völlig gleichkam, wenn nicht sie übertraf, das war im Choral: „Wachet


{44} auf, ruft uns die Stimme“ mit seinen höchst feierlichen Zwischenspielen der Trompeten und Posaunen, wie denn der dortige Stadtmusikus seit Jahrzehnten im Rufe steht, die besten Messingbläser der Gegend gebildet zu haben. Dagegen hatte der Chor der Frauenstimmen, da wo die Stimme vom Himmel den Saul anredet, nicht die Wirkung. die von dieser eigenthümlich-schaurigen Musik zu erwarten war. Im Uebrigen waren die Chöre, sieht man von strengster Präcision und namentlich von Deutlichkeit der Aussprache ab. wohl eingeübt und immer auf dem Platze.

Vom Eindruck auf das Publicum zu reden, das aus ungefähr 700 Köpfen, meistens Fremden, bestand, so schienen besonders die einfachen Choräle zu ergreifen. Im Uebrigen kann man sich denken, daß viel von „Gelehrtheit der Musik, strengem Generalbaß“ und endlich von der „großen Länge“ die Rede war, in welchem letztern punct ihnen auch nicht gerade zu widersprechen, worüber zu reden aber an einen andern Ort gehört.

Nach dem Schluß, Abends 7 Uhr, holte der Dirigent Mendelssohns Bild aus seiner nahen Wohnung, das schnell von Hand zu Hand ging, und man gedachte des Meisters mit den höchsten Lobsprüchen.* {{Right|S.

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        * Ursprünglich noch folgender Schluß: „Tags darauf war noch großes Concert im Casinosaal, das namentlich Mad. Bünau und Hr. Grabau mit seltener Gefälligkeit unterstützten. Das Ganze schloß natürlich ein Tanz.

Als ich hinfühlte, ob nicht künftighin ein ordentliches, alljährlich zu begehendes Erzgebirgisches Musikfest zu Stande kommen könnte, was bei wirklich nicht unbedeutenden Mitteln, bei der Nähe größerer und kleinerer Städte allerdings möglich zu machen, so setzte man mir die wenigen Beweise der Theilnahme entgegen, die dieser Landbezirk bis jetzt für musikalische Ausführungen gezeigt. Indeß läßt sich vom tüchtigen Willen des dortigen Musikdirectors Hrn. Schulze und anderer hochgestellter Männer, die schon zum Gelingen des Paulus beitrugen, erwarten, daß diese Aufführung der Anfang wenigstens von alljährlich wiederkehrenden Kirchenmusikfesten sein wird, wie denn fürs Nächste das Requiem von Cherubini in Anregung gebracht worden. So möge sich denn allmählich ganz Deutschland zu einem engen Musitvolksbund vereinigen, in großen allgemeinen Festen Zeichen seines Lebens, seiner Liebe zu den erhabensten Werken der Musik zu geben. Aller aber, die eine solche Zeit beschleunigen helfen, soll mit Ehren in diesen Blättern gedacht werden.“ .

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{45}

Kirchenaufführung in Leipzig.

Am 23. Juli 1837.

Das Concert, das Hr. M. D. Pohlenz vergangenen Sonntag zu einem milden Zweck* in der Thomaskirche veranstaltet hatte, war durch Wahl, Besetzung und Ausführung der Compositionen eines der vorzüglichsten. Die Ouverture zur Taurisschen Iphigenie fing an und mag sich in der Kirche wohl prächtiger als irgendwo ausnehmen; sie ist urkräftig und wirkt ewig gleich. Eine Arie aus der Schöpfung folgte, die, bekannte des Engel Gabriel „Auf starkem Fittig“, so vollkommen schon gesungen,** daß sich weiter gar nichts darüber sagen läßt. Hr. Concertmeister David spielte hierauf den ersten Satz eines neuen Concerts in H moll, auch, daß sich darüber nichts sagen läßt, bis auf einige neckische Figuren der Flöten, die mehr in den Concertsaal gehören. Hätte es mit dem Concert keine Eile gehabt, so hätten wir vielleicht ein Bachsches Violinconcert zu hören bekommen. Bittgesang, Terzett und Schlußchor aus den „Jahreszeiten“ von Haydn schlossen den ersten Theil; eine Fülle von Musik. — Mit ganz besonderem Dank gegen den Dirigenten müssen wir aber die Aufführung der neusten Messe*** von Cherubini erwähnen, eines der Werke, von denen der Buchstabe auch nicht einen entfernten Begriff beibringen kann. Nenne man es hochkirchlich, wundersam, so sind dies noch alles keine rechten Worte für den Eindruck, den es im Ganzen, aber besonders in einzelnen wie aus den Wolken klingenden Stellen macht, wo es einen schaurig überläuft; ja was selbst weltlich, curios, beinahe bühnenartig klingt, gehört wie der Weihrauch zum katholischen Ceremoniell und wirkt auf die Phantasie, daß man den ganzen Pomp eines solchen Gottesdienstes vor sich zu haben glaubt. An harmonischer Kunst übertrifft die Messe sogar sein Requiem in C moll, obgleich dies in anderer Beziehung ohne Gleichen in der Welt dasteht. Des Merkwürdigen und Mächtigen enthält aber, wie gesagt, auch die Messe so viel, daß man sich alles Einzelne nur mit der Partitur, die ich leider noch nicht erlangt, wieder vergegenwärtigen könnte. Wie der einzelne

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       * Zum Besten der Abgebrannten in Schleiz. 
      ** von Frau Dr. Lima Frege 
    *** der vierten, in C.	


{46} Künstler seine „schönen Tage“ hat, wo ihm nichts mißlingt, so auch die Masse; und wie an demselben Morgen kein Flecken den blauen Himmel draußen störte, war auch der Vortrag der Messe klar und schön. Den An- und Ausführenden gebührt daher der lebhafteste Dank für den milden und künstlerischen Zweck, den sie diesmal in seltener Vereinigung erreicht haben.

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Etuden für das Pianoforte.

A. Drenschock, 8 Bravouretuden in Walzerform. Werk 1.

Niemals ist mir so leicht geworden, meinen Lesern von der Musik, um die es sich handelt, ein deutliches Bild zu geben, als diesmal; niemals konnte ich ihnen auch mit so viel Zuversicht zurufen, daß sie sich sämmtlich ihre Etuden selbst schreiben können, wenn sie nur sonst wollen. Vorausgesetzt wird, daß Jeder den tonischen Dreiklang (populärer ausgedrückt: die Noten c e g) und den Dominantenaccord kennt; ist er vollends bis zu einem Uebergang in die nahen Molltonarten gediehen, so kann er Unglaubliches zu Stande bringen. Hat er diese nun gehörig inne, so ist das Manoeuvre: er lege die Hände ruhig in die gewöhnlichste Accordenlage, springe dann plötzlich im Walzertact mit einer Hand über die andere, rechts und links, aus der Höhe in die Tiefe, schreibe sich alles auf, hole sich Geld vom Verleger — und Composition wie Componist sind fertig. Jedes neue Verdienst muß anerkannt werden, und so springe unser, wir hoffen, junger Componist nur lustig weiter und gelegentlich auch einmal in das Wohltemperirte Clavier von Bach, damit er mehr Accorde kennen lerne und auch anderweitigen Nutzens halber. Noch muß erwähnt werden, daß sich der Verfasser auf dem Titel einen „Schüler von Tomaschek“ nennt, ein Beisatz, den wir lieber wegwünschten, da man sonst glauben müßte, dieser Tonsetzer habe dem Stücke das Imprimatur ertheilt, was wir aber bei der Achtung, die wir diesem gründlichen Tonsetzer schuldig sind, kaum glauben können. Mit einem Worte: die Etuden hätten nie in der Welt gedruckt, ja nicht einmal aufgeschrieben werden sollen. {{Right|22.


{47}

Conrad Lüders, 12 große Etuden. Werk 26.

Der schätzbare Componist dieser im Süden wenig gekannten Compositionen scheint ein Däne zu sein. Der Lobspruch, den wir ihnen zu machen haben, gilt indeß weniger dem Resultat der Leistung als dem Streben. Denn von allen zwölf Etuden sind eigentlich nur höchstens zwei gelungen, die in A moll und vielleicht die in As dur; in den anderen müßte man vieles anders stellen oder ganz wegräumen, um sie als vollkommene Kunstgebilde gelten lassen zu können. Die Form ist es nämlich, die dem Verfasser überall zu schaffen macht. Wie gut sich auch die Mehrzahl der Etuden anschickt, so dauert es nicht lange und es ist, als weiche der Boden unter den Füßen, und der Componist kommt nun auf die entlegensten Dinge, in wild-fremde Tonarten, neue Rhythmen, und nur mit Mühe und sichtlicher Angst wieder in das erste Gleis. Ich würde nicht geradezu verwerfen, daß der Mittelsatz eines Stücks in G moll ganz in Es moll spielt, wie in Nr. 1, oder der eines aus E moll in Es dur, wie in Nr. 3, oder der einer Etüde aus Gis moll in D dur, wie in der fünften; es kommt eben ganz auf das Wie, auf die Leichtigkeit und Natürlichkeit der Verknüpfung an. wie mir denn das Genie, z. B. das Mozartsche, nie stärker einleuchtet, als wenn aus der wunderbaren Wirre der Harmonieen auf einmal plötzlich der erste Gedanke in seiner ursprünglichen Reinheit wieder zum Vorschein kommt; von Beethoven ganz zu schweigen. Wie sich aber ein Fehler immer leichter angewöhnen als ablegen läßt, so kann einem Componisten, der noch keine bedeutende Gewalt in der Harmonie besitzt, das Hinkommen in die fremde Tonart noch leidlich von statten gehen, selten aber der Rücktritt. Dies als eine der hervorstechendsten Schwächen an mehreren der Etuden.

Um nun auch die Vorzüge dieser Etuden zu nennen, so ist es besonders das Streben des Componisten, poetische Gebilde verschiedenen Charakters zu geben. Phantastisch im höchsten Sinne sind sie sicherlich nicht, aber meistens beredt, einige aufgeregt und drangvoll. Die zweite und dritte singen auch in einem breiteren, edleren Ton, als man sonst gerade in Etuden antrifft, und ein graziöserer Künstler hätte bei gleicher Erfindungskraft dann noch Anmuthigeres hervorbringen können. Auch im kleineren scherzoartigen Genre gelingt dem Componisten manche, so Nr. 8, wenn man die starke Reminiscenz an das Glöckchenthema von Paganini abrechnet, Nr. 6 und 12, die aber nach und nach in der Ausführung an Interesse verlieren, vorzüglich


{48} aber die letzte, Nr. 12. — Wenn man sich schließlich fragt, ob sich die Etuden in Form und Geist denen eines bekannten Meisters mit Vorliebe anschließen, und man dies verneinen muß, so mag dies zugleich ein Beweis für einige Eigenthümlichkeit sein, die Studium, Zeit und Verhältnisse zu noch glücklicherer Entwickelung gebracht haben möchten. {{Right|12.

S. Thalberg, 12 Etuden.  Werk 26, erstes Heft.

Viele unserer jungen Phantasieen- und Etuden-Componisten haben sich in eine Satzform verliebt, die, früher schon häufig benutzt, durch die reichen Mittel, die man von Neuem im Clavier entdeckt, in verschiedenen Arten wieder zum Vorschein gekommen ist. Man theilt nämlich irgend einer Stimme eine leidlich breite Melodie zu und umschreibt diese durch allerhand Arpeggien und künstliche Figurationen der ihr angehörigen Accorde. Macht man dies einmal neu und interessant, so mag es gelten; dann aber sollte man auch aus Anderes sinnen. Ich wenigstens kann solchen Stücken nicht mehr Werth beilegen als dem gewöhnlichsten Liede, wie sie zu Hunderten erscheinen. Zu einem Kunstwerk gehört aber mehr; und wer wissen will, was und wie viel, schlage nur seine Etuden von Moscheles etc. nach, wo jede etwas Besonderes bezweckt und durch verschiedene Mittel wirkt. In jener Weise gefällt sich namentlich auch Thalberg. Bei einem Virtuosen, der so außerordentliche Wirkung durch seine Behandlung des Instruments hervorbringen soll, muß es ausfallen, daß man in sechs ganzen Etuden eigentlich aus nichts Neues trifft. Die erste der Etuden ist eine Trillerübung, die zweite gehört der eben beschriebenen Gattung an, die dritte will in einer schweren Figur- und Tonart üben, die vierte bezweckt schnelles Anschlagen der Accorde, die fünfte gehört ebenfalls zu den Arpeggienetuden, in der letzten endlich unterstützt die rechte Hand ihre Melodie auf eine gewöhnliche Weise, wozu die linke die Bässe angibt. Wirken die Etuden also, vom Componisten gespielt, originell und überraschend, so liegt es an seiner Vortragsweise, Bravour, an Raschheit des Tempos (das der Metronomangabe nach oft unausführbar scheint) u. dgl.; die Composition an sich zeigt davon nichts. Was dagegen bei sämmtlichen Etuden angenehm auffällt, ist, daß sie gar nicht so übertriebene Schwierigkeiten bringen, wie Mancher an Sprüngen, Spannungen etc. erwartet haben mag, ja daß die meisten im Verhältniß zum Beifall, der ihrer Bewältigung folgen wird, geradezu leicht genannt werden müssen. Denn dankbar, einschmeichelnd,


{49} gut in die Finger und Ohren fallend sind sie alle; Thalberg, der immer mehr das Publicum als den Künstler vor den Augen hat, kann überhaupt nicht anders mehr schreiben. Daß mit solchem Ausspruch nicht etwa behauptet wird, man solle für Künstler unbequem und abstoßend componiren, versteht sich; nur daß sich der wahre manchmal aus der weichlichen Salonluft in das freie kräftige Element hinaussehnt, meine ich. Die erste Etüde ausgenommen, die zu sehr nach Schülerübung klingt, möchte ich sie daher alle Salonetuden heißen, Wiener Etuden, Etuden für gräfliche Spielerinnen, über deren Augen man wohl einen falschen Ton überhört; dagegen sich männliche Spieler und Charaktere weniger lange bei ihnen aufhalten weiden. So ein Zweck schließt natürlich poetische Zustände, wie sie uns der tiefsinnige Chopin enthüllt, ebenso wie die tüchtige Solidität, die an Cramers Etuden so ergötzt, von selbst aus, wenn auch viele Wendungen auf Thalbergs eifriges Studium der Compositionen des Ersteren schließen lassen. {{Right|22.

W. St. Bennett, 6 Stücke in Capricenform.  Werk 11.

Der Leser weiß längst, und die Zeitschrift leugnet es gar nicht, wie sie sich unter den jüngeren Componisten eine kleine Schaar von Lieblingen auserlesen, und wie obiger Engländer nicht der geringste in jener Zahl ist, ja in gewissen Dingen sie sämmtlich hinter sich läßt. Er hat, mit einem Wort, den geläutertsten Geschmack, den lebendigsten Sinn für das Unverfälschte, das Echte. Schon frühe hat ihn sein angeborner Kunstverstand über das mancherlei dumme Zeug hinüber gehoben, auf das junge muthige Geister, die sich bald hervorthun wollen, so häufig verfallen. Er leistet immer gerade, was er kann, und da er eine schöne Natur ist, leistet er es immer schön. Die Etuden sind in keiner Art große Erfindungen. Aber wie er haushälterisch zu Werke geht, wie er klein anfängt, nichts versäumt, nirgends auch zu viel thut, immer die Kraft dahin zu bringen [weiß], von wo sie am meisten wirkt, davon können alle lernen, das sind die Meisteranzeichen, die sich später im schönsten Sinne erfüllt haben. Denn man muß wissen, daß die Etuden schon im achtzehnten Jahre von ihm componirt wurden, seit welcher Zeit sich seine Wissenschaft und Phantasie um ein Großes bereichert haben. Immerhin strömen aber auch schon hier die Gedanken so frei und ungehindert zum Ende, daß der Etudenzweck überall als der untergeordnete erscheint, wie natürlich ein Künstler, der wie er das Gegentheil alles mechanisch Todten, durch Studium


{50} von Etuden etwas mehr erreicht wissen will als nutzlose Fertigkeit. Der Titel besagt den Inhalt daher ganz deutlich; man erhält Capricen in strengerer Form, von jedesmal anderer Schwierigkeit; artige Genrebilder, durch deren Nachzeichnung die Hand Leichtigkeit und Grazie erlangt. Am meisten möchte ich sie den älteren Etuden von Berger vergleichen, wiewohl diese in noch reiferem Mannesalter geschrieben sind. Gewisse Wahrheiten scheinen einem so klar wie die Sonne — so traurige Beweise dagegen man im Einzelnen auch erhält; daß aber die Meisten mit dem Sinne des Gesagten übereinstimmen, bin ich diesmal beinahe überzeugt. Die schlagendste der Etuden ist schließlich die letzte in G moll. {{Right|R. S.

Ludwig Berger, 15 Etuden. Werk 22.

Unter den älteren Künstlern ist es, außer Moscheles, namentlich L. Berger, der dem neuen Aufschwunge der Claviermusik nicht müßig zugesehen hat. Ueberfallen ihn auch einmal alte Erinnerungen, so rafft er sich doch weit öfter in die Höhe und rührt sich, da es noch Tag ist. In der That, von einem schon bejahrten Künstler, dem im Verhältniß zur kleinen Anzahl seiner Werke ein so großer Ruf zu Theil worden, wie nicht leicht irgend Jemandem, hätte man nach so langem Schweigen etwas Anderes erwartet als solche Etuden, hätte man erwartet, daß er sich ruhig ergehen würde im Strom der Harmonieen und sich erfreuen am Andenken an ein langes segensreiches Wirken. Statt dessen zeigt sich uns hier ein Blick in ein tiefbewegtes Leben, das sich mit ganzer Anstrengung aus der Höhe der Zeit erhalten will; hier und da dunkle Aeußerungen, geheimnißvolle Anzeichen, auf einmal plötzliches Zusammennehmen der Kräfte, Gefühl des nahen Sieges — alles aber aus einer echt poetischen Brust kommend und von einem Künstlerbewußtsein geleitet, bis auf die Augenblicke. wo, im heftigeren Drang, es sich gleichsam selbst betäuben möchte. Und gerade hier offenbart sich der Dichter. Hier stehen dem Componisten keine Formen und Verhältnisse im Weg, kümmert ihn kein Unterschied zwischen Alt und Neu; hier geht er seine Bahn.* Es ist so die Sehnsucht nach Ruhe wie der Drang nach Thaten, was die meisten der Etuden charakterisirt; ein Zwiespalt, der aber der Musik

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   * Ich will diese Stellen genauer bezeichnen: sie sind in der ersten Etüde nach dem Schluß hin; in der sechsten, die durchaus excentrisch, an mehreren Stellen; in der achten auf der letzten Seite; in der zehnten auf der vierten Seite; in der vierzehnten zum Schluß; in der fünfzehnten an mehreren Orten.       [Sch.]


{51} keineswegs ungünstig oder fremd ist. Dadurch hat aber auch in einzelnen die Zeichnung des Ganzen etwas Schwankendes und Unsicheres erhalten, wie man es in Bergers älteren schöngeformten Etuden nicht findet. Ja man müßte es verzeihen, wenn Jemand die beiden Etudenwerke im umgekehrten Lebensalter entstanden, d. h. die früheren, bekannten für später geschrieben als die jetzt erschienenen glaubte. Wie dem sei, beide fordern zur höchsten Theilnahme auf und uns Liebe und Achtung ab. Gestehe ich auch, daß mir unter den neuen namentlich die vierte uud fünfte an Idee und Ausführung zurückzustehen scheinen und etwas Veraltetes an sich haben, so erhalten wir doch auch einige, die gar nicht mehr als Etuden zu betrachten sind, sondern in die erste Classe der Kunstwerke in der kleineren Gattung gehören. Dahin rechne ich vor allen die in D moll für die linke Hand allein, die ein Meisterstück an Erfindung und Arbeit bei so geringen Mitteln; ihr zunächst die erste in C dur, die großartig und durchaus Berger angehörig, die halb freundliche halb traurige in D dur, und die gar zarte und träumerische in As dur. Auch die achte Etüde lasse sich Niemand entgehen, wo das Scherzen nach und nach immer mehr abnimmt und uns hinter der losgebundenen Maske endlich ein ganzes schmerzliches Dichterantlitz ansieht. Es gibt in Leipzig einen Musiker,* der mit großem Talent zur Mimik ein vom Lachen zum Weinen übergehendes Gesicht darstellt, daß man alles selbst nachmacht in seinem eigenen. Etwas Aehnliches kann man bei dieser Etüde empfinden. Auch die zweite und vierzehnte Etüde dürfen nicht übersehen werden, ihres besondern Wesens halber; namentlich spinnt sich die letztere immer tiefer und leiser in sich hinein, als ob sie sich gar nicht mehr sehen lassen wollte. Den Schluß der Etuden bildet endlich ein Seitenstück zur letzten der älteren Etuden; gleich wie eine Aufforderung des Componisten an sich selbst, ob der ältere Künstler dem jüngern an Schöpferkraft noch gewachsen ist. Muß man das erste Original vorziehen, so hat doch auch der Pendant eine so schöne Excentricität, daß der Zwiespalt, den wir oben genauer bezeichneten, gerade zum Schluß wie eine Besiegelung des Ganzen am stärksten hervortritt. Indeß möge ein freundlicher Geist dem Künstler noch öfters die heiteren, lachenden Seiten des Lebens zeigen und ihn zu Neuen Werken beseelen. {{Right|R. S.

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    * Striegel, Trompeter im Gewandhausorchester.

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(Büchereistempel]

{52} Für Pianoforte.

F. Mendelssohn, 6 Lieder ohne Worte. Drittes Heft. Werk 38.

Wir schicken dem Hefte getrost eine Anzeige ohne Worte nach. Ueber einen Rosenbusch, der ringsum blüht und duftet, über ein Auge, das glücklich in den Mond aufsieht, kann Niemand in Zweifel sein, daß es so ist. Von den älteren Liedern unterscheiden sich diese jüngsten nur wenig und stehen wie jene zwischen Gemälde und Gedicht, daß sich leicht Farben und Worte unterlegen lassen, spräche die Musik nicht hinlänglich für sich. Wenn sie nun sämmtlich Kinder einer blühenden Phantasie, so geschieht es doch wohl der treusten Mutter, daß sie bewußt oder unbewußt eines oder das andere bevorzugt und daß es Andere merken. So möchte ich glauben, das zweite Lied und dann das Duett am Schlusse seien auch die Lieblinge des Dichters, dann auch das fünfte, das leidenschaftlicher ist, wenn man so von den seltneren Wallungen eines schönen Herzens sagen kann. Am wenigsten gefällt mir das vierte, obgleich es gerade das behaglichste, aber mehr prosaischer Natur, mehr wie auf weichen Kissen als wie draußen unter Blüthen und Nachtigallen ausruht. Beim „Duett“ ist es mir nicht recht, daß die reiche deutsche Sprache kein Wort hat, um so etwas ungeziert auszudrücken; Liebende sind es aber, die hier reden, leise, traulich und sicher. {{Right|2.

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Kammermusik.

I. Duos.

Der gütige Leser erhält mit dem Folgenden den Anfang einer Uebersicht der neuerschienenen Kammermusik. Zu bedauern ist freilich, daß Redactionen nicht zugleich Könige, die nur zu winken brauchen nach einer Capelle und nicht nöthig haben, die Stimmen im Kreise um sich zu legen und das Beste, alles sich herauszusuchen. Wenn Schreiber dieses also deshalb manches im Detail übersehen hat, so spricht er bei denen, welchen es geschehen, im voraus um Nachsicht an,


{53} wie sie auf seine rechnen können, sollten sie z. B. ein Beethovensches B dur-Trio u. dgl. geschrieben haben. Wir fangen mit den Duos an.

Fr. Kücken, 2 Duos in Sonatenform für Pfte. und concertirende Violine (oder Violoncello oder Flöte) . Werk 13. M. Hauptmann, 3 Sonaten für Pfte. und Violine (B, G und D moll). Werk 23. J. P. E. Hartmann, Gr. concertirende Sonate für Pfte. u. Violine (in G moll). Werk 8 J. Genischta, Gr. Sonate für Pfte. u. Violoncello oder Violine (in A). Werk 7.

Hr. Kücken ist, seinen Duos nach, ein glatter, freundlicher junger Mann, dem man nichts anhaben kann, und schüttelt’s aus den Fingern. In Leichtigkeit der Form und Melodie streifen die Sonaten an Reißigers Compositionen in dieser Art, der indessen bei Weitem besser erfindet und mehr auswählt. Die Form ist eine alte gewöhnliche: C dur, G dur, ein wenig A moll, C dur; die Melodie hält sich zwischen deutscher Prosa und Bellinischer Weichlichkeit; namentlich klingen im ersten Satz in Nr. 2 die weltberühmten Triolen aus dem Montecchi-Finale doch zu mächtig hindurch. Dem Scherzo fehlt alle Feinheit des Witzes, dagegen er sich im sogenannten ,,à la Russe“ mit Geschick und Natürlichkeit auszudrücken versteht. Die Octaven auf Seite 11 Syst. 4 sind gehörige und hoffentlich Druckfehler. Zusammengenommen: die Sonaten werden jungen Talenten weder viel nützen noch schaden, jedenfalls sie unterhalten.

Bei den drei folgenden Sonaten befinde ich mich in einiger Verlegenheit, weil ihr Componist früher einige Sonaten für Clavier und Violine geschrieben, mit denen sich die neueren, meiner Meinung nach, nicht wohl messen können.* Liebt Jemand Reinheit und Unverfälschtheit der Gedanken, so glaube man es vom Referenten. Weist aber Jemand auch alles zurück, was die Sache etwas interessanter machen könnte, so darf es ihn nicht wundern, wenn man sich eben weniger dafür interessirt. Das Genie kann der Schönheitsmittel entbehren, das Talent benutze sie aber alle. Es ist jene Simplicität ein trockener Seitenweg, zur ursprünglichen Classicität der Haydn-Mozartschen Periode zurückzugelangen. An dem größern Reichthum der Mittel der neueren Zeit liegt es aber sicher nicht, daß keine jenen ähnliche Meister entstehen, wohl aber an deren falscher Benutzung und dann an hundert anderen Ursachen: vorzüglich muß man gleich als Mozart auf

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     * Gestrichen: „Ich möchte sie nicht matt nennen, aber pedantisch und bis zur Langenweile einfach.“


{54} die Welt kommen. So finden wir denn hier die Sonate wie das Instrument in ältester Weise behandelt, und freilich ist die Composition deshalb so leicht worden, daß sie leidliche Spieler vom Blatt verstehen. Wollte der Componist aber überhaupt zur Bildung mittlerer Geister schreiben, so hätte er lieber Sonatinen geschrieben, die weniger Raum eingenommen und dasselbe genützt haben würden. Dies alles hindert aber nicht zu erklären, daß die Sonaten viel gute Musik enthalten. Es ist etwas Ansgelerntes, was man überall gewahren kann, es ist der ruhige Fluß der Formen, bewegt er sich auch in einem breiten und nicht zu tiefen Bette, die Sicherheit der Erfindung, sangbare, natürliche Melodie, äußerste Correctheit, die sich nur einmal (Sonate 2, S. 11, vorletzter Tact) eine kleine Kühnheit erlaubt. Die schwungvollste unter den drei Nummern scheint mir die dritte, namentlich in der Mitte des letzten Satzes; auch das Andante dieser Nummer nimmt mehr für sich ein. Wäre es, daß diese Zeilen den tüchtigen Künstler aus einer zu stoischen Gleichgültigkeit gegen den Zeitumschwung rissen und er sich an ergiebigen Lebens- und Kunstquellen Kraft zu neuen Werken hole: Kenntnisse, Bildung besitzt er genug.

Die Sonate des Hrn. Hartmann ist eine Arbeit, die einem Freude bereitet; sie hat nichts Außerordentliches, aber Ordentliches immer; alle Kräfte wirken in einer natürlichen Spannung, daß man sich bis zum Ende angezogen fühlt, ja das Interesse wächst von Satz zu Satz und auf den letzten Seiten geht es einmal recht muthig und sicher in die Höhe. Der erste Satz gefällt sich in jener spielenden Art des Ernstes, wie wir etwa an Hummelschen Compositionen gewohnt sind. In der Form merkt man die Absicht nach alter Gesetzmäßigkeit, weshalb sie auch correct und bündig worden. Frei gehen lassen kann er sich noch nicht. Das Scherzo hat Leben, die Nachahmungen darin geschehen mit Natürlichkeit; vor Allem gelungen in Melodie und Stimmenführung ist das Trio. Das Andante scheint mir zu seiner Länge nicht interessant genug, ist aber brav und ehrlich gemeint. Der letzte Satz nähert sich dem Charakter der Onslowschen; dem ersten Thema wünschte ich mehr Eigentümlichkeit und Grazie: desto erfreulicher geht es im Mittelsatz mit seinen geschickten Wendungen und Nachahmungen von statten. Die beiden letzten Seiten halte ich, wie gesagt, für das Freiste und Schwungvollste in der Sonate.

Lange ist mir aber keine Composition vorgekommen, von der ich beim ersten Blick in das Heft so wenig gehalten und die ich nach genauerer Prüfung so liebgewonnen hätte, als die Sonate von Genischta,


{55} ein so klares Gemüth und Talent spricht sich darin aus, das von einem Unterschied zwischen Gut und Schlecht kaum etwas zu wissen scheint und instinctmäßig immer das Erstere trifft. Sie ist durchaus lyrisch, empfindungsvoll, glücklich in sich, daß man keine Wünsche weiter hat: ein musikalisches Stillleben, Nur einmal hätte ich gemocht, daß der Componist den hohem Aufflug fortgesetzt, zu dem er sich schon angeschickt; es ist auf der neunzehnten Seite. Seinem anspruchlosen Charakter gemäß kehrt er aber gleich von selbst wieder auf die grüne, feste Erde zurück und erfreut auch so. Nimmt man die Violine zur Begleitung, so würde man den schonen Tenorcharakter vermissen, wie er dem Violoncell eigen; überhaupt scheint mir die Sonate gleich von Haus aus nur mit Cello gedacht. Einer näheren Entwickelung bedarf das Werk nicht; es liegt so offen da, daß man über seine Gültigkeit keinen Zweifel haben kann. {{Right|R. Schumann.

II. Trios und Quartette.

A. Halm, Gr, Trio für Pfte., Violine und Violoncello (in A). Werk 57. W. Taubert, Erstes Trio für Pfte., „ „ „ (in F). Werk 32.

  „    „      „         Erstes Quartett f. Pfte., Violine, Viola u. Vcell. (in Es).  Werk 19.

L. Schuberth Quartett für „ „ „ „ „ Werk 23.

C. G. Reißiger, Drittes gr. Quartett für Pfte., Violine, Viola und Violoncello (in D moll). Werk 108.

Ein deutlicheres Beispiel des bestens Willens nach höherem Aufflug, bei gründlichstem Festsitzen auf prosaischem Boden, wie es das erste Trio oben zeigt, gibt es schwerlich auf der Welt noch einmal. Manchmal, gesteh' ich es, kam mir etwas Lachen an, wie über einen, der mit angeschnallten Schlittschuhen forthumpelt über miserables Pflaster, öfter aber eine Art Rührung über die ungleiche Vertheilung der Glücksgüter, und wie ein so Fleißiger so gar nichts erhalten aus der Hand der obersten Göttin — einer, der es besser machen möchte als Beethoven, als Alle zusammen. Wahrhaftig, es kann kaum ein curioseres Trio geben. Man findet hier vieles, große Intentionen neben possierlichen Sprüngen, Anwandlungen von Eleganz bei vollkommner Körperungelenkheit, geheime Andeutungen neben offenliegenden Fadaisen, Beethovensche und Franz Schubertsche Einflüsse neben Wiener Leckereien, nur aber Phantasie nicht, nicht einmal das, was diese regelt, Geschmack. Nun denke man sich das ästhetische Malheur, das es setzt; ja, es verfolgt den Componisten so augenscheinlich, daß er sogar blind gegen das Gelungenere ist, wie aus S. 44, die doch geschmackvoll

{56} angeordnet ist, und die er nun gerade nicht wiederholt, während er sonst alles in den Dominanten nachtransponirt. Und dennoch kann man dem Trio nicht böse sein. Es gesteht sein Unvermögen zu gutmüthig, will nicht täuschen, nicht schmeicheln, nur geduldet und in seinem guten Willen anerkannt werden; und dies geschehe ihm auch. Die Natur müßte zerbersten, wollte sie lauter Beethovens gebären. Das Beste im Trio ist übrigens, bis aus die Menge Schnörkeleien, das Adagio. man sehe sich das Curiosum selbst an.

Ueber das Trio von Taubert kann man nach Lust und Ueberzeugung reden, da (ebenso wie im vorigen) die Clavierstimme zugleich eine Partitur ist; — weniger über das Quartett, obgleich ich es vom Componisten selbst, aber schon vor geraumer Zeit vortragen hörte. Das Trio stell' ich denn bei Weitem höher in Arbeit, Erfindung, Originalität, in Allem, so flüchtig es auch empfangen und wiedergegeben scheint. Es ist ein Ganzes und wird in allen Sätzen wie durch einen inneren Knoten zusammengehalten, wie man es nur in den besseren Werken antrifft. Wenn man in früheren Compositionen von Taubert oft eine fremde Anregung merken konnte, vor Allem die Mendelssohns, so steht das Trio mehr unter Beethovenschem und Schubertschem Einfluß; letzterem schreib' ich namentlich vieles im ersten Satz zu, der im ganzen Charakter wie in einzelnen Stellen an das Schubertsche Trio in Es dur anklingt, obwohl man es nicht gerade Note für Note nachweisen kann; dagegen im letzten Satz viel Beethovensches mit einläuft und im zweiten Hauptthema auch etwas aus der „Meeresstille“ etc. von Mendelssohn. Ganz eigenthümlich steht aber das Allegretto da, wie denn der Componist eine glückliche Anlage zum Schalkischen wie zum Derb-Humoristischen hat, wobei ihm noch seine gründlichen Kenntnisse zu statten kommen, daß es auch immer als musikalische Arbeit interessirt. Es muß einem durchaus behagen dieses Allegretto, zumal es noch eine nationale ausländische Färbung hat und mich an manches Lied in Moores Irish Melodies, die gerade vor mir liegen, gemahnt. Das Adagio ist von einem gewissen allgemeinen Charakter, wie man manche schöne Gesichter schon irgendwo gesehen zu haben glaubt. Der Hauptgesang läßt keine tieferen Spuren zurück während man ihn aber hört, muß man ihn schön finden; von Wirkung sind auch die träumerischen wie herabträufelnden Accorde an manchen Stellen der Clavierbegleitung. Etwas, was in allen Sätzen günstig ausfällt, sind die oft plötzlichen, aber immer glücklich eintretenden Rückgänge; so im ersten Satz aus S. 9, im zweiten überall, im dritten

{57} S. 25, im letzten S. 34. Daß in jedem einzelnen ein entschiedener Grundton durchklingt, braucht man bei einem so weit gediehenen Componisten nicht zu bemerken. — Ueber das Quartett getraue ich mir, wie gesagt, wegen Mangels einer Partitur keine Stimmfähigkeit zu. Der Eindruck nach des Componisten Spiel war ein sehr freudiger, aber nicht, daß es den ganzen Menschen durchdrungen, erwärmt hätte, wovon ich nur das Scherzo ausnehme, das ihm immer in neuer Weise gelingt. In den andern Sätzen, verzeih' er mir, scheinen mir die Hauptmelodieen zu Anfang des ersten und letzten Satzes zu unbedeutend als Quartettmusik, und etwas handwerkmäßig mit der ewigen Ausbeugung nach der Dominante. Im Verlauf finden sich eine Menge Glanzstellen, kräftige und gefunde Gedanken, wie sie nur eines trefflichen Künstlers würdig sein mögen. {{Right|R. Schumann.

Das Quartett des Hrn. Schuberth ist die erste umfangreiche Arbeit, die uns von diesem oft als ausgezeichnetes Talent genannten Componisten zu Gesicht gekommen. Zum Theil fand ich mich getäuscht, zum Theil jenen Ruf gerechtfertigt. Denn Talent blickt überall durch, bei Weitem aber noch nicht die Durchgebildetheit des Geistes, der das Meisterwerk erst geräth. Die Arbeit ist noch zu ungleichgewöhnliche Sachen stehen zwischen besseren, phantastischere Momente weichen schnell blos mechanischen Ausfüllungen; kein Satz wirkt durchgreifend und am wenigsten das ganze Quartett,[H 2] nach einander gespielt. Was ich für das Beste halte, das Scherzo, scheint mir, und nicht allein der fremden Tonart halber, einer andern vielleicht spätern Arbeit entnommen und eingeschaltet. Irre ich mich, so bleibt es doch interessant und bringt Lebendiges zu Markte. In den andern Sätzen kommt es, wie gesagt, zu nichts Rechtem, Entscheidendem; es entwickelt sich kein höherer Zustand bei sonst oft guter Grundlage. So wäre mit dem Hauptrhythmus im ersten Satz, ist er auch oft schon benutzt, noch manches zu machen; aber es bleibt beim blosen Nacheinandereinfallen der verschiedenen Instrumente; eine Engführung, gar geistigere Concentrirung des Gedankens muß man überall vermissen.* — Nach dem spannenden Anfang des Andante hätte man mehr Resultate erwartet; es geht beinahe spurlos vorbei. Vom Scherzo sprach ich schon; es ist geistreich.

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       * Gestrichen: „Sehr schwach scheint mir namentlich die Episode 2, 5, Syst, 5, wie denn das Clavier, und das Ensemble, nicht sehr vortheilhaft behandelt ist, indem jenes auf einmal schweigt, dann wieder allein anfängt etc. Es fehlt der Schmelz der Verbindung, der freilich auch das Schwierigste jener Zusammenstellung, die mir, soll ich es frei gestehen, von jeher keine der glücklichsten geschienen ist.“


{58} Das Thema des letzten Satzes, wiewohl an manches anklingend, muß man dennoch frisch und ergötzlich heißen; das zweite ist eigenthümlicher, hätte aber vielfach besser benutzt werden können. Wir glauben, der Componist geht etwas nachsichtig mit seinem Talente um. So vielen Gaben könnte ein schöner Erfolg nicht ausbleiben.

Das Quartett von Reißiger dachte ich mir schon im Voraus so, wie ich es gefunden habe: sehr unterhaltend, anmuthig, melodisch, für Künstler ein Spiel, für Dilettanten keine Mühe. Man muß ein Kapellmeister und in immerwährender schöner Angst sein, beim Componiren von reizenden Gräfinnen überlaufen zu werden, um sich die manchen leicht-brillanten Partieen zu entschuldigen, die Reißigers Compositionen als Kunstwerke nicht entstellen aber doch herabsetzen. Wir sind überzeugt, Reißiger müsse ein Werk tiefern Gehaltes, eines, das über die kurze Spanne der Gegenwart hinausköne, schreiben können, wenn er seine Spieler für das Einstudiren des Schwierigeren, Ernsteren nicht zu oft entschädigen wollte durch gewöhnliche Passagen, die ihnen den Beifall des Publicums sichern sollen. Wer ließe sich nicht gern applaudiren? Nur bleibe auch das Lob der strengern, nur auf das Edelste gerichteten Kritik in Ehren, und dieses würde sicherlich nicht fehlen ohne jenes sichtliche Beifallherausfordern. Man findet denn in diesem Quartette sehr Liebenswürdiges und Glückliches, einen leichten lyrischen Schwung, kurz alles, was man an Reißigers Compositionen bereits Vorteilhaftes kennt. Der erste Satz ist schon dem Herkommen nach der gewichtigere; er befriedigt, läßt nichts zu wünschen übrig. Der besondere Anfang des zweiten Theiles hätte etwas Schöneres, Poetischeres erwarten lassen; die schnellen Eintritte des Hauptrhythmus erinnern an die in der Jupitersymphonie von Mozart. Das Scherzo hat etwas vortheilhaft Breiteres, als man gewöhnlich findet, und springt deshalb eigenthümlicher heraus. Der Gesang im Trio ist schön, wenn auch bekannt und Weberisch. Etwas zu gedehnt scheint mir das Andante ungeachtet seines freundlichen Charakters; einer meiner Spieler meinte, der Componist habe es gewiß in kürzerer Zeit erfunden, als man es spielen könne. Das Rondo hat keinen tieferen Werth, schließt aber heiter und guter Dinge ab. Daß das D moll und noch ein neuer Rhythmus auf der vorletzten Seite erscheint, war nicht zu verrmuthen. Schwer ist das Quartett in keiner Stimme sehr. Das Clavier herrscht vor; namentlich beklagte sich mein Bratschist, daß er fast gar nichts zu thun habe. Der geehrte Componist wolle ihn einmal recht in den Tiefen arbeiten lassen. {{Right|R. S.

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{59}

Fragmente aus Leipzig. IV.

[Die Hugenotten.]

Ist mir’s doch heute wie einem jungen muthigen Krieger, der zum erstenmal sein Schwert zieht in einer großen Sache! Als ob dies kleine Leipzig, wo einige Weltfragen schon zur Sprache gekommen, auch musikalische schlichten sollte, traf es sich, daß hier, wahrscheinlich zum erstenmal in der Welt neben einander, die zwei wichtigsten Compositionen der Zeit zur Aufführung kamen — die Hugenotten von Meyerbeer und der Paulus von Mendelssohn. Wo hier anfangen, wo aufhören! Von einer Nebenbuhlerschaft, einer Bevorzugung des Einen vor dem Andern kann hier keine Rede sein. Der Leser weiß zu gut, welchem Streben sich diese Blätter geweiht, zu gut, daß. wenn von Mendelssohn die Rede ist, keine von Meyerbeer sein kann, so diametral laufen ihre Wege auseinander, zu gut, daß, um eine Charakteristik Beider zu erhalten, man nur dem Einen beizulegen braucht, was der Andere nicht hat — das Talent ausgenommen, was Beiden gemeinschaftlich. Oft möchte man sich an die Stirn greifen, zu fühlen, ob da oben alles noch im gehörigen Stande, wenn man Meyerbeers Erfolge im gesunden musikalischen Deutschland erwägt, und wie sonst ehrenwerthe Leute, Musiker selbst, die übrigens auch den stilleren Siegen Mendelssohns mit Freude zusehen, von seiner Musik sagen, sie war' etwas. Noch ganz erfüllt von den Hochgebildeten der Schröder-Devrient9 im Fidelio ging ich zum erstenmal in die Hugenotten. Wer freut sich nicht auf Neues, wer hofft nicht gern! Hatte doch Ries mit eigener Hand geschrieben, manches in den Hugenotten sei Beethovenschem an die Seite zu stellen etc.! Und was sagten Andere, was ich? Geradezu stimmte ich Florestan bei, der, eine gegen die Oper geballte Faust, die Worte fallen ließ: „im Crociato hätte er Meyerbeer noch zu den Musikern gezählt, bei Robert dem Teufel habe er geschwankt, von den Hugenotten an rechne er ihn aber geradewegs zu Franconis* Leuten.“ Mit welchem Widerwillen uns das Ganze

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     * Der seiner Zeit berühmte Circusdirector Franconi in Paris hatte durch die mit allem Raffinement von ihm in Scene gesetzten „Mimodramen“ die außerordentlichsten Erfolge erzielt. Ueber eines dieser Spectakelstücke — „L’empereur“ — berichtet Börne in seinen Briefen aus Paris. (Nr. 16.)


{60} erfüllte, daß wir nur immer abzuwehren hatten, kann ich gar nicht sagen; man wurde schlaff und müde vom Aerger. Nach öfterem Anhören fand sich wohl manches Günstigere und zu Entschuldigende heraus, das Endurtheil blieb aber dasselbe, und ich müßte denen, die die Hugenotten nur von Weitem etwa dem Fidelio oder Aehnlichem an die Seite zu setzen wagten, unaufhörlich zurufen: daß sie nichts von der Sache verständen, nichts, nichts. Auf eine Bekehrung übrigens ließ' ich mich nicht ein; da wäre kein Fertigwerden.

Ein geistreicher Mann hat Musik wie Handlung am besten durch das Urtheil bezeichnet, daß sie entweder im Freudenhause oder in der Kirche spielten. Ich bin kein Moralist; aber einen guten Protestanten empört’s, sein theuerstes Lied auf den Brettern abgeschrieen zu hören, empört es, das blutigste Drama seiner Religionsgeschichte zu einer Jahrmarktsfarce heruntergezogen zu sehen, Geld und Geschrei damit zu erheben, empört die Oper von der Ouverture an mit ihrer lächerlich- gemeinen Heiligkeit bis zum Schluß, nach dem wir ehestens lebendig verbrannt weiden sollen.* Was bleibt nach den Hugenotten übrig, als daß man geradezu auf der Bühne Verbrecher hinrichtet und leichte Dirnen zur Schau ausstellt. Man überlege sich nur alles, sehe, wo alles hinausläuft! Im ersten Act eine Schwelgerei von lauter Männern und dazu, recht raffinirt, nur eine Frau, aber verschleiert; im zweiten eine Schwelgerei von badenden Frauen und dazwischen, mit den Nägeln herausgegraben für die Pariser, ein Mann, aber mit verbundenen Augen. Im dritten Act vermischt sich die liederliche Tendenz mit der heiligen; im vierten wird die Würgerei vorbereitet und im fünften in der Kirche gewürgt. Schwelgen, morden und beten, von weiter nichts steht in den Hugenotten: vergebens würde man einen ausdauernd reinen Gedanken, eine wahrhaft christliche Empfindung darin suchen. Meyerbeer nagelt das Herz auf die Haut und sagt: „seht, da ist es, mit Händen zu greifen.“ Es ist alles gemacht, alles Schein und Heuchelei. Und nun diese Helden und Heldinnen — zwei, Marcel und St. Bris, ausgenommen, die doch nicht gar so elend

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       * Man lese nur die Schlußzeilen der Oper:

Par le fer et l’incendie Exterminons la race impie! Frappons, poursuivons l’hérétique! Dieu le veut, Dieu veut le sang, Ooui, Dieu veut le sang! [Sch.]


{61} zusammensinken. Ein vollkommener französischer Wüstling,* Revers, der Valentine liebt, sie wieder aufgibt, dann zur Frau nimmt, — diese Valentine selbst, die Raoul liebt, Revers heirathet, ihm Liebe schwört** und sich zuletzt an Raoul trauen läßt,— dieser Raoul, der Valentine liebt, sie ausschlägt, sich in die Königin verliebt und zuletzt Valentine zur Frau erhält, — diese Königin endlich, die Königin all' dieser Puppen! Und dies läßt man sich alles gefallen, weil es hübsch in die Augen fällt und von Paris kommt — und ihr deutschen sittsamen Mädchen haltet euch nicht die Augen zu? — Und der Erzkluge aller Componisten reibt sich die Hände vor Freuden! Von der Musik an sich zu reden, so reichten hier wirklich keine Bücher hin; jeder Tact ist überdacht, über jeden ließe sich etwas sagen. Verblüffen oder kitzeln ist Meyerbeers höchster Wahlspruch und es gelingt ihm auch beim Janhagel. Was nun jenen eingeflochtenen Choral anlangt, worüber die Franzosen außer sich sind, so gesteh' ich, brächte mir ein Schüler einen solchen Contrapunct, ich würde ihn höchstens bitten, er möcht' es nicht schlechter machen künftighin. Wie überlegt-schaal, wie besonnen-oberflächlich, daß es der Janhagel ja merkt, wie grobschmiedmäßig dieses ewige Hineinschreien Marcels „Ein' feste Burg“ etc. Viel macht man dann aus der Schwerterweihe im vierten Act. Ich gebe zu, sie hat viel dramatischen Zug, einige frappante geistreiche Wendungen und namentlich ist der Chor von großer äußerlicher Wirkung; Situation, Scenerie, Instrumentation greifen zusammen und da das Gräßliche Meyerbeers Element ist, so hat er hier auch mit Feuer und Liebe geschrieben. Betrachtet man aber die Melodie musikalisch, was ist’s als eine aufgestutzte Marseillaise? Und dann, ist’s denn eine Kunst, mit solchen Mitteln an so einer Stelle eine Wirkung hervorzubringen? Ich tadle nicht das Aufbieten aller Mittel am richtigen Orte; man soll aber nicht über Herrlichkeit schreien, wenn ein Dutzend Posaunen, Trompeten, Ophikleïden und hundert im Unisono singende Menschen in einiger Entfernung gehört werden können. Ein Meyerbeersches Raffinement muß ich hier erwähnen. Er kennt das Publicum zu gut, als daß er nicht einsehen sollte, daß zu viel Lärm zuletzt abstumpft. Und wie klug arbeitet er dem entgegen! Er setzt nach solchen Prasselstellen gleich ganze Arien mit Begleitung eines einzigen Instrumentes,

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       * Worte wie „je ris du Dieu de l’univérs“ etc. sind Kleinigkeiten im Texte.   [Sch.]
      ** D’aujourd’hui tout on sang est à vous etc.    [Sch.]


{62} als ob er sagen wollte: „seht, was ich auch mit Wenigem anfangen kann, seht, Deutsche, seht!“ Einigen Esprit kann man ihm leider nicht absprechen. — Alles Einzelne durchzugehen, wie reichte da die Zeit aus! Meyerbeers äußerlichste Tendenz, höchste Nicht-Originalität und Stillosigkeit sind so bekannt wie sein Talent geschickt, zu appretiren, glänzend zu machen, dramatisch zu behandeln, zu instrumentiren, wie er auch einen großen Reichthum an Formen hat. Mit leichter Mühe kann man Rossini, Mozart, Hérold. Weber. Bellini, sogar Spohr, kurz die gesammte Musik nachweisen. Was ihm aber durchaus angehört, ist jener berühmte, fatal meckernde unanständige Rhythmus, der fast in allen Themen der Oper durchgeht; ich hatte schon angefangen, die Seiten aufzuzeichnen, wo er vorkommt (S. 6, 17. 59, 68, 77, 100, 117), ward’s aber zuletzt überdrüssig. Manches Bessere, auch einzelne edlere und großartigere Regungen könnte, wie gesagt, nur der Haß wegleugnen; so ist Marcels Schlachtlied von Wirkung, so das Lied des Pagen lieblich; so interessirt das Meiste des dritten Actes durch lebendig vorgestellte Volksscenen, so der erste Theil des Duetts zwischen Marcel und Valentine durch Charakteristik, ebenso das Sextett, so der Spottchor durch komische Behandlung, so im vierten Act die Schwerterweihe durch größere Eigenthümlichkeit und vor Allem das darauf folgende Duett zwischen Raoul und Valentine durch musikalische Arbeit und Fluß der Gedanken: — — was aber ist das alles gegen die Gemeinheit, Verzerrtheit, Unnatur, Unsittlichkeit, Un-Musik des Ganzen? Wahrhaftig, und der Herr sei gelobt, wir stehen am Ziel, es kann nicht ärger kommen, man müßte denn die Bühne zu einem Galgen machen, und dem äußersten Angstgeschrei eines von der Zeit gequälten Talentes folgt im Augenblicke die Hoffnung, daß es besser werden muß.

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V.

[Paulus.]

—  — Wenden wir uns mit einigen Worten zu einem Edleren.

Hier wirst du zum Glauben und zur Hoffnung gestimmt und lernst deine Menschen wieder lieben; hier ruht es sich wie unter Palmen, wenn du dich müde gesucht, und nun eine blühende Landschaft dir zu

{63} Füßen liegt. Es ist der Paulus ein Werk der reinsten Art, eines des Friedens und der Liebe. Du würdest dir schaden und dem Dichter wehe thun, wolltest du es nur von Weitem mit Händelschen oder Bachschen vergleichen. Worin sich alle Kirchenmusik, worin sich 'alle Gottestempel, alle Madonnen der Maler gleichsehen, darin gleichen sie sich; aber freilich waren Bach und Händel, da sie schrieben, schon Männer, und Mendelssohn schrieb beinahe ganz Jüngling.* Also das Werk eines jungen Meisters, dem noch Grazien um die Sinne spielen, den noch Lebelust und Zukunft erfüllen; nicht zu vergleichen mit einem aus jener strengern Zeit, von einem jener göttlichen Meister, die ein langes heiliges Leben hinter sich, mit den Häuptern schon in die Wolken sahen.

Der Gang der Handlung, das Wiederaufnehmen des Chorals, den wir schon in den alten Oratorien finden, die Theilung des Chors und der Einzelnen in handelnde und betrachtende Massen und Personen, die Charaktere dieser Einzelnen selbst — über dies wie über anderes ist schon vielfach in diesen Blättern gesprochen. Auch daß die Hauptmomente zum Nachtheil des Eindrucks des Ganzen schon in dem ersten Theile der Handlung liegen, daß die Nebenperson Stephanus wenn nicht ein Uebergewicht über Paulus erhält, so doch das Interesse an diesem schmälert; daß endlich Saulus mehr wirkt in der Musik als Bekehrter denn als Bekehrender, ist ebenfalls richtig bemerkt worden, so wie. daß das Oratorium überhaupt sehr lang ist und bequem in zwei zerfallen könnte. Anziehend zum Kunstgespräch ist vor Allem Mendelssohns dichterische Auffassung der Erscheinung des Herrn; doch meine ich, man verdirbt durch Grübeln und könnte damit den Componisten nicht ärger beleidigen als hier in einer seiner schönsten Erfindungen. Ich meine, Gott der Herr spricht in vielen Zungen, und den Auserwählten offenbart er ja seinen Willen durch Engelchöre; ich meine, der Maler drücke die Nähe des Höchsten durch oben aus dem Saum des Bildes hervorschauende Cherubköpfe poetischer aus als durch das Bild eines Greises, das Dreifaltigkeitszeichen etc. Ich wüßte nicht, wie die Schönheit beleidigen könnte, wo die Wahrheit nicht zu erreichen ist. Auch hat man behaupten wollen, daß einige Choräle im Paulus durch den seltenen Schmuck, mit dem sie Mendelssohn umgeben, an ihrer Einfalt einbüßten. Als ob die Choralmusik nicht eben so gut

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         * Mendelssohn war 25 Jahre alt, als er den Paulus anfing.


{64} Zeichen für das freudige Gottvertrauen wie für die flehende Bitte habe, als ob zwischen „Wachet auf“ etc. und „Aus tiefer Noth“ etc. kein Unterschied möglich wäre, als ob das Kunstwerk nicht andere Ansprüche befriedigen müsse als eine singende Gemeinde! Endlich hat man den Paulus sogar nicht einmal als ein protestantisches Oratorium, sondern nur als Concertoratorium gelten lassen wollen, wobei ein Gescheuter den Mittelweg vorschlug, es doch „protestantisches Concertoratorium“ zu nennen. Man sieht, Einwendungen, und auch begründete, lassen sich machen, und der Fleiß der Kritik soll auch in Ehren gehalten werden. Dagegen vergleiche man aber, was dem Oratorium Niemand nehmen wird — außer dem innern Kern die tiefreligiöse Gesinnung, die sich überall ausspricht, betrachte man all das Musikalisch-Meisterlich-Getroffene, diesen höchst edlen Gesang durchgängig, diese Vermählung des Wortes mit dem Ton, der Sprache mit der Musik, daß wir alles wie in leibhaftiger Tiefe erblicken, die reizende Gruppirnng der Personen, die Anmuth, die über das Ganze wie hingehaucht ist, diese Frische, dieses unauslöschliche Colorit in der Instrumentation, des vollkommen ausgebildeten Stiles, des meisterlichen Spielens mit allen Formen der Setzkunst nicht zu gedenken — man sollte damit zufrieden sein, meine ich. Eines nur habe ich zu bemerken. Die Musik zum Paulus ist im Durchschnitt so klar und populär gehalten, prägt sich so rasch und für lange Zeit ein, daß es scheint, der Componist habe während des Schreibens ganz besonders darauf gedacht, auf das Volk zu wirken. So schön dieses Streben ist, so würde eine solche Absicht künftigen Compositionen doch etwas von der Kraft und Begeisterung rauben, wie wir es in den Werken derer finden, die sich ihrem großen Stoffe rücksichtslos, ohne Ziel und Schranke hingaben. Zuletzt bedenke man, daß Beethoven einen Christus am Oelberg geschrieben und auch eine Missa solemnis, und glauben wir, daß, wie der Jüngling Mendelssohn ein Oratorium schrieb, der Mann auch eines vollenden wird.* Bis dahin begnügen wir uns mit unserm und lernen und genießen davon.

Und jetzt zu einem Schlußurtheil über zwei Männer und ihre Werke, die die Richtung und Verwirrung der Zeit am schärfsten charakterisiren, zu gelangen. Ich verachte diesen Meyerbeerschen Ruhm aus dem Grunde meines Herzens; seine Hugenotten sind das Gesammtverzeichniß aller Mängel und einiger wenigen Vorzüge seiner Zeit.

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       * Mendelssohn hat die Prophezeinng erfüllt (Elias).    [Sch. 1852]

{65} Und dann — laßt uns diesen Mendelssohn-Paulus hochachten und lieben, er ist der Prophet einer schönen Zukunft, wo das Werk den Künstler adelt, nicht der kleine Beifall der Gegenwart: sein Weg führt zum Glück, jener zum Ueebel. * {{Right|Robert Schumann. 10

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Museum.

Unter dieser Aufschrift erhielten wir vor Kurzem einige Beiträge der Davidsbündlerschaft mit der Anfrage: ob sie nicht eine Sammlung von Abgüssen interessanterer Köpfe in der Zeitschrift aufstellen und ihr obigen Namen beilegen dürfte, da sie fürchte, daß in den in die Mode gekommenen En-gros-Recensionen manches übersehen würde; daß sie übrigens damit etwas Aristokratisches nicht im Sinne habe, solle die Redaction nur glauben etc. Das Letzte bei Seite gelassen, antworteten wir: die Bündlerschaft sollte nur. {{Right|Die Redaction.

1.

Variationen für das Pianoforte von Adolph Henselt. Werk 1.

Mit einiger Freundschaft mehr betrachte ich dich oft, mein Florestan, daß du mit gutem Griff aus der Schaar der Jüngeren die Besten herausfühltest und sie zuerst in die Welt. d. i. in die Zeitschrift einführtest als künftige Würden-, wo nicht Lorbeerträger. Sonderbar waren sie gerade von den verschiedensten Völkerschaften, so Chopin ein Pole, Berlioz ein Franzose, Bennett ein Engländer, Anderer, Geringerer nicht zu gedenken. Wann endlich, dachte ich da oft traurig, wird denn auch einmal ein Deutscher kommen! Und er ist gekommen, ein Prachtmensch, der Herz und Kopf auf der rechten Stelle hat, Adolph Henselt, und ich stimme der Davidsbündlerin Sara** bei, daß sie ihn, den noch wenig Gehörten, ihn, der kaum Werk Eins hinter dem Rücken hat, gleich den Besten der jungen Künstlerschaft

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       * Hier folgten noch die Schlußworte: „Und nie unterschrieb ich etwas mit so fester Ueberzeugung als heute,“
      ** Frl. Sophie Kaskel (nachherige Gräfin Wolf Baudissin) in Dresden, welche eine Charakteristik Henselts für die Zeitschrift (1837, VII, 57) geschrieben hatte.


{66} anreiht. Du weißt, Florestan, viel haben wir am Clavier zusammen studirt, geschwelgt in Fingerübungen und Beethoven, besten Ton zu erlangen. Was ich aber Wohllaut, Klangzauber nenne, ist mir noch nie in einem höhern Grade vorgekommen als in Henselts Compositionen. Dieser Wohllaut ist aber nur der Wiederhall einer inneren Liebenswürdigkeit, die sich so offen und wahr ausspricht, wie man es in diesem verhüllten Larventanz der Zeit kaum mehr kennt. Letzteren Vorzug haben wohl auch andere junge Künstler mit meinem gemein, sie kennen aber ihr Instrument nicht so genau, wissen ihre Gedanken nicht so reizend herauszustellen. Ich spreche hier nicht von den Variationen, in die man sich höchstens verlieben kann, ohne tiefer gepackt zu werden, was sie auch gar nicht wollen; aber bei manchen Menschen läßt sich, auch wenn sie noch erst wenig gesagt, ihr Bestes noch nicht gezeigt haben, gleich von vornherein auf ein schönes Herz, einen harmonisch gebildeten Geist schließen. Und dann hörte ich erst vor Kurzem von Clara Wieck wie von einem Freunde des Componisten eine Menge kleiner Tonstücke, daß einem vor Lust die Thränen in die Augen treten konnten, so unmittelbar griffen sie an das Herz. — Kann ich nun über solchen Tugenden eines Künstlergeistes auch nicht die tiefere Eigenthümlichkeit Anderer, wie den hochleidenschaftlichen Chopin vergessen, über Walter Scott nicht Lord Byron, so bleiben sie doch der Nachahmung, der innigsten Anerkennung in einer Zeit werth, wo ein verzerrender und verzerrter Meyerbeer wüstet und ein verblendeter Haufe ihm zujauchzt. Labt euch denn an den Aussichten, die dieser Künstler erschließt; die schöne Natur dringt endlich doch durch. Er aber möge sich seiner Bedeutung erfreuen und fortfahren, mit seiner Kunst Freude und Glück unter den Menschen zu verbreiten. 11

Noch Eines, Es wurde neulich gefragt, ob Henselt nicht eine dem Prinzen Louis Ferdinand von Preußen verwandte Erscheinung wäre. Allerdings, aber sie fallen in umgekehrte Zeiten. Nimmt man von der Musik einen romantischen und classischen Charakter an, so war Prinz Louis der Romantiker der elastischen Periode, während Henselt der Classiker einer romantischen Zeit ist; und insofern berühren sie sich. 12 {{Right|Eusebius.

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2.

Drei Impromptus für das Pianoforte von Stephen Heller. Werk 7.

Damit aber mein Eusebius nicht etwa überschäume wie ein hochgeschwungener Pokal, stell' ich ihm einen eben so jungen deutschen Künstler gegenüber, Stephen Heller, der die Vorzüge seines Lieblings zwar nicht in so hohem Grade theilt, außerdem aber Vielseitigkeit der Erfindung, Phantasie und Witz die Fülle hat. Vor einigen Jahren schon schrieb uns ein Unbekannter, er hätte gelesen, die Davidsbündlerschaft wolle sich auch elender Manuskripte annehmen. „Man kann“ — hieß es in jenem Briefe weiter — „diesen Gedanken nicht dankbar genug anerkennen. Irgend ein hartes Verlegerherz oder ein Herz-Verleger kann durch gerechte Kritik solcher Manuscripte auf junge Talente aufmerksam gemacht, nach Verdienst in seiner Härte bestärkt oder günstiger gestimmt werden. — In mir, verehrte Davidsbündler, sehen Sie Einen von den Vielen, die ihre Compositionen (soit-disant Werke) veröffentlicht wissen wollen, aber zugleich Einen von den Wenigen, die es nicht wünschen, um sich — gedruckt oder gestochen zu sehen, sondern deshalb, um sich beurtheilt zu hören, um Tadel, lehrreichen, oder Ermunterndes zu vernehmen“ etc. — Der ganze Brief verrieth einen hellen feinen Kopf, Naivetät und Bescheidenheit. Endlich kamen die Manuscripte, abermals mit einem Brief, aus dem ich mich folgender Stelle entsinne: „Großer Achtung, dürfte ich mich ihrer erfreuen,* wenn ich mich Ihnen als einen ausgezeichneten Seher und seltenen — Hörer legitimire! Ich habe Beethoven, ich habe Schubert gesehen, oft gesehen und zwar in Wien, und die beste italiänische Operngesellschaft dort und welche Zusammenstellung, — die Quartette von Mozart und Beethoven von Schuppanzigh etc. spielen und Beethovens Symphonieen vom Wiener Orchester aufführen gehört. Im Ernste, verehrteste Bündlerschaft, bin ich kein seltener, beglückter Seher, kein vom Schicksal begünstigter Hörer?“ Beste Freunde, — sagte ich meinen — nach solchen Briefstellen ist nichts zu thun, als auf die Composition zuzufliegen und den Mann an der Wurzel kennen zu lernen, dessen Name ein so fatales Widerspiel seines Inhabers.

Ich bin des Wortes „Romantiker“ von Herzen überdrüssig, obwohl

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    [nicht berücksichtigen, siehe Deiters] * Wörtlich in der Zeitschrift: „Großer Achtung, dürfte ich mich Ihrer erfreuen“ — ein offenbares Druckversehen, daß die obige Conjectur des Herausgebers zu heben versucht.


{68} ich es nicht zehnmal in meinem Leben ausgesprochen habe; und doch — wollte ich unsern jungen Seher kurz tituliren, so hieß' ich ihn einen, und welchen! Von jenem vagen, nihilistischen Unwesen aber, wohinter Manche die Romantik suchen, ebenso wie von jenem groben hinklecksenden Materialismus, worin sich die französischen Neuromantiker gefallen, weiß unser Componist, dem Himmel sei Dank, nichts: im Gegentheil empfindet er meist natürlich, drückt er sich klug und deutlich aus. Dennoch fühlt man aber noch etwas im Hintergrund stehen beim Erfassen seiner Compositionen, ein eigenes anziehendes Zwielicht, mehr morgenröthlich, das einen die übrigens festen Gestalten in einem fremdartigen Schein sehen läßt; man kann so etwas niemals durch Worte scharf bezeichnen, durch ein Bild schon eher, und so möchte ich jenen geistigen Schein den Ringen vergleichen, die man im Morgenschauer an gewissen Tagen um die Schattenbilder mancher Köpfe bemerken will. Im Uebrigen hat er gar nichts Uebermenschliches als eine fühlende Seele in einem lebendigen Körper. Dabei führt er aber auch fein und sorgsam aus; seine Formen sind neu, phantastisch und frei; er hat keine Angst um das Fertigwerden, was immer ein Zeichen, daß viel da ist. Jenen harmonischen Wohllaut, der in der That bei Henselt so wohlthut, besitzt er nicht in dem Maße; dagegen hat er mehr Geist, versteht er Contraste zu einer Einheit zu verschmelzen. Im Einzelnen stört mich manches; er erstickt aber den Tadel durch eine geistreiche Wendung im Augenblick. Dies und Aehnliches zeichnet diesen meinen Liebling aus. Uebersehe ich auch die Dedication nicht! Das Zusammentreffen ist sonderbar; du erinnerst dich, Eusebius, wir hatten einmal etwas der Wina aus den „Flegeljahren“ zugeeignet; die Dedication der Impromptus nennt auch eine Jean Paulsche Himmelsgestalt, Liane v. Froulay, * — wie wir denn überhaupt manches gemein haben, welches Geständniß Niemand falsch deuten wolle; es liegt zu deutlich da. So empfehl’ich euch die Impromptus. Wahrhaftig, dieses Talent hat eine Zukunft vor sich. 13 {{Right|Florestan.

3.

Soiréen für das Pianoforte von Clara Wieck. Werk 6.

Auch ein weiblicher Kopf soll unser Museum schmücken, und überhaupt, wie könnte ich den heutigen Tag, als Vorfeier des morgenden,

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       * im Titan.

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der einer geliebten* Künstlerin das Leben gab, besser begehen, als daß ich mich gerade in eine ihrer Schöpfungen versenkte mit einigem Antheil. Sind sie doch einer so ausländischen Phantasie entsprungen, als daß hier die blose Uebung ausreichte, diese seltsam verschlungenen Arabesken verfolgen zu können, — einem zu tief gegründeten Gemüthe, als daß man, wo das Bildliche, Gestaltenähnliche in ihren Compositionen mehr in den Hintergrund tritt, das träumerische, in sich vertiefte Wesen auf einmal zu fassen vermöchte. Deshalb werden sie auch die Meisten eben so rasch wieder weglegen, als sie sie in die Hand genommen; ja, es ist zu glauben, daß ordentliche Preisakademieen den Soiréen unter hundert eingesandten andern nicht etwa den ersten Preis zuerkennen sondern eben den letzten, so wenig schwimmen hier die Perlen und Lorbeerkränze auf der Fläche. Immerhin war ich auf das Urtheil der Akademisten mehr als je gespannt; denn eines Theils verrathen die Soiréen doch gewiß Jedem ein so zartes überwallendes Leben, das vom leisesten Hauch bewegt zu werden scheint, und doch auch wieder einen Reichthum an ungewöhnlichen Mitteln, eine Macht, die heimlicheren, tiefer spinnenden Fäden der Harmonie zu verwirren und auseinander zu legen, wie man es nur an erfahrenen Künstlern, an Männern gewohnt ist. Ueber das Erstere, die Jugend der Componistin, sind wir einig. Das Andere aber zu würdigen, muß man freilich wissen, wie sie, als Virtuosin schon, auf dem Höhenscheitel der Zeit steht, von wo aus ihr nichts verborgen geblieben. Wo Sebastian Bach noch so tief eingräbt, daß das Grubenlicht in der Tiefe zu verlöschen droht, wo Beethoven ausgreift in die Wolken mit seiner Titanenfaust, was die jüngste Zeit, die Höhe und Tiefe vermitteln möchte, vor sich gebracht hat, von all diesem weiß die Künstlerin und erzählt davon in lieblicher Mädchenklugheit, hat aber deshalb auch die Anforderungen an sich auf eine Weise gesteigert, daß einem wohl bange werden könnte, wo dies alles hinaus soll. Ich vermag nicht vorzugreifen mit meinen Gedanken hierüber: Vorhang steht bei solchem Talente hinter Vorhang und die Zeit hebt einen nach dem anderen hinweg und immer anders, als man vermuthet. Aber daß man einer solchen wundersamen Erscheinung nicht gleichgültig zusehe, daß man ihr Schritt vor Schritt in ihrer geistigen Entwickelung nachfolge, wäre

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         * Schumann war schon im Geheimen mit Clara verlobt, als er dies schrieb. Am 13. September 1837, Claras achtzehntem Geburtstage, bewarb er sich schriftlich bei Wieck um die Hand seiner Tochter. Er wurde bekanntlich abgewiesen.


{70} von Allen zu «warten, die in unserer denkwürdigen Gegenwart nicht ein loses Durcheinander des Zufalls sondern die natürliche, innige Verknüpfung verwandter Geister von sonst und jetzt erkennen.

Was erhält man also in diesen Soireen? Was sprechen sie aus, wen gehen sie an, und sind sie ein Resultat, der Arbeit eines Meisters zu vergleichen? Sie erzählen uns denn viel von Musik, und wie diese die Schwärmerei der Poesie hinter sich läßt, und wie man glücklich im Schmerz sein könne und traurig im Glück, — und sie gehören denen, die auch ohne Clavier selig sein können in Musik, denen das sehnsüchtige innere Singen das Herz sprengen möchte, Allen, die in die geheinmißvolle Ordenssprache einer seltenen Künstlergattung schon eingeweiht sind. Endlich, sind sie ein Resultat? Wie die Knospen sind sie’s, ehe sie die Farbenflügel in offener Pracht auseinander treiben, zur Betrachtung fesselnd und bedeutend, wie alles, was eine Zukunft in sich birgt. — Freilich, dies nun alles von ihr selbst zu hören! Weiß man doch selbst nicht, wie einem da oft geschieht! Kann man sich da oft kaum denken, wie so etwas mit Zeichen dargestellt, aufgeschrieben werden könne! Ist dies doch wieder eine ihr angehörige erstaunliche Kunst, über die sich ganze Bücher hören ließen! Ich sage „hören“ und bin weise geworden. Unseren Davidsbündlerkräften mißtrauend baten wir z. B. neulich einen guten Kenner, uns etwas über die Eigenthümlichkeit des Vortrags dieser Virtuosin für die Zeitschrift zu schreiben; er versprach es, und nach zwei Seiten Abhandlung kam’ s richtig am Schluß: „es wäre wünschenswerth, einmal etwas Begründetes über die Virtuosität dieser Künstlerin zu erfahren“ etc. Wir wissen, woran er gescheitert ist, und weshalb wir auch hier abbrechen: es läßt sich eben nicht jedes in Buchstaben bringen.

Am 12. September 1837. {{Right|Florestan und Eusebius.

4.

6 Präludien und Fugen für das Pianoforte von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Werk 35.

Ein Sprudelkopf (er ist jetzt in Paris) definirte den Begriff „Fuge“ meisthin so: „sie ist ein Tonstück, wo eine Stimme vor der anderen aufreißt — (fuga a fugere) — und der Zuhörer vor allen“,


{71} weshalb er auch, wenn dergleichen in Concerten vorkamen, laut zu sprechen und noch öfter zu schimpfen anfing. Im Grunde verstand er aber wenig von der Sache und glich nebenbei dem Fuchs in der Fabel, d. h. er konnte selbst keine machen, so sehr er’s sich auch heimlich wünschte. Wie anders definiren freilich die, die’s können, Cantoren, absolvirte Musikstudenten u. dgl. Nach diesen hat „Beethoven nie eine Fuge geschrieben, noch schreiben können, selbst Bach sich Freiheiten genommen, über die man nur die Achseln zucken könnte, die beste Anleitung gäbe allein Marpurg“ u. s. w. Endlich, wie anders denken Andere, ich z. B., der ich stundenlang schwelgen kann in Beethovenschen, in Bachschen und Händelschen und deshalb immer behauptet, man könne, wässerige, laue, elende und zusammengeflickte ausgenommen, keine mehr machen heut zu Tage, bis mich endlich diese Mendelssohnschen wieder in etwas beschwichtigt. Ordentliche Fugenmusterreiter täuschen sich indeß, wenn sie in ihnen einige von ihren alten herrlichen Künsten angebracht glauben, etwa imitationes per augmentationem duplicem, triplicem etc. oder cancricantes motu contratio etc. — ebenso aber auch die romantischen Ueberflieger, wenn sie ungeahnte Phönixvögel in ihnen zu finden hoffen, die sich hier losgerungen aus der Asche einer alten Form. Haben sie aber sonst Sinn für gesunde, natürliche Musik, so bekommen sie darin hinlänglich. Ich will nicht blind loben und weiß recht gut, daß Bach noch ganz andere Fugen gemacht, ja gedichtet. Aber stände er jetzt aus dem Grabe auf, so würde er — erstens vielleicht etwas um sich wettern rechts und links über den Musikzustand im Allgemeinen, dann aber sich gewiß auch freuen, daß Einzelne wenigstens noch Blumen auf dem Felde ziehen, wo er so riesenarmige Eichenwälder angelegt. Mit einem Worte, die Fugen haben viel Sebastiansches und könnten den scharfsichtigsten Redaeteur irre machen, wär es nicht der Gesang, der seinere Schmelz, woran man die moderne Zeit herauserkennte, und hier und da jene kleinen, Mendelssohn eigenthümlichen Striche, die ihn unter Hunderten als Componisten verrathen. Mögen Redacteure das nun finden oder nicht, so bleibt doch gewiß, daß sie der Componist nicht zum Zeitvertreib geschrieben, sondern deshalb, um die Clavierspieler auf jene alte Meisterform wieder aufmerksam zu machen, sie wieder daran zu gewöhnen, und daß er dazu die rechten Mittel wählte, indem er alle jene unglücklichen, nichtsnutzigen Satzkünsteleien und imitationes mied und mehr das Melodische der Cantilene vorherrschen ließ bei allem Festhalten an der Bachschen Form, sieht ihm auch ganz ähnlich.


{72} Ob aber vielleicht auch nicht die letztere mit Nutzen umzugestalten, ohne daß dadurch der Charakter der Fuge aufgelöst würde, ist eine Frage, an deren Antwort sich noch Mancher versuchen wird. Beethoven rüttelte schon daran, war aber anderweitig genug beschäftigt und schon zu hoch oben im Ausbau der Kuppeln so vieler anderer Dome begriffen, als daß er zur Grundsteinlegung eines neuen Fugengebäudes Zeit gefunden. Auch Reicha versuchte sich, dessen Schöpferkraft aber offenbar hinter der guten Absicht zurückblieb; doch sind seine oft curiosen Ideen nicht ganz zu übersehen. Jedenfalls bleibt immer die die beste Fuge, die das Publicum — etwa für einen Straußschen Walzer hält, mit anderen Worten, wo das künstliche Wurzelwerk wie das einer Blume überdeckt ist, daß wir nur die Blume sehen. So hielt einmal (in Wahrheit) ein übrigens nicht unleidlicher Musikkenner eine Bachsche Fuge für eine Etüde von Chopin— zur Ehre beider; so könnte man manchein Mädchen die letzte Partie einer, z. B. der zweiten, Mendelssohnschen Fuge (an der ersten würden sie die Stimmeneintritte stutzig machen) für ein Lied ohne Worte ausgeben, und es müßte über die Anmuth und Weichheit der Gestalten den ceremoniellen Ort und den verabscheuten Namen vergessen, wo und unter dem sie ihm vorgestellt worden. Kurz, es sind nicht allein Fugen, mit dem Kopf und nach dem Recept gearbeitet, sondern Musikstücke, dem Geiste entsprungen und nach Dichterweise ausgeführt. Wie die Fuge aber ein ebenso glückliches Organ für das Würdige wie für das Muntere und Lustige abgibt, so enthält die Sammlung auch einige in jener kurzen, raschen Art, deren Bach so viele hingeworfen mit Meisterhand. Jeder wird sie herausfinden! diese namentlich verrathen den fertigen geistreichen Künstler, der mit den Fesseln wie mit Blumengewinden spielt. Von den Präludien noch zu sprechen, so stehen vielleicht die meisten, wie wohl auch viele Bachsche, in keinem ursprünglichen Zusammenhange mit den Fugen und scheinen diesen erst später vorgehängt. Die Mehrzahl der Spieler wird sie den Fugen vorziehen, wie sie denn auch einzeln gespielt eine vollständige Wirkung hinterlassen; namentlich packt das erste gleich von Haus aus und reißt bis zum Schluß mit sich fort. Die anderen sehe man selbst nach. Das Werk spricht für sich selbst, auch ohne den Namen des Componisten. {{Right|Jeanquirit.

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5.

12 Etuden für Pianoforte von Friedrich Chopin. Werk 25.

Wie dürfte denn dieser in unserm Museum fehlen, auf den wir so oft schon gedeutet wie auf einen seltenen Stern in später Nachtstunde ! Wohin seine Bahn geht und führt, wie lange, wie glänzend noch, wer weiß es? So oft er sich aber zeigte, war’s dasselbe tiefdunkele Glühen, derselbe Kern des Lichts, dieselbe Schärfe, daß ihn hätte ein Kind herausfinden müssen. Bei diesen Etuden kommt mir noch zu statten, daß ich sie meist von Chopin selbst gehört, und „sehr à la Chopin spielt er selbige“, flüsterte mir Florestan dabei ins Ohr. Denke man sich, eine Aeolsharfe hätte alle Tonleitern und es würfe diese die Hand eines Künstlers in allerhand phantastischen Verzierungen durcheinander, doch so, daß immer ein tieferer Grundton und eine weich fortsingende höhere Stimme hörbar — und man hat ungefähr ein Bild seines Spieles. Kein Wunder aber, daß uns gerade die Stücke die liebsten geworden, die wir von ihm gehört, und so sei denn vor Allem die erste in As dur erwähnt, mehr ein Gedicht als eine Etüde. Man irrt aber, wenn man meint, er hätte da jede der kleinen Noten deutlich hören lassen; es war mehr ein Wogen des As dur-Accordes, vom Pedal hier und da von Neuem in die Höhe gehoben; aber durch die Harmonieen hindurch vernahm man in großen Tönen Melodie, wundersame, und nur in der Mitte trat einmal neben jenem Hauptgesang auch eine Tenorstimme aus den Accorden deutlicher hervor. Nach der Etüde wird’s einem wie nach einem sel’gen Bild, im Traum gesehen, das man, schon halbwach, noch einmal erhaschen möchte; reden ließ sich wenig darüber und loben gar nicht. Er kam alsbald zur andern in F moll, der zweiten im Buch, ebenfalls eine, in der sich einem seine Eigenthümlichkeit unvergeßlich einprägt, so reizend, träumerisch und leise, etwa wie das Singen eines Kindes im Schlafe. Wiederum schön, aber weniger neu im Charakter als in der Figur, folgte die in F dur; hier galt es mehr, die Bravour zu zeigen, die liebenswürdigste, und wir mußten den Meister sehr darum rühmen... Doch wozu der beschreibenden Worte! Sind sie doch sämmtlich Zeichen der kühnen, ihm innewohnenden Schöpferkraft, wahrhafte Dichtergebilde, im Einzelnen nicht ohne kleine Flecken, im Ganzen immerhin mächtig und ergreifend. Meine aufrichtigste Meinung indeß nicht zu

{74} verschweigen, so scheint mir allerdings das Totalgewicht der früheren großen Sammlung bedeutender. Es kann dies aber keinen Verdacht etwa auf eine Verringerung von Chopins Kunstnatur oder auf ein Rückwärtsgekommensein abgeben, da diese jetzt erschienenen ziemlich alle mit jenen zugleich entstanden und nur einzelne, denen man auch ihre größere Meisterschaft ansieht, wie die erste in As und die letzte prachtvolle in C moll, erst vor Kurzem. Daß unser Freund überhaupt aber jetzt wenig schafft und Werke größeren Umfangs gar nicht, ist leider auch wahr, und daran mag wohl das zerstreuende Paris einige Schuld haben. Nehmen wir indeß lieber an, daß es nach so vielen Stürmen in einer Künstlerbrust allerdings einiger Ruhe bedarf, und daß er dann vielleicht, neu gestärkt, den ferneren Sonnen zueilen wird, deren uns der Genius immer neue enthüllt. {{Right|Eusebius.

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Symphonieen.

C. G. Müller, Dritte Symphonie (C moll). Werk 12. A. Hesse, Dritte Sympbonie (H moll), für Pianoforte zu 4 Händen. Werk 55. F. Lachner, Dritte Symphonie (D moll), für Pianoforte zu 4 Händen von Vincenz {{Right|Lachner. Werk 41.

Ueber die Symphonie von C. G. Müller enthält die Zeitschrift bereits einen ausführlichen Aufsatz, den wir, da wir ihn auch jetzt als richtig befinden, nachzuschlagen bitten;* sie ist uns immer als sein freiestes und eigenthümlichstes Werk erschienen, dem wir glückliche Nachfolger versprachen, bis jetzt umsonst, da der tüchtige Mann seitdem nichts wieder im Symphonieenfach geschrieben. Mit großem Unrecht; denn dies gerade scheint uns sein Terrain, aus dem er sich nicht verdrängen lassen sollte. Alles will Zeit — hier zumal, wo die häufige Namensverwechselung der Verbreitung des Werkes allerdings Eintrag thut. Also mit frischer Kraft wieder an eine neue Symphonie!

Die dritte Symphonie von Hesse gleicht seinen andern Compositionen aufs Haar; man kann kaum faßlicher und logischer denken als er. Eines löst ruhig und in bekannter Weise das Andere ab bis zur Hauptcadenz in der Mitte, wo es wieder vom Anfang mit der gewöhnlichen Modulationsänderung angeht. An ein Vergleichen, etwa

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           * Siehe Bd. I, S. 94 ff.  [Sch. 1852]

{75} mit den Beethovenschen Symphonieen, ist hier nicht einmal zu denken; der Componist lebt so in und von Spohr, daß man, was man sonst bei allen neuen Symphonieen, kaum einen Anklang an Beethoven nachweisen kann. Im Besitz so vieler äußeren Kunstmittel, an der kräftigen Orgel aufgewachsen und Meister darauf — mit einem Worte, er muß sich mit aller Gewalt von der einseitigen Verehrung dieses Meisters losmachen, dem selbst gewiß die Selbständigkeit seines Schülers als Componist über dessen Anhänglichkeit an eine Manier geht, aus der für die Symphonie kaum etwas zu gewinnen ist. Was hilft freilich alles äußerliche Anregen, wo ein starkes Selbstaufraffen, ein energisches Anpacken der Kunst einmal von einer andern Seite gefordert wird! Der Künstler ist uns aber in seiner deutschen gründlichen Natur zu werth, als daß wir ihn nicht darauf aufmerksam machen sollten. Er ist noch jung uud gebe lieber eine Hessesche Ouverture als drei Spohr-Hessesche Symphonieen; er muß aus diesem Gefühlseinerlei heraus, will er sich Platz in der Welt machen.

Das Urtheil unserer Zeitschrift über Lachners Preissymphonie hat dem sonst wohlwollenden „Wiener Musikalischen Anzeiger“, der gerade dem Schreiber jenes Artikels* immer mit einer Auszeichnung behandelte, die er kaum verdiente, zu einem ordentlichen Ausfall auf unser Blatt Anlaß gegeben. Wäre er nicht anonym geschehen, so sollte darauf geantwortet werden; so aber, unserm Grundsatz gemäß, nicht. Nur dagegen verwahren wir uns in Kürze, als wären in jenem Bericht über die Aufführung in Leipzig die Wiener Kunstlichter geringschätzig angesprochen worden. Man schlage nur nach, ob er eine Silbe mehr enthält, als was die Unparteilichkeit sagen kann, wo etwas, das es nicht verdient, ungebührlich erhoben wird. Was hilft da alles Berufen auf die Aufnahme in Wien, die übrigens nach andern Berichten nichts weniger als glänzend gewesen sein soll, was auf die in München, wo der Componist lebt und selbst dirigirt, alles Aufsteifen auf das Urtheil des Hrn. G. W. Fink, der immer vermittelt, — die Symphonie bleibt dieselbe, wie sie Tausende und wie wir sie gefunden, und die Zukunft soll’s zeigen. Dagegen loben wir uns diese dritte Symphonie, die, wie nach Jean Paul die Welt, zwar nicht die beste, aber doch eine sehr gute ist. Lachners eigenthümliche Mischung zeigt sich zwar auch in ihr mit all ihren Schwächen und Vorzügen, was die sichere Anlage, große Breite, die Ausführung in deutscher, die Canlilene

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        * eben Schumann.


{76} in italiänischer Weise, die glänzende Instrumentation, die gewöhnlichen Rhythmen, den correcten Stil, die vielen Quintenzirkelgänge etc. anlangt, — indeß ist alles in eine glückliche Uebereinstimmung gebracht, daß man immer in ruhiger Spannung gehalten wird, und das Ganze in einer höheren potenzirten Stimmung niedergeschrieben, so daß sie uns, was Schwung und Leben betrifft, das Beste däucht, was wir von Lachner kennen. Nur der letzte Satz ermattet an sich wie andere, trotz aller äußerlichen Anstrengung. Daher kam es wohl auch, daß der Symphonie bei einer früheren Aufführung in Leipzig der Beifall ausblieb, den sie der ersten Sätze halber im meisten Bezug verdient. Denn das Adagio und namentlich die erste Partie des Scherzos kommen an Frische dem ersten Satze nicht allein gleich, sondern überbieten ihn selbst in vielen meisterhaften Zügen. Möge ihm alles so gelingen und er immer das ausscheiden, von dem er sich als Künstler selbst gestehen muß, daß es seiner nicht würdig ist. Wir sind weit entfernt, sein Talent herabzusetzen, und wissen, wo wir Echtes sehen, kaum Worte, ihm Anerkennung zu verschaffen. Alles Andere aber kümmert uns nicht; wir meinen es aufrichtig mit der Kunst und haben es stets mit den Besten gehalten. {{Right|Die Redaction.12

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Sonaten für Pianoforte.

C. Decker, Leichte Sonate. Werk 11. J. Risle, Gr. Sonate zu 4 Händen. Werk 41. A. L. E. Trutschel, Gr. Sonate zu 4 Händen (in Es). Werk 8. L. Schuberth, Sonate (L’espérance). Werk 25. F. Ries, Gr. (52.) Sonate (in As). Werk 175. H. Triest, Sonate. Werk 4. W. St. Bennett, Sonate (F moll). Werk 13.

Man sieht, an neuen Sonaten fehlt es keineswegs, obwohl in einem anderen Sinn hinlänglich — wie denn auch fast sämmtliche obengenannte, die zwei letzten ausgeschlossen, als Nachzügler einer älteren Zeit zu betrachten sind. Die von Hrn. Decker ist zwar augenscheinlich für Kinderhände und -Köpfe berechnet; indeß wünschten wir ihr eben deshalb etwas von der großen Trockenheit weg, die wenig geeignet, das kleine Volk zum Fleiß aufzumuntern. — Aus der zweitgenannten Sonate findet man den Beisatz: „Componirt in Sicilien, am Fuße des Aetna“ und eine passende Vignette, weshalb man wohl mit


{77} Grund auf etwas Feuerspeiendes etc. aufsehen mag. Statt dessen findet man in ihr das gewöhnlichste Vanhalsche Treiben, den klarsten Viervierteltakt, in dem sich je ein C dur bewegt, kurz eine leidlich breite, wohlgesetzte, Lafontainesche Familiengeschichte, wie sie zu Hunderten schon geschrieben, ohne daß man sie gerade hart anlassen dürfte. — Eine ziemlich ähnliche Natur spricht sich im Componisten der folgenden Sonate aus; doch greift er höher aus, möchte mehr interessiren und mehr geben, als seine Kräfte vermögen, daher oft Unordnung und Verlegenheit im Periodenbau, in der Harmonie etc., und das so auffallend, daß es auch einem ungeübteren Blick nicht entgehen wird. Die Sonate ist vielleicht sein erster Versuch in dieser strengen Form; er nimmt, gewöhnlich zu reden, noch alle Tischecken mit, kann sich noch nicht bethun. Dabei fehlt es vorzüglich an Gesang, an ausgebildetem, in dem er sich durch musterhafte Vorbilder vor Allem veredeln muß. Einen auf das Bessere gerichteten Willen, Fleiß und Sorgsamkeit kann man ihm aber keineswegs absprechen. — Die Sonate des Hrn. Schuberth ist von freundlichem, hübschem Ton, aber in möglichster Hast hintereinander geschrieben. Vernachlässigung des Details haben wir bisher allen Compositionen dieses eben so talentvollen als leichtfertigen Componisten vorwerfen müssen. Er gehört zu den Musikern, die zu jeder Tagesstunde componiren können, gehend und stehend; vieles geräth, dem Ganzen fehlt aber die edlere musikalische Weihe.

Einzelne Stellen des ersten Satzes in der Sonate von Ries könnten an Beethoven erinnern, manches auch, was ein Lob sein soll, von ihm selbst geschrieben sein; die ganze ließe aber, wenn man den Titel nicht wüßte, kaum auf das Werk eines ausgezeichneten Meisters schließen. Es läuft überall zu viel Mittelmäßiges unter, und wo es manchmal in die schöne Höhe möchte, wo wir diesen Künstler früher oft angetroffen, sinkt er kurz darauf wieder zurück, als hing' ihm Blei an den Flügeln. Ueberhaupt scheint mir die Sonate in einer unlustigen Stimmung geschrieben. Das Larghetto hat einige zarte Stellen, aber etwas Veraltetes in der Cantilene; dazu läßt der häufige Tactwechsel keinen rechten Genuß im Zuhörer aufkommen. Das Trio im Scherzo zeichnet sich durch etwas Eigenthümlichkeit mehr aus; doch ist auch in ihm keine rechte Freude, als hätte es dem Componisten selbst nicht gefallen, da er’s schrieb. Im vierten Tact des zweiten Theiles vermuthen wir Stichfehler; die Harmonie muß wohl As moll bleiben, wozu die rechte Hand Des Ces angibt (statt, wie gedruckt ist, Es Des). Das Finale hat nichts Hervorstechendes; der Mittelsatz in

{78} D dur scheint uns sogar unpassend und arm an Melodie. — Die Sonate von Triest kannten wir bereits aus dem Manuscript, das wir auch früher mit einigen Worten angezeigt. * Irren wir nicht, so hat der bescheidene Componist verstanden, was wir namentlich am ersten Satze ausgesetzt, und einige Aenderungen vorgenommen. Ob sie glücklich sind, können wir nicht mehr beurtheilen, da uns die älteren Lesarten entfallen sind; doch zweifeln wir, da uns der erste Satz in der neuen Gestalt jetzt weniger zusagt als damals, bis auf die zwei ersten Seiten, die sich klar und lebendig entfalten; das Folgende scheint uns zerstückelt, es ist keine Axe da, kein Mittelpunct, und so hinterläßt das Stück einen dunkeln, nebelhaften Eindruck. Auch der letzte Satz, dem wir früher die innere und äußere Aehnlichkeit mit einem bekannten Beethovenschen vorwarfen, scheint uns umgearbeitet. Im ziemlich leidenschaftlichen Charakter schließt er sich genau dem ersten an; doch fehlt auch ihm das schöne Verhältniß der Theile, und dies vergessen zu sollen, reißt er nicht genug fort mit sich. Die Meisterhand erkennt man namentlich an der Einführung des zweiten Gedankens: er muß erwartet werden und dennoch überraschen; hier kommt die Melodie in As zu absichtlich und gezwungen, noch mehr der eingewebte Marsch in Des dur, dessen Sinn man überhaupt nicht recht versteht. Vom Componisten rasch und feurig gespielt, muß die Sonate indeß von Wirkung sein. Was den Claviersatz insbesondere anlangt, so rathen wir dem jungen Künstler, sich mit allem Neuen bekannt zu machen; mit leichter Mühe würde er dann manches wohlklingender und reizender gesetzt haben.

Die vortreffliche Sonate von Bennett führen wir heute nur mit dem Namen auf, da sie die Davidsbündler in ihr „Museum“ aufgenommen, wo man bald das Nähere nachlesen kann.** {{Right|22.

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        * 1836, IV, S. 12. Es heißt da: „Obige Sonale verräth wirklichen Geist und, wir wetten, einen jungen Mann, von dem wir hoffen, daß er sich von seinen Vorbildern, Beethoven und Loewe, mit der Zeit losmachen wird. Wollte der Componist im ersten Satz einiges andern (z. B. die kahlen Bässe zur zweiten Melodie), weniges ganz wegstreichen (z. B. das A dur vor dem Rückgang in die Wieder holung), so bliebe etwas ganz Gutes stehen, was der Veröffentlichung durchaus werth wäre. Auch im Adagio blitzen einige Funken; doch wird es in der Mitte zu breit und inhaltlos. Der letzte Satz wäre neu, wenn es keinen letzten aus der F moll-Sonate von Beethoven gäbe. Es thut uns seiner Einzelheiten wegen leid, ihm durchaus das Imprimatur verweigern zu müssen. Der ersten Sätze halber componire er lieber einen andern.“
       ** Die Besprechung ist unterblieben.


{79} Rondos für Pianoforte.

Antoinette Pesadori, Einleitung und Rondo. (As dur). C. Decker, Rondo. Werkt 11. C. Krebs, Einleitung und Rondo. Werk 40. F. A. Reißiger, 3 Rondinos. Werk 22. A. Hesse, Zweites Rondo. Werk 43. C. Haslinger, Die Luftschiffer, Rondo. Werk 11. F. W. Grund, Einleitung und Rondo. Werk 25.

Aus vielen Gründen componirt man: — der Unsterblichkeit halber — oder weil gerade der Flügel offen steht — um ein Millionär zu werden — auch weil Freunde loben — oder weil Einen ein schönes Auge angesehen — oder auch aus gar keinem. Seh' ich recht, so entstand das erste der obigen Rondos aus dem vierten Grunde, es ist eine vollkommene Damenarbeit, ein Ruhekissen, eine Brieftasche: von Musik ist nur nebenbei die Rede. Was Hrn. Decker zur Composition und Herausgabe seines Rondos veranlaßt, scheint ebenfalls zu errathen; seine Schüler sind’s. Baten wir ihn schon in der letzten Sonatenschau, nicht gar zu trocken zu dociren, so wiederholen wir dies heute; man kann schon einmal einen Septimenaccord anbringen und etwas Phantasie; wir leben nicht mehr vor 30 Jahren. Durch gewisse Componisten seh' ich aber wie durch Fensterglas. Das folgende Rondo hat sich mit allen Schönheitsmitteln einer Coquette angethan, und doch, blickt man ihr ins herzlose Auge, wischt man die Schminke weg, spricht man vollends mit ihr und merkt, wie die eine Hälfte der Unterhaltung affectirt, die andere fad, und das Ganze aus Clauren oder Kotzebue entlehnt ist, so verdrießt einen all' die Zärtlichkeit, mit der sie bestricken will, der nutzlos verschwendete Putz, das Vornehmthun bei angeborner Gewöhnlichkeit. Nimmt man es aber mit Rondos nicht so genau, übersieht man dies und jenes, ist man ein Feind von Melodie und vergißt, daß Hummel auch eins in A geschrieben, so wüßte ich nicht, warum das Rondo des Hrn. Krebs nicht dem Besten anzureihen wäre, was Czerny und Kalkbrenner in ihrer letzten Blüthenzeit geschrieben, und warum es nicht zu empfehlen. — Der Componist der folgenden Rondos ist nicht der Dresdener Kapellmeister, hat aber manches Charakterverwandte und namentlich Leichtigkeit in Erfindung hübscher Melodicen mit diesem gemein. Auf den ersten Seiten geht

{80} es daher immer flink vom Zeug; im Verlauf des Stückes verfitzt er sich aber meistens in den Tonarten, und so ist keins der Rondos fertig, ein Ganzes worden. Z. B. im ersten kommt das D moll zu früh, das C dur, wo man F dur erwartete, das F dur (S. 3), wo man in C dur bleiben wollte, das A dur ebenfalls wenig vorbereitet, von B dur gar nicht zu reden, das besser ein ganz neues Rondo angefangen hätte. Es scheint, der Componist will zu viel anbringen, einen brillanten Passagensatz, eine Cantilene, einen Mittelsatz mit Arbeit etc., und so erdrückt eins das andere in so kleinem Raum. Gerade, was Symmetrie der Form und Klarheit des harmonischen Baus betrifft, kann er noch von seinem Namensbruder lernen.

Das Rondo des Hrn. Hesse schwankt zwischen Capriccio-, Mazurken- und Rondocharakter und wirkt daher auch nicht entschieden. Offenbar soll es ein Gesellschaftsstück sein, doch hab' ich dem Componisten nie große Erfolge im Salon prophezeit, er schreibt dazu zu gut und andererseits zu schwerfällig. Im Uebrigen versteht es sich, daß das Stück harmonisch interessant, gut abgerundet und durchdachter ist, als zwanzig der neusten Pariser Modearbeiten.

Im Rondo von Hrn. Haslinger findet man viel artige Einfälle, leichtes, lustiges Wesen, kurz, was es sein soll, eine Luftfahrt, wo Niemand den Finger bricht, geschweige anderes. Ordentliche musikalische Schriftsteller werden das Stück zu schildern suchen und wie (B dur, 4/4 Tact, Andante) das Publicum gespannt sei und der Ballon gefüllt werde, bis er endlich (im Allegro con moto) über die nachsehenden Köpfe auffliege, während ich lieber auf den hübschen gelenken Bau, leichten Fluß und die guten Rhythmen aufmerksam mache und manchen doppelten Contrapunct dafür hingebe.

Einen tüchtigen Künstler, wie Hrn. Grund, erkennt man überall, und wär’s an einzelnen Tacten, wie sie in seinem Rondo auf S. 2, Syst. 3, im Anfang von S. 4 oder S. 5, Syst. 3 von Tact 2 an vorkommen. Aber das ganze Rondo zeigt die feste Hand, Gedanken und solide Bildung, wie man so selten findet. Der Cantilene in der Mitte hätte ich vielleicht eine bestimmtere Melodie gewünscht; im Uebrigen muß man es schön und gut heißen. Warum schreibt der geschätzte Componist so wenig? {{Right|22.

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Phantasieen, Capricen etc. für Pianoforte.

Erste Reihe.

C. Czerny, Die vier Jahreszeiten; 4 brill. Phantasieen. Werk 434. W. Klingenberg, Divertissement. Werk 3. H. Bertini, Gr. dramatische Phantasie. Werk 118. F. Kalkbrenner, Dramatische Scene (le Fou). Werk 136. L. Böhner, Phantasie. Werk 48. A. Kahlert, 4 Notturnos. Werk 6.

Es gehört zu den Redensarten und Witzen geübter Recensenten, in dieser oder jener neuen Phantasie selbige am meisten zu vermissen. Und diesmal hätten sie einigermaßen Recht; denn einen größeren Bankrott an Phantasie, als Hr. Czerny in seinem neusten Groß-Werke entwickelt, kann es schwerlich geben. Versetze man doch den geschätzten Componisten in Ruhestand und gebe ihm eine Pension, wahrhaftig er verdient sie und würde nicht mehr schreiben. Es ist wahr, er hat einiges Verdienst um die Finger der Jugend und man hat ihn deshalb auch oft genug belobt. Aber die Welt mit ABC-Büchern und Bilderbogen zu überschütten, macht noch lange keinen Pädagogen und Maler, geschweige Componisten, und die Welt und Hr. Czerny sollten das wissen. Freilich hat auch das Gold seinen guten Klang und wollen auch die Verleger leben. Möchten sich indeß letztere in Hinsicht der neusten Produktionen Czernys nicht verrechnen; eine große Zukunft lag ohnehin nie in ihnen — seit lange fängt es ihnen aber auch an melodischer Eleganz u. dgl. zu fehlen an. Mit einem Wort, er wird alt; man wird seiner Sachen überdrüssig; man gebe ihm eine Pension!

Sonst pflegten meisthin die Schüler ihren Lehrern Werke zu dediciren; jetzt findet man’s häufig umgekehrt, wie aus dem Titel des Divertissements oben zu sehen, und wir sind auch weit entfernt, das Talent des Componisten bei seiner Schülerin zu verdächtigen; wird sie es ja ohne unsern Wink errathen haben, daß das Werk nicht von Beethoven. Wie dem sei, es gehört allein auf das Clavierpult der Angesungenen und kaum in eine Zeitschrift, geschweige die strengste; es ist ein Potpourri und gut gemeint.

Bertinis Phantasie wird Manchem gefallen; er hat einige. Gesteh' ich es auch, daß ich mich nie für einen großen Verehrer seiner


{82} süßlichen, verliebten, kraft- und saftlosen Schreib- und Gefühlsweise ausgegeben, so klingt’s doch hübsch genug, ja um nicht ungerecht zu sein, hat er sich diesmal offenbar angestrengt, etwas Werthvolleres zu schaffen, seinen Gegenstand ordentlich durchzuarbeiten, und in einzelnen Partieen (so S. 8) gelang es ihm auch. Späteren Kunstforschern wird beiläufig die Aehnlichkeit seines Wesens mit Thalberg nicht entgehen.

Irgendwo ist einmal (nicht unpassend) Kalkbrenner mit Voltaire verglichen worden, und in der That könnte man bei obigem „Fou“ an diesen Erzschalk aller Zeiten erinnert werden. Mit einem Wort, die dramatische Scene ist eine Persiflage auf die jetzigen jungen Pariser Clavierspieler, deren einige vielleicht eigenen Fingersatz und Compositionen den seinigen vorgezogen, und amüsant genug. Irr' ich nicht sehr, so erblicke ich so auf den ersten Seiten Chopin, dann Liszt. vielleicht auch Bertini, ganz gewiß aber zuletzt Thalberg; am besten scheint mir Bertini im jämmerlichen Adagio (S. 10) abgeschildert und wahrhaftig lustig; auch Thalberg und Liszt passiren; was aber ersteren anlangt, so dürfte es diesem allerdings schwerer werden, Kalkbrenner zu persifliren, als umgekehrt. Wie dem sei, das Stück wird Allen, die es spielen. Vergnügen machen, am meisten vielleicht den Persiflirten selbst, aus deren Rache man indeß gespannt sein kann.

Von L. Böhner taucht immer hin und wieder etwas auf, wie in seiner Phantasie, Werk 48, selbst, die man in ihrer Zerrissenheit, Dunkelheit und Oede nicht uneben einem Sturm und Schiffbruch vergleichen kann. Man sehe sie sich selbst an, die groteske Geschmacklosigkeit darin, das An- und Aufdämmen von widerspenstigen Stoffen, ein Durcheinander von Alt und Neu, von Schwachheit und Geisteskraft, wie man selten zusammen finden wird; endlich der fürchterlichen Druckfehler zu gedenken, die die Verwirrung noch mehr verwirren. Bei einzelnen Stellen der Phantasie könnte man aber, wie gesagt, an Mozart als deren Schöpfer denken.

In den vier Notturnos von Kahlert findet man speciellere Gefühlszustände als in den gewöhnlichen Notturnos. Der klare und gewandte Schriftsteller und Denker über Musik zeigt sich aber als Componist als ein ganz anderer, wie denn häufig, wenn die allgemeine Bildung die besondere musikalische überwiegt, ein Bruch entsteht. Jede Kunst verlangt ein Leben und alles Ueberspringen der Schulstufen zeigt sich später einmal; daher in den meisten Dilettantenarbeiten Unklarheit der Form und Unreinheit in der Harmonie etc. bei aller schönen Intention, wo dem gelernten Musiker ein vollkommenes Musikstück

{83} gelungen wäre. Vieles scheint mir in den Notturnos auch gekünstelt oder im Ausdruck gesucht und deshalb verfehlt. Trotzdem findet sich viel Interessantes; am meisten musikalisches Clement scheint mir das letzte Stück zu enthalten, das bei noch reizenderer Fassung ein ausgezeichnetes hätte werden müssen. {{Right|22.

Zweite Reihe.

Julie Baroni-Cavalcabò, Zweite Caprice. Werk 12. J. P. E. Hartmann, 4 Capricen. Werk 18. Heft 2. W. St. Bennett, 3 Skizzen. Werk 10. „ „ „ „ 3 Impromptus. Werk 12. „ „ „ „ 3 Romanzen. Werk 14.

Der jungen Componistin, die wir oben zuerst genannt, einer Schülerin von Mozarts Sohn, sind wir von jeher mit besonderem Interesse gefolgt; sie hat neben Clara Wieck und Delphine Hill-Handley die reichste musikalische Ader unter denen ihrer Zeitgenossinnen, die sich in die Oeffentlichkeit gewagt, dabei Sinn für Form, Verhältnisse und Steigerung, und, was sich in ihren Compositionen für Gesang noch mehr zeigt, viel Empfindung und melodischen Ausdruck. Aus der obigen Caprice wünschte ich, sie unbedingt gelten zu lassen, nur den langsamen Satz weg, der zu wenig bestimmten Gesang hat und sich in allgemeinen Czernyschen Passagen verflacht, die einfür allemal besser ungedruckt blieben. Dagegen findet man im andern [Satz] durchgängig Leben und Bewegung, frische Rhythmen und in einzelnen Stellen feinere Arbeit, während andere noch so sehr geschätzte Spielerinnen sich am liebsten in großen Dreiklängen und umschreibenden Läufen über die Claviatur weg ergehen. Schwer ist die Caprice übrigens auch, spielt sich aber überaus gut. Man zeichne sich den Namen der Componistin ins Gedächtniß.

Ueber das erste Heft der Capricen von Hrn. Hartmann war bereits früher* die Rede; dies zweite kann jenes theils anerkennende, theils aussetzende Urtheil nur bestätigen. Ein ernster und warmer Wille bei vielen Kenntnissen zeigt sich auch in ihm, ebenso, daß man noch überall zu viel das Gerippe sieht, daß noch nicht alles zu einer poetischen Blüthe gekommen zu sein scheint. Die Melodieen haben etwas Kleines, die Rhythmen nichts Gebietendes, man möchte überall

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        * Seite 36.


{84} noch mehr. Dies alles sagen wir jedoch nur in Berücksichtigung eines höheren Talentes, das sich selber auch höhere Ziele gesetzt zu haben scheint; einem Schwachgeist müßte man die Capricen als etwas Großes anrechnen. Auch möchte ich die Stücke nicht „Capricen“ nennen: sie sind dazu in der Form zu dicht, manchmal liederartig abgeschlossen; doch wird es schwer sein, einen für alle vier passenden Namen zu finden.

Ueber Bennetts Compositionen, sein bedeutendes Talent haben diese Blätter bereits an vielen Orten sich ausgesprochen; namentlich gedachte schon Eusebius in einem größeren Aufsatz* dieser äußerst feinen Skizzen, in welches Lob Alle, die sie vom Componisten selbst gehört, ohne Weiteres einstimmen müßten. Es ist wahr, die Person bestrickt: doch scheinen mir die Vorzüge und Schönheiten dieser Bilder so hervorspringend, daß ich denen, die, auch ohne vom Vortrag des Componisten bestochen zu sein, ihnen das nicht einräumten, keinen großen Grad von Bildung zusprechen könnte. Ueber gewisse Dinge sollte man kein Wort verlieren dürfen. Andrerseits haben wir Bennett auch nie für ein Naturwunder ausgeben und ihm nur die Ehren gesichert [wissen] wollen, die einem solchen Verein von Künstlertugenden gebühren. Die Skizzen haben also die Überschriften: the Lake, the Millstream und the Fountain, oder „See“, „Mühlstrom“ und „Springbrunnen“. Und verdankte ihm die Kunst nichts als diese, sie müßten ihr seinen Namen erhalten. An Zartheit und Naivetät der Darstellung scheinen sie mir alles zu übertreffen, was ich von musitalischer Genremalerei kenne, wie er denn, als echter Dichter, der Natur gerade einige ihrer musikalischsten Scenen abgelauscht hat. Oder hättet ihr nie Musik gehört, die euch des Abends nach dem jenseitigen Ufer des Sees hinüberrufen wollte? nie die zürnende, tobende, die die Räder treibt, daß die Funken sprühen? Auf welche Weise die Skizzen übrigens entstanden seien, ob von innen nach außen, oder umgekehrt, macht nichts zur Sache und vermag Niemand zu entscheiden. Die Componisten wissen das meist selbst nicht. Eins wird so, das Andere so; oft leitet ein äußeres Bild weiter, oft ruft eine Tonfolge wieder jenes hervor. Bleibt nur Musik und selbständige Melodie übrig, grüble man da nicht und genieße. Noch vergaß ich des „Springbrunnens“; wir hörten es am liebsten von ihm, seine ganze Dichterseele ging hierauf; man hörte alles neben sich, dies hundertstimmige Plaudern und

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      * Seite 5.

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Plätschern; Schiller kann es nicht deutlicher vor uns stellen, wenn er einmal sagt:

Mein Ohr umtönt ein Harmonieenfluß, Der Springquell fällt mit angenehmem Rauschen, Die Blume neigt sich zu des Westes Kuß Und alle Wesen seh' ich Wonne tauschen.

Diese Zeilen wären die beste Recension darüber.

Die Impromptus sind nicht minder trefflich und wahre Gedichte, obwohl weniger eigenthümlich und an Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ manchmal erinnernd; auch ihre Formen und Rhythmen sind die anmuthigsten, oft fast zu ruhig und behaglich. Ein großer Fortschritt zeigt sich aber erst in den drei Romanzen, namentlich was ihre tieferen, manchmal befremdenden harmonischen Combinationen und Freiheiten, ihren weiteren kühnen Bau betrifft. Sie sind erst vor Kurzem geschrieben und können als Höhepunct seines Strebens angesehen werden. An reichem, ausströmendem Gesang gleichen sie seinen andern Werken; namentlich herrscht auch in ihnen die Melodie der hohen Stimme vor. Was sie aber auszeichnet, ist ihre größere Leidenschaftlichkeit: die erste Romanze ist sogar heftig, die andere scheint nur ruhiger, in der letzten wallt es aber wieder über voll sehnsüchtiger Klage. Einer Zergliederung bedürfen sie so wenig wie ein schönes Gedicht, die Rechten werden sie verstehen. Als auf eine eigentümliche Schönheit der zweiten Romanze mache ich nur noch aus den immer neu harmonisirten Eintritt der Melodie und auf die herrlich tiefen Bässe aufmerksam, wie man denn überhaupt an den Bässen seine Leute erkennt. {{Right|22.

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[leer]

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1838

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[leer]

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Ouverturen,

für Pianoforte zu vier Händen eingerichtet.

J. W. Kalliwoda, Fünfte Ouverture (in D). Werk 76. A. Hesse, Zweite Ouverture. Werk 28. C. G. F. Weyse, Ouverture zur Oper Kenilworth. W. St. Bennett, Die Najaden. Ouverture (in D). Werk 15.

An Kalliwoda haben wir das erfreuende Beispiel eines schnell zur Blüthe und Anerkennung gekommenen Talentes und das traurige eines ebenso raschen Verblühens und Vergessenwerdens. Er hatte viele Hoffnungen erweckt, viele erfüllt. Seine Symphonieen, wenn auch natürlich keine Beethovenschen Diademe, so doch weißen, durchsichtigen Perlen zu vergleichen, werden sich unter seinen Werken der Zukunft am längsten erhalten. Was er aber außerdem und namentlich in der letzten Zeit zu Tage brachte, war kaum mehr als Flittergold, unechter Schmuck; wir sind wohl Alle darüber einverstanden. So auch diese fünfte Ouverture, ein hübsches Stück für Dilettantenorchester, nicht schwer, klingend instrumentirt, im Ganzen gewöhnlich und aus den bekanntesten Redensarten zusammengesetzt. Der Componist wird ihr wohl selbst kein Gewicht beilegen.

Die Ouverture von A. Hesse, ein früheres Werk dieses Componisten, mag sich gut zur Eröffnung etwa eines Kotzebueschen Stückes schicken; sie hat ein allgemeines comfortables Gesicht, rundet sich, wie alle Arbeiten von Hesse, sehr glücklich ab und ist in guter Stunde gemacht. Der alten Richtschnur entgegen, nach der das zweite Thema nach der Dominante mußte, weicht dieses in der Ouverture in eine ziemlich entlegene Tonart, nämlich in die kleine Terz der Dominante


{90} aus. Es wäre dem. wo so geschickt wie hier modulirt ist, gar nichts anzuhaben; aber die Themas sind eigentlich gar nicht verschieden und das, was wir das zweite nannten, nur eine geringe Veränderung des ersten, der Arrangeur müßte denn die Melodie, die zum zweiten Gedanken sehr wohl gedacht werden kann, im Clavierauszug nicht haben anbringen können.

Der Componist der Ouverture zu Kenilworth ist als ein kraft- und geistvoller Mann bekannt. Doch hätte ich nach der Handlung, der die Ouverture zur Einleitung bestimmt ist, ein phantastischeres, complicirteres Gemälde vermuthet. Es kommt wieder auf den Streit hinaus, ob die Ouverture ein Bild des Ganzen geben oder nur einfach einleiten soll. Zu beiderlei finden sich bekanntlich Muster. Hier scheint keins von beiden Principien beobachtet. In der Wiederholung des Adagio in der Mitte könnte man vielleicht Amy Robsartsche Anspielungen finden, im Ganzen aber hat die Musik nur einen festlichen, gastlichen Charakter, als ob die Oper, die uns nämlich unbekannt, ihren Mittelpunct im Fest auf Kenilworth hätte. Abgesehen davon ist sie durchweg klar und gediegen, vielleicht etwas zu lang und jedenfalls, wie die vorige Ouverture, in den beiden Hauptthemen zu wenig contrastirend.

Die Bennettsche Ouverture, die.Najaden genannt, wurde schon früher einmal erwähnt* und dort als ein „reizendes, reich und edel ausgeführtes Bild“ bezeichnet; das ist sie, frisch wie eben gebadet und. trotz ihrer Stoffähnlichkeit mit der Mendelssohnschen Melusine, der eigenthümlichen Züge voll, die wir schon mehrfach an diesem musikalischsten aller Engländer hervorhoben. Es gehört wenig Phantasie dazu, und jede irgend lebhafte wird es von selbst, während des Hörens der Ouverture sich allerhand schön verschlungene Gruppen spielender, badender Najaden zu denken, wie denn die weichen Flöten und Hoboen auf umstehende Rosenbüsche und kosende Taubenpaare gedeutet werden können; prosaischen Köpfen kann man aber wenigstens einen jenem ähnlichen Eindruck versprechen, den Goethe mit seinem „Fischer“ bezweckt, das Gefühl des Sommers nämlich, das sich in den Wellen abkühlen will, so wohlthuend und spiegelhell breitet sich die Musik vor uns aus. Eine gewisse Monotonie war ihr indeß schon früher vorgeworfen worden; es mag dies auch zum Theil in den vielen Parallelstellen, Wiederholungen einzelner Perioden in der obern und untern

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         * S. 18.

{91} Octave etc. ihren Grund haben, eine sehr leichte Art der Gestaltung, die aber, wenn wir sie bei andern Tonsetzern oft als einen Schlendrian bezeichnen müssen, bei unserm weniger eine Folge vom Nachlaß der Erfindung als ein Festhalten an gewissen Lieblingsgedenken und Wendungen zu nennen ist. {{Right|12.

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Etuden für Pianoforte.

C. Czerny, die Schule des Fugenspiels und des Vortrags mehrstimmiger Sätze. Werk 400.

Ein Fugenwerk von Czerny ist ein Ereigniß, Wir erleben’s noch, daß er ein Oratorium schreibt,* dachte ich bei mir, mit einiger Hast nach dem Hefte fahrend. Man kann ihm aber diesmal nichts anhaben, als daß er auf einmal des Guten zu viel will, zu viel zur Verbreitung classischen Sinnes beitragen. Ich wenigstens würde meinen Schülern, die, nachdem sie zwei oder drei dieser Fugen gründlich studirt, nach mehr verlangten, sie ohne Gnade aus den Händen winden, nicht etwa, weil die andern schlechter, sondern weil sie eben wie die ersten, über dieselbe Form gemacht sind, und weil es neben Czernyschen auch noch andere gibt, Beethovensche. Händelsche, der Bachschen nicht zu gedenken. Fragt man nun, was man von seinen Fugen zu erwarten hat, so muß man sagen, es sind fließende, brillant und angenehm klingende, leicht und geschickt geformte Klangstücke, bei denen er sich mehr als gewöhnlich zusammengenommen, wenn auch auf sie nicht immer die Forderung jenes alten Meisters paßt, nach dem der „erste Theil einer Fuge zwar gut, der mittlere noch besser, der letzte aber vortrefflich sein müsse.“ Das, worauf es ankommt, bleibt nun immer der Gedanke, der sich an die Spitze stellt. Da sucht denn Czerny nicht lange und nimmt oft geradezu Passagen, Tonleitern etc. zu Themas. In der Mitte laufen nun freilich manchmal Tiraden und sogenannte Rosalien in Menge mit unter, indeß klingt und klappt es zusammen bis zum Schluß, wo sich unter einem Orgelpunct die Stimmen noch in allerhand freundlich bekannten Gängen durchkreuzen.

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   * Das geschah auch; Czerny hat außer vielen Kirchencompositionen auch ein angefangenes Oratorium hinterlassen.


{92} Tiefere Künste, eine Umkehrung des Themas ausgenommen in einigen, hat er sonst nicht angebracht, nicht einmal eine Augmentatio, was ihm die eigentlichen Fugenmacher übel auslegen werden. Noch muß als charakteristisch bemerkt werden, daß er den Stimmen nur selten Ruhe läßt, und daß sie meistens alle vier auf einmal arbeiten. Bei Weitem werthvoller sind die die Fugen jedesmal einleitenden Präludien, ja einige der Art, daß Niemand auf Czerny als Componisten rathen würde, so die Nummern 3, 4, 6, 8, 9, wenn auch in den meisten secundenlang eine mächtige Fadheit hindurchbricht, wovon ich nur Nr. 4 ausnehme, in der die bessere Natur einmal bis zum Schluß durchwaltet. Alles zusammengenommen, Czernys Fugenwerk bleibt als Beitrag zur Geschichte des Verfassers immerhin bemerkenswerth; im ganzen Kreis der Erscheinungen ist es als eine unechte, halbwahre und gemachte Musik nicht anzuschlagen.

Es ist hier der Ort, auch der von Hrn. Czerny besorgten neuen Ausgabe des Bachschen Wohltemperirten Claviers zu erwähnen.

Czernys Verdienst besteht dabei in einem Vorwort, in der Angabe des Fingersatzes, der Tempobezeichnung nach Mälzl und Andeutungen über Charakter und Vortrag. Erstens ist etwas kurz ausgefallen und flüchtig niedergeschrieben. An dies Werk aller Werke ließen sich wohl allerhand reiche Gedanken knüpfen. Was die Applicatur anlangt, so ist das Czernys Fach, auf das er sich gut versteht-, jeden einzelnen Finger haben wir natürlich nicht geprüft. In den Tempobezeichnungen und den Bemerkungen über Vortrag im Ganzen zu Anfang und Schattirung im Verlauf des Stückes stimmen wir ziemlich zusammen: namentlich pflichten wir in letzter Hinsicht bei, da nichts langweiliger und Bachschem Sinne [so] zuwider, als die Fugen monoton abzuleiern und seine ganze Vortragskunst aus Hervorheben der Eintritte des Hauptgedankens zu beschränken. So eine Regel paßt für Schüler. Die meisten der Bachschen Fugen sind aber Charakterstücke höchster Art, zum Theil wahrhaft poetische Gebilde, deren jedes seinen eigenen Ausdruck, seine besonderen Lichter und Schatten verlangt. Da reicht ein philiströses Merkenlassen des eintretenden Themas noch lange nicht aus.

Ein artiges Bild Bachs schmückt den Titel; er sieht aus wie ein Schulmeister, der eine Welt zu commandiren hat. {{Right|12.

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{93} * Eine Vision.

F. X. Chotek, Variationen über ein Thema aus Lucia von Lammermoor von Donizetti. Werk 24. J. Benedict, Phantasie über Motive aus der Oper „Fair Rosamond“ von J Barnett. Werk 28 H. Herz, Phantasie und Var. für Pfte. mit Begleitung des gr. Orchester über ein Thema aus Norma von Bellini. Werk 90. H. Bertini, Gr. Phantasie über die von Rubini in die Straniera, eingelegte Cavatine. Werk 113.

  „    „     „        Brill. Phantasie über Themas a. d. Postillon von Lonjumeau von Adam. Werk 116. 

J. Schmitt, Phantasie (zu 4 Händen) über Themas a. d. Hugenotten v. Meyerbeer. Werk 261.

  „    „    „         Divertissement (zu 4 Hdn.) über Themas a. d. Soirées mus. v. Rossini. 

J. P. Pixis, Phant. n. Var. (zu 4 Hdn.) über ein Duett a. d. Blitz v. Halévy. Werk 133.

Centnergewichte an so leichte Waare legen, wer würde das? Indeß verlangt auch eine gute Salon- und Gelegenheitsmusik ihre Meister, und sollte ich da Jemandem den Preis zugestehen, so war' es doch wieder H. B., der sich auf das Entzücken versteht wie irgend Einer, in der Unterhaltung plötzlich wie zerstreut abbricht, ein Terzerol aus der Tasche zieht statt des Tuches, über Kopfweh klagt und zuletzt alles in einer Galopade weg- und niedertanzt. Etwas mehr im Hintergrunde steht H. H., obwohl mit dem Kreuz der Ehrenlegion geschmückt;* seine Stirne ist leicht umwölkt, sein Blick mild, er beschwert sich über Undankbarkeit der Welt, die ihm schon so viel selige Stunden zu verdanken. „Was wird noch aus dem werden,“ flüstert eine Dame einer zweiten ins Ohr, „er hat ordentliche Leidensfurchen im Gesicht bekommen.“ „Aber, trefflichster Herr Ch.“, raunt ihm Jemand in die Ohren, „in welchem altmodischen Frack erscheinen Sie! Suchen Sie fortzukommen! Aller Augen seh' ich schon auf Sie gerichtet.“ Anders Herr J. B., er möchte sich vor einigen Lords, mit denen er eben spricht, geradezu auf die Erde niederlegen und versichert ihnen, nur bei ihm könnten sie in so kurzer Zeit Musik und seine Compositionen lernen, im Schlafe lehre er ihnen alles. Die Lords sagen

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       * In den vermischten Nachrichten stand 1837, VII, 70 unter „Auszeichnungen“: „Hr. Heinrich Herz hat das französische Kreuz der Ehrenlegion erhalten, Czerny soll ehestens den Hosenbandorden erhalten.“

{94} freundlich zu. In einer Ecke sitzt Herr S., simpel obwohl anständig gekleidet, der Beste von Allen. „Rossini ist ein Genie,“ meint er, „seine Soiréen ein Ausbund von Liebenswürdigkeit.“ Zuletzt tritt P. ein. „Ein guter Musiker,“ flüstert man sich zu. Auch Du, mein Brutus? „Die Verleger wollen’s nun einmal so.“ — Endlich zieht X. ein Blatt aus der Tasche: „das sind einmal wieder Recensionen in der Neuen.“— „Wahrhaftig, hängen sollte man sie,“ meinte ein Anderer wild. Zum Schluß wurde viel getanzt.

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Adolph Henselt,

12 charakteristische Concert-Etuden. Werk 2.

Man kommt mit Besprechung dieser Etuden recht eigentlich als fünftes Rad am Siegeswagen und hinterher; denn einmal waren sie schon vor ihrer Veröffentlichung in so Vieler Besitz, daß sie sich, wäre die Notenschrift noch nicht erfunden, wie die Homerischen Gedichte von Mund zu Mund oder Hand in Hand fortvererbt hätten; jetzt aber, nachdem ihr Erscheinen bekannt, gibt es kaum einen guten Clavierspieler, der doch Jeder sein will, der sie sich nicht augenblicklich verschrieben und selbst studirt und geprüft. Neue Gedanken aufzubringen, wird somit freilich schwer sein, wie andererseits nichts leichter, als das Werk geradehin schön zu finden; denn es handelt sich bei ihm nur immer, das Schönere herauszulesen, — von Mittelgut kann keine Rede sein.

So sind wir denn um ein treffliches Werk reicher und selten werden wohl die Meinungen über den Werth einer Erscheinung sich so ungetheilt aussprechen. Man müßte aber auch vergehen vor Unmuth, wenn im gemeinen Treiben und Rennen des Tages nicht plötzlich einmal wieder ein junger Held hervorträte, ein echter Vertreter künstlerischer Interessen, frisch und muthig seine Bahn dahinwandelnd. Auch darf er sich nicht über Gleichgültigkeit der Welt beschweren, so sehr greift das wahre Talent der Zeit gleich an Kopf und Fuß, und es sind ihm Ehren geschehen, deren sich kein Mozart zu schämen brauchte.

Der Grund nun dieses raschen Durchdringens liegt in der anziehungskräftigsten Seite sittlichen und künstlerischen Charakters — in


{95} der Liebenswürdigkeit unsers Helden. Seine Glieder bewegen sich frei und gefällig; sein Schwert blitzt und duftet zugleich, wie man es von den Damascenerklingen sagt; von seinem Haupte weht ein glänzender Helmbusch. So ist er mir, sah ich ihn am Clavier, auch oft wie ein Troubadour erschienen, der die Gemüther besänftigt in wilder, durcheinander geworfener Zeit, sie an die Einfachheit und Sittigkeit früherer Jahrhunderte mahnt und zu neuen Thaten ruft, und da stutzen wohl Mädchen und Jünglinge, wie er von Lied zu Lied weiter singt und kaum zu endigen weiß. Dabei vermag er aber auch den leidenschaftlicheren Naturen zu gefallen: seine Gesänge sind der innigsten Liebe und Hingebung voll; auch das Schicksal mag seine Hände nicht aus dem Spiel lassen und zwang ihn gleichsam zum Romantiker, sein ganzes Wesen ist in Liebe aufgegangen.

Wir erhalten so in seinem zweiten Werke zwölf Liebesgesänge, und mit goldener zierlicher Inschrift setzt er über jeden einzelnen den Inhalt seiner Schmerzen und Wonnen. Daß er dazu französische Worte wählte, möchte ich ihm einigermaßen verdenken, da keine Sprache so reich ist an Worten und Sprüchen der Liebe als die deutsche, keine so Herzinniges, Treueigenes, Zartverhülltes aufzuweisen hat. Indessen mag auch dies als charakteristisch gelten da das Galante, Chevalereske, sogar Männlich-Kokette, das unserm Sänger bei aller Herzlichkeit eigen, sich wohl nirgends besser ausnimmt als von französischen Lippen. Hier einige zur Probe:

Pensez un peu à moi Qui pense toujours à vous !

Si oiseau j’étais, A toi je volerais.

C’est la jeunesse qui a des aîles dorées.

In solchen und ähnlichen Empfindungen bewegen sich denn auch die andern Stücke, und es mag derlei wohl schon geistvoller, versteckter, tiefsinniger ausgesprochen worden sein, so zum Herzen sprechend, unverstellt und anmuthig aber gewiß nicht. Wir kommen so dem Charakter unseres Helden näher, und wie einem solchen gerade eine Kunst zusagen müsse, die Kunst der Herzenssprache vor allen andern, unsere geliebte Musik. Habe man nur ein rechtes Herz, einiges


{96} gelernt und singe dann lustig wie der Vogel auf den Zweigen, und es wird Musik, die wahrste herauskommen. Was hilft da alles Absichteln. Abquälen! Wem die Liebe fehlt, fehlt auch die Musik, und die Glocke muß in der Freie schweben, soll sie erklingen. Also die Liebe ist unsers Sängers Thema, und er macht gar kein Hehl daraus und singt’s bis in die tiefe Nacht. Darum hören wir auch nur ihn immer, nur das, was gerade ihn bewegt;* er will sonst nichts außer sich, nichts Außerordentliches vorstellen; er singt von sich und wir müssen’s hören.

Also herrscht denn auch die Melodie der einzelnen Stimme beinahe in sämmtlichen seiner Liebesstudien über die andern, nicht gerade zufälligen aber auch nicht nothwendigen vor; ja es ließen sich viele vom Anfang bis Ende einstimmig aufzeichnen und man würde den Schmuck der Harmonie von selbst dazu finden. Dieser Einzel-Gesang erscheint aber so aus dem Kern ins Ganze gewachsen, hat eine solche Fülle im einzelnen Ton, wie in der Masse eine Rundung und Wucht, daß man, ohne zu brechen, kaum daran zu biegen wagen darf. Finden sich doch selbst in den Melodieengängen guter Meister kleine Risse, Sprünge, manches Widerhaarige, das sich zum Vortheil ändern ließe; in den ganzen Etuden aber wüßte ich, höchstens zwei bis drei kleine Stellen ausgenommen, keine Note anders zu richten, als sie dasteht.

Und hierin hat seine Cantilene in der That Aehnlichkeit mit der Glucks, wie denn auch die Widersprüche der Zeiten einige Aehnlichkeiten aufzeigen könnten und, wenn man dem einfach grandiosen Stil Glucks den kühn labyrinthischen Sebastian Bachs entgegen stellte, man im engen Bezirk der Claviermusik die klare Weise Henselts der verschleierten Chopins gegenübersetzen müßte. Damit sei nun aber nicht ausgesprochen. Gluck habe die Musik höher gebracht oder Henselt ließe Chopin hinter sich zurück. Da müßte Henselt die Brust verleugnen, an der er selbst getrunken, da müßte man Chopin nicht kennen in seiner um so viel zarteren Schwärmerei, seiner götterleichten Beweglichkeit, seiner ganzen unendlich feineren Organisation. Ja, viele der Henseltschen Etuden würden ohne den Vorgang Chopins gar nicht da sein. Dies beiläufig, um einer Undankbarkeit zu begegnen.

Henselts reizende Melodieen werdens aber nun vollends durch das heimliche Figurenwerk, in das er jene versteckt; reiche Früchte

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     * Sollte diese Ansicht dem oben Ausgesprochenen, wo wir H. einen Tronbadour nannten, zu widersprechen scheinen, so bemerken wir, daß sich jenes Bild mehr auf die Art seines Vortrags bezieht.   [Sch.]

{97} aus grüner Zweig- und Blätterfülle herausquellend. Und hier müssen wir uns namentlich seines sorgsamen Fleißes erfreuen, mit dem er (aber nicht in melodischem Betracht sondern im ausfüllenden harmonischen) die Bässe und Mittelstimmen behandelt, die Gewissenhaftigkeit, mit der er alles anordnet, daß sich das Ganze vorteilhaft ausnehme und dabei das Einzelne sich fein und gehörig unterscheide. Namentlich ist ihm eine Figur eigen, deren erste Wurzel ich in der in diesem Hefte leider nicht enthaltenen Etüde in H dur16 zu erkennen glaube, und die er zu wiederholten Malen anwendet und immer äußerst wohlklingend.

Höre man dies nun alles von ihm selbst, wenn er sich zu guter Stunde manchmal ans Clavir setzt (er behauptet zuweilen, er wäre der elendeste Spieler), ordentlich hineinwachsend in sein Instrument und Eins mit ihm werdend, Ort und Zeit vergessend, unbekümmert, ob Künstler oder Fürsten neben ihm stehen, wie er dann wohl auch plötzlich laut aufsingt, unverwüstlich und sich steigernd bis zum Schlußaccord und dann wieder von vorn anfangend, und man wird ihn einen gottbeseelten Sänger nennen müssen. Da fühlt man den Finger des Genius.

Mannigfache Betrachtungen ließen sich noch an die Erscheinung dieses gelobten Künstlers knüpfen: — die freudigsten, da er, um zu schaffen, nur die Hand anf die Tasten zu legen braucht, — auch einige bedenkliche, da andererseits das Aufenthaltlose, Zerstreuende des Virtuosenlebens dem höheren Forschen und Schaffen Eintrag thut, zu dem Glück und tiefste Einsamkeit gehört. Doch steht er noch im ersten Glanz der Jugend, und so hoffen wir ihm bald wieder zu begegnen, wo wir uns über manches heute Zurückgehaltene noch des Bessern auszusprechen gedenken. {{Right|Robert Schumann.

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Rückblick auf das Leipziger Musikleben im Winter 1837—1838.

Sinn und Geschmack, die in unsern Abonnementconcerten vorherrschend, zu beurtheilen, brauchen wir nur auf die Wahl der aufgeführten Stücke, auf die darin bevorzugten Meister zu merken. Und, wie in der Ordnung, treffen wir hier am öftesten auf Mozart (17mal), dann auf Beethoven (15mal); ihnen zunächst stehen Weber mit 7, Haydn mit 5 Nummern; zwischen 3 und 5 wurden von Cherubini,

{98} Spohr, Mendelssohn und Rossini gespielt; 2mal kamen Händel, Bach, Vogler, Cimarosa, Méhul, Onslow, Moscheles vor; 1 mal Naumann, Salieri. Righini, Fesca, Hummel, Spontini, Marschner u. A, m. Die bekannteren Meister waren mithin sämmtlich vertreten und die ersten am häufigsten. Außerdem begegnen wir einigen Nummern neuster Componisten und zwar drei neuen Symphonieen, von Täglichsbeck, Norbert Burgmüller [C moll] und Gährich, von denen sich die letzte den rauschendsten Beifall erwarb, obgleich ihr die Symphonie von Täglichsbeck nichts nachgab, die von Burgmüller aber beide hinter sich ließ; ja sie scheint mir beinahe das bedeutendste, nobelste Werl im Symphonieenfach, das die jüngere Zeit hervorgebracht, ihrer musikalischen Natur, ihres ungewöhnlich schön und kräftig ausgeprägten Instrumentalcharakters halber, trotzdem daß sie an Spohr erinnert, aber nicht wie eine Nachahmung aus Erfindungsschwäche,* sondern dasselbe edle Streben des Lehrers dankbar verfolgend.** Das Trio des Scherzo mag wohl meisterwürdig genannt werden, wie der Schluß der ganzen Symphonie eine Vorahnung des Todes, der diesen Jüngling zu früh von uns genommen. In den Symphonieen der beiden andern Herren fanden sich viel Beethovensche Nachklänge bei sonst geschickter Arbeit und Instrumentirung. Ein Hauptvorzug der von Gährich bestand in der Kürze der einzelnen Sätze, das Adagio ausgenommen, das nun einmal Keinem mehr gerathen will.

Von größter Bedeutung war ein neuer Psalm von Mendelssohn, mit den Anfangsworten: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“, dessen Unterschied von einer frühern geistlichen Musik desselben Meisters man im Concert für die Armen wahrnehmen konnte, in dem ein älterer Psalm*** von Mendelssohn diesem neuern vorgegeben wurde. Wie uns nun Mendelssohn seit lange schon als die gebildetste Kunstnatur unserer Tage gilt, in allen Gattungen, im Kirchenstil wie im Concertstil, im Chor wie im Lied gleich eigenthümlich und meisterhaft wirkend, so glauben wir ihn namentlich in diesem 42sten Psalm auf der höchsten Stufe, die er als Kirchencomponist, die die neuere Kirchenmusik überhaupt erreicht hat. Die Grazie, in der das

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      * In der Zeitschrift und in den Schriften: „Empfindungsschwäche“ — doch wohl ein Druckfehler.
    ** Von N. Burgmüller war neulich auch ein Heft bei Hofmeister erschienener Lieder höchst lobend angekündigt: nachdem wir sie jetzt genauer kennen gelernt, müssen auch wir sie den trefflichsten der neueren beizählen. Und so Einer mußte sterben!   [Sch.]
    *** Psalm 115 „Non nobis domine“.

{99} Handwerk, die Kunst der Arbeit, die solcher Stil erheischt, sich hier offenbart, die Zartheit und Reinlichkeit der Behandlung jedes Einzelnen, die Kraft und Innerlichkeit der Massen, vor Allem aber, da wir’s nun nicht anders nennen können, der Geist darin — man sieht’s mit Freude, was ihm die Kunst ist, was sie uns durch ihn.

Und freilich bekommen in diesem Betracht junge Künstler, die ihre Werke hier aufführen lassen, einen gefährlichen Stand, so sehr auch immer die Direction zur bestmöglichsten Ausführung beiträgt, daß sie sich es kaum besser wünschen können. Wir haben also von einer neuen Ouverture [E moll] von Dr. L. Kleinwächter, der einzigen, die uns dieser Winter von neuen brachte,* noch zu sagen, daß sie ihres freundlichen Charakters, ihrer leichten Beweglichkeit halber vom Publicum ziemlich gut aufgenommen wurde, ohne ihr einen größeren Kunstwerth beilegen zu dürfen.

Dies über die hier zum erstenmal aufgeführten Compositionen junger Künstler. Außerdem brachte uns eines der früheren Concerte zum erstenmal Beethovens „glorreichen Augenblick“, dessen Entstehung bekannt ist.** Es mag wohl zu den unvergeßlichen Erlebnissen zu rechnen sein, dies Werk unter Beethovens eigener Leitung, in einem denkwürdigen Geschichtsaugenblick, in Umgebung der höchsten Potentaten, Gesandtschaften etc. gehört zu haben, und auch dies weggenommen, wie bei unserer Aufführung, bleibt noch manche Stelle der Musik, die noch leidlich wirken wird nach Jahrhunderten. Unrecht aber thut man, solche Gelegenheitswerke großer Künstler mit ihren andern Geniuseingebungen vergleichen zu wollen; hier ist eben der Schimmer des Flüchtigen und Zufälligen das Geniale, wie denn jene kleinen Goetheschen Gedichte von Meistern, die die Sache verstehen, wie von ihm selbst gar hoch angeschlagen wurden. Ein solches Wesen waltet denn auch in dieser Composition, dabei eine fast ironische Breite und Pracht, bis dann auf einmal in einzelnen Momenten der ganze Meister lächelnd und in Lebensgröße vor uns steht. Dazu nun ein Gedicht, so widerhaarig zum Comvoniren wie eine Pindarsche Hymne, und man hat ein schwaches Bild, in welcher Bedrängniß der Componist sein Werk zu Ende gebracht, daß ihm übrigens als einem starken Patrioten sicherlich auch am Herzen gelegen.

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     * Rechnen wir das Concert für die Armen mit, so müßte man auch die zum Duc de Guise von Onslow erwähnen, die uns indeß nur wenig oder gar nicht zugesagt.  [Sch.]
    ** Die Cantate wurde 1814 zum Wiener Congreß componirt.

{100} Wo uns endlich aber wahrhaft Neues, Unerhörtes geboten wurde, lauter Altes nämlich, war in einigen der letzten Concerte, in denen uns Meister von Bach bis aus Weber in chronologischer Folge vorgeführt wurden. Ein Glück ist es, daß unsere Vorfahren nicht etwa vorwärts gedrehte historische Concerte veranstalten konnten; die Hand aufs Herz — wir würden schlecht bestehen. So glücklich es nun machte, was man zu hören bekam, so wahrhaft mißmuthig, was man hier und da darüber hören mußte. Als ob wir Bach ehrten dadurch, als ob wir mehr wüßten als die alte Zeit, thaten Manche und fanden es curios und interessant zugleich! Und die Kenner sind die Schlimmsten dabei und lächeln, als ob Bach für sie geschrieben — Er, der uns ziemlich sammt und sonders auf dem kleinen Finger wiegt — Händel, feststehend wie der Himmel über uns — Gluck nicht minder. Und man hört es, lobt es und denkt nicht weiter der Sache. Wahrhaftig, ich schätze die neue Zeit und verstehe, verehre Meyerbeer; wer mir aber in hundert, was sag' ich, in fünfzig Jahren historische Concerte verbürgt, in denen eine Note von Meyerbeer gespielt wird, dem will ich sagen: „Beer ist ein Gott und ich habe mich geirrt“.17

Ueber die Bachsche Musik, die gegeben, läßt sich wenig sagen; man muß sie in den Händen haben, studiren möglichst, und er bleibt unergründlich wie vorher. Händel scheint mir schon menschlich-erhabener; an Gluck verwirft man, wie gesagt, die Arien und läßt die Chöre passiren, d. h. man nimmt der Statue eines Gottes das etwaige Lockengekräusel um die Stirn und lobt nichts als seine Sehnen, seinen Corpus.

Wünschenswerth aber wäre es immerhin, man gäbe alle Jahre solche Concerte und mehrere zwar; die Einsaitigen lernten dabei, die Klugen lächelten: kurz, der Rückschritt wäre vielleicht ein Vorschritt.

Zu erwähnen gibt es noch, daß diesen drei Männern* als die bedeutendsten nachfolgten, im zweiten Concert: Haydn, Naumann, Cimarosa, Righini, im dritten: Mozart, Salieri, Méhul, A. Romberg, im vierten: Abt Vogler, Beethoven und C. M. v. Weber; aus deren vorgeführten Werken wir außer der Abschiedssymphonie** von Haydn, einem noch ungedruckten, höchst Mozartschen

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     * Auch war ein Concert von Viotti der Bach-Händelschen Periode einverleibt; Hr. Concertmeister David spielte es in glücklichster Stunde, mit größtem Beifall.   [Sch.]
    ** Die Musiker (auch unsere) löschten dabei, wie bekannt, die Lichter aus und gingen sachte davon; auch lachte Niemand dabei, da es gar nicht zum Lachen war.  [Sch.]


{101} Quartett aus dessen Zaide, einer Ouverture von Abt Vogler, den seine Zeitgenossen unserer Meinung nach bei Weitem nicht hoch genug geschätzt, 18 als das Interessanteste eine Symphonie von Méhul [G moll] auszeichnen; so [wenig] unterschieden von deutscher Symphonieenweise erscheint sie uns, dabei gründlich und geistreich, wenn auch nicht ohne Manier, daß wir sie auswärtigen Orchestern nicht genug empfehlen können. Merkwürdig dabei war auch die Ähnlichkeit des letzten Satzes mit dem ersten der C moll-Symphonie von Beethoven, und der Scherzos derselben beiden Symphonieen, und zwar so auffallend, daß hier eine Reminiscenz von der einen oder der anderen Seite im Spiel gewesen sein muß; auf welcher, vermag ich nicht zu entscheiden, da mir das Geburtsjahr der Méhulschen nicht bekannt geworden.19

Dies waren denn unsere vier historischen Concerte, um die uns Mancher beneiden wolle. Zwar ließen sich mit leichter Mühe Ausstellungen gegen die Reihenfolge, die Wahl der Stücke etc. aufbringen, ließe sich bedeutende historische Gelehrsamkeit entwickeln, nehmen wir dankbar an. was uns geboten wurde, jedenfalls aber mit dem Wunsch, beim Anfang nicht stehen bleiben zu wollen.

Das erfreuende Bild zu vollenden, schließen wir mit Hervorhebung der einzelnen Künstler und Künstlerinnen, mit deren Vorträgen die größeren Orchesteraufführungen durchwirkt waren.

Als interessanteste Erscheinung steht Miß Clara Novello oben an. Sie kam von London aus dem Kreise ihr befreundeter Künstlerinnen ersten Ranges; man läßt sich das wohl auch in Leipzig gefallen. Seit Jahren hat mir nichts so wohlgethan als diese Stimme, die sich überall kennt und beherrscht, des zartesten Wohllautes voll, jeder Ton scharf begrenzt wie auf einer Tastatur, dieser edelste Vortrag, ihre ganze einfache bescheidene Kunst, die nur das Werk und den Schöpfer glänzen läßt. Worin sie nun in ihrem Element, in dem sie geboren und groß geworden ist, das war Händel, so daß sich die Leute verwundert fragten: „Ist das Händel? Kann Händel so schreiben? Ist das möglich?“ Von solcher Kunst des Vortrags kann selbst der Componist lernen; da bekommt man wieder Achtung vor den darstellenden Künstlern, die uns so oft Caricaturen geben, weil sie zu früh aus der Schule gelaufen; vor solcher Kunst bricht all das Stelzenwerk zusammen, worauf uns gewöhnliche Virtuosität über die Schultern zu sehen glaubt; kurz, Miß Clara Novello ist keine Malibran, keine Sontag, sondern sie ist es höchst selbst, was sie ist, und kann’s ihr Niemand nehmen.

Vor und nach ihr wechselten Frl, Schlegel, Mad. Bünau-Grabau


{102} und Mad. Johanna Schmidt als Solosängerinnen, und ganz zuletzt traten noch Frl. Auguste Werner und Frl. Botgorschek aus Dresden auf. Erstere, als eine schöne Gestalt, war wohl gelitten; die andern Damen hatten freilich einen großen Liebling des Publicums, der uns in Clara Novello fortgegangen, zu ersetzen, wo wir uns dann loben müssen, da wir thaten, als wäre nichts geschehen, und beide bekannte immer gern gehörte Sängerinnen mit dem alten Beifall aufnahmen. Frl. Werner war uns aus Dresden zurückgekehrt, wo sie noch ein Jahr zugelernt hat. Frl. Botgorschek endlich hat einen wahren Helden-Alt, glänzende italiänische Methode und etwas Herausforderndes, wie man es wohl bei Opernsängerinnen findet; es wurde ihr der erste Grad des Beifalls, der sich leicht am Schall erkennen läßt; eine Arie mußte sie wiederholen.

Von auswärtigen Sängern besuchte uns nur Hr. Genast aus Weimar und sang eine Ballade „Schwerting“ mit reicher Orchesterbegleitung, über der sich nur eine männliche Stimme aufrecht halten kann, wie der Componist sein Werk auch mit Feuer und Leidenschaft darstellte.

Von fremden Instrumentalvirtuosen hatte man aus Lipinski und Liszt gerechnet, die jedoch ausgeblieben; Henselt spielte nur einmal in seinem eigenen Concert, So hörten wir denn des Guten und Schönen mancherlei von den HH. Kotte aus Dresden, Blagrove aus London, Concertmeister Hubert Ries und C. Schunke aus Berlin, Th. Sack aus Hamburg, den jungen Nicolai Schäfer, MD. Alscher (Contrabaß(, Schapler aus Magdeburg, Louis Anger aus Clausthal, und in bunter Reihe zwischendurch Vorträge der Orchestermitglieder, unter denen die der HH. Queißer, Uhlrich, Grenser, Heinze und Haake als die bedeutendsten auszuzeichnen sind, mit einigem Stolze zuletzt noch der öfteren Meisterleistungen der HH. Mendelssohn und David sowie der feinsten und kühnsten aller Künstlerinnen, Clara Wieck, zu gedenken.

Ehe wir von den Gewandhausconcerten auf ein Halbjahr Abschied nehmen, möchten wir noch erst ihren 40 bis 50 Vertretern im Orchester einen Ehrenkranz aufsetzen. Wir haben keine Solisten wie Brod in Paris oder Harper in London; doch möchten sich selbst kaum diese Städte eines solchen Zusammenspiels in der Symphonie rühmen können. Und dies liegt in der Natur der Verhältnisse. Die Musiker bilden hier eine Familie, die sich täglich sehen, täglich üben; es sind immer dieselben, so daß sie wohl die Beethovenschen Symphonien ohne Notenblatt spielen könnten. Dazu nun einen Concertmeister. der

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ebenfalls z. B. die Partituren des Letzteren auswendig, einen Director, der sie gleichfalls aus- und inwendig weiß, — und der Ehrenkrauz ist fertig. Ein besonderes Blatt wünschte ich noch dem Paukenschläger des Orchesters (Hrn. Pfundt) zugetheilt, der immer wie Blitz und Donner da und fertig ist; trefflich spielt er sie.

Ziemlich dasselbe Orchester, seine jüngeren Mitglieder wenigstens, findet man, wie bekannt, in den Concerten der Gesellschaft Euterpe wieder. Die Zahl ihrer Concerte war zwölf, wie herkömmlich, das Local im Saal des Hotel de Pologne, der Musik übrigens wenig günstig. Referent muß sich aber bei Aufführung ihrer Leistungen hier und da auf Referate Dritter beziehen, da er nicht allen Aufführungen beigewohnt. Eine Vergleichung der Concertzettel läßt Beethoven als hier bevorzugten Meister erkennen; es wurden sechs Symphonieen von ihm gespielt. Haydn fehlt gänzlich, was wohl ein Zufall ist; Mozart findet sich zweimal, Spohr einmal. Neue Symphonieen gab man zwei, vom Dirigenten der Concerte C. G. Müller die eine [F dur], die andere von W. Sörgel [C dur]. Letztere soll nichts Außerordentliches, sonst aber einen geschickten, im Orchester aufgewachsenen Musiker verrathen haben. Die erstere erwähnten wir schon mit einigen Worten in einer früheren Nummer; sie ist die vierte des Componisten und man merkt das an der rascheren Feder, die nicht mehr wie früher an Einzeluheiten, an kleinen Figuren etc. hängen bleibt. Wir nannten sie auch heiter; doch kommt die Stimmung vielleicht nicht von innen und fordert etwa mehr zum Nachdenken über die Heiterkeit auf. Auch als wäre der Componist selbst mißtrauisch gegen sein Talent der Lustigkeit, unterbricht er sich oft in den einzelnen Sätzen durch langsamere Zwischenperioden, in der Art, wie man es in vielen der späteren Arbeiten Beethovens findet, deren Eindruck auf unsern Componisten überhaupt oft ziemlich fühlbar hervortritt. Eigenthümlich ist das Intermezzo im Vier-Vierteltact an des Scherzos Stelle. Im letzten Satz geht es wunderlich und kopfüber; doch vermiss' ich in ihm den feineren Duft, die Poesie, die den Humor erst liebenswürdig macht. — Von Ouverturen werden an den Euterpe-Abenden meistens zwei gegeben; hier treffen wir auf Weber, Cherubini u. A. Von Beethoven war es namentlich die in C dur in ihrer wahrhaft vernichtenden Genialität, deren Aufführung dankenswerth; sie ist die nämliche, glaub' ich, auf deren Titel sich Beethoven des Ausdrucks; „gedichtet von“ statt des „componirt von“ bediente. Außerdem eine neue zur Oper Oleandro von C. G. Müller, und die zum Oratorium „Gutenberg“


{104} von Loewe, letztere so oberflächlich wie erstere fleißig gearbeitet. Unter den neuen der Gesellschaft zur Aufführung überlassenen Ouverturen im Manuskript bemerken wir, außer welchen von F. Nohr (in Meinungen), C. Conrad (in Leipzig) und J. Mühling, (aus Magdeburg), als interessant die zu Schillers „Räubern“ von Ernst Weber aus Stargard, die wild und barbarisch instrumentirt, einzelne merkwürdige Instrumentalschönheiten entfaltet, der Art, daß sich der Componist vielleicht selbst verwundern muß, wenn er sie hört; denn es scheint mir noch nicht alles aus künstlerischem Bewußtsein geflossen. Von Wirkung ist namentlich das zerstückelt angebrachte Räuberlied „Ein freies Leben“, und von eigenthümlicher Bedeutung der Schluß des Ganzen auf der Dominante. Von Paris gekommen, würde die Ouverture vielleicht von aufmerksameren Ohren gehört worden sein wie die nun bekannte zu den Francs-Juges von Berlioz, mit welcher das erste Concert eröffnet wurde.

Unter den Solovorträgen erhielt man manches Mittelgut, da bekanntlich Jeder, der auftreten will, zugelassen wird. Einige Auswahl wäre demungeachtet zu wünschen. Der erste Preis gebührt Hrn. Uhlrich mit einem Lipinskischen Concert, irre ich nicht, in D dur, dessen sarmatische Wildheit unser Virtuos so zu sagen mehr vermenschlichte, sogar zarter als der Componist selbst spiclte, der freilich wieder seine andern Göttlichkeiten hat. Während man in Concertcompositionen Anderer häufig durch Gemeinheiten beleidigt wird, bricht in Lipinskischen oft etwas höchst Nobles hindurch; es ist dieser Unterschied bemerkenswerth: dort fällt das Gemeine auf, hier das Edle, wiewohl sie im Ganzen auf ziemlich gleicher Kunstlinie stehen können.

Einen Schatz von Kunst boten auch diesen Winter die Quartette im kleinen Saale des Gewandhauses, von den HH. David, Uhlrich, Queißer und Grabau — an acht Abenden vierundzwanzig Nummern nämlich, darunter als Kostbarkeiten erster Größe die in Es dur (Werk 127) und cis moll von Beethoven, für deren Größe wir keine Worte aufzufinden vermöchten. Sie scheinen mir, nebst einigen Chören und Orgelfachen von Seb. Bach, die äußersten Grenzen, die menschliche Kunst und Phantasie bis jetzt erreicht; Auslegung und Erklärung durch Worte scheitern hier, wie gesagt.* Dagegen ergingen

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       * In einem Concertbericht in der Brockhausschen Allgem. Ztg. sagt Schumann einmal über die letzten Beethovenschen Quartette: „Es ist wahr, zum Verständnis, jener spätern Beethovenschen [Quartette] gehört mehr als blos Lust zum Hören; der empfänglichste, offenste Musikmensch wird ungerührt von ihnen gehen, wenn er nicht


{105} sich zwei ganz neue Quartette* von Mendelssohn in so schön menschlicher Sphäre, wie man es von ihm als Künstler wie als Menschen erwarten kann. Auch hier gebührt ihm die Palme unter den Zeitgenossen, die ihm nur. wenn er noch lebte, Franz Schubert — nicht streitig gemacht, — denn alles Eigenthümliche besteht nebeneinander — aber unter allen der Würdigste überreichen müssen. Nur die Vorzüglichkeit eines Werkes wie des in D moll von Schubert, wie so vieler anderer, kann über den frühen und schmerzlichsten Tod dieses Erstgebornen Beethovens in etwas trösten; er hat in kurzer Zeit geleistet und vollendet, was Niemand vor ihm. Endlich treffen wir auch in dem heurigen Cyklus auf eine neue Composition [in C] von C. G. Müller, gründlich, klar, interessant, voll echten Quartettgeschmacks und der Veröffentlichung durchaus werth.

So ziehen wir denn den Vorhang über die reich belebte Scene, Streben überall, Kräfte die Fülle, die Ziele die würdigsten; — es wolle sich alles in höherer Verwandlung wiederholen! {{Right|R. S.

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Etuden für Pianoforte.

C. V. Alkan, drei große Etuden. Werk 15.

Der Geschmack dieses Neufranken ist nach einem flüchtigen Blick in das Heft zu erkennen und schmeckt sehr nach Eugène Sue und G. Sand. Man erschrickt vor solcher Unkunst und Unnatur. Liszt carikirt wenigstens mit Geist; Berlioz zeigt trotz aller Verirrungen hier und da ein menschliches Herz, ist ein Wüstling voll Kraft und Keckheit; hier aber finden wir fast nichts als Schwäche und phantasielose

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tiefe Kenntniß des Charakters Beethovens und denen späterer Aussprache überhaupt mitbringt. Dann aber, ist er auf dem Wege dahin, hat er sie erlangt, so kann auch dem menschlichen Geiste kaum etwas Wunderwürdigeres geboten werden als jene Schöpfungen, denen in ihrer tiefsinnigen Gestaltung, ihren, alle menschlichen Satzungen überschwebenden Ideenflüge von anderer neuerer Musik gar nichts und im Uebrigen nur einiges etwa von Lord Byron oder von J. Pauls und Goethes spätern Werken verglichen werden kann. Hier liegen Schätze, hier hebe man sie, und geschähe es unter dem Schweigen des Publicums, auf das es ja ,in höchsten Dingen' nie ankommt; das Verdienst bleibt nicht aus, und dem Einzelnen geht doch nach und nach die Herrlichkeit auf.“

            * in E moll und Es dur  (Werk 44)

{106} Gemeinheit. Die Etuden haben Ueberschriften „Aime-moi,“ ,,Ie Vent“ und ,,Morte“ und zeichnen sich auf ihren sämmtlichen 50 Seiten dadurch aus, daß sie nur Noten ohne alle Vortragsbemerkung enthalten; die Caprice möchte nicht getadelt werden, zumal man ohnedies weiß, wie solche Musik am besten vorzutragen; aber die innere Leerheit prunkt nun auch noch mit äußerer, und was bleibt übrig? Im ,,Aime-moi“ eine wässerige französische Melodie mit einem Mittelsatz, der gar nicht zur Ueberschrift paßt, im „Vent“ ein chromatisches Geheule über einen Gedanken aus der A dur-Symphonie von Beethoven, und im letzten Stück eine widerwärtige Oede, wo nichts als Holz und Stecken und Sünderstrick, das letztere noch dazu aus Berlioz entlehnt. Wir beschützen das verirrte Talent, ist nur überhaupt welches da, bleibt nur etwas Musik übrig; wo aber jenes eben noch zweifelhaft und von dieser nichts zu erblicken als Schwarz hinter Schwarz, müssen wir uns unmuthig abwenden.

Eduard Franck, zwölf Studien.  Werk 1.

Das erste gedruckte Werk eines noch sehr jungen Musikers, der sich auf dem Titel als einen Schüler Mendelssohns einführt, das letztere ließe sich sogar errathen und an vielen der Etuden die Quelle bezeichnen, an welcher der Schüler vielleicht ohne sein Wissen und Wollen geschöpft hat, wie es im Umgang mit solch' umstrickendem Meister sogar natürlich erscheint. Es sind somit mehr Studien für den Autor selbst, wie der Maler seine Entwürfe ja auch Studien nennt, als sie es für Andere sein können, die sich lieber gleich an das Original halten. Die meiste Bildungskraft und Eigenthümlichkeit scheint mir in der ersten Nummer des zweiten Heftes und der letzten des ersten zu liegen, jene muß man geradezu trefflich und gelungen heißen: im letzten Drittel des Satzes geht es sogar, Florestanisch zu reden, „über die Dächer“, d. h. ins höhere, feinere Element; die andere erhebt sich ebenfalls freier und selbständiger und hat Kraft und Saft. In den meisten anderen aber vermisse ich die Spitze, oder, will man, da der Künstler überhaupt mehr in die Tiefe als in die Höhe strebt, den Schwerpunct, der einen nachzöge; man ist fertig, ehe man sich’s versieht, es ist zu nichts Entscheidendem gekommen, man verlangt mehr nach der ersten Anlage, die einen größeren Inhalt erwarten ließ. Im Ganzen muß aber der Ernst der Ansicht, der sich in diesen Skizzen durchgängig offenbart, die Kunstmäßigkeit des Satzes, die Leichtigkeit


{107} der Combination, wie man sie bei jungen Künstlern in solchem Grad nur selten antreffen wird, mit den freudigsten Hoffnungen für die Zukunft des Componisten erfüllen, wie sie gewiß ein sicheres Zeugniß des Fleißes geben, mit dem er in die Geheimnisse der tieferen deutschen Kunst eingedrungen. Mit dem letzteren meinen wir nicht sowohl die Fuge, die wir sogar unterdrückt wünschten, als die kleinen Wendungen oft (bei Rückgängen in den Anfang etc.), an denen das Studium der Muster zu erkennen ist, zu deren Höhe sich der junge Künstler mit der Zeit selbst aufarbeiten möge.

C. E. F. Weyse. vier Etuden.  Werk 60.

Von einem früheren Etudenwerk desselben norddeutschen Componisten war schon in einem älteren Bande der Zeitschrift die Rede und dort des Lobes genug gesagt. Gestehe ich, daß mir das neue zurückzustehen scheint gegen jenes. Wer bis zur Eigenthümlichkeit durchgebrochen, wird sie nie wieder verleugnen können, wenn er nicht geradezu Jahre lang feiert; und so auch hier. Aber über das eine Werk waltet mehr Segen als über das andere, und diese Ruhe und Zufriedenheit, die uns nach dem Genuß des in Weihe empfangenen Kunstwerkes erfüllt, ist mir bei diesen neuen Tonstücken nicht zu Theil worden. Merkwürdig an ihnen erscheint das Auflehnen gegen die enge Form, daher sie sich oft in das Gebiet der phantastischeren Caprice verlieren und nur mißmuthig wieder in das Gleis einlenken. Etwas Aehnliches bemerkten wir schon bei dem früheren Hefte; doch geschah es dort nicht mit Aufopferung der schönen Form, die wir einmal von der Etüde fordern müssen, und auch nicht mit Hintansetzung eines klar ausgeprägten mechanischen Zweckes, wie wir ebenfalls von dieser Compositionsgattung verlangen dürfen. Wie dem sei, so haben diese Musikstücke doch so viele eigene und kühne Züge aufzuweisen und unterscheiden sich scharf genug von allen andern Etuden, daß sie sich Spieler, denen es an Kenntniß des ganzen Reichthums der Gattung wie an Vielseitigkeit der Bildung liegt, allerdings ansehen müssen. Besondere Auszeichnung verdient die letzte; ein düsteres Bild, wie das eines Meisters, der seine Leiden durch Töne bannen will, großen Ausdrucks voll. {{Right|R. S.

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{108}

Franz Schuberts letzte Compositionen.

Wenn Fruchtbarkeit ein Hauptmerkmal des Genies ist. so gehört Franz Schubert zu den grüßten. Nicht viel über dreißig Jahr alt geworden, hat er zum Erstaunen viel geschrieben, von dem vielleicht erst die Hälfte gedruckt ist, ein Theil noch der Veröffentlichung entgegensieht, ein bei Weitem größerer Theil aber wahrscheinlich nie oder nach langer Zeit erst ins Publicum kommen wird.* Aus der ersten Rubrik haben sich wohl seine Lieder am schnellsten und weitesten verbreitet; er hätte nach und nach wohl die ganze deutsche Literatur in Musik gesetzt, und wenn Telemann verlangt: „ein ordentlicher Componist müsse den Thorzettel componiren können“, so hätte er an Schubert seinen Mann gefunden. Wo er hinfühlte, quoll Musik hervor: Aeschylus, Klopstock, so spröde zur Composition, gaben nach unter seinen Händen, wie er den leichteren Weisen W. Müllers u. A. ihre tiefsten Seiten abgewonnen. Dann sind es eine Menge Instrumentalsachen in allen Formen und Arten: Trios, Quartette, Sonaten, Rondos. Tänze, Variationen, zwei- und vierhändig, groß und klein, der wunderlichsten Dinge voll wie der seltensten Schönheiten: die Zeitschrift hat sie an verschiedenen Orten genauer charakterisirt. Von den Werken, die noch der Veröffentlichung entgegensehen, werden uns Messen, Quartette, eine große Anzahl Lieder u. a. genannt. In die letzte Rubrik fallen endlich seine größeren Compositionen, mehrere Opern, große Kirchenstücke, viele Symphonieen, Ouverturen u. a., die im Besitz der Erben geblieben sind. Die zuletzt erschienenen Compositonen Schuberts haben die Titel:

Großes Duo für das Pianoforte zu vier Händen,  Werk 140,

und

F. Schuberts allerletzte Composition: Drei große Sonaten für das Pianoforte.20

Es gab eine Zeit, wo ich nur ungern über Schubert sprechen, nur Nächtens den Bäumen und Sternen von ihm vorerzählen mögen.

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         * Eine kritische Gesammt-Ausgabe der Werke Schuberts erscheint jetzt bei Breitkopf & Härtel.

{109} Wer schwärmt nicht einmal! Entzückt von diesem neuen Geist, dessen Reichthum mir maß- und grenzenlos dünkte, taub gegen alles, was gegen ihn zeugen könnte, sann ich nichts als auf ihn. Mit dem vorrückenden Alter, den wachsenden Ansprüchen wird der Kreis der Lieblinge kleiner und kleiner; an uns liegt es, wie an ihnen. Wo wäre der Meister, über den man sein ganzes Leben hindurch ganz gleich dächte! Zur Würdigung Bachs gehören Erfahrungen, die die Jugend nicht haben kann; selbst Mozarts Sonnenhöhe wird von ihr zu niedrig geschätzt; zum Verständniß Beethovens reichen blos musikalische Studien ebenfalls nicht ans. wie er uns ebenfalls in gewissen Jahren durch ein Werk mehr begeistert als durch das andere. So viel ist gewiß, daß sich gleiche Alter immer anziehen, daß die jugendliche Begeisterung auch am meisten von der Jugend verstanden wird, wie die Kraft des männlichen Meisters vom Mann. Schubert wird so immer der Liebling der ersteren bleiben; er zeigt, was sie will, ein überströmend Herz, kühne Gedanken, rasche That; erzählt ihr, was sie am meisten liebt, von romantischen Geschichten, Rittern, Mädchen und Abenteuern; auch Witz und Humor mischt er bei, aber nicht so viel, daß dadurch die weichere Grundstimmung getrübt würde. Dabei beflügelt er des Spielers eigne Phantasie, wie außer Beethoven kein anderer Componist; das Leicht-Nachahmliche mancher seiner Eigenheiten verlockt wohl auch zur Nachahmung; tausend Gedanken will man ausführen, die er mir leichthin angedeutet; so ist es, so wird er noch lange wirken.

Vor zehn Jahren also würde ich diese zuletzt erschienenen Werke ohne Weiteres den schönsten der Welt beigezählt haben, und zu den Leistungen der Gegenwart gehalten sind sie mir das auch jetzt. Als Compositionen von Schubert zähle ich sie aber nicht in die Classe, wohin ich sein Quartett in D moll für Streichinstrumente, sein Trio in Es dur viele seiner kleinen Gesang- und Clavierstücke rechne. Namentlich scheint mir das Duo noch unter Beethovenschem Einfluß entstanden, wie ich es denn auch für eine auf das Clavier übertragene Symphonie hielt, bis mich das Original-Manuscript, ** in dem es von seiner eigenen Hand als „vierhändige Sonate“ bezeichnet ist, eines Andern überweisen wollte. „Wollte“ sag' ich; denn noch immer kann

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         * Die Symphonie in C war zur Zeit, als Obiges geschrieben wurde, noch nicht bekannt. 

[Sch. 1852]

        ** Im Besitz von Clara Wieck, der die gedruckte Ausgabe von den Verlegern, A. Diabelli & Co., gewidmet war.


{110} ich nicht von meinen! Gedanken. Wer so viel schreibt wie Schubert. macht mit Titeln am Ende nicht viel Federlesens, und so überschrieb er sein Werk in der Eile vielleicht Sonate, während es als Symphonie in seinem Kopfe fertig stand; des gemeineren Grundes noch zu erwähnen, daß sich zu einer Sonate doch immer eher Herausgeber fanden als für eine Symphonie, in einer Zeit, wo sein Name erst bekannt zu werden anfing. Mit seinem Stil, der Art seiner Behandlung des Claviers vertraut, dieses Werk mit seinen andern Sonaten vergleichend, in denen sich der reinste Claviercharakter ausspricht, kann ich mir es nur als Orchesterstück auslegen. Man hört Saiten- und Blasinstrumente, Tutti, einzelne Soli. Paukenwirbel; die großbreite symphonische Form, selbst die Anklänge an Beethovensche Symphonieen, wie im zweiten Satz an das Andante der zweiten von Beethoven, im letzten an den letzten der A dur-Symphonie, wie einige blassere Stellen, die mir durch das Arrangement verloren zu haben scheinen, unterstützen meine Ansicht gleichfalls. Damit möchte ich das Duo aber gegen den Vorwurf schützen, daß es als Clavierstück nicht immer richtig gedacht sei, daß dem Instrument etwas zugemuthet wird, was es nicht leisten kann, während es als eine arrangirte Symphonie mit andern Augen zu betrachten wäre. Nehmen wir es so, und wir sind um eine Symphonie reicher.* Die Anklänge an Beethoven erwähnten wir schon; zehren wir doch alle von seinen Schätzen. Aber auch ohne diesen erhabenen Vorgänger wäre Schubert kein Anderer geworden; seine Eigenthümlichkeit würde vielleicht nur später durchgebrochen sein. So wird, wer einigermaßen Gefühl und Bildung hat, Beethoven und Schubert auf den ersten Seiten erkennen und unterscheiden. Schubert ist ein Mädchencharakter, an Jenen gehalten, bei Weitem geschwätziger, weicher und breiter; gegen Jenen ein Kind, das sorglos unter den Riesen spielt. So verhalten sich diese Symphonieensätze zu denen Beethovens und können in ihrer Innigkeit gar nicht anders als von Schubert gedacht werden. Zwar bringt auch er seine Kraftstellen, bietet auch er Massen aus; doch verhält es sich immer wie Weib zum Mann, der befiehlt, wo jenes bittet und überredet. Dies alles aber nur im Vergleich zu Beethoven; gegen Andere ist er noch Mann genug, ja der kühnste und freigeistigste der neueren Musiker. In diesem Sinne möge man das Duo zur Hand nehmen. Nach den Schönheiten braucht man nicht zu suchen; sie kommen uns entgegen und gewinnen, je öfter man sie

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        * J. Joachim hat das Duo wieder für Orchester übertragen.


{111} betrachtet; man muß es durchaus lieb gewinnen, dieses liebende Dichtergemüth. So sehr gerade das Adagio an Beethoven erinnert, so wüßte ich auch kaum etwas, wo Schubert sich mehr gezeigt als Er; so leibhaftig, daß einem wohl bei einzelnen Tacten sein Name über die Lippen schlüpft, und dann hat’s getroffen. Auch darin weiden wir übereinstimmen, daß sich das Werk vom Anfang bis zum Schluß auf gleicher Höhe hält; etwas, was man freilich immer fordern müßte, die neuste Zeit aber so selten leistet. Keinem Musiker dürfte ein solches Werk fremd bleiben, und wenn sie manche Schöpfung der Gegenwart und vieles Andere der Zuknnft nicht verstehen, weil ihnen die Einsicht der Uebergänge abgeht, so ist es ihre Schuld. Die neue sogenannte romantische Schule ist keineswegs aus der Luft herabgewachsen; es hat alles seinen guten Grund.

Die Sonaten sind als das letzte Werk Schuberts bezeichnet und merkwürdig genug. Vielleicht daß anders urtheilen würde, wem die Zeit der Entstehung fremd geblieben wäre, — wie ich selbst vielleicht sie in eine frühere Periode des Künstlers gesetzt hätte, und mir immer das Trio in Es dur als Schuberts letzte Arbeit, als sein Eigenthümlichstes gegolten hat. Uebermenschlich wäre es freilich, daß sich immer steigern und übertreffen sollte, wer wie Schubert so viel, und täglich so viel componirte, und so mögen auch diese Sonaten in der That die letzten Arbeiten seiner Hand sein. Ob er sie auf dem Krankenlager geschrieben, ob nicht, konnte ich nicht erfahren; aus der Musik selbst scheint man auf das erstere schließen zu dürfen;* doch ist auch möglich, man sieht mehr, wo die Phantasie durch das traurige „Allerletzte“ nun einmal vom Gedanken des nahen Scheidens erfüllt ist. Wie dem sei, so scheinen mir diese Sonaten auffallend anders als seine andern, namentlich durch eine viel größere Einfalt der Erfindung, durch ein freiwilliges Resigniren auf glänzende Neuheit, wo er sich sonst so hohe Ansprüche stellt, durch Ausspinnnng von gewissen allgemeinen musikalischen Gedanken, anstatt er sonst Periode auf Periode neue Fäden verknüpft. Als könne es gar kein Ende haben, nie verlegen um die Folge, immer musikalisch und gesangreich rieselt es von Seite zu Seite weiter, hier und da durch einzelne heftigere Regungen unterbrochen, die sich aber schnell wieder beruhigen. Ob in diesem Urtheile schon meine Phantasie durch die Vorstellung seiner Krankheit verführt

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        * Die Sonaten sind im September 1828 geschrieben, also zu einer Zeit, wo Schubert kränkelte und in ärztlicher Behandlung war. Am 19. November starb er.


{112} scheint, muß ich Ruhigeren überlassen. So aber wirkten sie auf mich. Wohlgemuth und leicht und freundlich schließt er denn auch, als könne er Tages darauf wieder von Neuem beginnen. Es war anders bestimmt. Mit ruhigem Antlitz konnte er der letzten Minute entgegentreten. Und wenn auf seinem Leichenstein die Worte stehen, daß unter ihm „ein schöner Besitz, aber noch schönere Hoffnungen“* begraben lägen, so wollen wir dankbar nur des ersteren gedenken. Nachzugrübeln, was er noch erreichen können, führt zu nichts. Er hat genug gethan, und gepriesen sei. wer wie er gestrebt und vollendet. {{Right|R. S.

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I. Moscheles,

Charakteristische Studien für das Pianoforte. Werk 95.

Die späteren Etudenwerke der bekannteren Etudenschreiber haben, wie uns die Erfahrung sagt, sich nicht die Kunst und den Einfluß erringen können als ihre früheren. Von denen von Cramer kennen nur Wenige, was er außer seinen zwei ersten Heften geliefert; ebenso von denen von L. Berger, Weyse, Chopin, A. Schmitt u. A. Die Gründe sind wohl aufzufinden. Einestheils sind jene späteren Sammlungen in Wirklichkeit unbedeutender, denn der Componist erschöpft sich endlich in solcher kleinen Form, oder er bringt Aelteres wieder zum Vorschein; dann verlangt das Publicum auch Steigerung, wo keine mehr zu erreichen; endlich durchkreuzen sich gerade in dieser Gattung die Erscheinungen so rasch und vielgestaltig, daß sich nur das Ausgezeichnetste über dein Strome zu halten vermag. Kurz, wir sehen auf den Clavieren die beiden ersten Hefte der Cramerschen, Chopinschen etc. Etuden weit öfter als die späteren. Auch diese neue Sammlung von Moscheles wird die alte berühmte nicht vergessen machen, und soll es auch nicht. Der verehrte Componist spricht sich in einem beinah zu kurzen Vorwort über den Zweck seiner Neuen Etuden, über das, was sie von den älteren unterscheidet, selbst aus. Mechanische Ausbildung der Hand, die vielseitigste, wird natürlich schon vorausgesetzt; ebenso wünscht er Kenntniß seiner älteren Etuden.

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       * Worte von Grillparzer.


{113} „Der Spieler ist besonders darauf angewiesen, durch seinen Vortrag diejenigen Regungen, Leidenschaften und Empfindungen auszudrücken, die dem Verfasser beim Schreiben dieser Tonstücke vorgeschwebt und die er durch die charakteristischen Namensbezeichnnngen, die einem jeden der Stücke vorgesetzt sind, sowie durch die den Vortrag bezeichnenden Kunstwörter, die im Laufe des Werkes vorkommen, nur leise andeuten konnte“ etc.

Man hat diese Ueberschriften über Musikstücke, die sich in neuerer Zeit wieder vielfach zeigen, hier und da getadelt und gesagt, „eine gute Musik bedürfe solcher Fingerzeige nicht“. Gewiß nicht: aber sie büßt dadurch ebenso wenig etwas von ihrem Werth ein, und der Componist beugt dadurch offenbarem Vergreifen des Charakters am sichersten vor. Thun es die Dichter, suchen sie den Sinn des ganzen Gedichtes in eine Überschrift zu verhüllen, warum sollen’s nicht auch die Musiker? Nur geschehe solche Andeutung durch Worte sinnig und fein; die Bildung eines Musikers wird gerade daran zu erkennen sein.

So erhalten wir denn in den vorliegenden Etuden zwölf charakteristische Bilder, deren Bedeutung durch die Überschriften eher gewinnt. Wir können sie nach ihrem Inhalt in vier Abtheilungen bringen. In der einen werden uns bekannte, und zwar mythologische Charaktere geschildert; dahin gehören die mit „Juno“ und „Terpsichore“ bezeichneten Nummern; in der andern Scenen aus dem Leben und nach der Natur: das „Bacchanal“, die „Volksfestscenen“ und „Mondnacht am Seegestade“; in der dritten psychische Zustände: „Zorn“, „Widerspruch“, „Zärtlichkeit“, „Angst“, „Versöhnung“; in der letzten Classe stellen sich als verwandt dar: „Kindermärchen“ und „Traum“. Im Hefte selbst stehen die Stücke in bunter Mischung, hier und da, um sie hintereinander spielen zu können, vom Componisten durch kurze, die Tonarten überleitende Zwischenspiele verbunden, die wir manchmal vielleicht ausgeführter wünschten.

Auf die Nummern der ersten Abtheilung möchte ich umgekehrt die Goetheschen Worte anwenden: „je mehr du fühlst ein Mensch zu sein, je ähnlicher bist du den Göttern“. Gerade in diesen Bildern, die den Namen zweier Himmlischen tragen, erscheint die Phantasie des Künstlers gefesselt; gerade in diesen vermiss' ich Leben und Wärme der Musik. Die Formen sind schön und richtig, die Charaktere mit denen der Mythologie in Übereinstimmung zu bringen; im Ganzen aber blicken die Stücke kalt wie Statuen und wirken unter allen am wenigsten, wie ich wiederholt an mir wie an Andern erfahren. Dagegen


{114} hat die Musik Macht und Mittel, der Phantasie Bilder zuzuführen, wie sie uns durch die Ueberschriften der andern Abtheilung näher bezeichnet werden. Das „Bacchanal“ ist ein griechisches classisches und hat einen sehr charakteristischen Grundton. In den „Volksfestscenen“ rollt der Componist ein lebendiges Gemälde auf, in das ich vielleicht auch einen Mandolinenspieler hineinwünschte, ich meine als Gegensatz zu dem vielstimmigen Durcheinander eine leiser gehaltene Cantilene. Das Stück ist der interessantesten Züge voll. Was man von der „Mondnacht am Seegestade“ zu erwarten hat, sagt die Musik am besten. Die Tonart ist As dur und das Stück sieht sich schon romantisch an. Bennett hat in seinen Skizzen, in der mit „the Lake“ überschriebenen, etwas sehr Aehnliches gegeben.

Unter den Nummern, die uns psychische Zustände malen, möcht' ich dem „Widerspruch“ den Preis zuerkennen. Die leichte, sichere Zeichnung, der Ausdruck des feinen Spottes, der diese Musik charakterisirt, und in musikalischem Betracht die geistreiche harmonische Verwesung machen sie zu einer der ausgezeichnetsten und wirkungsvollsten der Sammlung. Ebenso ist die mit „Zorn“ überschriebene ein vortreffliches Musikstück, obgleich ich in seinen Charakter eine edlere Regung, mehr kühnen Stolz, energisches Auflehnen legen möchte und es in diesem Sinn vorgetragen wünschte. Die Nummern „Zärtlichkeit“ und „Versöhnung“ sind mehr geistreich gedacht als gemüthlich; in letzterer herrscht jedoch ein besonders schöner Wohllaut. Das mit „Angst“ überschriebene Stück, das letzte des Heftes, erfüllt alles, was die Ueberschrift sagt.

Es bleiben noch das „Kindermärchen“ und der „Traum“ übrig, die mir als die zartesten und poetischsten der Sammlung gelten. Hier, wo sie ins Uebersinnliche, in das Geisterreich hinüberspielt, übt die Musik ihre volle Gewalt. Namentlich ist das Kindermärchen ein höchst ergötzliches Bild, in glücklichster Stunde erfunden, äußerst sauber und nett ausgeführt; keine Note darf hier anders stehen; auch die Ueberschrift trifft den Charakter der Musik aufs Genauste. Im „Traum“ fließt es anfangs dunkel auf und nieder: man weiß, wie die Musik träumen, wie man in ihr träumen kann; erst in der Mitte ringt sich ein entschlossenerer Gedanke los; dann verschwindet alles wieder in das erste leise Dunkel.

Von den früheren Etuden unterscheiden sich diese neuen allerdings; fünfzehn Jahre, die während * des Niederschreibens jener verflossen,

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       * seit dem Niederschreiben (?)

{115} machen wohl einen Unterschied. Der Stil ist womöglich gedrungener, die Harmonie combinirter, gewählter, überall herrscht mehr der Gedanke vor, während die älteren, wie natürlich, den Vorzug größerer Jugend, lebhafterer Empfindung voraus haben. Inzwischen hat der Componist auch manche Mittel der neusten Schule nicht unversucht gelassen, wie denn auch von ihrer romantischen Färbung in seinen Gedanken hier und da durchschimmert. Ein vortrefflicher Künstler zeigt er sich hier wie dort. {{Right|R. S.

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Erster Quartett-Morgen. 21

J. J. H. Verhulst, Quartett für 2 Violinen, Bratsche und Violoncello (As dur), Manuscript. L. Spohr, Brillantes Quartett (A dur), Werk 93. Leopold Fuchs, Quartett (C moll), Werk 10.

„Gab es Schuppanzighsche, gibt es Davidsche Quartette, warum nicht auch —“, dachte ich bei mir und bat mir ein Kleeblatt zusammen. „Es ist noch nicht lange her“, eröffnete ich diesem, „daß Haydn, Mozart und noch Einer lebten, die Quartette geschrieben: sollten solche Väter so wenig würdige Enkel hinterlassen, diese gar nichts von jenen gelernt haben? Und könnte man nicht nachfühlen, ob ein neues Genie irgendwo unter der Knospe, das nur der Berührung bedürfe? Mit einem Worte, Verehrteste, die Instrumente stehen bereit und des Neuen gibt es mancherlei, das gespielt werden könnte in unserer ersten Matinée.“ Und ohne viel Bedenkens, wie es bügelfesten Musikern ziemlich, saßen sie an den Pulten. Gern berichte ich, unter welchen Werken uns der Morgen verflossen, wenn auch nicht im kritischen Lapidarstil, sondern in leichter Weise den ersten Eindruck festhaltend, den jene auf mich, zugleich mit Wahrnehmung dessen, den sie auf die Quartettisten selbst gemacht, da ich einen einfachen Fluch eines Musikers oft höher anschlage als ganze Aesthetiken.

Von einem Quartett von Hrn. J. J. H. Verhulst dürfte man eigentlich nichts verrathen, da es eben noch warm aus der Werkstatt, noch Manuscript und dazu das erste ist, das der Componist geschrieben. Indeß da die Zukunft sich manches Erfreuliche von diesem jungen Künstler versprechen darf, sein Name über kurz und lang doch der

{116} Oeffentlichkeit verfallen wird, so sei er vorläufig als ein Musiker von Beruf eingeführt, dem seine Geburt als Holländer ein zweites Interesse verleiht. So sehen wir in neuer Zeit aus allen Völkerschaften junge Talente hervorsteigen: aus Rußland berichtet man von Glinka; Polen gab uns Chopin; in Bennett hat England einen Vertreter, in Berlioz Frankreich; Liszt als Ungar ist bekannt; in Belgien wird von Hansens als von einem bedeutenden Talente gesprochen; in Italien bringt jeder Frühling welche, die der Winter wieder verweht; endlich kommt auch Holland, das uns sonst nur Maler sandte, obwohl auch van Bree u. A. sich bekannt gemacht.

Das Quartett unsers Holländers zeigte nichts vom Phlegma, das man seinen Landsleuten vorwirft, sondern im Gegentheil lebhaftes musikalisches Naturell, das sich freilich in einer so schwierigen gegebenen Form noch mit Mühe in den Schranken zu halten hatte. Erfreulich war, daß gerade der Satz, in dem sich das Dasein innerer Musik am deutlichsten bekundet, das Adagio, der gelungenste des Quartetts war. Auf solchem Wege fortgehend wird sich der junge Künstler Kraft und Leichtigkeit erringen; gegen starken Irrthum schützt ihn sogar ein großer Instinct des Richtigen und Gesetzmäßigen, und so wäre nur noch auf größere Prägnanz, auf Erhebung und Veredlung des Gedankens zu achten, was freilich weniger Sache des guten Willens als des guten Geistes.

Das Quartett spielte sich hierauf ein neues von Spohr vor, in dem uns mit den ersten Tacten der bekannte Meister entgegentritt. Wir kamen schnell überein, daß hier mehr auf glänzendes Hervortreten des ersten Spielers als auf kunstreiche Verwebung der Viere gesehen war. Man kann nichts dagegen haben, wo es offenbar so und nicht anders sein soll, und es begibt sich diese Quartettweise von selbst der höhern Ansprüche. Formen, Wendungen, Modulationen, Melodieenfälle waren ebenfalls die oft gehörten Spohrs, so daß es schien, die Quartettisten unterhielten sich vom Werk wie von einem bekannten Gegenstand. Ein Scherzo fehlt, das überhaupt nicht des Meisters Stärke, wie denn das Ganze einen beschaulichen, wenn man so sagen kann, didaktischen Charakter hat. Im Rondo fesselt ein sehr artiges Thema, dem man nur ein sich mehr markirendes zweites entgegengestellt wünschte. Eine Bemerkung drängt sich mir hier noch auf und zwar durch einen Vorwurf eines der Quartettspieler veranlaßt. Junge Künstler, die immer Neues, womöglich Exzentrisches wollen, schlagen jene flüchtigen, so schnell empfangenen wie vollendeten Werke ausge-


{117} bildeter Meister meistens zu gering an und irren in ihrer Meinung, daß sie es eben so machen können. Es bleibt immer noch der Unterschied zwischen Meister und Jünger. Jene eilig hingeworfenen Claviersonaten Beethovens, noch mehr Mozarts, beweisen in ihrer himmlischen Leichtigkeit in eben dem Grade die Meisterschaft als ihre tieferen Offenbarungen; das fertige Meistertalent zeigt sich eben darin, daß es die sich im Beginn des Werkes gezogenen Linien nur lose umspielt, während das jüngere ungebildete, wo es doch auch vom Boden der Gewöhnlichkeit ausgeht, die Teile immer höher anspannt und so oft verunglückt. Dies auf das Quartett von Spohr anzuwenden, so denke man sich nur den Namen des Componisten und seine berühmteren Leistungen weg, und es bleibt noch immer ein in Form, Satz und Erfindung meisterhaftes, das sich noch himmelweit von dem eines Vielschreibers oder Schülers unterscheidet. Und das ist der Lohn der durch Fleiß und Studien gewonnenen Meisterschaft, daß sie sich bis ins hohe Alter ergiebig zeigt, während beim leichtsinnigen Talent das Versäumniß der Schule doch einmal durchbricht.

Von großem Interesse für uns Alle war ein vor ungefähr einem Jahr erschienenes Quartett von L. Fuchs. Der Componist lebt in Petersburg als Pfleger der edleren Kunst im engeren Cirkel, allgemein geschätzt als Lehrer des Satzes, als dessen Beherrscher er sich nun auch praktisch erweist. Das Quartett ist nicht so verwickelt, daß man mit der Partitur in der Hand, die uns vergönnt war, es nicht nach Einmal-Anhören in seinen Höhen und Tiefen übersehen könnte, und auch ohnedies müßte die Eigenthümlichkeit in Form und Gehalt darin in die Augen springen. Am ehesten möchte man an Onslow als das Vorbild des Componisten denken; doch blickt auch Studium der weiter zurückliegenden Kunst, der Bachschen, wie der neusten Beethovens hindurch. Es ist, im Gegensatz zu dem beschriebenen Spohrschen ein wahres Quartett, wo Jeder etwas zu sagen hat, ein oft wirklich schön, oft sonderbar und unklarer verwobenes Gespräch von vier Menschen, wo das Fortspinnen der Fäden anzieht wie in den Musterwerken der letzten Periode, Das Packende, Nachhaltende Beethovenschen Gedankens findet man eben nicht oft, und darin steht auch das Quartett zurück; im Uebrigen aber interessirt es bis auf einzelne mattere Tacte durchweg durch seinen seltenen Ernst und seine ausgebildete Kraft im Stil. In der Form erscheint es uns ebenfalls gut und namentlich in der Gigue und dem letzten Satze pikant. Die Gigue gehört freilich gar nicht in das Quartett, was ich sogar betheuern kann, da das

{118} Manuscript ein ganz anderes Scherzo enthält, das wohl auch mehr zu den andern Sätzen paßt, allerdings aber auch weniger interessant ist als jene; doch entstand durch diese Veränderung das andere Uebel, daß die Gigue in B dur spielt, während der folgende (letzte) Satz in C moll: eine Tonfolge, die ich in einer Form, deren Strenge eben ihre Schönheit, nicht billigen könnte. Im Andante ist, nach Art eines bekannten Haydnschen Quartetts, der neue russische Volksgesang (von Lwoff)Vorlage:Lwow eingeflochten und variirt. Man weiß, wie solch Fremdes nur selten in den eigenen Ideengang passen will, und so hätte ich auch lieber ein Werk geliefert, das ich ganz mein nennen könnte, als wo wenigstens die höhere Kritik den patriotischen Bezug nicht anerkennen kann. Indeß mag der geschätzte Mann, wie wir hören, noch manches ihm allein angehörige Quartettwerk in Vorrath haben, mit dessen Veröffentlichung er die Freunde echter Quartettmusik baldigst erfreuen wolle. {{Right|R. S.

Zweiter Quartett-Morgen.

C. Decker, Quartett (C moll), Werk 14. C. G. Reißiger, Quartett (A dur), Werk 111, Nr. 1. L. Cherubini, Erstes Quartett (Es dur).

Vergleich' ich die Gesichter manches die Gewandhaustreppen hinaufsteigenden und zitternden Musikers, der etwa ein Solo vorzutragen, mit denen meiner Quartettspieler, so schienen mir letztere um vieles beneidenswerther, da unser Quartett zugleich sein eigenes Publicum ist, folglich nicht die geringste Angst zeigte, obwohl einem vor dem Fenster lauschenden Kinde und einer hereinschmetternden Nachtigall das Zuhören keineswegs gestört wurde. Mit ordentlicher Begeisterung stimmte man also schon, sich hierauf in ein neues aus Berlin gekommenes Quartett von Herrn C. Decker zu stürzen, das in der That passend genug für solche Stimmung; durchaus abkühlender Natur nämlich. Was soll man über ein Werk sagen, in dem sich sicherlich Vorliebe für edlere Muster und Streben nach Tüchtigem ausspricht und das dennoch so wenig wirkt, daß man einen Strauß um sein Talent beneiden möchte, der’s aus den Aermeln schüttelt und das Gold dafür in die Tasche. Soll man tadeln? den Componisten kränken, der sein Möglichstes gethan? Soll man loben, wo man sich gestehen muß, keine rechte


{119} Freude gehabt zu haben? Soll man von weiterem Componiren abrathen? Der Componist käme dann nicht weiter. Soll man ihm zureden, mehr zu schreiben? Er ist nicht reich genug und würde es handwerksmäßig treiben. So möchten wir denn Allen, die, ohne vom Genius beseelt zu sein, nun einmal componiren, ihren Eifer für die gute Sache der Kunst bethätigen wollen, den Rath geben, fleißig fort zu schreiben, aber mit der Bitte, nicht alles auch drucken zu lassen. Noch eher gehörten die Irrthümer eines großen Talentes der Welt an, von denen man sogar lernen und nützen kann: blose Studien aber, erste Versuche behalte man in seinen vier glücklichen Wänden. Studien im Quartettstil möcht' ich denn auch das Quartett dieses Componisten nennen. Manches geräth ihm: er hat den Stil, den Charakter der vierstimmigen Musik richtig erkannt; aber das Ganze ist trocken, skelettartig; es fehlt der Schwung, das Leben. Der Anfang des Quartetts ist gut und scharf gezeichnet und macht Hoffnungen; dabei bleibt es aber auch; schon das zweite Thema sticht ab und erscheint uns arm. Die Verarbeitung im Mittelsatz mit Umkehrung des Themas mag nicht getadelt werden, obwohl man ihr noch Mühsamkeit anmerkt, dagegen der Rückgang in den Grundton leicht und glücklich gelingt, auch der Schluß des ersten Satzes nur zu loben ist. Man muß eben alles Gute noch heraussuchen. Das Adagio hat dieselbe Trockenheit; dahingegen wir im Scherzo mehr Lebenselemente, einzelne sehr artige Zusammenstellungen und Widerschläge antreffen, worauf sich das Trio, namentlich bei der Wiederholung, sehr gut ausnimmt. Das Finale endlich hat dieselben Vorzüge und Mängel, die wir an den ersten Sätzen bemerkten, scheinbar auch etwas mehr Leben, was die raschere Bewegung mit sich bringt, und ebenfalls gute Einzelnheiten, nichts aber, was uns inniger stimmte, was uns rührte oder freudiger machte. Verstand und guter Wille behalten die Oberhand; das Herz geht leer aus. Wie nun aber jeder junge Componist, der sich in einer der schwierigsten Gattungen versucht, mit Auszeichnung zu behandeln, so können wir ihm auch diese keineswegs versagen, und so schreibe er muthig weiter und ergehe sich vielleicht vorher einmal ein Jahr im schönen Italien oder sonst wo, damit der Phantasie freudige Bilder zugeführt werden, damit, was jetzt nur Blätter und Zweige, später auch Blumen und Früchte trage.

Alsbald gelangten wir zu einer neuen Erscheinung in der musikalischen Literatur, zu einem Quartett vom Capellmeister Reißiger, und zwar dem ersten, das er edirt. Es erfreut und reizt schon, einen


{120} fertig geglaubten, in gewisse Formen eingeschriebenen Componisten etwas Anderes und Schwereres angreifen zu sehen. Man schafft nie frischer, als wo man eine Gattung zu cultiviren anfängt. Andererseits hat freilich jeder neue Versuch in einer vorher nicht geübten Form, und würde er auch von einem Meistertalent unternommen, seine Schwierigkeiten. So sehen wir Cherubini an der Symphonie scheitern, so hat selbst Beethoven, wie wir in den jüngst angezeigten Mitteilungen von Dr. Wegeler lesen, mehrmals zu seinem ersten Qnartett ansetzen müssen, indem aus dem einen begonnenen ein Trio, ans dem andern ein Quintett entstanden. Und so wird uns auch vieles in diesem ersten Quartett von Reißiger (die häufige Achtelbegleitung in der zweiten Violine und Bratsche, gewisse Orchestersynkopen etc.) an den routinirten Gesang- und Clavier-Componisten gemahnen; was wir aber sonst an ihm Liebenswürdiges kennen, gibt er auch hier aus vollen Händen: runde Formen, lebhafte Rhythmen, wohlklingende Melodieen, zwischendurch freilich viel Oftgehörtes, vieles, was an Spohr (gleich der Anfang), an Onslow (das Trio im Scherzo), an Beethoven (der Zwischensatz in E dur in der ersten Hälfte des ersten Satzes), an Mozart (der Cis moll-Satz im Adagio) und an anderes erinnert. Einen großen Originalwerth mag ich demnach dem Quartett nicht beilegen oder ihm ein langes Leben versprechen; es ist ein Quartett zur Unterhaltung guter Dilettanten, die noch vollauf zu thun haben, wo der Künstler vom Fach mit einem Ueberblick schon die ganze Seite heruntergelesen; ein Quartett bei hellem Kerzenglanz unter schönen Frauen anzuhören, während wirkliche Beethovener die Thür verschließen und in jedem einzelnen Tact schwelgen und saugen. Die einzelnen Sätze anzuführen, so möchte ich dem Scherzo den Vorzug geben, namentlich dem fünften bis achten Tact im Trio; ihm zunächst dem ersten Satz, wenn er eine sich’s weniger bequem machende Form und einen weniger matten Schluß hätte. Das Adagio scheint mir zu flach zu seiner Breite. Das Rondo ist aber durchaus gewöhnlich; so würde z. B. Auber auch Quartette machen.

Wir schlossen mit dem ersten der schon seit geraumer Zeit erschienenen Quartette von Cherubini, über die sich selbst unter guten Musikern Meinungszwiespalt erhoben. Er betrifft wohl nicht die Frage, ob diese Arbeiten von einem Meister der Kunst herrühren, worüber kein Zweifel aufkommen kann, sondern ob das der rechte Quartettstil, den wir lieben, den wir als mustergültig anerkannt haben. Man hat sich einmal an die Art der drei bekannten deutschen Meister

{121} gewöhnt und in gerechter Anerkennung auch Onslow und zuletzt Mendelssohn, als die Spuren Jener weiter verfolgend, in den Kreis aufgenommen. Jetzt kommt nun Cherubini, ein in der höchsten Kunstaristokratie und in seinen eigenen Kunstansichten ergrauter Künstler, er, der noch jetzt im höchsten Alter als Harmoniker der Mitwelt der überlegenste, der feine, gelehrte, interessante italiäner, dem in seiner strengen Abgeschlossenheit und Charakterstärke ich manchmal Dante vergleichen möchte. Gesteh' ich, daß mich mich, als ich dieses Quartett zum erstenmal hörte, namentlich nach den zwei ersten Sätzen ein großes Unbehagen überfiel; das war nicht das Erwartete; vieles schien mir opernmäßig, überladen, anderes wieder kleinlich, leer und eigensinnig; es mochte bei mir die Ungeduld der Jugend sein, die den Sinn in den oft wunderlichen Reden des Greises nicht gleich zu deuten wußte; denn andererseits spürte ich freilich den gebietenden Meister und zwar bis in die Fußspitzen hinab. Dann folgten aber das Scherzo mit seinem schwärmerischen spanischen Thema, das außerordentliche Trio, und zuletzt das Finale, das wie ein Diamant, wie man es wendet, nach allen Seiten Funken wirft, und nun war kein Zweifel, wer das Quartett geschrieben und ob es seines Meisters würdig. Gewiß wird es Vielen wie mir ergehen; man muß sich mit dem besondern Geiste dieses, seines Quartettstils erst befreunden; es ist nicht die trauliche Muttersprache. in der wir angeredet werden, es ist ein vornehmer Ausländer, der zu uns spricht: je mehr wir ihn verstehen lernen, je höher müssen wir ihn achten. Diese Andeutungen, die nur einen schwachen Begriff von der Eigenthümlichkeit dieses Werkes geben, mögen deutsche Quartettzirkel aufmerksam machen. Zum Vortrag gehört viel, gehören Künstler. In einem Anfalle von Redacteur-Uebermuth wünschte ich mir Baillot (an den Cherubini hauptsächlich gedacht zu haben scheint*) an die erste, Lipinski an die zweite Violine, Mendelssohn an die Bratsche (sein Hauptinstrument, Orgel und Clavier ausgenommen) und Max Bohrer oder Fritz Kummer an das Violoncell. Indeß dankte ich’s noch freundlich genug meinen Quartettisten, die zum Schluß baldigst wiederzukommen und sich wie mich mit den andern Quartetten Cherubinis bekannt zu machen unter sich beschlossen, wo dann der Leser neue Mitteilungen zu erwarten hat. {{Right|R. S. _____________

         * dem die Quartette auch gewidmet sind


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Dritter Quartett-Morgen.

W. H. Veit, Zweites Quartett für 2 Violinen, Bratsche und Violoncello (E dur), Werk 5. I. F. E. Sobolewski, Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello (As dur), Manuscript. Leopold Fuchs, Quintett für 2 Violinen, 2 Bratschen und Violoncello (Es dur), Werk 11.

Unsere dritte Zusammenkunft erhielt durch Theilnahme eines Clavieristen und Bratschisten, die zur Aufführung eines Claviertrios und eines Quintetts nöthig waren, einen ganz besondern Glanz. Und nicht ohne meine Gründe drang ich auf solche Abwechselung. Will doch auch der Genuß des Schönen sein Maß, wie ich mich denn leichter entschließen möchte, eine Strauß-Lannersche Ballmusik-Nacht zu durchleben als eine, wo nichts als Beethovensche Symphonieen aufgeführt würden, wo uns die Töne zuletzt wundsaugen müßten. Auch zum Anhören allein dreier Quartette gehört Frische, wenn nicht besondere Theilnahme an der Composition. Componisten pflegen schon nach dem ersten fortzugehen, Recensenten nach dem zweiten; brave Dilettanten allein halten etwa das dritte aus, wie mir einmal einer erzählte, daß er, einstmals ein Vierteljahr von aller Musik abgeschnitten, im Heißhunger nach Musik in der Stadt, die ihn befriedigen konnte, drei Tage vom Morgen bis Abend Quartette gespielt; „freilich,“ fügte er hinzu, „spiele er selbst ein wenig, zweite Violine nämlich.“ — Und so bestand ich darauf, daß wir auch dem Quartette Verwandtes mit ins Spiel ziehen möchten; ja man kann nicht wissen, ob nicht, umgekehrt wie in der bekannten Haydnschen Symphonie, nach und nach Instrument nach Instrument hinzutritt, ob nicht aus dem kleinen Kleeblatt ein ganzes zur Symphonie gerüstetes Orchester herauswächst. Begnügen wir uns vor der Hand, zumal wir heute den Leser mit einigen erfreulichen Neuigkeiten bekannt zu machen haben.

Einige deutsche Städte zeichnen sich dadurch aus, daß sie nur wenig von ihren einheimischen Talenten wissen wollen; andere loben blos, wenn es gegen andere Städte sich zusammenzurotten gilt; dritte endlich wissen von den Talenten ihrer Söhne und Töchter nicht genug zu reden. Zu den letzteren gehört vielleicht Prag; man lese einen Bericht aus dieser Stadt, welchen man wolle, so findet man der

{123} eingebornen Künstler immer mit der größten Achtung, mit wahrhaft mütterlicher Begeisterung gedacht. Gewiß wird man so auch dem oben zuerst angeführten Namen begegnet sein. Und wie schon das Feld, auf dem sich der junge Componist bereits mehrmals gezeigt, einen Beweis seines seltneren Strebens im Voraus abgibt, so hörte ich, wie man überhaupt jedes sollte, auch dieses Musikwerk mit günstigstem Vorurtheil. Die Partitur ließ mich das Gespinnst noch leichter durchblicken, um so mehr, da sie äußerst sauber von einer gebildeten Musikerhand geschrieben war.

Es weht nun durch das ganze Quartett ein heiterer und zufriedener Ton; tiefe und trübe Erfahrungen scheinen dem jungen Künstler fremd geblieben zu fein; er steht noch im Aufgang des Lebens, die Musik ist ihm eine treue Freundin; ein leichter Glanz liegt über dem Werke. Im Bau zeichnet es sich durch nichts Besonderes aus, nicht durch Kühnheit oder Neuheit; es ist aber regelrecht und anscheinend mit schon vielgeübter Hand zu Ende gebracht. Die Harmonieführung des Ganzen, wie die einzelne der Stimmen muß man vorzüglich loben; correcter, klarer und reinlicher wird selten ein fünftes Opus geschrieben. Aus der Art, wie der Componist die Saiteninstrumente behandelt, ergibt sich, daß er sie genau kennt und selbst viel gespielt hat. Lesern, denen das Werk nicht zur Hand ist, möchte ich es als der Onslowschen Quartalweise am nächsten stehend charakterisiren; einzelne Spohrsche Anklänge sind Gemeingut geworden; fremdartiger fallen einige Aubersche Gänge auf. Am meisten wollte mir, neben dem Scherzo, der erste Satz zusagen, in welchem mir nur der Rückgang in der Mitte zu weitschweifig, zu wenig interessant erscheint, auch das noch zu erwähnen, daß in der vorhergehenden Verarbeitung schon einmal die vollkommene Molltonart (E moll) berührt wird, eine Harmoniefolge, die man in den Musterwerken fast durchgängig vermieden findet. Doch sind das wenig oder gar nicht störende Einzelheiten, die bei der überwiegenden Güte des ganzen Satzes kaum in Anschlag zu bringen sind. Das Adagio wollte mir schon etwas eintönig werden, als gerade zur rechten Zeit der Componist den Hauptgesang im veränderten, aufregenden Charakter brachte; dies entschied für den Satz. Der erste Theil des Scherzos ist excellent, kunstvoll und mit Fleiß ausgearbeitet; das Trio etwas weichlicher. Der letzte Satz mochte mich am wenigsten befriedigen. Ich weiß, auch die besten Meister schließen ähnlich, ich meine in lustiger Rondoweise. Hätte ich aber ein Werk mit Kraft und Ernst angefaßt, so wünschte ich es auch im ähnlichen Sinn geschlossen und nicht mit

{124} einem Rondo, dessen Thema hier zumal stark an ein bekanntes von Auber erinnert. In der Mitte sucht der Componist durch einige fugirte Stücke zu interessiren (wo ihn strengste Theoretiker auf die falschen Eintritte des Comes aufmerksam machen würden), aber auch dieser Art der Arbeit, die sich nicht bis über die ersten Quinteneintritte hinauswagt und höchstens Dilettanten in ein gelehrtes Staunen versetzen will, hab' ich niemals große Bedeutung abgewinnen können. Hübsch bleibt der Satz demungeachtet, ja öffentlich gespielt, wird gerade er gefallen. Und so strebe der Componist fort und fort, suche sich wohl auch neue Bahnen; er hat das Seinige gelernt und wird auch auf größerem Kampfplatze mit Ehren bestehen.

Das Nächste, was wir spielten. war das oben genannte Trio von J. F. E. Sobolewski, und hier muß sich der Leser ganz auf uns verlassen, da es noch Manuseript. Daher nur das Wenige: es ließe sich viel darüber sagen. Der Componist lebt im Norden an der Meeresküste* und seine Musik zeugt davon. Das Trio ist anders als alle andern, eigen in Form und Geist, voll tiefer Melodie; es will oft gehört sein und gut gespielt. Dennoch vermag es keine Totalwirkung hervorzubringen, wie mir das Ganze auch in einer Krisis entstanden scheint, in einem Kampf zwischen alter und neuer Musikdenkweise. Auch ist der Componist auf dem Clavier nicht auf seinem Instrumente und schreibt „undankbar“ genug, wie mein Clavierist meinte. Ueber die ganze Talenthöhe des Componisten nach dem einzigen Trio abzuurtheilen, wäre voreilig, zumal es auch schon vor längerer Zeit geschrieben, seitdem er vieles Größere (so ein Oratorium „Lazarus“, Cantaten u. a.) zu Tage gefördert.** Doppelte Achtung dem Kritiker, als welcher er uns bis jetzt am öftesten begegnet, daß er auch ein Dichter ist.

Mit Freuden gingen wir alsbald an das Quintett von L. Fuchs, von dessen Compositionen wir schon am ersten Quartettmorgen kennen gelernt und bereits in der Zeitschrift berichtet. In das Detail vermag ich leider nicht einzugehen, da mir keine Partitur zur Hand und seit jenem Morgen der Aufführung bis jetzt einige Zeit verflossen, so daß nur noch der allgemeine Eindruck, die heitere Stimmung, in die es uns versetzte, geblieben ist. Man sollte kaum glauben, wie die einzige hinzukommende Bratsche die Wirkung der Saiteninstrumente, wie sie

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        * In Königsberg. 
      ** Seit dieser Zeit hat er sich namentlich als dramatischer Componist Namen gemacht. [Sch.]


{125} sich im Quartett äußert, auf einmal verändert, wie der Charakter des Quintetts ein ganz anderer ist als der des Quartetts. Die Mitteltinten haben mehr Kraft und Leben; die einzelnen Stimmen wirken mehr als Massen zusammen; hat man im Quartett vier einzelne Menschen gehört, so glaubt man jetzt eine Versammlung vor sich zu haben. Hier kann sich nun ein tüchtiger Harmoniker, als den wir den Componisten kennen, nach Herzenslust ergehen und die Stimmen in- und auseinanderwinden und zeigen, was er kann. Die Sätze sind einer wie der andere vortrefflich, das Scherzo namentlich und dann der erste Satz. Vom Einzelnen wird man überrascht, als ob man aus dem Munde eines schlichtgekleideten Bürgersmannes plötzlich einen Vers von Goethe oder Schiller hörte; man sah es meinem fortbrausenden Quintett an, wie ihm die Sache gefiel, mit der man sich allerwärts bekannt machen wolle.

Denk' ich nun freilich an die höchste Art der Musik, wie sie uns Bach und Beethoven in einzelnen Schöpfungen gegeben, sprech' ich von seltenen Seelenzuständen, die mir der Künstler offenbaren soll, verlang' ich, daß er mich mit jedem seiner Werke einen Schritt weiter führe im Geisterreich der Kunst, verlang' ich mit einem Worte poetische Tiefe und Neuheit überall, im Einzelnen wie im Ganzen: so müßte ich lange suchen, und auch keines der erwähnten, der meisten erscheinenden Werke genügten mir. Da hörten wir in den folgenden Quartett-Morgen mehreres von der Musik eines jungen Mannes, von der mir schien, sie käme zuweilen aus lebendiger Geniustiefe; doch fordert dieser Ausspruch vielfache Einschränkung, wovon, wie über die ganze Erscheinung, in einem der nächsten Blätter. {{Right|R. S.

Vierter und fünfter Quartett-Morgen.

H. Hirschbach, Quartette (in E moll, B und D) und Quintett (C moll). Manuscript.

So viel sich aus diesen mehr geheimen Musiksitzungen für die Oeffentlichkeit schickt, mag hier in Kürze folgen. Geheim nenn' ich sie, weil darin nur Manuscripte eines als Componist gänzlich unbekannten jungen Musikers, Hermann Hirschbach, gespielt wurden. Als Schriftsteller hat derselbe durch das Vordringende und Kecke seiner Ansichten, wie er sie in einigen Aufsätzen der Zeitschrift ausgesprochen,

{126} gewiß schon die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich gelenkt. Durch solche Aussprüche gereizt, mußte ich wohl das Außerordentlichste von ihm als Componisten fordern können. wenn ich mich auch gleich von vornherein auf Verstandescalculationen gefaßt machte. Nicht ohne tiefe Theilnahme gedenk' ich seiner Compositionen und möchte mich in der Erinnerung stundenlang hineinvertiefen, dem Leser davon vorzusprechen. Vielleicht auch, daß das Doppelgängerische seiner Compositionsrichtung mit meiner eigenen (die Welt kennt sie schwerlich) gerade mich für seine Musik empfänglich machten, sie mir rasch enthüllten. So viel weiß ich aber, daß es das bedeutendste Streben, das ich unter jüngeren Talenten seit lange angetroffen. Die Worte suchen’s vergeblich, wie seine Musik gestaltet ist, was alles sie schildert; seine Musik ist selbst Sprache, wie etwa die Blumen zu uns sprechen, wie sich Augen die geheimnißvollsten Märchen erzählen, wie verwandte Geister über Flächen Landes mit einander verkehren können; Seelensprache, wahrstes Musikleben. Es waren drei große Quartette und ein Quintett, die wir hörten, sämmtlich mit Stellen aus Goethes Faust überschrieben,* mehr zum Schmuck als zur Erklärung, da die Musik an sich deutlich genug, ein sehnsüchtiges Drängen war’s, ein Rufen wie nach Rettung, ein immerwährendes Fortstürzen, und dazwischen selige Gestalten, goldene Matten und rosige Abendwolken; ich möchte nicht gern zu viel sagen: aber der Componist schien mir in Augenblicken oft selbst jener Schwarzkünstler Faust, wie er uns sein Leben in schwebenden Umrissen der Phantasie vorüberführt. Außerdem sah ich von ihm eine Ouverture

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       * Die Mottos sind:
        1, zum E moll-Quartett:

„Es möchte kein Hund so länger leben!“ „Ich grüße dich, du einzige Phiole, Die ich mit Andacht nun herunterhole, In dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst.“

2, zum B dur-Quartett: „O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder! Die Thräne qnillt, die Erde hat mich wieder!“

3, zum C moll-Quintett: „Dem Taumel weih' ich mich, dem schmerzlichsten Genuß, Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß. Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist, Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen, Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen.“


{127} zu Hamlet, eine große Symphonie in vielen Sätzen, eine zweite bis in die Mitte vorgerückte, die in einem Athem hintereinander fortgehen soll, sämmtlich gleich phantastisch, lebenskräftig, in den Formen abweichend von allen bisher bekannten, wenn ich Berlioz ausnehme, mit einzelnen Orchesterstellen, wie man sie nur von Beethoven zu hören gewohnt, wenn er gegen die ganze Welt zu Felde ziehen und sie vernichten möchte. Und jetzt kommt mein „Aber“. Wie bei erster Betrachtung uns oft Bilder junger genievoller Maler durch die Großheit der Composition (auch der äußerlichen), durch Reichthum und Wahrheit des Colorits etc. völlig einnehmen, daß wir nur staunen und das einzelne Falsche, Verzeichnete etc. übersehen, so auch hier. Beim zweitenmal Anhören fingen mich schon einzelne Stellen zu quälen an, Stellen, in denen, ich will nicht sagen, gegen die ersten Regeln der Schule, sondern geradezu gegen das Gehör, gegen die natürlichen Gesetze der Harmoniefolgen gesündigt war. Dahin zähle ich nicht sowohl Quinten etc. als gewisse Ausgänge des Basses, Ausweichungen, wie mir sie oft von Weniggeübten anhören müssen. Solches wollte nun auch meinen Musikern nicht in den Kopf. Es gibt nämlich ein gewisses Herkömmlich-Meisterliches (bei Kadenzen etc.), das von der Natur anbefohlen scheint, und es gründet sich darauf ein gewisser musikalischer hausbackener Verstand, der den Musikern von Profession fast durchgängig eigen. Verstößt der junge Componist gegen diesen, und wäre er noch so geistreich, so soll er nur sehen, wie sich jene vor ihm zurückziehen, ihn gar nicht wie zu den Ihrigen gehörend betrachten. Woher nun dieser Mangel an seinem Gehör, an richtiger Harmonieführung bei übrigens so großer Begabtheit. — ob der Componist vielleicht erst spät auf sein Talent aufmerksam, zu früh der Schule entnommen worden, — ob er in seiner Gedankenfülle, im Beherrschtwerden von einer meistens sehr tiefen, sinnigen Hauptmelodie der hohen Stimme die andern nicht gleichzeitig erfindet, oder ob das Gehörorgan wirklich fehlerhaft, — ist eine eben so große Frage, als ob dem noch abzuhelfen sei. Die Welt bekommt vielleicht nichts von diesen Arbeiten zu sehen; wenigstens würde ich, aufrichtig gefragt, ihre Herausgabe nur mit Bitte mancher Aenderung, der Ausscheidung ganzer Sätze gestatten. 22 Dies sei denn dem Componisten anheim gestellt. Hier galt es nur auf ein Talent aufmerksam zu macheu, dem ich keines der neuern mir bekannten an die Seite zu setzen wüßte, dessen den tiefsten Seelenkräften entsprungene Musik mich oft im Innersten ergriffen.23 {{Right|R. S.

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Sechster Quartett-Morgen.

Léon de Saint-Lubin, Erstes großes Quintett für 2 Violinen, 2 Bratschen und Violoncell (Es dur). Werk 38. L. Cherubini, Zweites Quartett für 2 Violinen, Bratsche u. Violoncell (C dur).

Den erstgenannten Componisten halte ich auch nach seiner Musik für einen Emigrirten. für einen, der sein Vaterland, sei’s nun freiwillig oder gezwungen, verlassen, sich ein neues Vaterland gesucht und von dessen Sitten und Sprache angenommen. Sein Quintett ist ein Gemisch von französischem und deutschem Geblüt, nicht unähnlich der Muse Meyerbeers, der freilich von allen europäischen Nationen borgt zu seinem Kunstwerke, von dem man gar nicht wissen kann, was er alles mitbringt, wenn er, ähnlich wie Ritter Spontini Compositions-Kunstreisen nach England, dergleichen etwa zu den Buschmännern unternimmt, sich zu neuen Schöpfungen zu begeistern und Andere durch selbige. Ich aber lobe mir meine Muttersprache, rein gesprochen, jeden Ausdrucks fähig, kräftig und klangvoll, wenn ich deshalb auch den eingewanderten Ausländer, wie St. Lubin, nicht schelten mag, der ihrer noch nicht vollkommen mächtig, und im Gegentheil schon sein Streben ehre. Von einem erhebenden Totaleindruck hinterließ somit das Quintett nichts; man wurde hin- und hergezogen, konnte nirgends Fuß fassen. Am meisten auffallend zeigt sich der Mangel an Originalerfindung; was uns inniger ergreifen soll, scheint mir entlehnt oder läßt sich wenigstens auf Vorbilder zurückführen; und wo der Componist sich selbst gibt, wird er vag und allgemein. So ist gleich der Anfang im Grund der der G moll-Symphonie von Mozart; so liegt dem ersten Thema des letzten Satzes ein Rossinischer Gedanke (aus Tell), so dem zweiten ein Beethovenscher (aus der A dur-Symphonie) zum Grunde. Im Scherzo wüßte ich keine Quelle nachzuweisen; es ist aber auch nicht bedeutend. Im Adagio wurde mir aber am meisten klar, woran es dem Componisten gebricht; hier, wo der Meister den Vorratth und Reichthum inneren Lebens am ersten aufdecken kann, sah es traurig still aus. Andererseits bekundet das Qnintett eine leichte schnelle Feder, Formensinn und Harmonieenkenntniß. Immerhin war mir, nachdem ich es gehört, zu Muthe, als sollt' ich ausrufen: „Musik, Musik, gebt mir Musik!“


{129} Das nächste Musikstück traf uns somit in etwas erkälteter Stimmung; aber als von der Hand Cherubinis umstrickte es uns, daß wir schnell des vorhergegangenen vergaßen. Es scheint mir dies zweite Quartett lange vor dem ersten derselben Sammlung geschrieben und vielleicht gar die Symphonie, die, wenn ich nicht irre, bei ihrer ersten Aufführung in Wien so wenig gefiel, daß sie Cherubini nicht veröffentlichte und sie später in ein Quartett umgewandelt haben soll. So ist denn vielleicht der umgekehrte Fehler entstanden: klang die Musik nämlich als Symphonie zu quartettartig, so klingt sie als Quartett zu symphonistisch, wie ich denn aller solcher Umschmelzung abhold bin, was mir wie ein Vergehen gegen die göttliche erste Eingebung vorkommt. Den früheren Ursprung möcht' ich am Unverzierteren erkennen, das Cherubinis ältere Compositionen vor seinen neueren auszeichnet. Freilich bin ich geschlagen, träte der Meister selbst heran und sagte: „Du irrst, Freund: beide Quartette sind zur nämlichen Zeit geschrieben und ursprünglich nichts Anderes als Quartette.“ Und so kann, was ich bemerkt, nur Vermuthung bleiben und soll Andere zum Ueberdenken anreizen.24 Im Uebrigen erhebt sich auch diese Arbeit hoch genug über die Zahl der Tageserscheinungen, über alles, was uns von Paris aus zugeschickt wird, und Einer, der nicht lange Jahre hintereinander geschrieben, gelernt und gedacht, wird so etwas auch nie zu Stande bringen können. Einzelne trocknere Tactreihen, Stellen, wo nur der Verstand gearbeitet, finden sich wie in den meisten Werken Cherubinis so auch hier, selbst aber auch dann noch etwas Interessantes, sei’s im Satz, eine contrapunctische Feinheit, eine Nachahmung; etwas, was zu denken gibt. Meisten Schwung und meisterliches Leben tragen wohl das Scherzo und der letzte Satz in sich. Das Adagio hat einen höchst eigenthümlichen A moll-Charakter, etwas Romanzenartiges, Provencalisches; bei öfterem Anhören erschließt es sich mehr und mehr in seinen Reizen: der Schluß davon ist der Art, daß man wieder wie von Neuem aufzuhorchen anfängt und doch das Ende nahe weiß. Im ersten Satz treffen wir Anklänge an Beethovens B dur-Symphonie, eine Nachahmung zwischen Bratsche und Violine, wie in jener Symphonie eine zwischen Fagott und Clarinette, und bei dem Haupt-Rückgang in der Mitte dieselbe Figur, wie an demselben Ort in dem nämlichen Satz der Symphonie von Beethoven. Im Charakter sind die Sätze aber so verschieden, daß die Aehnlichkeit nur Wenigen auffallen wird.

Zum Schluß dieses Musik-Morgens machten wir uns an ein im

{130} Manuskript zugeschicktes Quartett. Die erst ernsthaften Gesichter nahmen nach und nach einen Ausdruck von Ironie an, bis endlich alles in ein fortwährendes Kichern gerieth und sämmtliche Musiker mit springenden Bogen zu spielen schienen. Ein Goliath von einem Philister starrte uns an aus dem Quartett. Wir wüßten dem Componisten, der übrigens sein Werk nach Kräften ausstafftrt, nichts zu rathen und danken schließlich für den guten Humor, in den er die Gesellschaft versetzt. {{Right|R. S.

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Phantasien, Capricen etc. für Pianoforte.

Dritte Reihe.

I. Fr. Kittl, sechs Idyllen. Werk 2.

Idylle ist hier im weiteren Sinne als Kleinbild zu nehmen; das Pastorale tritt nur in den letzteren einigermaßen hervor. Am meisten hat sich der Componist selbst geschadet, durch seine Ueberschriften nämlich, die auf poetische Zustände vorbereiten (Trost im Scheiden; An der Grenze der Heimath etc.), aber das Talent ist hier offenbar hinter der Absicht zurückgeblieben. Etwas Prosaischeres kann es nicht leicht geben, wenn deshalb auch das Streben nach Charakteristik nicht verkannt werden soll. Vielleicht daß der Componist auf dem Clavier nicht auf seinem rechten Felde, daß er mehr in der Kirche, auf der Orgel zu Hause ist, zu welchem Ausspruch mich auch die fast ängstliche Correctheit und Einfachheit veranlaßt, wogegen mir Czerny ein Lord Byron an Kühnheit erscheinen könnte. Quinten und Octaven sucht man also in den Idyllen vergeblich, aber freilich auch nicht, was jene Fehlerlosigkeit vergessen macht:Schwung, Leben, Gesangleben.

'Joseph Graf von Wielhorsky', Drei Notturnos.  Werk 2.

Den Chopinschen wie aus den Augen geschnitten, aber wohlthuend zart und voll anmuthiger. oft sehr edler Melodie. Ich wüßte keinen Edelmann, der bessere, aber manchen Mann von Fach, der keine ähnlichen schreiben könnte. Das Talent scheint offenbar, wenn auch kein hocheigenthümliches, das sich in so streng gezogener Form freilich


{131} auch gar nicht zeigen konnte; aber der Componist versuche sich zur Probe auch in einer weniger sentimentalen Gattung, wo die Phantasie mehr ausgreifen kann, und es wird ihm glücken, da ihm die vorzügliche Kenntniß seines Instrumentes ohnehin zu statten kommt. Im ersten und letzten der Notturnos sind, nach Vorgang mancher Chopinschen, bewegtere Mittelsätze eingeflochten, die, oft schon bei Chopin schwächer als seine ersten Erfindungen, auch hier mehr aufhalten als fortheben; es ist, als würden die schönen ruhigen Wasserkringel, denen wir mit Vergnügen nachgesehen, plötzlich unterbrochen, daß sie der Blick nicht mehr festhalten kann; daher auch das zweite Notturno, das in gleicher Bewegung bis zum Schluß fortgeht, die meiste Wirkung machen wird, wenigstens auf mich gemacht hat. Im ersten fällt die große Aehnlichkcit der Melodie mit einem Weberschen Motiv (in der Jubelouverture) auf. Das letzte hat einige sehr zarte Wendungen und einen äußerst graziösen Schluß, wie ihn irgend Chopin hinzuhauchen versteht. Dessen sonstige Kräuseleien und Säufeleien übrigens nicht nachzumachen, thut der Componist wohl; Chopin bezaubert damit, an Andern sind sie nicht auszustehen.

* C. F. Richter, Scherzo. Werk 6.

Eine Copie nach Mendelssohn, also nach gutem Muster gearbeitet und wohl gerathen. In der Form hätte der Componist bei einiger Aendernng etwas Eigenes bringen können, wenn er nämlich den Mittelgesang, der freilich auch durchaus Mendelssohnsch, vor der Hauptwiederholung des Anfangs, aber in Cis moll oder E dur gebracht hätte, so daß Anfang und Ende des flüchtigen Scherzos die sanfte Cantilene wie in der Mitte eingeschlossen hielten. Doch es ist auch wie es dasteht nicht ungeschickt und unsymmetrisch und das Ganze hat einen leichten natürlichen Fluß. Das Stück, so klein es ist, läßt auf ein glückliches Talent schließen, das mit der Zeit, durch Studium und Selbstkritik sich vielleicht auch selbständigen Weg brechen wird.

'Julie Baroni-Cavalcabò, Dritte Caprice.  Werk 18.

“ “ “ Phantasie. Werk 19.

Einige Vorliebe für Thalbergsche Form und Bellinische Melodieenweise abgerechnet, zeichnen sich auch diese Stücke, wie alles aus der Feder der Componistin, durch viele gut musikalische Züge aus. Der weibliche Charakter verleugnet sich dabei nirgends. Eine gewisse,


{132} aber nicht ermüdende Gesprächigkeit, ein offenes Darlegen aller ihrer Gedanken, ein Nicht-fertig-werden-können mit allem, was sie auf dem Herzen hat, sind Zeugen davon. Am erfreulichsten fällt auf, daß die Componistin, wo sie sich in gefährlichere Harmoniegänge verliert, nicht zurückweicht und Angst vor dem Ausgang bekommt, sondern sicher fortschreitet und vollendet. Eine helfende Hand spür' ich in keinem der Stücke; es scheint alles Arbeit und Eigenthum der Componistin, bis auf die kleinen Mängel der Orthographie. Die Verfasserin, früher in Weinberg und Schülerin von Mozarts Sohn, lebt jetzt in Wien. {{Right|R. S.

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Compositionen von Leopold Schefer.

Der Dichter des „Laienbreviers“, so vieler phantastischen Novellengebilde, erscheint heute zum erstenmal in diesen Blättern, und nicht wie ein bittender Dilettant etwa mit einem Hefte Lieder, sondern wie der Besten einer, gleich mit Werken der strengsten Kunstgattung. Es sind dies eine große Sonate für Pianoforte zu vier Händen [Werk 30] und ein Vaterunser [Werk 27], als Doppelcanon für vier Chöre bearbeitet. Der Dichter nennt sich selbst in einem vertrauten Schreiben einen Schüler Salieris („von dem er wisse, was er wisse“) und weiter hinauf einen Glucks. Daß letzterer sein Liebling, würde ich aus der Sonate errathen haben, und hätte jener für das Clavier geschrieben, so und nicht anders müßte das klingen und wirken. Es ist eine Kraft und ein Kern der Harmonie, im Charakter eine Zucht und Ehrbarkeit, wie man sie irgend an den besten Meistern des vorigen Jahrhunderts kennt, dagegen wir freilich, von der Zeit und ihrem mächtigen Genius Beethoven fortgehoben, jetzt größere Ansprüche an die Sonate machen; ja es scheint, als wäre Beethoven dem Dichter, als er die Sonate schrieb, noch verhüllt gewesen; nur im letzten Satze bricht plötzlich und zum Verwundern ein romantischer Streif in die freundliche Gemüthlichkeit, etwa wie ein Wolkenschatten in ein ruhendes, vom Monde beleuchtetes Dorf. Man wird die Stelle im Augenblick herausfinden. Der Satz ist übrigens der kraft- und schwungreichste. Im Adagio trifft man mehr Mozartschen Geist; Charakter, Melodie und Begleitungsformen, alles weist darauf hin; einige seltenere


{133} Tacte heben sich auch hier hervor. Ebenso tüchtig und als Kunstaufgabe von Bedeutung ist das „Vaterunser“. Man könnte es, glaub' ich, auch einem guten Musikkopf für ein Kirchenstück aus der blühendsten Zeit der alten italiäner ausgeben, es müßte jenen denn das Wohllautendere und Anmuthigere des Satzes stutzig machen. Die beiden Canons durchspinnen sich darin so leicht, natürlich und schön, daß man die Kunst kaum heraushört, und dann ist es das Wahre. Auch in der Idee mag das Stück ausgezeichnet werden; es scheint mir nicht undichterisch, die Massen sich in solcher Weise dem Höchsten zuwenden zu hören; auch ist unser Gebet wohl auf diese Weise noch nirgends aufgefaßt. Das Ganze mag leise gehalten, dabei aber das wohlbedachte „con anima“ zu Anfang des Chors nicht außer Acht gelassen werden. Die Stimmen sind meisterlich strenge geführt, wenn ich anders genau sah, sogar bis auf den Unterschied der großen und kleinen Stufen. Es wäre nicht allein im Interesse für einen so seltenen Gast und aus Pietät gegen ein bekränztes Dichterhaupt, als auch zur wahren Erbauung, daß das Vaterunser bei einem deutschen großen Musikfeste zur Aufführung käme, da es ohnehin seiner Leichtigkeit, Sangbarkeit und Kürze halber ohne große Proben vollkommen hinzustellen ist. Auf Seite 5, Syst. 2, Tact 1 steht im Baß f statt as; es ist wohl nichts leichter, als in einem Canon einen Druckfehler zu finden. Nun staune man noch, zu vernehmen, daß derselbe geehrte Mann auch zwölf große Symphonieen für Orchester geschrieben hat und der Oeffentlichkeit zu übergeben beabsichtigt. Der erste großartige Satz einer von ihnen liegt im Clavierauszug vor mir. Gerade hier im Orchester scheint er in seinem Element. Gesunde Harmonik, deutsche Männlichkeit uud Tüchtigkeit in Ausdruck und Gesinnung herrschen auch hier vor. {{Right|R. Schumann.

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Traumbild am 9. September Abends.

Concert von C. W.25

Von Oben gekommen ein Engelskind {{Right|Am Flügel sitzt und auf Lieder sinnt, {{Right|Und wie es in die Tasten greift, {{Right|Im Zauberringe vorüber schweift

{134} {{Right|Gestalt an Gestalt {{Right|Und Bild nach Bild. {{Right|Erlkönig alt {{Right|Und Mignon mild. {{Right|Und trotziger Ritter {{Right|Im Wassenflitter. {{Right|Und knieende Nonne {{Right|In Andachtwonne.

Die Menschen, die’s hörten, die haben getobt. Als wär’s eine Sängerin hochgelobt; Das Engelskind aber unverweilt Zurück in seine Heimath eilt. {{Right|F. u. E.

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Für Pianoforte.
  				F. Chopin,26 Impromptu (As dur).  Werk 29.
 				 „      „              4 Masureks.  Werk 30
  		                     „      „              Scherzo (B moll). Werk 31.

Chopin kann schon gar nichts mehr schreiben, wo man nicht im siebenten, achten Tacte ausrufen müßte: „das ist von ihm!“ Man hat das Manier genannt und gesagt, er schreite nicht vorwärts.27 Aber man sollte dankbarer sein. Ist es denn nicht dieselbe originelle Kraft, die euch schon aus seinen ersten Werken so wunderbar entgegenleuchtet, im ersten Augenblick euch verwirrt gemacht, später euch entzückt hat? Und wenn er euch eine Reihe der seltensten Schöpfungen gegeben, und ihr ihn leichter versteht, verlangt ihr ihn auf einmal anders? Das hieße einen Baum umhacken, weil er euch jährlich dieselben Früchte wiederbringt. Es sind aber bei ihm nicht einmal dieselben, der Stamm wohl der nämliche, die Früchte aber in Geschmack und Wuchs die verschiedenartigsten. So wüßte ich obigem Impromptu, so wenig es im ganzen Umkreis seiner Werke zu bedeuten hat, kaum eine andere Chopinsche Composition zu vergleichen; es ist wiederum so fein in der Form, eine Cantilene zu Anfang und Ende von reizendem Figurenwerk eingeschlossen, so ein eigentliches Impromptu, nichts mehr und


{135} nichts weniger, daß ihm nichts Anderes seiner Composition an die Seite zu stellen. Das Scherzo erinnert in seinem leidenschaftlichen Charakter schon mehr an seinen Vorgänger immerhin bleibt es ein höchst fesselndes Stück, nicht uneben einem Lord Byronschen Gedicht zu vergleichen, so zart, so keck, so liebe- wie verachtungsvoll. Für Alle paßt das freilich nicht. Die Masurek hat Chopin gleichfalls zur kleinen Kunstform emporgehoben; so viele er geschrieben, so gleichen sich nur wenige. Irgend einen poetischen Zug, etwas Neues in der Form oder im Ausdruck hat fast jede. So ist es in der zweiten der obengenannten das Streben der H-moll-Tonart nach Fis moll, wie sie denn auch (man merkt es kaum) in Fis schließt; in der dritten das Schwanken der Tonarten zwischen weicher und harter, bis endlich die große Terz gewinnt; so in der letzten, die jedoch eine matte Strophe (auf S. 13) hat, der plötzliche Schluß mit den Quinten, über die die deutschen Cantoren die Hände über die Köpfe zusammenschlagen werden. Eine Bemerkung beiläufig: die verschiedenen Zeitalter hören auch verschieden. In den besten Kirchenwerken der alten italiäner findet man Quintenfortschreitungen, sie müssen ihnen also nicht schlecht geklungen haben. Bei Bach und Händel kommen ebenfalls welche vor, doch in gebrochener Weise und überhaupt selten; die große Kunst der Stimmenverflechtung mied alle Parallelgänge. In der Mozartschen Periode verschwinden sie gänzlich. Nun trabten die großen Theoretiker hinterher und verboten sie bei Todesstrafe, bis wieder Beethoven auftrat und die schönsten Quinten einfließen ließ, namentlich in chromatischer Folge. Nun soll natürlich so ein chromatischer Quintengang, wird er etwa zwanzig Tacte lang fortgesetzt, nicht als etwas Treffliches sondern als etwas äußerst Schlechtes ausgezeichnet werden, gleichfalls soll man dergleichen aber auch nicht einzeln aus dem Ganzen herausheben, sondern in Bezug zum Vorhergehenden, im Zusammenhang hören.*

'F. Schubert', Vier Impromptus.  Werk 142

Er hätte es noch erleben können, wie man ihn jetzt feiert; es hätte ihn zum Höchsten begeistern müssen. Nun er schon lange ruht,

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       * Als Beleg dafür war noch der Schluß der Cis moll-Mazurka (mit der bekannten Quintenkette) abgedruckt uud hinzugefügt: „Und so seid mir gegrüßt, liebe Quinten! Dem Schüler streichen wir weg, was schülerhaft; dem schwärmerischen Jüngling hören wir gern zu und vom Meister lassen wir uns gar alles gefallen, was schön klingt und singt.“28


{136} wollen wir sorgsam sammeln und aufzeichnen, was er uns hinterlassen; es ist nichts darunter, was nicht von seinem Geist zeugte, nur wenigen Werken ist das Siegel ihres Verfassers so klar aufgedrückt als den seinigen. So flüstert es denn in den zwei ersten Impromptus auf allen Seiten „Franz Schubert“; wie wir ihn kennen in seiner unerschöpflichen Laune, wie er uns reizt und täuscht und wieder fesselt, finden wir ihn wieder. Doch glaub' ich kaum, daß Schubert diese Sätze wirklich „Impromptus“ überschrieben; der erste ist so offenbar der erste Satz einer Sonate, so vollkommen ausgeführt und abgeschlossen, daß gar kein Zweifel aufkommen kann. Das zweite Impromptu halte ich für den zweiten Satz derselben Sonate; in Tonart und Charakter schließt es sich dem ersten knapp an. Wo die Schlußsätze hingekommen, ob Schubert die Sonate vollendet oder nicht, müßten seine Freunde wissen; man konnte vielleicht das vierte Impromptu als das Finale betrachten, doch spricht, wenn auch die Tonart dafür, die Flüchtigkeit in der ganzen Anlage beinahe dagegen. Es sind dies also Vermuthungen, die nur eine Einsicht in die Originalmanuscripte aufklären könnte. Für gering halte ich sie nicht; es kommt zwar wenig auf Titel und Ueberschriften an; andererseits ist aber eine Sonatenarbeit eine so schöne Zier im Werkkranz eines Componisten, daß ich Schubert gern zu seinen vielen noch eine andichten möchte, ja zwanzig. Was das dritte Impromptu anlangt, so hätte ich es kaum für eine Schubertsche Arbeit, höchstens für eine aus seiner Knabenzeit gehalten; es sind wenig oder gar nicht ausgezeichnete Variationen über ein ähnliches* Thema. Erfindung und Phantasie fehlen ihnen gänzlich, worin sich Schubert gerade auch im Variationsgenre an andern Orten so schöpferisch gezeigt. So spiele man denn die zwei ersten Impromptus hinter einander, schließe ihnen, um lebhaft zu enden, das vierte an, und man hat, wenn auch keine vollständige Sonate, so eine schöne Erinnerung an ihn mehr. Kennt man seine Weise schon, so bedarf es fast nur einmaligen Durchspielens, sie vollkommen inne zu haben. Im ersten Satz ist es der leichte phantastische Zierat zwischen den melodischen Ruhestellen, was uns in Schlummer wiegen möchte; das Ganze ist in einer leidenden Stunde geschaffen, wie im Nachdenken an Vergangenes. Der zweite Satz hat einen mehr beschaulichen Charakter, in der Art, wie es viel von Schubert gibt; anders der dritte (das vierte Impromptu), schmollend, aber leise und gut:

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      * [Vorlage:] ärmliches (?)


{137} man kann es kaum vergreifen; Beethovens „Wuth über den verlornen Groschen“, ein sehr lächerliches, wenig bekanntes Stück, fiel mir manchmal dabei ein.

Es ist hier auch passende Gelegenheit, der von Franz Liszt für Clavier bearbeiteten Franz Schubertschen Lieder zu erwähnen, die viele Theilnahme im Publicum gefunden. Von Liszt vorgetragen, sollen sie von großer Wirkung sein, andere als Meisterhände werden sich vergeblich mit ihnen bemühen; sie sind vielleicht das Schwerste, was für Clavier existirt, und ein Witziger meinte, „man möchte doch eine erleichterte Ausgabe derselben veranstalten, wo er nur neugierig, was dann herauskäme, und ob wieder das echte Schubertsche Lied?“ Manchmal nicht: Liszt hat verändert und zugethan; wie er es gemacht, zeugt von der gewaltigen Art seines Spiels, seiner Auffassung: Andere werden wieder anders meinen. Es läuft auf die alte Frage hinaus, ob sich der darstellende Künstler über den schaffenden stellen, ob er dessen Werke nach Willkür für sich umgestalten dürfe. Die Antwort ist leicht: einen Läppischen lachen wir aus, wenn er es schlecht macht, einem Geistreichen gestatten wir’s, wenn er den Sinn des Originals nicht etwa geradezu zerstört.* In der Schule des Clavierspiels bezeichnet diese Art der Bearbeitung ein besonderes Capitel. {{Right|R. S.

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Berlioz.

Berlioz thut sehr Unrecht, so wenig von seinen Compositionen in Druck zu geben, oder sich nicht einmal zu einer Reise nach Deutschland entschließen zu können.** Hat er auch das Unglück, noch zuweilen mit Bériot verwechselt zu werden, mit dem er doch so wenig Aehnlichkeit hat wie Mockturtlesuppe mit Limonade, — so weiß man dennoch hier und da Genaueres über ihn, und Paganini ist nicht sein einziger Bewunderer, obwohl gewiß nicht der schlechteste. Die „Neue Zeitschrift für Musik“ war die erste, die wiederholt auf ihn aufmerksam machte,

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       * Hier ist gestrichen: „Und davon kann bei einem Musiker wie Liszt keine Rede sein.“ — Spätere Lieder-Uebertragungen desselben gefielen Schumann übrigens nicht; seine eigenen Lieder wünschte er wenigstens „ohne Pfeffer und Zuthat à la Liszt“. (Brief an Reinecke v. 30. Juni 1848.)
      ** Er hat beides indeß gethan. [Sch. 1852.] 29

{138} Leipzig die erste Stadt, wo eine Composition von ihm zur Aufführung kam. Es war die Ouverture zu den Francs-Juges eine Jugendarbeit mit allen jenen Fehlern, die im Gefolge eines kühnen Werkes sind. Die Ouverture wurde dann auch in andern Städten, wie Weimar, Bremen, irr' ich nicht, auch in Berlin gegeben. In Wien lacht man darüber. Wien ist aber auch die Stadt, — wo Beethoven lebte, und es gibt wohl keinen Ort auf der Welt, wo so wenig von Beethoven gespielt und gesprochen würde als in Wien. Man fürchtet sich dort vor allem Neuen, was über den alteu Schlendrian hinausgeht, man will dort auch in der Musik keine Revolution.30 {{Right|Fl.

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 				1839.


{141}

Zum neuen Jahr 1839.

So lägen denn neun Bände vor uns und in ihnen ein getreues Bild menschlichen Strebens überhaupt. Wie ein junger Staat hat eine junge Zeitschrift ihre Schwankungen, wie jener sich einen Grund aufzubauen, Gegner zu überwinden, Freunde zu gewinnen, sich nach innen und außen zu befestigen. Meist jüngere Musiker waren es, die sich im Anfang verbunden hatten, jeder mit Sitz und Stimme, mit gleichem Antheil. Man blättere in dem ersten Bande der Zeitschrift nach, das fröhliche, kräftige Leben darin wird noch jetzt Antheil erwecken; auch Versehen kamen vor, wie sie ja im Gefolge aller jugendlichen Unternehmungen. Jeder steuerte eben bei, was er hatte. Der Stoff schien damals endlos; man war sich eines edlen Strebens bewußt, wer nicht mitwollte, wurde mit fortgerissen; neue Götterbilder sollten aufgestellt, ausländische Götzen niedergerissen werden; man arbeitete Tag und Nacht. Es war das Ideal einer großen Künstlerbrüderschaft zur Verherrlichung deutscher tiefsinniger Kunst, das wohl Jedem als das herrlichste Ziel seines Strebens vorleuchten mochte. Und wie denn die Zeitschrift überhaupt zu günstiger Stunde unter günstigen Umständen unternommen wurde, einmal weil man des Schneckenganges der alten musikalischen Kritik überdrüssig war und weil wirklich neue Erscheinungen am Kunsthimmel aufstiegen, dann weil die Zeitschrift im Schooß von Deutschland, in einer von jeher berühmten Musikstadt entsprang und der Zufall gerade mehrere junge gleichgesinnt Künstler vereinigt hielt, so griff das Blatt auch rasch um sich und verbreitete sich nach allen Gegenden hin. Aber wie so oft, wo die Menschen noch so fest zusammenhalten und unzertrennlich scheinen, trennt sie auf einmal das plötzlich hervortretende Schicksal.


{142} Selbst der Tod forderte ein Opfer; in Ludwig Schunke starb uns einer der theuersten und feurigsten Genossen. Andere Umstände machten die ersten Bande noch lockerer. Das schöne Gebände schwankte. Die Redaction kam damals* in die Hände eines Einzigen, er gesteht es, gegen seinen Lebensplan, der zunächst auf Ausbildung eigener Kunstanlage ausging. Aber die Verhältnisse drängten, die Existenz der Zeitschrift stand auf dem Spiele. Acht Bände haben sich seitdem gefolgt; wir hoffen, es ist eine Tendenz in ihnen sichtbar worden. Mögen sich im Vordergrunde verschiedene Ansichten herumtummeln, die Erhebung deutschen Sinnes durch deutsche Kunst, geschah sie nun durch Hinweisung auf ältere große Muster oder durch Bevorzugung jüngerer Talente, — jene Erhebung mag noch jetzt als das Ziel unserer Bestrebungen angesehen werden. Den rothen Faden, der diesen Gedanken fortspinnt, könnte man allenfalls in der Geschichte der Davidsbündler verfolgen, eines wenn auch nur phantastisch auftretenden Bundes, dessen Mitglieder weniger durch äußere Abzeichen als durch eine innere Aehnlichkeit sich erkennen lassen. Einen Damm, gegen die Mittelmäßigkeit aufzuwerfen, durch das Wort wie durch die That, werden sie auch künftighin trachten. Geschah dies früher oft auf ungestümere Art, so wolle man dagegen die warme Begeisterung in die Schale legen, mit der das Echt-Talentvolle, Echt-Künstlerische an jeder Stelle ausgezeichnet wurde. Wir schreiben ja nicht, die Kaufleute reich zu machen, wir schreiben, den Künstler zu ehren. Wie dem sei, die in den letzten Iahren noch immer wachsende Verbreitung der Zeitschrift ist nur ein Beweis, daß sie in ihrer Strenge gegen ausländisches Machwerk, in ihrem Wohlwollen gegen die höher strebenden der jüngern Künstler, wie in ihrem Enthusiasmus für alles, was uns die Vorzeit an Meisterlichem überliefert, die Gesinnung Vieler ausspricht, und daß sie sich ein Publicum gebildet hat. Diesen alten Grundsätzen getreu treten wir am heutigen Festtage, wenn nicht in das zehnte Jahr, so doch in den zehnten Band oder in das sechste Jahr unserer Existenz, für das herkömmlich kurz zugemessene Alter einer Zeitschrift schon immer einer silbernen Jubelfeier vergleichbar, wo man sich des Ueberstandenen gemüthlich erinnert, dem Bevorstehenden muthig entgegensieht. Mit einigem Schmerz füge ich hinzu, daß ich meine Grüße zu diesem Fest zum erstenmal aus weiter Ferne einsenden muß, aus Österreichs prächtiger Hauptstadt, deren freundliche Bewohner

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       * Januar 1835.


{143} wohl auch noch länger zu fesseln vermöchten.31 Sorgsamen Freundeshänden anvertraut, geht die Zeitschrift indeß ihren ungestörten Gang. Hier aber, unter großen Mahnungen, wo uns die Schatten der größten deutschen Meister umschweben, möchte noch mancher Gedanke nicht unwerth einer Aussprache hier vor Allem aufkeimen. Eine Zeit herauf zu beschwören, die jener vergangenen an Thatkräftigkeit gleichkäme, vermögen blose Worte nicht, und die Zeiten sind auch andere geworden und verlangen Anderes, Den Künstler aber manchmal bescheiden an jene Meister zu erinnern, mag unverwehrt bleiben, und kommen wir ihnen nicht an Kräften gleich, so wollen wir ihnen wenigstens nicht im Streben nachstehen. Und somit sei Allen ein glückliches neues Jahr zugerufen! {{Right|R. S.

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Concerte für Pianoforte.

I. Moscheles, Siebentes (pathetisches) Concert (C moll). Werk 93. {{Right|F. Mendelssohn Bartholdy, Zweites Concert (D moll). Werk 40.

Die Claviermusik bildet in der neueren Geschichte der Musik einen wichtigen Abschnitt; in ihr zeigte sich am ersten das Aufdämmern eines neuen Musikgenius. Die bedeutendsten Talente der Gegenwart sind Klavierspieler; eine Bemerkung, die man auch an älteren Epochen gemacht. Bach und Händel, Mozart und Beethoven waren am Clavier aufgewachsen, und ähnlich den Bildhauern, die ihre Statuen erst im Kleinen, in weicherer Masse modelliren, mögen sich jene öfters auf dem Clavier skizzirt haben, was sie dann im Größeren, mit Orchester-Masse ausarbeiteten. Das Instrument selbst hat sich seitdem in hohem Grade vervollkommnet. Mit der immer fortschreitenden Mechanik des Clavierspiels, mit dem kühneren Aufschwung, den die Composition durch Beethoven nahm, wuchs auch das Instrument an Umfang und Bedeutung, und kommt es noch dahin (wie ich glaube), daß man an ihm, wie bei der Orgel, ein Pedal in Anwendung bringt, so entstehen dem Componisten neue Aussichten,* und sich immer mehr vom

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      * Von der Verbindung des Orgelpedals mit dem Clavier versprach Schumann sich viel: er erwarb in den vierziger Jahren selbst einen Pedalflügel und componirte mehreres dafür. Allgemeinen Eingang haben die Instrumente bisher nicht gefunden.

{144} unterstützenden Orchester losmachend, wird er sich dann noch reicher, vollstimmiger und selbständiger zu bewegen wissen. Diese Trennung von dem Orchester sehen wir schon seit länger vorbereitet: der Symphonie zum Trotz will das neuere Clavierspiel nur durch seine eigenen Mittel herrschen, und hierin mag der Grund zu suchen sein, warum die letzte Zeit so wenig Clavierconcerte, überhaupt wenig Originalcompositionen mit Begleitung hervorgebracht. Die Zeitschrift hat seit ihrem Entstehen so ziemlich von allen Clavierconcerten berichtet; es mögen auf die vergangenen Jahre kaum 16 bis 17 kommen, eine kleine Zahl im Vergleich zu früher. So sehr verändern sich die Zeiten, und was sonst als eine Bereicherung der Instrumentalformen, als eine wichtige Erfindung angesehen wurde, gibt man neuerdings freiwillig auf. Sicherlich müßte man es einen Verlust heißen, käme das Clavicrconcert mit Orchester ganz außer Brauch; andererseits können wir den Clavierspielern kaum widersprechen, wenn sie sagen: „wir haben Anderer Beihülfe nicht nöthig, unser Instrument wirkt allein am vollständigsten“. Und so müssen wir getrost den Genius abwarten, der uns in neuer glänzender Weise zeigt, wie das Orchester mit dem Clavier zu verbinden sei, daß der am Clavier Herrschende den Reichthum seines Instruments und seiner Kunst entfalten könne, während das Orchester dabei mehr als das blose Zusehen habe und mit seinen mannigfaltigen Charakteren die Scene kunstvoller durchwebe. Eines aber könnten wir billig von den jüngeren Componisten verlangen: daß sie uns als Ersatz für jene ernste und würdige Concertform ernste und würdige Solostücke gäben, keine Capricen, keine Variationen, sondern schön abgeschlossene charaktervolle Allegrosätze, die man allenfalls zur Eröffnung eines Concertcs spielen könnte. Bis dahin werden wir aber noch oft nach jenen älteren Compositionen greifen müssen, die ein Concert in kunstwürdigster Weise zu eröffnen, des Künstlers Gediegenheit am sichersten zu erproben geeignet sind: nach jenen trefflichen von Mozart und Beethoven, oder will man einmal im ausgewählteren Kreise eines noch zu wenig gewürdigten großen Mannes Antlitz zeigen, nach einem von Sebastian Bach, oder will man endlich Neues zu Gehör bringen, nach jenen, in welchen die alte Spur, namentlich die Beethovensche, mit Glück und Geschick weiter verfolgt ist. Unter die letzteren zählen wir mit der gehörigen Einschränkung zwei unlängst erschienene Concerte von I. Moscheles und F. Mendelssohn Bartholdy. Von beiden Künstlern war in der Zeitschrift so oft die Rede, daß wir uns kurz fassen können.


{145} In Moscheles haben wir das seltnere Beispiel eines Musikers, der, obschon in älteren Jahren und noch jetzt unablässig mit dem Studium alter Meister beschäftigt, auch den Gang der neueren Erscheinungen beobachtet und von ihren Fortschritten benutzt hat. Wie er nun jene Einflüsse mit der ihm angebornen Eigenthümlichkeit beherrscht, so entsteht aus solcher Mischung von Altem, Neuem und Eigenem ein Werk, eben wie es das neuste Concert ist, klar und scharf in den Formen, im Charakter dem Romantischen sich nähernd, und wiederum originell, wie man den Componisten kennt. Daß wir nicht zu fein spalten — das Concert verräth überall seinen Meister; aber alles hat seine Blüthe, und der einst das G moll-Concert schrieb, der ist er nicht mehr, wohl aber immer der fleißige, treffliche Künstler, der keine Mühe scheut, sein Werk den besten gleich zu machen. Auf Popularität verzichtet er diesmal gleich von vornherein; das Concert heißt pathetisch und ist es; was kümmern sich unter 100 Virtuosen 99 darum! Das Abweichende in der Form von andern und Moscheles' eigenen früheren Concerten wird Jedem im Augenblick auffallen. Der erste Satz schreitet rasch vorwärts, die Tutti sind kürzer als gewöhnlich, das Orchester greift überall mit ein; der zweite mit seinen langsameren Zwischenspielen scheint mir mühsamer gefunden, er leitet den letzten ein, der den pathetischen Charakter des ersten in leidenschaftlicherer Bewegung wieder aufnimmt. Mechanisch schwierig möchten wir das Concert im Vergleich zu andern neuen nicht nennen: das Figurenwerk ist sorgfältig ausgewählt, aber auch von mäßigen Spielern nach einigem Studium zu bewältigen; zusammen mit dem Orchester erfordert es aber von beiden Zeiten größte Aufmerksamkeit, genaue Kenntniß der Partitur, und so vorgetragen wird es in seiner kunstvollen Gedankenverwebung in hohem Grade interessiren, wie wir uns mit Freuden daran erinnern, als Moscheles es in Leipzig spielte.

Einen besonderen Dank votiren wir neueren Concertschreibern, daß sie uns zum Schluß nicht mehr mit Trillern, namentlich mit Octavspringern langweilen. Die alte Cadenz, in die die alten Virtuosen an Bravour einpackten, was irgend möglich, beruht auf einem weit tüchtigeren Gedanken und wäre vielleicht noch jetzt mit Glück zu benutzen. Sollte nicht auch das Scherzo, wie es uns von der Symphonie und Sonate her geläufig, mit Wirkung im Concert anzubringen sein? Es müßte einen artigen Kampf mit den einzelnen Stimmen des Orchesters geben, die Form des ganzen Concerts aber eine kleine Aenderung erleiden. Mendelssohn dürfte es vor Allen gelingen.

{146} Wir haben über des letzteren zweites Concert zu berichten. Wahrhaftig, noch immer ist er der nämliche, noch immer wandelt er seinen alten fröhlichen Schritt; das Lächeln um die Lippen hat Niemand schöner als er. Virtuosen werden beim Concerte ihre ungeheuren Fertigkeiten nur mit Mühe anbringen können: er gibt ihnen beinahe nichts zu thun, was sie nicht schon hundertmal gemacht und gespielt. Oft haben wir von ihnen diese Klage gehört. Sie haben etwas Recht; Gelegenheit, die Bravour zu zeigen durch Neuheit und Glanz der Passagen, soll vom Concerte nicht ausgeschlossen bleiben. Musik aber geht über alles, und der uns diese immer und am reichsten gibt, dem gebührt auch immer unser höchstes Lob. Musik aber ist der Ausfluß eines schönen Gemüthes; unbekümmert ob es im Angesicht von Hunderten, ob es für sich im Stillen fluthet; immer aber sei es das schöne Gemüth, das sich ausspreche. Daher wirken auch Mendelssohns Compositionen so unwiderstehlich, wenn er sie selbst spielt; die Finger sind nur Träger, die ebenso gut verdeckt sein könnten; das Ohr soll allein aufnehmen und das Herz dann entscheiden. Ich denke mir oft, Mozart müßte so gespielt haben. Gebührt Mendelssohn so das Lob, daß er uns immer solche Musik zu hören gibt, so wollen wir deshalb gar nicht leugnen, daß er es oft in einem Werke flüchtiger, in dem andern nachdrücklicher thut. So gehört auch dies Concert zu seinen flüchtigsten Erzeugnissen. Ich müßte mich sehr irren, wenn er es nicht in wenig Tagen, vielleicht Stunden geschrieben. Es ist, als wenn man an einem Banm schüttelt, die reife, süße Frucht fällt ohne Weiteres herab. Man wird fragen, wie es sich zu seinem ersten Concert verhalte. Es ist dasselbe und nicht dasselbe; dasselbe ist es, weil es von einem ausgelernten Meister, nicht dasselbe, weil es zehn Jahre später geschrieben ist. Sebastian Bach sieht an der Harmonieführung hier und da heraus. Melodie, Form, Instrumentation im Uebrigen sind Mendelssohns Eigenthum. So freue man sich der flüchtigen heiteren Gabe; sie gleicht ganz einem jener Werke, wie wir manche von älteren Meistern kennen, wenn sie von ihren größeren Schöpfungen ausruhten. Unser jüngerer wird sicherlich nicht vergessen, wie jene dann oft plötzlich mit etwas Mächtigem hervortraten, und das D moll-Concert von Mozart, das in G dur von Beethoven ist uns ein Beweis davon. {{Right|R. Schumann.


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Etuden für Pianoforte.

A. Henselt, 12 Etuden (Etudes de Salon). Werk 5. W. Taubert, 12 Etuden. Werk 40. D. Thalberg, 12 Etuden. Werk 26, Zweites Heft.

Unsere letzte Etudenschau ging bis Juni vorigen Jahres. Es scheint, die Etüde hat einen neuen Kreis durchlaufen, und es wolle nun eine längere Ruhezeit eintreten. Wir begrüßen dies als ein gutes Zeichen. Zwar glaubt jede Zeit von sich, sie stände auf dem Gipfel (wie es umgekehrt zu allen Zeiten Leute gegeben, die über Verfall der Kunst geklagt); von der Clavieretüde kann man indeß mit einigem Grund mehr als unsere Vorfahren annehmen, sie habe die höchste Höhe erreicht. Die Tonleitern sind nach allen Richtungen hin zerlegt, zu allen erdenklichen Figuren verknüpft, die Finger und Hände in alle möglichen Lagen gebracht etc.; gehe man nun nicht weiter, wo es nur auf Spitzfindigkeiten hinauslaufen muß, und wende sich wieder zu größeren, weniger zum Mechanischen verleitenden und die Bravour zur Schau tragenden Kunstformen. Vor lauter Studien versäumte man am Ende die Meisterschaft. Wie unendlich groß ist das Reich der Formen; was gibt es noch da auszubeuten und zu thun auf Jahrhunderte lang! Vor Allem möchten wir das dem musikreichen Henselt zurufen. Seinen ersten Etuden, die die Welt durchflogen, rasch wie eine Siegesnachricht, hat er zwei neuere Hefte nachgeschickt: Etudes de Salon, zwölf an der Zahl. Man muß Henselt gehört haben, um es nie wieder zu vergessen; wie ein Blumenflor duften mich diese Stücke noch aus der Erinnerung an; ja seine Virtuosennatur umstrickt uns so mit ihren Reizen, daß wir auch was er von Andern dazu geliehen, als sein eigen betrachten und nichts denken und vor Augen haben als ihn. So könnte man, wie schon in den ersten Heften, so in diesen eine Menge Chopinsches nachweisen; Henselt selbst wird es zugeben; aber es verschmilzt sich diese fremde Beimischung so wohl in der ganzen Persönlichkeit, daß es kleinlicher wäre, sie zu tadeln, als sie zu begehen. Auch bezieht sich diese Ähnlichkeit mit Chopins Weise mehr auf Aeußerliches, auf Figur; in der Hauptsache, der Melodie, ist er so selbständig als irgend einer und hätte eher Grund, von seinen Schätzen zu verschenken als zu entlehnen. Schöne Melodie, in


{148} schöne Formen gefaßt, zeichnet denn auch die Stücke dieser zweiten Sammlung aus. Ich wüßte mich darüber noch jetzt nicht anders auszusprechen als in einem früheren Aufsatz über Henselt, dessen man sich vielleicht auch entsinnen wird; er ist und bleibt Henselt. In etwas nur unterscheide sich diese zuletzt erschienenen Jedem im Augenblick auffällig: in den Ueberschriften, die aus objectivere musikalische Zustände schließen lassen; wir finden hier einen „Elfenreigen“, ein „Ave Maria“, einen „Hexentanz“, „Danklied nach Sturm“ etc., während die alten eine Reihe Liebeslieder oder (wie sie Wedel nannte) Sonette [waren]. Henselts lyrische Natur verleugnet sich zwar dabei nirgends; es ist aber doch ein Zeichen, daß er vorwärts will, und wir kommen hier auf den Zuruf zurück, den wir oben an Henselt ergehen ließen: sich von den Etuden überhaupt weg und zu höheren Gattungen zu wenden, zur Sonate, zum Concerte, oder eigene größere zu schaffen. Wer sich immer in denselben Formen und Verhältnissen bewegt, wird zuletzt Manierist oder Philister; es ist dem Künstler nichts schädlicher als langes Ausruhen in bequemer Form; in älteren Jahren nimmt die Schaffenskraft ohnehin ab, und dann ist’s zu spät, und manches treffliche Talent gewahrt dann erst, daß es seine Aufgabe nur zur Hälfte gelöst. Ein anderer Weg aber, vorwärts zu kommen, sich zu neuer Schöpfung zu bereichern, ist der, andere große Individualitäten zu studiren. Man führt wohl z. B. Mozart als einen Gegenbeweis dieses Satzes an und sagt, ein Genie habe das nicht nöthig und überhaupt nichts; aber wer sagt uns, was Mozart geliefert, wenn er z. B. Sebastian Bach in seiner ganzen Größe gekannt hätte? Wie ihn schon Haydn anspannte, um wie viel mehr müßte es ein Bach! Man kann nicht alles aus eigener Tiefe heraus beschwören. Wie lange bildete die Zeit an der Fuge herum! Soll der Künstler erst alles an sich selbst durchmachen und versuchen, und kommt er nicht schneller zum Ziel, wenn er das vorhandene Beste studirt. nachbildet, bis er sich Form und Geist unterthan gemacht? Aber auch die Meister der Gegenwart muß er kennen, vom ersten bis zum letzten, also auch z. B. Strauß, als in seiner Weise einen höchsten Ausdruck seiner Zeit. Wer dies versäumt, wird über seine Stellung zur Gegenwart, über den Umfang seines Talents ewig im Unklaren bleiben, bis er zuletzt nicht mehr nachkommen kann, der Welt nur Veraltetes, bereits Abgethanes bietend. Sich also im Schwange mit der Zeit zu erhalten, alles kennen zu lernen, das kennenswerth, möcht' ich gerade Henselt zurufen, seinem ergiebigen Talent neue Ausflüsse zu verschaffen. Es ist wahr,


{149} er hat uns so oft mit seinen Liebesgesängen ergötzt, und es scheint undankbar, Jemandem, der uns einen Strauß Blumen bringt, damit zu antworten, daß er uns lieber etwa einen gefesselten Löwen hätte bringen sollen. Aber versuche er sich nur auch an dem Löwen, es gibt so wenige Kräftige, die wenigen dürfen nicht rasten, er bringe den Löwen! Immerhin bleiben auch diese Etuden, was sie sind und enthalten wiederum so viel Reizendes, Duftiges, daß sie überall gefallen müssen und in jedem Lebensalter, wie ich denn wirklich Kinder nie aufmerksamer zuhören gesehen als bei seiner Musik. Am liebenswürdigsten zeigt er sich auch diesmal in der Sphäre, wo wir ihn schon längst als Meistersänger kennen, wie im „Liebeslied“ und in der „Romanze“. Auch das „Ave Maria“ muß man liebgewinnen; hier ist das Beispiel, wie eine gutgewählte Überschrift die Wirkung der Musik hebt.* Ohne jene Überschrift würde es von den Meisten wie eine Etüde von Cramer abgespielt worden sein, mit deren einer (irr' ich nicht, in Cis moll) sie auch viel Aehnlichkeit hat. Bei einem „Ave Maria“ denkt sich aber auch der Prosaische etwas und nimmt sich zusammen. Weniger passend scheint mir die Überschrift „Eroica“; die Musik steht hier hinter dem Versprochenen zurück. „Elfenreigen“ und „Hexentanz“ gehören wohl einer früheren Zeit an; in ihnen herrscht Chopins Einfluß am auffallendsten vor, auch in den blos mit „Etüde“ überschribenen Stücken; doch macht die in A dur einen sehr lieblich erfrischenden Eindruck. Der „Nächtliche Geisterzug“ ist schwerlich vom Blatt zu spielen, doch meisterhaft gespielt von großer Wirkung, auf der zweiten Seite bekommt er durch neuen Rhythmus einen neuen Schwung; noch erinnere ich mich der tiefen Baßnoten, wie sie Henselt anpackte; es war von behaglich urkräftiger Wirkung.

Eine andere vielfach interessante Etudensammlnng, seine erste, hat W. Taubert unlängst geliefert. Mehr als alle seine früheren Werke zeigt dieses seine Vertrautheit mit den neuern Compositionsrichtungen; es enthält viel Eigenes, doch auch, was ich um des ersteren willen unterdrückt wünschte, vieles Angeeignete. Warum denn gerade zwölf Etuden immer? Um wie viel reiner würde uns die Eigenthümlichkeit des Componisten entgegentreten, hätte er nur das Ausgezeichnetste, ihm Angehörige gegeben; um wie viel höher gälte mir eine Sammlung, die etwa nur aus der „Libelle“, Undine“, „Unter Cypressen“, der „Canzonette“, dem „Geisterreigen“, dem „Vulkan“ bestände! Die andern

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         * Die Ueberschrift rührt von Keferstein her.


{150} sind wohl gute Uebungen, aber zum Theil unter allzu offenbar fremden Einflüssen entstanden, zum Theil schwächer als CompositionenVorlage:Vorlage falsch? von Taubert überhaupt. So verwundert mich das „Notturno“, wo er sich in eine Gefühlsweise hineindenkt, in der ihm nichts gelingen kann, weil sie ihm von Natur versagt ist, ich meine das fein Schwärmerische, wie es Chopins Element. So auch das Pastorale, das anspruchlos sein will und es doch nicht ist, das Alla Turca, das doch zu leicht erfunden etc. Einem Schwächeren als ihm müßte man auch diese Stücke als gute Leistungen loben, denn daß sie geschickt gefügt, gut in der Harmonie sind, versteht sich von selbst; mit diesem Lobe würde er sich aber gewiß nicht begnügen, der schon so Ausgezeichnetes geleistet. Ein um so aufrichtigeres zollen wir ihm denn, wie gesagt, für die Nummern, die wir oben anführten. So schlagend, daß man geradezu auf den Componisten schwören könnte, ist zwar keine; aber er hat schon bekannte Gestalten und Zustände in interessanter besonderer Weise nachgeschaffen, und dies genügt schon in einer Zeit, wo sich die Wenigsten kaum über die gewöhnlichsten Formeln und Redensarten zu erheben vermögen. Also Ehre ihm für seine „Undine“, die in einem zarten Leib zarte Gedanken birgt, für das „Unter Cypressen“, das ein Gedicht seiner würdig, für die „Libelle“, die schimmert und flattert, und für vieles Andere. Die „Canzonette“ ist für die linke Hand allein; schon einigemal führte ich Florestans Witz an, der beim Anhören solcher Stücke die rechte Hand im Geiste des Componisten, der’s aber im Concerte schwerlich wagen darf, sehr in die Tasche steckt. Aber das Stück ist sinnig und zart, und man paßt auf, nichts zu verlieren. Ebenso beim „Geisterreigen“, obgleich die Farben zu solchem Bild schon oft gebraucht. Man sieht aus dem Angeführten, wie Verschiedenes und Mannichfaltiges neben einander gestellt ist. Der Titel verspricht ein später folgendes Heft. Möchte es dem Componisten gelingen wie die schönere Hälfte dieser Sammlung. Wir sind ihm immer mit Theilnahme gefolgt.

Ueber das zweite Heft der Etuden von Thalberg ist schlimm urtheilen, wenn man sie etwa kurz von ihm selbst gehört. Auch bekäme man die sämmtliche deutsche und auswärtige Mädchenschaft auf den Nacken, wollte man tadeln; man würde nur mit mitleidigem Lächeln angehört werden in seinen Kunstbetrachtungen, man würde als der hämischste und abgefeimteste Recensent ausgeschrieen werden. Verdient er doch auch die Kränze alle, mit denen man ihn aller Orten überschüttet! Wie spielt er, wie lauscht man, wie donnert der Saal,


{151} wenn er geendet! Die Etuden sind Kinder seines Glückes, seines Ruhmes, und daß wir es nicht vergessen, seines Fleißes; denn er hat unausgesetzt studirt, kennt wohl alle Componisten, hat alles mit großer Virtuosität in sich aufgenommen. Man hör' ihn Beethoven spielen, Dussek, Chopin, über alle breitet er den ihm eigenthümlichen Glanz seines Spiels; er braucht nur der Anregung durch fremde Musik, um seine musikalische Natur in aller Pracht zu entfalten. Auch besitzt er selbst eine gewisse Art von Melodie, etwa wie die der italiäner, von acht zu acht Tacten ausruhend, mit gewissen Ausweichungen etc., und wie er sie dann verlegt, verdoppelt, sie umspinnt mit neuen Klangfiguren, er macht es in seiner Weise, oft überraschend, blendend und hinreihend. Damit ist aber auch alles gesagt, und gewiß würde er selbst am ersten ablehnen, wenn man seine Compositionen gar mit demselben Namen belegen wollte wie die Beethovenschen, also mit dem von Kunstwerken etc. Dem großen Haufen den Unterschied zwischen Composition und Conglomerat, zwischen Meisterleben und Scheinleben etc. beibringen zu können, dieses Gedankens wollen wir uns nur entschlagen. Aber die Künstler müssen es wissen, und mehr noch wäre über diesen Gegenstand zu sagen, sähen wir nicht eben die Mädchenschaft auf die Redaction eindringen; also nur das noch: er ist ein Gott, wenn er am Clavier sitzt. {{Right|S.

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Mendelssohns „Paulus“ in Wien.

Aus einem Briefe vom 2. März.

Endlich hat man hier „Paulus“ gegeben, die größte Musitstadt Deutschlands ihn zuletzt. Daß Mendelssohns Compositionen bisher hier nur wenig Eingang gefunden, hängt zu tief mit dem hiesigen innern Musikleben zusammen, als daß ich die Thatsache einzeln herausreißen könnte, auf die ich aber wieder zurückzukommen denke. Vor der Hand also nur dieses: Der Wiener ist im Allgemeinen äußerst mißtrauisch gegen ausländische musikalische Größen (etwa italiänische ausgenommen); hat man ihn aber einmal gepackt, so kann man ihn drehen und wenden, wohin man will, er weiß sich dann kaum vor Lob zu lassen und umarmt unaufhörlich. Sodann gibt es hier eine Clique,

{152} die Fortsetzung derselben, die früher den Don Juan und die Ouverture zu Leonore auspfiff, eine Clique, die meint, Mendelssohn componire nur, damit sie’s nicht verstehen sollen, die meint, seinen Ruhm aushalten zu können durch Stecken und Heugabeln, eine Clique mit einem Worte so ärmlich, so unwissend, so unfähig in Urtheil und Leistung wie irgend eine in Flachsenfingen.* Zwerge aus der Welt zu schaffen, braucht es nun gerade keiner apostolischen Blitze, wie sie Paulus wirft; sie verkriechen sich ohnehin, faßt sie der Rechte irgend ernsthaft ins Auge! Aber der Paulus that größere Wunder. Wie ein Freudenfeuer zündete diese fortlaufende Kette von Schönheiten in der Versammlung. Das hatte man nicht erwartet, diesen Reichthum, diese Meisterkraft, und vor Allem nicht diesen melodischen Zauber; ja als ich zum Schluß das Publicum überschätzte, war es so vollzählig da wie im Anfang, und man muß Wien kennen, um zu wissen, was das heißt: Wien und ein dreistündiges Oratorium haben bisher in schlechter Ehe gelebt; aber der Panlus brachte es zu Stande. Was soll ich weiter sagen? — jede Nummer schlug, drei mußten durchaus wiederholt werden,** zum Schluß summarischer Beifall. Der alte Gyrowetz meinte, „das wäre seines Trachtens das größte Werk der neuen Zeit“; der alte Seyfried, „so etwas hab' er nicht noch in seinen alten Tagen zu erleben gehofft“. Kurz, der Sieg war passabel. Bedenkt man nun, daß die Aufführung nach zwei Orchesterproben vor sich ging, so muß man vor der Virtuosität der Wiener allen Respect haben. Die Darstellung war im Einzelnen noch keine vollendete und konnte es nicht sein; aber wie man hier einen Chor singt, aus allen Leibeskräften, daß man ihn eher zu besänftigen hätte als anzufeuern, das findet man in Norddeutschland nur selten, wo man sich hinter die Notenblätter verpallisadirt und nur froh ist, nicht geradezu umzuwerfen. Hierin ist Wien einzig, man gebe ihm nur zu singen, und es schmettert lustig wie aus einer Canarienhecke. Die Solopartieen wurden zwar nicht von den bekannten ersten Notabilitäten der Stadt vertreten, doch hinreichend gut; einzelne, wie der Baß, sogar ausgezeichnet.32 Wie ich schon geschrieben, geschah die Aufführung auf Veranlassung der Gesellschaft der Musikfreunde, dieses höchst ehrenwerthen Vereins, der in neuerer Zeit ein sehr frisches Leben entwickelt. Besondere Erwähnung verdiente wohl auch Hr. Dr. Edler von

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      * Das Duodez-Fürstenthum in Jean Pauls Hesperus. 
    ** Nr. 8, 25 und 35.

{153} Sonnleithner, durch dessen rastlose Bemühungen zumal die Aufführung gelang; denn man glaubt kaum, was hier dazu gehört, ein Orchester von 100 Köpfen zusammenzubringen, während übrigens bei mehr Zufammenhaltung und Beherrschung der Kräfte leicht 1000 und mehr ins Feld gestellt werden könnten. Ehre also allen denen, die dies Wert, dies Juwel der Gegenwart, ihrer und des Werkes würdig, mit so großer Lust und Liebe den hiesigen zahlreichen und echten Kunstmenschen zur Schau gestellt. Die Frucht, auch für die Masse, wird nicht ausbleiben und das „Wachet auf“ in mancher Seele widerhallen. Schon spricht man auch von einer zweiten und dritten Aufführung. {{Right|R. Schumann.

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* Ole Bull.

(Correspondenzbericht aus Wien.)

Ole Bull gab bis jetzt zwei Concerte; das erste war das glänzendste im ganzen Winter, der große Redoutensaal fast drückend gefüllt, das Orchester das beste, die Erwartung die gespannteste. Er spielte wie Ole Bull. Alle Vergleiche scheitern. Er bringt fast lauter Neues, und ist es nicht immer schön, so doch interessant. Als Beherrscher seines Instrumentes als Instrument steht er meiner Meinung nach aber wenigstens Paganini gleich. Als Componist erscheint er schwächer, macht manches, was ein Dreißiger schon hinter sich haben sollte: ich müßte nur wiederholen, was die HH. Dorn und Truhn geistvoll in dieser Zeitschrift darüber geschrieben. Für die Wiener paßt er nicht; fängt er an zu ergreifen, daß man athemlos, so springt er plötzlich in die Höhe mit einem Riß über die Saiten weg; da schüttelt der Wiener den Kopf und weiß nicht, was er davon denken soll. Paganini that das auch, aber als italiäner und lachend; bei Ole Bull ist es krampfartig. Er coquettirt etwas mit seinem Musikschmerz. Seine Zukunft liegt ihm vielleicht selbst im Dunkeln. Ueber die vielen lahmen Urtheile links und rechts kann er sich aber getrost hinwegsetzen. Er ist und bleibt neben Paganini der Erste. {{Right|[1839, X, 152.]

{154} (Concert am 30. November 1840 in Leipzig.)

Unter stürmischem Beifall gab Hr. Ole Bull gestern Abend hier ein Concert. Als Virtuos möchte er nach Paganinis Hingang unbezweifelt als der Erste anzusehen sein; Einzelnes wie das vielstimmige Spiel gehört ihm ganz eigenthümlich. Wie er mit dem Schwierigsten nur spielt, so weiß er doch auch die tiefern Saiten des Herzens zu tressen; so im Adagio von Mozart, das er bis auf Weniges ungeschmückt, einfach und deutsch innig vortrug. Namentlich diesem Stücke folgte der feurigste Beifall. Zur vollkommenen Würdigung seiner außerordentlichen Virtuosennatur gehört mehrmaliges Hören, zu dem uns auf das erwünschteste durch des Künstlers Auftreten im hiesigen Theater Gelegenheit gegeben ist. {{Right|[Brockhaussche deutsche allgem. Ztg.]

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Die „Teufelsromantiker“.

Wo stecken nur die Teuselsromaniiker? Der alte gute Musikdirector Mosewius in Breslau erklärt sich plötzlich als ihren entschiedensten Gegner; auch die Allgem. musik. Zeitung wittert deren immer. Wo stecken sie aber nur? Sind es vielleicht Mendelssohn, Chopin, Bennett, Hiller, Henselt, Taubert? Was haben die allen Herren gegen diese einzuwenden? Gelten ihnen Vanhal, Pleyel, oder Herz und Hünten mehr? Hat man aber jene und andere nicht gemeint, so drücke man sich doch deutlicher aus. Spricht man endlich gar von einer „Qual und Marter dieser musikalischen Uebergangsperiode“, so gibt es Dankbare und Weitsichtige genug, die anderer Meinung. Man höre doch auf, alles durcheinander zu mengen und wegen dessen, was in den Compositionen der deutsch-französischen Schule, wie in Berlioz, Liszt etc. tadelnswerth erscheinen mag, das Streben der jüngern deutschen Componisten zu verdächtigen. Behagt euch aber auch dieses nicht, so gebt uns doch selbst Werke, ihr alten Herren, — Werke, Werke! 33

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{155}

Sonaten für das Clavier.

Es ist lange her, daß wir über die Leistungen im Sonatenfach geschwiegen. Von außerordentlichen haben wir auch heute nicht, zu berichten. Immerhin erfreut es, im bunten Gewirr der Mode- und Zerrbilder auch einmal einigen jener ehrenfesten Gesichter zu begegnen, wie sie, sonst an der Tagesordnung, jetzt zu den Ausnahmen gehören. Sonderbar, daß es einmal meist Unbekanntere sind, die Sonaten schreiben: sodann, daß gerade die älteren noch unter uns lebenden Componisten, die in der Sonatenblüthezeit aufgewachsen, und von denen als die bedeutendsten freilich nur Cramer und Moscheles zu nennen wären, diese Gattung am wenigsten gepflegt.* Was die ersteren, meist junge Künstler, zum Schreiben anregt, ist leicht zu errathen; es gibt keine würdigere Form, durch die sie sich bei der höheren Kritit einführen und gefällig machen könnten; die meisten Sonaten dieser Art sind daher auch nur als eine Art Specimina, als Formstudien zu betrachten; aus innerm starken Drang werden sie schwerlich geboren. Schreiben aber die älteren Componisten keine mehr, so müssen sie ebenfalls ihre Gründe dazu haben, die zu errathen wir Jedem überlassen.

Auf Mozartschem Wege war es namentlich Hummel, der rüstig fortbaute, und dessen Fis moll- Sonate allein seinen Namen überleben würde; auf Beethovenschem aber vor Allen Franz Schubert, der neues Terrain suchte und gewann. Ries arbeitete zu schnell. Berger gab einzelnes Vorzügliche, ohne durchzudringen, ebenso Onslow; am feurigsten und schnellsten wirkte C. M. von Weber, der sich eigenen Stil gegründet, namentlich auf ihm bauen mehrere der Jüngeren weiter. So stand es vor zehn Jahren um die Sonate, so steht es noch jetzt. Einzelne schöne Erscheinungen dieser Gattung werden sicherlich hier und da zum Vorschein kommen und sind es schon; im Uebrigen aber, scheint es, hat die Form ihren Lebenskreis durchlaufen, und dies ist ja in der Ordnung der Dinge, und wir sollen nicht Jahrhunderte lang dasselbe wiederholen und auch auf Neues bedacht fein. Also schreibe man Sonaten oder Phantasieen (was liegt am Namen!), nur vergesse

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       * In Bezug auf Cramer nicht zutreffend, der über 100 Claviersonaten veröffentlichte.


{156} man dabei die Musik nicht, und das andere erfleht von eurem guten Genius.

Von Sonaten noch wenig bekannter Componisten liegen eine von J. C. Kelbe [Werk 12, vierhändig), drei von F. E. Wilsing [Werk 1] und eine von W. E. Scholz [Werk 19, F moll] vor mir; sie stehen hier in der Reihe ihrer Bedeutung.

Die Sonate von Kelbe spricht für den Fleiß und den guten Willen des Componisten. Wie immer, zeigt sich auch in ihr im Adagio die Erfindungsschwäche am fühlbarsten. Anklänge fehlen ebenfalls nicht, und wie der Componist dem Anfang der Jubelouverture von Weber noch so sorgfältig auszuweichen sucht, so fällt er ihm, wenn auch erst im Adagio, im vollendeten E dur mit ganzer Körperschwere in die Arme; ebenso ist das Thema des letzten Satzes eine Versetzung des ersten aus Beethovens C-moll-Concert und dergl. mehr. Im Uebrigen strebt er nach guter Form und reiner Harmonie; mit einem Worte, hat man die erste Seite gehört, so kann man bei einigem musikalischen Scharfsinn das Folgende errathen.

Die drei Sonaten von Wilsing sind dem verstorbenen trefflichen L. Berger zugeeignet, der, vielleicht des Componisten Meister, überhaupt nicht ohne Einfluß auf sein Werk gewesen zu sein scheint. Die Sonaten haben schöne Vorzüge und verdienen all das Lob, wie man es jungen strebsamen Musikern aufmunternd so gern zuspricht. Strebe der Componist nun weiter und wage auch einmal einen kühneren Anlauf. Die Sonaten gehen nicht weit über die Prosa eines stillen Studirstübchens hinaus: ich seh' den Componisten ordentlich sitzen und schreiben und heimlich hin und wieder an eine kleine Unsterblichkeit denken; nun nehme er auch größere Eindrücke in sich auf, sei es durch Studien in Bach und Beethoven, durch anregende Lectüre, durch öfteren Hinausblick in die reiche Schöpfung. Sicherlich wird er noch Bedeutenderes leisten, wie mir aus seinem Werk auch Sinn für höhere Instrumentalmusik hervorzugehen scheint. In der Einfachheit geh' er aber nicht weiter, beschränke und beschneide sich nicht zu viel; es ist oft gar zu nackt, was er hinstellt. Doch soll das nur eine Warnung sein, kein Vorwurf. Des Componisten gesunder Sinn wird ihn das Ziel nicht zu weit suchen lassen.*

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     * Er hat es gefunden. Ein ,,De profundis“ für vierfachen Chor mit Orchester, in diesem Jahre erschienen, gehört zu den größten und gewaltigsten Meisterwerken, die unsere Zeit hervorgebracht. (Zusatz von 1853.)   [Sch.]


{157} Entschiedener, energischer tritt der Componist der letztangeführten Sonate auf; seine Gabe ist dankenswerth. Strengste Kritik fände freilich auch an ihr auszusetzen, und erlaubte es der Raum, so wäre gerade diese von einem edlen Streben zeugende Sonate einer solchen würdig. Schritt vor Schritt wollten wir dann dem in ihr waltenden Geiste folgen, sehen, wo er auf schöner Spur war, wo er auf Abwege gerieth, wo er sie vermied. Solche Art der Kritik kann wohl dem Componisten angenehm und nützlich werden; aber fordern darf sie Niemand von einem Blatt, wo im schmalm Raum von allen bedeutenden Erscheinungen Rechenschaft gegeben werden soll.

Die Sonate weist direct auf C. M. v. Weber; wer kennt sie nicht, Webers schwärmerische, oft kränklich reizende Sonatendichtungen! Aber es ist keine schwächliche Abhängigkeit, in der der neuere Componist zum Meister steht, sondern nur ein Streben nach derselben Wirkung, freilich von nicht so großen Kräften unterstützt. Empfindung, oft feurige, spricht fast überall aus dieser Sonate; so schön aussingende Stellen, wie gleich die erste Cantilene im ersten Satz, kommen zu selten vor, als daß wir sie nicht mit Frenden bemerken sollten; ebenso glücklich geschieht der Hauptrückgang in der Mitte des Satzes, die Stelle, die immer und ewig das Merkmal gewonnener Herrschaft über die Form bleiben wird. Andere Stellen desselben Satzes, wo mir die Bewegung unterbrochen scheint (zum erstenmal S. 5 zu Anfang), wollen mir weniger zusagen, ebenso das plötzliche D moll (S. 9), um nach F zu kommen, das leicht vermieden werden konnte. Auch den Schluß wünschte ich schwerer. Das Adagio entspricht dem Ton im ersten Satz, steht aber an Wirkung nach; es fehlt ihm ein besonders nachdrücklicher Gedanke, wie ihn die Meister der Kunst oft noch zum Schluß hinsetzen, etwas, was uns noch auf den Weg zu denken gibt; wir sind fertig und der Componist war es auch. Am wenigsten geglückt scheint mir das Scherzo, wie denn das Lyrische im Componisten überwiegend ist. Im letzten Satz treffen wir auf ein sehr anziehendes, lebensvolles Mittelthema; aus den Noten der Introduction hätte sich aber in guter Stunde noch mehr herausbringen lassen. Endlich wünschten wir auch diesem Satz einen gewichtigern Schluß. Alles zusammengenommen, der Componist hat offenbar Talent, Schule, Bildung, höheres Streben; bilden sich so die Kräfte in schönem Verein immer mehr, so haben wir noch Tüchtiges von ihm zu hoffen. —

Von Sonaten bekannterer Musiker haben wir eine zu vier Händen von Heinrich Dorn [Werk 29 in D] in Riga, und eine von


{158} Mendelssohn Bartholdy [Werk 45. B dur) für Pianoforte und Violoncell zu nennen. So ernst, ja fast Spohrisch weich sich die erste ankündigt, so kann sie im weitern Verlauf doch den spöttischen Zug, den wir schon öfters an Dorns Compositionen bemerkten, auf keine Weise verheimlichen; Damen und Recensenten die feinsten Schmeicheleien zu sagen und inwendig zu blitzen und zu donnern, wer weiß, ob das Jemand in der Musik so gut wiederzugeben vermag als unser verehrter Componist. Vielleicht ist dem Standpuncte, von dem seine interessanten Werke zu beurtheilen, auch noch von tieferer Seite beizukommen. Bereits in reiferen Jahren und sonst vielseitig gebildet, auch übrigens mit den literarischen und künstlerischen Richtungen des Tages vertraut, widmete er sich der Musik gerade in jener schlaffen Periode 1820—1830, wo die eine Hälfte der musikalischen Welt noch über Beethoven nachsann, während die andere in den Tag hineinlebte, wo nur der einzige Deutsche C. M. von Weber dem eindringenden lockern italiäner Rossini mit Mühe das Gleichgewicht hielt. Am Clavier fing damals Czerny aus Wien seine kleine pfeifende Stimme zu erheben an, in Mitteldeutschland ahmte man Weber nach; nur in Berlin war der guten Musik ein eisenfester Lehrstuhl gegründet durch den alten Zelter, dem zur Seite, obwohl mit andern Tendenzen, auch Bernhard Klein und Ludwig Berger auf die Jugend wirkten. Einen Sprößling jener Zeit sehen wir in Dorn, neben dem sich fast gleichzeitig auch Mendelssohn entwickelte, in späterer Zeit alle seine Mitschüler überflügelnd. Die Wege dieser beiden talentvollsten jener Schule trennten sich aber bald deutlich genug. Mendelssohn, in glücklichen Lebensverhältnissen lebend, konnte sich ruhig ausbrausen und aufklären, während Dorn, frühzeitig in die praktische Carriere geworfen, doch auch dem Publicum Proben seiner Kunst vorlegen sollte. So sehen wir bald Opern von ihm ausgeführt, so viel mir erinnerlich, sämmtlich von großen Anlagen und Fertigkeiten zeugend. Aber das Publicum vermochte er dennoch nicht zu gewinnen, und je mehr er dies durch starke und rauschende Mittel zu erreichen strebte, je mehr, scheint es, entfernte er sich von sich selbst, und hier mag durch Vergleichung seiner immerhin bedeutenden Leistungen mit der leichten italiänischen Waare, über die die Welt Wunderdinge schrie, eine Mißstimmung in seinem Innern eingetreten sein; von hier an zeigt sich auch der satirische Zug in seiner Musik. Was man gelernt, was man weiß, kann uns Niemand nehmen; aber daß wir mit Freude, mit Glück arbeiten, dazu müssen die gütigen Götter


{159} ihren Beistand verleihen. Wäre Dorn damals der zerstreuenden und gefährlichen Theatercarriere vielleicht entzogen worden (er war Musikdirector) und hätte sich pflegen und abwarten können, wer weiß, was er der deutschen Oper für ein Helfer geworden. Begnügen wir uns indeß mit dem, was er uns gegeben; es bleibt noch viel Denkwürdiges übrig. Namentlich hat er ausgezeichnete Lieder der verschiedensten Art geschrieben, wie sie dem deutschen Namen nur zur Ehre gereichen können; auch von seinen Claviersachen findet man in der Zeitschrift das Bedeutendste besprochen. Eines seiner umfangreichsten Clavierstücke ist die erwähnte Sonate. Man findet viel in ihr; ja es hätte sich bei Beseitigung einzelner Stellen leicht eine Symphonie aus ihr bilden lassen können. Man findet in ihr Zartes und Kühnes, Einfaches und Kunstreiches, die Contraste auch mit geübter Hand zu schöner Form verschmolzen, alles aber mit jenem ironischen Lächeln begleitet, das uns im Augenblick, wo wir uns ihm hingaben, wieder eiskalt überschüttet, und das ist’s, was die Wenigsten an der Sonate verstehen werden, am wenigsten die liebenswürdigen Leserinnen, die ruhig fortgeschaukelt sein wollen ohne satirische Störung. Jedenfalls sehe man sich die Sonate aller Orten an: wer ihre geheimere Bedeutung nicht versteht, wird, wenn er sich auch blos ans rein Musikalische hält, noch genug Ergötzliches in ihr finden, wie namentlich das Scherzo zum Lächeln zwingt und ebenso das oft widerspenstige Finale, wo ich mir auch das Durchkreuzen der Hände im besten Sinne zu erklären getraue. Schließlich aber die Bitte, der Componist möchte uns bald eine Symphonie geben; es würden diese Zeilen dann ihren Zweck erreicht haben.

Betrachten wir nun Mendelssohns Werk einen Augenblick! Auch ihm spielt ein Lächeln um den Mund, aber es ist das der Freude an seiner Kunst, des ruhigen Selbstgenügens im engen Kreise; ein wohlthuender Anblick, dieser innere Wohlstand, dieser Frieden, diese Seelengrazie überall! Die Sonate ist eine seiner letzten Arbeiten; vermocht' ich doch, ohne kleinlich gescholten zu werden, den Unterschied zwischen jetzt und früher in seinen Werken mit Worten anzugeben! Es scheint mir alles noch mehr Musik werden zu wollen, alles noch verfeinerter, verklärter, — wenn man es nicht falsch deuten wolle: Mozartischer. Im ersten Aufblühen feiner Jugend arbeitete er theilweise noch unter der Begeisterung Bachs und Beethovens, obwohl bereits Meister der Form und des Kunstsatzes. In den Ouverturen lehnte er sich an fremde Dichtungen an oder schöpfte aus der Natur;

{160} und that er es auch immer als Musiker und Dichter, so erhoben sich doch hier und da Stimmen gegen diese Richtung, wenn sie seine ausschließliche geworden. Die Sonate ist aber wiederum reinste, durch sich selbst gültige Musik, eine Sonate so schön, klar und eigenthümlich, wie sie irgend je aus großen Künstlerhänden hervorgegangen, im Besondern, wenn man will, eine Sonate für feinste Familienzirkel, am besten etwa nach einigen Goetheschen oder Lord Byronschen Gedichten zu genießen. Ueber Form und Stil noch mehr zu sagen, schenke man der Zeitschrift; man findet alles in der Sonate besser und nachdrücklicher.

Noch liegen zwei Sonaten zweier bedeutender verstorbener Künstler vor mir, auch zweier Gegensätze, wie sie kaum schroffer zu einer uud derselben Zeit geboren werden konnten, die sich wohl auch weder persönlich, noch als Musiker bei ihren Lebzeiten gekannt haben. Der eine, der Musikmensch der neusten Zeit vor Allen, der andere der geniale Lehrer, dessen Schüler sämmtlich mit so großer Bewunderung von ihm zu erzählen wissen; der eine immer mit vollen Händen gebend, der andere jede Note auf die Goldwage legend; jener warm, sinnlich, phantasievoll, dieser trocken, oft streng, Stoiker. Wolle sie aber Niemand nach diesen Sonaten beurtheilen: sie gehören nicht in die erste Reihe ihrer Leistungen; immerhin gönnen sie uns einen reichen Blick in ihr Inneres; ihre Namen schließlich: Franz Schubert* und Bernhard Klein.** {{Right|R. S.

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Aeltere Claviermusik.

Domenico Scarlatti. — F. Seb. Bach.

Eine Menge interessanter älterer Compositionen liegt uns in neuen Drucken vor. Haslinger in Wien bringt uns Domenico Scarlattis Clavierwerke*** in einzelnen Lieferungen schön ausgestattet. Die ersten vier enthalten 33 meist rasche Sätze, die uns ein getreues Bild

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, * Große Sonate. (A moll) Werk 143.

     ** Sonate zu vier Händen (aus dem Nachlaß). [Sch.] 
    *** Sämmtliche Werke für das Pianoforte. — Mit Bezeichnung des Fingersatzes von C. Czerny. [Sch.]34

{161} von Scarlattis Schreibweise geben. Scarlatti hat viel Ausgezeichnetes, was ihn vor seinen Zeitgenossen kenntlich macht. Die so zu sagen geharnischte Ordnung Bachschen Ideenganges ist in ihm nicht zu finden; er ist bei Weitem gehaltloser, flüchtiger, rhapsodischer; man hat zu thun, ihm immer zu folgen, so schnell verwebt und löst er die Fäden; sein Stil ist im Verhältniß seiner Zeit kurz, gefällig und pikant. Eine so bedeutende Stelle nun seine Werke in der Literatur der Claviercomposition einnehmen, dadurch, daß sie für ihre Zeit viel Neues enthalten, daß das Instrument in ihnen vielseitig benutzt erscheint, endlich dadurch, daß namentlich die linke Hand selbständiger auftritt, als es bis dahin geschehen, so wollen wir uns nur gestehen, daß uns auch vieles daran nicht mehr behagen kann und nicht mehr behagen soll. Wie könnte sich ein solches Tonstück mit dem eines unserer besseren Componisten nur messen können! Wie ist die Form noch ungeschickt, die Melodie noch unausgebildet, die Modulation beschränkt! Nun gar im Vergleich zu Bach! Es ist, wie ein geistreicher Componist* schon bei einer Vergleichung zwischen Emanuel und Sebastian Bach sagte: „als wenn ein Zwerg unter die Riesen käme“. Demungeachtet dürfen aber dem echten Clavietünstler die Koryphäen der verschiedenen Schulen nicht ubekannt bleiben, namentlich Scarlatti nicht, der die Kunst des Clavierspiels offenbar auf eine höhere Stufe gebracht. Nur spiele man nicht zu viel hintereinander, da die Stücke sich in Bewegung und Charakter viel gleichen; sparsam aber und zur rechten Stunde hervorgeholt, werden sie ihre frische Wirkung noch jetzt auf den Hörer äußern. Die Sammlung dürfte übrigens eine ansehnliche werden und bis zu 30 Heften anschwellen. Eine ältere, jedoch nicht vollständige Ausgabe, ebenfalls in Wien erschienen, ist vergriffen und wenig sauber. Hrn. Czernys Zuthat besteht in beigefügtem Fingersatz. Im Grunde wissen wir nicht, was damit bezweckt ist, ebenso wenig wie mit einer Fingerbezeichnung über Bachschen Compositionen.

Von Sebastian Bach lacht uns mehreres an. Der schon früher in der Zeitschrift ausgesprochene Wunsch, man möchte bald an eine Gesammtausgabe seiner Werke denken, scheint wenigstens für seine Claviercompositionen Frucht getragen zu haben. Wir müssen es der Firma C. F. Peters danken, daß sie das große Unternehmen rüstig betreibt. Den schon in der Zeitschrift erwähnten zwei ersten Theilen, die einen neuen Abdruck des wohltemperirten Claviers enthielten, sind

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         * Mendelssohn.


{162} bis jetzt zwei neue gefolgt. Der eine enthält die bekannte „Kunst der Fuge“* bis auf zwei Fugen für zwei Claviere vollständig, und zum Schluß zwei Fugen aus dem „musikalischen Opfer“. Einer Einrichtung des Hrn. Czerny nach soll nämlich ein Heft immer aus Stücken derselben Gattung bestehen, also eines nur aus Stücken für ein Clavier, das andere aus welchen für zwei etc. Die Eintheilung scheint uns aber nicht sehr tiefsinnig und überdies weder für Käufer noch für Verleger vorteilhaft, für jenen nicht, da er etwas Lückenhaftes bekommt, für diesen nicht, weil er eben deshalb nur wenig einzelne Hefte absetzen wird. Im Uebrigen verdient die Ausgabe des sorgfältigen Stiches und der guten Correctur halber vollkommenste Empfehlung. Fehler bleiben leider immer stehen. Was nun den Inhalt der „Kunst der Fuge“ anlangt, so ist bekannt, daß sie aus einer Reihe Fugen, auch einigen Canons über ein und dasselbe Thema besteht. Das Thema selbst scheint für vielseitige Verarbeitung nicht geschickt und namentlich in sich selber keine Engführungen zu enthalten; Bach benutzte es daher auf andere Weise zu Verkehrungen, übereinander gestellten Verengungen und Erweiterungen etc. Oft droht es fast Künstelei zu werden, was er unternimmt; so erhalten wir zwei in allen vier Stimmen zu verkehrende Fugen: eine äußerst schwierige Aufgabe, wo einem die Augen übergehen. Das Erstaunliche hat er aus dem Thema herausgebildet, und wer weiß, ob das Werk nicht mehr als erst der Anfang des Riesengebäudes war, da der göttliche Meister, wie man wissen will, darüber zu Grabe gegangen; es hat mich die letzte Fuge, die unvollendet, unvermuthet abbricht, immer ergreifen wollen; es ist, als war' er, der immer schaffende Riese, mitten in seiner Arbeit gestorben.

Der vierte Theil dieser neuen Ausgabe bringt eine Sammlung** einzelner kostbarer Stücke, darunter sechs bis jetzt ungedruckte, die die Verlagshandlung, wie wir vermuthen, der Güte des Hrn. F. Hauser zu verdanken hat. Nr. 12—18 sind dem E moll-Hefte der unter dem Titel „Exercices“ schon früherhin bei Peters erschienenen „Suiten“ entlehnt. Von besonderem Interesse, den gemächlichen Meister ganz bezeichnend, ist das Stück Nr. 10 „Auf die Entfernung eines sehr theuren Bruders“ mit verschiedenen Ueberschriften, wie z. B. „Abschied der Freunde, da es nun einmal nicht anders sein kann.“ Die andern der mitgetheilten ungedruckten Stücke sind sehr bedeutend und scheinen mir ganz echt.

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      * L’art de la Fugue etc. (Oeuvres complets. Livr. 3.) 
     ** Compositions pour le Piano etc. (Oeuvres complets. Livr. 4.)  [Sch.]

{163} Wir wünschen dem Unternehmen raschen Fortgang. Ein reichlicher Gewinn kann nicht ausbleiben. Bachs Werke sind ein Capital für alle Zeiten. Sicher im Sinne der Verlagshandlung sprechen wir hier die Bitte aus, daß Alle, die im Besitz von noch ungedruckten Bachianis sind, durch Zusendung an die Verlagshandlung dem Nationalunternehmen förderlich sein mochten. Noch manches mag hier und da vergraben liegen. Vielleicht daß sich ein Verleger auch zu einer gleichförmigen Ausgabe der Gesang- und Kirchencompositionen von Bach entschließt, damit wir endlich eine Uebersicht über diese Schätze bekommen, wie sie kein Volt der Erde aufzuweisen hat.

Einen Anfang mit Herausgabe der Clavierconcerte* von Bach hat Hr. Kistner mit dem hochberühmten in D moll gemacht; es ist dasselbe, das Mendelssohn vor einigen Jahren in Leipzig öffentlich hören ließ, zum großen Entzücken der Einzelnen, an dem jedoch die Masse keinen Theil zu nehmen schien. Das Concert ist der größten Meisterstücke eines, namentlich der Schluß des ersten Satzes von einem Schwung, wie er etwa Beethoven zum Schluß des ersten der D moll-Symphonie geglückt. Es bleibt wahr, was Zelter gesagt: „Dieser Leipziger Cantor ist eine unbegreifliche Erscheinung der Gottheit“.**

Am herrlichsten, am kühnsten, in seinem Urelemente erscheint er aber nun ein- für allemal an seiner Orgel. Hier kennt er weder Maß noch Ziel und arbeitet auf Jahrhunderte hinaus. Wir haben hier einer neuen Ausgabe von sechs früher bei Riedl in Wien schon erschienenen Präludien und Fugen zu erwähnen, die Haslinger neu aufgelegt.*** Den Organisten werden sie bekannt sein: Nr. 4 ist das wundervolle Präludium in C moll.

Außer in Deutschland wird nur noch in England für Verbreitung Bachscher Werke etwas gethan; 35 es lagen uns neulich mehrere bei Conventry und Hollier sehr gut gedruckte Hefte vor, die wir der Beachtung deutscher Verlagshandlungen zur Vergleichnahme empfehlen. In Deutschland ist es wohl Herr Hauser, der die vollständigste Sammlung von Bachs Werken aufzuweisen hat. Seit lange beschäftigt er sich mit Ordnung eines systematischen Kataloges sämmtlicher gedruckter

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          * Concerto per il Cembalo etc. Partitura Nr.1. — Es mögen, mit Einschluß von einigen für zwei und drei Claviere, etwa 12 vorhanden sein. Hr. Hauser besitzt sie sämmtlich. [Sch.]
         ** Wortgetreu: „eine Erscheinung Gottes: klar, doch unerklärbar.“
        *** Präludien und Fugen für Orgel oder Pianoforte mit Pedal. [Sch.]


{164} wie ihm bekannter in Manuskript vorhandener Werke. Der immer wachsenden Zahl der Verehrer Bachs würde es gewiß willkommen sein, wenn der Katalog veröffentlicht würde. {{Right|R. S.

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Phantasieen, Capricen etc für Pianoforte.

Michael Bergson, Vier Mazurken. Werk 1.

Die vorliegenden Mazurken hat Chopin auf dem Gewissen. Wir wollen sie nicht hart anlassen; sie verrathen eine echt nationale Physiognomie, viel Liebe zu Chopin, zur Musik, überhaupt viel Jugend. Dennoch hätten sie nimmermehr gedruckt werden sollen. Der Schüler spukt zu deutlich darin. Gewiß wird den Componisten der Druck später einmal gereuen, obwohl junge Ruhmdürstige uns im Innern dies niemals zugeben mögen. Von manchen Dingen ist Chopin in neuerer Zeit ja selbst zurückgekommen. Nun aber kommen die Nachahmer, wie immer, erst einige Jahre hinterdrein, und wir müssen nun die uns schon veralteten wunderlichen Chopin-Schnörkeleien, so reizend sie oft am Original, noch einmal anhören, sollen’s gar als etwas Neues hinnehmen. Aber wir wissen so gut wie die Componisten selbst, was sie übrigens mit bester Absicht gestohlen und was dann noch übrig bleibt. Was unser junger Pole nach solchem Debüt noch leisten wird, ist nicht zu bestimmen. Vor Allem werde er älter; dann wird er auch Tiefsinnigkeiten wie:

	#Notenbeispiel


{165}

	#Notenbeispiel

u. a. nicht mehr hinschreiben können. Die Stelle ist übrigens die tollste in den Mazurken, und das andere wirklich besser.

'Valentin Alkan', Sechs charakteristische Stücke.  Werk 16.

Der Componist gehört zu den Ultras der französischen Romantiker und copirt Berlioz auf dem Pianoforte. Seine vorletzte Schöpfung (Etuden) fuhren wir seiner Zeit etwas stark an: sie ist uns noch jetzt in der Erinnerung fürchterlich. Die sechs Charakterstücke sind sanfterer Sitte im Ganzen und sagen uns viel mehr zu. Was man schon in keinem französischen Wörterbuch findet, das Gemüth, fehlt auch den französischen Compositionen, wie eben auch der vorliegenden. Dagegen treffen wir auf eine Persiflage der Opernmusik in Nr. 6 (L’Opéra), wie sie kaum besser gemacht werden kann. Auch die „Winternacht“ ist charakteristisch, ein schneidender Frost weht daraus. Den Gegensatz „die Frühlingsnacht“ erwarteten wir wärmer und duftiger, indeß klingt sie artig genug. Das Stück „La Pâque“ wünschten wir als etwas platt ganz aus der Sammlung entfernt; das mit „les Moissonneurs“ überschriebene wirkt dagegen frisch und lieblich, wie Landluft nach Stadtluft. Die „Serenade“ hebt sich gleichfalls nicht über ihren Standpunct und wird daher gefallen. Vortragsbezeichnungen fehlen fast gänzlich. Es hat viel für und gegen sich. Im Uebrigen mag der Componist ein interessanter Spieler sein und sich wohl auf die seltneren Effecte des Instruments verstehen. Als Componisten würden ihn nur strengste Studien vorwärts bringen können. Er verfällt sonst immermehr ins Aeußerliche.

'H. Cramer, Phantasie mit Variationen über Mozartsche Themas.  Werk 7.
   „         „            Romantische Ideen.  Werk 10.

An der Phantasie ist nichts zu verwundern, als daß sie vom Componisten festgehalten und aufgeschrieben wurde; sie gleicht ganz einer jener Improvisationen, wie wir sie von jungen Clavierspielern in geselligen Zirkeln oft anhören müssen. Kommt noch die Zeit einmal, — die wohl namentlich von den Verlegern verwünscht werden

{166} möchte, weil jeder Spieler da zugleich sein eigener Drucker und Verleger würde, — die Zeit nämlich, wo am Instrument angebrachte Copirmaschinen das Gespielte heimlich nachschrieben, so werden solche Phantasieen zu Millionen auftauchen. Der Beisatz „über Mozartische Themas“ bestach mich zwar von vornherein und ich hoffte auf künstlerische Verknüpfung; es erhebt sich aber nichts über das Mittelmäßige, und der Componist hat es sich gar zu leicht gemacht. Die „romantischen Ideen“ haben ein höheres Ziel. „Empfindungen nach einem Ball“ — „Sympathetische Klange“ — und „Grüße an die Heimath“ sind sie überschrieben. Eine leicht verbindende und abschließende Hand macht sich auch in ihnen bemerkbar, auch gute Kenntniß des Instruments. Romantisches ist aber wenig darin. Der Componist scheint jung und nicht ohne Talent; mög’ er beides nützen,

'Joh. Friedr. Kittl', Sechs Idyllen.  Werk 1.

Ein späteres Idyllenheft desselben Componisten haben wir bereits früher in der Zeitschrift erwähnt. Schon damals stießen wir uns an der Bezeichnung „Idylle“, die immer auf Ländliches, Hirtenmäßiges etc. vorbereitet; wie dort ist aber auch hier das Wort im weitesten griechischen Sinne als „Bildchen“ genommen, und die Nummern könnten ebenso gut Impromptus oder anders heißen. Aus eine richtige Benennung seiner Kinder hat aber der Musiker ebenso zu sehen wie jeder andere Künstler; eine falsche kann bei aller Güte der Musik sogar verstimmen, eine treffende aber die Freude am Verständniß um vieles erhöhen. Tomaschek in Prag brachte zuerst „Idyllen“, in denen auch, irr’ ich nicht, der ländliche Ton vorwaltet. Hr. Kittl hat bei Tomaschek gelernt; vielleicht glaubte er seinen Lehrer durch Wiederaufnahme des Titels zu erfreuen, was sich in dieser Hinsicht nur loben läßt. Wie die Hauptüberschrift, so trifft auch die Ueberschriften der einzelnen Nummern der Vorwurf, daß sie zum Inhalt der Musik nur wenig passen oder ihn zu hoch angeben. Man sehe gleich das erste beste:

#Notenbeispiel.


{167} Wer denkt da an eine Amour exancé, wie es der Componist betitelt, da es ebenso gut und besser Trinklied, Tanzlied oder Hopfer heißen könnte. Dasselbe gilt von den meisten der andern Stücke. Die Überschriften aber weggedacht, enthält dies erste Werk Vorzüge, wie man sie in ersten gern sieht und selten erhält: außer dein Streben nach Einfachheit und Natürlichkeit eine correcte und gesunde Harmonie, überhaupt einen deutschen gründlichen Sinn, an den Italien und Frankreich ihre Verführungskünste vergeblich verschwenden würden. Ein eigenes Unglück verfolgt aber den Componisten oft zum Schluß der Theile; es fehlt nämlich häufig etwas im Rhythmus, oder scheint etwas zu viel, so in Nr. 2 zwei Tacte vor dem Fine, in Nr. 3 ebenso, in Nr. 4 ebenso etc. Der Componist wird nicht zur rechten Zeit fertig. Wohl treffen wir manchmal in Meisterwerken auf scheinbar gestörte Rhythmen (die sich aber zur Secunde wieder ausgleichen), und der Kühnheit verzeihen wir wohl gar den Sprung, wie denn das Genie immerhin neben Abgründen läuft mit Gemsensicherheit; anders aber ist es hier, und gesteigerte Uebung wird dem jüngern Talent den Schritt stärken und es die Ziele in immer kürzeren Räumen erreichen lassen.

'Fr. Burgmüller', Phantasie an seinen Freund Liszt. (Rêveriees fantastiques).  W. 41.

Wo der Name Liszt steht, sieht man gleich auf Riesenarbeit auf. Dies ist indeß hier nicht der Fall, obwohl der Verfasser, der bisher meist nur Leichtes, Dilettantenkost und Arrangirtes geliefert, über feine gewöhnliche Sphäre hinausgegriffen und wirklich auch Bedeutenderes geleistet. Das Stück hat einen leichten glücklichen Fluß und namentlich einen sehr wirkungsvollen Mittelgedanken in der Tenorstimme; der Anfang erinnert sehr an den zur Euryanthenouverture, wie das Ganze an Webers feuersprühende Allegrosätze. Möge der Verfasser sich ganz wieder zur Originalcomposition hinwenden; zum Arrangiren bleibt noch immer Zeit. Ob er übrigens ein Verwandter des Norbert Burgmüller, des früh gestorbenen geweihten jungen Sängers, wissen wir nicht;* die Namen sind sich gleich, möcht' es auch das Streben fernerhin!

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       * Er war Norberts Bruder.


{168}

'I. Kowakowski', Zwei Polonaisen. Werk 14

Was neuerdings von polnischen Compositionen aufgetaucht, läßt sich nichr oder weniger auf Chopin zurückführen. Durch ihn hat Polen Sitz und Stimme erhalten im großen musikalischen Völkerbund; politisch vernichtet, wird es vielleicht noch lange in unserer Kunst fortblühen. Auch in den obigen Polonaisen ist Chopins Einfluß zu spüren, nirgends aber, daß man dem unbekannteren Namen einen Vorwurf daraus machen könnte. Der ersten Polonaise wünschte ich nichts als eine ähnliche zweite, während diese fast nur aus Putz und Flitter, obwohl goldenem rauschenden, zusammengesetzt ist, weht uns aus jener ein sanfter melancholischer Charakter entgegen, ein sich leise verhüllender Schmerz, dessen Anblick sogar noch inniger zu rühren vermag als Chopins offener blutender; sie sagt mir fast durchgängig zu. Eine einzige unreinliche Harmonie fiel mir auf; Aufmerksame werden sie leicht finden auf Seite 7. Dies einzige kleine Stück macht uns den Componisten lieb und werth.

			'Jacques Schmitt, Phantasie.  Werk 268.
    			       „               „             Die Fuchsjagd; Phantasie.  Werk 280.

Des Componisten freundliches Talent spricht sich auch in diesen Stücken aus; Jacques Schmitt bleibt Jacques Schmitt, für Schriftsteller ein wenig einträglicher Componist, da man zuletzt nicht mehr weiß, was über ihn sagen. Frappiren kann einen in der Phantasie höchstens die erste Seite, die wie eine Violoncellstimme aussieht mit ihrem einzigen System; später tritt aber die rechte Hand hinzu, und dann geht es in heiteren gewöhnlichen Melodieen auf und nieder. Loben muß man, wie immer, das Spielgerechte seiner Schreibart; die Finger können kaum fehlen im Fingersatz. Die „Fuchsjagd“ theilt dieselben Vorzüge. Méhul mit seinen Treibvorschlägen kommt noch in allen Jagdstücken zum Vorschein, auch hier. Daß wir keine besondere Beschreibung der Jagd zwischen den Linien lesen müssen, ist ebenfalls gut; man erräth auch ohnedies alles. Eine Gemsen- oder Löwenjagd vermissen wir noch in den Katalogen. Wir bitten darum. Nicht immer Wildpret!


{169}

'S. Thalberg, Notturno (in E). Werk 28.

    „          „            Andante (in Des).  Werk 32.
    „          „            Phantasie über Themas aus Rossinis Moses.  Werk 33.

Ch. Döhler, Notturno (in Des). Werk 24. J. Rosenhain, Vier Romanzen. Werk 14.

    „         „             Romanze (Morceau de Salou).  Werk 15

Am schlimmsten aber ist jenen Leuten von Welt beizukommen, die uns durch Höflichkeit gleich von vornherein zur Höflichkeit zu zwingen wissen, die uns einen etwaigen Tadel mit einer Verbeugung von den Lippen wegnehmen, ja die uns entschlüpfen, wenn wir es versuchen, ihnen tiefer auf den Grund zu gehen. Wie sie im Leben, an den Höfen, in den Salons gelten und feststehen, so sind sie auch nicht aus der Kunst wegzudenken. Sind sie vollends, wie Thalberg, durch Geburt schon der Aristokratie oder, wie Döhler, der Diplomatie verwandt, so werden sie um so früher durchdringen, sich Namen machen, und des Lobpreisens ist dann überall kein Ende. Freilich in einzelnen Minuten, namentlich späterer Jahre, wo der Weihrauch nicht mehr wirken will, wo auch die Leiber an Geschmeidigkeit verlieren, mag selbst diese vom Geschick Begünstigten manchmal ein Sehnen nach dem Bessern überfallen, oft auch vielleicht Reue über die rasch verflogene Jugend. Ein höheres Streben will dann wieder die Flügel rühren, ein neuer Muth sie heben, sie wollen nachholen, was sie versäumt, und wieder gut machen. Oft gelingt es, oft ist es zu spät. In solcher Sehnsucht nach der echten Heimath der Kunst, die nun einmal in den Salons der Großen und Reichen nicht zu finden ist, mag denn vielleicht auch jenes oben zuerst aufgeführte Notturno entstanden sein; öfter regt sich wohl auch in ihm der Eitelkeitsgeist: immerhin zeugt aber das Ganze von einer edleren Regung, als man sonst an den Salonvirtuosen kennt; es ist eines der besten Stücke von Thalberg.

Einer Composition auf den Grund zu kommen, entkleide man sie vorher allen Schmuckes. Dann erst zeigt sich, ob sie wirklich schön geformt, dann erst, was Natur ist, was die Kunst dazu that. Und bleibt dann noch ein schöner Gesang übrig, trägt ihn auch eine gesunde, edle Harmonie, so hat der Componist gewonnen und verdient unseren Beifall. Diese Forderung scheint so einfach, und wie selten wird ihr doch Genüge geleistet! Das Notturno nun, seiner äußeren zufälligen Reize entkleidet und auf seine Grundzüge zurückgeführt, wird


{170} auch dann noch aufs Gesälligste wirken. Werden auch an einzelnen Stellen die Melodieenfäden lockerer, so zerreißen sie doch nicht geradezu, wie es den Meisten geschieht, wenn Phantasie und Empfindung ausgehen wollen, — und diese natürliche melodische Haltung macht uns das Stück, das auch interessante Zwischenpartieen enthält, vor vielen andern Thalbergschen lieb, und wird es auch Andern, namentlich Damen.

Weniger geglückt ist ihm das Andante; die Hauptmelodie scheint mir trocken und seelenlos, es ist eine Melodie, wie sie sich die Finger zusammensetzen auf dem Clavier nach langem vergeblichen Mühen; das Herz hat keinen Theil daran. Das Stück scheint zu verschiedenen Zeiten entstanden, umgeändert, aufgefrischt, und ist doch nicht fertig worden. Dazu spielt es sich schwer und entschädigt für die angewandte Mühe wohl kaum; ich zweifle, ob dies Andante den Virtuosen, der es schrieb, überleben wird.

Die Phantasie über Themas aus Moses noch zu erwähnen, so ist sie bekanntlich einer der Trinmphsätze Thalbergs, mit der er aller Orten geschlagen, namentlich durch die auf- und niederfliegenden Arpeggien am Schluß, wo sich der Spieler zu verdoppeln scheint, das Instrument ein neues gebären möchte. Die Phantasie ist in einer glücklichen Saloninspiration geschrieben und gibt dem Virtuosen alle Mittel und Waffen in die Hand, sich sein Publicum zu erobern, wozu beispielsweise gehören: ein fesselnder, zum Aufhorchen spannender Anfang, Virtuosen-Kraftstellen, anmuthige italiänische Melodieen, reizende Zwischensätze und sanftere Ausruhplätze — und nun ein Schluß wie eben in besagter Phantasie. Steht dann der Maestro vom Piano auf, so will sich das Publicum kaum zufrieden geben und ladet ihn schreiend noch einmal zum Niedersetzen ein: — dieselbe stürmische Wirkung. Wer sähe nicht gern ein enthusiasmirtes Publicum, und dann hat die Phantasie auch wirklich werthvollere Stellen, denen wohl auch der Kenner minutenlang mit Vergnügen zulauscht. Schon die Steigerung verräth den Gewandten und Erfahrenen, und das Einzelne, wie gesagt, wäre eines größeren Kunstganzen würdig. Lasse man also auch solche Stücke gelten als das, was sie sind, und endlich, vergleicht man einen solchen Concertsatz mit welchen aus frühern Zeiten, die auf gleiche Wirkung berechnet waren, so können wir uns noch immer Glück wünschen, daß auch in der Salonmusik an die Stelle gänzlicher Unfruchtbarkeit und Inhaltlosigkeit, wie sie sich z. B. in Gelinek, später in Czerny zeigt, ein Ideenvolleres, mehr künstlerisch Combinirendes


{171} getreten ist, und in dieser besseren Art der Salonmusik mag denn auch Thalberg als Matador betrachtet werden.

Wir fügten oben noch ein Notturno von Döhler bei, weil dieser Virtuos auf ziemlich gleiche Erfolge hinzielt wie Thalberg. Sein Notturno ist keines, wie es wohl ehedem der Troubadour seiner Dame brachte, nachdem er mit Lebensgefahr über Hecken und Mauern gesetzt, sondern eine Salonliebeserklärung, süß und kalt wie das Eis, das dazu verschluckt wird. Daß es aus Des dur geht, war vorauszusehen; es ist mit einem Worte charmant, allerliebst.

Auch Hrn. Rosenhain treffen wir seit Kurzem öfter, als uns lieb ist, in den Salons. Vielleicht gefällt er sich selbst nicht darin, und wie fehlt auch seinen galanten Versuchen nöthiger feinster Schnitt und überhaupt das vornehme Nichtssagende, mit dem sich in höheren Zirkeln zu bewegen! Aber trotzdem haben weder die vier Romanzen, noch die einzelne Romanze etwas zu bedeuten und scheinen mir unglückliche Vermehrungen der Salonmusik. Vom guten Musiker, den wir sonst in Rosenhain schätzen zu müssen glaubten, spürt man höchstens nur in der letzten Romanze in As, und auch wieder nicht, da sie nicht einmal schön gerundet. Ist das aber die Bildung, die Paris und London geben, so bleibt lieber sein zu Hause, deutsche Musiker, oder haltet euch dort wenigstens von jenen Compositionssudelküchen entfernt, wo der Lorbeer zu nichts gebraucht wird, als abgestandene Gerichte damit zu würzen. Ein Künstler, wie Rosenhain sollte sich nicht zu solchen Arbeiten hergeben; es fehlt ihm sogar, wie wir glauben, das Talent zum offenbar Schlechten, das indeß, wie die Beispiele lehren, jene Großstädte in bewundernswürdiger Schnelligkeit auszubilden wissen, hat der Künstler nicht Acht auf sich.

'C Schwenke, Drei Märsche zu vier Händen.  Werk 50.

„ „ Amüsement. Werk 55.

Der Componist gehört einer von jeher geachteten Musikerfamilie an. Irr' ich nicht, so versuchte auch er sein Glück längere Zeit in Paris, das sich jedoch vergebens an ihm zu glätten und verfeinern bemühte; er ist als der ehrliche handfeste Deutsche wiedergekommen, wie er gegangen ist (wlr meinen s immer musikalisch), und so erblicken wir ihn namentlich im Amüsement, das in der Clavier-Marschtonart Es dur geschrieben ist und freilich nur wenig enthält, was nicht auch schon von Andern auf dieselbe Weise gesagt worden wäre; im Grunde


{172} sind es Variationen ohne Thema, eine variirte Harmoniefolge mit wiederkehrenden Refrains. Als einen sehr verschiedenen zeigt sich derselbe Componist in den drei Märschen und versucht Franz Schubertschen Flug; es hat aber Gefahr mit solchen Versuchen für den, der sonst nur auf breiter sicherer Mittelstraße zu gehen gewohnt. Mit einem Worte, es ist keine Natur in diesen Märschen, und es läßt sich vieles in der Welt nachmachen, nur nicht das Romantische. In Quinten aber, wie Seite 14 Syst. 3, such' er das Romantische nicht, das gerade im reinsten, feinsten Wohllaut besteht. Macht der Meister eine Ausnahme, so wird er zu verantworten wissen, wozu dem schwächeren Talente die Gründe fehlen. Damit soll aber, wie gesagt, der Fleiß und das Streben des kenntnißvollen Componisten, der in diesem Werke offenbar auf Höheres ausging, keineswegs verkannt sein.

'E. Marxsen, Drei Impromptus für die linke Hand.  Werk 33.

„ „ Drei Stücke (Pièces fugitives). Werk 31.

Je mehr die vierhändigen Stücke aus der heutigen Clavierliteratur schwinden, je mehr einhändige tauchen auf, was charakteristisch genug ist. Der Zeitschrift Ansicht über diese Compositionsart wird als bekannt vorausgesetzt.* Eigene Compositionen für diesen Zweck drucken zu lassen. — sind sie nicht, wie einige von Ludwig Berger, der ausgezeichnetsten Art, — verlohnt sich wohl kaum der Mühe. Es hat etwas Tragikomisches, fast Unnatürliches, eine einzige Hand sich abmühen zu sehen, wo ein Niederdruck der andern im Augenblick erleichtern würde; man nehme z. B. solche Tacte wie

#Notenbeispiel.

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           * Bei Erwähnung der C. W. Greulichschen Etuden für die linke Hand sagte Schumann (1836, V, 18): „Ist es auch nicht so schlimm, als wenn man auf einem Fuß tanzen lernen wollte, so hat es immer etwas Komisches und so zu sagen Einfältiges, wenn die rechte Hand müßig zusehen muß und gleichsam zu sagen scheint: ,ich brauchte nur hinzutippen und du brauchtest dich nicht so abzumartern'. Doch kann die Idee ausnahmsweise in Schutz genommen werden. Dabei fällt mir


{173} und stelle ein gescheidtes Kind neben das Clavier, ob es nicht ausrufen wird: „warum nimmst du das nicht mit der andern Hand?“ Wozu sich unnöthig zum Invaliden machen? Doch genug! Die Impromptus haben ihre Entstehung wohl auch einer äußeren Anregung zu danken, der Bekanntschaft des Componisten mit Hrn. Dreyschock, der eine der stärksten linken Fäuste besitzen soll, und nennen sich auch auf dem Titel als ein dem genannten Virtuosen dargebrachtes „Hommage“. Was nun mit so beschränkten Mitteln geleistet werden kann, finden wir nach Möglichkeit erfüllt, obgleich die Arbeit einen ziemlich gelegentlichen, flüchtigen Anstrich hat, namentlich die Fuge, die weit unter der bekannten einhändigen von Kalkbrenner steht, und doch war es gerade hier, wo sich der Componist in seiner Kunst zeigen konnte. In den Pièces fugitives tritt sein Talent aber bei Weitem entschiedener und eigenthümlicher hervor; sie haben Sinn und Charakter, wenn ich mich auch mit einzelnen Wendungen, Melodieenfällen etc. nicht befreunden kann. Auf mehr Adel der Melodie scheint mir der Componist vor Allem Acht geben zu müssen; auch hierin läßt sich selbst bei geringerem Besitz dieser köstlichen Gabe noch manches durch Fleiß erreichen. Originell und trotz des widerspenstigen 5/8-Rhythmus von nicht unfreundlicher Wirkung ist das letzte Stück; hier zeigt sich eine humoristische Ader, die auf reichere Schätze hinzudeuten scheint.

'Simon Sechter', Zwölf contrapunctische Studien.  Werk 62

Ein merkwürdiges Heftlein, das man bei verdecktem Titelblatt wohl für eine Reliquie aus einem früheren Jahrhundert halten könnte, wo derlei gelehrte Spielereien an der Tagesordnung waren. Neben einzelnem Barocken enthält es auch manches Sinnige und Gemüthliche; zu den Stücken letzterer Art zähl' ich die über einen sich immer wiederholenden Cantus firmus gesetzten, zu denen der ersteren den in allen vier Stimmen sich nach und nach vergrößernden Canon, der wahrhaft greulich klingt. Beethoven sagt irgendwo, „daß man sich ehedem mit derlei Calculationen den Kopf zerbrochen habe, daß die Welt aber klüger geworden sei“, und er hat in der Hauptsache Recht,

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der Gedanke eines bedeutenden Componisten ein, der meinte, ,daß es ihm immer spaßhaft vorgekommen, wenn sich Violinvirtuosen zwei- und dreistimmig abplagten, während die Orchestranten, die Violine in den Händen, ruhig daständen'. Nur ist’s (und nicht allein im Klang) ein eben so großer Unterschied, wenn Einer doppelstimmig spielt, als wenn zwei einstimmig.“

{174} wie immer. Indeß versuche sich der Studirende auch in solchen Ausgaben, wenn sie auch nicht mehr Werth haben als jene vor Jahrhunderten einmal gebräuchlichen Gedichte, die auf dem Papier irgend eine Figur, ein Kreuz, einen Altar u. dgl. darstellen mußten; man lernt aber dadurch sich in engen Schranken bewegen, mit kargen Mitteln auskommen müssen, und dies kommt uns dann immer auf eine oder die andere Weise wieder zu gute. Je früher man sich in solchen Künsteleien Fertigkeit zu verschaffen sucht, je besser wird es sein; in älteren Jahren erworben, verleitet sie oft zu einer Ueberschätzung ihres Werthes, wie man denn aus alles im späteren Alter Gelernte sich das Meiste einzubilden geneigt ist. — Hr. Simon Sechter ist bekanntlich einer der gründlichsten Theoretiker Wiens und ein so gewissenhafter Contrapunctist, daß man etwa in einem Canon kaum nachsehen möchte, ob sich die Intervalle streng folgen, da er das Gegemheil für das größte Vergehen halten würde. Quinten gar würden kaum mit einem Falkenauge zu entdecken sein; doch fiel mir namentlich im dritten Stück eine Art vermiedener Ocaven auf, die, nicht viel anders als wirkliche Octaven klingend, sich gerade in diesem Stücke so oft wiederholen, daß man sie für absichtlich halten möchte. Man sehe selbst nach; das Heft bleibt in unserer Zeit ein artiges Curiosum, welches das schon vom Titel erweckte Interesse in jeder Art befriedigt. {{Right|R. S.

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Concertouverturen für Orchester.

J. J. H. Verhulst. — W. Sterndale Bennett. — H. Berlioz.

Der Zufall hat oben drei Namen aneinandergereiht, deren Träger als Repräsentanten wenigstens der jüngern Künstlergeneration dreier verschiedener Nationen betrachtet werden können, der holländischen, englischen und französischen. Der Name des letzteren ist bekannt, der zweite fängt an sich Geltung zu machen, wie auch der erste schon an Fremdartigkeit verloren durch öftere Erwähnung, namentlich schon in unserer Zeitschrift. Man mag sie sich sämmtlich merken; sie werden, wie wir glauben, in der Geschichte der Musik jener Länder mit der Zeit Bedeutung erlangen.

{175} Die Ouverturen, von denen hier berichtet werden soll, habe ich leider nicht vom Orchester gehört. Dafür entschädigt und befähigt mich vielleicht zum Urtheil eine ziemliche Vertrautheit mit den meisten der anderen Werke wie mit den Persönlichkeiten der Componisten selbst, wenigstens mit den zwei erstgenannten. Berlioz verspricht von Jahr zu Jahr, nach Deutschland zu kommen, uns mit seiner Musik bekannter zu machen; einstweilen hat er uns eine neue Ouverture geschickt, die von seiner merkwürdigen Richtung neues Zeugniß gibt.

Holland, bisher nur durch seine Maler berühmt, hat sich in neuerer Zeit auch durch regen Sinn für Musik ausgezeichnet. Großen Einfluß darauf mag die Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst gehabt haben, die sich durch das ganze Land in hundert Zweigen verbreitet und neben deutscher Musik auch einheimische zu fördern sich zum Ziel gesetzt. Der Componist, von dem wir sprechen, ist ein Schützling jener Gesellschaft; irr' ich nicht, so erhielt er bei mehreren Wettkämpfen den Preis in der Composition. Er lebt im Augenblick unter uns, hat sich im letzten Winter durch Leitung der Concerte der Euterpegesellschaft auch als Dirigent guten Namen erworben. Jenem niederländischen Vereine verdanken wir auch die Herausgabe einiger von Verhulsts Compositionen; ein Kirchenstück und eine Ouverture sind bereits in der Zeitschrift angezeigt und hervorgehoben worden als Arbeiten eines entschieden glücklichen Talentes. Eine neue Ouverture liegt uns eben vor;* sie ist zur Eröffnung des bekannten holländischen Trauerspiels „Gysbrecht von Amstel“ geschrieben, zu dem Verhulst auch Entreactes gesetzt. Die Ouverture, in Leipzig zum öftern gehört, hat viel gefallen und muß es; sie ist eine Ouverture für Alle, für das Publicum, den Musiker, den Kritiker, und hält sich auf jener Stufe allgemein gültiger Bildung, die sich bei der Masse Achtung, bei dem Künstler Theilnahme zu erwecken versteht. Von den Klippen, wie sie sich oft andern jüngern Künstlern entgegenstellen, von Versuchungen und Verführungen hat ein freundlicher Geist den Componisten bisher entfernt gehalten; er kennt seinen Weg und wagt nichts, wo ihm der Erfolg nicht gewiß wäre. Kenntniß des Maßes seiner Kraft, diese Kraft schon auf erfreulicher Höhe, dabei Lebhaftigkeit und Heiterkeit zeichnen diesen ganz ungewöhnlichen Holländer als Menschen aus, wenn man sich ihn nach seinen musikalischen Leistungen construiren

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    * Ouverture en Ut Mineur à grand Orchestre etc., publiée par la Société des Pays-Bas pour l’encouragement de l’art musical.  [Sch.]


{176} wollte. Als Musiker insbesondere wohnt ihm jener Instrnmentationsinstinct inne, der gar nicht mehr unter zweien zu wählen hat, sondern gleich das Richtige trifft; am liebsten gefällt er sich in Massen, die er wohl zu ordnen und zu bewegen versteht, obwohl er auch aus das Detail ein aufmerksames Auge hat; neue, ungewöhnliche Wirkungen erzielt er nicht; gute Muster vor den Augen, arbeitet er auf schon allgemeinere, überall anerkannte und immer wohlthuende hin. Die Ouverture ist indeß schon einige Iahre alt und kann nicht als letztes Resultat seines Strebens betrachtet werden. Talente seiner Art rücken zwar nicht schnell vorwärts aber mit desto sicherern Schritten; Fleiß, Beobachtung, Umgang mit Meistern, öffentliche Aufmunterung förderten ebenfalls, und so ist gar kein Zweifel, daß der junge Stamm von Jahr zu Jahr immer reifere und reichere Frucht absetzt; mit den Wurzeln schon nach deutscher Erde herübertreibend, wird sich nach und nach auch der Blüthenüberhang nach dem Lande hinwenden, das so vielen großen Tondichtern Nahrung und Kraft gegeben, und ähnlich, wie wir in der Dichtkunst Ausländer wie Oehlenschläger, Chamisso u. A. als die Unsrigen betrachten, dürfen wir auch ihn als Ehrenmitglied deutscher Kunstbrüderschaft begrüßen, deren Zahl sich immer mehren möge.

Auch Bennett gehört hierher, nur daß er sich gleich von vornherein mehr absondert als Engländer, und, wie wir etwa Händel von England als einen der Unsrigen reclamiren, die Engländer später Bennett als einen ihnen allein Angehörigen zurückfordern dürften, — womit übrigens keineswegs ein Vergleich zwischett Händel und Bennett ausgesprochen sein soll. Die jüngste Ouverture von Bennett hat den Namen „die Waldnymphe“,* das einzig Nichtglückliche, scheint mir, was sie an sich hat. Ich weiß, man kann den Componisten durch nichts mehr kränken als durch Ausstellungen an dem Namen seines Kindes, da er nach seiner Meinung ja am besten wissen muß, was er gewollt, und man könnte sich, daß er gerade aus „Waldnymphe“ fiel, auch durch seine ältere Ouverture „die Najaden“ erklären, der er ein Seitenstück geben wollte; schlagend aber und dem Werke günstig ist die Ueberschrift keinenfalls. Dichterisch ist es wohl, eine Grundstimmung durch ein dieser verwandtes Einzelwesen zu bezeichnen, wie uns aus Mendelssohns „Melusine“ die Jahrtausend alte Romantik des Lebens unter

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        * Ouverture für großes Orchester zu vier Händen eingerichtet von W. St. B. Werk 20. [Sch.]

{177} dem Wasserspiegel auftauchen möchte; im einzelnen Fall aber paßt es nicht, und ich würde die allgemeine Bezeichnung ,,Ouverture pastorale“ oder etwas Aehnliches vorgezogen haben. Diese Nebensache bei Seite, die indeß, wie gesagt, der Wirkung zu Ungunsten gereicht, hebt sich die Ouverture in ihrem wunderzarten, schlanken Gliederbau hoch genug über audere ihrer Schwestern, athme reinstes, hellstes Dchterleben. Der Clavierauszug gibt meist nur ein halbes Urtheil; indeß, hörte ich von Verständigen, bei dieser Ouverture nicht. Bennett ist Clavierspieler vorzugsweise, und wie geschickt und wählerisch er auch mit den Instrumenten umzugehen versteht, sein Lieblingsinstrument sieht doch aus seinen Qrchestercompositionen heraus, und endlich, etwas Schönes wirkt auch in verkleinerter Gestalt, ein schöner Gedanke auch aus Kindesmund.

Die Ouverture ist reizend; in der That wüßt' ich, Spohr und Mendelssohn aufgenommen, keinen noch lebenden Componisten, der, was Lieblichkeit und Zartheit des Colorits anlangt, den Pinsel so in der Gewalt hätte wie Bennett. Auch daß er gerade jenen beiden Künstlern manches abgelauscht, will sich hier über der Meisterlichteit des Ganzen vergessen, und es scheint mir, er habe vorher noch niemals sich so selbst gegeben als in diesem Werke. Man prüfe Tact nach Tact, welch' zartes, festes Gespinnst vom Anfang bis zum Schluß! Anstatt daß aus den Erzeugnissen Anderer handbreite Lücken hervorklaffen, wie schließt sich hier alles eng und innig aneinander! Doch hat man der Ouverture einen Vorwurf gemacht, den der großen Breite; er trifft mehr oder weniger alle Bennettschen Compositionen; es ist seine Art so, er vollendet bis ins kleinste Detail. Auch wiederholt er oft dasselbe, und zwar Note für Note nach dem Abschluß des Mitlelsatzes. Indeß versuche man zu ändern, ohne zu beschädigen; es wird nicht gehen; er ist kein Schüler, dem mit Vorschlägen zu nützen; was er gedacht, steht fest und nicht zu verrücken.

Es liegt außer Bennetts naiv innigem Dichtercharakter und der ihm entsprechenden Richtung, große Hebel und Kräfte in Bewegung zu setzen; Prunk und Pracht sind ihm fremd; wo er mit seiner Phantasie am liebsten weilt, etwa am einsamen Seegestade oder im heimlich grünen Wald, da greift man nicht nach Posaunen und Pauken, sein einsam Glück zu schildern. Nehme man ihn also wie er ist, nicht, was er gar nicht sein möchte, als Schöpfer einer neuen Epoche, oder als einen unzubändigenden Helden, sondern als einen innigen, wahrhaften Dichter, der unbekümmert um ein paar geschwenkte Hüte mehr oder


{178} weniger seinen stillen Weg hingeht, an dessen Ausgange ihn wenn auch kein Triumphwagen erwartet, so doch von dankender Hand ein Veilchenkranz, den ihm Eusebius hiermit aufgesetzt haben will.

Andere Kränze sucht Berlioz, dieser wüthende Bacchant, der Schrecken der Philister, ihnen ein zottiges Ungeheuer geltend mit gefräßigen Augen. Ader wo erblicken wir ihn heute? Am knisternden Kamin, in einem schottischen Herrenhause, unter Jägern, Hunden und lachenden Landfräuleins. Eine Ouverture zu — „Waverley“ * liegt vor mir, zu jenem W. Scottischsten Roman, in seiner reizenden Langweiligkeit, seiner romantischen Frische, seiner echt englischen Präge mir noch immer der liebste aller neueren Romane des Auslandes. Dazu nun schrieb Berlioz eine Musik. Man wird fragen, zu welchem Capitel, welcher Scene, weshalb, zu welchem Zweck? Denn Kritiker wollen immer gern wissen, was ihnen die Componisten selbst nicht sagen können, und Kritiker verstehen oft kaum den zehnten Theil von dem, was sie besprechen. Himmel, wann endlich wird die Zeit kommen, wo man uns nicht mehr fragt, was wir gewollt mit unsern göttlichen Compositionen; sucht die Quinten und laßt uns in Ruhe! Einigen Ausschluß indeß gibt diesmal das Motto auf dem Titelblatt der Ouverture:

Dreams of love and Lady’s charms Give place to honour and to arms.

Dies führt schon näher auf die Spur; wünscht' ich doch im Augenblick nichts, als ein Orchester stimmte die Ouverture an und die gesammte Leserschaft säße herum, alles mit eigenen Augen zu prüfen. Ein Leichtes wär' es mir, die Ouverture zu schildern, sei’s auf poetische Weise durch Abdruck der Bilder, die sie in mir mannigfaltig angeregt, sei’s durch Zergliederung des Mechanismus im Werke. Beide Arten, Musik zu verdeutlichen, haben etwas für sich, die erste wenigstens den Mangel an Trockenheit, in die die zweite wohl oder übel fällt. Mit einem Worte, Berliozsche Musik muß gehört werden; selbst der Anblick der Partitur reicht nicht hin, wie man sich auch vergebens mühen würde, sie sich auf dem Clavier zu versinnlichen. Oft sind es geradezu nur Schall- und Klangwirkungen, eigen hingeworfene Accordklumpen, die den Ausschlag geben, oft sonderbare Umhüllungen, die sich auch das geübte Ohr nach blosem Anblick der Roten aus dem Papier nicht

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      * Grande Ouverture de Waverley etc. Oe. 1. Partition. Paris, chez Richault.   [Sch.]


{179} deutlich vorzustellen vermag. Geht man den einzelnen Gedanken auf den Grund, so scheinen sie, für sich betrachtet, oft gewöhnlich, sogar trivial. Das Ganze aber übt einen unwiderstehlichen jReiz auf mich aus, trotz des vielen Beleidigenden und einem deutschen Ohr Ungewohnten. Berlioz hat sich in jedem seiner Werte anders gezeigt, sich in jedem auf anderes Gebiet gewagt; man weiß nicht, ob man ihn ein Genie oder einen musikalischen Abenteurer nennen soll: wie ein Wetterstrahl leuchtet er, aber auch einen Schwefelgestank hinterläßt er; stellt große Sätze und Wahrheiten hin und fällt bald darauf in schülerhaftes Gelalle. Einem, der noch nicht über die ersten Anfänge musikalischer Bildung und Empfindung hinaus ist (und die Mehrzahl ist nicht darüber hinaus, muß er geradezu als ein Narr erscheinen, so namentlich den Musikern nun Profession, die sich neun Zehntel ihres Lebens im Gewöhnlichsten bewegen,* doppelt ihnen. da er Dinge zumuthet, wie Niemand vor ihm. Darum das Sträuben gegen seine Compositinnen, darum vergehen Jahre, ehe sich eine bis zur Klarheit einer vollkommenen Aufführung durchschlägt. Die Ouverture zu Waverley wird sich indeß leichter Bahn machen. Waverley und die Figur des Helden sind bekannt, das Motto im Besondern spricht von „den Träumen der Liebe, denen der Ruhm der Waffen Platz gemacht“.** Was kann deutlicher sein? Es ist zu wünschen, daß die Ouverture in Deutschland gedruckt und zu Gehör gebracht wird; schaden könnte seine Musik nur einem schwachen Talent, das durch bessere auch nicht vorwärts gebracht wird. Noch erwähn' ich, daß, merkwürdig genug, die Ouverture einige entfernte Aehnlichkeit mit der zu Mendelssohns „Meeresstille“ hat, wie auch eine Bemerkung von Berlioz auf dem Titelblatt der mit Werk 1 bezeichneten Ouverture nicht zu übersehen ist, das; er nämlich sein früher*** gedrucktes Werk 1 (acht Scenen aus Faust) vernichtet habe und die Waverley-Ouverture als erstes Werk angesehen wünsche. Wer aber steht uns dafür, daß ihn das zweite Werk 1 später einmal auch nicht mehr aumuthet? Also eile man, das Werk kennen zu lernen, das trotz aller Jugendschwächen doch an Größe und Eigenthümlichkeit der Erfindung das Hervorragendste, was uns das Frankenland an Instrumentalmusik neuerdings gebracht. 36 {{Right|R. Schumann.

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          * Oft hab' ich es erfahren müssen, daß unter den Musikern vom Handwerk die meiste Bornirtheit anzutreffen; andererseits fehlt ihnen eine gewisse Tüchtigkeit nicht leicht. [Sch.1.]
         ** Genauer übersetzt: „die dem Ruhm der Waffen Platz gemacht“. 
       *** 1829


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Neue Symphonieen für Orchester.

G. Preyer, Erste Symphonie (Dmoll).  Werk 16. Partitur.

C. G. Reißiger, Erste Symphonie (in Es), für Pianoforte zu 4 Händen eingerichtet. Werk 120. Fr. Lachner, Sechste Symphonie (in D). Werk 56. Partitur.

Wenn der Deutsche von Symphonieen spricht, so spricht er von Beethoven: die beiden Namen gelten ihm für eines und unzertrennlich, sind seine Freude, sein Stolz. Wie Italien sein Neapel hat, der Franzose seine Revolution, der Engländer seine Schifffahrt etc., so der Deutsche seine Beethovenschen Symphonieen; über Beethoven vergißt er, daß er keine große Malerschule aufzuweisen hat, mit ihm hat er im Geist die Schlachten wieder gewonnen, die ihm Napoleon abgenommen; ihn wagt er selbst Shakespeare gleich zu stellen. Wie nun die Schöpfungen dieses Meisters mit unserm Innersten verwachsen, einige sogar der symphonischen populär geworden sind, so sollte man meinen, sie müßten auch tiefe Spuren hinterlassen haben, die sich doch am ersten in den Werken gleicher Gattung der nächstfolgenden Periode zeigen würden. Dem ist nicht so. Anklänge finden wir wohl, — sonderbar aber meistens nur an die früheren Symphonieen Beethovens, als ob jede einzelne eine gewisse Zeit brauchte, ehe sie verstanden und nachgeahmt würde, — Anklänge nur zu viele und starke; Aufrechthaltung oder Beherrschung aber der großartigen Form, wo Schlag auf Schlag die Ideen wechselnd erscheinen und doch durch ein inneres geistiges Band verkettet, mit einigen Ausnahmen nur selten. Die neueren Symphonieen verflachen sich zum größten Theil in den Ouverturenstil hinein, die ersten Sätze namentlich; die langsamen sind nur da, weil sie nicht fehlen dürfen; die Scherzos haben nur den Namen davon; die letzten Sätze wissen nicht mehr, was die vorigen enthalten. Ein Phänomen ward uns in Berlioz verkündigt. Man weiß in Deutschland im Allgemeinen so gut wie nichts von ihm; was über ihn durch Hörensagen bekannt wurde, schien die Deutschen eher abzuschrecken, und so wird wohl noch eine Zeit vergehen, ehe man ihn gründlich kennen lernt. Gewißlich aber wird er nicht umsonst gearbeitet haben; es kommt keine Erscheinung allein. Die nächste Zukunft schon wird es lehren. Zu erwähnen wäre auch noch Franz Schubert; aber


{181} auch seine Leistungen im Symphonieenfach sind noch nicht öffentlich geworden. Ein bedeutendes Zeichen vom Stand der Talente gab die Wiener Preisaufgabe. Man mag sagen, was man wolle: Preisaufgaben können nur fruchten, schaden nimmer, und man kennt die Zeugekräfte wenig, wenn man meint, sie steigerten sich nicht durch Anregung, sei’s auch eine prosaische. Hatte man doch zum Versuch, als Mozart, Haydn und Beethoven lebten, einen Preis auf eine Symphonie ausgeschrieben und etwa einen von jenen schweren seltenen Diamanten, wie sie sich in kaiserlichen und königlichen Schätzen befinden, als Belohnung versprochen, ich wette, die Meister würden sich wacker zusammengenommen haben. Aber freilich, wer hätte da richten sollen? Doch genug! Der Erfolg jener Preisaufgabe ist bekannt, und erzählt man sich auch, der damals Gekrönte habe, schon ehe er seine Symphonie begonnen, den Preis so gut wie in der Tasche gehabt (heimlich glaubt es jeder Concurrent), so müssen wir doch bekennen, wie jetzt die Sachen stehen, d. h. nachdem wir auch viele der andern eingesandten Werke gehört haben, verdiente Lachner den Preis, und zwei der heute zu besprechenden Symphonieen, die sich ebenfalls schon auf dem Wiener Wahlplatz eingefunden, bestätigen dies von Neuem. Einen günstigen Eindruck macht es gleich von vornherein, daß eine dieser Symphonieen, von C. G. Preyer, in Partitur erschienen. Der Componist, in Wien zu Hause, hat sich dort namentlich durch einige beliebt gewordene Lieder bekannt gemacht; Wien gleicht hierin andern großen Städten, daß ein glücklicher Wurf in so kleinem Genre genügt, für einen bedeutenden Componisten gehalten zu werden; wer am meisten gekauft wird, ist der Erste. So kam es denn wohl, daß sich eine Verlagshandlung zum Druck der Partitur entschloß, jener Gattung kostbarer und gefährlicher Ladenhüter, die die Verleger kaum geschenkt haben wollen. So liegt denn eine klar und correct gestochene Partitur vor uns.

Wenige Seiten genügen, um in ihr einen vorwärts strebenden jungen Componisten zu erkennen, der sich anfangs in der großen ungewohnten Form etwas ängstlich benimmt, im Verlauf aber Sicherheit und Muth gewinnt. Doppelt muß man sein Streben anerkennen, da er gerade in einer Stadt sich rührt, wo dem Soliden, Ernsten, gar dem Tiefen im Durchschnitt nur wenig Aufmunterung zu Theil wird, wo man im Allgemeinen sehr nach den ersten Eindrücken erhebt oder abspricht, und wo das ganze Urtheil meist anf die Worte hinausläuft: „es hat angesprochen“ oder „es hat nicht angesprochen“; so hieß es

{182} z. B. nach der Aufführung des Christus am Oelberge, nach der des Fidelio: „es hat nicht angesprochen“, und damit war die Sache abgethan. Die Symphonie nun, öfter in Wien gespielt, hat angesprochen, sogar imponirt durch den Anstrich von gelehrter Durchführung, den sie oft zeigt. Der Componist wird uns nur verstehen, wenn er diese Zeitschrift aus mehr als aus dieser Nummer kennt, wenn er weiß, von wo sie ausgeht, welche Meister ihr als höchste gelten, welche Ansprüche sie gerade an eine Symphonie macht, und wie sie mit einem Worte etwas karg im Lobe, weil wir Musiker hier untereinander sind. Gerade jenes sogenannte „Arbeiten“ verräth den ersten Versuch, und redliche Anfänger thun da meist des Guten zu viel. Als ob der ganze Contrapunct wieder ausgeschwitzt werden müßte, wird uns dann von Weitem mit Fugenanfängen gedroht (meistens in rasselnden Violons), erhalten wir drei, vier und mehr Themas über einander gestellt, was wir heraushören sollen, und zuletzt merken wir’s dem Componisten doch an, wie er froh ist, nicht allzu ungeschickt wieder in die Haupttonart gekommen zu sein. Schreiber dieses weiß dies aus der besten, aus der eigenen Erfahrung. Ich will dem Componisten seinen Fleiß nicht vorwerfen; doch wer mir, auch mit einem seinen Meisterohr einer, die Kunst von S. 18—22 heraushört, dem sind Bachsche Labyrinthe wahre Zwirnknäule, das soll man bleiben lassen. Und endlich, was ist die Wirkung davon? Freilich auch Mozart arbeitete und gar Beethoven, aber aus welchen Stoffen, an welchen Stellen, aus welchen Gründen, und alles wie im Scherz und Spiel! Gewiß mußten auch sie über Versuche hinweg, aber fürs blose Auge und Papier schrieben sie niemals. Wünschte ich doch, ein junger Componist gäbe uns einmal eine leichte, lustige Symphonie, eine in Dur, ohne Posaunen und doppelte Hörner; aber freilich, dann ist es noch schwerer, und nur wer die Massen zu beherrschen versteht, kann mit ihnen spielen. Halte man uns aber wegen des eben Gesagten in Zukunft nicht etwa vor, wir wünschten keine Arbeit zu sehen; gerade die tiefsinnigste; nur nicht, daß sie um ihrer selbst etwas gelten soll, daß wir sie bei den Fäden herausziehen sollen. Glucks Ausspruch, „nichts zu schreiben, was nicht Effect mache“, ist, im rechten Sinne genommen, eine der goldensten Regeln, das wahre Geheimniß des Meisters. Verfolgen wir nun auch den Componisten bis in das Innere seiner Gedanken, so enthüllt sich uns in seiner Symphonie, außer jener Lust am Arbeiten, ein durchaus offener, wohlmeinender und gesitteter Charakter; er gibt sich ganz wie er ist, verschweigt auch Gewöhnliches nicht, wo es ihm zu Sinn kommt,


{183} oder versucht es zu bemänteln; auch strebt er seinen Landsleuten zu gefallen, ohne deshalb gerade in italiänische Weise überzuschlagen. Im ersten Satz hat er sich anfangs, wie es scheint, noch nicht zurecht gesessen; er rückt und rückt und kommt nicht aus der Tonart; dann aber nimmt dieser Satz, bis auf den Kampf der drei Themas und trotz des Componisten, der eigentlich etwas Ernsthaftestes geben wollte, den hellen, klaren Klang an, der mit der vorzugsweise melodischen Richtung der Anlagen des Componisten in Einklang steht. Das Adagio ist nur die Fortsetzung davon, friedlicher Natur, und sein Glück, daß es kurz ist, was überhaupt der entscheidende Vorzug aller Sätze, den man bei sonstigen jungen Symphoniecomponisten meisthin zu vermissen pflegt. Das Scherzo scheint mir der gelungenste Theil der Symphonie, die Reminiscenz an die heroische von Beethoven nicht verstimmend, das Trio aber namentlich am Schluß des ersten Theils mit der sanften Ausbeugung ins C besonders anmuthig. Der letzte Satz endlich ist der gewandteste, wo sich die Gedanken am schnellsten ineinander fügen und ablösen. Im Thema erkennt man den Wiener; seine Verschränkung in das zweite Thema hinein mag artig genug klingen. Rosalien, wie sie häufig hier anzutreffen, wünschten wir weniger. Neue Instrumentaleffecte enthält die Symphonie wohl keine; die Massenzusammenstellung erscheint aber geschickt gemacht, wie das Obligate im Charakter der Instrumente hervortretend. Die Harmonie ist ziemlich kräftig und rein.37 Wir rufen dem Componisten ein munteres Vorwärts zu. „Der Himmel kommt nicht zu uns herab; es sei denn, daß wir zu ihm hinaufklimmen“.

Ueber die Symphonie von Reißiger, seine erste, von ihm ebenfalls zur Wiener Preisbewerbung eingeschickt, läßt sich kaum etwas sagen, was sich nicht Jeder über diesen Componisten schon selbst gesagt; sie ist, wie seine andern Werke, durchaus klar und einschmeichelnd und von so kleiner, niedlicher Form, daß man sie eher eine Sonate für Orchester nennen möchte. Im ersten Satz erhalten wir nach einer kurzen, herkömmlich pathetischen Einleitung zu Anfang eines jener Violinthemas in raschen Figuren, wie sie namentlich Spohr eigen, hierauf ein zartes, leichtes Gesangthema, in der Mitte ein kurzes Fugato, dem mit wenig Veränderung die Transposition des ersten Drittels sich anschließt. Im Adagio zeigt sich der liebliche Liedercomponist, der namentlich mit Blasinstrumenten wohl zu wirken versteht; es ist seiner eigentlichen Natur entsprungen und gilt uns für den besten Satz der Symphonie. Das Scherzo hält sich in Erfindung und Arbeit mit dem Vorhergehenden


{184} auf ziemlich gleicher Linie, dem entsprechend ein munteres Finale folgt im Zweiviertel. Denke man sich dazu die gute Orchestertonart Es dur, wie auch eine Instrumentirung, so wohlklingend und gewandt, wie man sie erwarten darf von einem geübten Capellmeister, und man hat ein dürftiges Bild der Symphonie. Mich für meinen Theil störten nur die häufigen und starken Reminiscenzen, oft der Nebengedanken, — so daß, wollte man auszuscheiden anfangen, die Symphonie wohl bis auf die Hälfte zusammenfallen würde. So erkennen wir auf der ersten Seite gleich Beethoven (Tact 12), im Allegro gleich Spohr (bis Tact 9), kurz darauf auch Mendelssohn; durch den letztern wird Reißiger auf eine bekannte Fuge von Bach gebracht,* deren Thema einen der Hauptpfeiler der Symphonie bildet, im Adagio fehlen directe Anklänge; im Scherzo tritt uns dagegen sowohl Beethoven wie auch Spohr wieder entgegen und zwar, daß es auch einem oberflächlichen Symphonieenkenner auffallen muß; jener, im zweiten Theil, dieser im Trio, das einen der wirkungsvollsten von Spohr benutzten Instrumentaleffecte nachahmt. Desgleichen könnte man im Finale bei den Secundeneintritten an Mozart, wie später sogar an den alten Dessauer Marsch denken; doch siegt hier der Componist über die fremden Einflüsse, und wir nehmen von ihm wie von einem gebildeten, rontinirten Mann Abschied, der uns eine Weile sehr artig unterhalten, dem wir es aber schlau angemerkt, daß nicht alles sein Gedankeneigenthum, was er uns vorgesetzt, dessen einnehmende Persönlichkeit aber zuletzt überwiegt, daß wir uns seiner gern erinnern, ihm öfter zu begegnen wünschen. Die Symphonie hört sich auch am Clavier gut an und spielt sich leicht.

Es liegt uns noch eine neue Symphonie von Lachner vor, seine sechste, ein ausgezeichnetes Werk, das uns seine Preissymphonie doppelt aufwiegt. Auch von diesem Componisten war in der Zeitschrift schon so oft die Rede, daß wir nus kurz fassen können. Was uns diesmal

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          * Bach.
	#Notenbeispiel.

{185} wahre Achtung vor Lachner einflößt, ist das sichtliche Streben, seine früheren Leistungen zu überbieten und zwar in der besten Weise, der männliche Ernst, mit dem er der Aufgabe, ein großes symphonisches Bild darzustellen, genügen will, die Lust und Liebe an der Sache. Wenn nun Lachner unter allen süddeutschen Componisten gewiß der talent- und kenntnißreichste ist, so muß eben jenes unermüdete Vorwärtsstreben um so mehr ausgezeichnet werden, zumal in diesen Blättern, die gerade ihn, als der Begabten einen, mit strengster Strenge immer beurtheilt und zwar aus der besten Absicht, damit ihn das übertriebene Lob süddeutscher Blätter, nach denen die Meister wahrhaft auf den Bäumen zu wachsen scheinen, nicht vorfrüh arbeitsscheu und eitel mache. Was hilft alles Zureden, daß wir große Männer sind; was alles Heben guter Freunde auf Stelzen hinauf, auf denen wir uns ohne jene nicht halten können? Wie Viele haben schon büßen müssen, die sich vor der Zeit huldigen ließen! Nur dem nutzt das Lob, der den Tadel zu schätzen versteht, d. h. der trotzdem unbeleidigt nicht nachläßt in seinen Studien, der sich auch nicht egoistisch in sich abschließt, sondern sich auch den Sinn für fremde Meisterschaft lebendig erhält, und solcher bleibt lange jung und bei Kräften; und einen solchen Künstler glauben wir auch in Lachner zu erkennen, dem eine Auszeichnung widerfahren, über die er so viel bittere Dinge hat hören müssen, worauf er sich nun rächt auf die schönste Weise — durch ein besseres Werk, wie es diese sechste Symphonie ist im Vergleich zur gekrönten. Es herrscht in dieser Symphonie eine Meisterordnung und Klarheit, eine Leichtigkeit, ein Wohllaut, sie ist mit einem Wort so reif und ausgetragen, daß wir darum dem Componisten getrost einen Platz in der Nähe seines Lieblingsvorbildes, Franz Schubert, anweisen können, dem er, wenn an Vielseitigkeit der Erfindung nachstehend, an Talent zur Instrumentation zum wenigsten gleichkommt. Durchgeschlagen, als sie in Leipzig aufgeführt wurde, hat zwar auch diese Symphonie nicht, worüber sich indeß der Componist beruhigen kann, da uns Beethoven und zuletzt Mendelssohn verwöhnt, neben denen sich nur aufrecht zu halten und ehrenvoll erwähnt zu werden, allein schon nicht unrühmlich scheint, und dann hat das Publicum wie der Einzelne seine verwünschten Tage. Tage der Migräne, wo ihm nichts recht zu machen, wo nicht durchzudringen ist durch das Fell, sind es nicht gerade Beethovensche Blitze, mit denen ihm beizukommen. Dann aber trifft auch diese Symphonie der alte Vorwurf der Breite der Ausführung; Lachner versteht nicht immer zur guten Zeit abzubrechen, in Weise


{186} geistreicher Männer, die uns wohl gar mit einem Witz zu Haus schicken, in der Weise wie oft Beethoven, daß sich das Publicum fragt: „was wollte der Mann eigentlich — aber Recht hat er gewiß“; solche Schlüsse lasse sich Lachner von seinem guten Geist manchmal einflüstern. Dem Publicum muß manchmal imponirt werden, es stellt sich im Augenblick gleich, sobald man es ihm zu bequem macht; wirst ihm aber der Componist zu Zeiten einen Stein hin, oder gar an den Kopf, dann ducken sie alle gleichzeitig nieder und fürchten sich und loben bedeutend nach dem Schluß. So Beethoven an einzelnen Stellen; jeder darfs freilich nicht. Lese doch Lachner in Swift, in Lord Byron, in Jean Paul, ich glaube, es nützt ihm, er würde Kürze lernen; er muß gewissenloser werden, er darf seine schönen Gedanken nicht zu lang wiederholen, sie nicht bis auf den letzten Tropfen auspressen, sondern andere untermischen, neue, immer schönere. Alles wie bei Beethoven! So kommen wir denn immer auf diesen Göttlichen zurück und wüßten heute nichts weiter zu sagen, als daß Lachner auf dem Pfad fortschreiten möge nach dem Ideal einer modernen Symphonie, die uns nach Beethovens Hinscheiden in neuer Form aufzustellen veschieden ist. Es lebe die deutsche Symphonie und blüh' und gedeihe von Neuem! {{Right|12.

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Norbert Burgmüller.

Nach Franz Schuberts frühzeitigem Tod konnte keiner schmerzlicher treffen als der Burgmüllers. Anstatt daß das Schicksal einmal in jenen Mittelmäßigkeiten decimiren sollte, wie sie scharenweise herumlagern, nimmt es uns die besten Feldherrentalente selbst weg. Franz Schubert sah sich zwar noch bei seinen Lebzeiten gepriesen; Burgmüller aber genoß kaum der Anfänge einer öffentlichen Anerkennung und war nur einem kleinen Kreise bekannt und diesem vielleicht noch mehr als ein „curioser“ Mensch wie als Musiker.* So ist es denn Pflicht, wenigstens dem Todten die Ehren zu erzeigen, die wir dem Lebenden, vielleicht nicht ohne sein Verschulden, nicht erzeigen konnten.

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         * Vgl. einen Aufsatz von Immermann in Band VIII, S. 27 der Zeitschrift. [Sch.]


{187} Zwar kennen wir nur weniges von ihm: eine Symphonie, die, nur einmal an uns vorübergegangen, noch in der Erinnerung mit Freude erfüllt, ein Heft Lieder [Werk 3], das die Zeitschrift schon früher besprochen und erhoben, eine Sonate, eine Rhapsodie und wieder ein Heft Lieder, die drei letzten erst vor Kurzem erschienen. Dies Wenige aber reicht hin, die Fülle von Kraft, die nun gebrochen, auf das Innigste betrauern zu müssen. Sein Talent hat solche leuchtenden Vorzüge, daß über dessen Dasein nur einem Blinden Zweifel aufkommen könnte; selbst die Masse, glaub' ich, würde er später zur Anerkennung gezwungen, der Reichthum seiner Melodieen müßte sie gepackt haben, wenn sie auch die wahrhaft künstlerische Bearbeitung der Theile nicht zu würdigen verstanden hätte.

Wie Beethoven, am deutschen Rheine geboren, nahm er vielleicht frühzeitig von seinen reizenden Umgebungen in sich auf; möglich, daß auch das rege Kunstleben im nahen Düsseldorf nicht ohne Einfluß auf ihn war. Später sehen wir ihn in Cassel. Der Einfluß Spohrs, bei dem er hier studirte, wiewohl er nicht zu verkenen, erscheint indeß in dem uns Bekannten nur als ein leiser Nachhall; die Schülerschaft ist bereits der Selbständigkeit gewichen; Spohr selbst hat ihn sicher in diesem Sinne der Lehre entlassen und, wie man sagt, mit schönen Hoffnungen seiner zukünftigen Bedeutung. Auch Hauptmann, der ebenso gründliche als fein schaffende Tonsetzer, darf nicht unerwähnt bleiben, bei dem Burgmüller gleicher Weise gelernt.* In solcher Kraft der Selbständigkeit zeigt er sich nun namentlich in der Rhapsodie [Werk 13, in D]; sie zählt nur sechs Seiten, aber den Eindruck möcht' ich beinahe der ersten Wirkung des Goetheschen Erlkönigs vergleichen. Welch' meisterliches Gebilde, wie in einem Moment gedacht, entworfen und vollendet, und mit wie wenig Aufwand, wie bescheiden vollendet! Der Phantasie des Musikers auf den Grund sehen zu wollen, ist gefährlich; bei der Rhapsodie scheint es mir aber gewiß, daß noch etwas im Spiele, daß der Musik vielleicht eine besondere Veranlassung zum Grunde liegt, ein Gedicht, ein Bild, ein Lebensereigniß. Einem Dichter, der gut Musik verstände, möchte die Deutung am leichtesten gelingen. Wie dem sei, die Rhapsodie wirkt

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     * Hauptmann nennt Burgmüller einen „langschmächtigen, stillen Menschen mit vielem Talent“ (Briefe an Hauser ll, 245). B. schrieb sein Fis moll-Concert (Werk 1) noch in Cassel; „er hat wohl ein Jahr daran gearbeitet, weil er die meiste Zeit [Krankheit halber] nichts thun konnte, — und es klingt, als war’s in Einem Sitz gemacht.“ Mendelssohn spielte es einmal in Düsseldorf aus dem Manuskript.

{188} gleich einer Erscheinung aus anderer Welt, den Augen nicht trauend, sehen wir noch lauge um uns, wenn sie schon entschwunden.

Die Sonate [Werk 8, F moll], ist ein nicht minder treffliches Werk. Der einzige Vorwurf, den ihr der anspruchvolle Musiker machen dürfte, wäre die Wiederholung des zweiten Themas im zweiten Theile, wie sie sich in der Sonate, im ersten und letzten Satze, findet; so ausdrucksvoll der Gesang ist, so müßte doch an dieser Stelle die Phantasie einen andern, kühneren Weg sich brechen. Das Machen ist freilich immer schwerer als das Rathen hinterher. Im Uebrigen weht durch den ganzen [ersten] Satz eine so schöne, kräftige Leidenschaft, und der Dichter erscheint trotzdem darin seiner Aufregung so sehr Meister, daß er ebenso rührt wie beruhigt; ich weiß nicht, in welchem Alter die Sonate geschrieben, ich möchte sie aber für auf dem Wendepunct vom Jünglings- zum Mannesalter entstanden halten, wo so viele Träume Abschied von uns nehmen, um der Wirklichkeit Platz zu machen. Die folgenden Sätze tragen denselben Doppelcharakter von Resignation und Lebemuth. obwohl ich nicht leugne, nach solchem ersten Satz im letzten etwas Tieferes an Combination erwartet zu haben. Doch genügt dem Wohlwollenden auch das Gegebene.

Das jüngst erschienene Liederheft [Werk 6] gibt dem früheren an Reichthum und Gehalt nichts nach. Die Texte sind mit feinem Auge herausgefunden, die Zustände der melancholischen, aufgeregten Natur des Tonsetzers verwandt: „wer nie sein Brod mit Thränen aß“ (Goethe) —„hell glühen die Sterne im dunklen Blau“ (Stieglitz) — „ich schleich' umher, betäubt und stumm“ (Platen) — „wundes Herz, hör' auf zu klagen“ (J. Schopenhauer) — „ich reit' ins finstre Land hinein“ (Uhland). Alles finden wir hier, was wir von einem Lied sordern dürfen: poetische Auffassung, belebtes Detail, glückliches Verhältniß des Gesanges zum Instrument, überall Wahl und Einsicht und warmes Leben. Am wenigsten kann ich mich indeß mit dem Goetheschen Gedicht einverstanden erklären; die Figur, wiewohl sie sich durch den Harfenspieler deuten ließe, scheint mir zu äußerlich, zu zufällig, und das zarte Leben des Gedichtes zu übertönen. Bei Franz Schubert erschien dies Festhalten einer Figur das ganze Lied hindurch als etwas Neues; junge Liedercomponisten sind vor der Manier sehr zu warnen. Tiefern Ursprungs sind aber die andern Lieder, und namentlich trifft das letzte unmittelbar, daß es meisterlicher vollführt kaum gedacht werden kann.

Der Verleger, der noch mehrere Compositionen von Burgmüller


{189} im Besitz hat, möge rasch an ihrer Veröffentlichung arbeiten lassen; er wird es nicht zu bereuen haben.38 Verleger scheinen mir auch oft wie Fischer; unwissend, was Glück und Zufall bringen, werfen sie ihre Netze aus, und es fängt sich allerhand großes und kleines Gesindel, bis denn einmal das schwere Gewicht einen seltenen Gast verheißt und der Fischer hocherfreut einen kostbaren Schatz aus der Tiefe zieht. Ein solcher glücklicher Zug war Burgmüller. {{Right|12.

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Etuden für Pianoforte.

R. Willmers, 6 Etuden. Werk 1. B. E. Philipp, 12 Etuden und charakteristische Stücke (Songe et vérité). Werk 28. J. Rosenhain, 12 charakteristische Etuden. Werk 17. F. Kalkbrenner, 25 große Etuden. Werk 145. F. Liszt, 12 Etuden. Werk 1.

  „       „        12 große Etuden.

Die Zeitschrift hat seit ihrer Entstehung der Clavieretüde immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil sich in ihr die Fortschritte der Kunst des Clavierspiels, wenn auch mehr der Mechanik, am schnellsten zeigen; so sind im Verlauf der Jahre gegen 30 Sammlungen besprochen worden. In unserer letzten Etudenschau (im vorigen März) äußerten wir die Hoffnung, es werde nach so vielem Kraftaufwand, wie man an die Etüde gesetzt, einmal ein längerer Stillstand eintreten. Wir irrten; notre malheur, le voici, nous avons trop d’esprit, sagte neulich ein Mann der französischen Deputirtenkammer, obwohl im politischen Sinne; in unserm heißt es: „unser Unglück ist, wir wissen mit unserer Fertigkeit nicht wohin und können’s nicht lassen, das Etudenschreiben“.

Eine Menge neuer Hefte legen wir denn dem Leser in kurzen Schattenrissen vor.

Der Componist der zuerst genannten Sammlung ist dem Berichterstatter wohl bekannt.39 Von Geburt ein Däne,* frühzeitig zur Musik hingezogen, kam der junge Willmers zu Hummel nach Weimar. Man weiß, wie Hummel seine Schüler unterrichtete; er ließ nur selten von andern Componisten spielen. Der neuen Weise des Clavierspiels

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         * Rudolph Willmers ist zu Berlin geboren.


{190} abhold, namentlich dem Gebrauche des Pedals, das gerade in jüngster Zeit zu so großer Bedeutung und mit so großem Rechte gelangt, untersagte es Hummel wohl gar, sich Neueres anzusehen. Einstweilen hatte sich aber außerhalb Weimar mancherlei ereignet. Chopin war erstanden und neben ihm eine Menge bedeutender Talente. Der Trieb zum Neuen lag in der ganzen Zeit, Chopin aber bemächtigte sich am schnellsten der Gemüther; seine Etuden, fast sämmtlich Werke eines außerordentlichen Geistes, klangen bald überall in Deutschland wieder uud werden es noch lange, da sie der allgemeinen Bildung weit voraus und, wären sie das nicht, weil sie wahrhaft Geniales enthalten, das aller Zeiten Geltung hat. So kamen auch unserm jungen Künstler die Etuden in die Hände, und wie Verbotenes am süßesten schmeckt, so schwelgte er nach Kräften in den Phantasieen des neuerschieneneu Meisters. Bald sehen wir Willmers indeß in Fr. Schneiders Musikschule als einen ihrer fleißigsten Zöglinge namentlich mit Composition beschäftigt; es hatte keine Gefahr mit ihm: Umwege macht wohl Jeder, aber daß Willmers lange auf Abwegen hätte verweilen können, hinderte seine von Grund aus tüchtige Natur. Er schrieb viel und mit großer Leichtigkeit, meistens ohne Instrument: das letztere immer ein Zeichen von einem klaren inneren Musikauge. So brachte er binnen kurzer Zeit eine Sammlung von wohl 20 Etuden fertig uud frug bei mir an, ob er sie drucken lassen könne. Ich antwortete ihm, er möge sie zwei Jahre hinlegen und dann zusehen, was ihm noch davon gefiele. Die zwei Jahre sind beinahe vergangen, und in dem nun gedruckten Hefte finden sich nur vier von jenen früheren Stücken. Rasche Einsicht in das Mangelhafte und Aufgeben des von Haus aus Mißlungenen bleibt stets ein Zeichen gesunden Talentes. Es bedurfte unserm jungen Künstler gegenüber nur eines Winkes und er legte das Verfehlte bei Seite, während er auch wiederum sin Gelungeneres zu vertheidigen wußte. Ich führe diese Einzelnheiten an. weil sie unserm Novizen zur Ehre gereichen; möchte er sich immer jene rechte Bescheidenheit bewahren, die ebenso gegen Muthlosigkeit wie gegen Selbstüberschätzung schützt.

Was nun die so entstandene Sammlung anlangt, so wird sie sich das Lob des Kenners in vieler Hinsicht zu erwerben wissen. In Betracht der großen Jugend des Componisten* müßte er sie sogar außergewöhnlich nennen. Es zeigt sich in ihr bei ziemlich bedeutendem

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           * Er war damals 18 Jahre alt.

{191} Harmoniereichthum und schon gewandter Bändigung der Form auch überall ein Streben nach Stil, nach Einheit und Concentration des Gedankens. Andererseits freilich theilt er es mit andern jungen Componisten, daß er noch nichts eigenthümliches Melodisches zu geben vermag, was immer erst spätere Jahre und sehr allmählich bringen, und daß er im Verhältniß zum Gehalt seiner Leistung zu schwierig setzt. Den Einfluß Chopins erwähnte ich schon; bei ihm ist die Schwierigkeit nur Mittel, und wo er die schwierigsten gebraucht, da ist auch die Wirkung danach. Große Mittel, große Wirkung, großer Gehalt — freilich wo dies sich zusammen findet, ist der Künstler auch unseres Rathes nicht mehr bedürftig; bei Chopin finden wir allerdings die drei oft vereint. Einen andern und jüngern Einfluß hat Henselt auf unsern Componisten geäußert; die dritte und sechste Etüde zeugen davon. Daß er sich indeß länger in diesem Genre bewegen sollte, glauben wir kaum, — es ist eine Art Blumenmalerei, in der sich das erfindungsreichere Talent unmöglich auf die Zeit gefallen kann; am Original lieben wir sie und haben es öfters ausgesprochen; der junge Künstler mache sich aber los davon und lass' ein Gebiet, auf welchem nur dem Zuerst-Kommenden Kränze blühen. Daß er trotzdem immer auf Herausbildung der in ihm wohnenden Melodie mit Fleiß bedacht sei, versteht sich von selbst. Mit Theilnahme haben wir des jungen Etudenhelden gedacht; bald hoffen wir ihm auch auf andern und höheren Wegen zu begegnen; bei seinem Talent, auch zur Orchestercomposition, wird er immer Würdigeres leisten, wozu wir ihm im voraus unsern besten kritischen Segen verleihen.

„Songe et vérité“ heißt die zweitgenannte Etudensammlung, was sich allenfalls mit „Wahrheit und Dichtung“ übersetzen ließe. Den Grund zu dieser Hauptüberschrift findet man in den Uebcrschriften der einzelnen Stücke, die theils psychische Zustände, theils Naturscenen darstellen sollen. Viel Freundliches enthält das Heft, und der Verleger hat es in diesem Sinne ausgestattet. Was die Ueberschriften anlangt, so hätte sich der Componist besser zuvor an Hrn. Rellstab in Berlin gewendet, der sie z. B. an Henselt billigt, an Andern nicht,* obwohl ohne Gründe. Leichter und anders denken wir. Was ist’s denn so Verwunderliches, wenn gute Freunde zusammensitzen, der Componist ihnen vorspielt, und letzterer wie von einem Lichtstrahl getroffen, plötzlich ausruft: „Könnte man nicht dem oder jenem Stück eine

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            * z. B. an Schumann in seinen Klnderscenen.


{192} treffliche Ueberschrift geben, und würde nicht das Opus unbeschreiblich dadurch gewinnen?“ und der Componist jubelt und überschreibt mit großen Buchstaben die betreffenden Stücke. Aus einem tieferen Grunde sind wohl auch die vorliegenden Ueberschriften nicht herzuleiten, die Musik war eher da als der Titel und erfüllt in flüchtiger Weise, was dieser andeutet. Am rein musikalischen Theil des Werkes hätte man manches zu loben, manches auszusetzen; zu loben das meist heiter Melodische, wie es sich namentlich in den „les Rivaux“, „l’Innocence“, „le Troubadour“ benannten vorfindet, zu tadeln manches an der Form, die sich noch nicht immer klar und fest genug abrundet, wie auch die oft beleidigenden Ausweichungen in entlegene Tonarten (so in der ersten von C dur nach D dur, in der fünften von A moll nach H moll, in der zwölften von G moll nach B moll). Einigen Nummern versuchte der Componist auch einen contrapunctischen Anstrich zu geben, in denen sich indeß der Mangel an tiefsten Studien am meisten verräth. Im Ganzen aber gewähren die Etuden eine angenehme Unterhaltung und mögen als gut bürgerliche Kost excentrischen Kunstjüngern wohl einmal beigegeben werden.

Der Name des Componisten der drittgenannten Sammlung — J. Rosenhain— kam schon öfters in der Zeitschrift vor. Namentlich erwähnte sie lobend schon vor Jahren eines Trios und sprach dabei Hoffnungen aus, die sein neues Werk — außer zwei Opern das bedeutendste, was er seitdem geschrieben — zum Theil erfüllt, zum Theil täuscht. Getäuscht sieht man sich, wenn man in den Etuden, im Vergliich zu früher, mehr Meisterschaft im Technischen, mehr Satzreinheit und Formenreichthum zu finden hofft; andererseits erfreut es, den Componisten nach bedeutenderer Charakteristik ringend zu sehen, sich überhaupt der tieferen poetischen Richtung neuerer Tondichter anschließend. Den Leser gleich in das Werk einzuführen, mögen die Ueberschriften der einzelnen Etuden hier stehen; wir finden eine „Elegie“, einen „Dialog“, „Schifferstandchen“, ein „Lied“, ein Stück „Seereise“ überschrieben, zum Schluß einen „Sylphentanz“, außerdem sechs Nummern ohne Ueberschriften. Es kommt mir bei ihrer Anzeige zu statten, sie sämmtlich noch im Gedächtniß zu haben durch den lebendigen Vortrag des Componisten selbst. Denn wie man auch eine Composition mit Theilnahme aufzufassen bemüht ist und sich in ihr Innerstes hinein zu denken, so lebt das Werk doch noch ganz anders unter den Händen des Schöpfers selbst auf, und wäre die Ausführung sogar eine mangelhafte, was indeß in unserm Falle nicht zu sagen, da der

{193} Componist gar wohl auf den Tasten zu Hause. So gewann namentlich die letzte auf dem Papier fast dürftig aussehende Etüde, der „Sylphentanz“, in der Vortragsweise des Tonsetzers durch die besonderen Licht- und Schatteneffecte, wie sie nur ein Spieler, der viel und lange studirt, hervorzubringen vermag; so auch der „Dialog“, in dem sich abwechselnd und witzig hohe und tiefe Stimmen beantworten. Es sind diese zwei Nummern vielleicht die effcctvollsten der Sammlung. Doch zeigt sich ziemlich in allen eine geschäftige Phantasie, wenn auch im Ganzen mehr bekannten Vorbildern nachringend als eigenen neuen Flug versuchend. Und hier mögen wohl auch die Lebensverhältnisse des Künstlers in Erwägung gezogen werden, der, noch ziemlich jung und noch nicht zur abgeschlossenen Eigenthümlichkeit gelangt, vor einigen Jahren seinen alten Wohn- und Studienort Frankfurt mit Paris vertauschte, dem großen Heerd der verschiedensten Parteien und ihrer Führer, wo ein Neuling, der überdies ein leicht nachahmendes Talent besitzt, doppelt auf sich achten muß, sich seine ursprüngliche Natur zu bewahren. Wenn daher in einigen Stücken der Sammlung eine ältere Schule, namentlich das Studium von Ries und Moscheles nicht zu verkennen ist, so spricht sich in andern die Bekanntschaft mit andern Meistern des Tages so deutlich aus, daß man die Stücke dieser oder jener Gattung sogar verschiedenen Componisten zuschreiben möchte. Und hier kann man nichts als dem Componisten zurufen, sich seines Zieles klar bewußt zu werden, damit, was Eigentümliches von höherer Hand in ihn gelegt, sich nicht noch mehr zerstreue und verwerfe, wie dies z. B. bei Meyerbeer der Fall, der, ein eigentlicher Repräsentant seiner Nation, ohne Heimath und Vaterland, nach und nach von allen Völkern zu seiner Kunst geliehen. Auch unser junger Componist gehört dieser klugen, kopfhellen Nation an, die in der Geschichte der neueren Musik einen so bedeutenden Einfluß gewonnen. Hoffen wir, daß er ihren Besseren nacheifere, daß er sein Talent nicht dem Beifall der Menge aufopfere, daß er deutsch und tüchtig bleibe, immer lernend, beobachtend und wieder aus sich heraus schaffend.

Vieles wäre noch über diese Etudensammlung zu sagen, namentlich die oben gemachte Andeutung zu bekräftigen, daß sich der Componist noch mehr der Satzreinheit bis ins kleinste hinein befleißigen, auch nicht ablassen möge, seinen Stücken mehr Rundung zu geben. Genüge das, auf die Sammlung als auf eine interessantere aufmerksam zu machen, die überdies dem Großmeister Cherubini gewidmet ist und

{194} schon deshalb zu einem strengeren Urtheil auffordert, wie wir es mit dem besten Willen ausgesprochen.

Ueber die neuen Etuden von Kalkbrenner (Etudes de style et de perfectionnement composées pour servir de complément à la Méthode etc.) etwas dem Werke Ersprießliches zu sagen, wird mir schwer. Bin ich gereizt durch die Sagen, die auch bis zu uns gedrungen: daß nämlich Kalkbrenner sich gerade immer seiner neusten Compositionen am meisten rühme, daß er seine eigenen Etuden ordentlich studire, wie ein Schüler von sich selbst, — machte gerade dies' meine Neugier rege, — aber ich gestehe, die Etuden haben mich wahrhaft melancholisch gestimmt. Phantasie, wo bist du, Gedanken, wo seid ihr, mochte ich auf jeder Seite ausrufen. Keine Antwort. Fast nichts als trockene Formeln, Anfänge, Ueberbleibsel; das Bild einer alt und kokett gewordenen Schönen. Dies aber ist das Loos aller Künstler, die ihre Kunst nur an ihr Instrument hängen. Sie ergötzen, so lange sie jung sind, so lange sie Neues und immer Glänzenderes an Fertigkeit zu geben vermögen. Einstweilen aber tauchen jüngere Talente auf; was ehemals bewunderte Fertigkeit war, ist nun Kinderspiel für alle geworden. Jene aber, an Beifall gewöhnt, können nicht mehr ohne ihn leben, wollen ihn erzwingen; aber keine Hand rührt sich ob der Bemühungen, und die Menge belächelt, was sie sonst anstaunte.

Kalkbrenner hat, wie er selbst erzählt, einen großen Theil seines Lebens der mechanischen Ausbildung seiner Hände gewidmet; einen Beethoven müßte das stören im Componiren, geschweige denn das schwächere Talent. Und dann kommt eben im Alter zum Vorschein, was Jugendreiz vormals zu verdecken verstand: der Mangel an tieferer vielseitiger Kenntniß, die Vernachlässigung der Studien großer Vorbilder. Könnte man sich einen Sebastian Bach, einen Beethoven phantasielos denken, sie würden im greiseren Alter noch immer Interessantes genug zu Tage gefördert haben, weil sie eben studirt, etwas gelernt hatten. Die aber nichts gelernt, mögen bis in ein gewisses Alter hin manch' Anmuthiges hervorbringen können; dann aber fehlt es ihnen an Kraft, die Ansprüche zu erfüllen, die man an den Mann stellt, und alle unnatürlichen Mittel, dies zu verheimlichen, zeigen die Blöße nur um so beleidigender. Wozu nun diese Etuden? Doch nicht für den Künstler, den Componisten, die derlei nur zu durchfliegen brauchen, es aus ewige Zeiten bei Seite zu legen! Aber auch nicht für Virtuosen und Studirende: für jene nicht, da ihnen schwerlich in

{195} den Etuden etwas Neues geboten wird, für diese nicht, die in früheren Kalkbrennerschen Etuden weit besser und bündiger haben können, was diese neuen in wenig veränderten Redensarten nur kümmerlich wiederholen. Daß unter 25 Stücken sich dennoch manches Artigere befinde, kann man wohl glauben; der Kunst ist aber nur mit dem Meisterhaften gedient; wer dies nicht überall und zu jeder Zeit zu geben vermag, hat auch ans den Namen eines wahren Künstlers keinen Anspruch, und von allen diesen Etuden ist keine einzige meisterhaft, d. h. groß in Erfindung und Ausführung. Da laßt uns lieber unsern alten ehrlichen Cramer hervorholen, unsern feingebildeten Moscheles, unsern phantasiereichen Chopin. Zum Studium mittelmäßiger Compositionen haben wir keine Zeit.

Es bleibt uns noch übrig, über die zwei Sammlungen Etuden von Liszt zu berichten, die wir in der Ueberschrift genauer bezeichnet, und wir können den Leser gleich mit einer Entdeckung bekannt machen, die die Theilnahme für jene Etudenwerke nur steigern wird. Wir führten nämlich eine bei Hofmeister, auf dem Titel mit Werk 1 als eine „travail de la jeunesse“bezeichnete, und eine bei Haslinger unter der Aufschrift „grandes Etudes“ erschienene Sammlung auf. Bei genauerer Durchsicht ergibt sich denn, daß die meisten Stücke der letzteren nur Umarbeitungen jenes Jugendwerkes sind, das schon vor vielen, vielleicht 20 Jahren in Lyon erschienen, der unbekannten Verlagsfirma wegen bald verschollen, jetzt vom deutschen Verleger wieder vorgesucht und neu gedruckt worden ist. Kann man mithin die neue, übrigens von Haslinger wahrhaft kostbar ausgestattete Sammlung kein eigentliches Originalwerk nennen, so wird sie sicher und gerade jenes Umstandes halber dem Clavierspieler vom Fach, der sie mit der ersten Ausgabe zu vergleichen Gelegenheit hat, ein doppeltes Interesse gewähren müssen. Aus der Vergleichung ergibt sich nämlich fürs Erste der Unterschied zwischen sonstiger und jetziger Clavierspielweise, und wie die neuere an Reichthum der Mittel zugenommen, an Glanz und Fülle jene überall zu überbieten sucht, während andererseits freilich die ursprüngliche Naivetät, wie sie dem ersten Jugenderguß inne wohnte, in der jetzigen Gestalt des Werkes fast gänzlich unterdrückt erscheint. Sodann gibt auch die neue Bearbeitung einen Maßstab für des Künstlers jetzige ganze gesteigerte Denk- und Gefühlsweise, gestattet uns selbst einen Blick in fein geheimeres Geistesleben, wo wir freilich oft schwanken, ob wir den Knaben nicht mehr beneiden sollen als den Mann, der zu keinem Frieden gelangen zu können scheint.

{196} Ueber Liszts Talent zur Composition weichen die Urtheile überhaupt so sehr von einander ab, daß ein Eingehen in die wichtigsten Momente, wo er jenes verschiedenzeitig zur Erscheinung gebracht, hier nicht am unrechten Orte steht. Schwierig wird dies dadurch gemacht, daß in Hinsicht der Opuszahlen aus Liszts Compositionen eine wahrhafte Confusion herrscht, daß auf den meisten gar keine angegeben ist, so daß man die Zeit, wo sie erschienen, nur vermuthen kann. Wie dem sei, daß wir es mit einem ungewöhnlichen, vielfach bewegten und bewegenden Geiste zu thun haben, geht aus allen hervor. Sein eigenes Leben steht in seiner Musik. Früh vom Vaterlande fortgenommen, mitten in die Aufregungen einer großen Stadt geworfen, als Kind und Knabe schon bewundert, zeigt er sich auch in seinen älteren Compositionen oft sehnsuchtsvoller, wie nach seiner deutschen Heimath verlangend, oder frivoler vom leichten französischen Wesen überschäumt. Zu anhaltenden Studien in der Composition scheint er keine Ruhe, vielleicht auch keinen ihm gewachsenen Meister gefunden zu haben; desto mehr studirte er als Virtuos, wie denn lebhafte musikalische Naturen den schnellberedten Ton dem trocknen Arbeiten auf dem Papier vorziehen. Brachte er es nun als Spieler auf eine erstaunliche Höhe, so war doch der Componist zurückgeblieben, und hier wird immer ein Mißverhältniß entstehen, das sich auffallend auch bis in seine letzten Werke fortgerächt hat. Andere Erscheinungen stachelten den jungen Künstler noch auf andere Weise. Außerdem daß er von den Ideen der Romantik der französischen Literatur, unter deren Koryphäen er lebte, in die Musik übertragen wollte, ward er durch den plötzlich kommenden Paganini gereizt, aus seinem Instrumente noch weiter zu gehen und das Aeußerste zu versuchen. So sehen wir ihn (z. B. in seinen Apparitions) in den trübsten Phantasieen herumgrübeln und bis zur Blasirtheit indifferent, während er sich andererseits wieder in den ausgelassensten Virtuosenkünsten erging, spottend und bis zur halben Tollheit verwegen. Der Anblick Chopins, scheint es, brachte ihn zuerst wieder zur Besinnung. Chopin hat doch Formen; unter den wunderlichen Gebilden seiner Musik zieht sich doch immer der rosige Faden einer Melodie fort. Nun aber war es wol zu spät für den außerordentlichen Virtuosen, was er als Componist versäumt, nachzuholen. Sich vielleicht selbst nicht mehr als solcher genügend, sing er an, sich zu andern Componisten zu flüchten, sie mit seiner Kunst zu verschönen, zu Beethoven und Franz Schubert, deren Werke er so feurig für sein Instrument zu übertragen wußte; oder er suchte sich, im Drange


{197} Eigenes zu geben, seine älteren Sachen vor, sie sich von Neuem auszuschmücken und mit dem Pomp neugewonnener Virtuosität zu umgeben.

Nehme man das Vorstehende als eine Ansicht, als einen Versuch, den undeutlichen, oft unterbrochenen Gang, den Liszt als Componist genommen, sich durch sein überwiegendes Virtuosengenie zu erklären. Daß Liszt aber bei seiner eminenten musikalischen Natur, wenn er dieselbe Zeit, die er dem Instrument und andern Meistern, so der Composition und sich selbst gewidmet hätte, auch ein bedeutender Componist geworden wäre, glaub' ich gewiß. Was wir von ihm noch zu erwarten haben, läßt sich nur muthmaßen. Die Gunst seines Vaterlandes sich zu erwerben, müßte er freilich vor Allem zur Heiterkeit, zur Einfachheit zurückkehren, wie sie sich so wohlthuend in jenen älteren Etuden ausspricht, müßte er mit seinen Compositionen eher den umgekehrten Proceß, den der Erleichterung anstatt der Erschwerung vornehmen. Indeß vergessen wir nicht, daß er eben Etuden geben wollte, und daß sich hier die neu complicirte Schwierigkeit der Composition durch den Zweck entschuldigt, der eben auf Ueberwindung der größten ausgeht.

Dem Leser nun das Urtheil über die vorliegenden Etuden, ihre ursprüngliche Gestalt und die Art der Bearbeitung zu erleichtern, mögen hier einige Anfänge stehen:

Nr. 1 sonst:
  1. Notenbeispiel

Dieselbe jetzt:

  1. Notenbeispiel


{198}

Nr. 5 sonst:

  1. Notenbeispiel

Dieselbe jetzt :

  1. Notenbeispiel

Nr. 9 sonst:

  1. Notenbeispiel.

Dieselbe jetzt:

  1. Notenbeispiel
Man sieht die Aehnlichkeit und den Unterschied. Die Grundstimmungen der Anfänge sind meistens dieselben geblieben, nur von reicheren Figuren umhangen, strotzender in der Harmonie, alles stärker aufgetragen; im Verlauf der Stücke finden sich aber in der neuen


{199} Ausgabe so viele Abweichungen, daß das Original oft ganz in den Hintergrund tritt. So hat die zweite Etüde in A moll eine Menge Zusätze, einen neuen Schluß erhalten. In der dritten (in F dur) ist die ältere Etüde noch weniger zu erkennen, die Bewegung eine andere worden, eine Melodie hinzugekommen, wie denn das ganze Stück in der Bearbeitung (bis auf den trivialeren Mittelsatz in A dur) an Interesse zugenommen. In der vierten (D moll) hat er über die Figur des ersten Originals ebenfalls Melodie aufgebaut, einen beruhigenden Mittelsatz eingeschaltet und zum Schluß jener Melodie neue Begleitungen gegeben. Eine totale Umwandlung hat die fünfte erfahren etc. etc. Ganz neu sind nun die folgenden drei und der Länge nach wohl die größten Etuden, die es gibt, keine nämlich unter 10 Seiten. Eine Kritik nach gewöhnlicher Weise über sie anstellen zu wollen, Quinten und Querstände etwa herauszusuchen und zu verbessern, wäre ein unnützes Bemühen. Hören muß man solche Compositionen, sie sind mit den Händen dem Instrument abgerungen, sie müssen uns durch sie auf ihm entgegen klingen. Und auch sehen muß man den Componisten; denn wie der Anblick jeder Virtuosität erhebt und stärkt, so erst jener unmittelbare, wo wir den Componisten selber mit seinem Instrumente ringen, es bändigen, es jedem seiner Laute gehorchen sehen. Es sind wahre Sturm- und Graus-Etuden, Etuden für höchstens zehn oder zwölf auf dieser Welt;* schwächere Spieler würden mit ihnen nur Lachen erregen. Am meisten sind sie einigen jener Paganinischen für Violine verwandt, von denen Liszt neuerdings auch welche für das Pianoforte zu übertragen beabsichtigt.** Die nun folgenden Nummern der neuen Ausgabe stützen sich wiederum auf die ältere. Nr. 9 hat eine Einleitung erhalten und im Verlauf manch' interessanten Zusatz. Nr. 10 erscheint ebenfalls breiter ausgeführt und freilich um das Zehnfache schwieriger. In Nr. 11 wird der Hauptgedanke:

#Notenbeispiel

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       * Sie sind Clara Wieck gewidmet.
      ** Fortgelassene Anmerkung: „Ref. versuchte bereits dasselbe in zwei vor schon längerer Zeit erschienenen Heften.“


{200} folgendermaßen transponiert:

  1. Notenbeispiel.

Im Verfolg der neuen Etüde tritt eine neue Figur hinzu über einen etwas platten Gedanken, dagegen der Mittelgesang reizend und an Melodie das Innigste, was die ganze Sammlung enthält, genannt werden muß. Die erwähnte Figur tritt dann noch einmal in größten Claviermassen aus.

Nr. 12 endlich ist ebenfalls eine Umarbeitung der letzten Etüde der älteren Arbeit und die ursprünglich in 4/4 Tact gesetzte Melodie in 6/8 umbrochen; sie bietet eine Menge der schwierigsten Begleitungsarten, man weiß oft nicht, wo die Finger hernehmen. Die Nummern 6, 8 und 11 der Hofmeisterschen Ausgabe sind in der neuen übergangen (an deren Stelle jene drei neuen getreten); vielleicht bringt sie Liszt noch in folgenden Heften, da er doch wohl den ganzen Kreis der Tonarten bearbeiten will.

Wie wir sagten, man muß alles dies von einem Meister, wo möglich von Liszt selbst hören. Vieles würde uns freilich auch dann noch beleidigen, vieles, wo er aus allen Randen und Banden herausgeht, wo die erreichte Wirkung doch nicht genug für die geopferte Schönheit entschädigt. Aber mit Verlangen sehen wir seiner Ankunft entgegen, die er uns den nächsten Winter zugesagt.* Gerade mit diesen Etuden hat er bei seiner letzten Anwesenheit in Wien so erstaunlich gewirkt. Große Wirkungen setzen aber immer auch große Ursachen

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      * Die neue Zeitschrift hatte bereits unterm 8. Juni 1838 folgende Einladung an Liszt, der damals in Wien war, erlassen:

An Hrn. Franz Liszt. Auf ein Blatt mehr oder weniger im Lorbeerkranz kommt es einem Sieggewohnten nicht an. Indeß müßte man die Bescheidenheit des Feldherrn tadeln, der den Ruhm seiner Siege nur auf einen einzigen Ort beschränkte. Hr. Liszt ist so nahe an Nord-Deutschland; er komme zu uns! Mit offenen Armen wird man ihn empfangen und festhalten, so lang es Liebe und Bewunderung vermögen.

Dies im Namen unserer Freunde und Aller. {{Right|Florestan und Eusebius.“

{201} voraus, und ein Publicum läßt sich nicht umsonst enthusiasmiren. So bereite man sich durch vorläufige Durchsicht der beiden Sammlungen auf den Künstler vor, die beste Kritik wird er dann selbst geben am Clavier. {{Right|R. S.

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Phantasieen, Capricen etc. Für Pianoforte.

(Schluß.)

* L Anger, Sechs Stücke. Werk 1.

Die Stücke heißen „pièces mélodieuses“, wodurch ihr Inhalt auf das Beste angegeben ist. Als tüchtigen Spieler erwähnte die Zeitschrift den jungen Künstler bei verschiedenen Gelegenheiten, auch als Componisten muß sie ihm Beifall schenken. Er kennt sich und will nicht mehr gelten, als er ist. So gibt er sich einfach, schlicht und traulich, ohne deshalb etwas Putz zu verschmähen, als ging' es Sonntags zur Kirche. Einmal nur, im dritten Stück, versucht er sich auch im Heroischeren und nicht mit Unglück, fällt aber bald wieder in das anspruchlose Wesen zurück, das ihm mehr Herzen gewinnen wird als seine kühneren Eroberungspläne. Jüngern Spielern nützen die kleinen Stücke im Besondern durch den claviergerechten Satz, der überall den gut und gründlich gebildeten Spieler bekundet; zum Studium schwierigerer Sätze ähnlicher Art (wie etwa der Mendelssohnschen Lieder ohne Worte) mögen diese heiteren Melodieen am besten vorbilden und verdienen in diesem Sinn allgemeiner bekannt zu werden.

J. P. E. Hartmann, Zwei charakteristische Stücke.  Werk 25.

Des schönen Strebens dieses Componisten, eines Dänen, haben wir schon mehrmals gedacht. Diese neuerschienenen Stücke zeigen einen großen Fortschritt, namentlich im Harmonischen, weniger im Melodischen. In ihr Inneres zu dringen, möge man sie sich aber öfter und zu verschiedenen Zeiten spielen und anhören. Der Componist sucht und gräbt tief und bringt oft Befremdliches hervor. Genauer betrachtet findet sich aber in den grotesken Verschlingungen ein Zusammenhang, wie er nur der kunstgeübteren Hand gelingt. Aus vollem


{202} Herzen zu singen, es frei herausbrausen zu lassen, vermag er nicht; es wacht überall der Verstand. Hat aber der Componist, wie es scheint, manches seinen Studien in C. M. von Weber, vielleicht auch in Mendelssohn zu verdanken, so lerne er auch von ihnen noch freier zu singen, dann wird er auch allgemeiner wirken. Sicher haben wir noch viel Treffliches von ihm zu erwarten; unter dem „wir“ meine ich die Musiker. Dilettanten werden ihm wenig Geschmack abgewinnen; für diese schreibt er zu complicirt und beziehungsvoll, italiäner und italiänisirte würden ihn gar für einen Barbaren erklären. Die Stücke sind beide gleich interessant und spielen in sehr verschiedener Sphäre. Namentlich will mir das letzte zusagen in seinem grüblerischen verlangenden Charakter, als hätte sich ihm ein holdes Phantasiebild genaht, das er nicht zu fassen vermöchte. Doch auch das erste hat seinen Werth. Die Stücke sind sehr der Rede werth.

A. Dreyschock, Souvenir, Lied ohne Worte.  Werk 4.

Der Componist ist als Clavierspieler zu Ruf und Namen gekommen und verdient es. Als Componist liegt er noch in der ersten Verpuppung: der Schmetterling steht noch zu erwarten. Sein Lied ohne Worte ist mehr eine Etüde, von freundlicher Wirkung, das Ganze aber beinahe dürftig aneinander gesetzt. Versuche in schwierigeren Compositionsarten müßten ihn vorwärts bringen. Auch daß er nicht vor dem Instrument schreibe, mehr aus innen heraus zu gestalten suche, möchten wir ihm rathen. Es läuft noch alles zu sehr auf Figur, Effect und Fingerwerk hinaus. Der Componist wird dies verstehen, wenn er z. B. ein ähnliches Stück von Mendelssohn zur Hand nimmt und vergleicht, wie hier alles Leben und Seele athmet, wie kunstvoll leicht es sich zum Ganzen abrundet. Mit Worten läßt sich das schwerer zeigen als am Clavier. Mehr über des jungen Künstlers Anlage und Richtung zu sagen, wird erst nach einem größeren Werke möglich sein, zu dem er sich bald Kraft und Zeit sammeln wolle.

Noch liegt uns eine Menge kürzerer Musikstücke von W. Taubert, A. Henselt, W. Sterndale Bennett und Chopin, vier der bedeutendsten der jüngeren Claviercomponisten, vor, über deren Talent, Bildung und Richtung schon öfter in diesen Blättern die Rede war, so daß wir uns kürzer fassen können im Lobe.

{203} Von W. Taubert zuerst „Erinnerungen an Schottland“ [Werk 30], acht Phantasieen oder Phantasiestücke, die uns in ihrer soliden, echt deutschen Präge, wie Früheres desselben Tonsetzers, ganz besonders erlabt. Die Grundzüge seines musikalischen Charakters, Derbheit und Innigkeit, oft zu einem gemüthlichen Humor gepaart, finden wir auch in diesen Reisebildern wieder. Reisen sind nun zwar unter allen Künstlern wohl dem Musiker am wenigsten ersprießlich zu seiner Kunst, — dem Dichter schon mehr, dem Maler am meisten; — unsere großen Componisten haben immer still an ein und derselben Stelle gehaust, so Bach, Haydn, Beethoven, obwohl ein Blick in die Alpen oder nach Sicilien hinüber auch diesen nichts geschadet haben möchte. Einer Reise durch die schottischen Hochlande, die W. Taubert vor einigen Jahren gemacht, verdanken wir denn auch obige Schilderungen, und sind sie nicht an Ort und Stelle entstanden, so doch durch lebendiges Anschauen jener romantischen Gegenden treuer und malerischer geworden. Man empfängt in der Sammlung mehr als man erwartet, nicht blose An- und Nachklänge, Verwebung schottischer Melodieen oder variationsmäßige Arbeit, sondern eine Reihe dem Componisten für voll anzurechnender Musikstücke, originelle Scenen und Genrebilder, sämmtlich die Phantasie auf das Anmuthigste fesselnd und unterhaltend. Flüchtiges Durchspielen reicht auch hier nicht hin zum Verständniß, und ist die Musik nicht schwierig oder tief, so will sie doch in ihrem besonderen Localton studirt sein: dann aber wird man mit Ergötzen oft und lange bei den Stücken verweilen. Auch Curioseres, Abenteuerliches läuft mit unter, nirgends aber auf Kosten der Musik. Mit einem Worte, der Componist hat in guter Stunde geschrieben und wirkt, was er will.

In „sechs Minneliedern“ [Werk 45] desselben Künstlers treffen wir ebenfalls auf viel Freundliches, wie es nur einem wirklich musikalischen Gemüth entströmen kann. Mendelssohn und seine Lieder ohne Worte stehen aber hier zu nahe, als daß man nicht zu Vergleichen aufgefordert werden müßte. Doch unterscheiden sich die Taubertschen, wie schon durch die Individualität des Componisten, so durch die kleinere Form, das rein Liedermäßige; in Erfindung, Neuheit, Werth der Ausführung können sie sich freilich mit denen von Mendelssohn nicht messen. Das Heft spricht nur von Treue und Liebe. Die Mottos über den einzelnen Stücken sind wohl angebracht und aus Shakespeare, Uhland und W. Müller entlehnt. Das frischeste und edelste an Empfindung will mir das erste scheinen, so oft es auch in der

{204} melodischen Führung an Mendelssohn erinnert. Die andern stehen sämmtlich gegen dieses erste zurück. In einem Stück zu vier Händen läßt sich auch mit der Geliebten schwärmen, spielt sie Clavier; „in der Dämmerung“ ist es überschrieben; doch halte ich es für prosaischer. Im Uebrigen spricht die Musik den einfachen deutschen Spruch der ganzen Sammlung „Keine Lust ohn' treues Lieben“ vollkommen aus.

An Adolph Henselt haben wir nichts zu beklagen, als daß er uns so selten Gelegenheit gibt, über ihn zu sprechen. Vielleicht, daß er uns bald aus dem Norden zurückkommt mit größeren Beweisen seines Fleißes, wie es von seinem frischen Talent zu erwarten steht. Fünf kleinere Stücke sind in dieser Zeit erschienen: ein halbweg geübtes Auge müßte sie schon an der lieblichen Ordnung im Notengebälk als Stücke seiner Composition erkennen; gehört, sind sie kaum fehl zu rathen. Am meisten könnte man vielleicht bei einem Scherzo* [Werk 9] schwanken, das einen Orchestercharakter hat oder auch einen Mittelsatz einer Sonate gegeben hätte; es ist sehr einfach, ernst, charakteristisch. Lebendiger wirkt ein Pensée fugitive [Werk 8] in beinahe Weberschem Charakter, den wir zu einem Sonatenschlußsatz ausgesponnen wünschten. Eine kleine Romanze [Werk 10] in B moll erinnert in ihrer leisen klagenden Weise an Aehnliches von Henselt, wie er denn ein den Frauenherzen vorzüglich gefährlicher Componist. Von zwei Notturnos [Werk 6] möchte ich nur das zweite so heißen, das der Componist noch außerdem la Fontaine genannt — nicht ganz treffend, wie mich dünkt; als Musikstück klingt es reizend. Das erste: „Schmerz im Glück“ ist mir noch aus dem Spiel des Componisten im Gedächtniß; es hinterläßt einen gemischten Eindruck, das Schwanken darin zwischen Leid und Freud' macht’s; es neigt sich weder zum einen noch zum andern. Der Componist fühlte das selbst, wie es wenigstens das französische Motto ausspricht. Noch eine Frage: wir sind so reich an deutschen Liebessprüchen, warum so gemüthlose französische? -

Sterndale Bennett hat uns in „three Diversions“ für Pianoforte zu vier Händen [Werk 17] auf das Innigste ergötzt. Dies sind auch kleine Formen, aber welche Feinheit im Einzelnen dennoch, wie künstlerhaft das Ganze, und darin unterscheidet sich der höhere Künstler vom mittleren, daß er auch seine kleinsten Arbeiten mit Liebe und Sorgfalt behandelt. während sie der andere liederlich hinwirft und

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         * Schumann gewidmet.


{205} meint, das Zeug verdiene es nicht besser, und er schüttele dergleichen aus den Aermeln. In der That wüßte ich außer Mendelssohn keinen der lebenden Componisten, der mit so wenigem Aufwand so viel zu sagen, der ein Stück so anzuordnen und abzurunden, der mit einem Worte solche Diversion zu schreiben wüßte. Keckeres und Geistreicheres gibt es wohl, Zarteres und Netteres kaum. Eine Liebenswürdigkeit ist über die Stücke ausgegossen, die nur die rohesten Hände zu Schanden machen könnten, eine Fülle der köstlichsten Anmuth in den einfachsten Bewegungen, überall Poesie und Unschuld. Scheint es doch, als stünde diese ausländische seltene Wunderblume gerade jetzt in ihrer duftigsten Blüthe; da eile man, sie zu betrachten. Das Ausland gibt uns ohnehin so wenig: Italien treibt nur Schmetterlingsstaub herüber, und am wundersamen Berlioz schrecken die knotigen Auswüchse. Aber jener Engländer ist unter allen Fremden der deutschen Theilnahme am würdigsten, ein geborner Künstler, wie selbst Deutschland wenige aufzuweisen. Auf seine Composition zurückzukommen, so thut nichts leid daran, als daß es noch zweier Hände bedarf, sie zu genießen. Vielleicht ließen sich die Stücke geschickt auch für nur zwei umsetzen; das erste ist sogar in dieser Gestalt entstanden und nur arrangirt.

ei Weitem größer angelegt ist Werk 16 von Bennett [Phantasie in A dur] und gehört nur seinem Titel nach in diese kleine Werkschau. Wie eine Sonate zerfällt es in vier lange, ganz ausgeführte Sätze, die sich gegenseitig bedingen. Doch schließt der letzte nicht eigentlich ab, wie er auch früher als die andern geschrieben. Wir müßten zum Lobe der Phantasie nur wiederholen, was wir über Werk 17 gesagt, wenn jene ihrer Anlage nach auch auf anderm Gebiete spielt, bei Weitem complicirter, schwieriger und anspruchvoller ist. An schönen Melodieen ist sie überreich, und es schmettert darin wie aus Nachtigallenbüschen. Auch an den Bennett eigenen Harmoniewendungen läßt sich der Dichter errathen. Der Charakter ist in den drei ersten Sätzen überwiegend lyrisch, der letzte erhebt sich dramatischer und regt die Phantasie am stärksten auf: Musiker, Maler und Poet finden hier Stoff. Zu ihrer Darstellung passen nur wirkliche Künstler. Dilettanten würden sich schwerlich herauszufinden wissen, wenigstens die Mehrzahl.40

Von neuen Compositionen Chopins haben wir, außer einem Heft Mazurken und drei Walzern, eine merkwürdige Sammlung von Präludien zu erwähnen. Er gestaltet sich immer lichter und leichter,

{206} — oder ist’s Gewöhnung an seine Weise? — So werden die Mazurken [Werk 33] im Augenblick anmuthen und scheinen uns populärer als die früheren; vor allen müssen die drei Walzer Werk 34) gefallen, andern Schlages als die gewöhnlichen und in der Art, wie sie nur einem Chopin beikommen können, wenn er in das Tanzgemenge, das er eben hebt durch sein Vorspielen, großkünstlerisch hineinsieht und andere Dinge denkend, als was da getanzt wird. Ein so fluchendes Leben bewegt sich darin, daß sie wirklich im Tanzsalon improvisirt zu sein scheinen. Die Präludien [Werk 28] bezeichnete ich als merkwürdig. Gesteh' ich, daß ich mir sie anders dachte und wie seine Etuden im größten Stil geführt. Beinahe das Gegentheil; es sind Skizzen, Etudenanfänge, oder will man, Ruinen, einzelne Adlerfittige, alles bunt und wild durch einander. Aber mit seiner Perlenschrift steht in jedem der Stücke: „Friedrich Chopin schrieb’s“; man erkennt ihn in den Pausen am heftigen Athmen. Er ist und bleibt der kühnste und stolzeste Dichtergeist der Zeit. Auch Krankes, Fieberhaftes, Abstoßendes enthält das Hest; so suche Jeder, was ihm frommt, und bleibe nur der Philister weg. Was ist ein Philister?

Ein hohler Darm Von Furcht und Hoffnung ausgefüllt, Daß Gott erbarm!

Schließen wir besänftigender mit dem schön Schillerschen:

Jenes Gesetz, das mit ehernem Stab den Sträubenden lenket, Dir nicht gilt’s. Was du thust, was dir gefällt, ist Gesetz. {{Right|R. S.

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Camilla Pleyel.

I.

Aus dem Concertzettel der Mad. Camilla Pleyel prangten Compositionen neben einander, die auf die würdigste Richtung der Künstlerin schließen ließen. Das G moll-Concert von Mendelssohn hatten wir vor Kurzem von Mendelssohn selbst gehört. Es war interessant, das Spiel der lebhaften Französin mit dem des Meisters zu vergleichen; den letzten Satz nahm sie sogar schneller. Im Uebrigen mag

{207} der Componist mit der immer musikalischen Auffassung sicher einverstanden gewesen sein, bis auf einzelne Gesangstellen, die wir einfacher, innerlicher, weniger affectvoll gespielt wünschten. Anders als andere Claviervirtuosen, die gar kein ganzes Concert mehr öffentlich zu Gehör zu bringen wagen, gab uns Mad. Pleyel sogar ein zweites, das Concertstück von Weber, das gerade heute ein doppeltes Interesse bot, da es, der Vorgänger des Concerts von Mendelssohn, an vielen Stellen in die Phantasie des, wie er’s schrieb, noch jungen Künstlers verführerisch hineingespielt haben mag, sich übrigens in Zartheit und Feinheit des Ausbaues mit dem jüngern Werke wohl kaum messen kann. Mad. Pleyel trug es äußerst glücklich vor und mit derselben warmen Leidenschaft, mit der sie alle Musik aufzufassen scheint. So hatte sich auch im Publicum bald jene freudige, mittheilende Stimmung verbreitet, wie sie nur nach Genuß und Wechselwirkung von Meisterwerk und Meisterspiel aufkommen kann. Von dem Stück, mit dem die Künstlerin den reichen Musikabend schloß, wünschten wir das Gleiche sagen zu können, doch blieb hier das Geschick des schaffenden Talentes hinter dem ausübenden offenbar zurück; es war eine Composition der Virtuosin, in der wir, selbst was aus Themen von Weber dazu genommen war, schöner gesetzt und bearbeitet wünschten. Doch war gerade hier der Beifall so rauschend, daß sie wiederholen mußte.

Mad. Pleyel gibt nächsten Sonnabend noch ein zweites Concert und reist dann über Dresden und Wien nach Frankreich zurück. Die höchst interessante Frau wird überall durch ihr Spiel erfreuen, und mehr als das, durch ihre Vorliebe für das Edelste ihrer Kunst zu dessen Verbreitung mitwirken.

[Leipzig, den 28sten Oct. 1839.] {{Right|12.

II.

Die Leistungen schienen durch den Enthusiasmus zu wachsen und dieser mit jenen. Die genialische Frau hatte schön gewählt: das C moll-Concert von Beethoven und „Oberons Zauberhorn“ von Hummel, und im gestrigen Abonnementconcert das Concert in E moll von Kalkbrenner und zum Schluß das Concertstück von Weber wiederholt. Kalkbrenner war früher eine Zeit lang ihr Lehrer, daher die Wahl; sie spielte es hin, wie man ungefähr ein in jungen Jahren gelerntes Gedicht später einmal wie zum Vergnügen sich vorspricht; die vollendete Schule war in der Meisterin aufgegangen. Im Concert von


{208} Beethoven traten andere Seiten ihrer musikalischen Natur vor; sie trug es würdig, ohne Fehl, im deutschen Sinne vor, daß uns die Musik wie ein Bild ansprach, während es in der Phantasie von Hummel wie aus luftigem Geisterreich zu uns herabklang. Das Concert von Weber zog einen freudigen Aufstand nach sich; es flogen Blumen und Kränze auf die Dichterin. Das Publicum schwärmte. „Es ist mehr Poesie in dieser Frau als in zehn Thalbergs“, sagte Jemand. Die Bewegung währte noch lange. Die feine, blumenhafte Gestalt der Künstlerin, ihr kindliches Verneigen, als ob ihr dieser Beifall nicht gebühre, noch mehr, was sie Tieferes durch ihre Kunst offenbarte, wird die Erinnerung noch in die Zukunft verfolgen. Mit den innigsten Wünschen sehen wir der scheidenden Künstlerin nach, daß sie vom Glück, mit dem sie so Viele erfüllt, auch an sich selbst erfahren möge!

[Leipzig, den 8ten Nov.] {{Right|Fl.

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Erinnerung an eine Freundin.

(Von Eusebius.)

— Im Künstlerkreise, der sich im Anfang des Jahres 1834 in unserer Stadt zu bilden anfing, nahm Henriette Voigt, unsere jüngst entschlafene Freundin, eine besondere Stellung ein; es sei ihrer mit einigen Worten in diesen Blättern gedacht, die jenem Vereine ihre Entstehung verdanken, an denen die Hingeschiedene das lebhafteste Interesse nahm. Dies hauptsächlich durch Ludwig Schunkes, ihres Lehrers und Freundes, Mitwirkung. Bis zur Bekanntschaft mit diesem theuren Künstler war Henriette Voigt vorzugsweise der älteren Schule zugethan. Eine Schülerin von Ludwig Berger in Berlin, spielte sie besonders dessen Compositionen mit begeisterter Vorliebe, außerdem nur von Beethoven. Wir wußten das, und wie nun Florestan sogenannte „Beethovenerinnen“ nur mit Mühe ansprechen kann, so währte es lange, ehe er, zugleich mit Schunke, ein Verhältniß anknüpfte, das später eine Menge so freundlicher Erlebnisse zur Folge hatte.41 Nur einen Schritt in ihr Haus gethan, und der Künstler fühlte sich heimisch darin. Aufgehängt waren über dem Flügel die Bildnisse der besten Meister, eine ausgewählte musikalische Bibliothek stand zur Verfügung;

{209} der Musiker, schien es, war Herr im Haus, die Musik die oberste Göttin; mit einem Wort, Wirth und Wirthin sahen an den Augen ab, was Musikers Wünsche sein mochten. In diesem Sinne wird noch mancher fremd und unbekannt Hergekommene des gastfreien Hauses gedenken. Schunke wohnte sich bald ein; durch ihn wurde Henriette auch auf die neueren Richtungen aufmerksam, die nach Beethovens und Webers Tod sich geltend gemacht. So wurde Franz Schubert vorgenommen, und versteht es Jemand, musikalische Sympathieen anzufachen, so ist er es durch seine vierhändigen Compositionen, die schneller als Worte die Gemüther zusammenführen. Daneben waren Mendelssohn und Chopin aufgetaucht; der Meisterzauber des elfteren hatte die Frau bis zur Verehrung eingenommen, während sie die Compositionen des andern lieber spielen hörte als selbst spielte. Ein anderer hochgeschätzter Gast des Hauses war Hofrath Rochlitz, der sich gern von der Freundin vom Leben und Weben der jüngern Künstler erzählen, von ihren Leistungen sich durch ihr Spiel unterrichten ließ. Dazu stand sie mit vielen namhaften Künstlern in lebhaftem Briefwechsel, daß auch der Auswärtigen mit Theilnahme gedacht wurde. Diesem regen Leben wurde leider und zu früh gerade der entrückt, der es zum größten Theil hervorgerufen. Ludwig Schunkes Krankheit nahm im Verlauf des Jahres 1834 eine immer drohendere Gestalt an. Eine treuere Pflegerin konnte er nicht leicht finden als unsere Frenudin, und könnten Menschenhände den Tod abwenden, so müßten es ihre vermocht haben, aus denen er Trost und Ermuthigung bis zum letzten Athemzuge empfing. Er starb, jung, als Künstler vor seinem Ziel, aber unvergessen und geliebt von Vielen. Seitdem klopfte wohl noch mancher andere Künstler an das bekannte gastfreundliche Haus an, bildeten sich neue Verhältnisse; zu solch' innigem und bedeuteudem Ganzen wollte sich aber keines mehr gestalten; die zerrissene Saite klang noch lauge nach. Bald fünf Jahre später starb die Freundin an derselben Krankheit, jener verzehrenden, die die Natur dem Siechenden so gütig zu verbergen weiß, daß er von Tag zu Tag an Kräften zuzunehmen glaubt, und so seltsam täuschte sich die Kranke — die doch eines Tages von den trübsten Ahnungen ergriffen wurde —, daß sie sich eben deshalb, und weil Schwindsüchtige nur selten an Tod glauben, gerade mit jenen Ahnungen zu neuen Lebenshoffnungen tröstete. Bis zum letzten Augenblicke behielt sie aber dieselbe Liebe zur Musik, dieselbe aufopfernde Anhänglichkeit an ihre Meister und zeigte es in so kleinen Zügen, wie daß sie oft selbst Blumen und Früchte einkaufte,


{210} sie einem verehrten Künstler42 heimlich oder offen zuzuschicken. So ließ sie noch oft Schunkes Grab bekränzen, auf dem sie schon vorher einen Denkstein hatte setzen lassen. So steuerte sie überall bei, wo es Musik und Musiker galt, wozu ihr äußere günstige Verhältnisse und ein ihren Lieblingsgedanken nirgends wehrender Gatte freundlich zur Seite standen.

Vorzügliche Sorgfalt verwendete sie auf ihr Album; es war ihr Theuerstes, das sie nicht für Juwelen hingegeben hätte; auch finden sich fast alle ausgezeichneten Musiker der Gegenwart darin.* Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit und Anmuth schrieb sie auch Briefe; diese und die Antworten darauf geben eine interessante Sammlung, aus der wir indeß, da sie meist noch zu nahe Zustände berühren, etwas mitzutheilen verhindert werden. In ihren Tagebüchern wechselt Prosa und gebundene Rede, meistens auf Kunst und Künstler Bezügliches aussprechend. Ihr Geist rastete selten, etwas wenigstens mußte jeden Tag fast der geliebten Musik gethan werden. Dabei war sie musterhafte Hausfrau und Mutter.

Ihr Clavierspiel hatte die Vorzüge, die L. Bergers Schule eigen; sie spielte correct, zierlich, gern, doch nicht ohne Aengstlichkeit, wenn Mehrere zuhörten. Den Grundsätzen ihrer Schule hing sie lange und mit Strenge an, so daß sie z. B. nur mit Mühe zum Gebrauche des belebenden Pedals zu bewegen war. Nie aber hörten wir jemals eine schlechte Composition von ihr spielen, nie auch munterte sie Schlechtes aus; als Wirthin vielleicht genöthigt, es hinnehmen zu müssen, zog sie dann lieber vor zu schweigen, trotz aller Aufmerksamkeit für die Person des Künstlers im Uebrigen.

Noch im Winter 1836 machte ihr L. Berger die Freude, sie zu besuchen und in ihrem Hause zu wohnen. Der Anmeldebrief möge hier als charakteristisch eine Stelle finden. {{Right|Dresden, den 24. October 1836.

Mein theures, bestes Jettchen, nach langem Aufschub erscheint endlich der Prüfungstag auch für Sie! Sehen Sie ihm mit ruhiger christlicher Ergebung entgegen; niemand kann seinem Schicksale entgehen. —

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       * Schumann hat sich auf originelle Art darin verewigt: er zog nur ein großes  über eine ganze Seite und schrieb seinen Namen und das Datum (22. October 1836) darunter. Auf die verwunderte Frage der Eigenthümerin nach der Bedeutung des Zeichens hatte er lächelnd erwidert: das solle nur das Anwachsen ihrer Freundschaft bedeuten. — Noch in den letzten Tagen ihres Lebens gab Schumann ihr einen Beweis seiner Verehrung durch die Widmung der G moll-Sonate.


{211} Noch in dieser Woche, etwa Donnerstag, Freitag, wird plötzlich jemand bei Ihnen anpochen und um einige Tage und Nächte Herberge und homöopathische Aetzung bitten, der Küchenzettel ist nicht schwierig: „Suppe und Fleisch“! — Sein Treiben oder Vorhaben: nächst einigen männlichen Bekannten und Freunden, die Frauen Voigt und Lipsia zu sehen. Dann möchte er einige seiner eigenen Kinder — übel- oder wohlgerathene — dort verkaufen.* Aus gesetzmäßiger oder wilder Ehe — 'sie sind ziemlich, ja manche unziemlich herangewachsen und sollen ihren Weg unter den Menschen nun selbst finden lernen. Ein paar davon führt er mit sich, die übrigen werden im Sacke verkauft, oder mit der bekannten weiland Müncheberger Thorkeule** erschlagen!

Nun, liebes Jettchen, fürchten Sie sich nicht. Besser, Sie, Ihr lieber Herr und Hausvoigt nebst Frl. Tochter*** freuen sich einigermaßen im Voraus auf den Besuch Ihres alten Freundes und rufen freundlich und muthig ihm entgegen: Herein! herein! lieber guter Freund! Sei’n Sie uns herzlich willkommen und nehmen Sie mit einfachen, stillen Leuten vorlieb, Sie bester, alter {{Right|Freund Berger aus Berlin.

Er ging seiner Schülerin nur wenige Monate voraus, im Februar dieses Jahres. Es findet sich in Henriettens Tagebüchern ein Gedicht über den Todesfall, und darin folgende Stelle:

Immerdar künd' ich mit Lust, was Du uns als Denkmal gelassen, Was Du begeistert schufst, was Du, ein Künstler, uns gabst. Höheren Strebens erfüllt, blieb fremd Dir das Niedre, Gemeine, Was aus der Brust Dir quoll, mahnt an die bessere Zeit, Wo noch die heilige Kunst, veredelnd die Herzen der Menge, Nicht nur durch äußeren Glanz Sänger und Hörer verband. Schmerzlich erfüllt uns das Bild, auch Du zur Ruhe gegangen, Einer der Wenigen noch, die da geschützet ihr Recht — —ϯ {{Right|Am 24. Februar 1839.

Besser als ich vermag, charakterisirt sie sich selbst in ihren Tagebüchern: 31. August 1836. —Ich kann mir nicht helfen — ich sehe das jetzige Treiben und Schaffen der Musik nur als eine Durchgangsperiode an

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          * Berger schloß mit Fr. Hofmeister wegen Herausgabe seiner sämmtl. Werke ab. 
         ** Im Thorweg des Städtchens Müncheberg (Provinz Brandenburg) ist als Wahrzeichen eine Keule abgebildet, darunter steht der Vers: 

Wer seinen Kindern gibt das Brod Und selbst im Alter leidet Noth, Den schlag' man mit der Keule todt.

        *** Die kleine Ottilie, noch nicht ein Jahr alt, Pathtind von Rochlitz und Mendelssohn — später Frau Dr. Gensel.
           ϯ Ein paar kleine Aenderungen des Originals rühren von Schumanns Hand her.


{212} (Ausnahmen lasse ich gelten), woraus sich noch Besseres und Klareres entwickeln muß — es ist ein Kämpfen und Ringen, aber der Sieg liegt wohl noch weit.

10. Septr. 1830. — Warum erlernt man heut zu Tage so viele Sprachen? wahrlich, um mit vielen Zungen dieselben Fadaisen zu reden — wenn doch Jeder erst seine Muttersprache richtig spräche und schriebe!

13. September. — Gestern war Chopin hier und spielte eine halbe Stunde auf meinem Flügel — Phantasie und neue Etuden von sich — interessanter Mensch, noch interessanteres Spiel — es griff mich seltsam an. Die Ueberreizung seiner phantastischen Art und Weise theilt sich dem Scharfhörenden mit: ich hielt ordentlich den Athem an mich. Bewundernswürdig ist die Leichtigkeit, mit der diese sammtenen Finger über die Tasten gleiten, fliehen möcht' ich sagen. Er hat mich entzückt, ich kann es nicht leugnen, auf eine Weise, die mir bis jetzt noch fremd war. Was mich freute, war seine kindliche, natürliche Art, die er im Benehmen wie im Spiele zeigte.

10. Oct. — Sonderbar, wie mancher Hang, der sich schon in der Kindheit offenbart, bis in späte Jahre an uns haften bleibt, so auch das Gegentheil — jegliches Widerstreben. — Von jeher fühlte ich Abneigung gegen alle Seiltänzergeschichten, Bereiterkünste u. dgl. — so hat sich diese Ansicht ganz unbewußt in die Kunst hinübergeschlichen, und wenn ich auch für den Augenblick mich zum Staunen hinreißen lasse, so kehrt bald mein angeborner Widerwille zurück. — Nur keine Seiltänzereien in der Musik — wie wird dies Heiligthum dadurch profanirt. — Künstelei ist ja keine Kunst — wie oft wird das heut zu Tage verwechselt. Alles muß die Natur zur Grundlage haben: wenn auch die jüngere, weiter strebende Schwester, die Kunst, höher hinauf in geistige Sphäre treibt, die Grundlage hat sie doch von der älteren Schwester — denn gäbe es ohne Natur wahre Kunst, ohne Gott eine Welt? und doch wird diese mehr angestaunt und der Gott oft darüber vergessen!

20. Oct. — Welche reine Frende genoß ich heute durch den Blick in eine ausgezeichnete, hochgebildete Seele: — ich las einen Aufsatz von Moscheles über Schumanns Sonate — er ist ein Meisterstück voller Einsicht, Klarheit — er trifft immer das Wahre und sagt uns durch ein paar Worte das vollständigste Urtheil. — Wie wohl thut es, solche goldene Früchte zu erblicken in einer Zeit, wo das geistige Obst meist unreif abgenommen wird. — Moscheles, hätte er mich gesehen, hätte mich um meine Freude über seine Worte beneiden müssen.


{213} 21. October. — Wie paßte heute des Altvaters Haydn kostbare B dur-Symphonie zu Moscheles Aufsatz — diese Sonnenklarheit! — Himmlischer Wohllaut liegt in diesen Klängen, die nichts von Lebensüberdruß merken lassen, die nichts erzeugen als Frohsinn, Lust am Dasein, kindliche Freude über Alles, und — welch ein Verdienst hat er dadurch noch um die jetzige Zeit, diese krankhafte Epoche in der Musik, wo man so selten innerlich befriedigt wird.

3. Nov. — Heute spielte Mendelssohn das G dur-Concert von Beethoven mit einer Meisterschaft und Vollendung, die Alle hinriß. — Ich hatte einen Genuß wie selten im Leben und ich saß da, ohne zu athmen, ohne ein Glied zu rühren, aus Furcht vor Störung. — Die Angst nun, nach dem Ende mit den Leuten sprechen zu müssen, schiefe Urtheile und Bemerkungen zu hören! — ich mußte den Saal verlassen und in die frische Luft.

20. Febr. 1837. — Nie betete ich das Vaterunser frommer als heute, vor dem Bette meines Kindes knieend, mit einer Inbrunst, als wäre es Gott selbst, vor dem ich in Andacht niedersänke.

11. Juni. — Ich begreife nicht, wie so viele Mütter (und ich erfahre es täglich im Leben) ihre Kinder fortschicken können, um freier zu athmen — ich athme nur frei, wenn mein Kind bei mir ist, sonst läßt es mir nirgends Ruhe — und wie kann man sich des Genusses berauben, es so lange und so oft als nur möglich zu sehen?

13. März 1838. — Mendelssohns Paulus ist ein Normalwerk, und wird eine seiner Compositionen ihn unsterblich machen, so ist es, dünkt mich, dies Oratorium. Ich sagte es bald nach den ersten Proben, die ich mitsang, da mir alles daraus gleich so klar in Ohr und Herz drang, und jetzt bestätigt es die Ausnahme, die diese Schöpfung überall findet. Wie glücklich wir, die wir es unter des Meisters eigener Leitung hören und ausführen dürfen!

12. April. — Welch eine traurige Empfindung es allemal in mir zurückläßt, eine Virtuosenfamilie zu hören! — Wenn das ganze Leben eines Menschen nur auf Mechanik gerichtet ist, so wird schon das Dasein des Geistes schwer vergeudet! — Nun höre man die Leistungen solcher von früh an zur Musik gepeitschten Kinder, dieses unreife oder überreife Wesen — ach mir ist dabei so bange zu Muthe — ich möchte diese armen Geschöpfe auf andere Bahnen bringen, ich kann sie nicht bewundern, nur beklagen.

25. April. — Nach und nach ist es mir gleichgültig geworden, was die Welt denkt und sagt. — Von mir denken die Leute, ich spiele


{214} ungeheuer viel und lebe meinen Lieblingsbeschäftigungen, während in Wirklichkeit Wochen vergehen, ohne den Flügel zu öffnen, daß ich spiele, lese und sonst etwas treibe, als — dieses schreibe in einer Zeit, wo Andere schlafen, ruhen oder die edle Zeit in Gesellschaften zubringen, — das ist aber der Unterschied des emporstrebenden Menschen, daß er denkt und wacht, auch während er niedere Arbeiten verrichtet, daß er fortschreitet unter allen Verhältnissen — aber dieses Fortschreiten können die Leute nicht begreifen uud meinen, nur im Studiren liege das Weiterkommen — es liegt ganz wo anders, sonst käme aus so vielen studirenden Köpfen nicht so viel Stroh und Holz heraus.

15. September. — Heute sangen wir den Paulus iu erleuchteter Kirche. — Ich habe nun in diesem wie im vorigen Jahre alle Proben mitgemacht und kenne das Werk ziemlich in- und auswendig, dennoch weiß ich keinen ähnlichen Eindruck — diese Größe und Erhabenheit und dies tiefe innige Gefühl — man wird durch und durch beseligt. — O! die Freude, unter seiner Leitung dieses Werk zu singen, in seine Ansichten einzugehen!

22. Septbr. — Heute war ich in einem Laden, wo das Neuste der Messe zu sehen war in ungeheurer Fülle und nur Putzsachen! — Diese Menschen alle die da kauften, diese Menge die da verkauften, ein Drängen und Treiben zum Wahnsinn! Alle liefen durcheinander und Viele verloren fast ihren Kopf über das, was sie darauf setzen wollten. — Es drängte sich mir unwillkürlich eine Thräne ins Auge, mir fiel Himmel und Erde so schwer aufs Herz — ich dachte: diese Anstrengungen alle, wozu? warum? — um zu leben doch nicht? nein, um sich das Leben auszuschmücken! — O vor allen künstlichen Blumen werden am Ende die Leute die unseres Schöpfers nicht mehr ansehen — ich mußte fort.

Das Tagebuch für 1839 enthält nichts als die einzigen ahnungsschweren Worte:

3. Januar 1539. — Mit welch' bangen, bewegten Gefühlen begrüße ich das neue Jahr — was wird es mir bringen, Freude oder Trauer? — Werde ich am Schlusse desselben noch hier weilen auf der Erde? — Muth und Standhaftigkeit! — Gott hilft mir gewiß, so oder so!*

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          * Am 15. October desselben Jahres beschloß Henriette Voigt ihre irdische Laufbahn — 30 Jahre alt.

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{215}

Sonaten für Pianoforte.

L. Lacombe, Phantastische Sonate (F moll). Werk 1. St. Heller, Sonate (D moll). Werk 9. F. W. Grund, Große Sonate (G moll). Werk 27.

Knabe, Jüngling und Mann können kaum mehr von einander verschieden sein als obige Sonatenwerke, und wüßt' ich nicht zufällig, daß ihre Verfasser wirklich in solchem Alterverhältniß zu einander stehen, so müßten es ihre Arbeiten verrathen. Unter dem Knaben verstehe man aber keinen deutschen, sondern einen französischen, einen von jenen frühmuthigen, wie man sie in Pariser Emeuten wohl manchmal Barricaden errichten sieht, die in einer Anwandlung von Lebensüberdruß die Waffe wohl gegen sich selbst anlegten, — oder musikalisch deutlicher, ein Berliozianer, der auch das Seinige beitragen will zur französischen Romantik, mit viel Courage und einiger Phantasie begabt, ein lebhafter, interessanter, nie verlegener Bursche. Daß er sich gerade auf die Sonate geworfen, eine Musikart, die in Frankreich nur mitleidig belächelt, in Deutschland selbst kaum mehr als geduldet wird, ist wohl aus seinem längeren Aufenthalt in Deutschland herzuschreiben, wo er sich schon vor Jahren als clavierspielendes Kind Namen machte, und seitdem ist er als Spieler bedeutend vorgeschritten. Seine Sonate erinnere ich mich von ihm selbst gehört zu haben in einem Concert in Wien; er spielte sie höchst fertig, mit glänzendem Anschlag und goldrein. Wien hatte außer Thalberg kaum einen, der ihm im Spiel hätte die Spitze bieten können. Die Composition wurde damals fast einstimmig vom Publicum dahin gestellt, wo sie hingehört, als ein nicht talentloser Versuch, der nur unter den Händen eines guten Spielers, des Componisten selbst, bis zum Schluß zu genießen, während er unter andern mitleidlos zu Grabe getragen worden wäre. So ist’s mit Schülerarbeiten. und man mache die Probe. Ein schlechter Claviercomponist gebe seine Mache einem schlechten Clavierspieler, ein Orchestercomponist sie einer ungeschickten Masse, so treten die Schwächen erst recht schreiend heraus, während andererseits eine Meistercomposition auch von Stümperhänden nicht ganz todt zu machen. Trotz der Mängel der jungen Sonate dürfen wir aber des Componisten selteneres Streben, aus dem Ganzen zu formen, willig anerkennen. Was sich Trivialeres in ihr findet, ist zunächst einem Mißverstehen des


{216} neuern sogenannten symphonistischen Clavierstils und -Spiels zuzuschreiben. Das Clavier soll in seiner Weise, mit seinen Mitteln Massen anwenden dürfen, Stimmencharaktere vorführen und kann es, nur aber nicht, daß es wie ein arrangirtes Orchestertutti aussieht, Tremolos in beiden Händen, Hörnergänge n. dgl. Solche Stellen ausgenommen, enthält die Sonate auch manche werthvollere, so gleich der natürliche Hauptgesang im ersten Theil, wie denn überhaupt die ersten Seiten Gang und Bewegung haben, bis auf den Eintritt des Mitteltheils und dessen Fortführung, jene Stelle in der Sonate und Symphonie, wo der Schüler meistens verunglückt. Das Andante ist schwach; auch in ihm herrscht jener unrichtig auf das Clavier übertragene Orchestercharakter; nicht minder im Scherzo, doch weniger dürftig. Anklänge an Beethovensche Symphonieen finden sich, wie in der ganzen Sonate, so namentlich im Scherzo. Der letzte Satz ist französisch, Auberisch, Straußisch oder wie man will, am Schluß mit Thalbergschen Sprüngen, die wenig in eine Sonate passen, bis zuletzt alles in Rauch und Flammen aufgeht und vom Spectakel, wie nach dem Fallen des Vorhanges, kaum mehr übrig bleibt als der Schwefelgeruch nach einem Theaterwetter. In Summa, der Componist rette sich vor dem überhandnehmenden Virtuosen durch Fleiß und Studien in der Composition; ohne Schüler gewesen zu sein, ist noch keiner ein Meister geworden, und ist der Meister ja selbst wieder nur ein höherer Lehrling, und der Beethovenschen Sonate in B dur, der einzig-großen, gingen 31 andere Beethovensche voraus.

Fängt freilich Jemand so an wie Stephen Heller,* dessen Sonate wir als die Arbeit eines Jünglings bezeichneten, so erlassen wir ihm einige von den 31; er wird schon mit der zehnten Meisterhaftes zu geben wissen. Ohne viel Worte, in dieser ersten Sonate steckt so viel Mutterwitz, daß wir uns vor künftigen fürchten dürfen, so viel genialisches Blut, daß man eine ziemliche Reihe Pariser Componisten auf die Dauer damit versehen könnte. So kündigt sich nur ein wirkliches Talent an und fordert den Scharfsinn der Kritik heraus, daß sie ihm nur beikommen möchte, wenn sie Lust hätte. Ich wüßte Achillesfersen; aber der Componist ist außer ein guter Kämpfer, wie der griechische Held, auch ein guter Läufer: im Augenblicke, wo man ihm beispringen will, ergreift er lachend die Flucht, im nächsten Moment sich wieder kampffertig zu zeigen; er ist ein schlauer Componist,

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         * Erst seit seinem Werk 9 nannte er sich Stephen statt Stephan.

{217} der jedem Tadel mit einem besseren Gedanken zuvorkommt als dem erwarteten, mehr von den Grazien geliebt als ihnen folgend, und seine Sonate ein rechter Vorwurf für ordentliche Recensenten, die es immer erst hinterher sagen, wie etwas nicht sein soll. Also zeigt sich Stephen Heller in seiner Sonate. Man wird fragen, wer, wo ist er? — worauf die kurze Antwort: er ist ein geborner Ungar, reiste schon als halbes Wunderkind, lebte und dichtete dann in Augsburg und verlief sich später leider nach Paris. Die Sonate kenn' ich schon seit einigen Jahren im Manuscript. Der Componist schickte sie mir in vierteljährlichen Absätzen zu, nicht der Spannung wegen, sondern weil er, wie er sich ausdrückte, langsam brüte und mit viel Zeitverlust, und „was eine Sonate überhaupt mehr wäre als letzterer?“ — So liegt sie nun fertig da, das geflügelte Kind einer seltenen Phantasie mit seinem classisch romantischen Doppelgesicht und der vorgehaltenen humoristischen Maske. Wer etwas liebt, glaubt es auch am besten zu verstehen, und in einem von Beethoven wiederklingenden Concertsaale stehen oft Dutzende von Jünglingen, selig im Herzen, von denen jeder für sich denkt: „so wie ich versteht ihn doch Niemand“. Im besten Sinne getrau' ich mir denn die Sonate zu erklären als ein Stück aus dem Leben des Componisten selber, das er wissend oder unwissend in seine Kunst übersetzte, ein Stück mit so viel innerem Mondschein und Nachtigallzauber, wie es nur der Jugend zu schaffen möglich, in das wohl auch oft eine Jean Paulsche Satyrhand hineingreift, damit es sich nicht zu weit entferne vom gemeinen Lebensmarkt. Irr' ich nicht, so wollte es der Componist sogar einer Jean Paulschen Person dediciren. der Liane von Froulay; ein Gedanke, den ihm mancher andere Dedicator sehr verdenken möchte, da das Mädchen schon längst gestorben, und überdies ja nur in einem Buch.* Aber Liane hätte die Sonate verstanden, wenn auch mit Beihilfe Siebenkäses, der ja selbst einen „Schwanzstern“, ein Extrablatt, eingeschaltet im Scherzo. Die Sonate möge denn ihren Lauf antreten durch diese prosaische Welt. Spuren wird sie überall zurücklassen. Die Alten werden die Perücken schütteln, Organisten über Fugenlosigkeit schreien und Flachsenfingensche Hofräthe fragen, ob das auch ad majorem Dei gloriam** componirt wäre, was ja Zweck der Musik, und Verdienst nebenbei? — Einstweilen halte sich der jugendliche Dichter brav beieinander, lasse

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            * Im Titan.
           ** Wahlspruch des G. Schillingschen „Deutschen Nationalvereins“ und der „Jahrbücher“ desselben.


{218} die Weltstadt vergebens um sich tosen und toben und kehre bald mit doppeltem Reichthume heim. Und bringt er uns dann seine zehnte Sonate mit, wollen wir ihm freudig diese Zeilen vorhalten, wo wir auf ihn als aus einen der witzigsten und talentvollsten mit schönen Hoffnungen hingewiesen.

Es bleibt uns noch die dritte Sonate übrig, von F. W. Grund nämlich; Grund genug, wie Florestan wortspielt, etwas Werthes und Tüchtiges zu erwarten. Hut ab vor dem ersten Satz! Er gilt mir die ganze Sonate; in ihm ist Weihe, Schwung und Phantasie; die andern stehen zurück. Es gibt eine ähnlich geformte Sonate von Beethoven, eine der wundervollsten, wo dem kühn leidenschaftlichen ersten Satz (in E moll) ein einfacher arioser (in E dur) nachfolgt* und damit schließt. Die von Grund ist ähnlich angelegt; aber zur Erfindung des ersten Satzes stehen, wie gesagt, die andern zu blaß daneben. Vielleicht, daß diese erst spätere Zeit nach Vollendung des ersten geschrieben sind, wo dann kommt, daß der Componist nicht mehr in der ursprünglichen Stimmung fortzufahren weiß. Denn so sein wühlt die Phantasie des Musikers, daß, einmal die Spur verloren oder von der Zeit zugeschüttet, sie später nur durch glücklichen Zufall in seltenem Augenblick wieder aufgefunden wird; darum wird auch ein unterbrochenes, bei Seite gelegtes Werk nur selten ein fertiges; lieber fange der Componist ein neues an, entschlage sich der Stimmung ganz. Wär es aber mit der Sonate von Grund nicht so, wie ich vermuthe, so müßte man den Abstand des ersten Satzes von den andern für einen Nachlaß an schöpferischer Kraft ansehen: ein Vorwurf, der ungleich mehr schmerzen würde. Genug, der erste Satz reicht hin, dem Componisten unsere Achtung zuzusprechen. Die Tonart des Satzes ist G moll, jene Lieblingstonart der Musiker, aus der schon manches Meisterwerk hervorgegangen: der Charakter dem Beiwort entsprechend,** das wir im Anfang des Aufsatzes vergleichweise aussprachen. Der würdige, vielleicht zu anspruchlos zurücktretende Mann möge weniger sparsam sein mit Veröffentlichung seiner Werke; der Theilnahme der Besten sei er versichert. 12.

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           * Werk 90.
         ** nämlich „mannhaft“.
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{219}

Der Stadt- und Communal-Musikverein zu Kyritz.

Lustige Begebenheit* von Florestan.

Das Städtchen Kyritz zeichnete sich von jeher durch Liebe zur Musik aus. Wie es ganze Schach spielende Dörfer gibt, andere, die ihr vollständiges Theater haben, so schien Kyritz wie ein großes Haus eines Stadtmusikherrn, wo aus jedem Fenster zur Tag- und Nachtzeit verschiedene Instrumente herunter — und hinauf klingen. Vom Cantor bis zum Nachtwächter herab war alles musikalisch. Aber man irrt, wenn man glaubt, die Harmonie wäre in Kyritz zu Hause gewesen. Schon lange hatten sich in ihrem Schooße geheime Parteien gebildet; ja hatten sich nicht vor der Thüre des Regimentsobertambours Fresser (eines offenen Romantikers) in der Walpurgisnacht ganze Gruppen blasender und streichender Anhänger gestellt, um mit ihrem Chef zum Hause des Oberbälgentreters Kniff (der als Oberhaupt der andern Partei zu betrachten) zu ziehen, selbigem die „Vehmrichterouverture“ u. a. Possen aufzuführen, während Kniff die zum „Kalif von Bagdad“ anstimmen ließ zur Gegenwehr! Eine greuliche Musik war’s, ein Kampf des Neuen und Alten; das ganze Kyritz gohr. Aber das Wichtigste kommt noch und die Sachen wurden verwickelter. Wem in Kyritz wäre nicht der zu allen Tagesstunden auf den Gassen sichtbare Friseur Lippe bekannt, Lippe, der Janitschar. der alle Instrumente spielte und jedes schlecht. Lippe, der Lafont und Hunderte in Paris frisirt und zuletzt auf dem Schub von da in seine Heimath zurücktransportirt wurde, der durchtriebenste Windbeutel, der Fressers Tochter die Cour machte, während er beim Kniff versicherte: er wolle alle Fresserschen Romantiker sengen und brennen, wie sie’s verdienten. Im Grund des Herzens aber schimpfte er eben über alles und wollte nichts, als auf den Schultern der kämpfenden Parteien sich selbst zum Musikdictator in Kyritz emporschwingen und zuletzt Fressers hübsche Sabine heimführen. Kyritz, wie warst du verblendet, als du den Worten aus dem im Kyritzer Wochenblatt mit G. S. unterzeichneten Artikel Glauben beimaßest, der folgendermaßen lautete: „Die Musik, die doch sein soll die Harmonie des Ewig-Schönen, die die Bande zwischen Gott- und Menschheit nur noch fester knüpfen soll, hat in

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         * Sie hatte einen symbolischen Bezug zu den damaligen Zustanden einer berühmten Musikstadt. 

[Sch. 1852.]

{220} dieser guten Stadt noch unlängst zu den bedauerlichsten Auftritten geführt. Könnte man ähnlichen Vorfällen nicht steuern durch Vereinigung sämmtlicher hiesigen Notabilitäten, und sollte eine solche nicht durch eine förmliche Constituirung eines «Kyritzer Stadt- und Communalmusikvereins« am leichtesten zu erreichen sein, wie ja ähnliche Vereine es in allen **schen Staaten gibt? Könnte man nicht zu gleicher Zeit auch Ehrenmitglieder (die correspondirenden verstehen sich ohnehin) ernennen lassen und würde nicht unser trefflicher Bürgermeister Kaulfuß geneigt sein, das Protectorat dieses Vereins zu übernehmen?“

Mit Lippe stand es aber folgendermaßen, schlecht nämlich. Er hatte viel Schulden und wenig Kunden; er musicirte, wie er frisirte, im höchsten Grad oberflächlich, obgleich das erstere mit mehr Fleiß, das zweite mit mehr Talent; er hat Zeit seines Lebens immer zwischen Ton- und Haarkünstler geschwankt. Mit aller Kraft klammerte er sich nun an die Musik, da sich die Kyritzer Haarköpfe und Perücken seinen haarkünstlerischen Händen entzogen; ja er versicherte, den schönsten Tituskopf vernachlässige er über der Mozartschen Titusmusik. Sah man ihn aber je auf den Gassen fliegen, daß die Gänseheerden in die Höhe flogen, so geschah es den Tag nach der Anzeige im Wochenblatt. Von Haus zu Haus rannte er, die Statuten des Communalvereins in der Tasche und drohte mit Ehrenmitgliedschaft; ja selbst du, würdigster Kaulfuß, schwanktest einen Angenblick und gabst schmunzelnd nach und Lippe’n die Perücke überdies zum Frisiren hin; mit ihm noch andre Perücken. Schon jubelte Lippe; ja er hetzte, was er konnte, Fressers und Kniffs Parteien noch wüthender auf einander, vom Kampf für sich Gewinn zu ziehen. Ueber Kyritz lag es schwer wie Gewitterwolken; alles pfiff und blies und strich wie wahnsinnig durcheinander. Mitten im Aufruhr erscholl es: „wo ist Lippe? der Elende! der Windbeutel! der Prahlhans!“ Bei der Laterne erkannte man ihn, und hier falle der Schleier über die Scene. Selten wurde wohl ein Mensch so übereinstimmend durchgeprügelt. Alle Instrumente wurden auf Lippe gespielt, die Hornbläser bliesen ihm in die Ohren, die Violinisten geigten durch seinen Mund, an seinen Füßen hingen zwei kleine Paukanten, bis Fresser, durch seinen Sieg befriedigt, zum Abzug blies. —

Während des Getümmels kamen ein paar Davidsbündler zum Thore hinausgefahren, die die Parteien durchschnitten. Halbtodt trug man Lippe in die Vorstadt, wo er wohnte, während sich jene noch lachend aufzeichneten, was man eben gelesen. —43

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			1840.

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[leer]

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Zur Eröffnung des Jahres 1840.

Die Zeitschrift beginnt mit dem heutigen Tage ihr zwölftes Semester. Gedanken aller Art schließen sich an solchen Abschnitt, Wünsche und Hoffnungen werden an ihm laut; auch verzeiht man sich gern an dem schönen Fest. Im Kampf der Meinungen, selbst mit kämpfend und meinend, haben wir an dem Einen fest gehalten: vor Allem deutsche Kunst zu hegen und zu pflegen. Unerschütterlich steht auch in uns die Ansicht, daß wir noch keineswegs am Ende unserer Kunst sind, daß noch viel zu thun übrig bleibt, daß Talente unter uns leben, die uns in unsern Hoffnungen auf eine neue reiche Blüthenzeit der Musik bestärken, und daß noch größere erscheinen werden. Ohne solche Hoffnungen — was wär all das Sprechen und Schaffen nütz? Was nützte es, eine Kunst zu treiben, in der man nichts mehr zu erreichen sich getraute? Die Andern aber, die sich kräftiger fühlen, die sich für mehr halten als pompejanische Arbeiter, die über dem Suchen nach alten Palästen und Tempeln nicht die Kraft und Zeit verloren, selbst neue aufbauen zu lernen, — möchten sich am heutigen Tage die Hände reichen zu neuen großen Werken. Der wärmsten Anerkennung unsererseits können sie sich versichert halten.*

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          * Gestrichener Schluß: „Bleibe uns das Vertrauen dieser wie aller wahrhaften Künstler auch dieses Jahr wie alle künftigen!“

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Die vier Ouverturen zu Fidelio.

Mit goldner Schrift sollte es gedruckt werden, was das Leipziger Orchester am letzten Donnerstag ausgeführt: sämmtliche vier Ouverturen zu Fidelio nacheinander. Dank euch, Wiener von 1805, daß euch die erste nicht ansprach, bis Beethoven in göttlichem Ingrimme eine nach der andern hervorwühlte. Ist er mir je gewaltig erschienen, so an jenem Abend, wo wir ihn besser als je in seiner Werkstatt — bildend, verwerfend, abändernd — immer glühend und heiß, bei seiner Arbeit belauschen konnten. Am riesigsten zeigte er sich wohl beim zweiten Anlauf. Die erste Ouverture wollte nicht gefallen; halt, dachte er, bei der zweiten soll euch das Denken vergehen, — und setzte sich von Neuem an die Arbeit und ließ das erschütternde Drama an sich vorübergehen und sang die großen Leiden und die große Freude seiner Geliebten noch einmal; sie ist dämonisch, diese zweite, im Einzelnen wohl noch kühner als die dritte, die bekannte große in C dur. Denn auch jene genügte ihm nicht, daß er sie wieder bei Seite legte und nur einzelne Stücke beibehielt, aus denen er, beruhigter schon und künstlerischer, jene dritte formte. Später solgte noch jene leichtere und populäre in E dur, die man gewöhnlich im Theater zur Eröffnung hört.*

Das ist das große Vier-Ouverturenwerk; ähnlich wie die Natur bildet, sehen wir in ihm zuerst das Wurzelgeflecht, aus dem sich in der zweiten der riesige Stamm hebt, seine Arme links und rechts ausbreitet, und zuletzt mit leichterem Blüthengebüsche schließt, {{Right|Fl.

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H. W. Ernst.

Die Worte von Berlioz, Ernst werde wie Paganini einmal die Welt von sich reden machen, fangen an in Erfüllung zu gehen. Ich habe die großen Violinspieler der neueren Zeit fast alle gehört, von

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           * Schumann befand sich mit seinen Zeitgenossen im Irrthum über die Zeitfolge der Ouverturen. Nr. 1 ist 1807, Nr. 2 1805, Nr. 3 1806, Nr. 4 1814 entstanden. Vgl. Anmerkung 51.


{225} Lipinski an bis zu Prume herab. Jeder fand seinen begeisterten Anhang im Publicum. Jener hielt es mit Lipinski: das Imposante seiner Individualität fällt auf, man braucht nur ein paar seiner großen Töne gehört zu haben. Andere schwärmten über Vieuxtemps, den genialsten der jungen Meister, der schon jetzt so hoch steht, daß man nicht ohne eine geheime Furcht an seine Zukunft denken möchte. Ole Bull gab uns zu rathen, wie ein tiefsinniges Räthsel, mit dem man nicht fertig werden kann, namentlich er fand Gegner —, und so haben Bériot, C. Müller, Molique, David, Prume jeder sein besonderes Publicum für sich, jeder seinen Schildträger in der Kritik. Aber Ernst versteht es, ähnlich wie Paganini, allen Parteien zu genügen, alle für sich gewinnen zu können, wenn er will, wie er denn auch, mit alleu Schulen vertraut, zur vielseitigsten Eigenthümlichkeit durchgebrochen. Auch an improvisatorischer Kraft, der reizendsten am Virtuosen, steht er Paganini nahe, und hier mag sein früherer häufiger Umgang mit Paganini auf ihn gewirkt haben. Ernst ist aus Brünn gebürtig, kam sehr jung nach Wien auf das dasige Conservatorium, lernte dann Paganini kennen und machte 1830 seinen ersten Ausflug nach dem Rhein zur selben Zeit, als auch Paganini dort war. Seine außerordentliche Virtuosität, obwohl sie offenbar noch manches von Paganinis Art an sich hatte, machte schon damals Aufsehen. Im jugendlichen Uebermuthe wohl gab er auch immer gerade in den Städten Concerte, wo Paganini kurz vorher gespielt hatte. Mit Freuden erinnere ich mich jener Concerte in einigen Rheinstädten, wo er wie ein Apoll die Heidelberger Musenschaft in die nahen Städte sich nachzog. Sein Name war allgemein bekannt. Hierauf hörte man lange nichts von ihm; er war nach Paris gegangen, wo es Zeit kostet, nur angehört zu werden. Unausgesetzte Studien brachten ihn vorwärts, der Einfluß Paganinis schwand nach und nach, bis wir denn seinen Namen in den letzten Jahren wieder auftauchen sehen und den ersten in Paris beigesellt. Sein alter Wunsch, sein Vaterland wieder einmal zu sehen, namentlich seiner Heimath Beweise seiner fortgediehenen Meisterschaft zu geben, wachte wieder in ihm auf. Nachdem er im vorigen Winter noch Holland bereist und dort in wenigen Monaten 60—70 Concerte gegeben, ging er nach kurzem Aufenthalt in Paris stracks nach Deutschland. Ein echter, seiner Kunst sicherer Künstler, hatte er es verschmäht, seine Reise voraus verkünden zu lassen. So trat er, von Marschner veranlaßt, zuerst in Hannover auf, dann in vielen Concerten in Hamburg und den nahen Orten. So haben wir ihn auch hier gehört,

{226} beinahe unvorbereitet. Der Saal war nicht übervoll; aber das Publicum schien zum doppelten angewachsen, so jubelnd erscholl der Beifall. Das Glanz- und Prachtstück des Abends waren wohl die Maysederschen Variationen, die er in reizender Laune mit eigenen durchwebte und mit einer Cadenz schloß, wie wir sie nur von Paganini gehört, wenn er in humoristischem Uebermuthe alle Zauberkünste seines Bogens walten ließ. Der Beifall danach ging über das gewöhnliche Maß norddeutscher Begeisterung hinaus, und wären Kränze in Bereitschaft gewesen, in Schaaren wären sie auf den Meister geflogen. Dies steht ihm noch später einmal bevor, wenn er auch, als Mensch der bescheidenste und mehr still und in sich gekehrt, sich dem entziehen wollte. Wir hören ihn noch einmal, nächsten Montag. Die Flug- und Eisenbahn hat ihn auf einige Tage in die nahe Hauptstadt entführt. Dann aber, — läßt er gar seinen „Carnaval von Venedig“ hören, — denken wir noch mehr von ihm zu berichten,* dem, scheint es, jener berühmte italiänische Zauberer, bei seinem Abschied von der Kunstwelt, das Geheimniß seiner Kunst anvertraut zu haben scheint, den Meistern zur Vergleichung, den Jüngern zur Nacheiferung, Allen zum Hochgenuß. Am 14. Januar. {{Right|12.

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Concertstücke und Concerte für Pianoforte

mit Begleitung des Orchesters.

F. Mendelssohn Bartholdy, Serenade u. Allegro. (H moll u. D dur). W. 43. W. Sterndale Bennett, Viertes Concert (F moll). Werk 19. J. N. Hummel, Letztes Concert (F dur). Nachgelassenes Werk.

Bei dem ersten Stück kommt es mir zu statten, daß ich es vom Meister selbst gehört in einer seiner glücklichsten Stimmungen.44 Die

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        * Ernst spielte in seinem zweiten Concert, am 27. Januar, den Carnaval. Schumann berichtete darüber: „Er spielte ihn zuletzt — umgekehrt der J. Paulschen Regel, nach der Virtuosen ihr Wirkungsvollstes zuerst bringen sollten. Der Eindruck war ergötzlich über die Maßen. Paganini hat dasselbe Thema (o cara mia mama) ähnlich variirt. Es waren gegen 30 Variationen über ein acht Tacte langes Thema, bunt charakteristisch, schalkisch und geistreich, Guckkastenbilder mit den am meisten vorkommenden Gestalten des Polichinels und der Colombine. Das Publicum lachte oft hell auf. Der Beifall war stürmisch, obwohl man im Uebrigen am Abend nicht in bester Musiklaune schien“.


{227} Clavierstimme läßt nur die Hälfte der Reize ahnen, die es mit dem Orchester zusammen in ganzer Fülle erschließt. Was man von ihm zu erwarten hat, deutet der Titel an: eine Serenade, eine Abendmusik, der ein frisches, gesundes Allegro folgt. Wem die erste zugedacht ist — wer weiß es! Einer Geliebten nicht, dazu scheint sie nicht heimlich und verstohlen genug, auch nicht einem großen Mann, dazu fehlt ihr alles; ich denke mir, dem Abend selbst ist sie dargebracht, ein Gruß an das Dasein, den ein schöner Mondabend vielleicht im Dichter geweckt, und weiß man vollends, daß dieser gerade in Sebastian Bachs Cantor-Stäbchen sehen kann von seinem aus, so erklärt sich das Stück um so leichter. Wozu viel Worte über solche Musik? Die Grazie zu zerlegen, das Mondlicht wiegen zu wollen, was nützt es! Wer Dichters Sprache versteht, wird auch diese verstehen, und wenn neulich irgendwo von Jena aus berichtet wurde, es fehle dem Mendelssohnschen Phantasieschwung zuweilen an der rechten Höhe. — ei so häng' dich auf, Liederknirps von Jena,“ wenn dir die schöne Erde zu niedrig vorkommt.

Das Concert von Bennett hab' ich leider nicht von ihm selbst gehört, wie überhaupt nicht mit Orchester. Mein Ausspruch sagt und lobt daher vielleicht eher zu wenig als zu viel. Vielleicht, daß Bennett die Orchesterpartieen noch öfter hätte andeuten oder auch sie dem Clavierspieler mitspielbar machen können. Die Componisten, die ihr Werk im Kopf haben, verlangen hier meistens zu viel, und Spieler, die die fehlenden Instrumente etwa durch Mitsingen ersetzen könnten, gibt es eben auch wenige. Die Form des Concerts ist die alte dreisätzige, die Tonart F moll, der Charakter zum Ernst geneigt, nicht düster. Eine freundliche Barcarole leitet den ersten Satz zum letzten; sie namentlich hat, wie ich höre, dem Concerte die Herzen gewonnen, als es der Componist hier in Leipzig spielte. Im andern Sinne, als der Witz von andern Componisten behauptet, spielt das Wasser in Bennetts Compositionen eine Hauptrolle, als ob sich auch hierin der Engländer nicht verleugnen könnte. Seinen gelungensten Werken: der Ouverture zu den Najaden, den meisterhändigen Skizzen — „der See“, „der Waldbach“, „die Fontaine“ — schließt sich jene Barcarole an, die mit dem Orchester zusammen von reizender Wirkung sein muß. Die andern Sätze bieten nichts Neues in ihrer Gestaltung, oder besser gesagt, sie suchen das Neue nicht im Auffallenden sondern eher im

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     * C. Banck.45

{228} Anspruchlosen; so läßt Bennett am Schluß der Soli, wo in andern Concerten Triller über Triller stürzen, den Triller unterbrechen und leise verhallen, als wenn er das Beifallgeklatsche selbst hindern wolle; so ist es im ganzen Concerte nirgends auf Bravour und Beifall abgesehen: nur die Composition soll sich zeigen, die Virtuosität des Spiels ist Nebensache, wird vorausgesetzt. Neue mechanische Combinationen, Fingeraufgaben findet man also in ihr nicht, wenn sie auch zur Ausführung immerhin schon bedeutende, mehr musikalische als fingerfertige Meisterschaft erfordert, die sich dem Orchester hier unterzuordnen, dort es zu beherrschen versteht. Schöne Melodieen findet man die Fülle, die Formen sind reizend und fließend wie immer in Bennetts Compositionen. Der letzte Satz wird, gegen des Componisten Individualität, humoristischer; seine lyrische Natur bricht über auch hier zuletzt durch. Dies möge als Andeutung genügen. Bennetts Name hat schon so guten Klang in Deutschland,* daß es für echte Clavierspieler nur der Anregung bedarf, daß das Concert da ist. Er schaffe und wirke noch lange zum Segen wahrer Kunst!

Noch war in der Aufschrift ein Concert von Hummel angemerkt, vielleicht das letzte, was er geschrieben; er hat dessen Veröffentlichung nicht erlebt. Auch hier genügt der Name, im voraus zu wissen, was man zu erwarten hat. Als ein Werk aus seiner Blüthenzeit, der das A moll-Concert, die Fis moll-Sonate u. a. entsprungen, darf man es freilich nicht ansehen, wird es auch Niemand betrachten. Alter und Kindheit berühren sich so oft im Leben wie in der Kunst. So ist das Concert auch keine Steigerung der früheren, sondern eher ein Rückgang zu den ältesten, anspruchlos, abgeschlossen im Kreise seiner Ideen, an Melodie fast simpel, im Passagenwerk so zierlich und reinlich, wie man es an Hummel kennt. Reaction wird es somit keine hervorbringen, die allgemeine mus. Zeitung mag sagen, was sie will. Die Brust des Künstlers zieren ja auch so viel wohlerworbene Orden, daß es kaum nöthig, ihm neue anhängen zu wollen: unbeholfener Eifer macht eher verdächtig. Auf andere nachgelassene Werke des verschiedenen Meisters wird die Zeitschrift in der Folge zurückkommen. {{Right|12.

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            * Rellstab kannte bis zum August 1841 noch nichts von Bennett. Als er dann drei Werke desselben besprach, machte Schumann dazu die Bemerkung: „Die Iris des Hrn. Rellstab fängt jetzt auf W. St. Bennett als auf einen hoffnungsvollen Componisten aufmerksam zu machen an. Bei uns und an andern Orten gilt er schon seit sechs Jahren als Meister“. (1841, XV, 148.)
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Die C dur-Symphonie von Franz Schubert.

Der Musiker, der zum erstenmal Wien besucht, mag sich wohl eine Weile lang an dem festlichen Rauschen in den Straßen ergötzen können und oft und verwundernd immer vor dem Stephansthurme stehen geblieben sein; bald aber wird er daran erinnert, wie unweit der Stadt ein Kirchhof liegt, ihm wichtiger als alles, was die Stadt sonst an Sehenswürdigem hat, wo zwei der Herrlichsten seiner Kunst nur wenige Schritte von einander ruhen. So mag denn, wie ich, schon mancher junge Musiker bald nach den ersten geräuschvollen Tagen hinausgewandelt sein zum Wühringer Kirchhof, auf jenen Gräbern ein Blumenopfer niederzulegen, und war' es ein wilder Rosenstrauch, wie ich ihn an Beethovens Grab hingepflanzt fand. Franz Schuberts Ruhestätte war ungeschmückt. So war endlich ein heißer Wunsch meines Lebens in Erfüllung gegangen, und ich betrachtete mir lange die beiden heiligen Gräber, beinahe den Einen beneidend, irr' ich nicht, einen Grafen Odonnel, der zwischen beiden mitten innen liegt.46 Einem großen Mann zum erstenmal ins Angesicht zu schauen, seine Hand zu fassen, gehört wohl zu Jedes ersehntesten Augenblicken. War es mir nicht vergönnt, jene beiden Künstler im Leben begrüßen zu dürfen, die ich am höchsten verehre unter den neueren Künstlern, so hätte ich nach jenem Gräberbesuch so gern wenigstens Jemanden zur Seite gehabt, der einem von ihnen näher gestanden, und am liebsten, dachte ich mir, einen ihrer Brüder. Es fiel mir ein auf dem Zuhausewege, daß ja Schuberts Bruder, Ferdinand, noch lebe, auf den er, wie ich wußte, große Stücke gehalten. Bald suchte ich ihn auf und fand ihn seinem Bruder ähnlich, wie mir nach der Büste schien, die neben Schuberts Grabe steht, mehr klein, aber kräftig gebaut, Ehrlichkeit wie Musik gleichviel im Ausdruck des Gesichts. Er kannte mich aus meiner Verehrung für seinen Bruder, wie ich sie oft öffentlich ausgesprochen, und erzählte und zeigte mir vieles, wovon auch früher unter der Ueberschrift „Reliquien“ mit seiner Bewilligung in der Zeitschrift* mitgeteilt wurde. Zuletzt ließ er mich auch von den Schätzen sehen, die sich noch von Franz Schuberts Compositionen in seinen Händen befinden. Der Reichthum, der hier aufgehäuft lag, machte mich

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            * 1839, X, 37. Es waren Briefe und Gedichte von Franz Schubert.


freudeschauernd; wo zuerst hingreifen, wo aufhören! Unter andern wies er mir die Partituren mehrerer Symphonieen, von denen viele noch gar nicht gehört worden sind, ja oft vorgenommen, als zu schwierig und schwülstig zurückgelegt wurden. Alan muß Wien kennen, die eignen Concertverhältnisse, die Schwierigkeiten, die Mittel zu größeren Aufführungen zusammenzufügen, um es zu verzeihen, daß man da, wo Schubert gelebt und gewirkt, außer seinen Liedern von seinen größeren Instrumentalwerken wenig oder gar nichts zu hören bekommt. Wer weiß, wie lange auch die Symphonie, von der wir heute sprechen, verstaubt und im Duukel liegen geblieben wäre, hätte ich mich nicht bald mit Ferdinand Schubert verständigt, sie nach Leipzig zu schicken an die Direction der Gewandhausconcerte oder an den Künstler selbst, der sie leitet,* dessen feinem Blicke ja kaum die schüchtern aufknospende Schönheit entgeht, geschweige denn so offenkundige, meisterhaft strahlende. So ging es in Erfüllung. Die Symphonie kam in Leipzig an, wurde gehört, verstanden, wieder gehört und freudig, beinahe allgemein bewundert. Die thätige Verlagshandlung Breitkopf und Härtel kaufte Werk und Eigeuthum an sich, und so liegt sie nun fertig in den Stimmen vor uns und vielleicht auch bald in Partitur,** wie wir es zu Nutz und Frommen der Welt wünschten.

Sag' ich es gleich offen: wer diese Symphonie nicht kennt, kennt noch wenig von Schubert, und dies mag nach dem, was Schubert bereits der Kunst geschenkt, allerdings als ein kaum glaubliches Lob angesehen werden. Es ist so oft und zum Verdruß der Componisten gesagt worden, „nach Beethoven abzustehen von symphonistischen Plänen“, und zum Theil auch wahr, daß außer einzelnen bedeutenderen Orchesterwerken, die aber immer mehr zur Beurtheilung des Bildungsganges ihrer Componisten von Interesse waren, einen entschiedenen Einfluß aber auf die Masse wie auf das Foitschreiten der Gattung nicht übten, das meiste Andere nur mattes Spiegelgebild Beethovenscher Weisen waren, jener lahmen langweiligen Symphonieenmacher nicht zu gedenken, die Puder und Perücke von Haydn und Mozart passabel nachzuschütten die Kraft hatten, aber ohne die dazu gehörigen Köpfe. Berlioz gehört Frankreich an und wird nur als interessanter Ausländer und Tollkopf zuweilen genannt. Wie ich geahnt und gehofft hatte, und Mancher vielleicht mit mir. daß Schubert, der formenfest,

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          * Mendelssohn. 
         ** Die Partitur erschien 1849

{231} phantasiereich und vielseitig sich schon in so vielen anderen Gattungen gezeigt, auch die Symphonie von seiner Seite packen, daß er die Stelle treffen würde, von der ihr und durch sie der Masse beizukommen, ist nun in herrlichster Weise eingetroffen. Gewiß hat er auch nicht daran gedacht, die neunte Symphonie von Beethoven fortsetzen zu wollen, sondern, ein fleißigster Künstler, schuf er unausgesetzt aus sich heraus, eine Symphonie nach der andern, und daß jetzt die Welt gleich seine siebente zu sehen bekommt, ohne der Entwickelung zugesehen zu haben und ihre Vorgängerinnen zu kennen, ist vielleicht das Einzige, was bei ihrer Veröffentlichung leid thun könnte, was auch selbst zum Mißverstehen des Werkes Anlaß geben wird. Vielleicht daß auch von den andern bald der Riegel gezogen wird; die kleinste darunter wird noch immer ihre Franz Schubertsche Bedeutung haben; ja die Wiener Symphonieenausschreiber hätten den Lorbeer, der ihnen nöthig war, gar nicht so weit zu suchen brauchen, da er siebenfach in Ferdinand Schuberts Studirstübchen in einer Vorstadt Wiens übereinander lag. Hier war einmal ein würdiger Kranz zu verschenken. So ist’s oft: spricht man in Wien z. B. von — —,* so wissen sie des Preisens ihres Franz Schubert kein Ende; sind sie aber unter sich, so gilt ihnen weder der Eine noch der Andere etwas Besonderes. Wie dem sei, erlaben wir uns nun an der Fülle Geistes, die aus diesem kostbaren Werke quillt. Es ist wahr, dies Wien mit seinem Stephansthurm, seinen schönen Frauen, seinem öffentlichen Gepränge, und wie es von der Donau mit unzähligen Bändern umgürtet, sich in die blühende Ebene hinstreckt, die nach und nach zu immer höherem Gebirge aufsteigt, dies Wien mit all seinen Erinnerungen an die größten deutschen Meister muß der Phantasie des Musikers ein fruchtbares Erdreich sein. Oft wenn ich es von den Gebirgshöhen betrachtete, kam mir’s in den Sinn, wie nach jener sernen Alpenreihe wohl manchmal Beethovens Auge unstät hinübergeschweift, wie Mozart träumerisch oft den Lauf der Donau, die überall in Busch und Wald zu verschwimmen scheint, verfolgt haben mag und Vater Haydn wohl oft den Stephansthurm sich beschaut, den Kopf schüttelnd über so schwindlige Höhe. Die Bilder der Donau, des Stephansthurms und des fernen Alpengebirgs zusammengedrängt und mit einem leisen katholischen Weihrauchduft überzogen, und man hat eines von Wien, und steht nun vollends die reizende Landschaft lebendig vor uns, so werden

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       * Mendelssohn.47


{232} wohl auch Saiten rege, die sonst nimmer in uns angeklungen haben würden. Bei der Symphonie von Schubert, dem hellen, blühenden, romantischen Leben darin, taucht mir heute die Stadt deutlicher als je wieder auf, wird es mir wieder recht klar, wie gerade in dieser Umgebung solche Werke geboren werden können. Ich will nicht versuchen, der Symphonie eine Folie zu geben, die verschiedenen Lebensalter wählen zu verschieden in ihren Text- und Bilderunterlagen, und der achtzehnjährige Jüngling hört oft eine Weltbegebenheit aus einer Musik heraus, wo der Mann nur ein Landesereigniß sieht, während der Musiker weder an das Eine noch an das Andere gedacht hat und eben nur seine beste Musik gab, die er auf dem Herzen hatte. Aber daß die Außenwelt, wie sie heute strahlt, morgen dunkelt, oft hineingreift in das Innere des Dichters und Musikers, das wolle man nur auch glauben, und daß in dieser Symphonie mehr als bloser schöner Gesang, mehr als bloses Leid und Freud', wie es die Musik schon hundertfältig ansgesprochen, verborgen liegt, ja daß sie uns in eine Region führt, wo wir vorher gewesen zu sein uns nirgends erinnern können, dies zuzugeben, höre man solche Symphonie. Hier ist, außer meisterlicher musikalischer Technik der Composition, noch Leben in allen Fasern, Colorit bis in die feinste Abstufung, Bedeutung überall, schärfster Ausdruck des Einzelnen, und über das Ganze endlich eine Romantik ausgegossen, wie man sie schon anderswoher an Franz Schubert kennt. Und diese himmlische Länge der Symphonie, wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen. Wie erlabt dies, dies Gefühl von Reichthum überall, während man bei Anderen immer das Ende fürchten muß und so oft betrübt wird, getäuscht zu werden. Es wäre unbegreiflich, wo auf einmal Schubert diese spielende, glänzende Meisterschaft, mit dem Orchester umzugehen, hergenommen hätte, wüßte man eben nicht, daß der Symphonie sechs andere vorausgegangen waren, und daß er sie in reifster Manneskraft schrieb.* Ein außerordentliches Talent muß es immer genannt werden, daß er, der so wenig von seinen Instrumentalwerken bei seinen Lebzeiten gehört, zu solcher eigenthümlichen Behandlung der Instrumente wie der Masse des Orchesters gelangte, die oft wie Menschenstimmen und Chor durcheinandersprechen. Diese Aehnlichkeit mit dem Stimmorgan habe ich, außer in vielem

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      * Auf der Partitur steht „März 1828“; im November darauf starb Schubert. [Sch.]


{233} Beethovenschen, nirgends so täuschend und überraschend angetroffen; es ist das Umgekehrte der Meyerbeerschen Behandlung der Singstimme. Die völlige Unabhängigkeit, in der die Symphonie zu denen Beethovens steht, ist ein anderes Zeichen ihres männlichen Ursprungs. Hier sehe man, wie richtig und weise Schuberts Genius sich offenbart. Die grotesken Formen, die kühnen Verhältnisse nachzuahmen, wie wir sie in Beethovens spätem Werken antreffen, vermeidet er im Bewußtsein seiner bescheideneren Kräfte; er gibt uns ein Werk in anmuthvollster Form und trotzdem in neuverschlungener Weise, nirgends zu weit vom Mittelpunct wegführend, immer wieder zu ihm zurückkehrend. So muß es Jedem erscheinen, der die Symphonie sich öfters betrachtet. Im Anfange wohl wird das Glänzende, Neue der Instrumentation, die Weite und Breite der Form, der reizende Wechsel des Gefühllebens, die ganze neue Welt, in die wir versetzt werden, den und jenen verwirren, wie ja jeder erste Anblick von Ungewohntem; aber auch dann bleibt noch immer das holde Gefühl etwa wie nach einem vorübergegangenen Märchen- und Zauberspiel; man fühlt überall, der Componist war seiner Geschichte Meister, und der Zusammenhang wird dir mit der Zeit wohl auch klar werden. Diesen Eindruck der Sicherheit gibt gleich die prunkhaft romantische Einleitung, obwohl hier noch alles geheimnißvoll verhüllt scheint. Gänzlich neu ist auch der Uebergang von da in das Allegro; das Tempo scheint sich gar nicht zu ändern, wir sind angelandet, wissen nicht wie. Die einzelnen Sätze zu zergliedern, bringt weder uns noch Andern Freude; man müßte die ganze Symphonie abschreiben, vom novellistischen Charakter, der sie durchweht, einen Begriff zu geben. Nur vom zweiten Satze, der mit so gar rührenden Stimmen zu uns spricht, mag ich nicht ohne ein Wort scheiden. In ihm findet sich auch eine Stelle, da wo ein Horn wie aus der Ferne ruft, das scheint mir aus anderer Sphäre herabgekommcn zu sein. Hier lauscht auch alles, als ob ein himmlischer Gast im Orchester herumschliche.

Die Symphonie hat denn unter uns gewirkt, wie nach den Beethovenschen keine noch. Künstler und Kunstfreunde vereinigten sich zu ihrem Preise, und vom Meister, der sie auf das Sorgfältigste einstudirt, daß es prächtig zu vernehmen war, hörte ich einige Worte sprechen, die ich Schubert hätte bringen mögen, als vielleicht höchste Freudenbotschaft für ihn. Jahre werden vielleicht hingehen, ehe sie sich in Deutschland heimisch gemacht hat; daß sie vergessen, übersehen werde, ist kein Bangen da; sie trägt den ewigen Jugendkeim in sich.

{234} So hat denn mein Gräberbesuch, der mich an einen Verwandten des Geschiedenen erinnerte, mir einen zweiten Lohn gebracht. Den ersten erhielt ich schon an jenem Tage selbst; ich fand auf Beethovens Grab — eine Stahlfeder, die ich mir theuer aufbewahrt. Nur bei festlicher Gelegenheit, wie heute, nehm' ich sie in Brauch: mög' ihr Angenehmes entflossen sein! {{Right|R. Sch.

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Franz Liszt.

I.

Noch angestrengt von einer Reihe von sechs Concerten, die er in Prag während eines achttägigen Aufenthaltes gab, kam Hr. Liszt vorigen Sonnabend in Dresden an. Kaum mag er irgendwo sehnlicher erwartet worden sein als in der Residenz, wo Clavierspiel und Claviermusik vor Allem geliebt wird. Montag* gab er Concert; der Saal war glänzend und von den Vornehmsten der Gesellschaft, auch von mehreren Mitgliedern der königlichen Familie besticht. Alle Blicke hafteten auf der Thür, wo der Künstler eintreten sollte. Zwar sein Bild ist vielfach verbreitet und das von Kriehuber, der sein Jupiterprofil am schärfsten gefaßt, ein höchst treffliches; aber der Jupiterjüngling selbst interessirt doch immer noch ganz anders. Man spricht viel von der Prosa jetziger Tage, von Hof- und Residenzluft und Eisenbahngeist, aber es komme nur der Rechte, und wir lauschen andächtig jeder seiner Bewegungen. Wie nun erst bei diesem Künstler, von dessen Wunderthaten schon vor zwanzig Jahren berichtet wurde, dessen Namen man immer neben den bedentendsten zu hören gewohnt war, vor dem sich wie vor Paganini alle Parteien verneigten und auf einen Augenblick versöhnt schienen! So rief ihm denn die ganze Versammlung bei seinem Eintritt begeistert zu, worauf er anfing zu spielen. Gehört hatte ich ihn schon vorher;** aber es ist etwas anderes, der Künstler einem Publicum oder Einzelnen gegenüber — auch der Künstler ein anderer. Die schönen hellen Räume, der Kerzenglanz.

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           * den 16. März. 
          ** nämlich in Dresden, wohin Schumann gereist war, um Liszts Bekanntschaft zu machen.

{235} die geschmückte Versammlung, dies alles erhöht die Stimmung des Gebenden wie der Empfangenden. Nun rührte der Dämon seine Kräfte; als ob er das Publicum prüfen wollte, spielte er erst gleichsam mit ihm, gab ihm dann Tiefsinnigeres zu hören, bis er mit seiner Kunst gleichsam jeden einzeln umsponnen hatte und nun das Ganze hob und schob, wie er eben wollte. diese Kraft, ein Publicum sich zu unterjochen, es zu heben, tragen und fallen zu lassen, mag wohl bei keinem Künstler, Paganini ausgenommen, in so hohem Grade anzutreffen sein. Ein Wiener Schriftsteller* hat Liszt in einem Gedicht besungen, das aus nichts als aus den einzelnen Buchstaben des Namens angehängten Beiwörtern besteht, das Gedicht, geschmacklos an sich, hat aber sein Richtiges; wie aus einem Wörterbuche, in dem wir blättern, rauschen uns wie dort die Buchstaben und Begriffe, so hier die Töne und Empfindungen dazu entgegen. In Secundenfrist wechselt Zartes, Kühnes, Duftiges, Tolles: das Instrument glüht und sprüht unter seinem Meister. Ueber alles dieses ist schon hundert Male gesprochen worden, und die Wiener namentlich haben dem Adler auf alle mögliche Weise beizukommen versucht, durch Nachfliegen, mit Stricken und Heugabeln und Gedichten. Aber man muß das hören und auch sehen, Lifzt dürfte durchaus nicht hinter den Coulissen spielen; ein großes Stück Poesie ginge dadurch verloren.

Er spielte und accompagnirte das Concert vom Anfang bis zum Schluß ganz allein. Wie Mendelssohn einmal die Idee gehabt haben soll, ein ganzes Concert zu componiren mit Ouverture, Gesangstücken und anderem Zubehör (man kann die Idee getrost veröffentlichen zur Benutzung) , so gibt auch Liszt sein Concert ziemlich immer allein. Nur Mad. Schröder-Devrient trat noch auf, weit und breit wohl die Einzige, die in solcher Nähe sich zu behaupten weiß. Es war der Erlkönig und einige kleine Lieder von Schubert, die sie im Vereine sangen und spielten.

Vom Eindrucke zu sprechen, den der außerordentliche Künstler in Dresden gemacht hat, so kenne ich den Beifallsthermometer des dortigen Publicums nicht genug, um darüber entscheiden zu können. Der Enthusiasmus wurde ein außerordentlicher genannt; freilich der Wiener schont seine Hände unter allen Deutschen wohl am wenigsten und hebt sich in Abgötterei wohl gar den geschlitzten Handschuh auf, mit dem er Liszt zugeklatscht. In Norddeutschlaud, wie gesagt, ist das anders.

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       * J. F. Castelli (Wiener allgem. mus. Anzeiger 1839, 2. 252).


{236} Dienstag früh reiste Liszt nach Leipzig. Von seinem Auftreten daselbst das nächste Mal. {{Right|R. S.

II.

Vermöcht' ich es, Entfernten und Fremden und darunter wohl Manchen, die nie Hoffnung haben, diesen Künstler in Wirklichkeit zu sehen und nun nach jedem Worte suchen, das über ihn gesprochen wird — vermöcht' ich es, ihnen ein Bild des hervorragenden Mannes zu geben! Aber es hat seine Schwierigkeiten. Am leichtesten ließe sich noch über seine äußere Erscheinung sprechen. man hat sie bereits vielfach zu schildern gesucht, der Kopf des Künstlers Schillerisch, auch Napoleonisch genannt, und wie alle außerordentlichen Menschen einen Zug gemein zu haben scheinen, namentlich den der Energie und Willensstärke um Aug' und Mund, so treffen auch jene Vergleiche zum Theil. Namentlich gleicht er Napoleon, wie wir diesen als jungen General oft abgebildet sehen — bleich, hager, bedeutend im Profil, den Ausdruck der Gestalt mehr nach dem Scheitel hinausgedrängt. Auffallend ist auch die Aehnlichkeit Liszts mit dem verstorbenen Ludwig Schunke, die sich auch tiefer auf ihre Kunst erstreckt, so daß ich oft bei Liszts Spiel schon früher Gehörtes wieder zu hören glaubte. Am schwierigsten aber läßt sich über diese Kunst selbst sprechen. Es ist nicht mehr Clavierspiel dieser oder jener Art, sondern Aussprache eines kühnen Charakters überhaupt, dem zu herrschen, zu siegen das Geschick einmal statt gefährlichen Werkzeugs das friedliche der Kunst zugetheilt. Wie viele und bedeutende Künstler in den letzten Jahren an uns vorübergegangen sind, wie viele wir selbst besitzen, die Liszt in mancher Weise gleichstehen, an Energie und Kühnheit müssen sie ihm alle sammt und sonders weichen. Namentlich Thalberg hat man gern mit ihm in die Schranken stellen, beide mit einander vergleichen wollen. In der That braucht man nur beider Köpfe zu betrachten, um den Schluß zu ziehen. Ich erinnere mich des Ausspruchs eines bekannten Wiener Zeichners, der den Kopf seines Landsmanns nicht uneben mit dem „einer schönen Comteß mit einer Männernase“ verglich, während er von Liszts Kopfe sagte, daß er jedem Maler zu einem griechischen Gott sitzen könne. Ein ähnlicher Unterschied gilt etwa von ihrer Kunst. Näher an Liszt steht schon Chopin als Spieler, der ihm wenigstens an seenhafter Zartheit und Grazie nichts nachgibt; am nächsten wohl

{237} Paganini und als Weib die Malibran, von denen beiden Liszt auch das Meiste genützt zu haben bekennt.

Liszt mag jetzt gegen 30 Jahr alt sein. Wie er schon als Kind ein Wunder genannt, wie er frühzeitig in die Fremde verschlagen wurde, wie später sein Name glänzend hier und dort neben den berühmtesten auftauchte, oft auch wieder auf längere Zeit verscholl, bis dann Paganini erschien, der den Jüngling zu neuem Streben aufstachelte, wie er plotzlich vor zwei Jahren in Wien auftrat und die Kaiserstadt enthusiasmirte — dies und anderes ist bekannt. Seit ihrem Bestehen hat die Zeitschrift dem Künstler zu folgen gesucht, hat nichts verheimlicht, was für und wider ihn laut wurde, obwohl sich bei Weitem die meisten Stimmen und namentlich aller großen Künstler zum Lobe seines eminenten Talentes vereinigten. So kam er denn vor Kurzem zu uns, mit den höchsten Ehren, die nur einem Künstler widerfahren können, bereits geschmückt und feststehend im Ruhme, von jenen ihm neue zu bereiten, diesen erhöhen zu wollen, war schwer, leichter war es, daran rütteln zu wollen, wie es ja zu allen Zeiten Pedanten und Schelme gegeben. Auch das Letztere wurde hier versucht. Nicht durch Liszts Schuld war das Publicum durch die Vorausverkündigungen unruhig, durch Fehler im Concertarrangement verstimmt worden. Ein als Pasqnillant bekannter Mann* machte sich das zu Nutze, anonym gegen den Künstler aufzuhetzen, und „wie Liszt nur zu uns gekommen wäre, seine unersättliche Habgier zu befriedigen“. Gedenken wir der Unwürdigkeit nicht weiter.48

Das erste Concert am 17ten [März] bot einen sonderbaren Anblick. In krauser Fülle stand die Menge durcheinander. Der Saal schien ein ganz anderer. Das Orchester war zu Plätzen für die Zuhörer benutzt. Dazwischen nun Liszt.

Er fing mit dem Scherzo und dem Finale der Pastoralsymphonie von Beethoven an. Die Wahl war launisch genug und nicht glücklich aus vielen Gründen. Im Zimmer, unter vier Augen, mag die sonst höchst sorgsame Uebertragung das Orchester vergessen lassen; im größern Saal aber, an derselben Stelle, wo wir die Symphonie so oft und vollendet schon vom Orchester gehört, trat die Schwäche des Instrumentes um so fühlbarer hervor, und um so mehr, je mehr die Uebertragung auch die Massen in ihrer Stärke wiederzugeben versucht; ein einfacheres Arrangement, ein Andeuten hätte hier vielleicht sogar

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           * Fr. Wieck.


{238} mehr gewirkt. Dennoch, versteht es sich, hatte man den Meister auf dem Instrumente herausgehört; man war zufrieden; man hatte ihn wenigstens die Mähnen schütteln gesehen. Im Bild zu bleiben, so zeigte sich bald der Löwe gewaltiger. Dies in einer Phantasie über Themas von Pacini, die er in außerordentlicher Weise spielte. Aber alle die erstaunliche verwegene Bravour, die er hier zeigte, möchte ich noch opfern für die zauberhafte Zartheit, wie sie sich in der folgenden Etüde aussprach. Chopin ausgenommen, wüßte ich, wie gesagt, Niemanden, der ihm hierin gleichkäme. Er schloß mit dem bekannten chromatischen Galopp und spielte, als der Beifall nicht enden wollte, noch seinen bekannten Bravourwalzer.

Erschöpfung und Unwohlsein hielten den Künstler ab, das Tages darauf versprochene Concert zu geben. Einstweilen war ihm ein musikalisches Fest bereitet worden, das Liszt selbst, wie allen Anwesenden, wohl ein unvergeßliches bleiben wird. Der Festgeber* hatte lauter dem Gaste noch unbekannte Compositionen zur Aufführung gewählt: die Symphonie von Franz Schubert, den Psalm „wie der Hirsch schreit“, die Ouverture „Meeresstille und glückliche Fahrt“, drei Chöre aus Paulus, und zum Schluß das D moll-Concert für drei Claviere von Sebastian Bach. Letzteres spielten Liszt, Mendelssohn und Hiller. Es schien alles wie aus dem Augenblicke hervorgewachsen, nichts vorbereitet, drei glückliche Musikstunden waren’s, wie sie sonst Jahre nicht bringen. Zum Schluß spielte auch Liszt noch allein, und wundervoll genug. In freudigster Erregung trennte sich die Versammlung, und der Glanz und die Heiterkeit, die sich in Aller Augen spiegelte, möge dem Geber ein Dank sein für die Huldigung, die er dem berühmten Kunsttalente eines Anderen an jenem Abende darbrachte.

Die genialste Leistung Liszts aber stand uns noch bevor: Webers Concertstück, mit dem er in seinem zweiten Concert** anfing. Wie denn an diesem Abend Virtuose wie Publicum in besonders frischer Stimmung schienen, so überstieg der Enthusiasmus während des Spielens und zum Schluß auch beinahe alles hier Erlebte. Wie Liszt gleich das Stück anfaßt, mit einer Stärke und Großheit im Ausdruck, als gälte es eben einen Zug auf den Kampfplatz, so führt er es von Minute zu Minute steigend fort bis zu jener Stelle, wo er sich wie an die Spitze des Orchesters stellt und es jubelnd selbst anführt.

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           * F. Mendelssohn.  [Sch. 1852.]
          ** den 24. März.


[239]

Schien er an dieser Stelle doch jener Feldherr selbst, dem wir ihn an äußerer Gestalt verglichen, und der Beifall darauf an Kraft nicht unähnlich einem ,,Vive l’empereur“. Der Künstler gab noch eine Phantasie über Themas aus den Hugenotten, das Ave Maria, Ständchen und, auf Verlangen des Publicums, noch den Erlkönig von Schubert. Das Concertstück aber war und blieb die Krone seiner Leistungen.

Von wem der Gedanke des Blumengeschenkes ausgegangen, das ihm nach dem Schluß des Concertes durch die Hand einer beliebten Sängerin* überreicht worden war, weiß ich nicht; unverdient war der Kranz gewiß nicht. Wie viel enges und hämisches Wesen gehört dazu, solche freundliche Aufmerksamkeit bekritteln zu wollen, wie es in einer Bemerkung eines hiesigen Blattes geschehen ist. An die Freuden, die euch der Künstler bereitet, hat er sein Leben gesetzt; von den Mühen, die ihm seine Kunst gekostet, erfahrt ihr nichts; er gibt euch das Beste, was er hat, die Blüthe seines Lebens, das Vollendete; und wir wollten ihm dann nicht einen einfachen Blumenkranz gönnen? Liszt blieb auch nichts schuldig. In sichtlicher Freude über den feurigen Empfang, der ihm im zweiten Concerte geworden war, zeigte er sich schnell bereit, noch ein drittes zu geben für irgend eine milde Stiftung, deren Wahl er der Bestimmung Einsichtiger überließ. So spielte er am vergangenen Montag** noch einmal zum Besten des Pensionsfonds für kranke und alte Musiker, nachdem er den Tag vorher ebenfalls für die Armen ein Concert in Dresden gegeben hatte. Der Saal war gedrängt voll; der Zweck, dem es galt, die Wahl der Stücke, das Mitwirken unserer ausgezeichnetsten Sängerinnen,*** und vor Allem Liszts selbst, hatten die Theilnahme an dem Concert erhöht. Noch erschöpft von der Reise, von dem vielen Concertspielen in den vorigen Tagen, kam Liszt des Morgens an und ging bald darauf in die Probe, so daß ihm bis zur Concertstunde nur wenig Zeit übrig blieb. Ruhe gönnte er sich gar keine. Ich darf dies nicht unerwähnt lassen; ein Mensch ist kein Gott, und die sichtliche Anstrengung, mit der Liszt des Abends spielte, war nur die natürliche Folge so vieler vorangegangenen. In freundlicher Gesinnung hatte er sich zu seinem Concerte von Compositionen dreier hier anwesender Componisten gewählt, von Mendelssohn, Hiller und von mir: von Mendelssohn

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      * Frl. Louise Schlegel. 
    ** den 30. März. 
   *** Frau Brünau-Grabau, Frl. Schlegel und Frl. Sophie Schloß.

{240} dessen neustes Concert [D moll], von Hiller Etuden, von mir mehrere* Nummern aus einem älteren Werke, Carnaval geheißen. Zum Erstaunen mancher schüchternen Virtuosen mög' es hier stehen: Liszt spielte fast sämmtliche Compositionen vom Blatt, Die Etuden und den Carnaval hatte er flüchtig wohl schon früher gekannt, Mendelssohns Composition aber erst wenige Tage vor dem Concerte kennen gelernt; vielfach angesprochen, hatte er aber zum eigentlichen Studiren in so kurzer Frist unmöglich Zeit finden können. Meinem leisen Zweifel, ob überhaupt so rhapsodisches Carnavalleben auf eine Menge Eindruck machen könne, begegnete er durch seine feste Meinung, er hoffe es. Dennoch glaub' ich, hat er sich getäuscht. Nur einige Worte über die Composition, die ihre Entstehung einem Zufall verdankt. Der Name eines Städtchens,** wo mir eine musikalische Bekanntschaft lebte, enthielt lauter Buchstaben der Tonleiter, die gerade auch welche meines Namens waren; so entstand eine jener Spielereien, wie sie seit Bachs Vorgang nichts Neues mehr sind. Em Stück ward nach dem andern fertig und dies gerade zur Carnavalszeit 1835, überdies in ernster Stimmung und eigenen Verhältnissen. Den Stücken gab ich später Ueberschriften und nannte die Sammlung Carnaval. Mag manches darin den und jenen reizen, so wechseln doch auch die musikalischen Stimmungen zu rasch, als daß ein ganzes Publicum folgen könnte, das nicht alle Minuten aufgescheucht sein will. Dies hatte mein liebenswürdiger Freund, wie gesagt, nicht berücksichtigt, und mit so großem Antheil, so genialisch er spielte, der Einzelne war vielleicht damit zu treffen, die ganze Masse aber nicht zu heben.49 Anders war es schon mit den Etuden von Hiller, die in eine bekanntere Form einschlagen; eine in Des dur und eine in E moll, beide sehr zart und charakteristisch, erwarben sich warme Theilnahme, Das Concert von Mendelssohn war bereits durch den Componisten selbst bekannt in seiner ruhigen Meisterklarheit. Liszt spielte, wie gesagt, die Stücke beinahe vom Blatt. Es thut ihm dies Niemand so leicht nach. Im vollen Glanze seiner Virtuosität zeigte er sich noch im Schlußstück, dem Hexameron, einem Variationencyklus von Thalberg, Pixis, Herz, [Czerny, Chopin] und Liszt selbst. Man muß es bewundern, wo Liszt noch die Kraft hernahm, das Hexameron zur Hälfte zu wiederholen, und dann noch den Galopp zur Freude des Publicums. So

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          * zehn
         ** Asch in Böhmen.

{241} gern hätte ich gewünscht, daß er auch von Chopins Compositionen, die er unvergleichlich und mit größter Liebe spielt, öffentlich vorgetragen hätte. Auf seinem Zimmer gibt er freundlich alles, was man von Musik von ihm zu hören wünscht. Wie oft Hab' ich ihm da mit Vewunderung zugehört!50

Dienstag Abend verließ er uns. {{Right|R. S.

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„Die Zerstörung Jerusalems“

Oratorium von Ferdinand Hiller.*

Erste Aufführung in Leipzig [den 2. April].

Das Urtheil über ein so großartiges, complicirtes Werk nach einmaligem Hören kann nur ein andeutendes sein. Die Aufführung fand zum Besten der hiesigen Armen gestern Abend unter der persönlichen Leitung des Componisten statt. Chor und Orchester waren reich besetzt. Von den frühern Leistungen Ferdinand Hillers hat die Zeitschrift in immerwährender großer Theilnahme an seinem bedeutenden Streben von jeher getreulich berichtet. Nachdem wir mehrere Jahre, die der Componist in Italien verlebte, nichts von ihm vernommen, tritt er in würdigster Weise mit einem Werke auf, das des Ausgezeichneten und Eigenthümlichen so viel enthält, daß wir mit Freuden dessen baldigster Veröffentlichung entgegensehen. Am meisten daran erfreut uns das kräftige Colorit, der Ernst und die Festigkeit des Stils, im Einzelnen das Reizvolle, Malerische und Phantastische. italiän, das uns unsere Jünger sonst immer mit verkehrten Ansichten zurückgeschickt, hat in seine Musik nur mehr Anmuth und Weichheit gebracht, ihm nichts von seiner deutschen Kraft genommen, man kann es nicht genug rühmen. Der Text (von Dr. Steinheim) ist ziemlich einfach, die Handlung eine gekannte.** Von Personen treten auf: Zedekia, König in Juda,

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           * Vgl. den späteren Artikel aus dem Jahre 1841.  [Sch. 1852.] 
          ** Das Oratorium war ursprünglich Jeremia benannt. Der Dichter des Textes erklärte später (1842, XVI, 84), die Autorschaft ablehnen zu müssen, da der Componist nur einige Strophen desselben zu der „Zerstörung Jerusalems“ benutzt und selbst diese mit Willkürlichkeit durcheinander gewürfelt habe,

{242} Chamital, dessen Mutter, Jeremias, Achicam und dessen Schwester, und einige untergeordnete. Die Zeichnung der Charaktere ist scharf, namentlich der der Chamital. Den Jeremias wünschten wir vom Dichter energischer gehalten; die Musik mußte natürlich zunächst dem Texte folgen. Vorzüglichstes und in musikalischem Betracht das Tüchtigste und Kunstvollste enthalten die Chöre, die sämmtlich mit großem Antheil gehört wurden; unter diesen ragen namentlich hervor: „Eine Seele tief gebeuget“, die beiden der Diener Zedekias, der Schlußchor des ersten Theiles, der der Israeliten „du Gott der Langmuth“ und „wir ziehn gebeugt“. Vom „Paulus“ unterscheidet sich dies Oratorium wesentlich; es neigt sich mehr nach der Zukunft hin. Wir werden später bei Veröffentlichung des Werkes darauf zurückkommen. Die Aufführung unter des Componisten ruhiger und sicherer Leitung war eine ganz ausgezeichnete. {{Right|12.

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Musikleben in Leipzig während des Winters 1839—1840.

Man wird es zugeben müssen, in diesem von der Natur so stiefmütterlich behandelten Leipzig blüht die deutsche Musik, daß es sich, ohne für unbescheiden zu gelten, neben den reichsten und größten Frucht- und Blüthengärten anderer Städte sehen lassen darf. Welche Menge ausgezeichneter Kunstwerke wurde uns auch im vergangenen Winter wieder vorgeführt, wie viele bedeutende Künstler erfreuten uns mit ihrer Kunst! Und wenn sich diese Anerkennung regsten Musiklebens namentlich aus die hiesigen Concertinstitute bezieht, so geschieht doch im Verhältniß zu andern Städten auch in andern Richtungen Erfreuliches. Das Theater versorgt uns, wie eine gute Modehandlung, wenigstens immer mit dem Neusten aus Paris und zählt unter seinen Mitgliedern einige sehr schätzenswerthe. Auch die Kirche feiert nicht, wenn freilich mit den vorhandenen Mitteln auch noch ganz Anderes erreicht werden könnte. Auf glänzendster Stufe aber, wie gesagt, steht die Concertmusik. Es ist bekannt, wie in den jetzt bald ein halbes Jahrhundert alten Gewandhausconcerten vor Allem der deutschen Musik ein gediegener Heerd gegründet ist, und wie von diesem Institute in der That mehr als je geleistet wird. Einen berühmten Meister an der Spitze, hat sich in den letzten Jahren das Orchester in seiner


{243} Virtuosität noch immer vervollkommnet. Im Vortrage der Symphonieen namentlich findet es unter den deutschen wohl kaum seines Gleichen, wie sich in ihm auch auf den einzelnen Instrumenten tüchtige Meister befinden. Auch waren in diesem Winter von der Direction Gesangtalente gewonnen worden, die uns den Verlust der in den vergangenen engagirten ausgezeichneten englischen Sängerinnen kaum fühlbar machten. So war man immer auf Abwechselung bedacht, was die gewählten Compositionen wie die auftretenden fremden und einheimischen Künstler betrifft. Von den ersteren, als dem Bleibenden, zuerst zu sprechen, so stellte sich, wie früher so auch heuer, in der Wahl der zur Aufführung gebrachten Werke der Geschmack für die ältere classische Schule auf das Entschiedenste heraus. Beethovens Namen finden wir am häufigsten auf den Concertzetteln, ihm zunächst Mozart und Haydn. Mit Vorliebe waren Weber, Cherubini und Spohr bedacht. Bach, Händel und Gluck kamen jeder einmal vor, wie öfter die bei Sängern unvermeidlichen Extreme Rossini, Bellini und Donizetti. Außerdem wurden uns ziemlich von allen bedeutenderen deutschen Meistern der Gegenwart Compositionen vorgeführt, wie von Marschner, Schneider, Onslow, Kalliwoda u. a. Gänzlich vermissen wir Lachner und Loewe, was der Zufall gemacht. Endlich kam auch von Compositionen noch unbekannter Künstler einiges zu Gehör, und diese, wie die diesen Winter hier in Leipzig zum erstenmal aufgeführten Werke, haben wir hier vorzugsweise zu besprechen, — wie es aber nach einmaligem Anhören und bei dem vielen Material nicht anders gefordert werden darf, nur andeutend und in Kürze.

Zuerst der obersten Gattung der Instrumentalmusik, der Symphonie, zu erwähnen, so waren es drei, die wir zum erstenmal gehört: von Lindblad. Kittl und Kalliwoda, von denen sich die erste den wenigsten, die letzte den meisten Beifall erwarb. Der Componist der ersteren, auch schon gedruckten Symphonie [C dur] ist ein Schwede und bereits als Liedercomponist in diesen Blättern mit Auszeichnung genannt. Sein Werk hätte ich vor dem Hören schon kennen mögen; es steckt viel Arbeit, Plan und Gedanke darin, und es hat alle jene bescheidenen Vorzüge, von denen das Publicum nichts wissen will. Die Theilnahme der Kenner hat sich der Ausländer mit seiner Symphonie gewiß gewonnen; sich die des Publicums zu erwerben, gewähre er ihm hier und da, ohne sich von seiner Kunst zu vergeben, was bei glücklicher Einsicht gar wohl zu vereinigen steht. Lebhafteres, sanguinischeres Temperament zeigt die Jagdsymphonie des Hrn. Kittl, eines

{244} noch jungen Prager Tonsetzers; sie hatte so zu sagen einen succès populaire, der sich mit jedem der Sätze steigerte, die sich in sich selbst auch steigerten. Der erste Satz ist „Ausruf und Beginn der Jagd“ überschrieben; das Andante bildet ein Satz „Jagdruhe“, das Scherzo einer „Gelage“ genannt, dem sich dann der „Beschluß der Jagd“ anschließt. Wie es der Vorwurf mit sich brachte, so hatte die Musik einen durchaus fröhlichen Anstrich und die Hörner erschallten oft waidmännisch genug. Den Componisten uns werther zu machen, verrieth sie aber auch schon eine Stileigenthümlichkeit, wie sie Symphonieenschreiber jungen Alters nur ausnahmsweise besitzen, so daß wir mit Freude auf seine späteren Symphonieen aufsehen, wie wir dann dem muntern Jäger einmal in anderer Gefühlssphäre zu begegnen hoffen, wenn es anders seiner Natur nicht zuwider läuft. Die Symphonie wird übrigens dieser Tage im Druck erscheinen,

Ueber die Symphonie von Kalliwoda, seine fünfte [H moll], berichteten wir schon in einer kleinen Notiz, wie sie uns innig wohlgefallen habe; sie ist eine ganz besondere und, was die vom Anfang bis zum Schluß sich gleichbleibende Zärte und Lieblichkeit anlangt, wohl einzig in der Symphonieenwelt. Hätte der Componist etwa eine Musik zur „Undine“ geben wollen, so wären jene Eigenschaften aus das Leichteste zu deuten, da er’s aber nicht gewollt, so ist seine Symphonie nur um so höher zu schätzen. Wie schön hat uns der Componist mit diesem Werke getäuscht! Glaubten wir ihn, der in einem entlegenen kleinen Orte wohnt, wohl gar gegen sein Talent gleichgültiger geworden und der Ruhe genießend, während die Symphonie namentlich in Hinsicht der Instrumentation den immer fortgeschrittenen Meister bekundet und nur, wie gesagt, in eine jener seltenen Geistesregionen führt, der die oben genannte Fee entsprungen ist! Dazu schließen sich die vier Sätze so zart in einander, daß sie wie an einem Tage geschaffen scheinen; wie die Symphonie auch kunstreicherer, seiner gewirkter Züge voll ist, wie sie die Meisterhand oft erst dem Ohre zu verbergen weiß, bis dieses dann durch das Auge daraus aufmerksam gemacht wird. So begrüßen wir denn in Kalliwoda einen noch immer grünen lebensfrischen Stamm im deutschen Musiker-Dichterwald und hoffen ihn bald wieder auf diesem Felde zu treffen, wo er sich schon fünfmal mit Ehren behauptet hat. Wie er auch ein bescheidener Meister ist, möge für seinen künftigen Biographen noch bemerkt sein durch folgenden Zug, den ich nicht verbürgen will, obwohl er ihm ganz ähnlich sieht. Es kam ihm nämlich erst vor einigen Jahren noch in den

{245} Sinn, daß er wohl noch nicht genug wisse und könne, weshalb er sich dann an einen Tonsetzer in Prag* wandte, bei ihm Unterricht zu nehmen im doppelten Contrapunct, in der Fuge etc. Hofft man vielleicht, der Prager Kunstbruder habe ihm darauf geantwortet: „lehre mich erst solche Symphonieen wie die deinigen machen, alsdann nimm fürlieb mit dem, was ich habe“ — so irrt man. Der Bruder in Apoll, wie Beethoven oft seine Freunde unter den Capellmeistern nannte, wollte sich gern darauf einlassen, verlangte aber ein so enormes Honorar, daß der treffliche Kapellmeister, der übrigens schon kleine aufzieht, mit großem Rechte gar nicht darauf einging und lieber wie früher fortcomponirte. Die Geschichte ist artig und mag, wie gesagt, von dem zukünftigen Lebensbeschreiber nicht übersehen werden.

Dies waren denn die drei neuen Symphonieen; eine gleiche Anzahl hörten wir auch von Ouverturen: zur Oper „der Zigeunerin Warnung“ von J. Benedict, zur „Genueserin“ von Lindpaintner, und eine von Julius Rietz in Düsseldorf. Die beiden ersten sind bereits gedruckt, im Uebrigen keine Kunstwerke ersten Ranges sondern eben Theaterouverturen, wie es deren zu Dutzenden gibt, und auf den Beifall hin geschrieben. Sehr bedeutend schien mir dagegen die dritte, eine durch und durch deutsche, kunstreiche, im Detail noch etwas überladene Arbeit, die nach einmaligem Anhören kaum ganz zu ergründen war; dem Charakter nach eine Orchesternovelle, mit der man eben gut ein Shakespearesches Lust- oder Schauspiel eröffnen könnte. Der Titel („Concertouverture“) besagte nicht, ob sie zu einem besonderen Sujet gedacht sei, wie gesagt, wir hätten Verdacht auf Shakespeare. Möchte sie doch bald veröffentlicht werden; sie verdient ebenso gut, wie ihre zwei erst genannten Namensschwestern, ja im Verhältniß zu diesen auf Velin gedruckt zu werden.**

Daß wir an einem der Gewandhausconcertabende auch sämmtliche Ouverturen, die Beethoven zu seinem Fidelio geschrieben, zu hören bekamen, ist schon früher angezeigt worden, zugleich mit freudiger Anerkennung dieser großen Leistung seitens des Orchesters.51 Den Leser über diese vier Ouverturen und ihr Verhältniß zu einander aufzuklären, mag hier Folgendes bemerkt sein: Die an jenem Abende als Nr. 1 aufgeführte ist bereits bei Haslinger in Wien in Partitur erschienen mit dem Beisatz auf dem Titel „aus dem Nachlaß“; sie geht aus C dur

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         * Tomaschek. [Sch. 1852.]
        ** Es ist die seitdem gedruckte in A dur  [Sch. 1852.]

{246} und ist wohl die erste überhaupt, die Beethoven zu seiner Oper schrieb, und die bei ihrer ersten Aufführung wenig gefallen haben soll. Die als Nr. 2 gespielte befindet sich noch im Manuskript im Besitze der HH. Breitkopf und Härtel, geht ebenfalls aus C und ist offenbar das Original, nach welchem Beethoven später die bekannte große, bei Breitkopf und Härtel in Partitur erschienene arbeitete, die vierte endlich ist jene leichtere in E dur, die man gewöhnlich in den Theatern hört. Möchten sich doch die verschiedenen Verleger vereinigen zu einer Ausgabe sämmtlicher vier Onvertüren in einem Band; für Meister und Schüler wäre solch ein Werk ein denkwürdiges Zeugniß einestheils des Fleißes und der Gewissenhaftigkeit, anderntheils der wie im Spiel schaffenden und zerstörenden Erfindungskraft dieses Beethoven, in den die Natur nun einmal verschwenderisch niedergelegt, wozu sie sonst tausend Gefäße braucht. Dem großen Haufen freilich gilt es gleich, ob Beethoven zu einer Oper vier Ouverturen schrieb, und ob z. B, Rossini zu vier Opern eine Ouverture. Der Künstler aber soll alle Spuren verfolgen, die zur geheimern Arbeitswerkstatt des Meisters führen, und daß es ihm erleichtert werde, der nicht gleich ein ihm alle vier Ouverturen spielendes Orchester findet, möge man an eine Gesammtausgabe jener Ouverturen denken, welchen Wunsch wir nicht vergebens ausgesprochen haben möchten*

Daß außer älteren und neueren Symphonieen und Ouverturen in den Abonnementconcerten auch größere Ensembles aus Opern, geistliche Chöre und Aehnliches aufgeführt werden, weiß man aus früheren Berichten. Auch hier erhielten wir interessantes Neues. Zuerst von der Composition des Hrn. Capellmeisters Chélard die Ouverture, den zweiten Act und das Finale seiner Oper „die Hermannsschlacht“. Ohne Anstrengung konnte hier ein Unwissender errathen, daß die Musik keine für den Concertsaal geschriebene, und daß ihr Effect von der Bühne herab berechnet war. Die Instrumente und Stimmen erstickten sich fast in diesen engeren Räumen und der zarte Concertsaal schien etwa wie ein altes Silbermannsches Clavier unter den Händen eines Liszt. Wie gesagt, im Theater wird die Oper wirken wie sie soll, und hat es auch, wie frühere Berichte aus München, wo die Oper ganz gegeben wurde, bereits gemeldet haben. Der Bildungsgang des Componisten mag übrigens ein interessanter sein; er ist ein umgekehrter Meyerbeer, ein auf deutschen Boden umgesetzter französischer Musiker,

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           * Ist seitdem geschehen.  [Sch. 1852.]

{247} mit unverkennbarem Streben nach tieferer Charakteristik, bei entschiedenem Talente besonders zur Instrumentirung, wie jene Bruchstücke deutlich darthaten. Namentlich enthielt die Ouverture viel Eigenthümliches und Schönes. Der Componist dirigirte selbst und wurde vom Publicum mit öfterem Beifall begrüßt. Durch seine Berufung an Hummels Stelle unserer Gegend näher gekommen, wird uns hoffentlich der liebenswürdige Künstler bald Gelegenheit zu vielseitigerer Bekanntschaft mit seinen Werken geben.

Eine andere Neuigkeit war ein Gebet „Verleih uns Frieden gnädiglich“ nach Worten von Luther von Mendelssohn, das am Vorabende des Reformationsfestes hier zum erstenmal gehört wurde; eine einzig schöne Composition, von deren Wirkung man sich nach dem blosen Anblick der Partitur wohl kaum Vorstellung machen kann. Der Componist schrieb sie während seines Aufenthaltes in Rom, dem wir auch einige andere seiner Kirchencompositionen verdanken. Wie wünschte ich doch, unser Gottschalk Wedel hätte das „Gebet“ gehört! sein Aufsatz über „Umgestaltung der Kirchenmusik““ wäre ein anderer geworden. Das kleine Stück verdient eine Weltberühmtheit und wird sie in der Zukunft erlangen; Madonnen von Raphael und Murillo können nicht lange verborgen bleiben.

Noch gab uns derselbe Meister am Neujahrstage einen neuen, eben vollendeten größeren Psalm nach den Worten des 114ten „Da Israel aus Egypten zog“ zu hören. Wer viel und rasch nacheinander in derselben Gattung schreibt, setzt sich um so eher Vergleichungen aus. So war es auch hier.Der ältere köstliche Psalm von Mendelssohn „Wie der Hirsch schreit“ lebte noch bei Allen in frischem Andenken. Es entstand Meinungsverschiedenheit, welche Arbeit wohl die bedeutendere sei, und die größere Anzahl der Stimmen schien sich der älteren zuzuwenden. Wir führen dies zugleich als einen Beweis an, wie das hiesige Publicum, trotz seiner Verehrung für den Componisten, sich ihm doch auch nicht blind hingibt. Ueber die speciellen Schönheiten des neuen Psalmes kann aber wohl Niemand im Zweifel fein, wenn ich auch nicht leugne, daß er, was Frische der Erfindung anlangt (namentlich in der letzten Hälfte), gegen den älteren zurückzustehen scheint und auch an schon von Mendelssohn Gehörtes erinnert.

Endlich brachte uns noch das letzte Concert als Neuigkeit die

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        * Der Aufsatz (1839, XI, 145) eifert gegen die Anwendung des Orchesters in der Kirche.

{248} Ouverture, Gerichtsscene und Finale aus den „Abenceragen“ von Cherubini, die ich zu hören verhindert war. Die Musik soll herrlich gewesen sein, was für die, die diesen Meister kennen, wohl kaum einer Versicherung bedarf.

Noch müssen wir dankend der einzelnen Künstler und Künstlerinnen erwähnen, die die Gewandhausconcerte mit ihren Vorträgen verschönten. Als erste Sängerin war Frl. Elise Meerti aus Antwerpen, als zweite Frl. Sophie Schloß aus Köln engagirt. Die Theilnahme des Publicums für die erstgenannte steigerte sich mit jedem Abende zusehends; sie gehört eben nicht zu jenen glänzenden Bravourtalenten, die sich schon beim ersten Auftreten ihr Publicum zu erobern wissen; ihre Vorzüge erkannte man erst allmählich, wie sie sie auch erst nach und nach in all' ihrer Liebenswürdigkeit entfaltete. Leider konnte sie in der ersten Zeit ihres Hierseins noch zu wenig Deutsch, um uns in unserer Sprache zu singen, und so war es denn meist italiänisches und Deutsch-französisches (Spontini, Meyerbeer, Dessauer). was wir zu hören bekamen. Erst in ihrem Abschiedsconcert sang sie ein deutsches Lied von Mendelssohn,* das in uns wenigstens länger fortklingt als all' das Andere, aus auch so innigem Gemüth schien es zu kommen, wie sie denn in Stimme und Vortrag etwas vorzüglich Edles und Sittsames an sich hat. Ende Januar verließ sie uns schon, wird aber, wie wir mit Vergnügen hören, nächsten Winter zurückkehren. Nach ihrem Fortgange wurde denn auch die andere Sängerin, Frl. Schloß, mehr beschäftigt, die die Nähe der Meerti wie das ihr fremde Publicum wohl auch befangen gemacht hatten. Nun aber ohne Nebenbuhlerin, übrigens im Besitz einer wahren Bravour- und Concertstimme, zeigte sie in kurzer Zeit fast unglaubliche Fortschritte. Die Intonation, früher schwankend, schien bei jedesmaligem Aufreten an Sicherheit, die Coloratur an Sauberkeit und die ganze Stimme an Kraft gewonnen zu haben, so daß das Publicum sie mit immer wärmerer Theilnahme aufnahm und die frühere Zurücksetzung vollkommen wieder gut machte. Die Sängerin, noch jung, fleißig, überdies stark und kräftig gebaut, hat eine schöne Zukunft vor sich, worin wir uns nicht zu täuschen glauben. Eine nicht minder glänzende dürfen wir einem andern Talente versprechen, dem außerordentlichsten für Virtuosität, das uns seit lange begegnet ist, einem Violinspieler Namens Christoph Hilf, der sich gleichfalls in den Abonnementconcerten zweimal hören ließ.

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          * „Es ist bestimmt in Gottes Rath“


{249} Schon andere Blätter haben berichtet, wie er, aus dem Städtchen Elster im sächsischen Voigtlande gebürtig und seiner Profession nach ein Leinweber, früher jahrelang zum Tanze in Schenken etc. vorgespielt; endlich vor ungefähr anderthalb Jahren, von unwiderstehlicher Liebe zur Musik getrieben, die Violine auf dem Rücken, sich nach Leipzig aufmachte, was ihm wohl schon seit der Kindheit als leuchtendes Ziel seiner Wanderschaft vorgeschwebt haben mochte. So kam er hier an, roh und unbehauen wie ein Marmorblock, und der Dinge wartend, die über ihn ergehen sollten. Er gerieth in die besten Hände, in die unseres Concertmeisters David, der denn bald erkannte, daß die inneren Schönheiten dieses merkwürdigen Talentes herauszufordern, es nur der Fortschaffung der groben Hülle bedürfe, und daß, um nirgends zu beschädigen, selbst hierin vorsichtig zu Werke gegangen werden mühte. Im siebenten Concerte ließ er denn seinen Schüler in die Siegesrennbahn. Der Glückliche! von der Furcht anderer angehender und eingehender Virtuosen, die spielen, als schwebe ein Damokles-Schwert über ihren Häuptern, schien er nichts zu spüren; er verließ sich auf seine gute Geige, die ihm schon bis jetzt durch die Welt geholfen und hoffentlich noch weiter helfen würde; er spielte nicht etwa die Notenrolle vor sich aufgeschlagen, sondern frei hinaus ins Publicum, wie es sich geziemt. Das süßliche Concert von Bériot war es, und der Himmel weiß, die Composition schien unter seinen markigen Händen ordentlich Saft und Kraft zu bekommen, zum großen Ergötzen aller Zuhörer. Hunderte gibt es vielleicht, die das Concert galanter und pariserischer vortragen mögen; aber diese originale Frische, diese Naivetät, diesen lebensvollen Ton im Vortrag hab' ich noch wenig gehört. Hat er Talent zur Composition, so wird er bald weit und breit von sich sprechen machen. Ich glaube, er müsse auf das eigene Erfinden fallen, da seinen Fertigkeiten die vorhandenen Compositionen kaum lange mehr genügen können. In einem späteren Concerte spielte er Variationen von David mit derselben Virtuosität, mit demselben glänzenden Beifall.

Wir waren dem großen Talente des übrigens unbemittelten Mannes diese ausführliche Besprechung schuldig. Ueber andere schon bekannte Künstler, die noch in den Abonnementconcerten auftraten, dürfen wir uns kürzer fassen.

Von auswärtigen waren es: Hr. Prume, Mad. Camilla Pleyel, Hr. Capellmeister Kalliwoda, Hr. F. A. Kummer, Violoncellist der Dresdener Capelle, die sämmtlich schon mehrfach in

{250} diesen Blättern besprochen sind. Die HH. Tretbar und Nehrlich, jener braunschweigischer, dieser preußischer Kammermusiker, zeigten sich als vorzügliche Clarinettspieler; die HH. Hausmann aus Hannover und Bernhard Schneider aus Dessau, letzterer Sohn des Capellmeisters Friedrich Sch., als wackere Violoncellisten, Hr. Hausmann auch als sehr talentvoller Componist für sein Instrument; wie der schon über 60 Jahre alte sächsische Kammermusiker G. H. Kummer als noch kräftiger Meister auf dem Fagott. Diese sämmtlichen Künstler erwarben sich warmen Beifall und die drei zuerst genannten enthusiastischen. Ein aus Weimar herübergekommener Violinspieler ennuyirte dagegen. Auch traten einige auswärtige Sängerinnen auf, Mad.Johanna Schmidt aus Halle, deren Namen die Zeitschrift schon öfters mit Lob genannt, Frl. v. Treffz aus Wien, Frl. Auguste Löwe und Frl. Caspari aus Berlin, von denen Frl. v. Treffz die meiste musikalische Begabung, Frl. Löwe die beste Stimme verrieth, wenn anders nach ein- oder zweimaligem Hören ein bestimmtes Urtheil gefällt werden kann.

Von einheimischen oder jetzt hier anwesenden Künstlern ließen sich außer Mad. Schmidt, Gattin unseres Tenoristen am Theater, in meisterhaften Vorträgen noch hören: zuerst Hr. MD. Mendelssohn Bartholdy mit seinem G moll-Concerte, Hr. erdinand Hillermit Ersterem zusammen in dem hier noch nicht gehörten Cncerte für zwei Pianoforte von Mozart und im »Hommage à Haendel« von Moscheles Hr. Concertmeiste David einmal in Variationen, dann in einem Concerte, sodann zweimal der obengenannte C. Hilf, einmal Hr. C. Eckert aus Berlin, Schüler von Mendelssohn und David, in einem mit Fleiß und Talent componirten Violinconcert, sowie die ausgezeichnetsten Mitglieder des Orchesters, die HH. Queißer (Posaune), Uhlrich (Violine), Grenser (Flöte), Haake (Flöte), Heinze (Klarinette), Grabau (Violoncello), Diethe (Hoboe) und Pfau (Horn). In mehreren Gesangsensembles wirkten auch die HH. Pögner, Anschütz und Weiske mit.

Das Concert für den Institutfonds für alte und kranke Musiker brachte, wie immer, auch in diesem Winter besonders anziehend Gewähltes, u. a. eine Symphonie von Weber, eine erst jetzt veröffentlichte frische und klare Jugendarbeit des Meisters. Bezaubernd spielte den Abend auch Mendelssohn seine Serenade und Allegro, wie mit besonderer anima auch die andern Mitwirkenden, Hr. David, Mad. Bünau, die Frls. Meerti und Schloß.


{251} Im Concert für die hiesigen Armen kam, wie schon gemeldet, F. Hillers Oratorium „die Zerstörung Jerusalems“ zur Aufführung.

Bei nochmaliger Vergleichung der in den Abonnementconcerten gehörten Orchester- und Gesangwerke stellt sich heraus, wie die Direktion zur Ausfüllung ihres Repertoires zumeist nach Aelterem und schon Gehörtem greifen mußte; sie mußte es, weil offenbarer Mangel an neuen, für das Concert passenden Compositionen, namentlich Symphonieen und Gesangstücken mit Orchester, da ist. Das Bedürfniß aber nach folchen Werken wird immer dringender. Möchten sich unsere Componisten dies nicht umsonst gesagt sein lassen. Gänzlich vermissen wir auf dem Repertoire noch Berlioz. Es sind zwar nur einige Ouverturen von ihm gedruckt; gewiß aber würde es nicht schwer fallen, auch von seinen Symphonieen zu erhalten und dazu nur der Anregung bedürfen. Fehlen aber sollte er nicht länger, der, wie er auch sein möge, durch Uebergehen in der Geschichte der Musik ebenso wenig vergessen gemacht werden wird, wie durch bloses Überschlagen ein Factum der Weltgeschichte, und zur Beurtheilung des Entwicklungsganges der neueren Musik doch immer von Bedeutung ist. Die großen Mittel, die seine Compositionen verlangen, ließen sich gerade von dem Institute der Gewandhausconcerte herbeischaffen, oder auch, wo sie ans gar zu Abenteuerliche grenzen, mit Umsicht vereinfachen, daß man sie wenigstens in der Hauptsache kennen lernte.

Möchte auch die frühere Idee, in historischen Concerten Ueberblicke über die verschiedenen Epochen zu geben, im künftigen Jahre wieder aufgenommen werden.

ϯ Das zweite bedeutende Institut für Concertmusik in unserer Stadt ist die Gesellschaft „Euterpe“, ein in seiner Entstehung, Entwicklung und jetzigen Verfassung vielleicht einzig dastehender Verein, dem wir den wohlthätigsten Einfluß auf den Musikgeschmack, namentlich der mittleren Stände, zuschreiben müssen. Er zerfällt in zwei Sectionen. Die erste besteht aus gegen 40 Mitgliedern — nur Musikern, die zur Mitwirkung an den alle 14 Tage stattfindenden Concerten sich verpflichten; die andere aus ordentlichen Mitgliedern, denen auch Nicht-Musiker beitreten dürfen, und aus Ehrenmitgliedern,* auswärtigen wie einheimischen, die die erste Section im engeren Ausschuß alljährlich wählt. Die erste Section gab im vergangenen Winter zehn Concerte im großen Saale der Buchhändlerbörse. Die Mittel der Existenz

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         * Zu ihnen gehörte Schumann seit dem 24. December 1837.

{252} sichert der Gesellschaft das reich zuströmende, wenn auch geringe Abonnement; im Uebrigen muß man anerkennen, steht die Aufopferung an Zeit und Mühe, die die Herstellung der Concerte den Mitgliedern des Vereins kostet, mit der kleinen Entschädigung in einem Verhältniß, daß wir ihrer Liebe zur Sache nicht genug Lob spenden dürfen. Eben so uneigennützig wirkten mehrere Sängerinnen mit, unter diesen namentlich die beliebte jugendliche Frl. Louise Schlegel, die Frls. Auguste und Emma Werner, wie denn vorzüglich der Dirigent des musikalischen Theils, Hr. J. J. H. Verhulst, wie die des mehr geschäftlichen, Hr. Advocat Hermsdorf und Hr. Sensal Schütz, ihren Beistand aus wahrem Kunstinteresse und mit warmer Hingebung ihrer guten Sache angedeihen lassen. So hat sich der Verein in seiner allmählichen Entfaltung zu einem Lieblingsinstitute der Stadt emporgehoben, und auch ohne manche zufällige Nebenumstände, die ihm die Theilnahme des Publicums gesichert, würde das Streben, das er musikalischerseits bekundet, das Interesse der gebildeten Kunstfreunde in Anspruch nehmen müssen. Die Aufführung der Orchesterstücke gibt der im Gewandhaussaale an Frische nichts nach; die Wahl ist die beste. In jedem Concerte kommen regelmäßig eine Symphonie und zwei Ouverturen vor, zwischendurch Solovorträge von Sängerinnen wie den obengenannten, von Mitgliedern der Gesellschaft wie von andern Musikern. Aufführung größerer Ensemblestücke, wie Herbeiziehung auswärtiger Künstler liegen außer den Zwecken des Vereins.

Die im letzten Winter aufgeführten Compositionen waren fast ohne Ausnahme deutsche. Auch hier ist Beethoven der mit Vorliebe gegebene Meister; von ihm wurden fünf Symphonieen gespielt, von Mozart und Haydn je eine, von Kalliwoda zwei (die zweite während des Aufenthalts des Componisten in Leipzig). Eine neue Symphonie brachte Hr. Oberorganist Adolph Hesse aus Breslau mit und dirigirte sie selbst; sie ist die fünfte seiner Arbeit [C moll] und ein absichtliches Losringen von seinem Meister und Vorbild (Spohr) darin unverkennbar, dessen Einfluß sich in den früheren Compositionen Hrn. Hesses namentlich in der Harmonieführung und Wechselung äußerte. Im Uebrigen gab auch diese Symphonie von der tüchtigen Bildung des Componisten Zeugniß, insbesondere was Formenabrundnug, contrapunctische Arbeit und reichklingende Instrumentirung anlangt; sie erscheint in wenigen Wochen im Druck und wir werden sie später ausführlicher besprechen.

Von Ouverturen brachte die Euterpe in meist guter Ausführung

{253} außer bekannten Meisterwerken von Mozart, Beethoven, Weber, Mendelssohn u, a., auch die unverdient weniger bekannte zu „Shakespeare“ von Kuhlau, die uns ein in vollster Blüthe der Kraft geschriebenes Werk, wenn auch eines Künstlers vom zweiten Range, zu sein scheint, eine schon früher gehörte von Verhulst (Nr. 3), und dann vier neue, nämlich von Berlioz zu „Waverley“, von Embach, einem holländischen Componisten, Woldemar Heller aus Dresden und E. Leonhard aus Leipzig, von denen die von Berlioz (bereits gedruckt) in der Zeitschrift als ein viel phantastisches, seltsam instrumentirtes Charakterstück schon früher erwähnt wurde und großes Interesse erregte. Die von Embach verrieth nichts Genialisches, sonst aber Tüchtigkeit und Routine in Anwendung gefälliger Mittel, ihr ähnlich die von W. Heller gesunde Natürlichkeit und freundlichen Sinn, während die des jungen Leipziger Componisten nach charakteristischerer Bedeutung aus Beethovenschem Wege strebte, wo nur die Grazien ausgeblleben waren, die im Triumphzuge Beethovenscher Gedankenweise doch nie ganz fehlen. Es kann nach einmaligem Hören nur von Totaleindrücken die Rede sein, wie wir sie hier einfach ausgesprochen haben.

Der Musikdireetor des Vereins gab uns in den Concerten der uterpe selbst nichts Neues, wohl aber in seinem Benefizconcert, von dem wir schon früher berichteten, daß es eine Theilnahme fand der Art, daß sich die Gesellschaft zum Besitz dieses lebendigen, umsichtigen, urtheilsgesunden jungen Künstlers nur Glück wünschen kann und ihn so lange wie möglich festzuhalten sich angelegen sein lasse.

In freundlichster Weise unterstützten, wie schon erwähnt, die drei jungen Sängerinnen, von denen noch keine das zwanzigste Jahr überschritten, mehrfach die Concerte, außerdem in mehr oder minder bedeutender Weise die HH. Uhlrich, als höchst fertiger, reiner, kräftiger und geschmackvoller Violinspieler bekannt, der auch noch immer fortschreitet, — die HH. Grabau und Winter, beide Violoncellspieler, L. Anger und Alfred Dörffel, Clavierspieler, Weissenborn, Fagottist, Gosebruch, Flötist, Inten, Violinist, Heinze jun., Clarinettist, Faulmann, Hoboebläser, und der bekannte alte Harfenspieler Prinz, dessen bescheidener, vielfach interessanter Künstlercharakter unter den Händen eines Hoffmann oder Tieck eine anziehende Novellenfigur abgeben müßte. ϯ

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         ϯ Der auf Seite 251 beginnende Bericht über die Euterpe war gestrichen.

{254} Außer den Gewandhaus- und Euterpe-Concerten hatten wir in der zweiten Hälfte des Winters noch sechs von der Direction der Gewandhausconccrte veranstaltete Abendunterhaltungen, die die Stelle der früher Matthäischen, dann Davidschen Quartette ausfüllten. Im gewissen Einverständniß mit den Wünschen des Publicums hatte man die frühern Grenzen dahin erweitert, daß in diesen Soiréen auch größere Ensemblestücke wie Solovorträge zur Ausführung kamen. Auch war zum Vortheil der Musik wie der Zuhörer der kleine Vorsaal, in dem früher die Quartette stattfanden, verlassen und in den großen Concertsaal gezogen worden. Die auf den Concertzetteln versprochenen Meistercompositionen und Vorträge hatten immer ein auserlesenes und zahlreiches Publicum herbeigelockt; man kann nicht leicht Trefflicheres in trefflicherer Ausführung hören. Die im Quartett Mitwirkenden waren die HH. Concertmeister David, Klengel, Eckert und Wittmann; die gespielten Quartette von Mozart, Haydn, Beethoven, Cherubini, Franz Schubert und Mendelssohn. Außerdem wurden noch Nonett und Doppelquartett von Spohr, Octett von Mendelssohn, Quintett von Onslow, Trios von Beethoven, Mendelssohn und Hiller, Doppelsonate und dieser Art Verwandtes von Mozart, Beethoven und Spohr gegeben. Von diesen Stücken waren neu oder hier noch nicht öffentlich gehört ein Trio von Mendelssohn für Pianoforte, Violine und Violoncello [D moll], das mit wärmstem Beifall aufgenommen wurde, ein Trio von Hiller [B dur, Werk 6], eine interessante Jugendarbeit Hillers, die früher schon in der Zeitschrift besprochen ist, und ein Rondo alla Spagnuola für Violine und Clavier von Spohr, ein sehr zartes, schwunghaftes Miniaturstück. Auch spielte Mendelssohn in seiner immerfrischen Meisterschaft die chromatische Phantasie und Fuge und die fünfstimmige in Cis moII von J. S. Bach, und Hr. Concertmeister David in ausgezeichnetster Weise, und von Mendelssohn begleitet, zwei als Compositionen unschätzbare Stücke aus den Sonaten für Violine allein von Bach, denselben, von denen früher behauptet worden ist, „es ließe sich zu ihnen keine andere Stimme denken“ — was denn Mendelssohn in schönster Art widerlegte, indem er das Original mit allerhand Stimmen umspielte, daß es eine Lust war zu hören.52

Wie wir hoffen, werden die so mit wahrem Künstlergeiste geleiteten Abendunterhaltungen auch in künftigen Jahren fortgesetzt werden. Gesang war diesmal ausgeschlossen. Von Zeit zu Zeit ein Lied würde mit Dank gehört werden.

{255} Ueberschlägt man nun die Leistungen der verschiedenen unserer Kunst gewidmeten Anstalten, die wir besitzen, rechnet man hinzu die des Theaters, die der Kirche und die vieler anderen Vereine, wie der vom Hrn. MD. Pohlenz geleiteten Singakademie, des unter Hrn. Organist Geißlers Leitung stehenden Orpheus, der Liedertafel, des Paulinergesangvereins u. a., so wird man vielleicht mit dem übereinstimmen, was wir zu Anfang dieses Aufsatzes sagten: daß in diesem kleinen Leipzig die Musik, vor Allem die gute deutsche, blühe, daß es sich ungescheut neben die reichsten Städte des Auslandes stellen darf. So wolle der musikalische Genius noch lange segnend über dieser Erdscholle wachen, die früher der Name Bachs geweiht, jetzt der eines berühmten jungen Meisters, welcher letztere, wie Alle, die ihm nahe stehen, zum Gedeihen wahrer Kunst noch viele Jahre unter uns verweilen möge! {{Right|S.

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Kürzere Stücke für Pianoforte.

  • R. v. Herzberg, Zwei Scherzos. Werk 10.

Von so kleinen Stücken verlang' ich vor Allem, daß sie möglichst reizend und pikant seien. Die erste Eigenschaft fehlt den obigen Scherzos mehr als die zweite. Sie sind augenscheinlich von einem guten Spieler, claviergemäß und bis auf ganz Weniges correct und reinlich geschrieben; doch mangelt ihnen eben der feinere Schmelz, die Seele. Im Schwalle ähnlicher Compositionen möcht' ich sie immerhin als bedeutender bezeichnen, welchen Ausspruch der junge talentvolle Componist durch größere folgende Werke noch mehr bethätige

J. Schneider, Drei Notturnos.  Werk 1.

Ein Werk 1, das wie viele andere nicht hätte gedruckt werden sollen. Der Componist, muthmaßlich auch noch jung, verlangt vom Spieler nicht Minderes als etwa Henselt, wofür er ihm aber, statt wie dieser Blumen, eine Hand voll Heu in die Hand drückt. Wollte er als Componist vorwärtsschreiten, würden wir ihm rathen, im Umfang von vielleicht vier Octaven zu componiren und die Hände nicht


{256} unnöthig über eine einzige auszuspannen. Muthet uns z. B. Chopin zu, nachdem er uns ein Stück hindurch ins Feuer gebracht, zum Schluß noch zu spielen:

#Notenbeispiel,

so thun wirs gern: nicht aber wenn es uns Hr. Schneider vorschreibt. Umsonst will sich Niemand anstrengen, und wer viel verlangt, muß viel geben. Die Notturnos haben übrigens Ueberschriften: — Abendliche Wasserfahrt, Ich denke Dein, Abendgruß an Sie — entbehren aber aller feineren Charakteristik. Einige weichliche Melodienkraft wollen wir dem Componisten nicht ganz absprechen, deren Genuß aber, wie gesagt, vom Spieler mit Aufbietung seiner ganzen Leibeskräfte theuer genug erkauft werden muß. Auf diesem Wege schreite er nicht weiter.

Ignaz Tedesco, Serenade.  Werk 8.

Auch der Componist dieses Stückes, brächt' er es uns vielleicht als Abendmusik, dürfte keiner großen Lobrede dafür gewärtig sein, und ich würde von oben herab etwa folgendermaßen danken: „die Aufmerksamkeit verdient alle Anerkennung, wer aber kein Musiker ist, sollte nicht musiciren, und wer Serenaden bringen will, muß seiner Sache gewiß sein, damit man nicht die Fenster schließe statt gewünschtermaßen öffne“, womit ich auch die meinigen schließen würde, den Serenadenmann allen guten Geistern empfehlend. Mit andern Worten: auch dieses Stück hätte ungedruckt bleiben sollen, und es ist wahrhaft schade um die verschwenderische Titelpracht, die der Verleger daran gesetzt.

Louis Lacombe, Caprice.  Werk 2.

So sehr wir Charakteristisches lieben, so sähen wir von manchen jungen Componisten bei Weitem lieber, daß sie uns vierstimmige Choräle brächten zur Recension als Tonmalereien, die obendrein nur der

{257} Titel verheißt. Die Caprice heißt nämlich wunderlichermaßen: Les Adieux à la patrie, wo man mit Billigkeit auf etwas Adagiomäßiges, Elegisches hoffen darf, statt dessen uns der junge Componist eine wildspringende Etüde in Emoll hinwirft. Unter seinen Fingern (er ist ein ausgezeichneter Spieler) mag sie eine Weile täuschen; aber (sagt Goethe), o wie traurig sieht es schwarz auf weiß sich an. Ein gewisses musikalisches Gefühl wollen wir dem Componisten zugestehen, es bedürfte aber der sorgfältigsten Pflege, jetzt schwankt es noch zwischen allen Stilen und Schulen herum und löst sich zuletzt in hohlen Schülerpathos auf. Könnte man doch, wie wir schon andeuteten, beim Bundestage bewirken, daß kein Verleger eher von jungen Componisten druckte, ehe sie einen Band ordentlicher vierstimmiger Choräle vorgelegt; wir würden dann auch bessere Capricen haben.

Walther v. Goethe, Allegro.  Werk 2.

Ein großer Name ist eine gefährliche Erbschaft, wie schon oft geäußert worden. Wir begrüßen in obengenanntem Componisten einen Enkel Goethes, der ihn als Kind noch scherzweise seinen „Musiker“ nannte, mit seinem prophetischen Geiste vielleicht vorhersehend, daß sich Walther einmal ganz der Musik widmen würde, für die er schon in frühesten Jahren Anlage zeigte. Ob nun Goethesches Blut in ihm fließt, läßt sich nach einer so kleinen Arbeit freilich nicht ermessen. Das Allegro hat Bewegung, die im Verlauf sogar etwas Tanzartiges annimmt; erfreulich daran ist besonders die natürliche Haltung, der leichte melodische Fluß. Der Componist, nicht viel über 20 Jahre zählend, hat aber bereits sich auch in größeren Werken, sogar in der Oper versucht, und wie er fleißig ist. weiß Schreiber dieser Zeilen auch, so daß wir denn, Erfreuliches erwartend, bald mehr von seinen Leistungen berichten zu können hoffen.

Alexander Fesca, Zwei Notturnos.  Werk 5.
       „               „        Drei Salonstücke. Werk 7.

Die ersten Arbeiten, die uns von diesem vielversprechenden Talente zu Gesicht kommen. Der Componist ist, wie wir hören, ein Sohn des verstorbenen liebenswürdigen Musikers Fesca und hat sich unter solcher Aufsicht vielleicht frühzeitig schon von den Vortheilen angeeignet, die sich andere, durch ihre Geburt weniger Begünstigte erst später


{258} erwerben. Die vorliegenden Compositionen, wenn auch nicht überall eigenthümliche Kraft und Kunstansicht verrathend, tragen doch alle einen frischen Lebenskeim in sich und lassen uns oft in ein wenn auch noch beherrschtes, doch reiches musikalisches Gemüth blicken. Die Stimmungen, die sie aussprechen, sind vorherrschend lyrisch; in den Salonstücken hat sie der Componist durch Ueberschriften aus Gedichten von Heinrich Schütz genauer bezeichnet. Zu den Notturnos bedurfte es keiner Worte; sie schlagen durchaus den alten bekannten Ton an, der uns von Field her noch lieb ist. In beiden Compositionsheften erinnert vieles an Henselt; die Salonstücke sind vom Componisten selbst Souvenir à Henselt genannt, wodurch er den Verdacht einer absichtlichen Täuschung von vornherein entfernt. Die Keime zum ersten findet man, bis auf den Unterschied der Tonarten, beinahe wörtlich in einem früher in unsern Beilagen gegebenen Impromptu von Henseit in C moll. Doch scheint der Componist auch andern Vorbildern nachzueifern, so Mendelssohn; auch Bennetts Compositionen scheinen ihm nicht unbekannt; ein Geschmack, den wir auch nimmer tadeln wollen. Wie dem sei und wie viel fremde Einflüsse den auch noch jungen Künstler beherrschen mögen, es bleibt dennoch genug übrig, um daraus schöne Hoffnungen für seine Zukunft zu schöpfen. Auch sind neuerdings schon umfangreichere Werke, so zuletzt ein Sextett, von ihm erschienen, und daß eine größere Oper* in Braunschweig demnächst zur Aufführung kommen soll, meldete die Zeitschrift schon früher. So machen wir denn mit Freude auf den jungen Componisten aufmerksam, der schon den Vortheil eines bekannten und geschätzten Namens mit auf die Welt gebracht, den er mit Ehren zu führen berufen scheint.

Julie von Webenau, geb. Baroni-Cavalcabò, Phantasiestücke.  Werk 25.**

Der frühere Name der verehrten Frau kam schon öfters in der Zeitschrift vor. Ihre glücklichen musikalischen Anlagen hat sie namentlich in vielen Liedern geltend gemacht, beinahe den besten, die uns neuerer Zeit die Kaiserstadt geliefert, obwohl dort andere an der Tagesordnung sind. Auch als Instrumentalcomponistin gebührt ihr ein Rang in den Vorderreihen der Componistinnen. Ein Musikstück gut anzulegen und abzurunden, versteht sie vor allen; sie schreibt eine gewählte Harmonie, elegant, oft zart; ihre Melodieen sind innig,

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      * „Die Franzosen in Spanien,“ 
     ** Schumann gewidmet.


{259} manchmal an italiänische Weiche anklingend. Man hat componirende Damen oft in Verdacht, daß sie sich anderwärts Raths erholen und die letzte Feile einer andern Hand überlassen. Der Schreiber dieser Zeilen weiß genau, wie alles, was die Componistin gibt, auch ihr alleiniges Eigenthum ist, wenn schon ihr früherer Lehrer, bekanntlich Mozarts Sohn, noch jetzt in ihrer Umgebung lebt. Das Heft, das mir vorliegt, besteht aus zwei ausgeführten größeren Sätzen, deren einer l’Adieu, der andere le Retour überschrieben ist. Die Ueberschriften scheinen später hinzugekommen und treffen den Charakter der Musik nur im Allgemeinsten. Eine Erinnerung an Beethovens bekannte ähnlich genannte Sonate ist dabei nicht im Spiel. Beide Sätze aber sind eigentümlich, charakteristisch und kaum zu vergreifen. Wir wünschen oft Gelegenheit zu haben, von den Arbeiten der musikvollen Dilettantin berichten zu können.

C. G. Lickl, Ischler Bilder. Mit Dichtungen von Sephine.  Werk 57.

Der Componist, als Lehrer und Tonsetzer in Wien bekannt und geschätzt, hat hier sechs sehr artige, anmuthige Idyllen geliefert, die, zunächst durch eine der reizendsten Gegenden Oesterreichs hervorgerufen, auch über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus auf freundliche Aufnahme rechnen dürfen. Die einzelnen Nummern sind durch Gedichte von Sephine eingeleitet und wie diese zart und sinnig, dabei einfach und ohne Ansprüche. Die Compositionen kommen aus dem Herzen und scheinen sämmtlich mit Lust in froher Stunde geschaffen. Von schlagender Originalität zeugt die Musik nicht und folgt eben den Dichtungen; aber die Idee, Gedichten selbständige Musik unterzulegen, eine Reihe zu finden und sie artig zum Ganzen zu schließen, ist eine seltenere und nachahmungswerthe. Als Clavierstücke insbesondere zeigen sie eine gründliche Bildung, die auch von Neuem benutzt, wie denn aus ihnen besondere Vertrautheit mit Franz Schubert und dessen Uebertragung durch Liszt hervorleuchtet. Lernenden mögen die Idyllen mit Nutzen und gewiß zu ihrer Freude in die Hände gegeben werden; nicht schwieriger als Czernysche und Hüntensche Sachen, haben sie ungleich mehr Gehalt und geistigen Reiz. Die letzte Nummer „Am Kalvarienberg“ ist dieselbe, die Liszt in einem seiner Wiener Concerte öffentlich gespielt, obwohl ich, sollte ich einer einzelnen der Idyllen den Vorzug geben, mich für die erste „Am Wolfgangsee“ entscheiden würde, die mir im Ganzen wie im Detail die zarteste, frischeste und gelungenste scheint.


{260}

W.H. Veit, Notturno. Werk 6. {{Right|„ „ Drei Charakterstücke. Werk 3.

Von diesem jungen Prager Tonsetzer waren bisher nur Violinquartette bekannt und geschätzt; es hat sein Gutes, wenn sich der Componist in möglichst vielen Fächern versucht, wie für ihn selbst so für das Publicum. Thut er s nicht, so verfällt er oft in stereotype Formen, in Manier, wie es noch lebende Beispiele gibt. Wir finden Hrn. Veit auch auf der Claviatur wohl bewandert und unterhaltend; er schreibt leicht, bequem, gefällig, recht nach Art der Böhmen und für das Böhmerland, wo Musik so viel gepflegt und gehört wird, wie denn seine Hauptstadt Prag in neuerer Zeit eine Menge junger talentvoller Componisten aufzuweisen hat, daß sie sich ungescheut wohl mit dem größeren Wien messen kann. In den beiden angezeigten Stücken erhält man genan, was die Titel ankündigen, ein Notturno voll natürlichen Gesanges, das sich vollkommen abschließt; eine Polonaise mit echtem Tanzschritt, durchaus freundlichen, behaglichen Charakters. Wir wüßten an beiden nichts zu ändern; der Componist leistete eben, was er wollte, was er konnte, und wer dies vermag, auch im kleinen Kreise, hat immer aus Anerkennung zu rechnen.

Eduard Franck, Capriccio.  Werk 2.

{{Right|„ „ Drei Charakterstücke. Werk 3.

Das erste Werk dieses gleichfalls noch jungen Componisten, zwei Hefte Studien, besprach die Zeitschrift schon früher und wies auf ihn als einen der fleißigsten und weitgediehensten Schüler Mendelssohns, als den er sich uns, nur in höherem Grade, auch in seinen beiden neusten Werken zeigt. Ueberall nämlich sieht man ihn auch in diesen die Richtung des Lehrers mit so viel Hingebung verfolgen, daß sich manche Sätze mit welchen aus der Jugendzeit oder richtiger Knabenzeit Mendelssohns verwechseln ließen; dabei gibt er aber auch Eigenes genug. daß sich gewiß annehmen läßt, er werde sich nach und nach immer mehr von seinem Vorbilde loslösen, so weit dies bei manchem angebornen Verwandten möglich ist. Dies angeborne Aehnliche zeigt sich im vorherrschend Verständigen und Ernsten bei einer sehr scharfen Combinationsgabe. Gewisse, nicht eben ungewöhnliche Gedanken durch

{261} die technische Behandlung, durch Feinheiten in der Harmonie etc. interessant zu machen, versteht er schon vortrefflich. Wer dies in jungen Jahren gelernt hat, wird später mit seinem Gut um so freier zu schalten wissen, und bekommt dann auch wieder das Gemüth, das in den Lehrjahren des Künstlers sich so oft zurückdrängen muß, seinen Antheil am Werke, so wird der Componist, wie er jetzt Verstand und Geist erfreut, sodann auch den übrigen Menschen zu interessiren vermögen. Möge die nächste Znkunft diese Hoffnungen verwirklichen! Mit Freude hat die Zeitschrift immer den tüchtigen unter den jüngern Künstlern nachgespäht, mußte oft lange suchen, ehe sie reden und aufmuntern durfte; mit Freude macht sie nochmals auf diesen jungen Künstler aufmerksam, der ihr so viel Grund zur Auszeichnung gibt. Vom Einzelnen seiner letzten Compositionen zu sprechen, so ist es namentlich die erste Caprice in Werk 3, der wir ein vorzügliches Lob spenden dürfen. In der Anlage an Mendelssohn erinnernd, ist sie doch eigenthümlich in ihren wechselnden Rhythmen, mit sicherer kecker Hand zum Schluß geführt, im Besonderen durch seltnere harmonische Gänge reizend; sie namentlich gibt auch vom Studium Bachs ein Zeugniß. In solch' funkelndes, geistreiches Figuren- oder Gruppenspiel, wie es sich in der Caprice hin und wieder bewegt, weiß nun freilich Mendelssohn z. B., wie auch andere Meister, oft einen zarten melodischen Gedanken zu werfen etc. Dies ist es, was der Componist, wenn es anders zu lernen ist, noch lernen möge: eine zarte Mittelfigur anbringen, eine ruhende gleichsam, um die die andern sich winden und kreisen. Mit Worten läßt sich dies so schwer aussprechen, doch wird uns der Componist sicher verstehen. Immerhin wirkt die Caprice, auch wie sie dasteht, und gespielt, wie sie soll, sogar bedeutend. Auch die zweite hat künstlerischen Werth, Einzelnes ist vortrefflich; doch verfließt der Schluß zu allgemein und im Hergebrachten. Die letzte Caprice ist ein Fugensatz, beinahe in Händelscher Art, mit einem scharf geprägten Thema, das zu manchen seinen Wendungen Anlaß gibt, ein sehr werthvolles Stück bis auf einzelne gewöhnlichere Gänge. Die größere Caprice endlich, die eine besondere Opuszahl führt, theilt die Vorzüge, die wir dem Componisten schon zusprachen, in allen Beziehungen. Matter scheint mir nur die Einleitung, die vielleicht nach Vollendung des raschen Satzes erst hinzugekommen. Im Uebrigen erinnert sie, wenn nicht im Einzelnen, doch im ganzen Zuschnitte an des Componisten Meister. Wir bedauern, daß sie nicht mit Begleitung des Orchesters geschrieben ist, was bei einiger Ausbreitung der


{262} Formen leicht zu machen war. Die Harmoniefolge Seite 8, die zwei letzten Systeme, nach A und Fis führend, ist kühn: wir haben nichts dagegen. Den Schluß wird sich mancher Spieler dankbarer und brillanter wünschen: er lag sogar näher. Was gedruckt ist, läßt sich nun nicht ändern, weshalb wir dem jungen tüchtigen Künstler unser Lob nur noch einmal summarisch aussprechen wollen.

Wir wüßten den Cyklus nicht besser zu beschließen als mit einigen Worten über einen noch wenig genannten Componisten, der uns vor Kurzem mit vier vierhändigen Scherzos überrascht, bei Weitem die ausgezeichnetsten, die in dieser Gattung neuerdings geschrieben sind. Der Titel ist ins Deutsche übersetzt:

Hermann von Lövenskiold, Vier charakteristische Impromptus

in Form von Scherzos. Werk 8.

Scheint unsre Kunst doch bald in allen Deutschland nahe gelegenen Ländern Wurzel zu fassen, jetzt auch in den nördlicheren. Der Componist ist, seinem Namen nach zu urtheilen, ein Schwede. Ein Trio, das denselben Namen auf dem Titel führte, besprachen wir früher schon; wir wissen nicht, ob es auch derselbe Componist, jedenfalls aber einer, den wir mit Achtung begrüßen müssen. Ist er Dilettant, so würden wir ihm jedenfalls, nach diesen Scherzos allein, den ersten Rang unter allen für das Clavier Componirenden anweisen; ist er Künstler, so mögen ihn seine Genossen als einen ebenbürtigen ohne Weiteres in ihre Reihen aufnehmen. Seit lange ist mir keine Composition vorgekommen, mit der ich fast durchgehends so einverstanden bin, die mich so interessirt, mir wiederholt so wohlgethan als diese. Es sind keine Wunderstücke und wollen’s nicht sein, aber diesen gebildeten Ausdruck, dieses Maß, diesen Wohllaut, diese gute Art zu componiren mit einem Worte, findet man nicht aller Orten. Hier und da möchte man auf Moscheles als den Verfasser rathen und dies namentlich manches Pikanten halber, doch haben sie noch mehr Gemüthliches. Unbefangenes. Dies heißt componiren, wenn auch im Kleinen: hier ist Vordergrund da. Perspective, Hintergrund, und das Ganze gefällig wirkend. Möchte der, wie gesagt, uns gänzlich unbekannte Künstler-Edelmann sich im Größeren üben, für Orchester schreiben; er hat die Mittel dazu; die, denen die Stücke noch unbekannt geblieben,


{263} [möchten] sie sich je eher je lieber ansehen. Obendrein fehlt es für Lehrer wie für Lernende an guten mittelschweren vierhändigen Stücken, so daß auch weniger Ausgezeichnetes auf Verbreitung rechnen dürfte, um wie viel mehr diese, von denen wir mit dem Trost, daß es hier und dort noch treffliche Musikmenschen gibt, auf das Achtungsvollste Abschied nehmen. {{Right|12.

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Alexis Lvoff.{{Schumann: Lwoff; heute: Lwow w:Alexei Fjodorowitsch Lwow

Der Componist der berühmten russischen Volkshymne wie anderer Werke, die noch der Veröffentlichung entgegensehen, Hr. Obrist Alexis Lwoff, Adjutant Sr. M. des Kaisers von Rußland, war vor einigen Tagen hier eingetroffen. Sein Wirken, wenn auch vorzugsweise dem hohen Kreise zugewendet, in dessen Nähe ihn seine Stellung gebracht, hat trotzdem einen beinahe europäischen Ruf bekommen, so daß wir nicht mißverstanden zu werden fürchten, wenn auch wir an öffentlicher Stelle ein bescheidenes Blatt in seinen Lorbeerkranz einzuflechten uns vergönnen. Der verehrungswürdige Gast gab nämlich einem kleinen Kreise Gelegenheit, seine besondere Kunst als Violinspieler kennen zu lernen. Schreiber dieser Worte zählt die Stunde zu den schönsten, die ihm je die Musik und ihre Künstler geschaffen. Hr. Lwoff ist ein so merkwürdiger, seltener Spieler, daß er den ersten Künstlern überhaupt an die Seite zu stellen ist; eine Erscheinung einmal wie aus anderer Sphäre, der Musik wie in ihrer innersten Reinheit, entströmt; Musik, so neu, so eigenthümlich, so frisch in jedem Ton, daß man festgebannt nur immer hören und hören möchte. Verliert doch leider der Künstler von Handwerk so oft im Gewühle der Welt jene unschätzbaren Güter, jene Unschuld, Unbefangenheit und Heiterkeit der Kunstkraft, muß er sie doch leider so oft den niederen Anforderungen der Masse aufopfern, bis sie endlich in den Gewohnheiten des Künstlerlebens gänzlich untergehen. Daran wird mancher auch große Künstler erinnert werden, wenn er jenen freilich durch ein günstiges Geschick auch selten gestellten Mann zu hören bekommt, und wie es doch noch etwas Anderes ist, die Meisterschaft von Fach und jene, die uns neben dem Genuß großer Kunstfertigkeit auch den eines ganzen, schönen, innen frisch gebliebenen Menschen gewährt. Und dies alles

{264} sag' ich nur nach dem Anhören zweier Quartette, eines von Mozart und eines von Mendelssohn, in denen Hr. Lwoff Vorlage:Lwow die erste Violine spielte. Der Componist war selbst gegenwärtig: er mochte, wie alles verrieth, seine Musik wohl kaum je schöner gehort haben.53 Es war ein Vollgenuß. gibt es in der russischen Kaiserstadt noch mehr solcher Dilettanten, so dürfte mancher Künstler dort wohl mehr zu lernen als zu lehren finden. Kommen diese Zeilen dem hochverehrten Manne einmal später zu Gesicht, so möchten sie ihm den Dank Vieler aussprechen, die er an jenem Abend erheitert, die seinen Namen den gefeiertsten beizählen, von denen die neuere Kunst berichtet.

          [Leipzig, den 17. Juni 1840.]

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* Franz Schubert.

Die Hrn. Diabelli u. Comp. in Wien haben wieder einige bedeutende Compositionen aus Schuberts Nachlaß veröffentlicht, auf die wir namentlich Gesangvereine etc. aufmerksam machen. Es sind:

Op. 134: „Nachthelle“ v. J. G. Seidl, für Tenorsolo und vierstimmigen {{Right|Männerchor mit Pianoforte. Op. 135: „Ständchen“ v. Grillparzer, für Altsolo und vierstimmigen {{Right|Frauenchor mit Pianoforte. Op. 136: „Miriams Siegesgesang“ v. Grillparzer, für Sopransolo und {{Right|Chor mit Begleitung des Pianoforte. Op. 139: „Gebet“ von de la Motte Fouqué für Sopran, Alt, Tenor und {{Right|Baß mit Begleitung des Pianoforte,

Die beiden ersten müssen reizend wirken; sie sind äußerst zart und charakteristisch. Das einförmige Colorit zu heben, in das der rein vierstimmige Männergesang wohl oder übel oft verfällt, hat Schubert ihm eine Solostimme eingeflochten und das Clavier zur Begleitung beigegeben. Die Idee ist glücklich, wenn dadurch freilich den Männergesangquartetten, die kein Instrument in der Nähe haben, die Ausführung unmöglich gemacht ist; denn das Clavier ist wesentlich und darf nicht fehlen. Dann aber, im Verein Aller, wird auch der Genuß ein doppelter sein. Das „Ständchen“ hat eine gleiche Form wie die „Nachthelle“, nur daß es für Frauenstimmen geschrieben ist; von schönen Stimmen vorgetragen und gut einstudirt muß es von wundervoller


{265} Wirkung sein, wenn auch ein von Frauen gebrachtes Ständchen in der Wirklichkeit schwerlich vorkommen möchte.* Auch im „Ständchen“ ist das Clavier wesentlich und trägt die Harmonie. Schuberts bekannte Manier, einen Rhythmus, eine Begleitungsfigur vom Anfang bis zum Schluß festzuhalten, trifft man auch in diesen Gesängen wieder. Daß sie schön für die Stimme geschrieben sind, darf man glauben, auch sind sie nirgends verfänglich schwer. — „Mirjams Siegesgesang“ ist eine Composition größeren Umfanges, eine Art Cantate, die wohl ursprünglich mit Begleitung des Orchesters geschrieben ist; ist das letzte der Fall, wie wir beinah überzeugt sind, so bedauern wir sie nur im Arrangement kennen lernen zu können.“ Doch verleugnet die Composition auch in der vorliegenden Gestalt ihre Wirkung nicht; der Grundton ist eigen alterthümlich, alt religiös, fast biblisch. Aus anderen Compositionen Schuberts weiß man, mit wie glücklicher Phantasie er die fremdartigsten Stoffe zu beherrschen versteht. Der Form nach alterthümlich zu schreiben, kann man lernen; aber den Geist alter Zeit wie in leibhafter Klarheit heraufzubeschwören, dazu gehört ein Dichter. Wir treffen übrigens sogar auf eine Fuge; sie ist geistreich genug. Das Ganze schließt, wie es begonnen hat, heiter und glänzend. Im „Gebet“ nun spricht sich der moderne gläubige Christ aus und hier mit ganzer Innigkeit und Kraft; dies sind unsere Palestrinagesänge, so spricht sich die neue Kunst im Gebet aus, duldend uud vertrauend, aber auch thatkräftig und zum Handeln bereit. Man wird den Gesang nicht ohne innigen Antheil hören können.

So blüht denn der Lorbeerkranz um Schuberts Stirn immer voller. Wer hätte von dem Liedercomponisten gedacht, daß er noch solchen Reichthum in sich barg, wie es jetzt immer klarer wird. Möchten sich doch auch freundliche Hände bald zur Herausgabe seiner anderen Gesangswerke, der Opern und der großen Messen verbinden. Wien hat noch im Augenblick keine größeren musikalischen Schätze im Besitz als diese. {{Right|12.

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      * Das Ständchen ist ursprünglich für Altsolo mit Männerchor componirt und erst später (auf Wunsch von Grillparzers Freundin Anna Fröhlich) für Frauenchor eingerichtet worden.
    ** Später haben F. Lachner und auch J. A. van Eyken eine Orchesterbegleitung dazu gesetzt.
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Gutenbergfest in Leipzig.

Auch unsere Kunst hat das Fest verherrlichen helfen, wie sie ja in Freud' und Leid sich wunderkräftig zeigt, den Einzelnen wie die große Masse zu heben versteht. Daß im Augenblick gerade zwei Componisten in unserer Mitte leben, von denen der eine durch glückliches Schaffen in seinem Kreise sich in ganz Deutschland bereits bekannt gemacht, der andere europäischen Ruf hat, und die für die Feier zu interessiren es nur einer Anregung bedurfte, mag als ein freundlicher Zufall betrachtet werden. Gewiß ist der musikalische Theil des Festes nicht der geringste und war auch alles in diesem Sinne angeordnet worden.

Zur Vorfeier, Dienstag Abend,* hatte Hr. Albert Lortzing eine neue komische Oper „Hans Sachs“ geschrieben, die die früheren desselben Componisten an Frische, Leichtigkeit und Lieblichkeit noch übertreffen soll. Ich selbst konnte der Vorstellung nicht beiwohnen. Die Aufführung soll aber höchst erfreulich gewesen sein und hat dem Componisten reichen Lohn gebracht. Mehrere Nummern wurden da Capo verlangt, und Beifall durch Kränzewerfen und Hervorruf blieb nicht aus. Es steht uns in den nächsten Tagen eine zweite Aufführung bevor. Zur eigentlichen Feier, der Enthüllung der arbeitenden Presse und der Gutenbergstatue, welcher früh 8 Uhr eine kirchliche, durch eine Gelegenheitscantate des Directors des Zittauer Sängervereins Hrn. Richter eingeleitet, vorangegangen war, hatte Hr. Dr. Felix Mendelssohn Bartholdy eine Cantate für zwei Männerchöre mit Begleitung von Posaunen etc. nach Worten des Hrn. M Pröltz in Freiberg, componirt, die Mittwoch früh auf offenem Markte gesungen wurde. Der erst unfreundliche Himmel hatte sich aufgeklärt; es war ein erhebender Anblick. Das eine Chor dirigirte Hr. Dr. Mendelssohn, den anderen Hr. Concertmeister David. Wie schwer Musik unter freiem Himmel wirkt, weiß Jeder. Hundert Stimmen mehr oder weniger bringen kaum eine Schattirung mehr oder weniger hervor. Die Composition, so freudig und charakteristisch an sich, hätte auf solchem Raume aus wenigstens tausend Kehlen klingen müssen. Dies sind aber kühne Wünsche, die man höchstens aussprechen, nicht fordern

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          * den 23. Juni.


{267} darf. Wo aber Musik am meisten ergriffen haben würde, im Moment nach der Enthüllung, da fehlte sie; dies hatte man sich entgehen lassen. Das Volk war in diesem Augenblick auf der Höhe der Aufregung; eine einfallende Musik, vielleicht gerade nach der Melodie „ein' feste Burg“, die später gesungen wurde, müßte hier herrlich gewirkt haben. Der übrige Tag verging unter den Festlichkeiten, über die andere öffentliche Blätter berichten werden.

Gestern Nachmittag* fand nun die eigentliche große Musikaufführung in der Thomaskirche statt, an der Stelle, wo Sebastian Bach so oft seine hohe Kunst ausgeübt hat, die jetzt sein geliebtester und liebendster Zögling, die großen Massen mit energischer Hand leitend, eingenommen hatte. Die Aufführung war höchst glänzend, alle Räume der Kirche gefüllt. Chor und Orchester mochten über 500 stark sein. Die aufgeführten Musikwerke waren die Jubelouverture von Weber, am Schluß im God save the king durch die Orgel begleitet, das Dettinger Tedeum von Händel, und ein „Lobgesang“ von Mendelssohn. Ueber die beiden ersten, weltbekannten Compositionen brauchen wir nichts zu sagen. Die letztere aber war neu und eigens zu dem Feste von dem Meister vollendet worden; einige Worte darüber dürften seinen fernen Verehrern willkommen sein. Der Componist, der seine Werke immer so treffend zu bezeichnen weiß, hat sie selbst „Lobgesang“** genannt. Dem eigentlichen Gesänge gingen aber drei symphonistische Orchestersätze voraus, so daß die Form der neunten Beethovenschen Symphonie zu vergleichen ist, bis auf den hervorzuhebenden Unterschied, der im Symphonistischen noch nicht versucht ist, daß sich die drei Orchestersätze ohne Pausen an einander schließen. Die Form des Ganzen konnte für diesen Zweck nicht glücklicher gefunden werden.***

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          * den 25. Juni. 
         ** Die Bezeichnung als „Symphonie-Cantate“ nahm er auf C. Klingemanns Vorschlag an.
       *** Gestrichen: „Die Form des Ganzen konnte für diesen Zweck nicht glücklicher gefunden werden, wenn wir auch zweifeln, ob es ursprünglich so gedacht ist, und beinahe überzeugt sind, daß jene Orchestersätze, schon vor einiger Zeit geschrieben, Theile einer wirklichen Symphonie waren, der er den Lobgesang, der mir durchaus neu scheint, für den besondern Zweck der Aufführung jetzt anschloß. Wie dem sei, die Composition wirkte enthusiastisch, und dies gerade durch die innere und äußere Steigerung. Der Lobgesang war der Gipfel, zu dem das Orchester durch die Menschenstimmen gleichsam emporgetragen wurde, und auch die Orgel fehlte nicht zur höchsten Kraft des Schlusses. Vermuthen wir anders richtig, daß die Symphoniesätze früher unabhängig von dem Lobgesange bestanden, so möchten wir beide Werke auch lieber in getrennter Weise veröffentlicht sehen, zum offenbaren Vortheil beider


{268} Enthusiastisch wirkte das Ganze und gewiß ist das Werk, namentlich in den Chorsätzen, seinen frischesten, reizendsten beizuzählen. Was dies nach so großen Leistungen heißen will, mag sich Ieder, der dem Gange seiner Schöpfungen zugesehen, selbst sagen. Einzelnes heben wir nicht hervor; doch — jenen mit Chor unterbrochenen Zweigesang „ich harrete des Herrn“, nach dem sich ein Flüstern in der ganzen Versammlung erhob, das in der Kirche mehr gilt als der laute Beifallsruf im Concertsaal. Es war wie ein Blick in einen Himmel Raphaelscher Madonnenaugen. So hat denn die große Erfindung des Lichts, deren Feier wir begingen, auch ein Werk des Lichts hervorgerufen, für das wir alle seinem Schöpfer unsern neuen Dank aussprechen müssen. So laßt uns, wie der Künstler die Worte so herrlich componirt, immer mehr „ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichts“! {{Right|12.

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Dänische Oper.

Der Rabe. Oper in drei Aeten von J. P. E. Hartmann. Werk 12.

Der Musikverein in Kopenhagen fährt, gleich wie die niederländische Gesellschaft, in dem rühmlichen Bestreben fort, durch Herausgabe größerer Werke einheimische Talente aufzumuntern und bekannt zu machen. Zwei von dem nämlichen Verein früher edirte Opern : „Adelheid“ von Kuhlau und „Floribella“ von Weyse, besprachen wir schon in älteren Jahrgängen. Diesmal hat die Wahl eine Oper des Hrn. Hartmann getroffen, eines gleichfalls in diesen Blättern schon mehrmals genannten jungen Kopenhagner Componisten, dessen tüchtiges Streben es verdient, daß ihm auch deutsche Kunstverwandte Aufmerksamkeit schenken.

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Partieen des Werkes. Die Symphoniesätze enthielten sicher an sich anßerordentlich Schönes, der erste Satz, wie namentlich das Allegretto; zur Feierlichkeit und Prächtigkeit des Lobgesanges schienen sie mir aber zu zart und fein gewirkt und eher einen heiteren Schluß zu verlangen, ähnlich etwa wie die B dur-Symphonie von Beethoven, mit der sie auch die Tonart theilen. Wie nun die drei Sätze, von einem Finale beschlossen, eine vollständige Symphonie für das Concert abgeben würden, so steht auch der Lobgesang an sich als einzelnes Werk da, und nach meiner Meinung sogar als eines der trefflichsten von Mendelssohn, der frischesten, reizendsten, genialsten. Was dies nach so großen Leistungen etc.“ — wie oben.54

{269} Lobend müssen wir vor Allem des Textes erwähnen. Der Dichter* hat eine Zauberoper gegeben, aber keine kindische, tolle, wie deutsche so oft dem Componisten anbieten, sondern eine, die Sinn und Verstand hat und überdies poetischen Gehalt. Man findet des besten Dichters würdige Gedanken darin, überhaupt eigentümliches Leben; auch der Dialog, so selten er vorkommt, ist mit Geist und Witz geschrieben.

Die Handlung des Stückes ist einfach. Fürst Millo hat den Lieblingsraben des Zauberers Norando getödtet, der, unbarmherzig genug, ihn deshalb verdammt, sein Leben „in Wahnsinn, Angst und Schmerzen“ so lange zuzubringen, bis er ein Weib findet, das genauer beschrieben wird. Millo hat einen Bruder Jennaro; sie lieben sich auf das Innigste. Da der Fluch anfängt in Erfüllung zu gehen, so bemüht sich Jennaro, das Weib zu finden, das seinen Bruder vom Fluch befreien kann, und erkennt, von einem alten Manne aufmerksam gemacht, dieses in Armilla, die gerade die Dochter des Zauberers ist. Als Kaufmann verkleidet, lockt er sie auf sein Schiff und will sie nun seinem Bruder zuführen. Auf die Klagen Armillas entdeckt ihr Jennaro den Grund der Entführung, worauf ihm Armilla verzeiht, ihn aber auch vor der Rache ihres Vaters warnt. Jennaro, nicht zufrieden, seinen Bruder durch ein Weib von seiner Krankheit zu erlösen, will ihn auch durch das Geschenk eines Rosses und eines Falken erfreuen, die schönsten Thiere. die er je gesehen. Da steigen aber bald die Meerweiber auf und singen. Roß, Falke und Weib würden seinem Bruder den Tod bringen; sobald er (Jennaro) dies aber verriethe, würde er zu Stein verwandelt. Jennaro, um seinen Bruder zu retten, tödtet den Falken und das Roß; sein angstvolles Wesen fällt indeß Millo auf, der nun Armilla gesehen, sie feurig liebt und von ihr wieder geliebt wird. Nach und nach steigert sich der Verdacht in Millo, daß am Ende Jennaro selbst Armilla liebe. Bruderschmerz, Verzweiflung. Jennaro will nun auch verhüten, daß das Hochzeitsfest dem Leben seines Bruders gefährlich werde, und stürzt, auf einem unterirdischen Gange in das Schlafgemach seines Bruders gekommen und bewaffnet, auf die Vampyre, die sich schon um das Bett des schlafenden Millo versammelt haben. Er vertreibt sie. Millo, aufwachend, nimmt dies für einen Angriff auf sein Leben aus Eifersucht und will Jennaro dafür bestrafen. Auf das Aeußerste gebracht und um seine Unschuld darzuthun. gesteht nun Jennaro, was

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     * H. C. Andersen.

{270} ihm die Meerweiber verkündet. Kaum hat er sein Geständniß beendigt, als er auch zur Bildsäule verwandelt wird. Norando kommt jetzt wieder zum Vorschein und sagt dem untröstlichen Millo: im Schicksalsbuche sei der Fluch geschrieben, „des Raben Tod, Armillas Raub, Millos Schmerz und seiner (Norandos) eigenen Rachsucht wohlverdiente Strafe“, Jennaro aber werde erlöst, sobald Millo seine Braut selbst tödte. Millo weigert sich dessen, will lieber selbst sterben. Armilla tritt herein, erfährt was vorgegangen, und will, um Jennaro zu befreien, sich selbst den Tod geben. Im Augenblick, wo sie dazu ansetzt, entreißt ihr Norando den Dolch; im Augenblick wird auch Jennaro wieder lebend. Der Schicksalspruch ist erfüllt. Der Vater versöhnt sich. Das Hochzeitsfest wird mit Jubel begangen.

Der Dichter also hat in märchenhaftem Gewande das Bild einer idealen Geschwisterliebe aufstellen wollen und der Componist ihn verstanden. Jennaro ist die schönste und dankbarste Rolle der Oper geworden, die des Millo und der Armilla bieten nicht minder interessante Seiten. Einige Nebenfiguren bringen Abwechselung, wie man denn der verständigen, ruhigen Anordnung des Ganzen, wie gesagt, nur Beifall spenden kann.

Ein junger Componist nun, dem es zum erstenmal in den Sinn kommt, für die Bühne zu schreiben, hat vorzüglich zweierlei im Auge, einmal seine ganze Kunst anzubringen, dann auch zu wirken, zu gefallen. Das Erstere wird nicht selten die Klippe des Letztern. Wie viel, was man gelernt hat, was man kann, muß man verleugnen, wegwerfen, wenn es die Belebung und Entflammung des Publicums gilt! Hr. Hartmann schrieb bisher nur für die Kammer; irren wir nicht, so verwaltet er sogar eine Organistenstelle, und zwischen Orgel und Theater liegt freilich eine große Strecke. Wie nun schon die Ausführung jeder größeren Arbeit, geschähe sie auch mit geringeren Kräften, uns Achtung abzwingt, so noch mehr diese, zu deren Vollendung wenn auch keine Genienkräfte ihre Flügel herliehen, so doch jene Hebel beitrugen, wie sie angebornes durch Fleiß und Studium gekräftigtes Talent so sicher unterstellt. Es ist keine Kleinigkeit, eine Oper. Man stelle den besten Musiker auf das Theater: er wird hunderterlei verkehrt machen; er darf nicht zu viel geben; die Stimmen müssen ruhen; das Orchester muß seine Pausen haben. Schon das Oekonomische, das Bühnengerechte, welche Ueberlegung, welche Erfahrung erfordert es! Ehe der Musiker zu glänzen anfangen kann, will erst der Theaterdirector befriedigt sein. Wie viel schöne Musik muß

{271} oft geopfert werden, wenn der Componist über die Musik die Bühne vergaß, für die er schrieb! Und so braucht es oft noch lange Arbeit, ehe die fertige Musik ins wirkliche Leben vor das Publicum treten kann.

Der einfache, verständige Text kam dem Componisten nun sehr zu Hülfe. Die Charaktere sind vom Dichter mit fester Hand ausgeprägt; die Aufgabe, ein inniges, brüderliches Verhältniß zu schildern, mochte den Componisten besonders anziehen. Und so liegt die Oper fertig da. und, wie sie es ist, möge noch mit einigen Worten verfolgt werden.

Die Ouverture ist sinnvoll, tüchtig, den Inhalt der Handlung in kurzen Zügen vorzeichnend. Die Motive sind der Oper entlehnt, das erste den aufsteigenden Verdacht Millos, das zweite die Versöhnung und den Frieden nach so vielen Prüfungen aussprechend. Ohne Kenntniß der Oper würde indeß der Ouverture keine große Wirkung zuzusprechen sein, wie dies ja meistens der Fall ist.

Die Zahl der Musikstücke der ganzen Oper beträgt vierzehn; man sieht, daß sie nicht lange spielt; ein Vorzug, den sie mit wenigen anderer junger (und alter) Componisten theilt. Die kurze, kleine Form der meisten einzelnen Nummern ist sogar auffallend. Wir wollen es eher einer Aengstlichkeit des Componisten zuschreiben als irgend anderem; aber namentlich scheinen mir gleich die ersten fünf Nummern, was den musikalischen Bau betrifft, sämmtlich zu kurz gerathen, so daß nach ihnen keine ruhige und befriedigte musikalische Stimmung aufkommt; man verlangt überall noch etwas mehr. Dagegen sind die Finales aller Acte breit auseinandergelegt und werden so sicher auch das Ihrige auf der Bühne wirken. Dies Wenige über die Form. Was nun den Charakter der Musik im Ganzen anlangt, so ist er ein entschieden deutscher, nordischer. Eine Vorliebe für Weber spricht sich oft aus; auch Spohr ließe sich als ein Liebling des Componisten erkennen, hier und da auch Marschner, das letztere vielleicht gegen den Willen des Componisten in der Stelle, wo die Vampyre auftreten. Eigenthümlich ist dem Componiften eine oft gar zu schnell wechselnde Harmonieführung, die wir nicht bunt oder unklar nennen können, die wir aber, wie gefagt, weniger unruhig, oft auch natürlicher wünschten. Das Streben, als Harmoniker auch im Kleinsten interessant zu erscheinen, kann namentlich in der Oper sehr gefährlich werden; im complicirten Ensemble läßt sich jener schnelle, künstlich gewobene, oft enharmonische Accordenwechsel noch am meisten anwenden. Der Chor aber will nicht zu viel Kreuze und Bee; er singt sonst ungern und

{272} falsch obendrein; ebenso wenig braucht es zum einfachen Liede so zahlreicher Uebergänge, wie sie der Componist oft anbringt ohne Wirkung. Was wirkt ein ausgehaltener Dreiklang oft, aus der Menschenbrust frei herausgesungen! Alle Kunst Spohrscher Enharmonik muß sich verstecken vor einem Händelschen ausströmenden Dreiklange. Davor also hat sich der Componist vor Allem zu hüten, in der Harmonie nicht zu viel zu geben: schon im Instrumentalsatze kann solch kleines chromatisches Gewirre in den Mittelstimmen schädlich werden, geschweige denn, wo die Stimmen sich zeigen sollen und singen wollen.

Trotzdem sind der Composition auch manche melodische Schönheiten nicht abzusprechen, namentlich der Rolle des Jennaro nicht, der oft recht innig, wie ein rechter Bruder singt. Armilla dagegen wird unter den Sängerinnen sich wenig Freundinnen erwerben oder nur unter hochstimmigen. Auch in den Chören bewegen sich die Stimmen oft in den anstrengendsten hohen Lagen, namentlich die Soprane. Die Erfahrung wird vielleicht jetzt schon, wo der Componist seine Oper, wenn wir nicht irren, in öffentlicher Ausführung gehört hat, ihn darauf ausmerksam gemacht haben, wie wenig den Chören und den Einzelnen in dieser Hinsicht zuzumuthen ist, mit wie vieler Rücksicht, wie einfach die Stimmen zu behandeln sind, wenn sie mit Lust und Liebe singen sollen. Die Rolle des Millo verlangt ebenfalls einen umfangreichen Bariton; sie ist im Clavierauszug in verschiedenen Schlüsseln geschrieben, was ausfällt. Norando, der Zauberer, ist Baß, verlangt aber auch ziemliche Höhe.

Von den einzelnen Nnmmern noch einige auszuzeichnen, so sind es im ersten Art das artige Lied des Pantaleone und die Cavatine des Jennaro. Der Gesang der Meerweiber wird mit einer charakteristischen Baßfigur durchflochten, die von gutem Effecte sein mag. Das più lento in demselben Finale „Sonderbar hebt sich die Brust“ tritt besonders zart hervor.

Das im Gedicht sehr sinnige erste Lied des zweiten Actes wünschten wir origineller, und doch einfacher. Die Arie des Millo, deren Motiv schon in der Ouverture vorkommt, mag guten Bühneneffect machen. Das Motiv erinnert übrigens an manches von Lindpaintner, Kalliwoda etc. — Schön und bedeutend ist der kurze Gefang des Jennaro:

Dort durch die Kirchenfester klar —

hier zeigt sich der Organist, aber geschmackvoll, sogar poetisch. Das komische Intermezzo des Tartaglia wirkt belebend und steht an guter


{273} Stelle. Der folgende Marsch hat dagegen etwas bekannt Bellinisches. Der Art schließt glänzend.

Im dritten zeichnet sich der unisone Chor der Vampyre aus mit seinem unheimlichen Solo. Es sind wohl Tenöre; hohe, spitze Stimmen müßten hier von noch grausigerem Effecte sein. Im Melodrama, die Scene, wo Jennaro sein Geheimniß enthüllt, geben wahrscheinlich Instrumentation und Decoration den Ausschlag; auf dem Clavier wirkt derlei immer nüchtern. Die Stelle, wo Jennaro wieder aus dem Stein auflebt, muß ebenfalls vom Orchester gehört werden; auch hier wirkt das Clavier wohl nur die Hälfte. Das Ganze schließt, wie gesagt, beruhigend und glücklich.

Der Clavierauszug ist übrigens mit großer Sorgfalt und von einem guten Spieler (dem Componisten selbst) gemacht; wir sind seit langer Zeit keinem besseren begegnet. Auch die deutsche Uebersetzung ist gut.

So macht denn das Werk seinem Verfasser alle Ehre, wie dem Vereine, der es an den Tag gefördert hat. Wie es von der Bühne herab wirkt, werden wir freilich in Deutschland schwerlich erfahren. Die sich aber im Stillen von dem in allen Dentschland umliegenden Ländern fortschreitenden Musikgeiste überzeugen wollen, werden den Clavierauszug sicher mit der freudigen Ueberraschung aus der Hand legen, daß unsere deutsche Kunst auch auswärts immer mehr Wurzel faßt, und mit der Hoffnung, daß eine gute Rückwirkung auf das eigene Vaterland mit der Zeit nicht ausbleiben wird. {{Right|R. S.

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Mendelssohns Orgelconcert.*

Mit goldnen Lettern möcht' ich den gestrigen Abend in diesen Blättern aufzeichnen können. Es war ein Concert für Männer einmal, ein gutes Ganzes vom Anfang bis Ende. Wiederum fiel mir

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         * Schumanns Ankündigung desselben — vom 29, Juli — lautet: „Den 6. Aug., Abends 6 Uhr, wird Herr MD. Dr, Mendelssohn Bartholdy, in der Thomaskirche ein Orgelconcert geben. Die Einnahme ist zu einem Denkstein für Johann Sebastian Bach bestimm!, der ihm in der Nähe seiner ehemaligen Wohnung gesetzt werden soll. Ein alter Wunsch, gewiß Unzähliger, geht somit in Erfüllung, und wir wissen unsere Freude über diesen Zug schönkünstlerischer Pietät


{274} ein, wie man mit Bach doch niemals fertig, wie er immer tiefer wird, je mehr man ihn hört. Von Zelter und später von Marx ist darüber Treffliches und Treffendes genug gesagt worden, und doch, hört man dann, so will es wieder scheinen, als ließe sich ihm mit dem blosen Wortverstand nur von Weitem beikommen. Die beste Versinnlichung und Erklärung seiner Werke bleibt nun immer die lebendige durch die Mittel der Musik selbst, und von wem dürfte man da eine treuere und wärmere erwarten als von dem, der sie uns gestern gab, der die meisten Stunden seines Lebens gerade diesem Meister zugewandt, der der Erste war, der mit aller Kraft der Begeisterung das Andenken an Bach in Deutschland auffrischte,* jetzt auch wieder den ersten Impuls gibt, daß sein Bild auch durch ein äußeres Zeichen dem Auge der Mitwelt näher gebracht werde. Hundert Jahre sind schon vergangen, ehe dies von Andern versucht, sollen vielleicht noch hundert vergehen, daß es zur Ausführung kommt? Es ist nicht unsere Absicht, durch einen förmlichen Aufruf zu einem Denkmal für Bach etwa zu bitten; die für Mozart und Beethoven sind noch nicht fertig und es dürfte schon damit noch eine Zeit währen. Aber hier und da anregen möchte die Idee, die jetzt von hier ausgegangen, namentlich in den Städten, die sich in neuerer Zeit um Aufführung Bachscher Werke besonders verdient gemacht, Berlin und Breslau, in denen es Viele geben wird, die wissen, was die Kunst Bach schuldet; es ist im kleinen Kreise der Musik kaum weniger, als was eine Religion ihrem Stifter. Mendelssohn spricht sich selbst in seinem das Concert ankündigenden Circular in klaren, einfachen Worten darüber aus: „Bis jetzt bekundet kein äußeres Zeichen in Leipzig das lebendige Andenken an den größten Künstler, den diese Stadt je besessen. Einem seiner Nachfolger** ist bereits die Ehre eines Denkmals in der Nähe der Thomasschule zu Theil geworden, die Bach vor allen Andern gebührt; da

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kaum in Worten auszudrücken. Wo sich aber ein solcher Künstler an die Spitze stellt, sollten da nicht viele folgen, sollte der Gedanke nicht auch in der Ferne anklingen? Könnte aus dem Denkstein nicht ein Denkmal werden? Ihm, dem Einzigen, Ewigen ein Monument zu setzen, das sich würdig an die zu Ehren Mozarts und Beethovens anreihete, dazu wäre die Zeit da, dazu sollten sich die Hände aller Künstler und Kunstfreunde verbinden, dies würde unserm Zeitalter ale ein Beweis seines aufgeklärten Kunstsinns in der Zukunft angerechnet werden, Ueber den Erfolg des ersten Anfangs hoffen wir bald etwas mitzutheilen; möchten diese einfachen Worte dazu beitragen, daß nur es auch bald über andere könnten! {{Right|12.“

     * Durch die Aufführung der Matthäuspassion 1829 in Berlin. 
   ** Joh. Adam Hiller.


{275} aber in der jetzigen Zeit sein Geist und seine Werke mit neuer Kraft hervortreten, und die Theilnahme dafür in den Herzen aller wahren Musikfreunde nie verlöschen wird, so ist zu hoffen, daß ejn solches Unternehmen bei den Bewohnern Leipzigs Anklang und Beförderung finden möge“ etc. etc..

Daß nun der von solcher Künstlerhand geleitete Anfang ein würdiger war, und daß ihn ein den Zweck reich unterstützender Erfolg krönte, war zu erwarten. Wie Mendelssohn das königliche Instrument Bachs zu handhaben versteht, ist schon anderweitig bekannt; und dann waren es lauter köstliche Kleinodien, die er gestern vorlegte, und zwar in herrlichster Abwechselung und Steigerung, die er nur zu Anfang gleichsam bevorwortete und zum Ende mit einer Phantasie beschloß. Nach einer kurzen Einleitung spielte er eine Fuge in Es dur, eine gar prächtige aus drei sich über einander aufbauende Gedanken, hierauf eine Phantasie über den Choral „Schmücke dich, o liebe Seele“, ein unschätzbares, seelentiefstes Musikstück, wie es irgend einem Künstlergemüth entsprungen, sodann ein groß-brillantes Präludium mit Fuge in A moll, beide sehr schwierig auch für Meister auf der Orgel. Nach einer Pause folgte die Passecaille in C moll, 21 Variationen, genialisch genug in einander gewunden, daß man nur immer erstaunen muß, auch von Mendelssohn vortrefflich in den Registern behandelt, nach diesen eine Pastorella in F dur, wie nur irgend ein Musikstück dieses Charakters in tiefster Tiefe gedacht werden kann, der sich dann eine Toccata in A moll mit Bachisch-humoristischem Präludium anschloß. Den Schluß machte eine Phantasie Mendelssohns, worin er sich denn zeigte in voller Künstlerglorie; sie war aus einen Choral, irr' ich nicht, auf den Text „O Haupt voll Blut und Wunden“ basirt, in den er später den Namen Bach und einen Fugensatz einflocht, und rundete sich zu einem so klaren, meisterhaften Ganzen, daß es gedruckt ein fertiges Kunstwerk gäbe. Ein schöner Sommerabend glänzte zu den Kirchenfenstern herein, außen im Freien wird noch Mancher den wunderbaren Klängen nachgesonnen haben, und wie es doch in der Musik nichts Größeres gibt als jenen Genuß der Doppelmeisterschaft. wenn der Meister den Meister ausspricht. Ruhm und Ehre dem alten wie dem jungen!*

{{Right|12.

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        * Das Bach-Denkmal wurde am 23. April 1843 enthüllt.
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Trios für Pianoforte mit Begleilung.

Es sind Iahre verflossen, seitdem wir zum letztenmal über Compositionen obiger Gattung berichtet; vielleicht erinnert sich der Leser noch eines Cyklus von Kritiken, in dem alle seit etwa zehn Jahren erschienenen Trios ausführlich besprochen wurden. Allem neu Erscheinenden nachspähend, müssen wir uns wundern, wie wenig in den letzten zwei bis drei Jahren Werke obiger Gattung veröffentlicht worden sind — geschrieben? wohl mehr. Wer weiß das! Es liegen im Augenblicke nur vier Trios vor uns. Für erschöpfend können wir aber unser Urtheil darüber nicht ausgeben, da wir nur eines davon ausführen gehört. Denn wie das innere Gehör das feinere musikalische ist, der Geist der Ausführung hat auch sein Recht, der helle lebendige Klang seine besonderen Wirkungen, über die sich selbst der gute Musiker, der zuerst gleichsam durch das Auge vom Papier hört, täuschen kann. Leichter schon wird es zu urtheilen, wo Partituren vorliegen, wie es bei Herausgabe von Ensemblestücken jetzt löbliche Sitte geworden; wo aber diese fehlen, darf der Kritiker nicht gescholten werden, wenn er nur en gros berichtet. Von dem ersten der zu besprechenden Trios liegt uns in der Clavierstimme zugleich die Partitur vor; es ist von B. E. Philipp [Werk 33]. Der Name des in Breslau lebenden Tonsetzers kam in der Zeitschrift schon öfters vor. Mit seinem Trio tritt er, irren wir nicht, zum erstenmal mit einem größeren Ensemblestück auf. Es geht in F moll und weicht in der Form von andern nur darin ab, daß es kein Scherzo bringt. Im Uebrigen hat es den rechten Trio-Charakter, d. h. kein Instrument herrscht vor und jedes hat etwas zu sagen. Die Stimmung ist vorherrschend lyrisch; zwar im letzten Satz möchte einiges auf eine dramatische Absicht des Componisten schließen lassen, der Grundton bleibt aber lyrisch. Am schnellsten wirksam scheint der erste Satz, er hat Fluß und rundet sich. Zur größern Wirkung fehlt ihm nur ein bedeutender energischer Schluß; wie er ist, fühlt man, der Componist war am Ende und die Phantasie gab nichts mehr aus. Immerhin gilt er uns als der gelungenste des Trios. Wenig sagt uns das Adagio zu: die ersten acht Tacte der Cantilene sind melodisch gut erfunden, obwohl an das Adagio in Beethovens F moll-Sonate erinnernd; die folgenden aber haben keinen musikalischen Fortgang, wie uns auch der Mittelsatz in B moll karg


{277} und reizlos dünkt. Der letzte Satz, Finale, schließt sich dem Adagio gut an und nimmt einen kühnen Anlauf. Die ersten Tacte des Allegros gleichen freilich sehr in Bewegung und Charakter dem des letzten Satzes der Cis moll--Phantasie von Beethoven; wenn dadurch die Wirkung geschmälert wird, so versöhnt uns bald der sehr gute und melodischschwungvolle Gesang im Dur der großen Unterterz, der dann später, nach herkömmlicher Form, im Dur der Haupttonart wieder erscheint. Eine Stelle des Adagios hebt sich kurz vor dem Schluß noch einmal hervor, wir wissen nicht, ob mit Wirkung. Es hat mit solchen sogenannten „Rückblicken“ sein Gefährliches; wo es nicht (wie z. B. im Finale der C moll-Symphonie, wo das Scherzo wieder auftaucht) im freiesten Flug der Phantasie geschieht, so daß wir uns sagen müssen: es kann nicht anders sein, — sieht es leicht gezwungen und gemacht aus; immerhin hat schon die Intention etwas Sinniges und wir begegnen ihr immer gern. In Summa, das Trio wird denen, die nicht immer höchstes Meisterliches wollen, in vielen Partieen zusagen; das Streben des Componisten war ein unverkennbar gutes, und so wünschen wir, daß er zu ähnlichen Werken größeren Umfangs auch immer bereite Verleger finde wie den seines Trios, der es freigebig ausgestattet. Das Trio ist Adolph Henselt zugeeignet.

Ueber ein Trio von Carl Seyler vermögen wir nicht mehr zu sagen, als was uns eine stumme Aufführung nach den herumgelegten einzelnen Stimmen eingibt. Es scheint übrigens klar genug, um eine Partitur nicht[H 3] zu vermissen, und erhebt sich anscheinend nicht über jenen mittleren Gedankenflug, der immer einige Minuten im voraus zu errathen, so daß ich mir in den Pausen der Clavierstimme die Füllung der andern Instrumente auch meist ganz gut denken konnte. Der Charakter des Stückes ist modern, gefällig, bürgerlich; Melodie hat es, wenn auch kleine und bekannte; die Harmonie ist leicht, auch richtig. Der Componist scheint, allen Anzeichen nach, ein junger und strebsamer. In einer großen Stadt, wie Wien, aus tüchtigen Wegen zu bleiben, gehört freilich doppelte Kraft dazu. Publicum dort, wie Verleger wollen vor Allem Leichtes. Unterhaltendes, und ein Feuerwerker gilt ihnen mehr als ein rüstiger Gladiator. So kam es oft, daß, die das nicht begriffen und wider den Strom wollten, einfsam und beifalllos ihren Weg fortsetzen mußten, während, die sich accomodirten, bald von höherem Streben ablassend, mit den hundert Andern im Strome mitschwammen und spurlos verschwanden. Wir wünschen dem jungen Componisten Ausdauer genug, nicht der letzten Classe zu verfallen.

{278} Was ist aller Beifall des Modehaufens gegen den stilleren des echten Künstlers! Das Publieum ist nie zu sättigen, während das fleißig gearbeitete, schön gelungene Kunstwerk Jahrzehnte lang nachhält. Wir sind in diesen moralischen Ton verfallen, weil wir eben wissen, wie oft gut Anfangende Talente aus Mangel an Aufmunterung in großen Städten es auch nur bei den Anfängen bewenden ließen. Das premier Trio“ möge denn nur der Vorläufer der köstlichsten späteren sein und der Componist fortfahren, an großen Formen seine Kraft zu stärken und zu meistern.

An die Trios der HH. Philipp und Seyler schließen sich neu erschienen noch drei an, von A. Fesca, J. P. Pixis und F. Mendelssohn Bartholdy.

Des Compositionstalentes des ersteren ward schon früher in der Zeitschrift Erwähnung gethan. Man sieht, es geht ihm leicht von der Hand, eine Menge auch größerer Werke seiner Composition ist neuerdings im Druck erschienen. Das Trio [Werk 11, B dur] hat eine Schmetterlingsnatur, wo nicht der ganze Componist; er kostet und nascht noch in der Kunst, aber mit Lust und Liebe, und dies nimmt für ihn ein. Gern hängt er sich auch an höhere Kunstgenossen. Mendelssohn, Henselt, auch Thalberg sind mit wenig Mühe wieder zu finden. Die Leichtigkeit und Anmuth aber, mit der er sich anschließt, söhnt schnell wieder aus. Das immer derbere deutsche Element abgerechnet, könnte man den jungen Componisten am richtigsten dem französischen Bertini vergleichen. Ob ihm selbst dieser Vergleich gefalle, wissen wir nicht, doch, scheint es, hat er das Zeug, ihn zunichte zu machen, sich höher hinaufzuarbeiten zu Ernst und männlicherem Ausdruck. So klingt das Trio, wie ein Bertinisches, durchaus hübsch und gefällig. Nach Grammatik, selbst nach Octaven, Quinten (wenigstens für das Auge) wird nicht viel gefragt; was ihm wohlklingt, schreibt er hin, das Ohr gilt ihm der oberste Richter. Wir haben nichts gegen diesen Grundsatz. Was schön klingt, spottet aller Grammatik, wie was schön ist, aller Aesthetik. Nach alle dem Gesagten wird der Kunstfreund wissen, was er ungefähr vom Trio zu erwarten hat; es steht vermittelnd zwischen Künstler und Dilettanten und wird Allen behagen, die nicht immer nach Höchstem verlangen. Im Besonderen ist noch zu erwähnen, daß das ganze Trio ohne Absatz hintereinander gespielt werden soll. Innigere Verbindung und Beziehung haben die einzelnen Sätze indeß nicht, man kann ebenso gut nach jedem eine Pause einschalten. Das Clavier herrscht vor. doch nicht

{279} so, daß sich nicht auch die anderen Instrumente gut zeigen könnten, wie denn die Klarheit in Anordnung des Ganzen nur anszuzeichnen ist, doppelt an einem jungen Künstler, wie es der Componist noch sein soll.

Das Trio von J. P. Pixis ist bereits das sechste des Componisten [Werk 139, Fis moll] und nach langer Zeit wieder das erste bedeutende Werk, das von ihm erschienen. Gehört in vollständiger Besetzung habe ich es noch nicht, vielleicht, daß es mir sonst auch weniger unklar, weniger zerstückelt erschiene. Der Anfang ist eigen. Das Clavier beginnt mit einer wilden Figur, in die die Bässe den Hauptgedanken des ersten Satzes hineinwerfen; wild scheint der erste Satz überhaupt, so sehr es nämlich ein Componist sein kann, der nicht gerade ein Beethoven ist, der, in Sicilien an der Seite einer gefeierten Tochter unter immergrünen Triumphbogen mitwandelnd, nicht eben Grund haben mag, sich über das Leben zu beklagen. Dem angemessen endigt auch der Satz. Das Capriccio, an der Stelle des Scherzos, scheint sehr pikant und geistreich, wie denn Pixis in solchen kleinen Sachen immer glücklich ist. Das Adagio, sentimentalen Charakters, währt beinahe so lange wie die drei übrigen Sätze zusammengenommen, und wohl zu lange; es ist hier eine Menge Harmonie an einen gewöhnlichen melodischen Gedanken verschwendet, die vereinfacht und verringert dasselbe gewirkt haben würde. Reicheres Leben bringt der Schlußsatz, wie der erste in der seltenen Tonart Fis moll geschrieben und beschlossen. Der Schluß erinnert übrigens an ein Stück aus Rossinis Soiréen, wie die Octavensprünge in der Hauptfigur an die Pauken im Scherzo der D moll-Symphonie von Beethoven. Das Ganze ist glänzend und schwierig, doch auch dankbar. Darf man ihm auch nicht, wie einem Meisterwerke, eine nachhaltigere Wirkung, eine große Lebensdauer zusprechen, so ragt es als Glanz- und Virtuositätsstück doch immer als ein bedeutendes und eigenthümliches hervor, das mehr will als blose Fertigkeit des Spielers, bloses Amüsement des Zuhörers.

Es bleibt noch übrig, über Mendelssohns Trio [Werk 49, D moll] etwas zu sagen — weniges nur, da es sich gewiß schon in Aller Händen befindet. Es ist das Meistertrio der Gegenwart, wie es ihrer Zeit die von Beethoven in B und D, das von Franz Schubert in Es waren; eine gar schöne Composition, die nach Jahren noch Enkel und Urenkel erfreuen wird. Der Sturm der letzten Jahre fängt allmählich sich zu legen an und, gestehen wir es, hat schon manche


{280} Perle ans Ufer geworfen. Mendelssohn, obschon weniger als Andere von ihm gepackt, bleibt doch immer auch ein Sohn der Zeit, hat auch ringen müssen, hat es auch oft anhören müssen das Geschwätz einiger bornirter Schriftsteller, „die eigentliche Blüthezeit der Musik sei hinter uns“, und hat sich emporgerungen, daß wir es wohl sagen dürfen: er ist der Mozart des neunzehnten Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt. Und er wird auch nicht der letzte Künstler sein. Nach Mozart kam ein Beethoven; dem neuen Mozart wird ein neuer Beethoven folgen, ja er ist vielleicht schon geboren. Was soll ich noch über dies Trio sagen, was sich nicht Jeder, der es gehört, schon selbst gesagt? Am glücklichsten freilich, die es vom Schöpfer selbst gehört. Denn wenn es auch kühnere Virtuosen geben mag, in so zauberischer Frische weiß kaum ein Anderer Mendelssohns Werke wiederzugeben als er selbst. Es schrecke dies Niemanden ab, das Trio auch zu spielen; es hat sogar im Vergleich zu andern, wie z. B. zu den Schuberts, weniger Schwierigkeiten, wie denn diese bei Kunstwerken ersten Ranges mit der Wirkung immer im Verhältniß stehen, und je größer jene, je gesteigerter diese ist. Daß das Trio übrigens keines für den Clavierspieler allein ist, daß auch die anderen lebendig einzugreifen haben und auf Genuß und Dank rechnen können, braucht kaum einer Erwähnung. So wirke denn das neue Werk nach allen Seiten, wie es soll, und sei uns ein neues Zeugniß der Kunstkraft seines Schöpfers, die jetzt beinahe in ihrer höchsten Blüthe zu stehen scheint. {{Right|12.

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Drei gute Liederhefte.

Auch den hartherzigsten Kritiker wandelt einmal die Lust zu loben an. „Was hilft es — sagte ich mir — leidliche Anfänger in der Gesangcomposition passabel aufzumuntern, oder mittelmäßigen Schreiern die Kehle verstopfen zu wollen. Lieber setz' ich mir einen ganzen Stoß neuer Lieder her und ruhe nicht eher, als ich einige gute gefunden, um einmal nach Herzenslust nichts als loben zu können.“ Lange suchte ich unter den etwa 50 Heften. Endlich hatte ich glücklich drei bei einander, die mich in Lobesathem brachten, die mich anhaltend


{281} erfreut, erwärmt, Die Namen der Componisten sind Veit, Esser und Norbert Burgmüller, die ersten noch lebend und wirkend, der letztere schon gestorben.

Auseinandersetzen, was ein schönes Lied, will ich nicht. Es ist so schwer und leicht, als ein schönes Gedicht. „Nur ein Hauch sei’s“, sagt Goethe. Norbert Burgmüller wußte von den drei Genannten dies am besten. Das Gedicht mit seinen kleinsten Zügen im feineren musikalischen Stoffe nachzuwirken, gilt ihm das Höchste, wie es Allen gelten sollte. Nur selten, daß ihm ein Zug entgeht, oder daß er ihm, wo er ihn gefaßt, mißglückt, Menschliches freilich überfällt auch die Größten in unbewachtem Augenblick.

Das Liederheft, das ich meine, ist sein drittes und mit Wert 10 bezeichnet. Es bringt ein Lied nach Walther v. d. Vogelweide — von Uhland Scheiden und Meiden, Ständchen und Abreise — von einem Ungenannten ein „Hoffnungslos“. Der Ungenannte ist, wie vermuthet wird, der Componist selbst. Man vergleiche die Biographie, die früher diese Blätter brachten,* in der auch der erste Vers des Gedichtes** mitgetheilt war. Die Composition ist in schmerzlicher Zeit entstanden, tiefmelancholisch, aber zur innigsten Theilnahme anregend, und wahr. Wahr — zittert euch nicht euer kleines Herz, Componisten, wenn ihr dieses Wort hört? Bettet euch immer weicher in eure schönen Gesangeslügen, ihr bringt’s doch nicht höher, als von einigen andern Judaslippen gesungen zu werden, vielleicht verführerisch genug. Aber tritt dann wieder einmal ein wahrhaftiger Sänger unter euch, so flüchtet mit eurer erheuchelten Kunst oder lernt Wahrheit, wenn es noch möglich ist. Wahr ist denn auch Burgmüller durch und durch; noch mehr, er gibt die Wahrheit auch meistens in schönem Gewand. Lebte er noch, so würde ich bittend hinzusetzen: er gebe sie auch, wo es das Gedicht will, manchmal in reicherem. Er begnügt sich oft mit dem allereinfachsten. B. Klein trieb diese Liedeseinfachheit, daß man ihn als Sonderling verschrie. Auch gegen dieses Extrem schütze sich der Künstler. Ein Beispiel dazu aus Burgmüllers Liedern. Es ist das oft und mehrentheils nicht übel componirte „Ständchen“ von Uhland, wo das nach und nach hinüberschlummernde Kind der Mutter

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      * R. Z. 1840, XII, 1 u. ff. 55
    **                    Liebe, die sonst nur mit Myrten krönet,

{{Right|Hüllt in düstre Schwermuth meinen Sinn. {{Right|Armes Herz, das sich nach Ruhe sehnet, {{Right|Hoffe nicht, — sie ist für dich dahin!

{282} von „süßen Klängen“ erzählt, die es weckten, und daß es „keine irdische Musik“ sei, sondern „Engel mit Gesang, die es riefen“. Das Lied ist sicher eines der trefflichsten der Sammlung, vielleicht die trefflichste Cmnposition des Gedichts überhaupt, die da ist. Doch jener Ruf „von drüben“, gesteh' ich, klingt mir doch zu dürftig. Engel, mein' ich, riefen doch noch anders; aber freilich, wer hat solche Stimmen gehört, und, wer in einzelnen weit von einander liegenden Minuten des Lebens es hat, schwiege nicht lieber darüber! Wie ich aber schon sagte, das Lied bleibt neben dem „Hoffnungslos“ das schonste der Sammlung. Vortrefflich in der getroffenen mißmütbigen Grundnimmung nenn' ich auch die „Abreise“. Nur den Schluß, wo der Wanderer, dem es gleichgültig, daß man ihn ohne besondere Abschiedsqualen seine Straße hat ziehen lassen, wehmüthig hinzusetzt: „von Einer aber thut mirs weh'“ — wünschte ich nicht über die Melodie der früheren Verse gelegt, und neu componirt und bedeutender, wie es denn auch im Vorhergehenden einige kleine Declamationssünden zu rügen gäbe.

In diesen drei Nummern liegt denn der Schatz des Heftes. „Scheiden und Meiden“ und das altdeutsche Lied, wie sie immerhin auch einem echten Dichterherzen entsprungen, sind anspruchsloser.*

Der zweite Liedercomponist, den die Zeitschrift heute ihren Lesern als einen „guten“ empfiehlt, ist W. H. Veit, der junge böhmische Tonsetzer, von dem sie schon öfters Gutes vermeldet. Schwierige Aufgaben für seine Erfindungskraft stellt er sich nicht in dem Hefte, von dem wir sprechen [Werk 15]; ja es genügen ihm selbst Gedichte geringeren Gehaltes. Haben wir denn etwa Mangel an guten? Ein „Ja“ zur Antwort wäre ein Unrecht, das wir den Poeten thäten. Wie viel Ausbeute geben noch die älteren deutschen Classiker, wie viel die Epoche nach Goethe, wie manches die neuste, wie vieles endlich auch das Ausland! Weshalb also nach mittelmäßigen Gedichten greifen, was sich immer an der Musik rächen muß? Einen Kranz von Musik um ein wahres Dichterhaupt schlingen — nichts Schöneres; aber ihn an ein Alltagsgesicht verschwenden, wozu die Mühe? — Das Talent verläßt unsern Componisten nun auch bei Composition solcher schwächeren Gedichte nicht; reicher und frischer äußert es sich aber gewiß in jenen besseren, wie von Heine und Mosen; der Componist wird es selbst gestehen, daß er hier auch mit größerer Liebe schrieb.

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      * Ein „Frühlingslied“ von N. Burgmüller veröffentlichte Schumann bald nachher im 12. Heft der musikalischen Beilagen zur Zeitschrift.


{283} Auch Veit wendet auf die Wahrheit des musikalischen Ausdrucks in Wiedergabe der Worte die treuste Sorgfalt. Dies Lob geht über jedes andere. Gesellt sich solchem Streben noch ein ziemlicher Schatz klarer, gesunder Melodie bei, so darf der Künstler doppelten Lobes gewiß sein. Es ist hier so und guter Gesang in jedem der Lieder zu finden. An kleinen, seinen Wendungen in der Begleitung fehlt es gleichfalls nicht, wie freilich auch nicht an kleinen Declamationsfehlern, so klein, daß wir sie Schülern nachsähen, an gebildetern Talenten groß genug, um sie nicht wohlwollend darauf aufmerksam zu machen (so das „es“ S. 3 Syst. 3 T. 2. das „du“ S. 15 Syst. 3 T. 5). Melodiöse Heiterkeit zeichnet im Uebrigen fast alle Lieder des Heftes aus, das wir denn überhaupt gegen ein früher geschriebenes [Werk 8] als einen erfreulichen Fortschritt zur Meisterschaft betrachten müssen.

Ein Liederheft endlich von H. Esser [Werk 4], einem bis jetzt noch wenig genannten Rheinländischen Componisten, beschließe diese fröhliche Kritik. Die Texte sind zur einen Hälfte von Rückert, dem geliebten Dichter, der, großer Musiker in Worten und Gedanken, dem wirklichen leider oft gar nichts hinzuzuthun übrig läßt, — zur andern Hälfte von weniger gekannten Dichtern. Die Compositionen werden auf das Wohlthuendste überraschen; wie freut es, dies von einem Werk 4 sagen zu dürfen! Harmonie: rein und gewählt, — Melodie: klar, nicht ohne Eigentümlichkeit, leicht sangbar, — Begleitung: natürlich, hebend, — Wahl der Texte: sinnig, ernst, — verlangt man einen besseren Paß in „Musikers Lande“? Vorliebe für Franz Schubert, doch nur wie sie erlaubt, spür' ich namentlich im dritten und fünften der Lieder; eine ausfallend starke Reminiscenz an Weber („Arabien, mein Heimathland“) im vierten. Indeß stört bei so viel Eigenem, bei so offenbarem inneren Wohlstand ein vielleicht unwissend entlehnter Zug nur wenig oder gar nicht. So gehe der Componist, der Theilnahme verdient, diesen Weg weiter, ist er noch jung, so freuen wir uns um so mehr seiner Zukunft.

Dies wäre eine treue Schilderung des kleinen kritischen Liederfestes, das ich mir heute zu begehen vorgenommen, das ich recht oft wieder zu begehen Veranlassung finden möchte. {{Right|R. S.

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{284}

Die Abonnementconcerte in Leipzig von 1840-1841.

Erstes Abonnementconcert, den 4. October.

Ouverture zum Vampyr von Marschner. — Arie von Bellini. — Concert für Violine [E moll] von F. David. — Arie von Bellini5. — Heroische Symphonie von Beethoven.

Die Wahl gerade der furiösen Vampyr-Ouverture zu Anfang des ganzen Cyklus konnte befremden; eine etwa von Gluck hätte auch uns besser gefallen. Indeß zählt jene von Marschner noch immer ihre Freunde, selbst Freundinnen im Publicum und bleibt trotz der heftigen Anklänge an Weber ein frisches effectvolles Musikstück. Ueberdies war die Ausführung eine so ausgezeichnete, wie sie je gehört worden. Die beiden Arien von Bellini aus den Puritanern und aus Norma sang Frl. Sophie Schloß, die uns diesen Winter das zweitemal besucht; ihre Stimme ist frisch und stark wie früher und machte sich namentlich in der ersten Arie geltend. Ueber die Wahl gerade jener Bellinischen Arien zu Anfang eines ersten Concerts ließe sich ebenfalls rechten. Haben wir leider keinen Ueberfluß an deutschen Concertstücken für den Gesang, so doch noch genug, um jener ganz entbehren zu müssen, zumal in einem ersten Concert. Und schützt man vor, Mozart, Weber und Spohr seien schon so oft gehört worden, nun so gehe man weiter zurück. In Händels Oratorien, in Glucks Opern liegen noch genug Schätze, zu deren Hebung es gerade einer so starken, gesunden Stimme bedarf, wie sie die genannte Sängerin besitzt. — Eben hören wir, daß sie ehestens aus der Iphigenie singen wird, was ihr nur zur Ehre wie uns zur Frende gereichen kann. — In dem Violinconcert zeigte sich Hr. Uhlrich wieder allen Lobes würdig; sein Spiel hat von Jahr zu Jahr an Sicherheit, Reinheit und Geschmack zugenommen und wirkt durchaus wohlthuend. Von der Composition sagte uns namentlich der letzte Satz zu; im Streben. auch die Orchesterpartie interessant zu machen, thut aber der Componist wohl hier und da zu viel, was indeß nicht abhalten kann, dem Streben an sich gegenüber der faden Begleitungsweise anderer Violincomponisten vollen Beifall zu schenken. In der Symphonie von Beethoven endlich fühlten wir uns wieder im alten Leipziger Concertsaale, der schon so oft von ihr erzittert.

{285} Das Orchester war trefflich. Hr. CM. David stand an der Spitze, da Hr. MD. Mendelssohn von seiner Reise nach England noch nicht zurück war. {{Right|13.

Zweites Abonnementconcert, den 11. October.

Ouverture zu Euryanthe von Weber. — Arie von Donizetti. — Concertino für Baßposaune von C. G. Müller. — Arie von Bellini. — Symphonie (B dur) von Beethoven.

Der Dirigent wurde bei seinem Vortreten mit Beifall begrüßt, worin wir von Herzen einstimmten. Auf Webers Compositionen ist seit MD. Mendelssohns Direction in Leipzig besonderer Fleiß verwendet worden, und dem Orchester geschieht darnach immer die Ehre, die Virtuosen wie größere ausführende Massen immer am liebsten wünschen und am ungernsten gewähren, die des Dacapo-Rufes. Auch heute fehlte wenig, und vielleicht hielt davon nur die Spannung auf die folgende Nummer ab. Eine junge Sängerin war angekündigt, der der Ruf großer Schönheit und schon bedeutender Kunstbildung vorangegangen war: Frl. Elise List. Aus einer höchst achtbaren Familie abstammend, hat sie schon als Kind den andern Welttheil gesehen, brachte darauf einige Jahre in Leipzig zu, wo ihr Vater,* nordamerikanischer Consul hierselbst, sich namentlich um die Errichtung der Eisenbahn das höchste Verdienst erworben, und kam uns zuletzt von Paris zurück, wo sie die letzten Jahre verlebt hatte. Es mußte dies alles das Interesse an der anmuthigen Erscheinung erhöhen. Ihre Befangenheit war groß; die Zeitschrift erwähnte bereits früher, es war ihr erstes Auftreten. An der Schönheit der Stimme, wie sie auch durch die Aengstlichkeit umflort schien, konnte Niemand zweifeln, der nur einige Tacte gehört, ebcnso wenig über die gute Schule, in der sie gebildet ist.** so daß man deutlich sah, die Sängerin wollte nichts, als was sie sicher konnte. Aber freilich, was man unter vier Augen auf das Trefflichste kann, kann man unter tausenden noch nicht zur Hälfte so gut, uud geht dies bedeutenden Künstlern und Männern so, um wie viel mehr einer Novizin, einem achtzehnjährigen Mädchen. Nur Rohheit kann dies übersehen. Achtung vor unserm Publicum, das die schöne schüchterne Jungfrau auf das Wohlwollendste aufnahm; und fanden sich die getäuscht, denen leeres Passagen- und Trillerwerk

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      * Der bekannte Nationalökonom Friedrich List. 
    ** bei Lablache und Bordogni


{286} über die Aussprache eines höchst edlen Organs geht, so gibt es doch in unserer gebildeten Stadt noch genug, die Dutzendtalente von originalen Erscheinungen zu unterscheiden wissen, und den letzteren dürfen wir die junge Sängerin mit Ueberzeugung beizählen. Was sie noch nicht hat, läßt sich erwerben, was sie aber hat, erwirbt sich nicht. Daran halte sie fest und gehe die begonnene Bahn mit Muth weiter. Nach ihr hörten wir einen Meister, der freilich schon hundertmal und öfter im Feuer gestanden: Hrn. Queißer, den Posaunisten, der ebenfalls gleich bei seinem Auftreten mit Beifall empfangen wurde. Seine Meisterschaft scheint sich jahraus jahrein gleich zu bleiben und macht in ihrer Unfehlbarkeit oft einen grandios lustigen Eindruck. Zum allerschönsten schloß die B dur-Symphonie mit der Wirkung, die alle Beethovenschen machen: ob denn nämlich die eben gehörte nicht auch seine schönste sei. Von Neuem wurden wir nach der Symphonie von einem Meister der Kunst auf den Schluß des ersten Satzes aufmerksam gemacht; es ist hier offenbar ein Tact zu viel. Man vergleiche die Partitur S. 64, Tact 2, 3, 4. Bei der vollkommenen Aehnlichkeit in allen Stimmen ist ein Irrthum von Seiten des Copisten, selbst des Componisten, sehr leicht möglich. Beethoven mochte sich auch, nachdem er ein Werk vollendet, um das Folgende nicht weiter kümmern. Wer die Originalpartitur besitzt, sehe der Sache zu Liebe nach; an sie müssen wir uns natürlich zuerst halten.* {{Right|13.

Drittes Abonnementconcert, den 22. October.

Symphonie (Es dur) von Mozart. — Arie von Donizetti. — Concert für Violine [D dur] von F. David. — Ouverture zum Berggeist von L. Spohr. — Arie von Balse. — „Klänge aus Osten“, Ouverture, Lieder und Chöre von H. Marschner.

Die Symphonie ist bekannt, namentlich das Andante, das, einmal gehört, sich nicht leicht wieder vergißt; auch erhielt dieser Satz den meisten Beifall, die anderen gingen stiller vorüber. Die Arie von Donizetti, ein brillantes Stück, brachte der Sängerin Frl. Schloß den rauschendsten Beifall; sie sang fertig, sehr sorgsam, und mit einer Stimmenkraft, wie sie zur Zeit keine andere Sängerin hier besitzen mag. Der Spieler des Concertes wurde mit lautem Gruß empfangen; er war zugleich der Componist, die Composition übrigens eine neue

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          * Vgl. den Aufsatz: „Ueber einige muthmaßlich corrumpirte Stellen“ S. 344.  [Sch. 1852.]

{287} und zum erstenmal von ihm öffentlich gespielt und gehört. Gewiß ist es einer freundlichen Anerkennung werth, wie Herr CM. David das Gewandhauspublicum jeden Winter mit etwas Neuem erfreut; es zeugt dies immer von einer Aufmerksamkeit, wie sie, die einmal in ihrem Amte feststehen, nicht überall besitzen. An Tendenz und Gehalt reiht sich die Composition übrigens ähnlichen früheren genau an, d. h. der Virtuos will zeigen, daß er auch zu componiren weiß, und umgekehrt der Componist auch den Virtuosen glänzen lassen. Jenes Zuviel in der Begleitung, das wir schon neulich bemerkten, fiel auch in dieser Composition wieder auf, wie auch diesmal der letzte Satz der gelungenste und wirkungsvollste erschien. Das Publicum rief den Künstler nach dem Schlusse noch einmal hervor, was hier immer als eine Seltenheit anzusehen. Die Ouverture von Spohr machte wenig Eindruck; die zu Jessonda hat ungleich mehr Freunde, auch die zu Faust wünschten wir wohl einmal wieder im Gewandhaus zu hören. — Die Arie nennt uns einen hier noch nicht vorgekommenen Namen, der in Gottes Namen auch fernerhin ausbleiben mag; es ist gewässerter Rossini, der Componist übrigens ein Engländer, dessen Opern in England Glück gemacht haben. Zum Theil an der mittelmäßigen Composition, zum Theil auch an der noch immer großen Befangenheit der Sängerin* lag es, daß die Nummer kein Glück machte. Es thut uns leid um das junge ausgezeichnete Talent, das deshalb die schiefsten Urtheilc erfahren mußte. Die Angst, wie man weiß, ist namentlich den höheren Tönen gefährlich und es mißlang der Sängerin einigemal ein Einsatz, wie es schon tausend anderen Anfängerinnen vor ihr geschehen. Deshalb wollen wir aber doch nicht die wunderreine Intonation im Ganzen vergessen, die die Sängerin gerade auszeichnet, auch nicht den Schmelz der Stimme, der noch durch alle Aengstlichkeit wohlthuend hindurchdringt, ein Schmelz, der an das Organ der Pauline Garcia erinnert. Dagegen möchten wir um etwas Anderen willen in die Sängerin dringen: sie nimmt durchgehends zu langsame Tempos; sie versuche sich schneller, es wird ihr gelingen. Selbstvertrauen und Muth sind besondere Künste in der Kunst, sie übe sich auch darin. In seinen vier Wänden soll der Künstler bescheiden gegen sich sein, fleißig auf das Gewissenhafteste; dem Publicum gegenüber zeige er aber Muth, selbst ein wenig fröhliche Keckheit, und der Liebling ist fertig.

Zum Schluß des Abends hörten wir noch eine Composition (noch

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           * Frl. Elise List.


{288} Manuscript) von H. Marschner; sie verhieß etwas ganz Neues und gab es auch in der Form. „Klänge aus Osten“ war sie genannt und brachte eine Ouverture, Lieder und Chöre, die sich ohne Unterbrechung an einander reihten. Berlioz in Paris scheint in seiner letzten Symphonie etwas Aehnliches gewollt zu haben, nur daß er sie auf ein weltbekanntes Drama (Romeo und Julie) stützte. Das Gedicht zur Marschnerschen Composition beruht auf einem orientalischen Liebesverhältnisse, das indeß vom Dichter ziemlich prosaisch und allgemein gehalten. Außer dem Liebespaar tritt noch ein Wahrsager auf, dessen andfängliches Erscheinen man sich später vielleicht motivirt wünschte, ein Volks- und ein Räuberchor. Wie gesagt, hätte vielleicht ein Rückert dem Componisten die Hand zum Werke geliehen, es wäre etwas tiefer Wirkendes zu Tage gekommen. Immerhin müssen wir den Anfang loben, zu dem sich der Componist ermuthigt fühlte, den Andere nur weiterzuführen brauchen, um den Concertsaal mit einer neuen Gattung Musik zu bereichern. Die Composition hat viel reizende Partieen; dies gilt im Einzelnen von der Ouverture, die im Ganzen durch Kürzung gewinnen würde. Der Hauptrhythmus ist ein namentlich für orientalische Zustände schon öfter gebrauchter; doch erscheint er einmal von einem Violingange durchwunden, was sich aus das Schönste ausnahm. Am Schlusse ist zu viel Lärm. Der Zigeunergesang gefiel mit der hinausziehenden großen Terz am Schluß, mehr noch das Ständchen, das von allen Nummern die meiste orientalische Färbung hatte, auch Maisunes Lied sprach an, der unbeholfenen Poesie zum Trotz. Der Räuberchor, schien es. wurde nicht gleich von Allen verstanden; er war eigenthümlich. In der Schlußnummer zeichneten sich besonders die Worte: „Asiat, wo bist du“ durch schönen Gesang aus. Das Ganze, das wir später einmal wiederholt wünschten, erhielt lebhaften Beifall. {{Right|13.

Viertes Abonnementconcert, den 29. October.

Introduction und erste Scene aus Iphigenia in Tauris von Gluck. — Concertouverture (A dur, Werk 7) von Julius Rietz. — Arie mit Chor von Rossini. — Divertissement für Flöte von Kalliwoda. — Lieder von Franz Schubert und F. Mendelssohn. — Symphonie (C dur) von Franz Schubert.

„Ein schönes Concert“ hieß es allgemein nach dem Schlusse. An manchen Musiktagen gibt es gar kein Publicum mehr und es scheint nur die rauschende Schleppe, die jeder Bewegung der voranschreitenden

{289} Künstler-Körper und -Geister geschmeidig nachfolgt, während an anderen es ihnen förmlich wie bepelzt und bepanzert gegenüberstellt und nichts einläßt. Der 29ste war einer von jenen Musiktagen. Gewiß trug die Musik einiges dazu bei. Für Gluck schlägt noch manches Herz, wenn er auch im Concertsaal verliert. Die Sängerin that ihr Bestes zum Gelingen: Frl. Schloß, die wir immer vorwärts schreiten sehen. Die Ouverture von Rietz trat diesmal in ihren feinen Desseins noch deutlicher hervor als bei einer früheren Aufführung. Wurde ihr schon damals in diesen Blättern ein bedeutender Ehrenplatz eingeräumt, so scheint dies Urtheil jetzt auch von Seiten des Publicums Bestätigung zu finden; sie wurde mit einer Theilnahme aufgenommen, die den Componisten, wär' er anwesend gewesen, zu neuen Werken anfeuern müßte. So wirke der Beifall auch auf den Entfernten! Lebhaften Beifall gewann sich auch die folgende Nummer durch den anmuthigen Vortrag des Frl. List; ihre Aussprache des italiänischen ist sehr zu rühmen. In den Liedern begleitete sie sich selbst am Clavier; es hat dies bekanntlich einen eigenthümlichen Zauber, der auch hier gewann. Die Lieder waren der „Wanderer“ und „Aus Flügeln des Gesanges“. Das erste sang sie vorzüglich schön; das andere nahm sie ein wenig zu langsam, doch hörte es sich noch immer lieblich genug an. Das Flötenstück war ein altes, das wir uns schon vor zehn Iahren gehört zu haben erinnern, der Spieler ein als trefflich bekannter, Hr. Grenser, erster Flötist im Orchester. So waren wir denn unter erhebendem und heiterem Genusse bis zur Symphonie gelangt, der Krone des Abends. Tausend Hände hoben daran. Hätte es Schubert mit seinen eigenen Augen sehen können, er müßte sich ein reicher König gedünkt haben. So schieden wir trunken von all den schönen Gebilden, die in manchen Seelen sich noch lange nachgespiegelt haben mögen. {{Right|13.

Fünftes Abonnementconcert, den 5. November.

Symphonie (G dur) von Haydn. — Arie von Mozart. — Capriccio für Pianoforte mit Orchester von Ferdinand Kufferath, — Arie von Donizetti. — Zwei Ouverturen (Nr. 1 und 2) zu Leonore von Beethoven. — Drei Etuden für Pianoforte von F. Kufferath. — Duett von Rossini.

Die Symphonie hat, mehr als andere Haydnsche, etwas Zopfiges, die Janitscharenmusik darin sogar etwas Kindisches und Geschmackloses, was wir uns bei aller Liebe für den Meister, der er überall bleibt,

{290} doch nimmermehr verleugnen sollten. Das Scherzo, unserer Meinung nach der Satz, der unserer Zeit am nächsten liegt, wurde sonderbarerweise gerade nicht applaudirt, übrigens alle. Die Arie war die der Gräfin aus Figaro, die Sängerin, Frl. List, die das Recitativ so nobel und fein gesungen, leider nur am Schlusse nicht glücklich damit. Das Publicum hält sich aber immer an das Nächste, also an den Schluß: gelingt der, so hat das Ganze gesiegt. Leider mußte dies heute die Sängerin fühlen und über dem einzigen nicht gelungenen Schluß die schöngelungene erste Hälfte ihrer Leistung vergessen sehen. In der folgenden Nummer trat ein junger, jetzt hier lebender Componist und Clavierspieler, Hr. F. Kufferath aus Köln, zum erstenmale und auf das Achtungswertheste aus. Seine Compositionen zeugten von entschiedenem Talente und von einer edeln Richtung, aus die bewußt oder unbewußt ein uns nahe lebender Meister eingewirkt zu haben scheint. Ein förmlicher Schüler Mendelssohns ist er aber nicht, wie man hier und da hörte. Im Capriccio gefiel uns namentlich die Einleitung; das Allegro hatte keine ganz glückliche Form, es fehlte ihm eine Mittelpartie; wie denn auch die Transposition der erst brillanten Passagen nach der Molltonart am Schlusse nicht und überhaupt selten wirken kann. Das Orchester war geschickt, oft fein, oft auch zu viel und stark bedacht. Der sehr ausgezeichnete Spieler hatte nach dem Capriccio einen succès d’estime. der sich indeß nach den Etuden zu einem herzlicheren mit Hervorruf erhob, obwohl uns selbst die Etuden in der Composition weniger eigenthümlich schienen, namentlich was die eigentliche Grundkraft der Melodie anlangt. In jedem Falle war es ein so ehrenvolles Debut, daß wir dem jungen sehr fleißigen Künstler eine glücklich sichernde Zukunft beinahe versprechen dürfen. — Frl. Schloß war bei prächtiger Stimme und sang mit einer Bravour, daß sie das Publicum in Allarm versetzte und da capo singen mußte. — Die aufgeführten beiden Leonoren-Ouverturen waren beide in C, die eine, wahrscheinlich die erste überhaupt, die Beethoven zu Leonore geschrieben, bei Haslinger in Partitur erschienen, — die andere, jedenfalls die Vorgängerin der großen gedruckten in C, noch Manuscript im Besitze der HH. Breitkopf und Härtel. Die Zeitschrift berichtete schon früher über dieses Vierouverturen-Phänomen vgl. S. 224 und 245 f.). Auch heute schlug zumal die zweite mächtiglich in die Masse ein. Wie kommt es, daß die Besitzer der Partitur so lange mit der Herausgabe zurückhalten? Wir wünschten gern alle Welt dieser Freude theilhaftig. {{Right|13.


{291}

Sechstes Abonnementconcert, den 12. November.

Ouverture (die Waldnymphe von W. Sterndale Bennett. — Arie von C. M. von Weber. — Solo für Violoncell von B. Romberg. — Cavatine von Mozart. — Phantasie für Violoncell von Kummer. — Recitativ und Schlußchor aus der Schöpfung von Haydn. — Symphonie (A dur) von Beethoven.

Bennetts reizende Ouverture eröffnete den Abend; wer sie noch nicht gehört, mag sie sich einstweilen als einen Blumenstrauß denken: Spohr gab Blumen dazu, auch Weber und Mendelssohn, die meisten aber Bennett selbst, und wie er sie nun mit zarter Hand geordnet und gestellt zum Ganzen, gehört ihm vollends eigen. Das Orchester trug mit Liebe bei, daß nichts daran verletzt wurde. — In der Freischütz-Arie (Wie nahte mir der Schlummer) brillirte Frl. Schloß und gefiel sehr, ebenso in der Mozartschen aus Figaro. Man sieht, die Sängerin strebt immer vorwärts und auch nach Vielseitigkeit. — Die Violoncellstücke spielte ein Gast, Herr Kammermusikus Griebel aus Berlin. Das erste warf einen Zankapfel ins Publicum. Nach dem Schlusse ließ sich nämlich durch das Klatschen hindurch auch Zischen hören, was wohl zumeist der Wahl der Composition galt, einer überaus langweiligen in der That. So entspann sich denn ein ziemlich hartnäckiger Kampf zwischen Händen und Lippen, in dem indeß die ersteren den Sieg davon trugen. Offenbar animirte dies den Spieler, der dann auch sein zweites Stück unangefochten, sogar mit rauschendem Beifall zu Ende brachte. Die Kunstleistung an sich war keine außergewöhnliche, immer aber schätzens- und gewiß keines Zischens werth. Die Nummern aus der Schöpfung, der alten herrlichen, werden immer mit Freude gehört; der Tenor war ein neuer, Hr. Pielke, der Hoffnungen gibt, die andern Solostimmen Frl. Schloß und Hr. Weiske. Zum Schluß die Symphonie in A, über die wir nicht wiederholen wollen, was Alle wissen. {{Right|13.

Siebentes Abonnementconcert, den 26. November.

Symphonie (H moll) von Kalliwoda. — Arie von Donizetti. — Phantasie für Clarinette von Reißiger. — Ouverture zu dem Freischütz von Weber. — Concertino für Violine von Mayseder. — Scene mit Chor von Rossini.


{292}

Concert für den Institutsfonds für alte und kranke Musiker,

den 3. December.

Jubelouverture von Weber. — Arie von Mozart. — Phantasie für Pianoforte, Chor und Orchester von Beethoven. — Lobgesang, eine Symphoniecantate von F. Mendelssohn Bartholdy.

Im siebenten Abonnementconcert hörten wir wieder Kalliwodas neuste Symphonie, die der Componist im vorigen Jahre hier zum erstenmal selbst aufführte. Schon damals berichtete die Zeitschrift vom besondern Ton, der in ihr weht, wie von der zarten Instrumentirung, die den immer vorschreitenden Musiker bekunde. Auch heute wirkte die Symphonie auf das Anmuthigste, wenn auch nicht so feurig, wozu damals sicher die persönliche Leitung des Componisten beitrug; gespielt und geleitet wurde sie übrigens auf das Vorzüglichste. Das Werk ist vor Kurzem im Druck erschienen und liegt uns zur genauern Besprechung vor. Die übrigen Nummern des Concerts boten weniger neues Interesse. Die Donizettische Arie war gänzlich musiklos, wurde von der Sängerin auch nicht mit dem Glück und dem Applaus gesungen wir anderes italiänische. Sehr gut blies Hr. Heinze sein Clarinettstück; er wie auch der Violinspieler Hr. Sachse mit seinem Debut wurden freundlich aufgenommen. Die Freischützouverture schlug wie gewöhnlich durch; ebenso das Finale aus Semiramis bei dem italiänischen Theil des Publicums. —

Ausgezeichnets von schönster Composition und Ausführung brachte das gestrige Condert für den Institutsfonds. Das Directionspult war mit Blumenkränzen geschmückt; eine Huldigung zur besten Stunde für den Meister, der so oft von dieser Stelle gewirkt zum Preise wahrer Kunst, der auch heute zur Verherrlichung des Concerts mit einem eigenen Werke beigetragen. Wie er dann auftrat, erhob sich das ganze Publicum und Orchester in Begeisterung, daß es eine Freude war zu sehen und zu hören. Die Jubelouverture war nur die Übersetzung dieser Stimmung in Musik; der Jubel wollte nicht enden. Solch’ freudiges musikalischesw Leben auf der Höhe zu erhalten, wäre vielleicht nur einer Malibran, einer Devrient möglich gewesen. Fr. Schloß sang gut, doch etwas nüchtern; man fühlte es wohl allgemein. Auch Hr. Kufferath spielte nicht energisch genug, obwohl immer musikalisch und als guter Künstler. Gerade diese außerordentliche Composition Beethovens, in der der Spieler kaum mehr als ein zwischen große Volksmassen gestellter Redner ist, verlangt — im Bilde zu bleiben — gute Lungen, um auch im Einzelnen durch das Ganze


{293} hindurch verstanden zu werden. Die Totalwirkung war erhebend. Es folgte das Hauptstück des Abends, Mendelssohns Lobgesang, der, schon zur Gutenbergfeier hier aufgeführt, für das heutige Concert vom Componisten mit erhöhter Wirkung an einigen Stellen, wie wir glauben, verändert war.* Alles Lob über die herrliche Composition, wie sie war und wie sie nun ist! Schon früher sprachen wir es aus. Was den Menschen beglückt und adelt, finden wir hier beisammen, fromme Gesinnung, Bewußtsein der Kraft, ihre freiste, natürlichste Aeßerung; die musikalische Kunst des Meisters, die Begeisterung, mit der er gerade an diesem Werke arbeitete, namentlich da, wo der Menschenchor die Hauptrolle bekommt, nicht weriter in Anschlag zu bringen. Wir dürfen dies Lob nicht ohne eines für sammtliche Mitwirkende beschließen, namentlich auch für die Solostimmen, Frau Dr. Frege, Frl. Schloß und Hrn. Schmidt. Nur ein Gedanke, dem Künstler für seine Arbeit zui danken und zu vergelten durch sorglichste Liebe in der Darstellung, schien Alle zu beseelen. Das Ende des Concerts war nur der Anfang; es fehlte nur, daß man die Blumenkränze abgerissen und dem Meister um die Schläfe geschlungen hätte. {{Right|13.

Achtes Abonnementconcert, den 10. December.

Symphonie (in F) von Beethoven. — Adagio und Rondo für Pianoforte [W. 5] von Thalberg. — Finale aus W. Tell von Rossini. — Ouverture [zu Lodoiska] von Cherubini. — Zwei Etuden für Pianoforte von Henselt und Chopin. — Ensemble aus Cortez von Spontini.

Von den Beethovenschen Symphonieen wird die in F wohl am wenigsten gespielt und gehört; selbst in Leipzig, wo sie sämmtlich so heimisch, fast populär sind, hegt man ein Vorurtheil gerade gegen diese, der doch an humoristischer Tiefe kaum eine andere Beethovens gleichkommt. Steigerungen, wie gegen den Sschluß des letzten Satzes hin, sind auch im Beethoven selten, und zum Allegretto in B kann man auch nichts als — still sein und glücklich. Das Orchester gab ein Meisterstück; selbst das verfängliche Trio mit der sonderbar tröstenden traurigen Hornmelodie ging gut von statten. — Das Clavierstück spielte, und zwar zum erstenmal an dieser Stelle, Frl. Amalie Rieffel aus Flensburg, ein junges, kaum achtzehnjähriges Mädchen. Nach ihrem ersten Auftreten sich einen Schluß auf ihre ganze Kunstfertigkeit zu bilden, würde der jungen Künstlerin wohl selbst am unliebsten sein, so aufmundernd auch der große Beifall für sei gewesen sein muß, den sie namentlich nach dem Stück von Thalberg erhielt.

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      *  Vier Nummern waren noch hinzucomponirt. 


{294} Sie leistet aber bei Weitem mehr, wie der Berichterstatter privatim erfahren hat; ihre Fertigkeit ist sehr groß, ihr Vortrag eigenthümlich, oft poetisch, wie sie denn ihre Kunst überhaupt mit ganzer Hingebung verfolgt und mit einem eisernen Willen, der ihr trotz eines beinahe ungestümen Künstlertemperaments eigen geblieben. Von letzterem zeigte wohl am meisten ihr Spiel der Etuden, die sie in unerhörter Schnelligkeit nahm, wobei denn freilich manches verloren ging. Der Beifall blieb zwar auch nach den Etuden nicht aus; doch war er nach dem Concertstück jedenfalls allgemeiner und herzlicher. Das letzte Mal ist es gewiß nicht, daß ihr Name in diesen Blättern vorkommen wird; sie hat noch eine reiche Zukunft vor sich. — Ueber die größeren Ensemblestücke von Rossini und Spontini haben wir, als über bekannte Compositionen, nichts zu erwähnen. Nur bei der Ouverture von Cherubini fiel uns wieder ein, ob denn dieser große Mann und Meister nicht noch zu wenig gekannt und geschätzt ist, und ob es nicht gerade jetzt, wo das Verständniß seiner Compositionen durch den Weg, den die neue bessere Musik genommen, uns um vieles näher gebracht ist, an der Zeit wäre, ihn wieder mehr hervorzusuchen, der zu Beethovens Lebzeiten gewiß der zweite Meister der neueren Tonkunst, nach desssen Tode wohl als er erste der lebenden zu betrachten ist. {{Right|13.

Neuntes Abonnementconcert, den 16. December.

Ouverture zu Oberon von Weber. — Arie aus Figaro von Mozart. ― Sonate für Pianoforte und Violine von Beethoven. — Lobgesang von F. Mendelssohn Bartholdy.

Der Berichterstatter weiß über das Concert nur wenig mitzutheilen; schon lange vor dem Anfange war kein Platz zu bekommen. Um kurz zu sein, S. M. der König von Sachsen hatte sich als Besucher des Concerts angemeldet. Grund genug, das Beste vorzuführen. Es war ein wahres königliches Concert. Die Arie sang Frl. Schloß; die Sonate, die große in A, spielten Hr. MD. Mendelssohn und Hr. CM. David. Wie uns berichtet wurde, sprach S. Majestät der König gegen die Künstler persönlich seinen Dank aus, den er zum Schluß des Lobgesanges, an das Orchester tretend, dem Componisten auf das Huldvollste wiederholte. Es war ein Lorbeer anderer Art, der den hohen Geber wie den empfangenden Künstler gleichviel schmückt. Das Publicum verhielt sich während des ganzen Abends in achtungsvoller Stille, die nur beim Eintritte des Regenten durch einen jubelnden Zuruf, wie nach dem Lobgesang durch eine freudig dankende Begrüßung des Werkes unterbochen wurde. {{Right|13.

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                  1841.

{296}

[leer]


{297}

Die Abonnementconcerte in Leipzig von 1840—1841.

Zehntes Abonnementconcert, den 1. Januar 1841.

Krönungs-Hymne von Händel. — Ouverture von Mozart. — Variationen für Violine von Vieuxtemps. — „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von Beethoven. — Solo für Violine von Bériot. — Variationen für Flöte von Böhm. — Symphonie (C moll) von Beethoven.

Mit Händels frohen, feierlichen Klängen sei Allen denn ein „glückliches neues Jahr“ zugerufen; die Stätte, wo sie erklangen, bleibe auch fernerhin der wahren Kunst ein treuer Heerd. und die ihr vorstehen, noch lange ihre warmen Beschützer! Daß sie mit Händel eingeweiht wurde, sei uns ein gutes Omen: und auch der Anwuchs jüngerer Künstler sei von ihr nicht ausgeschlossen, im Sinne des Altmeisters, der, wie jeder wahre, keinen vom Altare zurückweisen würde, der ein reines Streben mitbringt. Nur das Häßliche sei wie der ewige Jude, dem sich nirgends ein gastliches Thor erschließt.

Dem Hymnus folgte die Ouverture zur Zauberflöte, die wohl auch nach Jahrhunderten noch erklingen und entzücken, jenes spielende selige Wunderkind, das, Licht und Freude spendend, immer wo wieder auftauchen wird trotz Nebel und Finsterniß. Auch heute wirkte sie so. Der Beifall kam wie aus einem Herzen.

Ueber den Violinspieler Hilf, der die folgenden Variationen spielte, seinen merkwürdigen Lebenslauf, berichtete dies Blatt schon früher;* er hat sich vom Handwerker zum Künstler emporgearbeitet, während es bei andern umgekehrt ist und leider im metaphorischen Sinn. Schon im vorigen Jahre mit großer Theilnahme aufgenommen,

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      * Vgl. Seite 248 f.   [Sch. 1852.]

{298} bestätigt er immer mehr die Erwartungen, die man sich von ihm gemacht, nähert er sich immer mehr der Meisterschaft.* Sein Spiel, noch so frisch wie früher, hat auch an Zartheit gewonnen. Im Uebrigen war die Wahl der Stücke, die uns noch vom Spiel der Componisten her in Erinnerung, allerdings eine gewagte. Das Publicum spendete indeß reichsten Beifall und mit gerechtem Sinne; denn auch der Bildungsgang des Künstlers muß hier in Betracht kommen. Statt der erst angekündigten Arie aus Fidelio war der Beethovensche Chor untergestellt — vielleicht ohne Probe, denn er ging nicht ganz gut. Ein zweites Impromptu erschien, ein artiger Knabe mit der Flöte in der Hand, Namens Heindl; kaum über zwölf Jahr alt, spielt er sein Instrument mit einer Meisterschaft, die auf diesem Instrumente auch nicht das Unnatürliche hat wie z. B. die Richard Lewys auf dem Horne. Man gebe ihm später auch andere Instrumente in die Hand, sein Spiel verräth mehr als gute Lungen und bloses Virtuosentalent. Es wäre schade um den musikalischen Knaben. Seine Familie stammt übrigens aus Würzburg und soll noch eine Menge musikalischer junger Talente in ihrer Mitte besitzen.

Die C moll-Symphonie von Beethoven beschloß. Schweigen wir darüber! So oft gehört im öffentlichen Saal wie im Inneren, übt sie unverändert ihre Macht auf alle Lebensalter aus, gleich wie manche große Erscheinungen in der Natur, die, so oft sie auch wiederkehren, uns mit Furcht und Bewunderung erfüllen. Auch diese Symphonie wird nach Jahrhunderten noch wiederklingen, ja gewiß ja lange es eine Welt und Musik gibt. {{Right|13.

Elftes Abonnementconcert, den 7. Januar 1841.

Ouverture von Beethoven. — Arie von Mozart. — Concertino für Violoncell von Lindner. — Scene und Arie von Meyerbeer. — Capriccio für Violoncell von Romberg. — Historische Symphonie von Spohr.

Die interessanteste Nummer des Concertes war unstreitig die letzte und das ganze Publicum darauf gespannt. Der Zettel nannte sie: „Historische Symphonie im Stil und Geschmack vier verschiedener Zeitabschnitte. Erster Satz: Bach-Händelsche Periode, 1720. Adagio.

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         * „Aus aller Welt Enden wollen sie jetzt herkommen und Stunde bei mir nehmen, weil sie Hilfe bei mir suchen“, scherzte David, Hilfs Lehrer, einmal gegen Mendelssohn.

{299} Haydn-Mozartsche, 1780. Scherzo: Beethovensche, 1810. Finale: allerneuste Periode, 1840.“ Diese neue Symphonie Spohrs ist, irren wir nicht, für das Londoner philharmonische Concert geschrieben, dort auch zum erstenmal vor etwa Jahresfrist gegeben und. müssen wir hinzusetzen, auch in England schon stark angegriffen worden. Wir fürchten, auch in Deutschland werden harte Urtheile darüber fallen. Eine merkwürdige Erscheinung bleibt es gewiß, daß in unserer Zeit schon mehrere Versuche gemacht wurden, uns die alte vorzuführen. So gab vor drei Jahren O. Nicolai in Wien ein Concert, in dem er gleichfalls eine Reihe „im Stil und Geschmacke anderer Jahrhunderte“ geschriebener Compositionen aufführte. Moscheles schrieb ein Stück zu Händels Ehren und in seiner Weise. Taubert gab neuerdings eine „Suite“ heraus, ebenfalls auf alte Formen hinzuweisen u. dgl. mehr. Selbst Spohr hatte seiner Symphonie schon ein Violinconcert „Sonst und Jetzt“ vorausgehen lassen, in dem er etwas Aehnliches beabsichtigt wie in jener. Man kann nichts dagegen haben; die Versuche mögen als Studien gelten, wie ja die Gegenwart neuerdings ein Wohlgefallen am Roccoco-Geschmack zeigt.* Aber daß gerade Spohr auf die Idee fällt, Spohr, der fertige abgeschlossene Meister, er, der nie etwas über die Lippen gebracht, was nicht seinem eigensten Herzen entsprungen, und der immer beim ersten Tone zu erkennen, — dies muß wohl Allen interessant erscheinen. So hat er denn auch seine Aufgabe gelöst, wie wir es beinahe erwarteten; er hat sich in das Aeußere, die Form verschiedener Stile zu fügen angeschickt; im Uebrigen bleibt er der Meister, wie wir ihn lange kennen und lieben; ja es hebt gerade die ungewohnte Form seine Eigenthümlichkeit noch schreiender hervor, wie denn etwa ein irgend von der Natur Ausgezeichneter sich nirgends leichter verräth, als wenn er sich maskirt. So ging Napoleon einstmals auf einen Maskenball und war kaum einige Augenblicke da, als er schon — die Arme ineinanderschlug. Wie ein Lauffeuer ging es durch den Saal: „der Kaiser!“ Aehnlich konnte man bei der Symphonie in jedem Winkel des Saales den Laut Vorlage:Im Sinne von: Ausruf „Spohr“ und wieder „Spohr“ hören. Am besten, schien es mir. verstellte er sich noch in der Mozart-Haydnschen Maske; der Bach-Händelschen fehlte dagegen viel von der nervigen Gedrungenheit der Originalgesichter; der Beethovenschen aber wohl alles. Als völligen Mißgriff möchte ich aber

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     * Hier und in den folgenden vierzehn Zeilen sind ein paar Ausdrücke nach dem Citat geändert worden, das Schumaun aus diesem Concertbericht in die Besprechung der gedruckten Symphonie Jahrg. 1813 einflocht.


{300} gar den letzten Satz bezeichnen. Dies mag Lärm sein, wie wir ihn wohl oft von Auber, Meyerbeer und ähnlichen hören; aber es gibt auch Besseres, Windigeres, jene Einflüsse Paralysirendes genug, daß wir die bittere Absicht jenes letzten Satzes nicht einzusehen vermögen. Ja Spohr selbst darf sich nicht über Nicht-Anerkennung beklagen. Wo gute Namen klingen, klingt auch seiner mit, und dies geschieht noch an tausend Stellen täglich. Im Uebrigen, versteht sich, ist der Bau der einzelnen Sätze, den letzten etwa ausgenommen, ausgezeichnet, und namentlich die Instrumentation, deren Kunst zu entwickeln die Idee des Ganzen gewiß auch sehr günstig, des Meisters würdig. Auf das Ganze des Publieums machte, wie es schien, die Symphonie keinen, wenn nicht einen ungefälligen Eindruck. Da sie übrigens ehestens im Drucke erscheint, wird bald Jeder sein Urtheil über das Curiosum, das es ist und bleibt, feststellen können.56 — Denselben Abend kam auch eine sehr selten gehörte und noch weniger verstandene Ouverture, Werk 115, von Beethoven zur Aufführung, für die wir besonders dankbar sein müssen. Das war vom echtesten Beethoven, wie er freilich nie in eine historische Symphonie zu bannen sein wird. — Zwei Virtuosengäste von auswärts gaben außerdem noch Solo-Nummern: Frl. Marx, Hofsängerin aus Dresden, und Hr. Lindner, Kammermusiker aus Hannover: beide neu für uns. Die Erstere zeigte sich als entschieden talentvolle Sängerin, schon auch mit schöner Kunst- und Stimmbildung, und erwarb sich großen Beifall, daß sie über das Versprochene und da capo singen mußte. Unter weniger gutem Stern spielte der Violoncellist; er hätte bessere Compositionen wählen sollen, im Uebrigen zeigte er sich als ein ganz tüchtiger Virtuos. {{Right|13.

Zwölftes Abonnementconcert, den 14. Januar.

Ouverture von Weber. — Arie von Mercadante. — Divertissement für Hoboe von Diethe. — Arie von Beethoven. — Concert [G dur] für Pianoforte von Beethoven. — Symphonie (D moll) von F. Lachner.

Die Ouverture war die reizende zu Preciosa. Einfür allemal wird vom Ref. bemerkt, daß, wo nicht besondere Bemerkungen gemacht sind, es sich von selbst versteht, daß die Aufführungen von Seiten des Orchesters immer trefflich von statten gehen, ja meistens die Glanzpuncte des Abends bilden. Das weiß das Orchester auch


{301} schon und hält sich danach. Bedauern müssen wir nur den Verlust des früheren Paukers, eines wahren Helden auf seinem Instrumente, der sich zum jetzigen und zu anderen wie das Genie zu blosen Talenten verhält. Vielleicht wird er dem Concertsaale wieder zurückerstattet.* Sein Wirbel in der B dur-Symphonie, einige Stellen in Mendelssohnschen Ouverturen u. s. w. sind bis jetzt schwerlich übertroffene Meisterstücke, wie man sie kaum in Paris und Newyork hören kann. Man lasse ihn nicht außer Kunst. — Die Perle des heutigen Concertes war das Beethovensche Concert. Hr. MD. Mendelssohn Bartholdy spielte es. Wie denn durch ihn viele von der Bornirtheit übersehene Werke ihr Auferstehungsfest feiern, so hat er jetzt wieder diese Composition ans Licht gebracht, Beethovens vielleicht größtes Clavierconcert, das in keinem der drei Sätze dein bekannten in Es dur nachsteht. Die von Mendelssohn in beiden Sätzen eingeflochtenen Cadenzen waren, wie immer, besondere Meisterstücke im Meisterstücke, die Rückgänge zum Orchester beidemal überraschend zart und neu. Das Publicum stürmte sehr nach dem Concert. — Frl. Schloß erfreute uns namentlich in der gar herrlichen Arie aus „Fidelio“ mit der Hörnerbegleitung. — Herr Diethe spielte ein eigenes, mehr Compositionsliebe als Virtuoseneitelkeit verrathendes Divertissement, was wir 'gar nicht tadeln wollen. — Die Symphonie von F. Lachner, seine dritte, ward vom Publicum bei Weitem günstiger aufgenommen als frühere Compositionen desselben, wie sie denn auch uns sein bestes symphonistisches Wert scheint; sie ist schon lange gedruckt und bereits ausführlicher besprochen.**

Die nächsten Concerte werden sogenannte historische sein und beginnen mit Joh. Seb. Bach und Händel; wir werden darüber in einem besonderen Artikel berichten. {{Right|13.

Dreizehntes bis sechszehntes Abonnentconcert

[den 21. u. 28. Januar, den 4. u. 11. Februar].

Das dreizehnte und die drei folgenden Concerte brachten nur Werte deutscher Componisten und zwar unserer größten: Bach,

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     * Der Pauker E. Pfundt war seines Postens im Orchester zeitweilig enthoben worden; vom Winter 1841/42 an wurde er für immer in seine Thätigkeit wieder eingesetzt.
   ** Vgl. Seite 75 ff.   [Sch. 1852.]


{302} Händel, Haydn, Mozart und Beethoven. Bach und Händel füllten einen Abend, die anderen jeder einen. Daß die Auswahl sinnig, daß jeder der Meister durch bezeichnende Compositionen vertreten war, kann man glauben, wo ein Meister gewählt hatte, der, wie Mendelssohn, ihre Werke so durch und durch kennt, wie vielleicht Niemand der Zeitgenossen weiter, der wohl im Stande wäre, alles an jenen schönen Abenden Vorgeführte aus dem Gedächtnisse in Partitur zu schreiben.

Von einer Kritik, von Lob und Tadel der Compositionen kann im Uebrigen wohl keine Rede sein, doch mag, wie die Auswahl getroffen war, manchem auswärtigen Kunstfreunde von Interesse sein und vom Geschmacke, mit dem jene Concerte geordnet waren, ein Zeugniß geben.

Das Bach-Händelsche Concert brachte im ersten Theile: Die chromatische Phantasie, von F. Mendelssohn gespielt, die doppelchörige Motette: „Ich lasse dich nicht“, Chaconne für Violine allein, von F. David gespielt, und das Crucifixus, Resurrexit und Sanctus aus der großen Messe in H moll,

alles von Bach, und fast zu viel des Herrlichen. Den tiefsten Eindruck machte vielleicht das Crucifixus, aber auch ein Stück, das nur mit andern Bachschen zu vergleichen ist, eines, vor dem sich alle Meister aller Zeiten in Ehrfurcht verneigen müssen. Die Motette „Ich lasse dich nicht“ ist mehr bekannt;57 in so vollendeter Aufführung war sie indeß hier noch nicht gehört worden, daß sie in dieser Frische und Klarheit eine ganz andere schien. Die Solostücke brachten den Spielern feurigen Beifall, was wir zum Beweise anführen, daß man mit Bachschen Compositionen auch im Concertsaale noch enthusiasmiren könne. Wie freilich Mendelssohn Bachsche Compositionen spielt, muß man hören. David spielte die Chaconne nicht minder meisterlich und mit der seinen Begleitung Mendelssohns, von der wir schon früher einmal berichteten. Den zweiten Theil des Concerts füllte Händel. Wär' es kein Verstoß gewesen, so hätten wir ihn vor Bach zuhören gewünscht. Nach ihm wirkt er minder tief. Die gewählten Stücke waren:

Ouverture zum Messias, Recitativ und Arie mit Chor ebendaher, von Frl. Schloß gesungen, Thema mit Variationen für Clavier [E dur], von Mendelssohn gespielt, und Vier Doppelchöre aus Israel in Egypten.


{303} Neu davon war die dritte Nummer, unter Mendelssohns Händen von reizend naiver Wirkung. In diesen wie in den Bachschen Chören, sowie in den späteren drei Concerten, wirkte übrigens eine bedeutende Anzahl Dilettanten mit, was einer dankbaren Erwähnung bedarf.

Das Concert des 28. Januar war Haydn gewidmet. So Mannichfaltiges das Programm enthielt, so mag doch Manchen der Abend ermüdet haben, und natürlich: denn Haydnsche Musik ist hier immer viel gespielt worden, man kann nichts Neues mehr von ihm erfahren; er ist wie ein gewohnter Hausfreund, der immer gern und achtungsvoll empfangen wird; tieferes Interesse aber hat er für die Jetztzeit nicht mehr. Die aufgeführten Stücke waren:

Einleitung, Recitativ. Arie und Chor aus der Schöpfung, die Solopartie von Frl. Schloß gesungen, Quartett (Gott erhalte Franz den Kaiser) für Streichinstrumeute, von den HH. David, Klengel, Schulz und Wittmann vorgetragen, Motette „Du bist’s, dem Ruhm und Ehre gebühret“, Symphonie in B dur, und die Jagd und Weinlese aus den Jahreszeiten.

Wie noch Aller Herzen an Mozart hängen, davon gab das folgende Concert einen Beweis. Orchester und Solospieler zeigten sich aber auch im höchsten Glanze; es war ein Concert, in dem wir ganz Deutschland gegenwärtig gewünscht hätten, in den Jubel einzustimmen, den sein großer Künstler an jenem Abend erregte. Ist es nicht, als würden Mozarts Werke immer frischer, je mehr man sie hörte! Auch einige seiner Lieder hatte man hervorgesucht; wie junge Veilchen dufteten sie noch. Folge hier anstatt aller Beschreibung noch das ausgesucht schöne Programm:

Ouverture zu Titus, Recitativ und Arie mit obligater Violine, vorgetragen von Frl. Schloß und Hrn. David, Concert in D moll für Pianoforte, gespielt von F. Mendelssohn, Zwei Lieder, gesungen von Frl. Schloß, Symphonie in C dur (Jupiter).

Einer der reichsten Musikabende aber, wie er vielleicht selten in der Welt zu hören, war der des 11. Febr., der nur Beethovensches brachte. Auch schien uns der Saal glänzender als je gefüllt; das Orchester, gedrängt voll von Sing- und Spiellustigen, gewährte einen

{304} schönen Anblick, Unter den Gästen ward bald auch die geniale Künstlerin entdeckt, die Beethoven selbst zu einer seiner größten Schöpfungen, zum Fidelio, gesessen zu haben scheint: Mad. Schröder -Devrient, die der Zufall zu günstiger Stunde gerade nach Leipzig geführt hatte. So waren denn edle Kunstnaturen genug bei einander, um Beethoven in würdigster Weise zu vertreten. Auch der junge Russe Gulomy darf nicht unerwähnt bleiben, der, noch wenig gekannt, durch das Spiel des Violinconcertes in D dur sich Achtung erwarb und sie verdiente. Das Concert brachte denn

die Ouverture zu Leonore in C dur [Nr. 3], Kyrie und Gloria aus der Messe in C, Werk 86, das erwähnte Violinconcert, Adelaide, und zum Schluß die neunte Symphonie.

Die Ouverture wurde da capo verlangt und auch gespielt. Das letzte wunderte uns beinahe, da noch so vieles vom Orchester zu leisten war. Das Kyrie und Gloria nach diesem zweimal gehörten Riesenstücke wirkte schwächer. Den Namen des Spielers des Violinsatzes nannten wir eben. Die Composition gehört zu Beethovens schönsten und ist, was Erfindung anlangt, wohl in gleichen Rang mit seinen früheren Symphonien zu stellen. Am Spiele des Virtuosen hätten wir manches zarter, singender, deutscher gewünscht; in den feurigen Stellen ließ es nichts zu wünschen übrig. Die eingeflochtenen Cadenzen waren nicht von Beethoven, wie schnell genug zu bemerken. Zum Vortrag der Adelaide — wen hätte man sich lieber herbei wünschen mögen, als die es sang: Mad. Schröder-Devrient, die sich aus Mendelssohns Bitte schnell bereit zeigte. Das Publicum gerieth in eine Art Schwärmerei, als sie hervortrat, und wäre eine Künstlerin durch noch so große Triumphe verwöhnt, ein solcher Beifall müßte sie immer erfreuen und hat es gewiß auch. Noch stand uns die neunte Symphonie bevor. Scheint es doch, als finge man an endlich einzusehen, daß in ihr der große Mann sein Größtes niedergelegt hat. So feurig erinnere ich mich nie, daß sie früher ausgenommen worden wäre. Mit diesem Ausspruche wollen wir viel weniger dem Werke als dem Publicum ein Lob sagen, denn jenes steht über alles; so oft ist dies schon in unseren Blättern ausgesprochen worden, daß wir nichts weiter darüber zu sagen haben. Die Ausführung war ganz vorzüglich lebendig. Im Scherzo hörten wir einen Ton, dessen Bedeutung Mendelssohns Blick auf das Schärfste gefaßt, den wir früher nie so bedeutend hervortreten gehört; das

{305} einzige d einer Baßposaune macht dort eine erstaunliche Wirkung und gibt der Stelle ein ganz neues Leben; man vergleiche die Partitur Seite 66 Tact 3, Seite 75, Tact 8. {{Right|13.

Siebzehntes und achtzehntes Abonnementconcert

[den 18. und 25. Februar].

Das siebzehnte Abonnementconcert wurde mit einer neuen (der sechsten) Symphonie von Kalliwoda [G moll] eröffnet, die er, durch die Aufnahme, die seine fünfte gefunden, vielleicht ermuntert, in sehr kurzer Zeit gearbeitet haben mag. Das Werk scheint eben mehr durch äußere Anregung entstanden zu sein als aus innerem schöpferischen Drange, scheint gesuchter, mühsamer, und der Beifall, den die Symphonie im Verhältniß zur fünften fand, stand auch im richtigen Verhältnisse zu dem Werthe der beiden. Zum Nachtheile des Werkes traf es sich auch, was freilich nicht immer zu ändern ist, daß es den Anfang des Concertes machte. Die Instrumente, die Musiker selbst sind da oft noch nicht recht warm, das Publicum hat sich noch nicht zurechte gesessen etc. Mag der Grund der weniger warmen Aufnahme nun in äußeren Umständen oder im Werke selbst liegen, es möge dies den hochgeschätzten Componisten nicht abhalten, ans seiner rühmlichen Bahn fortzufahren. Wo wäre der Meister, der sich immer steigern könnte! Nur wenn er sich verwürfe, seinen deutschen Ursprung ganz und gar verleugnete, soll die Kritik eingreifen. Bleibt er sich aber treu in Fleiß und Gesinnung, so dürfen wir ihm wegen eines weniger glücklichen Wurfes nicht gleich das Spiel verderben wollen. Der siebenten Symphonie des liebenswürdigen Meisters sei denn im voraus ein Willkommen zugerufen.

Statt Frl. Schloß, die heiser geworden, sang eine früher nicht genannte Sängerin, Frl. Louise Grünberg, eine Schülerin des als Gesanglehrer und Componist, namentlich für Männergesang, wohlbekannten Zöllner, und überraschte das Publicum durch ihr klangvolles, schmiegsames Organ wie durch die naiue Sicherheit, mit der sie von Anfang bis Ende ihre Arie (eine Mozartsche) ausführte. Der Erfolg ihres ersten Auftretens muß uns, da sie ein einheimisches Talent, wohl doppelt erfreuen. Wir müßten lügen, wenn wir uns unserer vielen schönen Stimmen und Gesangtalente rühmen wollten; es ist darin bei uns nicht besser als überall,


{306} Hr. Gulomy spielte in demselben Concerte ein Concert von Lipinski und Variationen von Molique, und namentlich das erste lebendig und mit Geist, daß sich der Componist, von dem wir es früher gehört, darüber gefreut haben müßte, wär' er anwesend gewesen.

Der dritte an demselben Abend auftretende Solist war Hr. Haake. neben Hrn. Grenser der ausgezeichnetste Flötist unserer Stadt.

Noch sang ein zahlreicher Männerchor C. M. v. Webers „Gebet vor der Schlacht“ von Th. Körner und Mendelssohns wunderherrliches Quartett mit Hörnerbegleitung: „der Jäger Abschied“ von Eichendorff. —

Die Musikstücke des achtzehnten Concertes waren ziemlich gemischter Art. Eine neue Symphonie von L. Maurer, noch Manuscript, begann. Hat sich seine erste viele Freunde erworben, so wird es auch diese zweite, die jener an Leichtigkeit und Lebendigkeit nichts nachgibt. An der Instrumentation erkennt man den im Orchester großgewordenen Musiker; er spielt mit den Instrumenten wie ein Gaukler mit seinen Bällen. Das Adagio, sehr zart erfunden, behagte uns neben dem ersten Satze am meisten. Anderes, französisch und lärmend, weniger.

Als Gast trat ein Hr. G. Setti aus Neapel auf, ein kräftiger wohlklingender Bariton, der sich bald als echter italiänischer Sänger documentirte. Im Verein mit Hrn. Pögner sang er auch zum großen Gefallen unserer Bellinianer ein Duett aus den Puritanern. Schickten uns auch die italiäner einen Tenoristen wieder! An Bässen fehlt es uns weniger.

Mit großem Beifall sang Frl. Grünberg die Meyerbeersche Arie „Robert, mein Geliebter“, die nie einen gewissen Effect verfehlt, die der Componist gewiß selbst für eine seiner schönsten Nummern hält. An der Sängerin wollten Gesanglehrer die Mundöffnung tadeln; es ist nur ein Wink, auch darauf Acht zu haben. Im Uebrigen zeigte sie auch in diesem Vortrage Beruf und Talent.

Eine wenig gekannte Ouverture von Onslow zur Oper: der Alkalde, gefiel; ebenso Hr. Wittmann in Violoncellvariationen von Merk, und Hr. Weissenborn in solchen für Fagott von W. Haake, beide ausgezeichnete Mitglieder unseres Orchesters, von denen der erstere auch ein schönes Compositionstalent besitzen soll; er ist ein Wiener und Schüler von Merk. {{Right|13.

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Neunzehntes Abonementconcert [den 4. März].*

Concert-Ouverture von W. H. Veit (Manuscript). — Arie von Meyerbeer (Frl. Schloß). — Jägers Qual, Lied von G. Seidl, für Tenor mit Pianoforte, Clarinette, Horn, Cello und Contrabaß von C. Reichard (Hr. Schmidt). — Variationen für Violine über Schuberts „Lob der Thränen“ componirt und gespielt vom Concertmstr. David (Manuscript). — „An die ferne Geliebte“, Liederkreis von Beethoven. — Symphonie (D dur) von Beethoven.

Die Ouverture bot wenig Neues und Schlagendes; sie möchte den Musikstücken beizuzählen sein, die den Mangel an Energie der Gedanken durch üppiges Aeußere weniger fühlbar zu machen wissen. — Frl. Schloß wie immer: ruhig und ohne Herzklopfen lassen wir die Welle ihres Gesanges über uns weggleiten. Die Arie von Meyerbeer, obgleich bereits ein todmüdes Roß, will noch immer nicht vom Paradeplatze verschwinden. — Das Lied von Reichard ist nicht ohne Anmuth; aber aus keiner rechten Tiefe quellend, entbehrt es vor Allem der lebensvollen Wärme. Bei so verschwenderisch aufgewendeten Mitteln ist es zu wenig, was hier erreicht worden. Am Schlusse vermißten wir die Steigerung, so sehr sie auch durch das Gedicht geboten erscheint; diese Labung hätte der Componist dem müden Hörer nicht vorenthalten sollen. Die Ausführung war vorzüglich. — An die Schubertsche Melodie mit ihrer stillen Heimlichkeit so viel Herausforderndes anzuknüpfen, wie in den Variationen von David geschehen, möchten wir als einen wenig glücklichen Gedanken bezeichnen. Jedenfalls ist die Stimmung, in die der sinnige Hörer dadurch versetzt wird, keine wohlthuende. — Der Schmuck und die Perle des Abends war der Liederkreis van Beethovens, Liebeslieder, wie sie in solch' reinen Naturtönen, solcher herzinnigen Tiefe nie wieder laut geworden. Sie zu singen, bedarf es weniger des Sängers als des Poeten. Hr. Schmidt trug sie mit großer Sorgfalt, aber mit fast zu viel äußerlichem Aufwand vor. Mendelssohns Vortrag des Accompagnements duftete die Frische des Originals. — In der Symphonie machte sich diesmal ein uns fremder Hornbläser bemerkbar; seine Unsicherheit warf einige dunkle Streifen auf das leuchtende Ganze.

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       * Dem 19. Concert wohnte Ref. nicht bei. Der Bericht ist von anderer Hand.  [Sch.]

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Zwanzigstes Abonnementconcert, den 18. März.

Pastoralsymphonie von Beethoven. — Arie von Mozart. — Concert für Violine von Spohr. — Finale aus Titus von Mozart. — Ouverture von Mendelssohn. — Duett und Terzett aus der Oper „Heinrich und Fleurette“ von H. Schmidt. — La Mélancolie von Prüme. — Lieder von F. Schubert, C. M. von Weber und Mendelssohn.

Mit besonderem Antheil gedenken wir dieses Concertes, das uns des Trefflichen so viel bot, zugleich als des letzten des heurigen mit ihm würdig beschlossenen Cyklus. Die Pastoralsymphonie drang tief wieder einmal in Aller Herzen; die Ausführung war ganz herrlich, wie sie sich der Meister in der Weihestunde gedacht haben mochte. Dasselbe gilt von Mendelssohns phantasiereicher schöner Ouverture „Meeresstille und glückliche Fahrt“, die man wohl nirgends in der Welt in solcher Vollkommenheit hören kann. Eine Neuigkeit war das Duett und Terzett aus der schon vollendeten größeren Oper unseres Sängers H. Schmidt, eines Sängers, der an musikalischer Bildung und Geschmacksrichtung wohl vielen mit berühmten Namen zum Vorbilde dienen könnte. Als Componist hat er nur erst wenig veröffentlicht. Was wir an diesem Abende zu hören bekamen, zeugte aber durchweg von einem Streben nach dem Besseren, vom Verständniß der Ausgabe, die er sich gesetzt. Der Gesang war mit Sorgfalt geschrieben, die Instrumentation geschickt und klangvoll. Die Breite mancher Wiederholungen macht sich vielleicht im Theater weniger fühlbar, wie es denn meistens undankbar für den Componisten ist, einzelne Stücke aus einem Werke vor der Aufführung des Ganzen in die Oeffentlichkeit zu bringen, und immer zu falschen Urtheilen Anlaß gibt. Doch wird gesagt, daß die ganze Oper vielleicht bei uns bald in Scene geht, wo dann mehr berichtet werden soll. Die andern in den zwei Nummern Mitwirkenden waren Frl. Schloß und Hr. Kindermann, ersten wie immer gewandt und fertig, letzterer mit einer sehr schönen Stimme begabt, die, wie sie nur erklingt, für den Sänger einnimmt. Der Spieler der Violinstücke war Hr. C. Hilf, von dem wir schon öfter sprachen. Auch heute zeigte er sich der großen Theilnahme würdig, die man sich, von seinem ersten Eintreten in die Künstlerbahn an, von ihm gemacht, und wurde wie immer mit rauschendstem Beifall entlassen. Wenn wir von der Perle des Abends zuletzt sprechen, so geschieht es nicht ohne Grund. Mit wenigen Worten: Mad. Schröder-Devrient sang. Was menschlich am Menschen und Künstler,

{309} unterliegt auch der Zeit und ihren Einflüssen, so die Stimme, die Schönheit des Aeußeren. Was aber darüber ist, die Seele, die Poesie erhält sich in den Lieblingen des Himmels gleich frisch alle Lebensalter hindurch, und so wird uns diese Künstlerin und Dichterin immer entzücken, so lange sie noch einen Ton in Herz und Kehle hat. Das Publicum hörte wie gebannt, und als sie zum Schluß Mendelssohns mit den Worten „auf Wiedersehn“ endigendes Volkslied sang, stimmten Alle in freudiger Zustimmung ein. Auch dem Componisten, der begleitete, galt sie wohl; denn es war das letztemal an dieser Stelle, daß seine wunderbeschwingten Finger die Tasten meisterten.58 Wollen wir denn auch nicht untersuchen, wem der Lorbeer galt, der unversehens sich im Orchester sehen ließ, ob dem Meister oder der verehrten Fremden, und nur noch Allen, die in unsern Musikabenden gegeben und genossen, ein hoffendes „auf Wiedersehen“ zurufen! {{Right|13.

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Ferdinand Hiller:

Die Zerstörung Jerusalems,

Oratorium nach der heiligen Schrift von Dr. Steinheim. Werk 24,

Von der Aufführung dieses Werkes in Leipzig, von dem günstigen Erfolge, den sie gehabt, berichtete die Zeitschrift schon und sprach den Wunsch nach baldiger Veröffentlichung aus, der bald darauf in Erfüllung gegangen. Binnen Kurzem soll auch noch die Partitur folgen.

Die auffallende Erscheinung, daß sich in neuster Zeit viele jüngere Componisten der Kirchenmusik mit Vorliebe zuwenden, ist schon von Anderen bemerkt worden. Der Erfolg, den Mendelssohns Paulus gehabt, scheint große Ursache daran zu haben. Viele, ja die Meisten werden sich freilich täuschen in ihren Hoffnungen auf gleiche oder nur ähnliche Siege. Wohl nicht die Kirche, nicht die Art der dahingehörigen Kunstgattung hat ihn errungen, eine Gattung, deren Blüthe schon längst vorüber, sondern die hohe Kunst des einzelnen Künstlers, dem im Paulus ein Meisterwerk gelungen. Viel tiefer wurzelt z. B. das Bedürfniß nach einer neuen deutschen Oper; vielleicht, daß auch bald hierin ein starker Künstler vorangeht und Nacheiferung und Muth erweckt, wie es Mendelssohns Paulus für die Kirchenmusik gethan.

{310} Wie dem sei, wir müssen jedem Streben nach so ernstem Ziel unsere innigste Aufmerksamkeit zuwenden. Was dem Künstler, der für die Kirche arbeitet und sich in den strengen Formen, die ihre Musik erheischt, bewegen muß, auch vom Beifalle des großen Haufens abgehen möge, es kommt ihm auf andere Weise für seine Kunst und hundertfältig zu gute. Wer Kirchen bauen kann, dem sind dann die Häuser ein Leichtes; wer ein Oratorium zu Stande gebracht, dem wird es in anderen Formen dann spielend gelingen.

Es gibt Baumeister, die wissen, was sie bauen; geschickte praktische Männer, die sich streng nach dem Riß halten, der sich ihnen schon oft zweckdienlich erwiesen; nichts ist da vergessen, die Kirchenthür an guter Stelle, der Glockenthurm an seiner. Ein solcher ist der alte Dessauer Meister.* Es gibt andere, die wissen es auch. Aber ehe sie beginnen, beten sie einen frommen Spruch, ihr Geschäft gilt ihnen ein heiliges. Von der gewohnlichen Bauart vielleicht abweichend, sinnen sie wohl auch auf Neues; kleine Capellen entstehen an den Seiten, Muttergottesbilder werden angebracht und versteckter tiefsinniger Zierrat. Ein solcher ist der Meister des Paulus, nach solcher Meisterschaft ringt auch sein Freund Ferdinand Hiller. Mit Freude muß man es bemerken: es scheint unter einer Anzahl jüngerer Künstler wie eine stillschweigende Uebereinkunft zu bestehen, dem alten Schlendrian mit gründlichen Thaten entgegenzutreten, ein Bündniß gegen eine gewisse Classe von Handwerksmusikern, die nach der Elle componiren, heute eine Kirchenmusik und morgen für den Tanzsaal. Gerade unter den Kirchencomponisten sind einige zu Ruf und Namen gekommen, was der Nachwelt, wenn sie vergleicht, daß zur selben Zeit z. B. noch Beethoven lebte und für die Kirche schuf, unbegreiflich erscheinen muß; gerade in der Kirchenmusik hatte sich ein süßlich sentimentaler Ausdruck eingeschlichen, der eher zum Tempel hinaustrieb, als zur Andacht erweckte. Andere, immerhin aber bessere, wie B. Klein, verfuhren wieder zu trappistisch, als daß sie Einfluß gewinnen konnten. Mendelssohn aber hat unter den Norddeutschen zuerst wieder auf die wahre Spur hingelenkt, auf Händel und Bach, die über die weichen Süddeutschen Mozart und Haydn etwas in Vergessenheit gerathen waren, auf die wahren Glaubenshelden unserer Kunst. Auch Hiller sind diese Vorbilder wohlbekannt, und läßt sich dies nicht im Einzelnen nachweisen, so doch an der ganzen würdigen Haltung seines Werkes;

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      * Friedrich Schneider.


{311} sein Streben nach kräftigstem Ausdruck, nach Uebereinstimmung zwischen Wort und Ton, mit einem Worte: nach Wahrheit seiner Musik spricht dafür. — Ehe wir zu einer kurzen Analyse des musikalischen Theils des Werkes übergehen, sei noch erst mit einigen Worten des Textes gedacht.

Es ist bekannt, daß auch Loewe ein Oratorium gleichen Namens componirte: erinnere ich mich aber recht, so schildert dies die spätere Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Hillers ist die alttestamentliche durch Babylon, der Dichter hat den Stoff äußerst einfach angelegt und gehalten. Als Hauptperson hebt sich Jeremias, der Prophet, hervor, der dem König von Juda, Zedekia, den Fall seines Reiches prophezeit. Jeremias wird deshalb in das Gefängniß gebracht, Juda aber später erobert. Jeremias kommt wieder zum Vorschein: „doch unverloren bleibt Jehovahs Volk“; der Schlußchor ist eine Anrufung des Herrn aller Völker. Dies ist im Kurzen der Gang der Geschichte. Jeremias gegenüber, als frivoles Prinzip, steht Chamital, die Mutter des Königs. Der König selbst ist eine schwache Figur, die sich furchtsam zwischen der Mutter und dem Propheten anklammert. Jeremias zur Seite stehen noch zwei zarte Nebenfiguren, Achicam und Hanna. Diese fünf sind die einzelnen Personen des Oratoriums.

Der Chor zerfällt in drei verschiedene, in den der Israeliten, der Diener Zedekias und der Babylonier. Der erste repräsentirt das israelitische Volk im Allgemeinen und zeigt sich, durch Jeremias Prophezeiung geängstigt, ebenso fromm wie schwach und leidend. Diesem gegenüber steht singend und jubelnd der der Diener Zedekias, die trotz Jeremias in ihrem Wandel beharren. Der dritte endlich ist der feindliche der Eroberer.

Dies Wenige genüge, vom Ganzen, seinen Theilen, seinen Gegensätzen sich ein Bild zu machen. Der Text selbst ist meistens nach Worten der heiligen Schrift zusammengesetzt.

Folgen wir nun dem Componisten in sein Werk. Wir wissen, er hatte ein Jahr vor Vollendung dieser Arbeit eine Oper* aus der Mailänder Scala aufführen lassen. Der Sprung vom Theater in das alte Testament schien gewagt genug. Wie er ihm geglückt, zeigt sicher von großer Gewandtheit und Geistesfrische. Man würde sich vergebens mühen, im Oratorium etwas zu finden, was nur entfernt wie

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        * Romilda.


{312} italiänische Musik aussähe. Es ist ein durchaus deutsches Werk, verräth überall die guten Muster, die dem Componisten geläufig, überall Bildung, Fleiß und Gewissenhaftigkeit. Gewährt schon der Clavierauszug großes Interesse, so noch mehr die Partitur, in der sich der Componist auch als gewandter, geistreicher Instrumentator gezeigt. So begrüßen wir ihn denn vorweg als einen seiner Aufgabe gewachsenen, tüchtigen und achtungswerthen Künstler.

In seinen einzelnen Theilen besteht das Oratorium aus Chören, Duetten und Arien, die durch die herkömmlichen recitativischen Sätze verbunden sind: zusammen aus 47 Nummern. Der Choral, als eine Idee des Christenthums, ist mit Recht nicht angewandt. Eine Ouverture fehlt, wogegen nichts einzuwenden; die erste Nummer beginnt gleich mit einem Chor; unter viel schöner Musik gelangen wir bald in die Mitte der Begebenheiten. Nach Jeremias' erstem Auftreten fesselt uns kurz darauf der schöne klagende Chor: „eine Seele tief gebeuget“, dem mit lebhafter Wirkung gleich der rauschende der Diener Zedekias folgt. Auch der Festmarsch verdient wegen seines eigenen Colorits hervorgehoben zu werden. Der König erscheint, schwermuthvoll, die nächste Zukunft fürchtend. Dazu überall treffende Musik. Jeremias'Warnungen machen nur auf den Chor Wirkung: „wir zittern ob des Sehers Dräuen;“ eine Arie der Hanna spricht tröstend zu. Der folgende Chor „Israel bleibt seinem Gotte angetraut“ führt diese Stimmung in der Musik weiter aus; so schätzbar er als Musikstück, so hätte er zur rascheren Aufeinanderfolge wirksamer wegfallen können. Jetzt wird der Feind angekündigt, Nebukadnezar, der immer näher kommt. Hier greift zum erstenmal Chamital ein, vom Componisten mit besonderer Liebe gezeichnet, und reizt zum Widerstand. Ein wilder Chor dringt auf Jeremias ein und droht ihm mit dem Tode. Seine Freunde klagen in einem weichen Duett nach dem Bibeltexte: „O war mein Haupt eine Thränenquelle“. Eine Anrufung des Höchsten in einem feierlichen Chor beschließt den ersten Theil.

Die erste Nummer des zweiten Theiles schildert die Israeliten furchtsam genug vor dem Nahen des Feindes. Chamital läßt sich deshalb nicht abhalten, dem Baal die üblichen Opfer zu bringen: es ist diese Arie (Nr. 20) mit dem später dazutretenden Chor eine der frischesten Nummern. Jeremias. jetzt im Gefängniß, klagt über sein und seines Landes Schicksal, in etwas moderner Weise, die im Einzelnen an ein bekanntes Motiv von Marschner erinnert. Der folgende Chor (Nr. 35), mit sehr glänzender Orchesterbegleitung, hofft noch auf


{313} Rettung. Zedekia will sich Jeremias in die Arme weisen; doch zu spät. „Es gehet über Zion hin der Pflug“, antwortet Jeremias. „Mit seinem Haupte büße er seinen Wahnwitz“, spricht Chamital, worauf Jeremias: „nun bin ich gar dahin“. Von den letzten Worten erwartete ich mehr in der Musik, wie denn überhaupt gegen das Ende der Arbeit hin eine gewisse Eile sich bemerkbar macht, als fürchte der Componist, zu lang zu werden. Auch in den späteren Recitativen zeigt sich dies. Schön ist der Chor „o Gott der Langmuth“, erinnert aber sehr an einen im Paulus (in Es dur). Die Gefahr wird immer drohender, die Israeliten sind geschlagen. Allgemeine Flucht im wilden Chor. Die Babylonier treten auf; der Componist hat sie ziemlich unliebenswürdig gemalt; der Marsch erinnert etwas an den wüsten der Katholiken in den „Hugenotten“. Auch Jeremias' Klagelied sagt mir nicht zu und erweckt wenig Theilnahme. Aufregend, frisch ist wieder der Chor der Babylonier „heh, wir haben sie vertilgt“; nur das unangenehme „heh“ wünschte ich in einen anderen Spottlaut verwandelt. Ein ausgezeichnetes Musikstück bringt uns dann wieder der Chor der fortziehenden Israeliten. Es folgen die vielleicht bedeutendsten Worte des Ganzen aus Jeremias' Munde:

„Zur letzten Zeit wird Gottes Haus höher stehen denn alle Berge und erhaben über alle Hügel!“ —

doch hat sie der Componist zu leicht behandelt, die er sich gerade für seine glücklichste, kräftigste Stunde hätte aufbewahren müssen. Dagegen schließt ein Chor in würdigster Weise das Ganze ab.

Viel, ja stundenlang ließe sich über ein so umfangreiches, musikschweres Werk — sprechen. Was aber dem Musiker am meisten gefällt, ihm auch am meisten nützt, Besprechung des Reinmusikalischen bis ins Detail der Formen, nimmt sich so wenig gut auf dem Papier aus und interessirt nur die, die das Werk schon genauer kennen. So mögen denn diese Zeilen, die nicht erschöpfen wollen, zum wenigsten Andere zur Durchsicht des Werkes reizen, das bis jetzt die größte Arbeit des jungen Componisten, neben allen ähnlichen in neuerer Zeit entstandenen seinen selbständigen Platz behauptet. {{Right|22.

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Neue Sonaten für Pianoforte.

Unsere letzte Sonatenschau schloß im December 1839. Nur weniges in diese edle Gattung Einschlagendes ist seitdem erschienen, und freilich, scheint es, hat sie mit drei starken Feinden zu kämpfen — dem Publicum, den Verlegern und den Componisten selbst. Das Publicum kauft schwer, der Verleger druckt schwer und die Componisten halten allerhand, vielleicht auch innere Gründe ab, dergleichen Altmodisches zu schreiben. Die es trotzdem thun, sollen uns doppelt werth sein. Es folgen hier die Namen der Componisten, die uns neuerdings Sonaten gegeben: W. Klingenberg, J. A. Lecerf, J. Genischta, W, Taubert und F. Chopin: sie stehen nach der Reihe des Interesse, das sie uns zu haben scheinen.

Die erstgenannte von Klingenberg [Werk 14] heißt Phantasiesonate. Wäre der Wille die That, man müßte sie gut heißen; ein Ringen, sich vom alten Schlendrian loszumachen, ist darin unverkennbar, überhaupt ein Streben, Selbständiges zu leisten. Aber die Kruste reichen nicht aus; es fehlt sogar an voller Ausbildung der unteren, wohin wir z. B. Satzreinheit u. s. w. rechnen. So ist denn aus diesem Mißverhältnis der Kraft zum Streben ein sonderbares, verschrobenes, geschmackloses Stück geworden, das sogar hier und da zierlich und galant sein mochte. Und das ist das Unglück, wenn musikalische Kleinstadtbewohner sich auf einmal modisch Pariserisch bewegen wollen, ein Unglück, das leider bei uns in Deutschland mehr als irgendwo zu Hause ist. Speciell zu belegen, was wir hier angeführt, würde Bogen füllen können. Ein Gutmusikalischer muß nach den ersten Seiten schon über die Composition im Klaren sein, vielleicht der Componist jetzt selbst, angenommen, daß er jetzt sein Werk um einige Jahre überwachsen. Wer ihn übrigens zum Ikarusflug verleitet, scheint klar; es ist Beethoven mit seiner Sonata quasi fantasia. Wer liebte denn diese nicht? Aber freilich auch das Copiren verlangt Uebung und Fertigkeit. Vielleicht gibt uns der Componist bald eine neue Probe seiner Kunst, die nicht zu schwach gegen das Original absticht.

Es gibt eine Classe von Sonaten, über die sich am schwierigsten reden läßt; es sind jene richtiggesetzten, ehrlichen, wohlgemeinten, wie sie die Mozart-Haydnsche Schule zu Hunderten hervorrief, von denen noch jetzt hier und da Exemplare zum Vorschein kommen. Tadelte


{315} man sie, man müßte den gesunden Menschenverstand tadeln, der sie gemacht; sie haben natürlichen Zusammenhang, wohlanständige Haltung. Alle diese Tugenden zeichnen auch die Sonate des zweitgenannten Verfassers [Werk 21] aus. Aber freilich, heutigen Tages aufzufallen, ja nur zu gefallen, dazu gehört mehr als blos ehrlich sein. Und hätte denn Beethoven so umsonst gelebt? Wer lesen kann, der hält sich nicht mehr bei dem Buchstabiren auf; wer Shakespeare versteht, ist über den Robinson hinüber: kurz, der Sonatenstil von 1790 ist nicht der von 1840: die Ansprüche an Form und Inhalt sind überall gestiegen. Das Lob des Fleißes, des Strebens nach Gutem bleibt aber dem Componisten auch dieser Sonate trotzdem unverkümmert, und so erfülle sie ihre Bestimmung, im großen Zeitenstrome eine Minute lang aufgetaucht zu sein und auch wieder zu verschwinden.

Auch die folgende Sonate von Genischta [Werk 9] erinnert im Wesentlichen an eine vergangene Periode, doch tritt uns in ihr eine eigenthümliche Persönlichkeit entgegen. Wir berichteten mit Vergnügen schon vor einigen Jahren von einer Sonate für Clavier und Violoncello desselben Componisten. Die Vorzüge, die wir dort auszeichneten, technische Fertigkeil, Klarheit, Anspruchlosigkeit des Charakters, finden wir auch hier: dies namentlich in den sehr gut gerundeten beiden ersten Sätzen. Höher aber steht noch der letzte, der sich mehr Beethovenscher Art nähert, obgleich durch die äußere Aufregung überall ein freundlich ruhiges Gesicht durchblickt. Ganz auf klärt es sich vollends im Mittelsatz im Dur mit seinem eigenthümlichen Orgelpunct im Sopran; es ist dies die Hauptstelle der ganzen Sonate und schwerlich zu übersehen. Der Schluß bringt nichts Außerordentliches; aber wir scheiden befriedigt, erheitert, mit aller Achtung, die wir einem gebildeten Künstler schuldig. Der Componist soll ein Pole sein.

Von der Sonate von W. Taubert [Werk 35], seiner fünften, den Lesern einen Begriff zu geben, möchte schwer sein; sie ist absonderlicher Art, man muß sie sich selbst ansehen und zwar öfter. Ich möchte sie hypochondrisch nennen; der Componist hängt sich eigensinnig an ein paar Gedanken, die er zergliedert, wieder zusammensetzt, wieder wegwirft, bis er sich dann durch eine Volksmelodie aus der wenig erquicklichen Stimmung herausreißen möchte, und zuletzt, da ihm dies nicht glückt, sich gar auf das Gebiet der Fuge flüchtet, wo er erst recht ordentlich zu grübeln anfängt. Sich ein Publicum zu gewinnen, darauf geht sie gewiß nicht aus; es ist eine Sonate, vom Componisten

{316} gleichsam nur für sich geschrieben, vielleicht in besonderen Lebensverhältnissen entstanden. Mit leichter Mühe hätte er auch ein Quartett daraus machen können, aber nein — der Componist wollte eben nur seine vier Wände zu Zuhörern; es steckt etwas von Menschen- ja vielleicht von Musiküberdruß in dieser Musik. So wirkte die Sonate das erstemal, als ich sie spielte, auf mich, so später, als ich sie wiederholt las. C. M. von Weber hat eine auch in der Tonart (E moll) ähnliche, sehr eigenthümliche geschrieben, an die ich durch die von Taubert wieder erinnert wurde, nur daß. wie gesagt, die Melancholie der ersteren in der anderen in Hypochondrie verkältet erscheint. Dennoch übt die Musik auch hier ihre eigene verschönende Gewalt aus, und so fesselt uns in der Kunst, wie so oft, was uns im Leben abstößt. Doch genug der grübelnden Worte, die selbst nur ein Widerhall jener Musik zu sein scheinen; möchten sie Manche zur Durchsicht reizen, denn als Musiker zeigt sich der Componist wohl immer als ein achtungswerther. Die ersten Tacte der zuletzt genannten Sonate sich ansehen und noch zweifeln zu können, von wem sie sei, wäre eines guten Kennerauges wenig würdig. So fängt nur Chopin an und so schließt nur er: mit Dissonanzen durch Dissonanzen in Dissonanzen. Und doch, wie viel Schönes birgt auch dieses Stück!* Daß er es „Sonate“ nannte, möchte man eher eine Caprice heißen, wenn nicht einen Uebermuth, daß er gerade vier seiner tollsten Kinder zusammenkoppelte, sie unter diesem Namen vielleicht an Orte einzuschwärzen, wohin sie sonst nicht gedrungen wären. Man nehme z. B. an, irgend ein Cantor vom Lande kommt in eine Musikstadt, da Kunsteinkäufe zu machen — man legt ihm Neustes vor — von nichts will er wissen — endlich hält ihm ein Schlaukopf eine „Sonate“ entgegen — ja, spricht er entzückt, das ist für mich und noch ein Stück ans der guten alten Zeit — und kauft und hat sie. Zu Hause angekommen, fällt er her über das Stück — aber sehr irren müßt' ich mich, wenn er nicht, noch ehe er die erste Seite mühsam abgehaspelt, bei allen heiligen Musikgeistern darauf schwöre, ob das ordentlicher Sonatenstil und nicht vielmehr wahrhaft gottloser. Aber Chopin hat doch erreicht, was er wollte: er befindet sich im Cantorat. und wer kann denn wissen, ob nicht in derselben Behausung, vielleicht nach Jahren erst, einmal ein romantischerer Enkel geboren wird und aufwächst, die Sonate abstäubt und spielt und für sich denkt: „der Mann hatte doch so Unrecht nicht“.

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      * Werk 35, B moll.


{317} Mit allen diesem ist schon vorweg ein halbes Urtheil abgegeben. Chopin schreibt schon gar nichts mehr, was man bei Anderen ebenso gut haben könnte; er bleibt sich treu und hat Grund dazu.

Es ist zu bedauern, daß die meisten Clavierspielenden, selbst Gebildete darunter, nicht über das hinaussehen und urtheilen können, was sie nicht mit ihren eigenen Fingern bewältigen können. Anstatt so schwierige Stücke erst zu überblicken, krümmen und bohren sie sich tactweise fort; und sind sie dann kaum über die gröbsten förmlichen Verhältnisse im Klaren, legen sie’s weg und dann heißt es „bizarr, verworren“ etc. Gerade Chopin hat (wie etwa Jean Paul) seine Häkelperioden und Parenthesen, bei denen man sich beim ersten Durchlesen eben nicht lange aufhalten darf, um nicht die Spur zu verlieren. Auf solche Stellen stößt man denn auch in der Sonate fast auf jeder Seite, und Chopins oft willkürliche und wilde Accordschreibung macht das Herausfinden noch schwieriger. Er liebt nämlich nicht zu enharmonisiren, wenn ich mich so ausdrücken darf, und so erhält man oft zehn- und mehrfach bekreuzte Tacte und Tonarten, die wir alle nur in wichtigsten Fällen lieben. Oft hat er darin Recht, oft aber verwirrt er auch ohne Grund und, wie gesagt, entfernt sich dadurch einen guten Theil des Publicums, das (meint es) nicht unaufhörlich gefoppt und in die Enge getrieben sein will. So hat denn auch die Sonate fünf Bee oder B moll zur Vorzeichnung, eine Tonart, die sich gewiß keiner besonderen Popularität rühmen kann. Der Anfang heißt nämlich:

#Notenbeispiel.

Nach diesem hinlänglich Chopinschen Anfange folgt einer jener stürmischen leidenschaftlichen Sätze, wie wir deren von Chopin schon mehrere kennen. Man muß dies öfter, und gut gespielt hören. Aber auch schönen Gesang bringt dieser erste Theil des Werkes; ja es scheint, als verschwände der nationelle polnische Beigeschmack, der den meisten der früheren Chopinschen Melodieen anhing, mit der Zeit immer mehr, als neige er sich (über Deutschland hinüber) gar manchmal Italien zu.

{318} Man weiß, daß Bellini und Chopin befreundet waren, daß sie, die sich oft ihre Compositionen mittheilten, wohl auch nicht ohne künstlerischen Einfluß auf einander geblieben. Aber, wie gesagt, nur ein leises Hinneigen nach südlicher Weise ist es; sobald der Gesang geendet, blitzt wieder der ganze Sarmate in seiner trotzigen Originalität aus den Klängen heraus. Eine Accordenverflechtung wenigstens, wie wir sie nach Abschluß des ersten Satzes vom zweiten Theil antreffen, hat Bellini nie gewagt und konnte sie nie wagen. So endigt auch der ganze Satz wenig italiänisch, — wobei mir Liszts treffendes Wort einfällt, der einmal sagte, Rossini und Consorten schlössen immer mit einem »votre très humble serviteur«; — anders aber Chopin, dessen Schlüsse eher das Gegentheil ausdrücken. — Der zweite Satz ist nur die Fortsetzung dieser Stimmung, kühn, geistreich, phantastisch, das Trio zart, träumerisch, ganz in Chopins Weise: Scherzo nur dem Namen nach, wie viele Beethovens. Es folgt, noch düsterer, ein Marcia funebre!, der sogar manches Abstoßende hat; an seiner Stelle ein Adagio, etwa in Des, würde ungleich schöner gewirkt haben. Denn was wir im Schlußsatze unter der Aufschrift „Finale“ erhalten, gleicht eher einem Spott als irgend Musik. Und doch gestehe man es sich, auch aus diesem melodie- und freudelosen Satze weht uns ein eigener grausiger Geist an, der, was sich gegen ihn auflehnen möchte, mit überlegener Faust niederhält, daß wir wie gebannt und ohne zu murren bis zum Schlusse zuhorchen — aber auch ohne zu loben: denn Musik ist das nicht. So schließt die Sonate, wie sie angefangen, räthselhaft, einer Sphinx gleich mit spöttischem Lächeln. {{Right|12.

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S. Thalberg.

(Concert für den Pensionsfonds der Musiker am 8. Februar,)

Auf seinem Durchfluge hat der Meister auch hier seine Schwingen gerührt, und es sind, wie von den Flügeln jenes Engels in einem Rückertschen Gedichte, Rubine und anderes Edelgestein herabgefallen — und dazu noch in bedürftige Hände, wie es der Meister bestimmt hatte. Einem wie ihm, der schon so mit Lob überschüttet worden, Neues sagen zu wollen, ist schwer. Eines hört aber jeder strebende Virtuos noch immer gern: das nämlich, daß er fortgeschritten ist, seitdem er uns zum


{319} letztenmal mit seiner Kunst erfreut, und dieses Schönste dürfen wir auch Thalberg spenden, der seit den letzten zwei Jahren, da wir ihn nicht gehört, noch Erstaunliches zugelernt, sich womöglich noch freier, anmuthiger, kühner bewegt. So schien sein Spiel auch auf Alle in gleichem Maße zu wirken, das glückliche Behagen, das er vielleicht selbst dabei empfinden mag, sich Allen mitzutheilen. Gewiß, wahre Virtuosität gibt mehr als blose Fertigkeit und Künste; auch sie vermag es, den Menschen abzuspiegeln. so daß es uns bei Thalbergs Spiel recht klar wird, er gehört zu den vom Schicksal Vorgezogenen, Begünstigten: er steht in Reichthum und Glanz. So begann er seine Bahn, so hat er sie bis jetzt zurückgelegt, so wird er sie beschließen, überall vom Glück begleitet und Glück verbreitend. Der ganze gestrige Abend, jede Nummer, die er spielte, gab den Beweis dazu. Das Publicum schien gar nicht da zu sein, um zu urtheilen, nur um zu genießen; man war seiner Sache so sicher, wie der Meister seiner Kunst. Die Compositionen waren sämmtlich neue, eine Serenade und Menuet aus Don Juan, eine Phantasie über italiänische Themas, eine große Etüde und ein Capriccio über Themas aus der Somnambula: sämmtlich höchst wirkungsvolle Umschreibungen der Originalmelodieen, die, wie sie auch von Tonleitern und Arpeggien umsponnen waren, überall freundlich hervorsahen. Höchst künstlich war namentlich die Bearbeitung der Don Juan-Themen und ihr Vortrag überraschend schön. Als Composition die werthvollste schien uns die Etüde,* der ein reizendes, wie im italiänischen Volkston gehaltenes Thema zum Grunde lag; die letzte Variation mit den bebenden Triolen wird wohl Allen unvergeßlich sein, ihm von Niemand in solcher zauberischen Vollendung nachgespielt werden. Ehre ihm denn nochmals für den Abend, an dem er sich als Mensch wie als Künstler ein inniges Andenken gesichert, und kehre er seinen Verehrern bald wieder einmal zurück! {{Right|13.

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Etuden für Pianoforte.

Theodor Kullak, Zwei Concertetuden. Werk 2.

Der Componist, ein junger jedenfalls, kündigt sich mit den ersten Tacten als ein mit dem neusten Clavierspiel vertrauter an. Die Etuden

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        * A moll, Werk 45.


{320} sind schwer und verrathen überall namentlich Bekanntschaft mit Henselts und Thalbergs Arbeiten. Dem Virtuosen gegenüber haben wir nichts gegen diese Richtung und Vorliebe. Dem Componisten aber, wenn er ein tüchtiger werden will, möchten wir davon abrathen. Im Gebiete der mechanischen Combinationen ist jetzt kaum mehr zu erreichen, als die Virtuosen der neusten Zeit wirklich erreicht haben. Auf das Verschränken der Hände, ob es so oder so, auf die Accordcnmasse, ob sie etwas mehr oder weniger voll, darauf kommt jetzt nichts mehr an; wir haben darin in Henselts, Liszts, Thalbergs Arbeiten vollauf genug. Die Nachfolgenden müssen, wenn sie Bedeutung gewinnen wollen, den umgekehrten Weg einschlagen, den zur Einfachheit, zur schönen, ordnungsvollen Form, und daraus entwickele sich dann auch das Complicirtere. Der Weg liegt klar vorgezeichnet. Wer ihn nicht sieht, wird umsonst arbeiten.

J. Rosenhain, 24 melodische Etuden.  Werk 20.

»Invita Minerva« hätte der Componist darauf schreiben sollen. Die Etuden scheinen mit großer Unlust geschrieben zu sein, vielleicht auf Anrathen des — ursprünglich französischen — Verlegers. Daß für schwächere, kleinere Spieler durch Etuden gesorgt wird, ist gewiß gut. Doch trägt, als Componist wenigstens, Hr. Rosenhain, wie uns scheint, nur wenig Beruf dazu in sich. Ich wüßte seit lange kein Werk, das mir in jedem Bezug so entschieden mißfallen hätte. Nichts wirklich Anmuthiges im ganzen Werke, von Melodie kaum eine Spur; einzelne Etuden gänzlich mißrathen in der Form, vieles uncorrect und ungefällig in der Harmonie. Und dazu nun noch die Bemerkungen über jeder einzelnen Nummer, wie diese werthlosen Stücke am besten vorzutragen seien. Wahrhaftig, da schreibt Bertini wie ein Engel dagegen. Bleibe man also, bis nicht etwas Besseres kommt, jungen Gemüthern durch Uebungen Lust zur Musik zu machen, bei Bertini. Hr. Rosenhain ist diesmal das Widerspiel seines Namens und die zarten Finger würden sich wund greifen an seinen Etuden.

Eduard Wolff, 24 Etuden.  Werk 20.

Der Componist ist ein junger, jetzt in Paris lebender Pole, und seine Anhänglichkeit an Chopin um so leichter zu erklären. Vor 50 Jahren würde man Etuden wie die Wolffschen geradezu für verrückt

{321} erklärt haben, heute gelten sie nur noch als „schwer“. Leider aber ist Schwierigkeit ihr eigenthümlichstes Merkmal, und es steckt in mancher Chopinschen Mazurka mehr Musik als in allen diesen 24 Etuden. Begriffen es doch die jungen Componisten immer zeitig genug, daß die Musik nicht der Finger wegen da ist, sondern umgekehrt, und daß man, um ein guter Virtuos zu werden, nie ein schlechter Musiker sein dürfe. Hrn. Wolff geradezu zu den letzteren zu zählen, wäre indeß ungerecht. Es fehlt ihm nicht an Phantasie, und er weiß eine Stimmung auch anders als durch blose Fingereffecte hervorzurufen und festzuhalten; dazu übt jeder melancholische Charakter, wie auch der seinige ist, Interesse auf uns, namentlich auf Jüngere. Leider aber treffen wir in dieser Etudensammlung auch auf gar zu Triviales, geradezu Verwerfliches, wie es in Deutschland kein Lehrer seinen Schüler aufschreiben, geschweige drucken ließe, und, dem Componisten zum Doppelschaden, gerade auf den ersten Seiten seines Werkes; denn Mancher wird sich dadurch abhalten lassen, im Dickicht weiter vorzudringen. Erst auf der 14ten Seite, der sechsten Etüde in H moll, stoßen wir auf eine anziehendere; hier erreicht der Componist mit wenigen Mitteln mehr als vorher mit so vielen, und man sieht, er kann wohl auch einfacher sein, wenn er will. Auch die zwei darauf folgenden Nummern gehören zu den gelungeneren, und nach diesen die zehnte (Cis moll), die achtzehnte (G moll) und die zweiundzwanzigste (F moll). Die übrigbleibenden haben meist nur als mechanische Combinationen für Uebende Interesse; manche der Zusammenstellungen sind darin neu — schön selten. Das chromatische Auf- und Niederziehen durch verminderte Septimenaccorde in den verzwicktesten Lagen und Doppelgriffen gehört wie zu den Lieblingszügen aller jüngeren Virtuosen, so auch zu den seinigen. Man findet einen solchen Gang fast in jeder der Etuden. Ob das Werk bereits in Deutschland gedruckt, wissen wir nicht;* wir würden dann für eine Auswahl stimmen, die dem Componisten mehr zur Ehre gereichen würde als vollständiger Abdruck.

Carl Mayer, Sechs Etuden.  Werk 55.

Spielt man diese Etuden nach den vorigen, so glaubt man sich wie aus finsterem, struppichtem Waldesdickicht auf eine grüne glatte Rasenfläche versetzt. Freundlich sind diese Etuden genug, wie fast alle Compositionen dieses Componisten; aber man hätte nach manchen seiner

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        * Es lag in der französischen Ausgabe vor.

{322} früheren erwartet, er würde sich zu einer eigenthümlichen Autorität herausbilden; eine Erwartung, in der wir getauscht sind. Seine Physiognomie hat an Schärfe und Ausdruck viel verloren; man möchte ihn jetzt oft für einen jungen Salonspieler halten, der mit Thalberg und Henselt rivalisiren wollte, und dies an einem älteren Künstler zu bemerken, könnte beinahe traurig stimmen, wenn andererseits das vorliegende Werk nicht so manches Einnehmende an sich hätte, so daß man darüber vergißt, was der Componist unter anderen Verhältnissen hätte leisten müssen. Die Befürchtung aber, daß er sich im Ganzen verflacht, stützt sich zunächst auf obige Etuden; wer aber weiß, was er vielleicht noch im Vorrath hat? Und gehen große Genien wohl einmal einige Minuten rückwärts, um wie viel eher kann es Anderen geschehen. Die Etuden werden, wie gesagt, gern gespielt und gehört werden; das erstere namentlich, weil sie so sehr leicht in die Finger fallen, daß mittlere Spieler fast nirgends fehlzugreifen zu fürchten brauchen, bis in der letzten, einer Etüde in Sprüngen, „Souvenir à Thalberg“ genannt, die wir ihm gern erlassen hätten: denn es ist nichts leichter, als dergleichen zu Dutzenden zu schreiben. Besonders anmuthig ist sodann die zweite in As dur. Die dritte in Fis moll wünschten wir dagegen gänzlich ungedruckt, da sie sich gegen Henselts „Poëme d’amour“ wie ein schwacher Schattenriß ausnimmt. Componisten setzen solchen Vorwürfen oft den Einwand entgegen, „sie hätten den sogenannten Schattenriß eher componirt als das vermeintliche Original sein Stück“ etc.; aber auch dann dürfen dies nicht drucken lassen; die Etüde ist an sich zu wenig bedeutend. Die andern mögen sich Alle, die den Componisten von früherher liebgewonnen, selbst ansehen und selbst urtheilen, wo er sich treu geblieben, wo nicht.

Stephen Heller, 24 Etuden.  Werk 16.

Die Zeitschrift hat schon öfter auf diesen jungen geist- und phantasievollen Künstler aufmerksam gemacht. Er lebt seit etwa zwei Jahren in Paris, wo sein Talent als Componist und Virtuos gleichfalls schon rühmliche Anerkennung gefunden. Die Etuden sind sein größtes bis jetzt erschienenes Werk. Ordentliche Etudenspieler irren aber, wenn sie darin auf rechte Fingerarbeit zu treffen hoffen; sie finden mehr, Charakterstücke nämlich in bunter Reihe, darunter einige von ausgezeichnetem Werthe, sämmtlich aber einen musikalisch-regen Geist verrathend. an dem nur zu bedauern, daß er seinen Reichthum in so kleinen Formen zersplittert. Andere haushälterischere Componisten würden aus manchen


{323} Grundgedanken der Etuden ganze Concerte und Sonaten aufgebaut haben; unser Componist zieht es vor, nur anzudeuten und flüchtig anzuregen; sein überwiegender Humor will es so, und auch der Schattenriß ist willkommen. Es liest sich die Etudensammlung etwa wie ein Tagebuch. Mannigfaltige Meinungen sind hier neben einander ausgesprochen, bittere Bemerkungen fehlen nicht, auch nicht liebe Erinnerungen. Der Künstler, der Philosoph, der Freund läßt sich darin gehen, als sähe ihm kein Menschenauge zu, als gäbe es keine Recensenten. Vielen wird dies offne hingebende Wesen gefallen. Andern Stoff zur Befürchtung geben, ob diese heitere Freigebigkeit sich nicht etwa in der Zukunft räche, im Alter, wo man oft mit Wenigem auskommen muß und oft gegen seinen Willen. Wie der Componist nur andeutete, so deutet auch, der darüber schreibt, nur an und meint, der junge Künstler verschwende nicht zu viel im Kleinen. Viele, die gerade davon nützen, werden ihm dankbar sein. Im Angesichte der Kunst aber gilt es Consequenz, Energie, Kraftausspruch durch große Arbeiten, unausgesetztes Streben nach Veredelung. Möge die Zeit nicht kommen, wo der, der diese Zeilen hervorgerufen, sie nur ungern wieder in die Hand nähme! Die schönen Keime, die auch dieses sein letztes Werk in großer Zahl enthält, geben indeß auf schönere Hoffnungen Anspruch, und dies ist schon einer schärferen Auszeichnung werth, deren er denn auch im hohen Grade würdig. Dies wird hinreichen, auf die Etuden als auf etwas nicht Gewöhnliches aufmerksam zu machen und das Andenken an den Componisten bei seinen Landsleuten wieder aufzufrischen. Sein interessantestes und liebenswürdigstes Etudenstück* steht übrigens in dieser Sammlung nicht, sondern in der Moscheles-Fétis’schen Schule, auf die wir bald zu sprechen kommen werden. {{Right|13.

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Eduard Sobolewski:

Der Erlöser,'

Oratorium nach Worten der heiligen Schrift. Clavierauszug.

Wer die große Anzahl geistlicher Compositionen, die vor uns liegt, ansähe und noch zweifeln wollte, ob sich nicht auch auf dem

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             * „La chasse“,  Werk 29.

{324} Gebiete der Kirchenmusik ein erfreuliches Streben der Gegenwart zeigte, müßte blind oder ungerecht genannt werden. man möchte eher fragen, wo dies alles im kleinen deutschen Vaterland hin soll, und wie es verarbeitet werden kann. Erfreulich und bedeutsam bleibt aber diese wieder erwachende Vorliebe für die Kirchenmusik immer. Wir sprachen unsere Gedanken darüber schon bei Anzeige des Hillerschen Oratoriums „die Zerstörung Jerusalems“ aus.* Eine würdige Richtung zeigt sich auch in obengenanntem, das den Namen eines bisher mehr als musikalischer Schriftsteller denn als Componist bekannten Mannes aus dem Titel nennt. Es kommt aus Königsberg, einer in religiöser Beziehung neuerdings oft genannten Stadt. Der Umstand scheint nicht ganz zu übersehen zu sein. Die Luft, in der wir athmen, durchdringt nun einmal auch den ganzen innern Menschen, und wollen wir dem Oratorium auch nicht einen durchaus mystischen Charakter beilegen, so neigt es sich doch auffallend ins Grüblerische und Düstere. Vielleicht, daß manches durch den Reiz einer schönen Instrumentation, die zu beurtheilen uns versagt ist, gemildert erscheint, aber der Clavierauszug gibt zunächst jenen Eindruck, wozu vielleicht auch das Finstere der Ausstattung etwas beitragen mag.

Der Text zum Oratorium ist ziemlich lose aneinander gereiht und scheint stückweise in verschiedenen Zeiten entstanden. Vier Abtheilungen: die Verkündigung, die heilige Nacht, Johannes der Täufer und Johannis Enthauptung bilden das Ganze. Es fehlt ihm jedoch ein Mittelpunct, eine Hauptfigur, die Interesse erweckte, um die sich die Handlung bewegte. Kurz, das Buch leidet an Confusion. Dies konnte dem Componisten freilich nur schädlich werden; da die Handlung nicht fortreißt, vermochte der Componist sich auch nicht zu steigern, und dieser Mangel der Steigerung, innerer wie äußerer, wird dem Gefallen und der Wirkung des Werkes am meisten Eintrag thun. Sollten wir überhaupt irren, wenn wir die beiden ersten Abtheilungen des Oratoriums für später geschrieben glauben als die zwei letzten? Auch die Dedication bringt aus diesen Gedanken; die beiden ersten Theile sind nämlich dem jetzt regierenden König von Preußen, die späteren ebendemselben, aber als Kronprinz, zugeeignet, was denn leicht unsere Nachkommen irre machen könnte. Wie dem sein mag, der erste Theil des Werkes, wie es uns jetzt vorliegt, scheint den andern an Gehalt und Kunstwerth zu übertreffen und vor Allem an klarer

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         * Seite 309.

{325} Rundung und Einheit der einzelnen Musikstücke. Vermag nun das Ganze nicht unser Interesse bis zum Schlusse festzuhalten und zu erhöhen, so sind die meisten der einzelnen Stücke, für sich betrachtet, mit Auszeichnung zu nennen. Eines, um es gleich vorauszuschicken, vermissen wir aber in allen: recht natürlichen Gesang. Wie schimmert doch selbst in den kunstvollst verschlungenen Gebilden Seb. Bachs eine geheime Melodie hindurch, wie in allen Beethovens! Dies weiß der geistreiche Componist auch selbst, aber freilich zwischen Wissen und Schaffen liegt noch eine ungeheuere Kluft, zwischen denen sich oft erst nach harten Kämpfen eine vermittelnde Brücke aufbaut. Darauf scheint mir denn der Componist vorzüglich achten zu müssen: auf bestimmtere und natürlichere Aussprache der Melodie, die auch in der Kirche ihr Recht will, ebenso wie die Anmuth der Gestalt in der kirchlichen Malerei. In harmonischer Hinsicht gibt er uns dagegen viel Interessantes, wenn auch manches Gekünstelte. Daß aber kunstvollere Formen überhaupt im kirchlichen Stil angewandt werden, kann nur Zustimmung erhalten. Wir finden davon eine Menge. Doppelcanons, Doppelfugen u. s. w. geben vom Fleiß und der Bildung des Componisten an vielen Stellen ein rühmliches Zeugniß; auch zeichnen sich die Themen oft durch Eigenthümlichkeit und Besonderheit aus. Nach Anhören des Werkes in seiner ursprünglichen Gestaltung, d. h. mit Orchesterbegleitung, treten seine Vorzüge vielleicht noch entschiedener hervor. Ein Clavierauszug, so sorgfältig auch der vorliegende ausgearbeitet ist,* bleibt immer ein dürftiger Nothbehelf, der dem Componisten sein vollständiges Recht bei der Kritik nie gibt und geben kann. So gut es unter diesen Umständen möglich, versuchen wir noch von einzelnen Nummern der ersten und, wie wir glauben, bedeutenderen Hälfte des Oratoriums eine Ansicht zu geben.

Die Ouverture hat den Charakter der Einleitung und ist kein abgerundetes Musikstück. Das fugenartige Allegro erinnert an Händelsche Weise; schon hier fängt der Componist an, Beispiele von künstlicherer Arbeit, wie Umkehrung der Themen u. s. w. zu geben. Die erste Gesangnummer enthält eine Begrüßung an die Jungfrau Maria; die Form ist die des Doppelcanons im Chor, die Haltung würdig und angemessen. Nr. 3 bietet nichts Hervorstechendes. Dagegen sagt uns Nr. 4, eine Arie für Sopran, durch größere Innigkeit des Gesanges besonders zu. In Nr. 5 fällt Seite 8, letztes System, Tact 3 die sich

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       * von Bertha Sobolewska geb. Dorn.


{326} plötzlich verändernde Bewegung auf, über die sich Director und Chor nur mit Mühe verständigen mochten. Die folgende Fuge gehört wieder zu einer selteneren Gattung: sie ist motu contrario, das Thema übrigens ein glückliches.

Die zweite Abtheilung des ersten Theiles beginnt mit einem Doppelchor der Hirten und Hirtenknaben, dessen erstere Hälfte namentlich von schöner Wirkung sein muß. Die Worte: „O seht, Herr tröste uns“ und den sich auf einmal verändernden Charakter des Chores verstehen wir nicht zu fassen. Die folgende Altarie klärt nur halb auf, die uns auch als Musikstück zu kurz gerathen scheint. Vortreffliche Wirkung mag aber in der Kirche der folgende Chor der Engel und Hirten hervorbringen. Der der letzteren nimmt den andern immer im pp, wie im Echo auf. Die Melodie des Chorals ist schön. Es folgt ein kurzer Fugensatz mit einem etwas sonderbaren Thema. Nach ihm tritt zum erstenmale ein Recitativsatz auf. Simeon singt in einer kurzen Arie: „Herr, meine Augen haben den Heiland gesehen“, die uns im Charakter sehr wohl gefällt, aber als Musikstück ebenfalls der schönen Form und Rundung entbehrt. Abermals folgt ein Doppelcanon und diesem der Schlußchor mit Doppelfuge. Auch diese Sätze finden wir zu kurz, der Chor kann nicht recht ins Feuer kommen, und namentlich strömt der Schluß nicht kräftig genug aus, als Schluß eines ganzen Theils.

Nach diesen kurzen Andeutungen mag man etwa auf die andere Hälfte des Oratoriums schließen. Ueberall tritt uns der Componist als ein Starkwollender entgegen, der immer wahrhaft Würdiges und dabei Eigenes geben möchte. Oft verläßt ihn die Kraft des Meisters, aber scheint er dann selbst kleinmüthiger, so sinkt er doch nirgends zum leichtsinnigen Handwerker herab. Viel hat ihm der Text geschadet, dessen Planlosigkeit wir schon rügten. Gewiß aber bezeichnet das Oratorium im Bildungsgange des Componisten einen bedeutenden Schritt vorwärts, und er stärke sich in diesem Bewußtsein bald zu neuen größeren Arbeiten, wie wir denn seinen Namen schon jetzt denen der edler Strebenden unter den gegenwärtigen lebenden vaterländischen Künstlern anreihen müssen. {{Right|12.

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Kürzere Stücke für Pianoforte.

A. H. Sponholtz, Phantasiebilder. Werk 10.

Es ist nur billig, jungen ungekannten Componisten mit Nachsicht entgegenzukommen. Der obengenannte, dessen Namen wir zum erstenmal begegnen, tritt indeß anspruchsvoller auf. Er hat seine Composition Franz Liszt zugeeignet und sie auf dem Titel mit dem Ausdrucke „Phantasiebilder“ belegt, was beides Erwartungen erregt. Im Innern findet man die zwei Stücke noch genauer durch „Rastloses Streben“ und durch „Seelenfrieden“ bezeichnet. Das elftere können wir an einem jungen Künstler nur löblich finden, nur verwechsele es sich nicht mit einem „ziellosen“, wie wir das Stück treffender nennen möchten. Der Componist scheint noch nicht einig mit sich zu sein, zu welcher Fahne er schwören soll; bei dem besten Willen, gut Gestaltetes zu liefern, möchte er auch genial ungebunden erscheinen, und er wäre ja auch wirklich ein Meister, wenn ihm dies gelungen. Doch ist sein Stück nicht einmal technisch fertig, und so stürzt wie aus einem mangelhaften Gefäß der Inhalt, der etwa da ist, aus allen Seiten heraus. Mit dem „Seelenfrieden“ können wir uns aber noch weniger befreunden; der hieße besser etwa Ètude à la Thalberg; auf diesem Wege glaube der junge Componist nichts zu erreichen; aus solchem Seelenfrieden muß ihn die Kritik ernsthaft herauszubringen suchen. Trotz der manchen Ausstellungen, die wir an dem Werke dieses Novizen zu machen haben, wollen wir ihm aber keineswegs musikalisches Talent absprechen, eine Anerkennung, die einem jungen Künstler ja immer die erfreulichste sein muß, deren er sich jedoch erst dann wahrhaft erfreuen kann, wenn er sich auch des festen Strebens, es fleißig auszubilden, bewußt ist.

J. F. Kittl, Drei Scherzos.  Werk 6.

Der Componist der fröhlichen „Jagdsymphonie“ zeigt sich auch in diesen Scherzos von der fröhlichen Seite. Was wir schon an früheren Compositionen ebendesselben hervorhoben, müssen wir auch an den Scherzos wieder: einmal die große Einfachheit und dann eine öftere Unklarheit des Rhythmus der Perioden, der Art, daß uns namentlich an den Schlüssen mancher Theile etwas zu viel oder zu wenig zu sein


{328} dünkt. Corrigiren und ändern läßt sich in solchen Fällen von Anderen nur selten, ebenso wenig, wie wir den unregelmäßigen Pulsschlag eines Anderen zu reguliren vermöchten. Doch ist es immer zulässig, den Componisten wenigstens auf solche Irregularitäten aufmerksam zu machen, damit er sich künftighin nicht zu sehr gehen lasse. Was aber an den Scherzos unbedingt erfreut, ist der heitere, naive Sinn, der aus jedem der Stücke hervorblickt, so daß wir vermuthen, der Componist hege eine besondere Vorliebe für Haydn. Nur im zweiten Scherzo versucht er sich einer leidenschaftlicheren Stimmung zu entledigen, doch fällt er im Trio bald wieder in den behaglichen Charakter zurück, der ihm natürlich scheint. In jenem leidenschaftlicher bewegten Stücke ist ihm auch Seite 6 Syst. 4 Tact 5 zu 6 eine Quinte entschlüpft, die wir ihm zur Sünde anzurechnen weit entfernt sind. Im Uebrigen ist die Schreibart, wenn nicht meisterhaft, doch durchgängig reinlich und correct. Solcher angeborenen wie erlangten Vorzüge bereits theilhaftig, wird der junge Componist, wie wir hoffen, immer Tüchtigeres zu Tage fördern und in der Reihe der Tonsetzer des musikalischen Böhmenlandes ehrenvoll mitzählen.

F. E. Wilsing, Caprice.  Werk 6.

Ein schätzenswerthes Stück, etwas kalt und steif, doch überall eine tüchtige Gesinnung, ein bereits fruchtbares Streben verrathend. Es will uns scheinen, der Componist habe sich schon frühzeitig vor der lärmenden Gegenwart abgeschlossen, sei über ihre verderblichen Einflüsse hinaus und gehe nun, unbekümmert, ob seine Werke in der Masse anklingen, seinen eigenen Weg. Solche Charaktere sind immer ehrenwerth, und wirken sie nicht als Epochenmänner, so nützen sie in kleineren Kreisen zum Besten der Kunst. Wir wüßten an der Caprice kaum etwas zu tadeln; in der Form ist sie ausgezeichnet, daß sich kaum etwas hinzuthun oder wegnehmen läßt; die Schreibart ist gesund, gedrungen, durchaus klar. Auf eine besondere Zuneigung des Componisten zu irgend einem Meister läßt sich nach seinem Stücke nicht schließen, es müßte denn B. Klein sein. Wenigstens trifft, wie die Compositionen des letzteren so die vorliegende der Vorwurf, daß ein höherer Ausschwung darin noch vermißt, daß er durch die Fesseln einer etwas engen Theorie hier und da gehemmt wird. Als Meister hat aber noch Niemand angefangen, und das tiefere Geheimniß unserer Kunst, daß sie allmächtig die Herzen beherrsche, geht auch den


{329} Fähigsten oft erst im späteren Alter auf. Durch recht freudiges Singen kommt man ihm noch am bäldesten auf die Spur. Der Componist möge uns verstehen, die wir im wohlwollendsten Sinne zu ihm gesprochen.

A. Fesca, Scène de Bal. Morceau de Salon. Oe. 14.

{{Right|„ „ La Mélancolie. Pièce caractéristique. Oe. 15..

Von diesem Componisten hegten wir bisher gute Hoffnungen, die aber nicht in Erfüllung zu gehen scheinen: er schreibt viel und leicht, selbst anmuthig, mehr aber kann man an seinem Streben nicht loben. Das Meiste kann man in A. Henselts Compositionen zehnmal besser haben. Bei seinem Talente könnte er aber ungleich mehr leisten. Es scheint jedoch, das Lob, das man ihm an vielen Orten gespendet, mache ihn als Componisten immer flatter- und stutzerhafter. Hält er uns vielleicht entgegen, man solle ihn doch nicht nach so kleinen Stücken beurtheilen, so müssen wir ihm entgegnen, der Künstler soll sich nie etwas vergeben, sobald er es mit der Oeffentlichkeit zu thun hat. In unsern vier Wänden einmal trivial sein, mag hingehen; vor der Welt aber bringt’s Schaden. Was glaubt Hr. Fesca zu erreichen, wenn er so fortschreibt? Wir wollen es ihm sagen: man wird ihn am Ende seiner Laufbahn vielleicht einen Kalkbrenner den Zweiten nennen. Wir haben nichts gegen diesen Ruhm, aber der höchste ist er keineswegs. Lenke er also noch ein, wo es noch Zeit ist; nehme er es ernsthafter mit sich und mit der Kunst. Bis jetzt hat er nur um den Beifall des Publicums gebuhlt; will er aber zu einem Urtheil über sich selbst kommen, so vertiefe er sich doch zu Zeiten in die Werke eines Meisters, etwa Beethovens, und gefällt er sich auch dann in seinem Streben noch, so müssen wir ihn freilich verloren geben. Mache er unsere Befürchtungen zunichte; seinem Talente sind wir Freunde, seinem Streben nicht. Es liegt an ihm, unsere Gesinnung über ihn zu ändern.

C. H. Strube, Lieder ohne Worte.  Werk 16.

Offen gesagt, die Mendelssohnschen sind uns lieber, wie wir denn Niemanden um den Einfall beneiden, nach ihm welche zu ediren. Doch haben die des Hrn. Strube etwas Abweichendes, Ueberschriften nämlich: Klage einer sicilianischen Fischerin (nach Th. Moore),

{330} Schlummerlied, Sehnsucht, Gottvertrauen. Das zweite und vierte Lied sagen uns am meisten zu, das dritte weniger; gegen die „„Klage“ aber müssen wir energisch protestiren; so klagt keine deutsche, geschweige eine sicilianische Fischerin, und gäbe es unter unseren Leserinnen welche, sie sollten es uns bezeugen. Doch Ueberschriften sind nur Nebensache. Halten wir uns an den rein musikalischen Gehalt; der ist nicht schlecht. Richtigkeit des Satzes wird bei der Stellung, die der Componist hat (er ist Organist), vorausgesetzt, auch runden sich die Stücke ziemlich leicht ab, die wir ihrem Charakter nach schlicht und gutmüthig bezeichnen möchten. Viel mehr läßt sich über das Opusculum nicht sagen. Ein gewöhnliches Bild zu gebrauchen — es hat einer jener kleineren Sangvögel der Nachtigall nachzusingen versucht, und auch Zaunkönige muß es geben!

Julius Schäffer, Drei Lieder ohne Worte. Werk 4

„Und auch Zaunkönige muß es geben!“ Mit diesen Worten schloß unsere letzte Anzeige über ein ähnlich genanntes Heft eines andern Componisten. Auch auf das vorliegende ließen sich jene anwenden; doch sind es werthvollere Nachbildungen, als wir meisthin unter jenem allgemein gewordenen Titel erhalten. Der Componist scheint jung und noch im ersten Bruttrieb zu schaffen; wer wird da gleich nach dem Maßstabe messen wollen, nach dem man Meister beurtheilt. Fährt er aber fort, wie er angefangen, arbeitet er sich nach und nach auch zur Selbständigkeit hinauf, so dürfen wir noch Erfreuliches von ihm erwarten. Was uns zu dieser Hoffnung vorzüglich berechtigt, ist der seelenvollere Zug, der diese Lieder vor andern ihresgleichen auszeichnet, und erscheinen sie auch in der Ausführung noch nicht überall fertig, so wird dem der Fleiß nachhelfen und ein fortgesetztes reges Schaffen der Hand eine größere Leichtigkeit und Festigkeit geben. Auch diese „Lieder ohne Worte“ haben Ueberschriften; sie wären unsrer Meinung nach besser weggeblieben. Es gibt geheime Seelenzustände, wo eine Andeutung des Componisten durch Worte zu schnellerem Verständniß führen kann und dankbar angenommen werden muß; unser Componist gibt aber bekannte, für welche Bezeichnungen wie: „Meeresstille — Träum' ich? nein, ich wache — Schwermuth“ zu preciös erscheinen, die zweite finden wir sogar geschmacklos. Die Stücke einzeln betrachtet, so sagt uns das dritte am meisten zu,

{331} obwohl sich gerade in ihm das Vorbild des Componisten am deutlichsten verräth.

J. C. Keßler, Sieben Walzer für Pianoforte.

Nach einer Reihe von Jahren erwähnen wir diesen Componisten, auf den wir früher Hoffnungen gesetzt, heute zum erstenmal wieder. Wir glaubten, er würde sein langes Schweigen durch ein größeres Wert unterbrechen; doch scheint es, habe er seinem Talente das, was man seinen Anfängen nach davon erwartete, nicht abgewinnen können, als habe er es von selbst aufgegeben, ihm Eingang und Geltung zu verschaffen. Leider! setzen wir hinzu; denn er hatte das Zeug, etwas zu werden. Auch diese Walzer bestätigen dies wiederum; so flüchtig sie auch hingeworfen sind, so athmen sie doch überall Leben und Anmuth. Ein leiser Anflug von Schwermuth macht sie nur anziehender. Möchte der begabte Componist sich bald zu größern Arbeiten ermannen!

* C. Montag, Drei Melodieen.  Werk 4.

Es verrathen diese Stücke ein bedeutendes Streben, das auch im Kleinen Vollkommenes und Kunstwürdiges geben möchte. „Lieder ohne Worte' sind es nicht, wie Mancher dem Titel nach vermuthen könnte, doch auch keine Mélodies (das letzte etwa ausgenommen) sondern eher Impromptus verschiedenen Charakters, Das erste scheint mir zu kurz gerathen und will deshalb keine warme Theilnahme erwecken; es liegt wohl auch an der etwas monotonen melodischen Hauptfigur, auf die das ganze Stück aufgebaut ist. Durch einen Gegensatz in einer Molltonart oder ein Trio in einer verwandten würde es vielleicht gewonnen haben. Das zweite Stück ist ein eigentliches Impromptu und mit Fleiß, fast etwas ängstlich behandelt; im 6/8 Tact geschrieben würde es sich wohl auch natürlicher ausgenommen haben. Das letzte der Stücke hat einen warmen Ton und sagt uns auch als Ganzes am meisten zu; die Steigerung vor dem Rückgang wirkt beim erstenmal Hören etwas herb, was sich durch öfteres indeß mildert. Wir haben der Anzeige dieser kleinen Stücke mehr Platz eingeräumt wie gewöhnlich, weil sie, wie gesagt, ein höchst achtungswerthes Streben bezeugen, das mit der Zeit sicher immer schönere


{332} Früchte tragen muß. Es zeigt sich jenes Streben in andern so eben erschienenen Compositionen des jungen Künstlers, in Etuden und Liedern, noch deutlicher; wir werden unter den besondern Rubriken, die die „Etüde' und das .Lied“ in der Zeitschrift erhalten, darauf zurückkommen.

Alexander Dreyschock, Große Phantasie.  Werk 12.

Das erste größere Werk des jungen Clavierhelden. der die Zeitungen so viel von sich sprechen macht. Gestehen wir es leider, es ist uns seit lange so etwas Abgeschmacktes nicht vorgekommen. Welche Armuth an Phantasie und Melodie, welcher Aufwand, mit dem uns hier die Talentlosigkeit imponiren möchte, welches Schönthun auf den trivialsten Gemeinplätzen! Hat der junge Virtuos gar keinen Freund um sich, der im die Wahrheit sagte. Niemanden, der, seine Fingerkünsteleien übersehend, ihn auf das Seelenlose, Nichtige solcher Musik aufmerksam machte? Es geht privatim das Gerücht, der Virtuos sei ein abgesagter Feind Beethovens und er halte gar nichts von ihm; wir wissen’s nicht, aber seine Compositionen machen so eine Apprehension mehr als wahrscheinlich. Studire er nur immerhin Beethoven, ja nicht einmal das braucht’s, er kann von Meistern dritten und vierten Ranges lernen, von Strauß und Lanner. Leider fürchten wir mit unserm guten Rathe nicht einmal verstanden zu werden, denn die „Phantasie“ verräth nicht sowohl ein schülerhaftes Talent als wirkliches angebornes Unvermögen zum Schaffen. Dies könnte beinahe milder stimmen; aber wo die Impotenz so gar pretentiös auftritt, kann man unmöglich ruhig zusehen. Was Hr. Dreyschock als Virtuos leistet, ist eine Sache für sich; seine Sprünge, seine Kraftgriffe, die Bravour, mit der er alles ausführt, können wohl eine Weile ergötzen. Aber es kommt die Zeit, wo auch diese Künste im Preise sinken werden, und was bleibt dann dieser Art Virtuosen noch übrig? —

Eduard Wolff, Vier Rhapsodieen.  Werk 29.

An einer größeren Etudensammlung desselben Componisten, die die Zeitschrift vor einiger Zeit besprach, konnte der Berichterstatter leider nicht mehr loben als das hervorstechendere Talent, das sich im


{333} Allgemeinen darin zeigte. Mit Vergnügen machen wir daher auf diese Rhapsodieen aufmerksam, die überall einen Fortschritt des Componisten beurkunden; sie sind leichter, fast walzerartiger Natur, aber bei Weitem sauberer in Erfindung und Ausführung als die Etuden, dabei pikant, selbst geistreich. An Chopin wird man oft erinnert, doch mehr an den Clavierspieler, an dessen Zickzackgänge, im Einzelnen wohl auch an einige Harmoniewendungen; im Uebrigen aber blickt ein lebenslustiges, sinnliches Element aus den Stücken, so daß sie sich leicht Eingang auch auf deutschen Clavieren verschaffen dürften. War' es das wilde Paris nicht, wo der Componist lebt, wir würden seiner Zukunft als Künstler ein gutes Prognostikon stellen, so aber müssen wir abwarten, ob er auch Kraft haben wird, den Verführungen zu widerstehen, deren Opfer dort schon so manche glänzende Talente geworden. Andererseits bleibt es wieder wahr, das Gefällig-Conversationelle, das auch diese Rhapsodieen auszeichnet, vermag nur eine Stadt wie Paris zu geben; und Deutsche, die Aehnliches wollen, nehmen sich meist ungeschickt und ledern aus; wir wüßten (Thalberg ausgenommen) kaum einen deutschen Componisten, der so brillante Salonstücke zu Stande bringen könnte, aber freilich auch viele, die Besseres können. Wie gesagt, wir hätten nichts dagegen, wenn wir auch die bessern Modesachen nicht aus Paris zu beziehen brauchten; aber der Deutsche ist nun einmal überall mehr Mode als zu Hause. Noch etwas Specielleres über die Stücke zu sagen, die diese Zeilen veranlaßt, so sind es namentlich die dritte und vierte Rhapsodie, die uns vorzugsweise im Sinne geistreicher Unterhaltung zugesagt. Zum Begriff „Rhapsodie“ fehlt ihnen eigentlich das Rhapsodische, dem wir selbst noch mehr Freiheit als dem Scherzo zugestehen; doch ist’s eben ein Wort, für die Sache hätten wir selbst kein passenderes zu wählen verstanden.

Ob die leichte Hand übrigens, die sie geschaffen, sich auch beim Anfassen schwererer Formen als eine kräftige bewährt, wird die Folge zeigen. Jedenfalls verdient der Componist für die freundliche Gabe freundlichen Dank.

* F. W. Markull, Vier Charakterstücke.  Werk 2.

Characterstücke in der That trotz des sentimentalen Mottos: „Und was umsonst die Worte möchten sagen, das dürfen Töne auszusprechen wagen“. Wir haben sie mit Freude gelesen und gehört; es


{334} sind gesunde hoffnungsvolle Keime, und der Componist zeigt Herz und Verstand. Was in der Form noch mangelhaft, wird die Zeit bringen; wir finden dies Mangelhaftere namentlich im ersten Stück, wo es gegen das Ende hin plötzlich nach G moll sich wendet, dann im zweiten, wo der Hauptgesang (erst in B dur) nicht schön in E dur sich wiederholt. Der Componist, der überall Geschmack und Bildung verräth, wird uns verstehen, wenn wir nur andeuten. Der Grundton der Stücke ist dagegen in allen ein so kräftiger und erfreulicher, wie man es in zweiten Werken nur selten antrifft. Das originellste scheint uns das zweite mit der balladenähnlichen Melodie in der linken Hand; in den anderen findet man hier und da Anklänge an Mendelssohn, wohl auch Henselt, doch nirgends, daß es wie matte Copie aussähe. Wir hoffen dem Componisten bald wieder zu begegnen; er verdient Theilnahme und Auszeichnung.

* C. G. Lickl, „Gasteiner Blüthen“, Zehn Rhapsodieen.  Werk 59.

Die „Ischler Bilder“ desselben Componisten haben im Publicum wie bei der Kritik so freundliche Aufnahme gefunden, daß er ihnen eine ähnliche Reihe Tonstücke folgen läßt, denen wir gleichfalls Theilnahme versprechen dürfen. Wie die Ischler Bilder, so haben auch diese Tonstücke Überschriften und Mottos; die Musik an sich bedürfte sie kaum, doch hat der Componist mit Sinn und Geschmack gewählt. Die hervorstechende Farbe der ganzen Sammlung ist überhaupt ein gemüthliches Blau; nur selten nimmt er grellere, grauere zu seinen Schilderungen. Charakterisiren wir sie durch Mittheilung der Ueberschriften, die die 10 verschiedenen Nummern tragen, noch genauer, — sie heißen: Die Schwermuth, Der Ruderschlag, Das Nachsinnen, Wasserringe, Dreifaltigkeitsblümchen, Auf dem Naßfeld, Auf dem Friedhof zu St. Nicola, Alpenrosen, Bei der Sennin, An der Gasteiner Ache. An Abwechselung fehlt es mithin nicht im bescheidenen Blüthenkranz, und erhalten wir nicht immer Originales und Tiefes, so doch Freundliches, Wohlklingendes; wir möchten diese Leistungen mit denen einiger österreichischer Dichter (Seidl, Vogl) in Vergleich stellen. In musikalischem Betracht erinnern sie zunächst an die Schubert-Lisztschen Stücke, wie wir schon an den Ischler Bildern bemerkten. Um Einzelnes hervorzuheben, so finden wir gleich die Einleitung zur ganzen Sammlung sehr artig und wie eine Widmung zart und auf das Folgende hindeutend, trotz einer starken Reminiscenz an die G moll-Ballade


{335} von Chopin; auch die erste Nummer (Schwermuth) hat einen Chopinschen Anstrich. In der zweiten kann sich der Componist nicht von einer Harmonie trennen, der auch wir sehr hold sind; sie erscheint indeß wohl zu oft.* Das Stück heißt: der Ruderschlag, und stellt sich als charakteristisch schon dem Auge dar. Noch vieles ließe sich über die einzelnen Stücke sagen; summiren wir unser Urtheil in das Geständniß, daß diese Compositionen zu den bemerkenswerthesten gehören, die uns die Kaiserstadt in neuster Zeit gebracht, und hängt auch ihnen noch viel Virtuosisches an, so überwiegt doch der gute Geschmack bei Weitem, und es ist zu hoffen, der so wackere Componist läutere sich immer mehr und mehr. Schreibe er doch auch für Gesang; seine Claviercompositionen verrathen auch hierzu glückliche Befähigung.

* Robert Müller, Poésies musicales.  Werk 5.

So viel wir wissen, ist der Componist ein Schotte, trotz seines echt deutschen Namens. Seine Stücke verrathen indeß nichts von seiner ausländischen Abstammung; nach ihnen zu urtheilen ist er mit Leib und Seele ein Thalbergianer und Bellini sein Nebengott. Musiker wissen sonach, was sie von den Compositionen zu erwarten haben: ein Gemisch von Sentimentalität und Clavierpassage, wie es namentlich in Salons geschätzt wird. Uns behagt dergleichen indeß nur wenig, und man weiß erst, was man an Thalberg und Bellini hat. wenn man ihre Schüler daneben hält. Wie mattherzig das alles ist; man begreift nicht, wie es dem Componisten nur selbst gefallen mag. Die Ueberschriften, die die Stücke haben, machen die Sache nicht besser. Das erste „la cloche de soir“ könnte eben so gut die Morgenglocke heißen, das zweite I'adieu eben so gut le retour, wie das dritte le retour sich vom I'adieu nur blutwenig

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      * Allegretto.

#Notenbeispiel.


{336} unterscheidet. Mehr vermögen wir leider aus den Stücken nicht herauszufinden. Der Componist scheint fertiger Clavierspieler; verwende er seinen Fleiß auf das Instrument; als Componist wird er schwerlich reussiren.

* Walther von Goethe, Rêveries.  Werk 4.

Auch ein berühmter Name, auch Mottos; es blickt eine gewisse sehnsüchtige Schaffenslust aus diesen Stücken, dabei ein schlichtes, sanftes Wesen, das uns für den Componisten einnimmt. Freilich steht er noch nicht auf festen Füßen; eine überwiegende Vorliebe für italiänische Melodik will uns seine Richtung sogar etwas verdächtig machen. Indeß er ist jung, trägt einen geweihten Namen; wir wollen das Beste von seinen Bestrebungen erwarten. Zu einem der Stücke fehlt uns übrigens der Schlüssel; es heißt „Raoul“. Was soll das sein? Es gefällt uns übrigens am besten.

* Th. Kullak, „Rêve“, Pièce de Salon.  Werk 4.

Ebenfalls ein sentimentales Salonstück, das indeß Geschick und Talent, jedenfalls einen guten Clavierspieler verräth. Der alte Bach würde wohl gestutzt haben bei einem Anfange wie diesem!

  1. Notenbeispiel.

Indeß klingt er gut und die Folge ist nicht schlimmer, das Andante sogar sehr einnehmend für den Componisten. Auf Frauenbeifall scheint er es zunächst abgesehen zu haben und er kann der zarten Kleinigkeit auch nicht ausbleiben. Immerhin beherzige der junge Virtuos, was ihm die Zeitschrift bei einer früheren Besprechung einer seiner Compositionen (S. 319) ans Herz legte: such' er sich auch bei Männern in Respect zu setzen!

{337}

Hermann von Lövenskiold, Vier Impromptus zu 4 Händen. Werk 11.

Bei dem großen Mangel an vierhändigen Stücken kann die Idee, für diese schone Gattung der Claviercomposition zu arbeiten, nur glücklich genannt werden. Es ist auch nicht das erstemal, daß sich der genannte Componist darin versucht; wir erinnern uns mit Freude einer ähnlichen Sammlung Scherzos, die die Zeitschrift schon vor zwei Jahren besprochen und mit wärmstem Lobe begrüßt. Vielleicht, daß der Beifall, den wir damals gezollt, den jungen, talentvollen Musiker anreizte, noch mehr Derartiges zu schaffen; wir vermuthen es, die neuen Stücke scheinen uns absichtsvoller, gesuchter, als wolle der Componist die früheren überbieten. Dies Streben müßte an sich nur löblich genannt werden; aber die Absicht blickt durch, und sie allein sichert, wie bekannt, nicht immer das Gelingen. Wie dem sei, als ein talentvoller Künstler bethätigt sich Hr. v. Lövenskiold auch in diesem neusten Werke, und oft dauert es uns nur, daß er sich für seine Gedanken keines größeren Rahmens, geradezu des Orchesters bedient, wo sie sich oft schärfer und effectvoller herausstellen würden. Mit Vorliebe scheint er noch an einem Componisten zu hängen, der, so würdig und eigenthümlich er dasteht, nur sehr wenig nachgeahmt worden ist, an Onslow nämlich. Wir haben nichts dagegen; es ist ein Seitenweg zum höheren Ziel, aber kein falscher; mit den wechselnden Jahren (der Componist zählt kaum 25) werden auch die Vorbilder wechseln; wir müssen es wünschen, denn ein junger Künstler, der seine Bildung allein aus Onslow holen wollte, würde es nicht hoch bringen und zuletzt ganz zurückbleiben. Aber auch hoffen dürfen wirs; ein junger, aufgeweckter Musikkopf, wie der unsers Componisten, kann unmöglich lange in dieser Richtung beharren. Dann aber, bildet und übt er sich vielseitiger, wird er gewiß in seinen Werken manches tilgen oder auch gar nicht schreiben, was wohl klingt und richtig aber musikalisch doch auch zu geringfügig ist, um es einen Gedanken nennen zu können. So gleich der Anfang des ersten Impromptus; der Componist macht im Verfolg daraus, was zu machen, und ein Meister könnte nichts Besseres herausbringen; im Grund bleibt jedoch der Gewinn nur immer gering: es liegt eben in der ursprünglichen geringen Erfindung, die keine Kunst zu adeln vermag. Wir nahmen dies kleine Beispiel; es findet sich noch Aehnliches in den Stücken, daneben aber auch so viel wirklich gut Erfundenes und in


{338} der Ausführung Gelungenes, daß wir auch diese Compositionen der Beachtung aller soliden Spieler empfehlen müssen. Beim ersten Durchspielen wird der Genuß freilich noch karg, und sie wollen auf das Genaueste und Beste zusammenstndirt sein. Eher aber soll man überhaupt nicht urtheilen, ehe man nicht ein Stück in seiner vollkommensten Ausführung sich denken kann oder es so gehört hat. Wir freuen uns, bald auch von andern Compositionen des interessanten jungen Dänen berichten zu können.

S. Thalberg, Scherzo (in A).  Werk 31.
  „       „          Gr. Nocturno (in Fis).  Werk 35.
  „       „          La Cadence. Impromptu in Form einer Etüde. (A moll).  Werk 36. 
  „       „          Souvenir de Beethoven. Fantasie (A.moll).  Werk 39.

Ueber diesen, wie über die Componisten der folgenden Stücke hat die Zeitschrift schon so oft gesprochen, die öffentliche Meinung wie die der Kritik steht über sie so fest bereits, daß sich nur weniges hinzufügen läßt, es wäre denn, daß sie selbst andere Richtungen einschlügen. Thalberg zum wenigsten nicht; er bleibt sich auch in den erwähnten Compositionen treu. Zunächst, wie man weiß, schreibt er für sich und seine Concerte; er will zuerst gefallen, glänzen, die Composition ist Nebensache, Blitzte nicht hier und da zuweilen ein edlerer Strahl hervor, und sähe man in einzelnen Partieen nicht einen sorglicheren Fleiß in der Ausarbeitung, seine Compositionen wären ohne Weiteres den tausend andern Virtuosenmachwerken beizuzählen, wie sie jahraus jahrein zum Vorschein kommen, um bald wieder zu verschwinden. Jenes edlere Streben zeigt sich namentlich in dem erstgenannten Scherzo, und es dauert uns der manchen guten Gedanken wegen, die es enthält, doppelt, daß kein vollkommen abgerundetes Musikstück daraus geworden. Die Mängel liegen in den Mittelpartieen, die, auch in der Erfindung schwächer, sich nicht geschickt genug in das Ganze einfügen. Stellen wie auf Seite 4 Syst. 3. vom letzten Tact an, kann Ref. wenigstens nicht anders als mit „musiklos“ bezeichnen; sie sind mit Mühe dem Instrument abgerungen, die Seele hat keinen Antheil daran. Nach Anlage und Charakter des Stückes gehört es aber, wie gesagt, zu Thalbergs besten Sachen. Das Notturno weicht in Ton und Haltung von der bekannten, durch Chopin etwas modificirten Weise nur wenig ab. Namentlich


{339} dieses Notturno wird sich Freunde erwerben, und noch mehr Freundinnen. Echt Thalbergisch ist das mit la Cadence aufgeführte Stück, ein hübsches Thema, bei der Wiederholung capricciomäßig variirt, brillant und sehr effectvoll. Viel Sprechen hat das Souvenir de Beethoven von sich gemacht; wir müssen es indeß als einen großen Mißgriff bezeichnen und gestehen unsere Pedanterie in diesem punct. Beethoven verträgt einmal keine virtuosische Behandlung; wir dürfen nicht dulden, daß kindische Hände an ihm zerren und rütteln. Ja wir möchten es geradezu als eine Achtungslosigkeit Thalbergs, ein Gar-nicht-kennen von Beethovens Größe ansehen, wenn es nicht eben anders wäre. Paris hat die Schuld an der unglücklichen Idee; Beethoven ist dort Mode; schon Bériot ließ sich das nicht entgehen, Thalberg folgte und — sei er auch der letzte! Es ist nicht gut, mit Löwen spaßen wollen.

					F. Hiller, Impromptu (in E).

„ „ Drei Capricen. Werk 20. „ „ Vier Rêveries. Werk 21.

Seit der letzten Besprechung Hillerscher Claviercompositionen sind wir allesammt beinahe um sieben Jahre älter geworden. Vielleicht erinnert sich noch, mancher unserer Leser einiger größerer, im J. 1835 geschriebener Aufsätze, und welches Horoskop wir damals dem jungen Künstler stellten. Er hat seitdem als Claviercomponist nur wenig geliefert und sich in größeren Gattungen, in der Oper und dem Oratorium, versucht. Sein Oratorium namentlich begrüßten wir als einen Fortschritt zur Meisterschaft, und geht ihm auch jene siegende Gewalt ab, der wir wie in andern Meisterwerken nicht widerstehen können, so offenbart es doch ein so entschieden klares Wollen bei so vielen andern musikalischen Vorzügen, daß wir ihm freudig zuriefen, auf solchem Wege fort zu beharren. Seine neusten Clavierstücke haben uns wieder über das Ziel des Componisten etwas irre gemacht. Vielleicht sind sie aus früherer Zeit, vielleicht in nicht günstiger Stunde geschrieben; sie mißfallen uns fast ganz und gar. Es ist damit, als wenn man in einen Korb reifer und unreifer durcheinander geworfener Früchte griffe; man kann zu keinem rechten Genuß kommen. Am wenigsten ließe sich das von dem erwähnten Impromptu sagen, das durch schönen Vortrag sogar eine anmuthige Wirkung hervorbringen und durch ein besonderes bis zum Schluß festgehaltenes Colorit zu


{340} fesseln vermag; es gefällt uns, so klein es ist, von allen oben genannten Compositionen am besten. Mit den Reverieen und noch weniger den Capricen vermögen wir uns aber nicht zu befreunden. Es steht hier so viel Triviales und Forcirtes neben einzelnem Geistreichen und auch wirklich Charakteristischen, daß wir sie in einer früheren Periode des Componisten entstanden glauben; ja Einzelnes finden wir so Hyper-Meyerbeerisch und abscheulich, daß uns wundert, wie er es nur drucken lassen konnte: so in den Reverieen S. 5 der Uebergang von B moll nach A moll, S. 6 die Harmonie von Des dur nach dem Sextaccord auf H, S. 11 von Eis oder F dur gleich nach H dur etc. etc. Wir wissen gar wohl, es sind dies gerade jene Stellen, die z. B. in Pariser Salons das Glück eines ganzen Stückes machen, wie sie namentlich Meyerbeer liebt und in Schwung gebracht; auf gute deutsche Musiker ist indeß damit kein Eindruck hervorzubringen, und wir wünschten sie, wo sie hingehören, ins Pfefferland. Ueberhaupt ringt, nach diesen Stücken zu urtheilen, in Hiller noch immer der Clavierspieler mit dem Componisten; es hängt ihm wohl von früher an, wo er sich der Bewegung der neusten Claviermusikerepoche mit Interesse anschloß; gebe er indeß eines oder das andere auf, schreibe er ganz als Virtuos für Virtuosen oder ganz als Künstler. Gerathen ist dies freilich leichter als gethan; es scheint uns aber, als wäre dies die Klippe, wogegen er zu warnen: er wolle weniger Effect machen, dann wird er’s, auf die Künstler wenigstens. Vielleicht nehmen wir es auch zu streng, vielleicht legt der Componist, der in größeren Formen sich schon hervorgethan, selbst kein Gewicht auf seine kleineren Erzeugnisse; aber die Zeit ist kostbar, ein ernster Wink hätte schon manch' verlorne ersparen können, und es bleibt immer besser, die Krankheit beim Namen zu nennen, als schonen zu wollen. Nur eine Nummer enthalten die Reverieen, wo sich der Componist der Einmischung von Virtuosenbeiwerk fast gänzlich enthält, die zweite, ein feines Genrebild, und uns die liebste im Hefte. Am wenigsten aber können wir uns, wie gesagt, mit den Capricen befreunden; man findet vieles darin, Bravourpartieen, einzelnes fleißig Gearbeitete, leicht sangbare Cantilene, oft interessante harmonische Gänge, von allem etwas, als wolle es der Componist Allen recht machen, und doch oder eben deshalb kein Kunstganzes, keinen Stil. Mag auch die Bezeichnung „Capriccio“ vieles in Schutz nehmen, es steht hier zu viel Echtes und Unechtes, Eigenes und Entlehntes nebeneinander, als daß es gefallen könnte. Eine Zergliederung würde zu weit


{341} führen; möchten sie Andere vornehmen und dann unser Urtheil bestätigen. Dies alles sagen wir aber nur im Bewußtsein des bedeutenderen Talentes, das uns hier gegenüber steht; einem geringeren, ungebildeteren müssen wir manches zum Lobe anrechnen, was wir bei einem vorgeschrittenen nur natürlich finden. In den gesteigerten Ansprüchen an die letzteren aber liegt schon eine Anerkennung, die dem rechten Künstler mehr gilt als wohlwollende Nachsicht, die der, von welchem wir sprechen, auf keine Weise verdient.

W. Taubert, La Najade. Pièce concertante (in F).  Werk 49. 
  „        „         Suite: Prélude, ballata, Gigue, Toccata.  Werk 50.

Zwei sehr verschiedene Compositionen, die zu mannigfachen Betrachtungen Anlaß geben können. Auch Taubert ist von den Einflüssen der modernen Virtuosität nicht unberührt geblieben, und blickt auch immer seine gründliche Bildung durch seine derartigen für den Concertsaal berechneten Compositionen hindurch, so schien es doch, als habe er sich manches angeeignet, was nicht ganz seiner Natur gemäß war. Er stand zu manchen Virtuosen, die gern Gründliches geben möchten, gewissermaßen in einem umgekehrten Verhältnisse; er besitzt, was jene nicht haben, und wollte doch auch nicht zurückbleiben hinter der allgemeinen Bewegung, wie sie durch die Erfolge der neusten Clavierspieler hervorgerufen war. Theilweise gehört auch die „Najade“ dieser modernen Richtung an. Da wird plötzlich in ihm eine andere Saite wach; er gibt uns ein Heft, auf dem die alten lustigen Namen Suite, Prélude, Gigue etc. prangen, und darin köstlichen Inhalt. Gestehen wir, wir ziehen sie seinen Bravourstücken bei Weitem vor, auch der „Najade“, die uns für eine solche doch nicht leicht, nicht natürlich genug vorkommt, — nicht an Bennetts Composition gleichen Namens zu gedenken, der freilich auch Flöten und Hoboen, kurz ein ganzes Orchester zu seinem Gemälde nahm. Aber die Suite müssen wir auf das Wärmste hervorheben. Man fürchte sich nicht vor dem Namen; unter dem künstlichen Rococo schlägt ein frisches warmes Herz, das sich mit Liebe einmal in die Vergangenheit gesenkt und wie es um sein eignes steht, dabei doch auch nicht verleugnen kann. Was sich der Componist bei seinen alterthümlichen Gebilden gedacht, wollen wir nicht einzeln zu erklären versuchen. Es steckt aber so viel Ironie und Wehmuth in seiner Musik, daß wir sie verstanden zu haben glauben.


{342} Wir sind einig mit ihm. Strebet vorwärts, wollte er sagen, aber gedenkt der Alten zuweilen. Genüge dies Wenige, daß sich recht Viele das interessante Heft ansehen.

F. Chopin, Zwei Notturnos (G moll und G dur).  Werk 37. 
 „        „       Ballade (in F).  Werk 38.
 „        „       Walzer (in As). Werk 42.

Chopin könnte jetzt alles ohne seinen Namen herausgeben, man würde ihn doch gleich erkennen. Darin liegt Lob und Tadel zugleich — jenes für sein Talent, dieses für sein Streben. Denn sicherlich wohnt ihm jene bedeutende Originalkraft inne, die, sobald sie sich zeigt, keinen Zweifel über den Namen des Meisters zuläßt; dabei bringt er auch eine Fülle neuer Formen, die in ihrer Zartheit und Kühnheit zugleich Bewunderung verdienen. Neu und Erfinderisch immer im Aeußerlichen, in der Gestaltung seiner Tonstücke, in besonderen Instrumenteffecten, bleibt er sich aber im Innerlichen gleich, daß wir fürchten, er bringe es nicht höher, als er es bis jetzt gebracht. Und ist dies hoch genug, seinen Namen den unvergänglichen in der neueren Kunstgeschichte anzureihen, so beschränkt sich seine Wirksamkeit doch nur auf den kleinern Kreis der Claviermusik, und er hätte mit seinen Kräften doch noch viel Höheres erreichen und Einfluß auf die Fortbildung unserer Kunst im Allgemeinen gewinnen müssen. Begnügen wir uns indeß. Er hat so viel Herrliches geschaffen, gibt uns noch jetzt so viel, daß wir zufrieden sein dürfen und jeden Künstler, der nur die Hälfte geleistet wie er, beglückwünschen müßten. Ein Dichter zu heißen, braucht’s ja auch nicht dickleibiger Bände; durch ein, zwei Gedichte kannst du dir den Namen verdienen, und Chopin hat solche geschrieben. Auch die Notturnos, die oben erwähnt sind, gehören hierher; sie unterscheiden sich von seinen früheren wesentlich durch einfacheren Schmuck, durch stillere Grazie. man weiß, wie Chopin sonst sich trug, ganz wie mit Flitter, Goldtand und Perlen übersäet. Er ist schon anders und älter geworden; noch liebt er den Schmuck, aber es ist der sinnigere, hinter dem der Adel der Dichtung um so liebenswürdiger durchschimmert; ja Geschmack, feinsten, muß man ihm lassen, — für Generalbassisten ist das freilich nicht, die suchen nur nach Quinten, und jede fehlende kann sie erboßen. Aber noch manches könnten sie von Chopin lernen, und das Quintenmachen vor Allem. Wir haben noch der Ballade als eines merkwürdigen Stückes zu erwähnen.


{343} Chopin hat unter demselben Namen schon eine geschrieben [G moll], eine seiner wildesten eigenthümlichsten Compositionen; die neue ist anders, als Kunstwerk unter jener ersten stehend, doch nicht weniger phantastisch und geistreich. Die leidenschaftlichen Zwischensätze scheinen erst später hinzugekommen zu sein; ich erinnere mich sehr gut, als Chopin die Ballade hier spielte und in F dur schloß; jetzt schließt sie in A moll. Er sprach damals auch davon, daß er zu seinen Balladen durch einige Gedichte von Mickiewicz angeregt worden sei. Umgekehrt würde ein Dichter zu seiner Musik wieder sehr leicht Worte finden können; sie rührt das Innerste auf.59 Der Walzer endlich ist, wie seine früheren, ein Salonstück der nobelsten Art; sollte er ihn zum Tanz vorspielen, meinte Florestan, so müßten unter den Tänzerinnen die gute Hälfte wenigstens Comtessen sein. Er hat Recht, der Walzer ist aristokratisch durch und durch.

F. Mendelssohn Bartholdy, Sechs Lieder ohne Worte. Heft 4. W. 53.

Endlich ein Heft echter „Lieder ohne Worte“. Sie unterscheiden sich von Mendelssohns früheren nur wenig, wenn nicht durch größere Einfachheit und in melodischem Betracht durch ihre leichteren, oft volksthümlichen Gesangweisen. Dies gilt namentlich von dem Liede, das der Componist selbst als „Volkslied“ bezeichnet; es ist dies aus demselben Bronnen gekommen, aus dem etwa Eichendorff einige seiner wundervollsten Gedichte, Lessing seine „Eifellandschaft“ geschöpft. Man kann sich nicht satt daran hören. Der volksthümliche Zug, der sich überhaupt in vielen Compositionen der jüngeren Künstler zu zeigen anfängt, stimmt zu erfreulichen Betrachtungen für die nächste Zukunft; er lag einem offenen Auge übrigens in Beethovens letzten Arbeiten schon angedeutet, was Manchen freilich wunderbar genug klingen mag. Einen volksthümlichen Ton, obwohl nicht den des Chors, hat auch das dritte Lied in G moll; es klingt mehr wie vierstimmiger Gesang. Man bemerke übrigens, wie Mendelssohn in seinen Liedern ohne Worte vom einfachen Lied durch das Duett bis zum Mehrstimmigen und Chorartigen vorgeschritten. So ist’s mit dem wahren, erfindenden Künstler; wo man oft glauben möchte, er könne nicht weiter, hat er unvermuthet schon einen Schritt vorwärts gethan, neuen Boden gewonnen. Anderes in diesem vierten Hefte erinnert freilich wieder an ältere aus den andern Heften; gewisse Wendungen, WiederholungensIcheinen sogar Manier zu werden. Doch ist das ein Vorwurf, den


{344} hundert Andere mit Opfern erkaufen würden, der nämlich, an gewissen Gängen erkannt zu werden, daß man darauf schwören möchte. Sehen wir denn mit Freuden noch vielen Sammlungen entgegen! {{Right|22.

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Ueber einige muthmaßlich corrumpirte Stellen in Bachschen. Mozartschen und Beethovenschen Werken.

Wüßte man alle, so ließen sich vielleicht Folianten darüber schreiben; ja ich glaube, die Meister müssen jenseits manchmal lächeln, wenn von ihren Werken einige mit allen den Fehlern hinüberklingen, wie sie Zeit und Gewohnheit, wohl auch ängstliche Pietät hat stehen lassen. Es war längst mein Vorsatz, einige in bekannteren Werken der obengenannten Meister zur Sprache zu bringen, mit der Bitte an alle Künstler und Kunstfreunde, sie zu prüfen, womöglich durch Vergleichung mit den Originalhandschriften festzustellen. Oft irren freilich auch diese, kein Componist kann darauf schwören, daß sein Manuscript ganz fehlerfrei wäre. Wie natürlich auch, daß sich unter den hunderttausend hüpfenden puncten, wie er sie oft in unglaublich kurzer Zeit schreibt, ein Dutzend zu hoch oder zu tief gekommener einschleichen müssen: ja die tollsten Harmonieen schreibt ein Componist zuweilen.

Immerhin bleibt die Originalhandschrift die Autorität, die am ersten gefragt werden muß. Möchten daher Alle, die die zu besprechenden verdächtigen Stellen in den Handschriften der Componisten besitzen, das Gedruckte mit dem Geschriebenen vergleichen und das Resultat mitzutheilen so freundlich sein. Zur Feststellung einiger davon bedarf es wohl nicht einmal der Herbeischaffung des Originals, so deutlich springt der Irrthum in die Augen.

Die meisten Fehler finden sich wohl in den Ausgaben Bachscher Werke, namentlich in den älteren. Es wäre eine verdienstliche, aber freilich sehr zeitraubende Arbeit, übernähme es ein mit Bach völlig vertrauter Musikkenner, alles bisher irrig Gedruckte zu berichtigen. Einen schönen Anfang hat die Peterssche Musikhandlung in Leipzig gemacht; er beschränkt sich aber zunächst auf die Claviercompositionen. Eine Kritik allein des wohltemperirten Claviers mit Angabe der verschiedenen Lesarten (Bach soll selbst viel geändert haben) würde ein


{345} ganzes Buch füllen können.60 Seien zuerst hier einige andere Fälle erwähnt.

In der großen herrlichen Toccata mit Fuge für Orgel* bewegen sich die beiden Stimmen im Manual über dem Orgelpunct in streng canonischer Folge. Sollte man für möglich halten, daß dies vom Corrector übersehen werden konnte? Er hat eine Menge Noten stehen lassen, die sich aus dem Canon als falsch erklären. Im Verlaufe des Stückes bei der Parallelstelle auf S. 4 und 5 kommen ähnliche Versehen vor. Wenn sich dies mit leichter Mühe corrigiren ließ, so möchte die Aufklärung einer andern Stelle in demselben Stücke von größerer Schwierigkeit sein. Man erinnert sich wohl des grandiosen Pedalsolos; bei einer Vergleichung mit der Parallelstelle in der Unterquart ergibt sich indeß, daß sich hier eine Menge Fehler eingeschlichen. S. 4 zwischen Tact 3 und 4 fehlen zwei Tacte gänzlich, die bei der Transposition S. 5 Syst. 6 im zweiten und dritten Tacte stehen etc. Hier könnte nur die Originalhandschrift den Ausschlag geben. Besitzt sie vielleicht Hr. Hauser in Wien, so sei er um eine Vergleichung gebeten. Daß man aber ein so außerordentliches Stück, wie diese Composition, in seiner echtesten Gestalt zu besitzen wünscht, möge doch Niemand als gering achten. Es wäre wie ein Riß in einem Bilde, wie ein fehlendes Blatt in einem Lieblingsbuche, wenn wir’s hingehen ließen.

Ein anderer sonderbarer Fall, über den ebenfalls nur Bachs Handschrift Aufschluß geben könnte, findet sich in der Kunst der Fuge. Die ganze XIVte vier Seiten lange Fuge kommt nämlich schon in der Xten einmal vor, vgl. die Peterssche Ausgabe S. 30 Syst. 5. vom zweiten Tact an. Wie ging dies nun zu? Bach wird doch unmöglich in einem und demselben Werke vier Seiten lang Note für Note abgeschrieben haben! In der Nägelischen Partitur stehen die beiden Fugen übrigens ebenfalls so abgedruckt, und es ist nur aus der Gleichheit der Tonart und des Themas, die durch das ganze Werk

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        * Toccate et Fugue pour l’Orgue (Leipzig, Peters) mit dem Anfange:

{{Right|#Notenbeipiel

{346} geht, zu erklären, daß die Wiederholung so lange unbemerkt bleiben konnte.

Wer aber, wenn er in Bachschen Harmonieen schwelgt, denkt auch immer an alles und an Fehler? So habe ich einen jahrelang nicht gemerkt in einer mir sehr bekannten Bachschen Fuge, bis mich ein Meister, der freilich auch ein Adlerauge hat,* darauf aufmerksam machte. Die Fuge ist in E moll über ein wundervolles Thema und steht in der Haslingerschen Ausgabe als sechste. Man schalte dort zwischen dem dritten und vierten Tact die einzige Note

  1. Notenbeispiel

ein, alsdann wird’s richtig. Hier ist wohl kein Zweifel.

Wir kommen jetzt auf einige den Lesern vielleicht noch interessantere Fälle in Werken, die sie wohl unzähligemal gehört und gespielt, ohne Verrath zu merken. Ich bitte sie aber, die Partituren in die Hand zu nehmen, da die Stellen ganz abdrucken zu lassen, zu viel Platz wegnehmen, ein Urtheil aber ohne die genaueste Einsicht in die Stellen selbst nicht möglich sein würde.

Die erste verdächtige ist in Mozarts G moll-Symphonie, einem Werk, in dem jede Note klares Gold, jeder Satz ein Schatz ist, und doch, sollte man es glauben, haben sich im Andante vier ganze Tacte eingeschlichen, die nach meiner festen Ueberzeugung nicht hinein gehören. Vom neunundzwanzigsten Tacte an (das Achtel Auftact ungerechnet) kommt nämlich eine viertactige von Des dur nach B moll hinleitende Periode, die in den folgenden vier Tacten nur mit vereinfachter Instrumentation wiederholt wird; es kann nicht sein, daß Mozart dies gewollt hat. Am ersten erhellt dies aus der gänzlich un-Mozartschen, ja unmeisterhaften Verbindung des zweiunddreißigsten mit dem dreiunddreißigsten Tact, die gewiß auch jeden Musiker unr bei oberflächlichem Anhören frappirt hat. Es fragt sich nun, welche der viertactigen Perioden wäre auszuscheiden — die erste oder die zweite? — Bei flüchtigem Anblicke möchte man sich vielleicht für Beibehaltung der ersten erklären: das allmähliche Hinzutreten der Blasinstrumente, die sich bis zum Forte steigern, ist nicht ohne künstlerischen Sinn. Viel natürlicher aber in der Stimmenführung, klarer, einfacher, und doch auch nicht ohne Steigerung, scheint mir die andere Lesart,

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         * Mendelssohn.


{347} nach der der neunundzwanzigste bis mit dem zweiunddreißigsten ausfielen, wo dann alle Instrumente in klarer Steigerung sich im Forte vereinigen. Dieselben vier Tacte zuviel finden sich nun auch bei der Wiederholung im zweiten Theile, wo dann der achtundvierzigste bis mit dem einundfünfzigsten Tacte dieses Theiles ausfallen müßten. Wie sich nun dieser Fehler eingeschwärzt, müßte auch die Originalpartitur nachweisen, die sich wohl in den Händen des Hrn. Hofrath André befindet. Das Wahrscheinlichste ist, daß Mozart die Stelle erst gehabt, wie wir glauben, daß sie sein müsse — daß er sie dann voller instrumentirt in die Partitur eingetragen — daß er aber später, wieder zu seinem ersten Gedanken zurückgehend, vergessen hat, die zweite Lesart zu streichen. Möchten sich doch auch andere Musiker über diese wichtige Stelle aussprechen und nach allgemeiner Uebereinkunft dazu beitragen, daß das Andante dann immer in der angedeuteten Weise überall aufgeführt werde. Die Verleger aber würden wir bitten, die vier Tacte in der Partitur einzuklammern und den Grund, warum, in einer kurzen Bemerkung beizufügen. Man hat mir übrigens gefagt, daß das Andante im Pariser Conservatoire mit beidesmaliger Auslassung der vier Tacte gespielt wird. Auch Mendelssohn hat sich längst dafür ausgesprochen.

Endlich erwähne ich noch einige Stellen in Beethovenschen Symphonieen, die sich fast auf den ersten Anblick als Fehler des Copisten ergeben. Die eine erwähnte ich schon früher einmal; sie steht zum Schluß des ersten Satzes der B dur-Symphonie; von den drei Tacten ff (acht Tacte vor dem Ende) ist offenbar einer zuviel. Das Versehen war wegen der vollkommenen Aehnlichkeit der Noten in allen Stimmen leicht zu begehen. Beethoven könnte es sogar selbst begangen haben.

Daß wir aber in der Pastoralsymphonie jahraus jahrein folgende Stelle, wie sie auch in der Partitur steht, mit angehört, ohne nicht hell aufzufahren, wäre kaum zu erklären, wenn nicht dadurch, daß uns ja der Zauber Beethovenscher Musik so umstrickt, daß wir Denken und Hören dabei vergessen können.

Im ersten Satz (Partitur S. 35 von Tact 3 an) heißt es genau so:

{348}

  1. Notenbeispiel.

Wie nun, wenn wir statt der plötzlichen Pausen in den ersten Violinen Simili-Zeichen (#Zeichen) machten? Klänge dies nicht besser und anders? Ergibt sich dies nicht schon aus der Umkehrung von Tact 5 an, wo die Bratschen haben, was erst in den ersten Violinen lag? Gewiß, es ist so. Der Notenschreiber hat die Simili-Zeichen für Pausen genommen oder irgend ein neckischer Kobold war im Spiel. Ries erzählt, wie Beethoven einmal wüthend geworden über eine Stelle in der heroischen Symphonie, die Ries in bester Meinung geändert hatte. Ich glaube, hätte Beethoven jene Stelle in der Pastoralsymphonie einmal wirklich gehört, es würde dem Orchester oder dem Dirigenten nicht besser als Ries ergangen sein.

Für diesmal genug; möchten obige Fälle von recht Vielen in Betracht genommen werden! Wie könnten wir unsere Verehrung für unsere großen Meister besser bethätigen, als daß wir aus ihren Werken zu entfernen trachten, was Irrthum oder Zufall daran beschädigt? Nur in diesem Sinne wurden diese Zeilen geschrieben.61 {{Right|R. Schumann.

{349} {{R

ight|1842.


{350}

[leer]


{351} * Preistrio (Dmoll)

für Pianoforte, Violine und Violoncello von J. C. Louis Wolf.

Referent hat obiges Trio nur einmal gehört: es ist indeß so klar und einfach, daß ein einmaliges Anhören schon hinzureichen scheint, über die Composition ein Urtheil zu fällen.

Der Namen der Hrn. Preisrichter erinnere ich mich nicht mehr genau;* jedenfalls aber haben sie ein Talent ausgespäht, das Aufmunterung verdient und, glaubt es sich nicht etwa schon fertig, gewiß noch Bedeutendes zu Tage bringen wird. Dafür spricht die erfreuliche Richtung, die sich im Allgemeinen im Trio zeigt, die ungekünstelte Art des Ausdrucks, die bereits erlangte Fertigkeit in Handhabung der Form. Verdiente so der talentvolle Künstler ein Lob. so doch kaum einen Preis. Es wäre schlimm, wenn unter den zur Mannheimer Preisausschreibung eingesandten Trios nicht wenigstens ein Fünftel dem L. Wolfschen gleichzuachtender Stücke sich gefunden hätte, — oder die Einsender müßten alle einen sonderbaren Begriff von preiswürdigen Trios haben, — und so arm sind wir in Deutschland noch nicht, daß wir dem ersten besten den Lorbeer nachzutragen brauchten. Doch streiten wir nicht um das Glück, das der gekrönte Componist gehabt; auch Glück gehört zur Kunst, und doppelt beneidenswerth der Künstler, dem es schon im Anfange seiner Laufbahn lächelt, aber auch doppelt verantwortlich, wenn er den liebevollen Erwartungen, die man von ihm gehegt, nicht Wort hält, wenn er, eitel geworden durch den augenblicklichen Erfolg, sich gar verwirft. Die Person des Componisten ist mir übrigens nicht bekannt; ich weiß nicht, ist er jung oder

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      * Es waren Spohr, Kalliwoda und Joseph Strauß (Carlsruhe).

{352} alt, Nord- oder Südländer. Eines aber, wie gesagt, geht aus seinem Trio hervor, daß er schöne Kräfte zum Wettstreit mitgebracht und daß die Zukunft auf ihn als aus einen rüstigen Kämpfer zählen darf. Wir fügen noch einiges über die Composition selbst bei, damit man wisse, was man von ihr ungefähr zu erwarten hat. Die Form ist die gewöhnliche im Ganzen wie in den einzelnen Sätzen, die Anlage mittlerer Größe; zu den sogenannten „großen“ Trios gehört die Composition nicht. Eine entschiedene Eigenthümlichkeit spricht sie ebenso wenig aus wie eine Vorliebe für den oder jenen Meister, wenn nicht etwa für C. M. v. Weber. Der Satz ist rein, modern-einfach, die Ausführung nicht schwierig. Einen wirklich bedeutenden Charakter hat keiner der Sätze, wohl aber alle eine anmuthige Physiognomie. Am wenigsten behagte mir das Andante mit seinen altmodischen Variationen, am meisten das Scherzo. Der letzte Satz hat ein gar zu wohlfeiles Thema; der zweite Gesang ist musikalischer. Neues, Feines in der Harmonie, im Passagenwerk etc. enthält das Trio wenig oder gar nichts, dagegen auch nichts geradezu Triviales. Diese einzelnen Züge mögen dem Leser einen Umriß von der Composition geben. Erfreulich ist es noch zu bemerken, daß ein in dieser Zeitschrift früher aufgestellter Ausspruch „daß bei künstlerischen Wettkämpfen meistens einheimische Künstler den Preis davontrügen“, auf diese Preiscomposition nicht anzuwenden, da der Sieger, wie wir hören, in Wien lebt, welche Stadt, wie vieles Unkraut doch auch wuchern mag, uns denn doch von Zeit zu Zeit auch ein gutes Talent sendet, als das wir den Componisten nochmals bezeichnen müssen. {{Right|12.

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Etuden für das Pianoforte.

A. H. Sponholtz, Sechs charakteristische Etuden. Werk 9.

Der Verfasser ist Organist, man muß das wissen, um sein Streben mehr schätzen zu lernen. Es drängt und treibt ihn in die Höhe, er möchte die ganze Welt mit seiner Kunst beglücken. Aber die Kräfte sind noch unentwickelt; es fehlt sogar die Sicherheit im Technischen, Urtheil und Geschmack. In jeder der Etuden wird ein guter Musiker etwas oder viel auszusetzen haben, namentlich in der modulatorischen

{353} Form. Wer wird z. B. in einem kleinen zwei Seiten langen Stück aus G moll sich gleich aus dem Sattel und nach E dur werfen lassen, wie in der ersten Etüde? So vermag der Verfasser fast in keiner die Tonart festzuhalten, was an einem Organisten, der doch seinen J. Seb. Bach kennen muß, doppelt wundert. Es enthalten die Stücke aber auch manches Empfundene; so hebt sich plötzlich auf Seite 13 ein schöner träumerischer Gesang hervor. Wie er aber dorthin gekommen, begreift man auch nicht recht; er paßt weder zum Anfang noch zum Verlauf des Stückes, steht überhaupt isolirt in der ganzen Sammlung. Nächst diesem Fragment scheint uns die letzte Etüde vielleicht die bescheidenste, doch auch die fertigste. Etuden sind es übrigens nicht, sondern Skizzen. Wir halten aber dafür, der Componist müsse, um weiter zu kommen, diese rhapsodische Form aufgeben, und es würde uns ein Heft wohlgesetzter Fugen bei der nächsten Begegnung mehr erfreuen als ein zweites voll Skizzen. An seinem königlichen Instrumente muß er ja den Werth ausgeprägter Kunstform, wie sie Bach im Größten und Kleinsten gibt, zu würdigen gelernt haben.

C. Montag, Zwei Etuden.  Werk 3.

Ein edles Streben spricht auch aus diesem Werkchen des Componisten, auf den wir noch vor Kurzem aufmerksam gemacht. Doch, scheint uns, grübelt er zu viel und verwickelt sich oft. Dagegen schützt am ersten Arbeiten für Gesangstimmen. Das Instrument verführt nur zu oft zum Experimentiren, die Stimme leitet wieder zur Natur zurück.

Zwar er wollte Etuden schreiben, aber gewiß auch mehr als das, und vor Allem Musik. Einzelnes erscheint gelungen; eine Totalwirkung vermissen wir aber noch, und dies kommt wohl zum Theil von der schwierigen Aufgabe, für Bildung der Hand sorgen und auch musikalisch seelenvoll erscheinen zu wollen. Nur wenigen ausgezeichneten Talenten ist dies zu vereinigen gelungen. Im Charakter treffen die beiden Etuden im schwermüthigen Tone zusammen, doch ist die zweite lebhafter, die erste sinnender. Der canonische Schlußsatz der zweiten hebt die Wirkung des Vorhergehenden beinahe ganz auf; wir hätten ihn lieber ganz unterdrückt.

* Carl Wittmann, Sechs Etuden.  Werk 6.

Die Ausstattung ist prächtig, der Stich vorzüglich, — aber die Composition! Sie rührt wohl von einem Dilettanten her, einem


{354} Musiker wäre sie kaum zuzutrauen, noch weniger zu vergeben. An gewisse Härten und offenbare Schnitzer, wie sie das Werk zeigt, würden wir uns am Ende noch weniger stoßen als an die ganze schale Richtung, die es geht, jenes süßliche, sentimentale Wesen, das italiänisch sein will, jenes virtuosische Kokettiren, das nur aus Beifall verliebter Frauen ausgeht. Aber, wie gesagt, wir vermuthen einen Dilettanten hinter dem Verfasser, einen von jenen vielen, die „Thalberg“ spielen können und Mozart veraltet nennen. Aber er lasse das Componiren. Es gibt 10,000 bessere Compositionen in Deutschland als die seinigen — die doch nicht gedruckt zu werden verdienen. Wozu noch die Maculatur vermehren?

M. C. Eberwein.  Sechs Etuden.

Der Verfasser ist ein Sohn des Weimarschen Musikdirectors. Er hat, irren wir nicht, außer im väterlichen Hause auch bei Hummel Unterricht gehabt und zog später nach Paris, wo er sich namentlich als Lehrer einen Wirkungskreis gebildet.

Die verführerischen Sirenenstimmen jener Stadt haben seinen Ohren übrigens vergebens geschmeichelt. Kein Mensch würde die Etuden einem Franzosen zutrauen, überall sieht der schlichte ehrliche Deutsche heraus. Außer durch Correctheit des Satzes und gute Form zeichnen sich die Etuden auch durch ihre Leichtigkeit aus, sie werden den meisten Spielern mittlerer Kraft gar keine mehr sein. Dies ist ein Vorzug vor vielen, die als Compositionen auch nicht größern Werth haben. Wenn bei den Vorzügen, die mithin die Etuden besitzen, vorauszusetzen ist, daß sie in der unmittelbaren Umgebung des Componisten, der zugleich Lehrer ist, Nutzen stiften werden, so glauben wir doch nicht, daß sie darüber hinaus dringen. Dazu fehlt es ihnen an Originalität, Schwung der Phantasie, Kraft, und auch an jener Grazie, die oft noch größere Siege erringt als die Kraft. Auch die Etüde soll höheren Zwecken dienen als blos mechanischen. Dies wußte schon Cramer, und wie haben sich die Zeiten und Menschen seitdem noch geändert! Etuden z. B. wie die erste, müßten gar nicht mehr gedruckt werden; dergleichen haben wir schon in hunderterlei Formen gehabt. Das ist aber eben ihre schwächste Seite, daß sie nichts Neues, Besonderes geben. Loben aber, wie gesagt, muß man überall jenen einfachen unverstellten Ausdruck, wie er der Hummelschen Schule überhaupt eigen. Vielleicht, daß in den späteren Heften, die der Componist

{355} auf dem Titel verspricht, er auch einen höheren Aufschwung nimmt. Die Zeitschrift wird über die Fortsetzung berichten. Einstweilen wollen wir noch auf die Etuden fünf und sechs, als die musikalisch interessantesten, aufmerksam gemacht haben; namentlich schlägt Nr. 6 einen uns von Bach her liebgewordenen Ton an.

H. F. Kufferath, Sechs Concert-Etuden.  Werk 2.

Es sind diese Etuden ohne Zweifel die ausgezeichnetsten, die in letzter Zeit erschienen, so schöne Eigenschaften finden sich in ihnen vereinigt. Freilich bis zur Originalität ist der junge Künstler auch noch nicht durchgebrochen; er bekundet aber eine so solide Bildung, so gesunden natürlichen Geschmack, der sich auch das Beste vom Neusten mit Geschick angeeignet, daß wir auf ihn als auf einen tüchtigen Claviercomponisten der Zukunft rechnen können. Um so freudiger sprechen wir dies aus, da wir im Augenblicke eben nicht reich an guter Claviermusik sind. Nach der stürmischen Chopinschen Epoche, die in Henselt, Liszt und Thalberg ihre drei Endpuncte erreicht, scheint jetzt ein Stillstand eintreten zu wollen. Die Mechanik war bis zur äußersten Höhe getrieben, es mußte eine Erschöpfung eintreten. Schon aber regt sich neues Leben. Der holde Gesang, von schönen Formen getragen, will seine Rechte wieder, mit Ehrfurcht erinnert man sich wieder älterer Namen. Die Folgen wird die nächste Zukunft zeigen. Diese Betrachtungen knüpfen wir gerade an den Namen des jungen Künstlers, den wir eben nannten, weil auch ihn die letzte Epoche nicht unberührt gelassen. Aber die Fluthzeit hat ihn an ein sicheres Ufer geworfen; die Erfahrungen, die er gemacht, werden ihm nur heilsam sein, und mit den Jahren Kraft und Selbständigkeit wachsen. In seinen Etuden sieht man jene Zeit der Erregung noch deutlich nachwogen; sie gleichen etwa jenen ruhigeren Wasserringen, wie sie nach heftigem Sturme dem Ufer zueilen. Sehen wir sie etwas genauer an! Gleich die erste Etüde nimmt für den Componisten ein, weniger durch Eigenthümlichteit als durch Wohllaut. Sie erscheint wie ein Zwiegesang. der sich zuletzt zu einer Melodie verschmilzt, nicht unähnlich jenem Liebesduett Mendelssohns in seinen Liedern ohne Worte. Der Eindruck des Ganzen ist wohlthuend, wenn auch, wie gesagt, nicht neu wirkend. Sehr sagt uns die zweite Etüde zu, die in ihrer Eleganz, ihrer feinen Haltung an Moscheles erinnern möchte; sie behagt uns durchaus; wir wünschten nichts zugesetzt noch weggenommen. Die dritte (A moll) kündigt sich


{356} im Charakter als humoristischer an; der Mittelsatz, namentlich im Gesange in As dur, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück, man erwartete eine geistreichere Verarbeitung. Die letzten Tacte wünschten wir ganz gestrichen. Das graziöseste Stück der Sammlung ist ohne Zweifel das folgende, ein recht zartes Liebesgedicht, in Form und Haltung vorzüglich gelungen. Daß der Componist auch Chopin kennt und liebt, zeigt die fünfte Etüde; sie fängt sehr wild an, lenkt aber bald in einen ruhigen Mittelsatz, der indeß wenig Anziehendes hat. Das Ganze scheint uns mißwachsen. Es ist ein Stück, an dem der Componist viel geändert haben mag. Die Einleitung zur sechsten Nummer erinnert offenbar an Beethovens Cis moll-Sonate, wirkt aber auch im Abglanz; die eigentliche Etüde folgt erst; sie gehört zu den brillanten Figurenetuden, wie wir deren mehrere von Henselt haben. Namentlich diese scheint den Titel zu rechtfertigen, wurde auch, wenn wir nicht irren, in einem hiesigen Concerte von dem Componisten gespielt.

Aus dem Obigen sieht man, daß sich der Werth der verschiedenen Etuden nicht ganz gleich ist, und daß gerade jene die schwächeren, wo ein Vorbild des Componisten ersichtlich war. Dies gibt aber um so mehr der Hoffnung Raum, der Componist besitze ein eigenthümliches vollgültiges Talent, das sich mit der Zeit noch vollkräftiger herausbilden werde. So sehen wir denn mit Freuden seiner fernern Entwickelung entgegen.

F. Liszt, Bravourstudien nach Paganinis Capricen für das Pianoforte bearbeitet. (Zwei Abtheilungen.)

Das Originalwerk heißt: 24 Capricci per il Violino solo composti e didicati agli artisti da N. Paganini. Opera 1. Eine Bearbeitung von zwölf von ihnen durch Robert Schumann erschien in zwei Heften bereits in den Jahren 1833 und 35. Auch in Paris erschien ein Arrangement einzelner, des Namens des Bearbeiters erinnert sich Ref. nicht mehr. Die Lisztsche Sammlung enthält fünf Nummern aus den Capricci, die sechste ist eine Bearbeitung des bekannten Glöckchenrondos. Es kann hier von keiner pedantischen Nachbildung, einer blos harmonischen Ausfüllung der Violinstimme die Rede sein; das Clavier wirkt durch andere Mittel als die Violine.

Gleiche Effecte, durch welche Mittel auch, hervorzubringen, war hier die wichtigste Aufgabe für den Bearbeiter. Daß sich Liszt aber auf die Mittel und Effecte seines Instruments versteht, weiß Jeder,

{357} der ihn gehört. Es muß also gewiß vom höchsten Interesse sein, die Compositionen des, was kühne Bravour anbetrifft, größten Violinvirtuosen des Jahrhunderts, Paganini, durch den kühnsten Claviervirtuosen der Jetztzeit, Liszt, ausgelegt zu erhalten. Ein Blick in die Sammlung, auf das wunderliche wie umgestürzte Notengebälke darin, genügt dem Auge, sich zu überzeugen, daß es sich hier um nichts Leichtes handelt. Es ist, als ob Liszt in dem Werke alle seine Erfahrungen niederlegen, die Geheimnisse seines Spieles der Nachwelt überliefern wollte; er konnte feine Verehrung für den großen verstorbenen Künstler nicht schöner bethätigen als durch diese bis ins Kleinste sorgfältig gearbeitete, wie den Geist des Originals auf das Treueste wiederspiegelnde Uebertragung. Wenn die Schumannsche Bearbeitung mehr die poetische Seite der Composition zur Anschauung bringen wollte, so hebt Liszt, aber ohne jene verkannt zu haben, mehr die virtuosische hervor; er bezeichnet die Stücke ganz richtig mit „BravourStudien“, wie man sie wohl auch, öffentlich damit zu glänzen, spielt. Freilich werdens ihrer Wenige sein, die sie zu bewältigen verständen, vielleicht nicht vier bis fünf auf der ganzen weiten Welt. Dies kann aber nicht abhalten,* die Sache zu behandeln, als existire sie nicht. Den höchsten Spitzen der Virtuosität freut man sich wohl auch in einiger Entfernung nahe zu sein. Betrachten wir manches in dieser Sammlung Enthaltene freilich genauer, so ist kein Zweifel, daß der musikalische Grundgehalt mit den mechanischen Schwierigkeiten oft in keinem Verhältnisse steht. Hier aber nimmt das Wort „Studie“ vieles in Schutz. Ihr sollt euch eben üben, gleichviel um welchen Preis.

Sprechen wir es also aus. daß diese Sammlung vielleicht das Schwierigste ist, was für Clavier je geschrieben, ebenso wie das Original das Schwierigste, was für Violine. Paganini wollte dies wohl auch mit seiner schön kurzen Dedication „agli artisti“ ausdrücken, d. h. nur für Künstler bin ich zugänglich. Und so ist es auch mit der Clavierstimme Liszts; Virtuosen von Fach und Rang allein wird sie einleuchten. Dies der Standpunct, von dem diese Sammlung zu beurtheilen ist. Eine zergliedernde Untersuchung übrigens des Originals mit der Bearbeitung müssen wir uns versagen, sie würde zu viel Raum kosten. Beide in den Händen geht es am besten. Interessant ist die Vergleichung der ersten Etüde mit ebenderselben nach der Schumannschen Bearbeitung, zu der Liszt selbst durch Abdruck der

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      * bewegen


{358} letzteren, Tact für Tact, sinnig auffordert. In der italiänischen Ausgabe ist es die sechste Caprice. Die letzte Nummer bringt die Variationen, die auch die Originalausgabe beschließen, dieselben, die H. V. Ernst zu seinem „Venezianischen Carnaval“ angeregt haben mögen; die Lisztsche Bearbeitung halten wir für das musikalisch Interessanteste des ganzen Werkes; aber auch hier finden sich, oft im kleinsten Räume von einigen Tacten, Schwierigkeiten,der immensesten Art, der Art, daß wohl Liszt selbst daran zu studiren haben mag. Wer diese Variationen bewältigt und zwar in der leichten neckenden Weise, daß sie, wie es sein soll, gleich einzelnen Scenen eines Puppenspiels an uns vorübergleiten, der mag getrost die Welt bereisen, um mit goldnen Lorbeeren ein zweiter Paganini-Liszt zurückzukommen. {{Right|39.

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Preisquartett von Julius Schapler.

Wahrhaft deutsches Pech! Königliches Pech! Man schreibt ein Preisquartett aus, man findet eines heraus, man druckt die Partitur — und gleich auf dem Titel im Namen des Gekrönten selbst bleibt ein Druckfehler stehen! Schabler statt wie oben steht. Aber es thut nichts zur Sache. Loben wir lieber fürs erste die Richter,* die diesmal ein mehr als blos gutes, nach Form und Schulgesetz richtiges Stück herausgefunden, dann den Gerichteten, der aber auch mehr als eine blos gute Composition lieferte. Schon der Gedanke der Preisausschreiber, gerade auf ein Quartett, war gut. Einmal, da die Gattung an sich eine so edle ist, eine höhere Bildung der Kämpfenden voraussetzt, dann, da in ihr ein bedenklicher Stillstand eingetreten war. Haydns, Mozarts, Beethovens Quartette, wer kennte sie nicht, wer dürfte einen Stein auf sie werfen? Ist es gewiß das sprechendste Zeugniß der unzerstörbaren Lebensfrische ihrer Schöpfungen, daß sie noch nach einem halben Jahrhundert Aller Herzen erfreuen, so doch gewiß kein gutes für die spätere Küustlergeneration, daß sie in so langem Zeitraume nichts jenen Vergleichbares zu schaffen vermochte. Onslow allein fand Anklang und später Mendelssohn, dessen aristokratisch-poetischem Charakter diese Gattung auch besonders zusagen muß. Außerdem liegen

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         * Kalliwoda, Lindpaintner, Reißiger, Spohr und L. Strauß.

{359} noch in den späteren Beethovenschen Quartetten Schätze, die die Welt kaum kennt, an denen sie noch Jahre lang zu heben hat.

So sind wir Deutsche denn keineswegs arm; aber es waren doch nur Wenige, die das Capital wirklich mehrten. Loben wir denn den Gedanken des Mannheimer Musikvereins, daß er hier anregte, und freuen uns, daß sein Gedanke erfreuliche Frucht getragen. Der Urtheile über das Schaplersche Quartett sind verschiedene und abweichende gefällt; darin aber kamen sie überein, daß es etwas Besonderes, das sich nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen gäbe.

Wer die späteren Arbeiten Beethovens kennt, wird anders sprechen. Der romantische Humor dieser namentlich hat auf den jungen Künstler gewirkt, und da er selbst ausgezeichneter Spieler und Kenner der Instrumente, für die er schrieb, war er wenigstens von einer Seite vor gänzlichem Mißlingen oder Extravaganz gesichert. Niemand leugne vor Allem dem Quartett das Streben nach schöner Form ab. Im ersten Satze erscheint sie ganz rein und fest, im zweiten in humoristischen Verhältnissen, doch keineswegs verzerrt. Das Adagio hat etwas blassere Umrisse. Der letzte Satz entspricht aber bis aus. den etwas übereilten Rückgang dem ersteren an Schärfe und Regelmäßigkeit. Die Form ist also im Quartett das weniger Befremdende als das Geistige. Hier spricht ein anderer Mensch zu uns als die hundert gewöhnlichen, dies fühlt man gleich. Der Philister freilich wirft alles durcheinander; was ihm nicht klar, nennt er romantisch; was er versteht, flößt ihm Hoffnung einer wiederkehrenden Zopfzeit ein; dann muntert er auf. Und dies freut am Quartettpreisgericht, daß es einmal einen sich anders und neu aussprechenden Künstler entdeckte, daß es an den theilweise ungestümen Charakter der Composition kein schulmeisterliches Maß anlegte.

Gehört habe ich das Quartett [E moll] leider nicht. Es hat mir aber innerlich wiedergeklungen, ich wüßte keine dunkle Stelle. Einen der Sätze besonders vorziehen möchte ich nicht; sie stehen auch in einem inneren Zusammenhange. Den Charakter in kurzen Worten zu bezeichnen: eine Anfangs trübe elegische Stimmung steigert sich durch Humor und ruhigeren betrachtenden Ernst zu kühner energischer Thatenlust. Die Musik hat schon Aehnliches und zwar in derselben Folge ausgesprochen, und namentlich ließe sich das im Beethovenschen Quartett in A moll nachweisen. Ein bedeutendes Talent spricht es aber hier in seiner Weise aus, und es ist wohl der Mühe werth, mit dieser Art und Weise sich vertrauter zu machen. Begrüßen wir denn das

{360} Werk als ein eigenthümliches, geistvolles, und weisen deutsche Quartettvereine darauf hin. Der Künstler aber stehe nicht still und gebe bald wieder Beweise der thatkräftigen Stimmung, in der wir ihn zuletzt verließen. „Den Preis des Wettlaufs zu gewinnen, darf man nicht stehn und sich besinnen“ hat er sich selbst zum Motto gesetzt, und es gibt noch andere und höhere Wettläufe. Das Glück hat ihm schon einmal freundlich zur Seite gestanden; er verstehe und benutze den Wink. {{Right|Florestan.

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Streichquartette.

H. Hirschbach, Lebensbilder in einem Cyklus von Quartetten für zwei Violinen, {{Right|Viola und Violoncello. Erstes Quartett [E moll]. Werk 1. J. J. H. Verhulst, Zwei Quartette für Violine etc. [D moll und As dur]. Werk 6.

Zwei der obigen Quartette sind schon vor geraumer Zeit (s. Seite 115 f. und 125 ff.) als Manuscripte erwähnt worden. Wir begrüßten sie, jedes in verschiedener Weise, als die ersten größeren Resultate talentreicher Bestrebung, und bezeichneten namentlich das Talent des Erstgenannten als ein eigenthümliches poetisches, während uns das lebhafte bildungsfähige Naturell des jungen Holländers mit nicht minderer Theilnahme erfüllte.

Seitdem mögen beide junge Künstler noch fleißig fortgearbeitet haben; von dem einen ist es bekannt, als Musikdirector eines Concertvereins* drang sein Name schneller in die Oeffentlichkeit. Der andere hatte einen schwereren Stand; was kümmert sich die Welt um ein Dichterstübchen, wenn es nicht gerade auf der offenen Fronte eines Palastes gelegen? So erschien denn von seinen Compositionen bis jetzt nur die eine, das erste eines Cyklus von Quartetten, die er selbst „Lebensbilder“ nannte und mit Mottos aus Goethes Faust überschrieb.

Man sollte meinen, viele unserer Leser müßten begierig nach dem ersten Werke eines jungen Mannes greifen, der in dieser Zeitschrift schon manchmal zu ihnen gesprochen, der ihnen bekannt sein muß durch manche kühne Aeußerung. Man wird das Höchste von ihm verlangen, man wird ihn mit dem Maße messen, mit dem er ge-

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          * Der Euterpe in Leipzig,

{361} messen. Wer dies vornimmt, wird freilich an ihm auszusetzen finden und viel. Trennt er aber den kritischen Menschen vom productiven, so wird er diesem die Theilnahme nicht versagen können, die wir jedem zollen müssen, der sich mit eigner Faust eigne Bahnen sucht. Schmeicheln und gefallen will er nicht; sagt ers doch gleich in den Mottos selbst, was er will: „Es möchte kein Hund so länger leben“ und „Ich grüße dich, du einzige Phiole, die ich mit Andacht nun herunterhole, in dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst“. Dies ist aufrichtig genug. Indeß schaudere man nicht zu sehr vor seiner Musik zurück als vor einer menschen- und lebensfeindlichen, grabe ihr auch nicht zu tief nach, ob sie den Sinn der Faustschen Reden buchstäblich wiedergibt. Irren wir nicht, so sind die Überschriften erst später hinzugekommen, als die Composition beendigt war. Der Componist fand in ihnen etwas seiner ausgesprochenen Stimmung im Allgemeinen Verwandtes, und sie passen auch zumeist nur auf den Charakter des ersten Satzes; die andern Sätze, obwohl auch ernst, zeigen ein weniger schwermüthig wildes Gesicht und halten die bekannten charakteristischen Zeichen solcher Sätze im Ganzen fest.

Gewiß, der Componist schrieb aus seiner Seele; ein heftiger Drang zum Schaffen spricht sich in allen Nummern seines Quartetts unverkennbar aus. Den flüchtigen Bestrebungen anderer jungen Componisten gegenüber haben die seinigen jedenfalls etwas Großartiges und Achtunggebietendes. Man sieht es, er will ein Dichter genannt sein, er möchte sich überall der stereotypen Form entziehen; Beethovens letzte Quartette gelten ihm erst als Anfänge einer neuen poetischen Aera, in dieser will er fortwirken; Haydn und Mozart liegen ihm weit zurück. So hat er in der That manches mit dem französischen Berlioz gemein: kühne Schaffust, Vorliebe für große Formen, poetische Anlage, theilweise Verachtung des Alten — und auch das, daß er, wie jener in früheren Jahren Mediciner, erst im zwanzigsten sich ganz der Musik widmete. Der letztere Umstand ist erwähnungswerth. Wer früh das Handwerk lernt, wird früh ein Meister, und gerade die Jugend ist der Entwickelung gewisser Fertigkeiten am günstigsten. Das Glück aber einer frühzeitigen richtigen Leitung scheint unser Kunstjünger nicht genossen zu haben. Dagegen brachte er freilich andere Kräfte mit zum Dienste der Musen, denen er sich nun ergeben, eine überhaupt vielseitigere Bildung, wie man bei der Kaste sonst nicht findet. Er ist der Geschichte vertraut, er kennt die Dichter aller Länder, die Kämpfe der Gegenwart in verschiedenen Beziehungen sind

{362} ihm nicht fremd geblieben. Was Wunder, wenn ein in andern Dingen so weit vorgeschrittener Jüngling nun auch in der Musik nicht mit dem ABC anfangen, wenn er gleich frei reden und dichten will. Im ersten frischen Anlauf gelingt auch vieles; hin und wieder bricht aber doch die lückenhafte Bildung als Musiker hindurch, und man hat dann ungefähr das Gefühl wie nach einem orthographischen, Schnitzer in einem sonst geistreich geschriebenen Briefe. Aehnlichem, und nur noch öfter, begegnet man in Berliozschen Compositionen. Wir wollen die einzelnen Stellen im Quartett nicht anführen, dem jeder Musiker die noch unausgebildete Hand anmerkt. Der Charakter des Ganzen, das darin vorwaltend deutsche Gepräge steht höher. Es ist Sinn und Wahrheit in diesem Lebensbilde, und was ihm an Meisterschaft abgeht, zeigen vielleicht schon die späteren, die den Cyklus vollenden sollen. Einstweilen glaube er uns nur noch dieses: wir lieben das Ringen der Jugend nach Neuem, und Beethoven, der bis zum letzten Athemzuge rang, steht uns als ein hohes Muster menschlicher Größe da; aber in den Fruchtgärten Mozarts. und Haydns stehen auch schwerbeladene Bäume, über die sich nicht so leicht hinwegsehen läßt, oder man überhebt sich eines veredelnden Genusses zu seinem Schaden so lange, bis man, nach anderen umsonst in der Welt umhersuchend, endlich doch wieder aus jene zurückkommt, aber dann zu spät und oft mit einem erkalteten Herzen, das nicht mehr zu genießen, oder mit zitternden Händen, die nicht mehr zu bilden verstehen.62

In jene Fruchtgärten hat der andere junge Künstler, den wir oben genannt, bei Weitem mehr hineingeschaut, man merkt es ihm an, er fühlt sich glücklich in seinem Berufe, Musiker zu sein; er will vor Allem Musik, schönen Klang; Faustsche Nebengedanken hegt er nicht. Schon bei Besprechung einer seiner Ouverturen (Seite 176 ff.) bezeichneten wir die Art seines Talentes und die ihm entsprechende Richtung; wir wüßten dem dort Gesagten kaum etwas hinzuzufügen. Als Quartettstilist im Besonderen zeigt er eine entschiedene Befähigung auch zu dieser Gattung; er hat ihren wahren Charakter gefaßt, jede Stimme sucht sich selbständig zu halten, sie winden und kreuzen sich oft interessant genug; nur manchmal überfällt ihn eine Art symphonistischer Furor, wo er den bescheidenen Vieren Orchesterwirkungen abzwingen möchte. Der Zeitfolge nach ist das mit Nr. 2 bezeichnete Quartett das zuerst entstandene. Es geht aus einer im Quartett wohl noch ungebrauchten Tonart, der in As dur, und hat seine Schwierigkeiten. In Form und Folge der Sätze strebt es sich den älteren oben genannten Meistern

{363} anzuschließen. Im Charakter herrscht Heiterkeit und Lebenslust vor, nur an einzelnen Stellen von Aeußerungen sinnigeren Ernstes durchbrochen. Die melodische Führung hat noch kein entschieden originelles Gepräge; einzelne lebhafte Ausbrüche erinnern an Mendelssohnsches. Durchweg zu rühmen ist aber die Reinheit des Satzes in seinen oft künstlichen Verflechtungen. So kann denn das Ganze, gut einstudirt und vorgetragen, nur einen günstigen Eindruck hervorbringen. Der des zweiten Quartetts, das in D moll geschrieben, ist ein vielleicht noch günstigerer. Da beide kurz nach einander geschrieben scheinen, so finden sich wohl einzelne Aehnlichkeiten; jedenfalls bewegt sich aber der Componist im zweiten noch leichter und geschickter, wozu auch die leichtere Tonart beigetragen. Der erste Satz rauscht flüchtig vorbei; der zweite Hauptgesang, der fast einen Parenthesencharakter hat, konnte bedeutender sein, und wo er transponirt wiederkehrt, wundert die veränderte weniger gute Harmonie. Den Schluß wünschten wir ebenfalls bedeutender; er bricht zu kurz ab, als hätte der Componist die Lust an seiner Arbeit verloren gehabt. Im Adagio erhebt er sich aber wieder zu einer erfreulichen Höhe der Stimmung. Der dritte und vierteTact erinnern wohl an ein Mozartsches Thema im Don Juan; das Stück durchzieht aber im Uebrigen eine so frische Empfindung, wie sie nur der Jugend eigen; gewisse kleine harmonische Täuschungen machen es ganz besonders anziehend. . Das Scherzo benimmt sich munter, aufgeräumt trotz der Molltonart; je kecker der Vortrag, je mehr es wirken wird. Der letzte Satz fängt mit dem letzten der heroischen Symphonie an, beinahe buchstäblich. Ist das dem Componisten entgangen? Wenn nicht, warum ließ er es stehen? Bald aber hüpft ein eigener Gedanke hervor: Cello und Bratsche fangen sich zu necken an und das lustige Spiel geht hübsch von statten. Der Knäul verwickelt sich mehr und mehr und droht sich zu verwirren. Doch löst sich das Ganze noch geschickt uud schließt im hellen Dur etwas bombastisch, doch nicht, daß man dem Componisten deshalb gram werden dürfte.

So seien denn die Bestrebungen dieses jungen Künstlers der Welt auf das Lebhafteste empfohlen. Der eigentliche Lebenspunct eines Werkes läßt sich nie mit Worten nachweisen; darum spiele und höre man selbst. Der Künstler aber zeige sich bald wieder auf einem Terrain, auf dem Fuß zu fassen freilich nichts Leichtes ist; über dem äußerlichen Erfolg steht aber der innere Gewinn, den jede Kraftübung im Schwierigen davonträgt, und dessen Folgen sich der ganzen übrigen Wirksamkeit des Künstlers heilsam mittheilen. {{Right|12.

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{364}

Die Leonoren-Ouverturen von Beethoven.

Mit Freuden wird sich Mancher jenes Abends erinnern, als das Leipziger Orchester unter Mendelssohns Leitung uns alle vier Ouverturen zu Leonore nach einander hören ließ. Die Zeitschrift berichtete schon früher darüber.* Wir kommen heute wieder darauf zurück, da soeben die vierte der Ouverturen (der Entstehung nach die zweite) im Stich erschienen ist, vor der Hand nur in Stimmen, denen aber bald die Partitur folgen wird.

Ueber die Reihenfolge, in der Beethoven die Ouverturen schrieb, kann kaum ein Zweifel sein. Vielleicht daß Mancher die eben erschienene für die erste halten könnte, die Beethoven überhaupt zu seiner Oper entworfen, da sie ganz den Charakter eines kühnen ersten Anlaufs hat, wie in der kräftigsten Freude über das vollendete Werk geschrieben scheint, das in den Hauptzügen sie im kleineren Raum wiederspiegelt. Den Zweifel beseitigt aber Schindlers Buch (S. 58) auf das Vollständigste. Nach dessen bestimmter Versicherung verhält es sich folgendermaßen damit. Beethoven schrieb erst die Ouverture, die später bei T. Haslinger als Werk 138 nach Beethovens Tode erschien; sie wurde in Wien nur vor einer kleinen Kennerschaar gespielt aber einstimmig für „zu leicht“ befunden. Beethoven, gereizt, schrieb jetzt die Ouverture, die so eben bei Breitkopf und Härtel erschienen, änderte aber auch diese, woraus die bekannte in C dur als Nr. 3 zu bezeichnende entstand. Die vierte Ouverture endlich in E dur schrieb Beethoven erst im Jahre 1815, als Fidelio wieder auf das Repertoire gebracht wurde.**

Daß die dritte der Ouverturen die wirkungsvollste und künstlerisch vollendetste, darin stimmen fast alle Musiker überein. Schlage man aber auch die erste nicht zu gering an; sie ist bis auf eine matte Stelle (Part. S. 18) ein schönes frisches Musikstück und Beethovens gar wohl würdig. Einleitung, Uebergang ins Allegro, das erste Thema, die Erinnerung an Florestans Arie, das Crescendo am Schluß — das reiche Gemüth des Meisters blickt aus allem diesem. Interessanter sind freilich die Beziehungen, in denen die zweite zur dritten steht, hier

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       * S. 224 und 245.
     ** Diese unrichtigen Angaben in Schindlers Beethoven-Biographie hat Nottebohm in Chrysanders allgem. mus. Ztg. von 1870 verbessert. Vgl. Anm. 51.


{365} läßt sich der Künstler recht deutlich in seiner Werkstatt belauschen. Wie er änderte, wie er verwarf, Gedanken und Instrumentation, wie er sich in keiner von seiner Florestanschen Arie losmachen kann, wie sich die drei Anfangstacte dieser Arie durch das ganze Stuck hinziehen, wie er auch den Trompetenruf hinter der Scene nicht aufgeben kann, ihn in der dritten Ouverture noch weit schöner anbringt als in der zweiten, wie er nicht ruht und rastet, daß sein Werk zu der Vollendung gelange, wie wir es in der dritten bewundern, — dies zu beobachten und zu vergleichen, gehört zu dem Interessantesten und Bildendsten, was der Kunstjünger vornehmen, für sich benutzen kann. Wie gern möchten wir die beiden Werke Schritt für Schritt verfolgen. Dies gelingt mit den Partituren in der Hand mit Genuß weit besser als mit Buchstaben auf dem Papier, weshalb wir nur in Kurzem die wesentlichen Unterschiede berührten. Noch eines Umstandes müssen wir gedenken. In der Partitur, die sich im Besitz der HH. Breitkopf und Härtel befand, fehlten leider zum Schluß einige Blätter. Zum Zweck der Ausführung in den hiesigen Concerten wurde diese Lücke durch eine entsprechende Stelle aus der dritten Kuverture ergänzt* und diese in der gedachten Ausgabe durch Sternchen bezeichnet. Jedenfalls war dies das einzige Schickliche, das sich thun ließ. Der Dirigent hat nun aber freilich zu thun. das Orchester so anzutreiben, daß die Stelle

#Notenbeispiel

(21 Tacte vor dem Schluß) nicht zu langsam gegen den Anfang des Presto

#Notenbeispiel

hinterher komme. Der Uebelstand wäre vermieden worden, wenn man nach dem Tacte

#Notenbeispiel

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       * Durch Mendelssohn.

{366} der zweiten Ouverture (erste Violinstimme, neuntes System, letzter Tact) vielleicht gleich mit dem fff der zweiten Ouverture auf S. 68 der Partitur fortgefahren wäre. Der Verlust der kleinen Varianten in der Instrumentation, den das gänzliche Aufgeben des Presto nach der ersten Lesart mit sich brächte, scheint uns kein großer. Andererseits muß man freilich die Pietät gelten lassen, die keinen Tact opfern wollte. Sollte sich aber in der Welt keine zweite Abschrift der Ouverture vorfinden, die auch den vollständigen Schluß enthielte?* {{Right|39.

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L. Bergers gesammelte Werke.

Wir wünschten voraussetzen zu können, der Name des obengenannten Künstlers wäre den Meisten ein nicht nur dem Namen nach, sondern auch durch seine Werke bekannter. Dem ist aber nicht so. Trotz allen fast wöchentlich wiederholten Lobeserhebungen, die das Musikblatt Iris enthielt, trotz der Vortrefflichkeit der Compositionen selbst, ist L. Bergers Componistenruf nur wenig in Deutschland verbreitet. Es läßt sich dies nur durch die eigene Charakterorganisation des Künstlers und durch die äußern Verhältnisse, in denen er lebte, erklären. Er war, wie man sagt, ein bis zum Hypochonder ängstlicher Künstler, der Jahre lang an einzelnen Werken feilte, ohne sich zur Herausgabe entschließen zu können. Kein Zureden der Freunde half; je mehr man in ihn drang, je tiefer vergrübelte er sich. So erschienen denn während seines Lebens nur wenige Compositionen. Diese wenigen reichten allerdings hin, eine bedeutende poetische Natur, mit einem Wort einen Künstler in ihm erkennen zu lassen. Aber zum Ruhm gehört mehr. Berger spielte nur in seinen Jünglingsjahren öffentlich; später hielt ihn vom öffentlichen Auftreten dieselbe Aengstlichkeit ab, die ihn an der Herausgabe seiner Compositionen hinderte. Ein Künstler aber, der seine Compositionen nicht selbst dem Publicum vorführen kann, braucht die Hälfte Zeit mehr, um Ruf zu erlangen. Der Ausnahmen gibt es nur sehr wenige. So kam es, daß sich Berger immer mehr von der Welt abschied, nur im Stillen als Lehrer

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      * Am 27. Januar 1853 wurde die Ouverture zum ersten Male vollständig, nach einer neuerlich vorgefundenen Handschrift im Gewandhause aufgeführt.


{367} fortwirkend, dabei aber auch fleißig schaffend und feilend. Er starb, vom Schlage getroffen, als er gerade eine Schülerin unterrichtete, in ziemlich hohem Alter am 16. Februar 1839. In seinem Testamente fand man verordnet, daß eine Auswahl seiner nachgelassenen Compositionen durch die Herren Ludwig Rellstab und Wilhelm Taubert veranstaltet werden möge, die, Schüler und Freunde des Verewigten, sich des ehrenvollen Auftrages mit Eifer entledigten. Herr Fr. Hofmeister übernahm den Verlag, und die Sammlung ist, die Lieder nicht mit gerechnet, schon zu fünf starken Cahiers angewachsen.

Ein solches Unternehmen, den Manen eines wenig gekannten Künstlers zu Ehren ausgeführt, verdient schon an sich eine auszeichnende Erwähnung, doppelt, wo es auch der Kunst zur Ehre gereicht. Bergers stärkste Seite war freilich das Lied; an mehreren Orten in der Zeitschrift wurde schon darauf hingewiesen. Doch auch unter seinen Claviercompositionen befindet sich des Trefflichen viel; das Gemeine lag seiner Natur überhaupt fern. Mit einigen Worten den Inhalt der fünf Hefte anzudeuten: sie geben außer einigen schon älteren Werken, wie die Sonate, die 12 Etuden, die Variationen über „schöne Minka“, auch viele zuvor noch nicht gedruckte, wie 18 Variationen über „ah, vous dirai-je, Maman“, das auf dem Titel der Componist selbst als sein „bestes Werk“ bezeichnete, und ein ganzes Clavier-Concert. Mit diesen fünf Heften ist aber die Sammlung wohl noch keineswegs abgeschlossen; sie genügen indeß vollkommen zur Rechtfertigung des Ausspruchs der Herausgeber, wie durch sie L. Bergers Künstlername nur gehoben werden könne, wie ihm kraft ihrer eine Ehrenstelle neben den classischen Meistern der letzten Epoche gebühre. L. Bergers erstes Vorbild war offenbar Mozart selbst, das nur erst später durch Beethovens Erscheinen etwas in den Hintergrund getreten sein mochte. Auf seinen Clavierstil insbesondere hatte außerdem Clementi, L. Bergers erster Lehrer, dann auch Field, sein Mitschüler, Einfluß gehabt. Erinnerungen an diese seine Meister und Freunde finden sich überall. Damit soll aber keineswegs gesagt werden, als ob L. Berger ein Nachahmer dieser gewesen. Im Gegentheil, was geniale Schöpferkraft anlangt, steht er sowohl über Clementi als über Field, und bewies es namentlich im Liebe, in dem er ganz ohne Vorbild arbeitete, dessen Grenzen er weit über die damals conventionellen hinausrückte. Hätte er sich mehr vom Clavier ab-, mit seiner ganzen Kraft mehr noch dem Gesange, dem Orchester oder der Oper zugewendet, hätte er sich auch ganz vom aufreibenden Stundengeben losmachen können, wer weiß,

{368} was uns Berger hätte werden können. Doch halten wir uns an das, was er gegeben. Als sein bedeutendstes, glücklichstes Clavierwerk gilt uns auch jetzt, wo wir Neueres von ihm kennen gelernt, noch immer seine erste Etudensammlung. Ueberhaupt, scheint uns, war er in kleinen Formen glücklicher als in größeren, wie dies oft bei excentrischen Naturen der Fall, die stets ihr Bestes, Tiefstes, Innigstes geben möchten. Schlage man solche kleine Stücke nicht zu gering an. Eine gewisse breite Unterlage, ein bequemes Aufbauen und Abschließen mag mancher Leistung zum Lobe gereichen. Es gibt aber Tondichter, die, wozu Andere Stunden gebrauchen, in Minuten auszusprechen wissen; zur Darstellung wie zum Genießen solcher geistig concentrirter Compositionen gehört aber freilich auch eine gesteigerte Kraft des Darstellenden wie der Aufnehmenden und dann auch die rechte Stunde und Zeit; denn schöne, bequeme Form läßt sich immer genießen und auslegen, tiefer Gehalt wird aber nicht zu jeder Zeit verstanden. Daß L. Berger auch größerer Formen Meister war, hat er in seinen Sonaten, seinen Concerten bewiesen; keineswegs aber geben wir für diese eben jene kleineren genialeren Arbeiten hin, wie jene Etuden, einige seiner Variationen, und vor Allem seine Lieder. Nicht ganz einstimmen möchten wir indeß in das Selbsturtheil des Künstlers über jene 18 Variationen, die er selbst als sein bestes Werk bezeichnet, die uns jene frühen Variationen über „schöne Minka“ nicht aufzuwiegen scheinen. Künstler, wie manche Mütter, lieben oft die ihrer Kinder am meisten, die ihnen die meisten Schmerzen gemacht. Wir glauben, jenes Variationenwerk Bergers war ein solches Schmerzenskind; er soll Jahre lang an ihm gebildet und geglättet haben. Irgend ein fein künstlerischer Zug, oft in der kleinen Spanne einiger Tacte, findet sich aber sonst auf jeder Seite einer Bergerschen Composition. Oft auch sehen wir ihn in glücklicher Stimmung plötzlich wie unterbrochen, und daran mag wohl sein Lehreramt Schuld haben. Wie mancher schöner Gedanke mag uns schon geraubt worden sein durch das unzeitige Eintreten eines kleinen Scalenritters, wie manches schöne schaffende Talent ist durch Unterrichtgeben zu Grunde gegangen! Den Charakter einer mühsamen Arbeit, so künstlerisch schön sie sich auch zu verhüllen versteht, hat im Ganzen auch Bergers Concert. Zwar, wir haben es nicht mit Orchester gehört; die Clavierstimme aber hat uns nur wenig Interesse gewährt. Offenbar wollte Berger auch dankbar für den Spieler schreiben, dies hat ihn in Conflict mit seinem poetischen Menschen gebracht, der doch überall seine Flügelspitzen hervorsteckt.


{369} Ausgezeichnetes enthält die Sammlung noch in einigen graziös einfachen Rondos, von denen wir namentlich das in D dur im zweiten Cahier anführen.

Die zweite große Sammlung Etuden ist in den bis jetzt erschienenen Heften noch nicht wieder abgedruckt; wir besprachen sie schon bei ihrem Erscheinen.

Die Lieder erscheinen getrennt von dieser Hauptausgabe feiner Werke, in einzelnen Heften. Namentlich diese werden seinen Namen der fernen Zukunft erhalten.

Sei denn das einem echt deutschen Künstler in seinen Werken gesetzte Denkmal der liebevollen Beachtung der Zeitgenossen nochmals empfohlen. {{Right|39.

Drei Preissonaten für das Pianoforte

componirt von C. Vollweiler in Petersburg, J. E. Leonhard in Lanban, J. P. E. Hartmann in Kopenhagen.

Gekrönt vom Preisinstitut des Norddeutschen Musikvereins in Hamburg.

Obige Werke lassen sich füglich aus zwei Gesichtspuncten betrachten: als Preissonaten, — als Sonaten überhaupt. Diese könnten allenfalls Versuche sein und sie würden schon der würdigen Form halber, in der sie auftreten, die Sympathieen des Kritikers für sich haben; an jene stellt man höhere Ansprüche, wie etwa an gekrönte Häupter selbst, die dem Volke vorangehen sollen in aller Art. Freilich in der Kunst gibt es kein Erbrecht; ihre Kronen wollen verdient sein, und an dem Lorbeer, ehe er auf einem Dichterhaupte fest sitzt, zerren oft tausend Hände und nicht in der besten Absicht. Künstlerische Wettkämpfe sind denn gut dazu, Talente schneller zu erforschen und der Welt bekannt zu machen. Zwar der Kritik sind sie deshalb noch nicht entzogen, aber der Masse imponirt ein Preiscollegium immer, wie den Künstlern selbst, die sich ihm ja sonst nicht unterworfen haben würden. Daß aber offenbar Schlechtem von ansgewählten Richtern ein Kranz zugesprochen würde, wäre beispiellos. Verdienstliches mag denn auch durch den letzten Wettkampf einiges erzielt worden sein.

Von den drei Siegern war dem Publicum vielleicht nur der dritte bekannt; die zwei andern hätten vielleicht noch lange arbeiten und warten


{370} müssen, ehe ihre Namen der öffentlichen Aufmerksamkeit für werth befunden worden. Man weiß, der Ruf ist jetzt nicht mehr so wohlfeil als sonst; sie werden also die Gunst Apolls zu würdigen verstehen. Sehen wir jetzt ab von allen äußerlichen Interessen und die Compositionen selbst etwas genauer an.

Die erste Sonate geht aus G moll. Die Folge der Sätze ist die gewöhnliche. Was sie musikalisch ausspricht, ist nicht neu, alles auch nicht Musik. Der Componist steht einigermaßen noch unter der Herrschaft des Virtuosen, doch bringt er nirgends geradezu inhaltloses Passagenwerk. Hier und da blickt Hummel als Vorbild durch, auch jüngere Componisten scheint er zu kennen und zu lieben. Das Instrument ist wirkungsvoll, in moderner Weise behandelt, wie denn der Componist überhaupt ein brillanter Spieler scheint. Sich als letzteren zu zeigen, gibt die Sonate vielfache Gelegenheit; deshalb spielt sie auch oft in die Concertform hinüber. Damit ist zugleich gesagt, daß ihr nicht jener ausdauernd innige seelenvolle Charakter innewohne wie z. B. Beethovenschen Sonaten, namentlich der letzten Epoche. Wo wäre aber auch Gleiches oder nur Aehnliches zu finden? — Von den einzelnen Sätzen scheint uns der erste, wenn auch nicht von meisterlichem Guß, doch der frischeste und kräftigste. Die Partie, wo sich der Meister am sichersten erprobt, die Durchführung in der Mitte des Stückes bis zum Rückgang, ist nicht uninteressant, doch etwas schwerfällig; der Componist hatte sich nach Ges dur (von G moll aus) verirrt, da gab es denn einen schweren Rückweg; der Spieler hat dabei gewiß dieselbe Empfindung, wie der Componist hatte, während er schrieb. Einige triviale Stellen finden sich wie schon im ersten Theile des ersten Satzes, so auch im Mittelsatze dieses (so S. 5 Syst. 2 von Tact 4 an, S. 7 Syst. 4 und 5, S. 9 Syst. 6). Dagegen gefällt uns der Schluß von S. 14 Syst. 4 an vorzüglich; die Einführung des ersten Themas geschieht hier leicht, frei und wohlthuend. Es folgt ein Scherzo im 2/4 Tact, in derselben Tonart; es ist artig und hat ein anmuthiges Trio. Stellen wie S. 19 Syst. 2 von Tact 5 an scheinen uns aber zu wohlfeil und gehören am wenigsten in eine Preissonate. In der Coda sagt uns bis auf einige verbrauchte Wiederholungen wieder der Schluß sehr zu. Das Andantino beginnt mit einem innigen Gesang, der an ein Motiv des ersten Satzes anklingt; wir wünschten es in diesem Charakter festgehalten. S. 23 geräth aber der Componist in einen unbegreiflichen Zorn, der sich, wie oft bei Clavierspielern, in massigen Octavengängen ausläßt. Diese Stelle verleidet uns den Satz.

{371} Das Finale wird durch ein paar Uebergangstacte mit dem Andantino verbunden; wir müssen ihn leider für den gehaltlosesten Satz der Sonate erklären, er ist nicht einmal in der Form gerathen und voll von Gemeinplätzen, wie wir sie wohl in Virtuosenstücken entschuldigen, nicht aber in Componistenleistungen. Es thut uns leid, die Meinung der H.H. Preisrichter* hier nicht theilen zu können. Das Talent, das sich in den vorderen Sätzen ausspricht, hat sie offenbar die Schwächen des letzten übersehen lassen.

Wir kommen zur zweiten Sonate [F moll], vom Componisten Sonata quasi Fantasia genannt; sie ist mehr sonderbar als schön, in gewisser Art originell. Der Componist hat sich nämlich darauf capricirt, die Sonate, sogar in ihren Nebentheilen, über ein Thema zu machen. Welche drückende Fessel er sich damit angelegt, wird er selbst am besten wissen; immerhin verdient aber eine solche Selbstbeschränkung ein gewisses Lob, das wir um so lieber spenden, je mehr wir überzeugt sind, daß es ihm Andere, die von der Schwierigkeit einer solchen Arbeit keinen Begriff haben, nicht spenden werden. Denn freilich — was hat er erreicht durch diese Sonderbarkeit? Sein Stück leidet an einer fast abmattenden Einförmigkeit, und die Kunst ersetzt nicht, wo die Natur mangelt. Wir wissen wohl von Bach und andern verwickelt combinirenden Künstlern, wie sie auf wenige Tacte, oft Noten, ganz wundersam gefügte Stücke gegründet, durch die sich jene Anfangslinien in unzähligen Verschlingungen hindurchziehen, von Künstlern, deren inneres Ohr so bewundernswürdig fein schuf, daß das äußere die Kunst erst mit Hilfe des Auges gewahr wird. Aber sie waren Meister der ersten Ordnung, denen in Laune gelang, was dem Jünger Schweißtropfen kostet. Ihre tiefe harmonische Kunst gewährte wenigstens von dieser Seite ein Interesse. Der obigen Sonate und ihrem Componisten wollen wir den besten Willen und das ernste Streben, aus Wenigem viel hervorzuzaubern, nicht absprechen; aber der Eindruck seiner Composition spricht dafür, daß er mit seiner Arbeit etwas Undankbares unternommen, daß er seine Kräfte in einer unnatürlichen Spannung versucht, die auch dem wohlwollenden Beschauer ein Mißbehagen verursachen muß. Noch dazu ist das Grundthema nicht einmal sein eigen und unterscheidet sich nur rhythmisch vom ersten Thema der Beethovenschen A moll-Sonate für Pianoforte und Violine, oder,

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       * Preisrichter waren: C. Krebs (Präses), F. W. Grund, E. Marxsen, J. F. Schwenke, L. Spohr.

{372} geht man noch weiter zurück, von der Fuge in G moll aus dem wohltemperirten Clavier von Bach. Andererseits erinnert die Art seines Auftretens an die letzte große Sonate in C moll von Beethoven. Davon abgesehen, so hat der Componist aus ihm gemacht, was es nur irgend hergab. Es erscheint in wohl 50 verschiedenen Gestalten, als Melodie, als Baß, als Mittelstimme, per augmentationem simplicem und duplicem, desgleichen per diminutionem, wohl auch in Engführungen etc. etc.. Im ersten Satze interessirt das noch. Beginnt aber das Adagio wieder mit der Figur, dann das Scherzo und dann das Finale und, wie gesagt, nicht allein in dem Haupt- sondern auch in den Nebenthemas, so möchte sich das Ohr apathisch abwenden, das so unbarmherzig von dem

  1. Notenbeispiel

verfolgt wird. Dies ist das Zuviel der Durchführung, das nahe an unkünstlerische Absicht grenzt; statt lebendiger That trockene Formel. Aber auch dieser Art der Composition wollen wir nicht entgegentreten, sobald sie sich gibt als was sie ist, als Studie für den jungen Componisten selbst. Für eine Preissonate aber, um die sich ein eben ertheilter Lorbeer anschmiegt, halten wir die Sache für zu gemacht. Im Uebrigen sind wir, wie gesagt, weit entfernt, dem Componisten ein schätzenswerthes Talent, das bei guten Mustern in die Schule gegangen, abzusprechen. Er will nur vielleicht zu viel und tödtet am Ende den Rest Naivetät, der noch in ihm sein mag. Sagt ihm das nie eine innere Stimme? Oder ist er schon glücklich an jenem Kreuzweg vorüber, wo sich Natur und Affectation trennen?

Die dritte Sonate [D moll] liegt uns noch vor, dieselbe, die den letzten Preis davon getragen. Da blickt uns denn gleich ein sinniges Gemüth entgegen; im schönen Flusse der Gedanken bewegt sich die Composition vorwärts; neue treten hinzu, die alten tauchen wieder auf; sie umschlingen sich, trennen sich wieder. Wie eine schöne Gruppe löst sich das Ganze und verschwindet leicht und anmuthig, wie es begonnen. Nach diesem Stücke fühlt man den Druck einer Künstlerhand; nur einer solchen konnte das gelingen. Eine Romanze hebt an, nach einem etwas herben Vorspiele diese selbst; mit mildem Ernst wird uns etwas erzählt, das wir schon gehört zu haben glauben. Das Ganze fesselt noch immer, wenn es uns auch nicht den ersten Satz vergessen macht. Ein Scherzo folgt der hübschesten Art, in anmuthiger Folge


{373} wechseln starke und leise Stimmen und nahen und fliehen; das Trio erklingt wie die Mahnung eines Freundes; aber das Necken der ersteren beginnt von Neuem. Das Finale weicht vom früheren anziehenden Novellencharakter der Sonate etwas ab und greift zu stärkeren Farben, gleich als hätte der Componist ein Orchesterstück damit ersetzen wollen. Es gefällt uns an der Sonate am wenigsten; immer aber gewahrt man auch an ihm die tüchtige Hand eines Musikers, der mit Absicht etwas Künstlicheres liefern wollte. Dieser vor allen, klang es nach der Sonate in uns, gebührt ein Preis, und in ihr wieder vor den andern dem ersten Satze. Wenn wir in der ersten von (Vollweiler) einen Clavierspieler erkannten, der sich mit Talent auch der Composition zugewendet, in der andern (von Leonhard) einen Musiker, der sich den Weg zur Vollendung durch Verstandesspiele in etwas zu erschweren scheint, so spricht aus der von J. P. E. Hartmann der Künstler zu uns, der uns versühnt, durch die harmonische Ausbildung seiner Kräfte, der, Herr der Form, kein Sclav seiner Gefühle, uns überall zu rühren und fesseln versteht.

Dies ist unsere Meinung, und weicht sie einigermaßen von der der Preisrichter ab. so sei damit in keinem Falle ihr guter Wille in Zweifel gezogen, das Verdienst nach Würden zu belohnen. Aber es ist schwieriger, aus fünfzig Menschen den besten herauszufinden als aus dreien. Und dann — auch wir können irren, unsere Absicht aber war die beste. {{Right|Sch.

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Liederschau.

H. F. Kufferath, Sechs Lieder von R. Burns mit Begleitung des Pianoforte. Werk 3.

Burns ist der Lieblingsdichter der jetzigen jungen Componisten. Gewiß hat der poetische „Pflüger von Dumfries“ es nie vermuthet, daß seine Lieder, zu denen er meistens durch alte Volksmelodieen angeregt wurde, nach beinahe hundert Jahren so viele andere Weisen erwecken würden, auch jenseits des Kanals. In Herrn Kufferath hat er einen sehr begabten Sänger gefunden. Der Ton der Lieder ist glücklich und athmet schottischen Charakter. Eine gewisse Einförmigkeit


{374} der Melodieen erscheint hier als unvermeidlich; sie gleichen sich alle sehr, namentlich im ersten und vierten Liede, die zugleich an das unter dem Titel »Michelemma« bekannte italiänische Volkslied erinnern. Im Uebrigen zeigt der junge Componist in allen Talent und Geschmack, in vielen einzelnen Zügen auch die feinere Bildung des modernen Künstlers, so daß dies sein erstes Gesangwerk dem Musiker wie dem Laien gleich willkommen sein muß. Noch haben die Lieder fast durchgängig das Besondere, daß die Klavierbegleitung meist mit der Melodie zusammengeht, so daß jene auch ohne Gesang selbständig bestehen könnte. Es ist dies gerade kein Vorzug einer Liedercomposition und namentlich für den Sänger beengend; wir begegnen Aehnlichem aber bei allen jungen Componisten, die sich vorzugsweise früher mit Instrumentalcomposition beschäftigten. Dies hindert aber nicht, den Liedern des unsrigen innerlichen Gesanggehalt zuzusprechen, wie sie sich denn auch sehr leicht singen und rasch anklingen. Der Componist zeige sich noch oft auf dem Gebiete, auf dem er so glücklich und aufmunterungswerth bgonnen.

Carl Zöllner, Liebesfrühling von F. Rückert.

Neun Lieder mit Begleitung des Pianoforte.

Diese Lieder erheben sich weit über die Mittelmäßigkeit, wie sie in neuster Zeit im Liederfach wahrhaft entsetzend überhand genommen. Wir machen doppelt aufmerksam auf sie, die im Anfange schlicht, wohl gar etwas prosaisch erscheinend, bei genauerer Bekanntschaft immer mehr gewinnen müssen und einen wahren Gesangsmenschen verrathen, wie wir unter Hunderten nur zu einzelnen finden. Jene Schlichtheit geht namentlich die Begleitung an, die, umgekehrt wie bei den vorher angezeigten Liedern von Kufferath, ohne Gesang beinahe dürftig und bedeutungslos zu nennen wäre. In denen von Zöllner liegt die Kraft in der Melodie der Gesangstimme; sie eben in ihrer ganzen Innigkeit zu würdigen, dazu gehört ein Sänger, der auch zu sprechen versteht, und wie sie jeder Bewegung des Gedichtes liebend nachfolgt, so wollen wir es auch durch den Sänger wieder empfinden. Wie oft wird uns das geboten? Gute Liedersänger sind fast noch seltener als gute Liedercomponisten. Die Zöllnerschen Gesänge gradezu zu entstellen, würde zwar nur völlige Talentlofigkeit vermögen, sie sind dazu zu natürlich und stimmrecht; sie aber gegen oberflächliche Auffassung und vornehme Geringschätzung zu wahren, dazu kann ein öffentliches Wort wohl


{375} beitragen. Wir möchten so die Lieder einem edlen Gestein vergleichen, wie es sich oft unter unscheinbarer Erdrinde verbirgt; es gehört Fleiß und Liebe dazu, es hell ans Tageslicht zu fördern. Dann aber gewiß wird man sich des echten reinen Glanzes erfreuen, den sie ausstrahlen. Rückert, der Deutsche durch und durch — nur von „östlichen Rosen“ zuweilen überstrahlt — war auch gerade der Dichter, der dem Componisten besonders zusagen mußte. Im „Liebesfrühling“ steht Blüthe an Blüthe, die deutschen Componisten sind erst seit Kurzem dahinter gekommen. Der schönsten Texte einige hat sich auch Zöllner gewählt. Den Preis als Composition zollen wir vor Allem dem „O weh des Scheidens“; hier ist die Einfachheit zugleich Tiefe, das Gedicht leibhaftige Musik geworden; es ist ein schönes Lied und würde einem Beethoven nicht zur Unehre gereichen. Nach diesem fesselt uns das „Wenn die Rosen aufgeblüht“ durch inniges Verständniß des Gedichtes, das nicht leicht zu componiren war. Die erste Hälfte, die recitativische Wendung, scheint uns ausgezeichnet, der Schluß nur erinnert an Weber. Vortrefflich aufgefaßt, im altdeutsch poetischen Tone, ist auch das Duett „Seligster Wunsch“ und namentlich der Schluß von rührender Innigkeit. Das „Mein Sehnen, mein Ahnen“ ist aus dem Herzen gesungen, ähnelt aber in etwas einer Marschnerschen Arie aus Hans Heiling, wie denn Beethoven, Weber und Marschner unverkennbare Vorbilder des Componisten sein mögen. Im Liede „Warum willst du andere fragen“ gefällt uns entschieden die zweite Hälfte bis auf den tremulirenden Schluß, für den wir lieber einfach aushaltende Accorde gesetzt wünschten. Nr. 6 hat einen innigen Grundton, der sich aber in der Mitte des Liedes etwas trübt durch einige mühsame Modulationen; auch der zweite Tact, obwohl melodisch gut gesungen, auf dem Worte „Busen“ gefällt uns nicht; er scheint uns für die Braut, die Rückert meint, nicht jungfräulich, nicht keusch genug. Von den zwei Volksliedern sagt uns das erste zu; es will gut gesungen und gesprochen sein. Das andere ist das am wenigsten bedeutende des Heftes, welches wir denn nach treuester Ueberzeugung Allen empfehlen, die mehr als singen, die auch denken und sprechen wollen, zur nachhaltigen Freude ihrer wie Anderer. {{Right|12.

* J. P. E. Hartmann, Sechs Lieder mit Begleitung des Pfte.  W. 35.

Diese Lieder verdienen eine lobende Auszeichnung. Der treffliche Musiker spricht aus jedem einzelnen, wenn wir auch mit der


{376} Auffassung einiger nicht ganz übereinstimmen. Diese zuerst zu kennen: es sind das „Hüttchen“ von Gleim, das uns in Tonart und Harmonisirung zum schlichten Text zu gesucht, nicht einfach genug scheint, obwohl es sich als Musikstück an sich rundet und abschließt. Das „Abendlied“ trifft vielleicht der entgegengesetzte Vorwurf, dies, wie es uns dünkt, ist für das nach Ruhe verlangende Herz, das sich hier ausspricht, zu ruhig und monoton gehalten. Wenn nicht verfehlt, so doch auch nicht getroffen, ist das Heinesche „Mein Liebchen, wir saßen beisammen“ (mit dem komischen Druckfehler am Schluß: „wir aber schwammen vorüber trostlos aus meinem Meer, statt weitem). Das Dämmrige, Zarte des Gedichtes wird hier durch die Musik nicht näher gebracht. Der Uebergang nach Fis moll in der Mitte behagt uns nicht einmal im musikalischen Betracht, wo sonst dem Componisten nichts anzuhaben ist. Für eine nicht leichte Aufgabe für Composition halten wir das Wackernagelsche Gedicht „Der Tropfen“; es spricht in an sich gelungener Dichterweise eine Moral in einem Vergleiche aus; beides, moralistische und bildliche Tendenzen, liegen der Musik fern. Davon abgesehen hat sich der Componist bemüht, den Sinn des Textes bis auf das einzelne Wort genau in der Musik auszuprägen und es ist ihm gelungen, wenn auch der Gesang eine entschiedene Wirkung nicht macht. Ueberhaupt ist schon die Fähigkeit des Künstlers, den Sinn eines Gedichtes zu fassen, es zu beherrschen, der Rede werth in einer Zeit, wo im Liederwesen so viel höchst Mittelmäßiges erscheint, wo die meisten selbst beliebteren Componisten ihre Gedichte gar nicht durchgelesen zu haben scheinen, in solch verkehrtem Verhältniß steht ihre Musik oft zum Gedicht, und meistens taugt jene auch an sich nur wenig. Solches schülerhafte Gestammle denn in den Hartmannschen Liedern nicht anzutreffen, dürfen wir versichern, und wir müssen noch der zwei gelungensten der Sammlung gedenken, die wir absichtlich bis zum Schluß aussparten: sie sind das erste und letzte, das originelle Gedicht von Mörike „Jägerlied“ mit dem Anfang: „Zierlich ist des Vogels Tritt im Schnee“, einfach, aber lebendig und originell auch vom Componisten gefaßt, und das letzte „Die heiligen drei Könige“ von Heine, dies sonderbare Stück Gedicht, humoristisch-kirchlich, wenn man so sagen darf, in der Musik wiedergegeben, in der wir nur vielleicht eine feinere Hervorhebung des „Sternes“ wünschten, auf den im Gedicht alles ankommt.

Wir haben den Componisten nach höherem Maßstabe gemessen, da er aus Nachsicht Anspruch zu haben ein viel zu weit vorgerückter

{377} und gediegener Künstler ist. Vergleichen wir diese neueren Compositionen mit früheren von ihm, so ergibt sich außerdem ein großer Fortschritt, namentlich was Geschmack in der Harmonie und Cantabilität anlangt. In jener that er früher zu viel, in dieser zu wenig. Die Meisterschaft ist ihm bei Weitem näher gerückt; wir dürfen immer reichere und schönere Gaben von ihm erwarten.

* Carl Bauck, ,,Marienlieder“.

Wallfahrt zur heiligen Madonna, gedichtet von O. L. B. Wolff, für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte. Werk 39.

Wir gestehen, von Hrn. Bancks Liedern vor diesen nur wenige gekannt, in dem guten Glauben an ihn als einen trefflichen Gesangscomponisten gelebt zu haben, das letztere, da wir viel in öffentlichen Blättern darüber gelesen und mehr, als man sonst über Liedercompositionen gedruckt findet. Mit den besten Gedanken gingen wir denn an diese „Marienlieder“. Schon das erste Lied machte uns stutzig; da indeß die Sache nicht besser wurde, von Seite zu Seite, nach unserm Begriff wenigstens, Mittelmäßigkeit und Blasirtheit sich zu steigern schienen, so legten wir die Lieder wieder bei Seite, in der Meinung, daß wir selbst vielleicht bei ungünstiger Stimmung, unter der wir den Componisten nicht leiden lassen wollten. Wir nahmen sie denn, des frühern Eindrucks beinahe nicht mehr gedenkend, später wieder vor; die Lieder kamen uns immer seichter und schülerhafter, im Betracht zur Höhe des Stoffes (Lieder an die heilige Jungfrau) geradezu schlecht vor. Es mag sein, in Italien singt man Gott und die Heiligen in oft wunderlichen Weisen an, und man hört da in Kirchen, bei Processionen ganze Bellinische Stücke etc., wie bekannt ist. Auf diesen Standpunct muß sich der Componist versetzt haben, als er seine „Marienlieder“ schrieb. In Deutschland aber macht man andere Ansprüche; richtet doch jedes Land nach seinen Sitten — warum nicht auch das, in dem Bach, Beethoven und Andere lebten! Von diesem Standpunct aus müssen wir denn diese Lieder als so vollkommen nichtig bezeichnen, wie wir’s mit gutem Gewissen seit lange nicht konnten. Daß das Lied, wie jede Composition, eine Kunstform haben, daß es im Kleinen ein Ganzes darstellen müsse in sinnigen, wo möglich immer neuen Verhältnissen, daß es eben eine höhere Form des Liedes gibt, davon müssen wir fürs Erste bei Beurtheilung dieser ganz absehen. Wir möchten sie Tanzlieder nennen; sie winden sich von 8 zu 8 Tacten


{378} weiter mit den bekannten Modulationen, wie sie seit Strauß und Lanner nichts Neues mehr sind; die zweiten Verse sind meist wörtliche Wiederholungen der ersten mit ganz unbedeutenden Varianten in der Begleitung, und so ist denn ein Bogen bald vollgeschrieben. Aber die gemeine philisterhafte Form, in der sich sämmtliche Lieder egal bewegen, möchten wir noch hinnehmen, wenn wenigstens hier und da ein echter musikalischer Gehalt aus ihnen hervorblickte, ja wenn sie nur einen überhaupt gewandten Techniker verriethen. Was nun jenen, den Gehalt betrifft und was ihn bedingt: Charakter, Auffassung des Dichters, höherer declamatorischer Ausdruck etc., so ist kaum darüber ein Wort zu verlieren. Zwar die Gedichte sind, obwohl leicht und fließend gemacht, ohne tiefere Bedeutung; aber der Componist hat sie wo möglich noch trivialisirt, so daß uns der schöne Name „Marienlieder“ nur dauert, den eine gänzlich gemüth- und weihelose Musik an der Stirn trägt. Das sind Catharinen-, Luisen- und alles andre als Marien-Lieder. O ja — wir lieben auch die italiänischen Madonnenbilder, die Raphaelschen zumal, und auch wie man sie mit Blumen schmückt an festlichen Tagen, aber nicht jene wächsernen, an denen man bequem Füße und Arme abnehmen und wieder ansetzen kann, nicht jenen falschen Götzen- und Heiligendienst in Kunst und Leben. Darüber lächle, wer will. Mit heuchlerischer Unzulänglichkeit wird nichts erlangt. Wir müßten Lied für Lied durchgehen, was Bogen füllen würde, wollten wir ein vollständiges Bild aller Blößen geben, die hier aufzudecken wären. Damit würden wir aber dem Opus eine Bedeutung zugestehen, die es sicherlich nicht hat, die ihm der Componist vielleicht selbst gar nicht beimißt. Ja, diese wohlfeile Nachsicht gegen sich selbst, dieses Sich-Berufen auf das Nicht-besser-machen-wollen, diese Vertröstung auf das einstige Bessermachen-werden, das ist’s eben, was nicht weiter bringt, und kommt dazu eine Gefallsucht, die sich entschädigt glaubt, wenn sie wenigstens bei Dilettanten und Harfenmädchen durchdringt, so ist’s vollends aus. Wir bezeichnen damit nicht Hrn. Bauck, als [vielmehr] eine ganze Klasse Liedercomponisten, über die unter Künstlern schon längst der Stab gebrochen ist. Wer für Harfenmädchen schreibt, wird zuletzt von ihnen verführt. Dies ist der Gang in Kunst und Welt und die falsche Popularität.

Wir haben nun noch den Techniker zu betrachten, von dem wir zweifelten, ob er ein gewandter sei. Gewiß, wir waren’s vorher überzeugt; aber wir können auch hier kein Lob spenden. Von der bequemen, wenig Kenntniß von den vorhandenen Liederschätzen anderer

{379} Meister verrathenden Coupletform der Lieder sprachen wir schon. Es geräth Hrn. Banck aber nicht einmal diese immer. So fehlt ihm z. B. öfter eine Silbe, und nun nimmt er zu jenem fast komischen Flick-Ja seine Zuflucht, so im ersten Liede: „Durch der schweren Wolke Schauer brichst du, heißer Liebesstrahl, Ja!“, oder im vierten: „So wie ein Sternbild hell und rein, ja hell und rein“, oder (besonders komisch) in eben demselben: „Den rechten Ausdruck find' ich nie, ja find' ich nie“. Meistern, die die Form beherrschen, passirt das nicht.

Ein guter Techniker zeichnet sich dann aus durch gute Bässe, gute Mittelstimmen, überhaupt correcte Harmonie. Auch hier fehlt zur Meisterschaft die gute Hälfte. Die Bässe liegen meistens träumerisch auf einem Tone brach, oder es kommt ein Gang wie dieser im ersten Liede:

#Notenbeispiel

oder wie im sechsten:

  1. Notenbespiel.

Auf Mittelstimmen hat es der Componist offenbar gar nicht abgesehen: sie würden der Popularität nur Eintrag thun, wir können sie übergehen. Was die Correctheit der Harmonie überhaupt anbetrifft, so ist es eine zur Nothdurft; aber freilich versteigt sie sich auch nicht über alltäglich zu Hörendes, und wo der Componist, wie in obigen Baßbeispielen, Originelles geben möchte, verläßt ihn auch jene musikalisch commune Sicherheit.

Eine eigenthümliche Zugabe zu diesen Liedern und, wie wir hören, zu allen andern des Hrn. Banck auch, ist die ungeheure Verschwendung

{380} von italiänischen Vortragsbezeichnungen. Es findet sich in ihnen fast kein Tact, der nicht seinen Haken, sein Stichwort, seinen Commentar hätte. Oft trffst dies die unschuldigsten Worte: so steht auf einem demüthig sein sollenden „ich“ im zweiten Liede ein f, ein rfz und ein con afflizione auf einmal, so im dritten auf einem ganz devoten „bitte für uns“ auf dem uns ein rffz. ein tenuto und ein #Zeichen. Dieser Wortballast hat uns immer ein schlimmes Zeichen geschienen. Gewiß, jeder Componist muß wünschen, daß man seine Sachen gut und in seinem Sinne vorträgt. Wollte aber ein Dichter, z. B. in dramatischen Gedichten, jedes gewöhnliche „Guten Tag“ und „Guten Abend“ mit einem „im sanften Tone“ etc. begleiten, so erscheint das prätentiös, das heißt die Menschheit wie kleine Kinder behandeln. Der Componist muß wissen, was er gibt. Hrn. Bancks Lieder bedürfen für Musikalische wenigstens gar keiner Vortragsbezeichnung; sie würden dadurch, nach unserer Ansicht, sogar gewinnen. Denn hielte sich ein Sänger buchstäblich an seine Befehle, es müßte ein wahres Geheule herauskommen.

Viel haben wir nun in den vielen Berichten, die über Hrn. Bancks Lieder namentlich zu einer Zeit einmal erschienen, von dem besondern Reiz gelesen, der seinen Melodieen inwohne, und daß Herr Banck längere Zeit in Italien gelebt, wo er die menschliche Stimme genau studirt habe. Hat er die Früchte dieser Studien vielleicht in früheren Werken niedergelegt, wir wissens nicht; in den „Marienliedern“, wir gestehen es ungern, konnten wir nichts davon entdecken. Ist das Melodie, so hat z. B. Beethoven, Mendelssohn keine. Nein, das sind melodische Gänge, Gesangbrocken, zu einzelnen Worten einzelne aufgelesene Noten, die sich leicht singen, wohl auch gefallen können; aber aus der Meisterbrust quellender Gesang klingt anders. Wo sind sie hin, die Melodieen jener gefeierten italiänischen Meister bis Rossini, die noch dazu an Kenntnissen und Genie allen jetzt lebenden überlegen waren? Möchtet ihr sie eintauschen gegen deutsche, gegen Mozartsche, Beethovensche, die jetzt erst recht aufzublühen anfangen, die freilich auch in tieferen Gegenden entstanden als in der Stimmritze, d. h. in der musikalischen Brust eines deutschen Genius. wo alles Musik ist! Und ihr sprecht noch immer von italiän, von Bellini und dem Lande des Gesanges? Wann endlich wird jener Köhlerglaube aufhören, wir könnten im Gesange von dorther lernen? Als ob Gesang und Musik zweierlei wäre? Als ob schlechte Musik durch guten Gesang vergessen gemacht werden könnte? Als ob

{381} man des Gesanges wegen erst ein schlechter Musiker werden müßte? Nein, nein! das können wir näher und besser haben. Auch hier trifft es ein, das alte Wort: aus Rom kommt nichts Gutes. Und noch einmal: nicht alles, was sich leicht singt, ist Melodie; es ist ein Unterschied zwischen Melodie und Melodieen. Wer Melodie hat, hat Melodieen; wer aber Melodieen, nicht immer jene; das Kind singt sich schon seine Melodieen, Melodie aber entwickelt sich erst später. In den zwei ersten Accorden z. B. der heroischen Symphonie liegt mehr Melodie; als in zehn Bellinischen Melodieen. Den musikalischen Ultramontanen ist das freilich nicht begreiflich zu machen. Zur Sache also zurückzukommen: Hrn. Bancks Lieder singen sich leicht; es ist offenbar sein Hauptbestreben, mundgerecht zu heißen. Damit ist aber in melodischem Bezug auch alles gesagt.

Dies waren die Resultate, die wir aus einer für uns so gut wie neuen Bekanntschaft gezogen, auf die wir uns gefreut hatten. Es ist kein Zweifel, trüge das Opus die Zahl 1 oder 2, stünde auf dem Titel der Name eines gänzlich Unbekannten, wir .würden schneller darüber hingegangen sein, vielleicht milder geurtheilt haben. So aber galt es die Beleuchtung eines durch auffallend reich gespendetes öffentliches Lob hier und da bekannt gewordenen Componisten, in dem wir uns auf das Vollkommenste und so sehr getäuscht haben, daß wir nichts verschweigen, nichts bemänteln wollten. Wir sind auf Widerspruch gefaßt, werden aber nicht eher antworten, als bis Herr Banck sein Talent und seinen Anspruch auf eine mit ausführlichen Belegen zu unterstützende künstlerische Würdigung durch schönere, reinere Proben bethätigt hat. Es wäre Sünde, über Mittelmäßigkeit so viel Worte zu machen, wo so viele leuchtende Bestrebungen einer helfenden kritischen Hand bedürfen, wo eine neue junge Aera der Musik in Deutschland zu dämmern beginnt, deren Losung jene drei Worte sind, von denen in den „Marienliedern“ kaum eine leise Spur anzutreffen ist: Kraft, Natur, Wahrheit. {{Right|W.Z.

Henry Hugh Pearson, Sechs Lieder von Robert Burns für eine

Singstimme mit Pianoforte. Werk 7.

Ein eigenthümlicher Geist weht uns aus diesen Gesängen an, nicht der eines Meisters, aber der einer interessanten ausländischen Persönlichkeit. Die Lieder leiden fast fämmtlich noch an einer gewissen Ueberfülle, wie sie theils Unsicherheit im Technischen, theils die Absicht, alles

{382} gleich möglichst gut machen zu wollen, in jungen Componisten oft erzeugen. Beides, hoffen wir, wird sich mit dem reiferen Alter durch Uebung und Selbsterkenntniß mildern. Um es kurz zu sagen, es scheint uns zu viel Aufwand gerade an diese Texte verschwendet; es sind zu viel Noten zu den einfachen Worten. Das Lob des Fleißes soll damit dem jungen Künstler in keiner Weise vorenthalten sein; gerade die warme, liebevolle Behandlung, die aus den einzelnen Liedern spricht, nimmt uns für ihn ein; aber er that zu viel und fehlte ästhetisch, während er freilich überall das Beste wollte. Die Burnsschen Gedichte lehnen von vornherein, zum größten Theile wenigstens, jene breitere Form der Behandlung ab, wie sie in der Composition ersichtlich ist; es sind wohl Ergüsse einer wahrhaften Dichterstimmung, aber immer schlicht, kurz und bündig; darum lieben ihn die Componisten auch so sehr, darum fügen sich seine Worte wie von selbst zum Liede und am natürlichsten in jene Form, wie sie dem wirklichen Volksliede eigen ist. Der Compomst wollte aber mehr als dieses; er gibt meistens große ausgeführte Stücke, die wohl einen strebsamen Musiker verrathen, mit der naiven Form der Gedichte aber im Widerspruch stehen: oft hat seine Musik sogar einen dramatischen oder theatralischen Anstrich, und hier scheint er am weitesten vom Ziele zu sein. Halten wir also die Auffassung der Gedichte für zum Theil verfehlt, und namentlich das erste, dritte und fünfte Lied für viel zu anspruchsvoll und schwerfällig, so müssen wir doch auch in diesen manches Eigenthümliche anerkennen und vor Allem ein charakteristisches Etwas, eine kräftige edelmännische Gesinnung, wie wir sie an so vielen seiner Landsleute zu finden gewohnt sind. Dies läßt sich nicht mit Worten nachweisen, dies muß Jedem sympathisch aus seiner Musik entgegen wehen. Jedem kräftigeren männlichen Ausdruck, wenn er freilich wie hier auch noch nicht ganz gebildet erscheint, müssen wir aber das Wort reden in der musikalischen Gegenwart, die sich so überwiegend und gerade in ihren beliebteren Meistern zum Entgegengesetzten neigt, als ob nicht noch vor Kurzem ein Beethoven gelebt, der es sogar in Worten ausgesprochen: „dem Mann muß Musik Feuer aus dem Geist schlagen; Rührung paßt nur für Frauenzimmer“. Daran aber denken die Wenigsten und sinnen gerade auf stärkste Rührung. Man sollte sie zur Strafe sämmtlich in Weiberkleider stecken. Also Schluchzen und Weinen ist die Sache unseres Engländers nicht; er gibt markigere Melodieen, als man sie gemeinhin in deutschen Liederheften findet, und dies macht ihn uns werth. Sollten wir einzelne der Lieder hervorheben,


{383} die uns am meisten zugesagt, so sind es „John Anderson“ und das „Soldatenlied“; jenes ist ganz von dem wehmüthigen Tone durchdrungen, der das Gedicht in so hohem Grade beseelt, und hat trotzdem charakteristische Kraft; im „Soldatenlied“ umspielt uns ein Anklang an das Marlboroughlied mit eignem romantischen Reiz, daß wir uns in die schottischen Hochlande versetzt suhlen. Die Lieder sind wohl ursprünglich auf das Englische componirt; doch stehen auch deutsche Worte dabei. {{Right|W. Z.

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Trios für Pianoforte, Violine und Violoncello.

Alexander Fesca, Zweites großes Trio (E moll). Werk 12. {{Right|„ „ Drittes großes Trio (G moll). „ 23.

Leider liegen uns von diesen wie den meisten später zu besprechenden Trios keine Partituren vor; auf Infallibilität des Urtheils machen die folgenden Zeilen daher keinen Anspruch und mögen mehr als ein Hinweis auf die neuen Erscheinungen im Gebiete der Triocomposition denn als kritisches Spiegelbild gelten. Ueberdies sind die einzelnen Verfasser bekannt genug, so daß Jedermann weiß, was er ungefähr von ihnen zu erwarten hat, was nicht.

Das erste Trio des obengenannten jungen Componisten besprach die Zeitschrift schon vor längerer Zeit und sagte dort, „es habe eine Schmetterlingsnatur, wo nicht der ganze Componist selbst“. Dieser Ausspruch, gut wie schlimm zu deuten, findet auch auf seine zwei späteren Trios Anwendung. Wie jenes, zeichnet offenbar auch diese ein rasches, flüchtiges Wesen aus, wie es uns wohl auf Augenblicke gefallen kann. Ein ganzes Künstlerleben aber schmetterlingsartig durchzudringen, scheint uns dieses denn doch zu kurz. Wir wissen nicht, ob Hr. Fesca dies im Sinne hat; aber die Anlage geht ihm dazu nicht ab. Er hüte sich also. Die giftigen Blumen sind hier der Beifall des gewöhnlichen Haufens, gewisse Blicke sentimentaler Frauen. Der wahre Künstler gedeiht aber nur anderswie — in der Einsamkeit oder im Umgange mit Künstlern, und nichts entnervt mehr als der Beifall Mittelmäßiger. Tiefe kann sich freilich Niemand geben, aber lernen und streben soll man immer. Wir wissen in der That an beiden Trios nichts auszusetzen als die mittelmäßige Stufe, die sie

{384} überhaupt einnehmen; aus dieser leistet der Componist gewissermaßen schon Vollkommenes, die Form wird ihm leicht, es fehlt ihm nicht an hübschen Melodieen, er schreibt dankbar für den Spieler; eine gewisse jugendliche Offenheit steht ihm ganz besonders an. Aber die Form ist auch bequem und gewöhnlich, den Melodieen fehlt es an mannigfaltigem Ausdruck, und vergebens würde man in beiden Werken nach eigenthümlicherem. höherem Aufflug, ja nur nach dem Willen dazu suchen. Mit einem Worte. der Componist scheint mit seinem Talent, mit dem, was er bis jetzt gelernt, zufrieden, und glaubt damit für sein Leben auszukommen, was wir mehr wünschen als glauben möchten. Doch fürchten wir auch nicht zu viel! Hat doch jedes Künstlerleben seine Ferienzeiten, wo es sich bequem schaukeln möchte aus der Gegenwart; die ihn dann zu neuer Arbeit ruft, die Stimme wird nicht ausbleiben. Der Deutsche hat so große Vorbilder hoher Männlichkeit; an diese blicke der Jünger zuweilen hinauf, wie an Bach, der alle seine vor dem dreißigsten Jahre geschriebenen Werke als für nicht existirend erklärte, an Beethoven, der noch in seinen letzten Jahren einen „Christus am Oelberg“ nicht verwinden konnte. Wird es euch, junge Künstler, da manchmal nicht bange, was nach etwa 50 Jahren ihr über eure Compositionen beschließen werdet? Aber freilich, was Könige wegwerfen, das verschlingen die Krämer noch gierig genug. Gewiß, ihr verbrennt keines eurer unsterblichen Werke, und so erfreut euch denn eures kurzen Lebens, aber scheltet die Zukunft auch nicht, wenn sie vergessen hat.

Ein Totalurtheil über die neuern Werke des Hrn. Fesca liegt in dem Vorigen eingeschlossen; im Detail mögen sie gewiß nach manches enthalten, was eines besonderen Lobes werth wäre, das uns wegen Mangels einer Partitur entgangen. In der Auffassung des ganzen Künstlercharakters glauben wir aber nicht fehlgeurtheilt zu haben, und so wollen wir uns und Andere in der Zukunft, die alles klar macht, wieder an diese Zeilen einmal erinnern.

W. Reuling, Großes Trio (Dmoll).  Werk 75.

Die Werkzahl läßt schließen, daß wir es hier mit einem geschickten Musiker zu thun haben. So scheint es auch nach der Clavierstimme und theilweisen Vergleichung der anderen Stimmen mit dieser, was uns den Mangel einer Partitur ersetzen mußte. Der Componist ist überdies einer der Capellmeister am Kärnthnerthortheater in Wien, der


{385} sich noch jüngst durch eine Oper* bekannt gemacht. Wir haben es mithin in keinem Fall mit einem Novizen zu thun. Irren wir nicht, so wurde ihm bei Aufführung seiner Oper zum Hauptvorwurf gemacht sein Schwanken zwischen deutscher und italiänischer Schule, so daß keine der Parteien, wie sie in Wien auf das Schroffste sich gegenüber stehen, sich mit dem Werke befriedigt erklärte. Hundert anderen Wiener Componisten ist schon das Nämliche mit dem nämlichen Erfolge gesagt worden; sie wollen das Eine und können das Andere nicht lassen, wollen Künstler sein und auch dem Plebs gefallen. Das hundertfältige Mißlingen solcher Bestrebungen, hat es ihnen noch nicht die Augen geöffnet, daß auf diefem Wege nichts zu erreichen ist. daß nur einer zum Ziele führt, der: nur seine Pflicht gegen sich als Künstler und die Kunst zu erfüllen?

Wir knüpfen diesen Vorwurf an dieses Trio, das, obgleich vielleicht im schwächeren Grade als jene Oper, eine ähnliche Tendenz, wie sie in jener Ansicht ausgesprochen, zu verfolgen scheint. Wie gesagt, wir glauben, daß das deutsche Künstlerelement in dem Componisten zur Zeit noch überwiege, aber der entschiedene Fortschritt beginnt erst mit dem entschiedenen Aufgeben alles dilettantischen Behagens, aller italiänischen Einflüsse. Haben wir Deutsche denn keine eigenthümliche Gesangweise etwa? Hat nicht die jüngste Zeit gelehrt, wie es in Deutschlllnd noch Geister und Meister gibt, die der Gründlichkeit die Leichtigkeit, der Bedeutung die Grazie beizugesellen wissen? Spohr, Mendelssohn und Andere, sie wüßten nicht auch zu singen, nicht auch für den Sänger zu schreiben? Dies ist’s, worauf wir die deutsch-italiänische Zwitterschule aufmerksam machen möchten, wie sie namentlich in Wien ihre Anhänger hat. Es geht nicht, die höchsten Spitzen italiänischer Kunst reichen noch nicht bis an die ersten Anfänge wahrhafter deutscher; man kann nicht mit dem einen Fuß auf einer Alpe und mit dem andern aus bequemem Wiesengrunde stehen. Daß in dem Componisten, von dem wir sprechen, ein edlerer Trieb vorwalte, zeigt schon die Gattung, für die er schrieb. Im Kammerstil, in den vier Wänden, mit wenigen Instrumenten zeigt sich der Musiker am ersten. In der Oper, auf der Bühne, wie Vieles wird da von der glänzenden Außenseite zugedeckt! Aber Auge gegen Auge, da sieht man die Fetzen alle, die die Blößen verbergen sollen. Freudig erkennen wir es denn an, daß uns auch aus der Kaiserstadt wieder einmal ein Werk kommt.

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      * Alfred der Große,


{386} das wenigstens einer gediegenen Kunstsorm zufällt, mit Bedauern sagen wir’s, aus derselben Stadt, der vordem geweihten, die „manch ein guter Geist betrat“, derselben, die uns gerade unsere Meistertrios, die Beethovenschen und Schubertschen brachte. Früher hieß der Wiener Hofcomponist W. A. Mozart, jetzt ist es Gaetano Donizetti geworden und mit einem Gehalte,* der seinem innern schwerlich entspricht. Das ist in wenig Worten die Geschichte Wiens von sonst und jetzt. Scheint denn leider in jener Residenz für einige Augenblicke der Italianismus gesiegt zu haben,** so wollen wir guten deutschen Philister, die noch auf Bach und Andere etwas halten, dennoch so lange wie möglich Stand halten und wenigstens in der Stube so viel gute Musik machen, als wir sie im Theater nicht zu hören bekommen. In diesem Sinne sei denn auch das Trio begrüßt, und klimme der Componist, wie jeder, der es kann, auf schöner Kunstleiter weiter, die zu vielleicht bescheideneren aber dauerhafteren Triumphen führt, während das morsche, mit Allerhand-Kränzen behangene Gerüst italiänischer Marktschreierei doch über kurz und lang einmal wieder zusammenstürzt.

H. Marschner, Großes Trio (G moll).  Werk 111.

Es ist dies Trio das erste größere Kammermusikstück von Marschner, das wir kennen lernen. Und wie es an einem älteren Künstler immer erfreut, wenn er sich in neuen Gattungen versucht, gleichsam zum Selbstgeständniß, daß er sich selbst noch nicht am Ziele glaube, daß er noch ein warmes Streben in sich bewahre, so waren auch wir über die Erscheinung erfreut, deren genauere Bekanntschaft unser günstiges Vorurtheil auch nichts weniger als abschwächte. Zwar wir sind nicht blind gegen die einzelnen Mangel auch dieses Werkes, gegen jene schwächeren Partieen der Composition namentlich in den zweiten Themas und in der sogenannten Verarbeitung, wo der Componist zu rasch verfahren, zu schnell mit dem zuerst Gesundenen sich begnügt; dagegen thut aber die Marschner immer eigenthümliche Frische wohl, die forteilende Bewegung des Ganzen, die sichere Hand, mit der er die einzelnen Sätze charakteristisch hinzustellen weiß. Man findet somit in dem Trio ungefähr denselben Künstler wieder, als man ihn aus seinen

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      * 4000 Gulden.
    ** Gestrichen: „wie in einer norddeutschen der Judaismus“


{387} großen dramatischen Arbeiten kennt. Das Einzelne, das Detail ist nicht immer das Vorzügliche; das Ganze aber ist es, die Totalwirkung, die den Mangel kunstreicher gediegener Detailarbeit wenn nicht vergessen, so doch übersehen läßt. Wenn wir unter Vorzügen der Detailarbeit jene Selbständigkeit und lebendige Fortbewegung der einzelnen Stimmen, jene bedeutungsvollere Behandlung auch der Uebergangsstellen (so z. B. wenn sich der Satz aus der Moll- in die Durtonart wendet), jene feineren Bezüge zwischen dem Hauptthema und der Verarbeitung der anderen Motiven meinen, wie wir es z. B. in Beethovenschen Compositionen, die Totalwirkung keineswegs beeinträchtigend, wiederfinden, so werden uns einsichtsvolle Leser verstehen. Bei Marschner dominirt meistens die Oberstimme; zu tieferen Combinationen zu gelangen, ist es als gönne er sich die Zeit nicht; es reißt ihn unwiderstehlich nur nach dem Ende, nach der Vollendung des Stückes hin. Aehnlich dem wirken auch seine Compositionen; man fühlt sich fortgerissen, geblendet; große Talentzüge blitzen uns überall entgegen; bei genauerer Untersuchung stellen sich aber auch die oberflächlicher behandelten Seiten der Composition heraus. In einem Bilde zu sprechen, er gibt uns die goldenen Früchte seines Talentes oft in irdenen Schalen. Seien wir denn vor Allem dankbar gegen jene, gegen die Lichtseiten des Trios, Wie gesagt, es bildet — bis auf das Adagio, das uns nicht zu gleicher Zeit mit den andern Sätzen entstanden zu sein scheint — ein lebendiges, wirkungsvolles Ganzes. Die Tonart ist im Anfangs- und Schlußsatz wie im Scherzo G moll, die des Adagios das in dieser Folge befremdende As dur. Jene Sätze haben sämmtlich einen wilden, leidenschaftlichen Charakter, während das Adagio den ganz entgegengesetzten der Mildheit und Ruhe trägt. Der Umstand, daß das Adagio im letzten Satze wieder zum Vorschein kommt, könnte unsere Vermuthung, daß es zu anderer, früherer oder späterer Zeit als die andern Sätze geschrieben sei, etwas schwankend machen. Doch weiß man, wie einem gewandten Componisten solche Rückblicke oft mit leichter Mühe auch nach Abschluß eines Satzes noch gelingen. Im Uebrigen geschieht jener Rückblick in sehr zarter Weise und thut gerade im unruhigen Treiben des letzten Satzes wohl. Das Adagio selbst hat eine reizende, Maischner ganz eigenhümliche Gesangweise; wir halten es für das Ursprünglichste im ganzen Trio. Das Violoncellsolo, das sie beantwortet, ergeht sich dagegen zu breit unserer Meinung nach und scheint uns auch in melodischem Bezug zu gewöhnlich, fast theatermäßig. Wo sich Marschner schon oft mit Glück


{388} bewegt, in der Sphäre des Spuk- und Märchenhaften, thut er es auch im Trio mit Wirkung, im ersten Satze weniger, im Scherzo und Finale aber mit offener Lust an seinen Gebilden; diese letzteren Sätze sind auch die humoristischsten. Einige leichte Anklänge an das Franz Schubertsche Trio in Es dur erwähnen wir flüchtig.

Das Trio wird sich, glauben wir, verbreiten; wir sind nicht überreich an geistvollen Werken der Art, und dies letztere Prädicat gebührt dem Trio in jedem Fall. In der Ausführung bietet es keine ungewohnlichen Schwierigkeiten, namentlich ist das Clavier wirksam behandelt.

Louis Spohr, Trio (E moll).  Werk 119.

Auch das Trio dieses verehrten Meisters ist, so viel wir wissen, seine erste derartige Composition. Dieselbe freudige Bemerkung, die wir schon beim Eingang der Anzeige des Marschnerschen Trios aussprachen, müßten wir also bei diesem wiederholen. Und das unterscheidet eben die Meister der deutschen Schule von italiänern und Franzosen, das hat sie groß gemacht und durchgebildet, daß sie sich in allen Formen und Gattungen versuchten, während die Meister jener andern Nationen sich meistens nur in einer Gattung hervorthaten. Wenn wir daher einige der beliebten Pariser Operncomponisten hier und da z. B. „große Künstler“ genannt finden, so möchten wir erst fragen: wo sind denn eure Symphonieen, eure Quartette, eure Psalmen etc. ? wie könnt ihr euch mit deutschen Meistern vergleichen wollen? So hat auch Spohr fast in allen musikalischen Formen gearbeitet vom Oratorium bis zum Lied, von der Symphonie bis zum Rondo für ein Instrument, und diese Vielseitigkeit ist nicht das Geringste, was ihn uns verehrungswürdig macht. Seine neue Gabe müssen wir denn als eine neue Blüthe seines reichen Geistes begrüßen, die im Kranze seiner Schöpfungen sich gar wohl mitblicken lassen darf. Zwar Duft und Farbe sind dieselben, die wir schon kennen. Aber es scheint eine unerschöpfliche Gemüthstiefe gerade in diesem Künstler zu liegen, daß er uns immer zu fesseln versteht, so sehr er sich auch gleichbleibt. Gewiß, Spohr könnte alles ohne seinen Namen herausgeben, man würde ihn auf den ersten Augenblick erkennen. Von keinem Künstler der Gegenwart ist das in demselben Maße zu behaupten. Auf etwas Anderes noch gründet sich aber das Interesse, das wir immer für seine Schöpfungen hegen müssen, nicht allein auf den Zauber

{389} seiner Eigenthümlichkeit sondem auf seine reiche Kunstbildung, aus die rein musikalischen Schönheiten im Gegensatz zu den charakteristischen seiner Individualität. Denn es kann uns aus einer Musik ein bedeutender Charakter entgegentreten und ihr doch viel zur Meisterhaftigkeit fehlen. Spohr gibt uns alles in meisterhafter Form und selbst Gekanntes in gewählter Gewandung. Er wird nicht müde, seinem Werke die größte Vollendung zu geben. Man sehe z. B., wie er das erste Thema des ersten Satzes seines Trios, so oft es wiederkommt, neu harmonisirt. Ein bequemer Künstler hätte es ohne Mühe einmal wie das anderemal gemacht. Von seinem gewissenhaften Fleiß, der sich mit dem vorrückenden Alter des Künstlers eher gesteigert als vermindert zu haben scheint, haben Manche gar keine Vorstellung; es rächt sich aber auch genug an ihren Werken. Doch was bemühen wir uns, Spohrs große Künstlertugenden auseinandersetzen zu wollen, worüber die Welt schon längst einig ist. Auch das Trio ziert seinen Meister; es ist aus einem Guß von Anfang bis Ende und nur das Adagio nach unserer Meinung etwas matter. Die andern Satze haben die eigenthümlichsten Vorzüge; der erste ist ein feines Gewebe, von sicherer Hand kunstreich ausgeführt. Das Scherzo gehört zu Spohrs vorzüglichsten, die er geschrieben; man verlangt es wieder und wieder zu hören. Der letzte Satz hat ein durch Spohr selbst etwas allgemein gewordenes Motiv, im Ganzen herrscht aber ein außerordentlicher Schwung, das Violoncell-Pizzicato nicht zu vergessen und die schön eingewebte Melodie aus dem Adagio. Welchen Charakter das Trio im Uebrigen athme, wir brauchen’s wohl nicht auszusprechen. Spohr im ersten, Spohr im zweiten Satz und überall. Paßt auf irgend Jemanden Schillers: „doch Schöneres kenn' ich nicht, so lang ich wähle“ etc., so ist es auf ihn. Mög' er noch lange unter uns wirken! {{Right|39.

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C. G. Reißiger:

Adele de Foix,' Große Oper in vier Acten von R. Blum: Vollständiger Clavierauszug.

Das Sujet behandelt eine Liebesgeschichte Franz des Ersten von Frankreich, der sich, im Grunde auf wenig königliche Weise, in Besitz


{390} von Adele de Foix, der jungen Frau eines bejahrten Edelmanns, des Grafen Chateaubriand, zu bringen versucht. Die Handlung des Königs wird noch dadurch unschöner, daß der besagte Edelmann ihm früher einmal das Leben gerettet. Zum Schluß ersticht Chateaubriand seine untreue Frau und auch sich; der König zieht frei ab, seinem Volke Reue und Besserung angelobend. So endigt das Abenteuer wenig erbaulich, wie Jemand sagte: als Scherz zu ernsthaft, als Ernst zu scherzhaft. Daß dies auf die Composition zurückwirken mußte, war natürlich. Solche verruchte Liebeleien allenfalls zu beschönigen, verstehen nur die Franzosen. Der Deutsche ist dazu viel zu ehrlich und zu moralisch. Aber was überwindet eben ein deutscher Componist nicht alles, hat er nur einen leidlich componiblen Text, von dem er sich auch einige Wirkung auf das Publicum verspricht. Wir wünschen nicht, daß sich Herr Reißiger getäuscht haben möge: aber der Text wird schwerlich bei uns Anklang finden. Was die Musik betrifft, so darf Jeder, der den Componisten bereits kennt, davon im Voraus viel Gutes erwarten. Als gewandter Instrumentator hat er sich längst bekannt gemacht; an der Spitze eines vorzüglichen Orchesters stehend, hatte er mehr als mancher Andere Gelegenheit zur Beobachtung und Combination. Das Element, in dem er sich zeither am liebsten bewegte, war das Lied und am glücklichsten im heiter lyrischen. Viel Gelungenes in dieser Art verdanken wir ihm. Auch als Kirchencomponist hat sich Reißiger mit Glück gezeigt; seine derartigen Compositionen athmen einen freundlichen frommen Sinn, der seines Eindruckes gewiß sein kann. Weniger glücklich war er bis jetzt als dramatischer Componist; wir finden den Grund davon im durchaus Vorwiegenden seiner lyrischen Natur, wie es auch anderwärts schon mehrfach ausgesprochen. Daß er dennoch nicht von der Oper läßt, daß er wieder mit einer sogenannten großen vortritt, wollen wir als ein Zeichen inneren Muthes begrüßen, der überall mehr zuwege bringt als träges Stehenbleiben auf einem Fleck. Adele de Foix wurde gegeben, mit Beifall, auch nicht ohne einzelnen Widerspruch. Wir sind so arm an einer deutschen Oper; man sollte nicht gleich über alle, die nicht aus das erstemal wie etwa der Freischütz wirken, so boshaft herfallen oder sie gar ignoriren. Verschweigen wir aber auch deshalb den Tadel nicht.

Die deutschen Componisten scheitern meistens an der Absicht, dem Publicum gefallen zu wollen. Gebe aber nur einmal einer etwas Eigenes, Einfaches, Tiefinnerliches ganz aus sich heraus, und er soll sehen, ob er nicht mehr erlangt. Wer dem Publicum immer mit

{391} ausgebreiteten Armen entgegenkommt, den gewöhnt es sich endlich über die Achsel anzusehen. Beethoven ging mit gesenktem Kopf und untergeschlagenen Armen einher, da wich der Plebs scheu auseinander, und nach und nach wurde ihm auch seine ungewöhnliche Sprache vertrauter.

An obiger Klippe, fürchten wir, ist auch Reißiger theilweise gescheitert. Der ungeheure Succeß des „Freischütz“, scheint es, hat die deutschen Componisten zu Anforderungen an Beifallsbezeugungen verleitet, die nun einmal nicht durch Absicht herausgefordert werden können. Muß denn alles gleich Furore machen sollen? Gehören denn zu allem Posaunen und Pickelflöten? Sie schimpfen auf die italiänischen Componisten und scheuen sich doch nicht, oft mit denselben Mitteln zu wirken; man kennt den Unsinn und begeht ihn doch. Wo soll denn da die Achtung des Publicums herkommen, das auch seine Meriten hat und oft heller sieht, als man glauben sollte! Noch einmal: gebt nur einmal eine recht originelle, einfach tiefe, deutsche Oper, schreibt, als gäb' es kein Publicum, aber zeigt den echten Künstler, die echte Bildung, und wir wollen sehen, ob ihr euch dabei nicht besser steht. Vielmal ist das schon gesagt worden, aber nie war es nöthiger als jetzt, wo der Glaube des Publicums an deutsche Operncomponisten immer tiefer und tiefer zu sinken anfängt. Schon sehen wir italiänische Truppen sich mehrerer deutschen Bühnen bemächtigen, französische könnten leicht nachfolgen. Also Acht gegeben, daß man euch nicht euren eignen Boden unter den Füßen wegzieht!

Gewiß, wir finden z. B. in Reißigers neuster Oper Stücke, die in neu-italiänischen oder französischen wie echte Edelsteine unter böhmischen sich ausnehmen würden. Aber mit einzelnen Nummern ist noch nichts gethan; wir wollen Stil im Ganzen, eine durchgehends edle Auffassung, ein immer frisch schlagendes Künstlerherz. Daß uns solchen Genuß die Reißigersche Oper durchgängig bietet, können wir leider nicht behaupten. gibt er uns viel Würdiges, so huldigt er auch dem Tagesgeschmack; wir vermissen eben im Allgemeinen Charakter und Einheit des Stils. Bemerkenswerth ist auch, wie Reißiger, der z. B. in vielen seiner Lieder ein eigenthümliches Talent gezeigt, in seinen dramatischen Arbeiten weit weniger originell dasteht, ja so starke Anklänge an bekannte deutsche und italiänische Meister bringt, daß es auch der Laie merken muß. So finden sich bedeutende Reminiscenzen aus Weber, Spohr, auch Marschner, häufig auch aus Rossini und Bellini, die einzeln auszuzeichnen zu viel Raum wegnehmen würde, die aber gewiß Niemandem entgehen können. Einen andern Vorwurf


{393} könnten wir noch erheben gegen die unseres Bedünkens durchweg zu massenhafte Instrumentation. Wo soll der Componist die Mittel zur Steigerung herbekommen, wenn er an minder bedeutende Stellen schon alle Kräfte verschwendet, die ihm dann am rechten Orte fehlen? Andererseits ist freilich Reißigers große Virtuosität der Instrumentation sehr auszuzeichnen, und wir müssen sie wohlklingend und glänzend nennen, wo er die Orchestermassen nicht zu sehr aufeinander häuft. Abgesehen aber von diesem zweifachen Vorwurf öfterer Reminiscenzen und öfterer überladener Instrumentirung, finden wir in der Oper so viele Vorzüge, zu denen wir uns jetzt mit Vergnügen wenden.

Es herrscht in der Oper ein ausgezeichneter musikalischer Fluß, wie er eben nur dem Künstler vom Fach eigen ist. Sehr anzuerkennen ist auch die Reinheit der Harmonie; wenige grelle Accordfolgen in einigen leidenschaftlichen Momenten ausgenommen. Sodann müssen wir im Ganzen Wahrheit des Ausdrucks in Uebereinstimmung der Worte zur Musik zugestehen,* von der wir in der neu-italiänischen Opernmusik kaum die Spur antreffen. Endlich durchzieht die ganze Oper ein natürlich freundlicher Sinn, der wohlthut aus der Bühne, die uns so sehr an Mord und Todtschlag gewöhnt. Vornehme Kunstthuerei, namentlich contrapunctische, will sich nirgends geltend machen; sie wär' auch am übeln Ort angebracht. Musikalisch am charakteristischsten gehalten finden wir, außer dem König und Adele de Foix, den Grafen Chateaubriand, wenn auch das Interesse für ihn allein dem Mitleid eines hintergangenen Ehemannes gilt, der überdies schon über die Jugendjahre hinaus. Bonnivet, der Teufel im Stück, zeigt sich vielleicht zu sanft, nicht teuflisch genug. Dem Pagen fehlt es etwas an Grazie, dem Narren nicht minder an schlagender Komik. Der letztere wird von dem bekannten Marschnerschen im Templer bei Weitem überholt.

Die Chöre greifen oft wirksam ein; Popularität dürfen wir indessen keinem versprechen.

Besonders auszuzeichnen ist die Balletmusik; hier zeigt sich Reißigers

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       * Zwei Stellen nur nicht richtiger Auffassung wollen wir hier auführen, in der Arie des Grafen S. 83 bei den Worten: „Da erfaßte meine Seele, die bewegt war, bang und wild, dein geliebtes Bild“, wo der Componist nur das bang und wild in der Musik schildert, den Nachsatz aber übersah; dann S. 96, wo beim Eintreten des Königs Adele sagt: „nun bin ich frei, der Konig rettet mich“, die der Componist con tutta la forza singen läßt, während sie unserer Meinung nach ganz leise für sich gesprochen werden müßten.  [Sch.]


{393} ganzes liebenswürdiges Talent. Namentlich hebt sich Lipinskis Solo mit dem später dazukommenden Hoboetriller hervor.

Die Declamation finden wir im Ganzen lobenswerth und richtig; einige Verstöße wären mit leichter Mühe abzuändern. Einen Hauptmoment finden wir zu leicht behandelt, den im letzten Act, wo Chateaubriand zum König sagt: „die Schuld, sie ist dein“. Hier, wo die Scheidewand zwischen Fürst und Unterthan zum erstenmal und auf ewig fällt, wo der Gemißhandelte die Größe des Unglücks dem Verführer recht ordentlich vor Augen stellen will, hier wirkt der recitativische Vortrag zu wenig. Der Componist hat sich diesen bedeutenden Moment entgehen lassen.

Der, beiläufig gesagt, sehr sorgfältige Clavierauszug zeigt einige Abweichungen von der Aufführung in Dresden; namentlich ist, was in jenem dritter und vierter Act ist, in einen einzigen, und gewiß zum Vortheil der Wirkung zusammengezogen worden.

Höchst undankbar finden wir den Schluß; das Ganze stiebt so unglücklich auseinander, daß der Zuhörer nur mitleidsvoll den Kopf schütteln kann wie über eine Begebenheit, die freilich nicht anders enden konnte.

Wir scheiden von ihm, nicht ohne Tadel des einzelnen Mißlungenen, mit aller Achtung aber vor dem Fleiß, dem Talent und den Kenntnissen, die der Componist wiederum gezeigt, und in der Hoffnung, daß er sie bald wieder auf gleichem Terrain bethätigen möge.

     D.

{{Right|G.

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* Die Verschwörung der Heller.63

Romanze in Prosa.

Von Florestan.

Das Volk der Moneten ist ein weithin bekanntes. Ihre Bedeutung in der modernen Welt, die merkwürdigen Schicksale einzelner Stämme, die kaum zu verfolgenden Irrfahrten der Einzelnen, ihre geheimnißvollen Wanderungen von Palästen zu Hütten, über Land und See — wer über alles dies nachgedacht, wird zugeben müssen, es verlohne sich des Studiums der Geschichte dieses Volkes, seines Charakters und vor Allem seiner Sprache. Von den tausend abenteuerlichen

{394} Geschichten, die ich von ihnen weiß, erzähle ich heute eine nur: Die Verschwörung der Heller gegen die Goldstücke.

Es war einmal ein Heller, dem war’s nicht recht, daß er kein Goldstück war. In dem immens bevölkerten Staat, dem er angehörte, war sein Zeichen 0,1. Wir wollen ihn der Kürze halber auch so nennen. 0,1 war wie gesagt ein geborner Heller. Schon von früher Jugend war es sein höchster Wunsch, nur einmal in die Nähe eines Fürsten zu kommen. Einmal schon ganz nahe daran, erkannte ihn der Fürst und warf ihn unwillig wieder einem Armen in den Hut. Von da an bemächtigte sich des 0,1 ein ungemeiner Haß gegen alles, was mehr war denn er. Hätte übrigens der Fürst das seltsame Gepräge unsers Helden genauer betrachtet, wer weiß, ob er nicht das scurrile Monstrum in sein Münzcabinet aufgenommen. Die Vorderseite von 0,1 zeigte nämlich einen Doppelkopf, von dem der eine genau einem Don Qnixote, der andere einem Stück Bösewicht ähnlich sah. Auf dem Revers stand aber mit großen Buchstaben: Omnia ad majorem Dei Gloriam. Die letzte Inschrift auf dem kleinen Ding nahm sich aus ungefähr wie jener Riesen-Orden, den einmal ein launiger König seinem eitlen Narren zur Strafe umgehangen, und den er an einem großen über dem ganzen Corpus weggehenden Bande nun sein Lebelang hinter sich herzuziehen hatte.

Das bisherige Leben von 0, 1 war bis hierher im Ganzen ein einsames, contemplatives. Niemand wußte von ihm. Später war er durch Zufall in einen Klingelbeutel und von da in die Tasche eines Geistlichen gekommen, mit dem er sogar einmal die Kanzel betreten.* Es war doch etwas. Denn eine ungemessene Eitelkeit, ein unbezwingliches Verlangen, in die Kreise Größerer und Mächtiger zu gelangen, waren, wie gesagt, hervorstechende Charaktereigenschaften unsers Helden.

Ein Zwischenfall stachelte seinen Muth nur noch mehr in die Höhe. Eine schöne Dukatin hatte sich in den Schatz des Diakons verirrt; ihre wunderschöne helle goldene Stimme machte das größte Aufsehen, und oft in Nächten erklang sie durch die Stille der Pfarrwohnung und entzückte alle Moneten, die da ausgehäuft lagen. Heller sah, hörte, verliebte sich in sie, und er warf sich nun eifrig auf die Musik aus doppelten Gründen, einmal weil sie gerade Mode in der Nation war, die von jeher ein großes Klangtalent hatte, dann auch, weil er so der schönen Dukatin näher zu rücken, ihr sogar durch

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     * Schilling hatte anfänglich Theologie studirt.


{395} öffentliche Lobeserhebungen nützen zu können glaubte; denn etwas mußte er doch jedenfalls von der Höhe und Tiefe der Töne verstehen, um sich darüber auslassen zu können.

Nirgend aber wüthet das Schicksal wohl grimmiger als in der Münzenwelt; kaum daß sich ein paar Individuen flüchtig kennen gelernt, reißt eine unerbittliche Hand die Befreundeten auseinander. Der Glücklichen, die sehr lange mit einander verkehren, bei einander ruhen dürften, gibt es nicht zu viele. So ward auch 0,1 von der schönen Sängerin bald getrennt und kam in die Privatkasse eines schwäbischen Bürgersmannes. Aber das Bild der Sängerin wich nicht aus seinem Kopfe; er entwarf allerhand Pläne, sich bei ihr wieder in Erinnerung zu bringen, und kam endlich auf den kühnsten, auf ein Buch, auf ein „Universal-Central-Lexikon aller denkwürdigen Münzen, ihrer Course, ihrer Schicksale etc. etc.“ — Kupfer versteht zu rasseln, und 0,1 ließ es in Gesellschaft einiger Anderer nicht daran fehlen, sein Unternehmen in der Welt bekannt zu machen, für das er auch einige gehenkelte Thalerstücke und Schaumünzen zu interessiren verstand. Das Buch schwoll mit der Zeit zu einem riesigen an, und das allgemeine Urtheil lief dahinaus, es vereinige so viel Gutes und Schlechtes, vermische Dummes und Wahres in so lächerlicher Weise, wüßte so wenig über den gegenwärtigen Zustand des Miinzenwesens, daß nur unsere Nachkommen zu bedauern wären, die solchen Büchern etwa Glauben schenkten. Namentlich zeichneten sich 0,1’ eigne Artikel aus durch eine gelehrte dunkle Gespreiztheit, die an Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hohenheim erinnerte, der man es ansah, der Verfasser suche Gegenstände zu erforschen, die er nie vor Augen gehabt. Auch unparteiisch war der Foliant nicht sonderlich (und wie könnt' er das); so war z. B. ein Freund des Heller, auch ein Heller, unmäßig gelobt, während der und jene seltene Carls- und Augustd’or aus dem und jenem Jahre gar nicht genannt war etc.etc.. Was aber den schlimmsten Schatten auf 0,1 warf, war, daß er im Arbeitsfeuer ganze fremde Aufsätze für seine eignen angesehen, mit andern Worten, daß er wie ein Rabe tapfer zusammen gestohlen, überall her, auch Schlechtes und Mittelmäßiges nicht verschont, um so leichter der Entdeckung zu entgehen.

Die Sache endigte nicht gut; der Verleger des Lexikons schrieb gegen seinen eignen Redacteur, die ins Unternehmen gelockten einzelnen Schau- und gehenkelten Thalerstücke zogen sich einzeln zurück; es gab Zank über Zank. Die Sensation, die das Buch auf die Gebildeten und Mächtigen des Adels hervorbringen sollte, war auch nicht die


{396} gehoffte. Im Gegentheil, man sagte sich offen: Einem Heller steht kein Urtheil über den Louisd’or zu.

Dies brachte den 0,1 immer mehr gegen die Goldstücke auf, und schon da stiegen in ihm allerhand Pläne auf, wie sie am besten aus der Welt zu schaffen seien. Auch Pläne andrer Art in Menge fuh- ren ihm durch den Kopf; er schrieb Bücher über Bücher, machte aus dem Lexikonfolianten einen Oktavband, aus diesem eine Taschenausgabe, er machte Operntexte, er erläuterte Bibelstellen. er wäre gern Theaterintendant geworden, er wollte eine Musikhandlung errichten. Von allen diesen gewann endlich der die Oberhand, einen „Verein gegen das Betteln“ zu gründen; denn so glaubte er am ersten aus der niedrigen Sphäre zu kommen, in der er nun einmal festsaß. Der Verein war bald constituirt; Ehrenmitglieder wurden ernannt (correspondirende verstanden sich ohnehin); es wurde ihnen erklärlich gemacht, wie nur durch solche Maßregeln ein allgemeiner Wohlstand befördert, der Stolz und Reichthum einiger Hochmüthigen gebrochen würde. Die Ehrenmitglieder selbst wurden es nur unter der Bedingung, daß sie auf eine herauszugebende „Zeitung“ abonniren mußten. Ein mitleidiger Großer ließ sich auf „submissestes“ Ansuchen des Hellers sogar herab, selbigen vergülden zu lassen und ihm den Titel eines „gefürsteten Hellers“ beizulegen;* kurz, Nulleins jubelte.

Freuden und Leiden wechselten jetzt in dem Leben unsers Helden, nur dahin konnte er es trotz der Vergüldung und des Titels nicht bringen, daß ihn die Goldstücke für ihres Gleichen genommen hätten. Hätte ihn ein einziger einmal „Bruder Louisd’or“ angeredet, er wäre der Glücklichste gewesen; ja eine blose Verkennung konnt' es ihn schon machen.

Je klarer bald der eigentliche Zweck des Gründers des „Bettelvereins“ wurde, — je mehr man sah, wie es dem Heller in der Reibung mit edlerem Metall nur um seinen eignen Glanz, wie es ihm nur um Ehrenmitglieder, d. h. Abonnenten seiner Zeitung zu thun war (am liebsten hätte er gleich die ganze Welt zum Ehrenmitglied gemacht), — je mehr zerfiel der Verein in sich selbst, und der gefürstete Heller befand sich bald wieder unter seines Gleichen, und namentlich verschmolz er in Freundschaft mit einem plumpen groben Dreierstück, welchem Bunde sich später, wenn auch nur im Geheimen, ein außer

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      * Schilling erhielt 1839 vom Fürsten von Hohenzollern-Hechingen den Titel Hofrath.


{397} Cours gesetzter Gulden anschloß. Denn nirgends in der Welt gilt der Spruch „Gleich und gleich gesellt sich gern“ mehr als in der Münzenwelt. Oder ihr hättet nie die Unruhe eines Louisd’ors bemerkt, wenn er sich zufällig in niedriger Gesellschaft befindet, wie er sich bald davon macht und nicht ruht, bis er wieder unter seines Gleichen und in die prächtige Umgebung gekommen, die ihm von Haus aus gebührt? Zwar er kann auch oft Glück stiften in der ärmlichen Hütte des Bauern; viel öfter aber Unglück. Kurz „Gleich und Gleich gesellt sich gern“.

Wir müssen uns das Gepräge der andern Bundesgenossen unsers 0,1 etwas genauer betrachten. Auf der Vorderseite des erstern befand sich ein ungeheurer Goliathskopf, dessen Ausdruck sich zwischen Dummheit und Auswendig-gelernt-haben schalkhaft hin und her wiegte; auf der Kehrseite standen die Worte: „Ich bin mir selbst der Höchste“. Der andre zeigte ein ganz entgegengesetztes Gesicht, einen schlau-schmunzelnden Jesuiten auf der Vorderseite, auf der hintern einen von einem starken Winde bewegten Mantel mit dem bekannten: I. H. S. V.*

Wir kommen jetzt dem eigentlichen Zeitpuncte der Verschwörung immer näher. Auf den vielen Kreuz- und Querzügen, die 0,1 und der Dreier im Lande herum machten, begegneten sie sich denn einmal in einer Weinstube, Sie waren außer sich vor Freude; denn sie hatten früher sich noch nicht persönlich gesehen und kannten sich nur aus ihren Schriften. Dreier war nämlich ein leidenschaftlicher Anhänger des alten Münzwesens, namentlich des niederländischen; ihm war nichts recht an der Neuzeit; am liebsten hielt er sich bei recht verrußten, kaum noch kennbaren alten Münzen auf, und hatte über eine erst jetzt entdeckte sogar ein Schriftchen edirt. Die neuen Freunde verschlangen sich einander beinahe vor Achtungsbezeugungen, obgleich im Grunde Keiner von dem Andern viel hielt, beide nur in ihrem Hasse gegen das übermüthige Gold zusammentrafen. Sie waren so glücklich, die ganze Nacht neben einander liegen zu dürfen, wo sich dann ungefähr folgendes Gespräch entspann:

Der Heller: Bruder, das hochmüthige Wesen einiger Goldstücke fängt an mir nach und nach fürchterlich zu werden.

Bruder, auch mir, entgegnete der Dreier.

0,1: Hab' ich nicht alles gethan, unsern Stand zu Ehren zu bringen? Hab' ich nicht hundert schlaflose Nächte zugebracht? Ist mein

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   * In hoc signo vinces.


{398} „Universal-Central-Lexikon“ nicht vom Tajo bis zur Newa bekannt? Und was Hab' ich davon? Ueberall Verkennung, nichts als —. Hier weinte der gefürstete Heller einige bittre Thränen; aber sich schnell in die Höhe richtend, setzte er hinzu: Bruder, es muß sehr anders werden.

Der Andere sann lange nach', in diesem Goliathkopfe erschienen Gedanken nur wie Zugvögel, alle Jahre zweimal höchstens. Am liebsten aber träumte er von vergangenen Zeiten und donnerte nur zuweilen wie aus dem Schlafe fahrend einen Fluch auf die Jetztwelt.

Der Heller fuhr leiser fort, da ihm Jener nicht antwortete: „Bruder — eine Verschwörung — ― “. Er flüsterte immer leiser; ich hörte nur noch die letzten Worte: „— und dann, wenn wir oben auf dem Throne sitzen, dann soll dies verhaßte Gold unsre Füße blank scheuern, und wir wollen uns erlaben an seiner Erniedrigung, und du wirst mein erster Sovereign.“

Aber, entgegnete vergnügt der Andre, einen Degen und Perücke beding' ich mir aus, wie bei meinen geliebten niederländischen hohen Ahnen. Und dann noch, Freund: wollten wir nicht den Ex-Jesuiten mit in das Complot ziehen — ― ?

Er setzte dies dem Heller genauer auseinander. Jener gab nur ungern nach, „denn der Schlaukopf könne ihnen leicht über ihre eigenen wachsen“. Endlich aber schlug er, schlugen beide ein. Der Plan des Angriffs gegen das Gold wurde noch erwogen. Stunde und Ort bestimmt. Man schied in der freundschaftlichsten Aufregung.

Der gefürstete Heller machte jetzt die letzten und höchsten Anstrengungen und bot alles Kupfer, dessen er im Lande ansichtig wurde, zum Kampf gegen das Gold auf. Die Verschwörung sollte in ***, als dem verhaßtesten Orte, wo das meiste Gold versammelt war, ausbrechen; man wollte es da in Masse angreifen, hoffte es durch die Last des Kupfers ganz zu zerdrücken, in jedem Falle gehörig zu entstellen.

Eines Abends — so erzählte mir ein gütiger, sehr reicher Mann als ich mich kaum schlafen gelegt, höre ich in meinem Cabinet. wo meine wenigen Kostbarkeiten beieinander liegen, ein sonderbares grobes Gepoltere, und zwischen hindurch fröhliche Klänge wie von Goldstücken. Ich leuchte in die Stube und habe da einen komischen Anblick.

Ein Haufen meistens alter außer Cours gesetzter Kupfermünzen wälzt sich schreiend und schimpfend nach einem Kranz offen daliegender schöner Goldstücke zu, zwischen denen auch einige Perlen und


{399} Edelsteine lagen. Mir war es zunächst um die letzteren zu thun, die sich weniger vertheidigen, leicht beschädigt werden konnten. Mit Gold hat es schon weniger Gefahr. Offenbar war es die Absicht des groben Kupfers, meine Lieblinge anzugreifen, die lachend dem Heerzuge entgegensahen. Endlich wird mir das Lärmen und Toben zu toll; ich werfe das Kupfer in seine Kiste und setze es in die eine Schale meiner Geldwage und das Gold in die andere.

Lumpenpack, seht, was ihr seid!

Da zog das wenige Gold das Kupfer lachend und deckenhoch in die Höhe, daß Wage und Kiste polternd herunterfielen und das erschrockene Kupfer sich unter Tisch und Stühle zitternd verkroch. Es war ein lustiger Anblick.

Was weiter aus den Haupträdelsführern geworden, weiß ich nicht. Der Ex-Gulden soll, Pläne brütend, in einem Jesuitenkloster festsitzen; den vergüldeten Heller will man in einem Kaufladen als Rarität mittendurch festgenagelt gesehen haben, wie man es mit falschem Gelde macht: der Dreier aber soll sich unweit Berlin in der Sandwüste dort verloren haben.

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Dr. C. Loewe:

Johann Huß,

Oratorium von Prof. Dr. A. Jeune: Clavierauszug. Werk 82.

Wir freuen uns der Thätigkeit des geistvollen Mannes, von der uns obiges Werk wieder Zengniß gibt. Sein neues Oratorium reiht sich in seiner Tendenz den früheren derartigen Compositionen Loewes an; es ist, schon vom Dichter, nicht für die Kirche gedacht und hält sich, für den Concertsaal passend oder auch bei musikfestlicher Gelegenheit wohl anzubringen, zwischen Oper und Oratorium. Wir haben noch kein gutes Wort für diese Mittelgattung; bei geistlicher Oper denkt man an etwas Anderes, und dramatisches Oratorium trifft den Sinn auch nicht. Von mancher Seite ist sogar gegen die ganze Kunstgattung angestritten worden. Sollen der Musik aber Charaktere, eben wie Huß, Gutenberg, wie Luther, Winkelried und andere Glaubens- und Freiheitshelden, gänzlich entzogen bleiben, weil sie weder ganz für die Oper noch ganz für die Kirche passen? Mir scheint, Loewc hat ein Verdienst um die Gattung, die wenn auch noch kein

{400} Epochen-Werk geliefert hat, doch auch noch nicht zu Ende gedacht ist. Das rein biblische Oratorium kann darunter nicht im Geringsten leiden und wird auch immer seine Componisten finden. Aber wir wollen uns freuen, daß die Geschichte noch allerhand große Gestalten aufzuweisen hat, die sich die Musik nur anzueignen braucht, um nach einer neuen Seite hin zu wirken und sich auszusprechen. Von diesem Gedanken scheint auch Loewe auf das Innigste durchdrungen zu sein, da er nicht abläßt, den früher betretenen Weg zu verfolgen. Und hat er darauf noch keine glänzenden Triumphe errungen, so schrecke ihn das nicht ab; es braucht nicht alles in der Welt gleich Furore zu machen und darf doch eines ehrenden Andenkens in der Kunstgeschichte gewiß sein. Das Verdienst, einen neuen Weg mit angebahnt zu haben muß Loewe zugesprochen werden.

Hätte er’s doch in der ersten Blüthe seiner Manneskraft gethan. oder in der Zeit, der wir seine frischen kräftigen Balladen verdanken! Aber freilich, der Bildungsgang eines Künstlers läßt sich wohl hinterher erklären, vorher aber schwer lenken und vorausbestimmen. Zu stark wirken auch Leben und Verhältnisse oft ein. Aus dem Operncomponisten Händel wird ein Oratoriencomponist; Haydn, der Instrumentalist, gibt uns im Greisenalter seine „Schöpfung“, Mozart mitten in seinen Operntriumphen sein „Requiem“. Mögen solche Erscheinungen auch im tieferen inneren Wesen der Künstler begründet sein, — Leben, Umgebung, Verhältnisse bringen sie oft erst zur Reife.

Loewe, um mich eines Bildes zu bedienen, ist frühzeitig auf ein einsames Eiland geworfen worden. Was draußen in der Welt vorgeht, kommt nur erzählungsweise zu seiner Kunde, wie umgekehrt die Welt nur selten von ihm hört. Zwar Loewe ist der König dieses Eilandes und baut es an und verschönert es, denn die Natur hat ihn mit dichterischen Kräften ausgerüstet. Größeren Einfluß aber auf den Gang der Weltbegebenheiten ausüben kann er nicht und will es vielleicht auch nicht.

So gehört denn Loewe beinahe zu den Verschollenen schon, trotz seiner regen fortgesetzten Productivität. Man singt wohl seine alten Balladen noch, und sein „Was ziehet und klinget die Straße herauf“ ertönt noch aus der Kehle manches alten Burschen; aber seine späteren größeren Arbeiten sind kaum dem Namen nach bekannt geworden. Ungerechterweise, aber auch natürlicherweise. Und hier muß ich etwas aussprechen, was ich nur ungern thue, und möchte es mit dem Goetheschen Wort einleiten: „Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach, der ist


{401} bald allein“. Zu lang anhaltende Abgeschiedenheit von der Welt schadet dem Künstler zuletzt, er fängt da oft an, sich in gewisse Formen und Manieren einzugewöhnen, bis er sich plötzlich bis zum Sonderling, zum Träumer festgefahren. So weit mag er sich noch ganz wohl befinden. Aber donnert ihm nun einmal eine öffentliche Stimme ein „Hab' Acht, Freund“ entgegen, so verfällt er in Grübeln, in Zweifeln an sich, und der Pedanterie gefeilt sich gar noch der Unmith, die Hypochondrie zu, dieser schädlichste Feind des Schaffens.

Wir sind weit entfernt, obiges in seinem ganzen Umfange auf Loewe anzuwenden; aber es ist Gefahr für ihn da. Wie sein „Huß“ unzweifelhaft eine Menge Stellen aufzuweisen hat, die den noch frischen elastischen Geist ihres Schöpfers bezeugen, so doch andere wieder, an denen wir die schädlichen Einflüsse einer isolirten oder sich selbst isolirenden Stellung wahrnehmen zu können glauben. Es gibt eine Pedanterie der Einfachheit, die sich zur künstlerischen echten Naivetät verhält wir Manier zur Originalität. Dem Laien sagt jene gar oft auch zu; der Künstler aber will auch immer musikalisch interessirt sein, und diesen letzteren Ansprüchen genügt der „Huß“ eben nicht immer. Vielleicht empfindet das der Componist selbst manchmal, denn er verfällt stellenweise in das andre Extrem und gibt z. B. im dritten Theile seines Werkes auf einmal eine höchst künstliche canonische Messe. Aber daß er zwischen allzu großer Einfachheit und Künstlichkeit die Mittellinie treffe, den eigentlichen Kunststil, dies wünschten wir, daß es ihm gelänge. Freilich, das Letzte ist das Schwierigste und, großes Talent vorausgesetzt, das Ergebniß vieler Studien, Erfahrungen an sich und Anderen. Möchte unserm Tondichter sein Genius hold sein und ihn diesen Weg geleiten; aber auch jener wird cs nicht allein vermögen, sondern unausgesetzter Fleiß, strenges Ueberwachen der Kräfte, eiserner Wille bis in die ältesten Jahre hinauf.

Wir gehen zur Begründung einzelner oben ausgesprochener Ansichten etwas näher auf das Oratorium ein und müssen zuerst dem Dichter, gewiß auch im Sinne des Componisten, einen Dank spenden für seinen Text. Es ist einer, der auch ohne Musik sich des Lesens lohnte, seines Gedankengehaltes, der edlen echt deutschen Sprache, der natürlichen Anordnung des Ganzen halber. Wer an Einzelnem mäkelt, an einzelnen Worten Anstoß findet, der mag sich seine Texte bei den Göttern holen. Wir würden die Componisten glücklich schätzen, die immer solche Texte zu componiren hätten.

Die Geschichte der Handlung können wir als bekannt voraussehen;


{402} Charakter und Haltung der Nebenpersonen wird aus dem Folgenden ersichtlich werden.

Das Oratorium beginnt mit einer Einleitung, die, musikalisch nicht außergewöhnlich interessant, doch den Prolog passend einleitet. Ein Prolog folgt, der Zeit und Bedeutung der Handlung in kurzen Worten feststellt. Der Componist läßt diesen zwar einsach, doch originell vom Chor allein vortragen. Im Nachspiel zu diesem Chor treffen wir schon auf eine Stelle, wie sich ähnliche im ganzen Oratorium und zu oft wiederholen; es sind sogenannte Sequenzen. Wir sprechen uns gleich hier darüber und dagegen aus, weil sie im Verlauf einzeln anzuführen zu vielen Platz rauben würde. Durch den folgenden kleinen Satz in A dur wird einem späteren Chor vorgegriffen. Wie er schon hier erscheint, hat er keinen rechten Sinn, auch keine Wirkung.

Nr. 1 ist ein Chor der Schüler und Studenten von Prag, die sich ihrer Studien freuen. Die Nummer ist leicht und charakteristisch, in der Form aber fast dilettantisch einfach. Es fehlt ihm, um künstlerisch zu heißen, Detail und feinere Gestaltung, auch eine Härte findet sich:

  1. Notenbeispiel.

In Nr. 2 tritt Hieronymus, ein Freund des Huß, auf und meldet, daß letzterer vor das Costnitzer Concilium geladen ist. Daß Loewe das Recitativ ausgezeichnet behandelt, ist aus seinen früheren Arbeiten bekannt. Dies Lob gilt für alle Recitative des Oratoriums.

Der daraus folgende Chor: „Huß, zieh' nicht fort“ hat ein lebendiges Thema. Die Behandlung des Ganzen dünkt uns aber oberflächlich.

Nr. 3. Huß tritt auf und gibt Erklärungen. Hieronymus warnt ihn:

Zu stark, o Huß, hast du die Klerisei Ob ihrer Ueppigkeit und Tyrannei, Ob schnöden Ablaßkrames angeklagt, Sie wird dir’s nimmermehr vergeben etc.


{403}

Die Arie (Baß) ist ausgezeichnet; nur gegen Stellen wie:

  1. Notenbeispiel

möchten wir uns stemmen; sie erinnern zu sehr an die Graunsche Zopfzeit. Den Schluß führen wir noch an, da dies Steigen der Stimme in die Tiefe zum Schluß der Nummern eine Lieblingsmanier des Componisten scheint,* die wir wenigstens nicht zu oft anzutreffen wünschten.

Nr. 4 bringt den schönen Choral; „Was mein Gott will, das g’scheh' allzeit“. Es ist fein und so zu sagen aus dem Leben gegriffen, daß Huß die erste Periode allein anstimmt. In solchen kleinen Zügen spiegelt sich das echte Talent.

In Nr. 5 treten nach einer recitativischen Einleitung Wenzel, Sofia und Huß zu einem Terzett zusammen. Die beiden ersten sind das böhmische Königspaar. Huß greift das Papistenthum an. Im Terzett vereinigen sie sich zum Preis des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung. Die Form des Gedichts bot dem Musiker hier Gelegenheit zu einer kunstreichen Verwebung der Singstimmen, die er sich indeß entgehen ließ. Der Rückgang von As nach Es auf S. 36 scheint uns sogar nicht ganz meisterhaft. Im Uebrigen enthält die Nummer viel Inniges. Für Theoretiker vom echten Schrot und Korn stehe auch diese Stelle da:

#Notenbeispiel..

Nach unserm Urtheil ist das die ärgste Sünde nicht, nur Pedanterie und Geistesfaulheit in Sachen der Kunst ist es, wie sie gerade unter den Generalbassisten am meisten angetroffen wird.

Der zweite Theil beginnt mit einem Zigeunerchor, von dem wir mehr erwartet hätten. Wohlklang und Anmuth sollten niemals fehlen,

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     * Wir finden sie zum Schluß von Nr. 9, Nr. 12, Nr. 17 wieder.  [.Sch.]


{404} auch wenn Zigeuner singen. Dies wußte Weber in der Preciosa besser zu machen.

Dagegen muß Nr. 7, wo sich zwischen den Stimmen der Zigeuner aus der Ferne der Chor der Hussiten vernehmen läßt, von bedeutender Wirkung sein.

Im Zigeunerchor Nr. 8 tritt der frühere zigeunerartige Charakter zurück; er dünkt uns, fast nur auf Tonica und Dominante basirt, doch gar zu simpel. Wenn wir oben von Stellen sprachen, an denen wir des Compouisten isolirte Stellung wahrzunehmen glaubten, so meinten wir damit Chöre wie diese Nummer.

In Nr. 9 erkundigen sich die Hussiten nach dem Wege nach Costnitz. Eine Zigeunerin warnt vor der Reise in einer Arie, die uns mir wenig zusagt und melodisch wie formell mißrathen scheint. So wenigstens nach dem Clalvierauszug. Vielleicht wird sie durch das Orchester gehoben.

Nr. 10. Huß zeigt keine Furcht; er hat ja auch freies Geleit vom Kaiser Sigismund versprochen bekommen. Der Chor spott: „Freies Geleit?“ und später „Sigemund Lügemund“', beide Ausbrüche des Chors sind sehr kurz; im zweiten dünkt uns der Eintritt der Bässe auf der Dominante nicht meisterhaft.

Nr. 11. Huß verabschiedet die Freunde, die ihn begleiten, in ausdrucksvoller Musik.

Nr. 13 ist fast eine wörtliche Wiederholung des Chores von Nr. 6. Die Zigeuner ziehen fort. Das ins d einmal verschwebende e zum Schluß (S. 64) ist ein abgelauschter Naturlaut. Solche Noten fallen nur einem poetischen Kopfe ein.

In Nr. 14 begegnen wir zuerst der Aufschrift: „Liebliches Wiesenthal“, als dem Ort der Handlung. Es liegt darin etwas Sonderbares, da das Oratorium doch sicher nicht zur Aufführung auf der Bühne bestimmt ist. Der Phantasie des Hörers durch solche Andeutungen zu Hilfe zu kommen, scheint aber gar wohl zulässig. Die Musik schildert den Ort im freundlichen A dur noch schärfer. Huß, in ein Hirtenthal gekommen, bittet die Hirten um einen Trunk Milch. Chlum warnt vor Vergiftung. Dies geschieht in der Musik sehr charakteristisch im Zwiegesang zwischen Huß und Chlum (S. 67). Die späteren Worte des Hirten.

Auch euch, o Herr, verleih Gott Heil und Glück! Ihr mögt wohl wandeln jetzt auf schweren Wegen —

obwohl vom Componisten ausdrucksvoll recitirt, wünschten wir etwa


{405} von Beethoven componirt gesehen zu haben. Hier konnte eine tiefe Rührung erreicht werden.

Die folgende Nummer beginnt mit den Psalmworten: „der Herr ist mein Hirte“ und athmet den rechten Charakter, doch hängt das Ganze zu lange in A dur fest. Der Chor bringt dann mehr Bewegung in das Stück. Wie der erste, so schließt auch der zweite Theil ganz leise.

Im dritten werden wir nach Costnitz versetzt. Barbara, Kaiser Sigismunds Frau, bittet diesen um Gnade für Huß. Jener sträubt sich. Man hört das Geläute, in der Musik in der bekannten Quintenweise wiedergegeben. Die folgende Arie der Barbara: „Augen sind der Seele treuer Spiegel“ ist innig gesungen, wenn auch nicht neu. Viel bedeutender als Musikstück und von leidenschaftlicher Färbung scheint uns das nächste Duett.

Es folgt jetzt unter der Aufschrift „Missa canonica“ jener künstliche Musiksatz, von dem wir oben sprachen, daß er sich im Gegensatz zu der im ganzen Oratorium vorwaltenden Simplicität wie ein Extrem ausnähme. Wie dem sei, solche Sätze gereichen jedem Musiker zur Ehre. Die Form ist die des doppelten Canons in der Unterquinte. Aus der Bachschen Passionsmusik nach dem Evangelium Johannis erinnern wir uns eines ähnlichen, freilich noch kunstvolleren, über die Worte „Kreuzige“.

Nr. 20 enthält die Anklagescene. Hußens folgende Arie scheint uns eine der bedeutendsten des Werkes. Ergebung in den Willen des Himmels und Trotz gegen seine Verfolger sind die Grundzüge dieses warmen, energischen Musikstückes, Noch einmal singt er seinen Choral, den er schon im ersten Theil angestimmt, dem ein etwas matterer Chor und dann die Scene mit dem Bauern folgt, der noch ein besonderes Scheit zum Holzstoß herbeigetragen bringt. Hier folgt das weltberühmte, mit Geist componirte „O sancta simplicitas“ Hußens.

Den folgenden, den Schlußchor, wünschten wir in vollständiger Besetzung gehört zu haben; er muß von ergreifender Wirkung sein, namentlich wie Huß zwischen dem Chor der Flammengeister das „Miserere mei Domine“ aufschreit und mit immer schwächerer Stimme und den Worten „non confundar in aeternum“ beschließt. Es scheint, daß der Componist gerade an dieser Nummer mit Begeisterung gearbeitet, und wir möchten sie für die würdige Krone des Ganzen erklären.

So haben wir nach besten Kräften versucht, dem Werke die Würdigung zu geben, wie sie eben nach einem Clavierauszug zu geben


{406} möglich ist. Ueber die Befähigung des Componisten hat die Welt längst entschieden; aber der Wege gibt es vielerlei. Loewe hat sich einen schwierigen gewählt. Er ermatte nicht — und wenn auch, das Verdienst muß ihm bleiben, in den ersten Reihen zur Erreichung eines neuen Zieles gekämpft zu haben. Mit diesem Bekenntniß, das wir schon an die Spitze dieses Aufsatzes stellten, beschließen wir ihn und mit den besten Wünschen für des Künstlers ferneres Wirken. {{Right|S.

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Pianofortemusik.

I.

Seit längerer Zeit ist über keine Pianofortecomposition in der Zeitschrift berichtet worden; es gab eben trotz der Massen, die täglich für dieses Instrument geschrieben werden, nicht viel Neues zu bemerken. Die Meister der vorletzten Epoche sind theils verschieden, theils schweigen sie ganz; die der letzten Epoche verharren entweder in ihren Richtungen, über die schon zum Oefteren in diesen Blättern geschrieben worden, oder sind gar zurückgegangen. Daneben wuchert jenes Unkraut fort, wie es zu allen Zeiten gewuchert hat; doch hat das Dreiblatt Czerny, Herz und Hünten bedeutend in der Gunst des Publieums verloren. Es wird ebenso wenig auszurotten sein wie eine gewisse Leihbibliothek-Literatur; in einem Kunstblatte verdient sie nur die flüchtige Andeutung ihrer Existenz. Ein neues wahrhaftes Künstlertalent, das dem Clavier seine Kräfte widmete, ist noch nicht erschienen; einzelne erfreuliche oder doch hoffnungsvolle Erscheinungen berühren wir später.

Von den namhaften Claviercomponisten der vorletzten Epoche schaffen, außer Cramer, der einer noch früheren zufällt, in der letzten Zeit aber wieder mit einigen neuen Compositionen hervorgetreten ist,* nur noch Moscheles und Kalkbrenner. Ersterer hat in seiner „Romanesca“ [Werk 104] eine Persiflage jener Pseudo-Romantik geliefert, die ihren eigentlichen Sitz in der großen Pariser Oper haben mag, von da auch in die Claviermusik sich eingeschlichen, sogar über den Rhein bis zu uns vorgedrungen, — eine köstliche Persiflage, deren

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     * Seine bedeutendste — vierhändige Etuden — konnten wir noch nicht zu Gesicht bekommen.  [Sch.]

{407} Sinn wohl hier und da nicht einmal verstanden wurde, so daß einige gar den Verfasser unter die Verrückten schieben mochten, die er gerade schildern wollte. Die Sache ist lustig genug und werth, daß man sie kennen lerne. Ein anderes, aber ernsthaft gemeintes Stück desselben Componisten ist eine Serenade [Werk 103], die uns wiederum zeigt, wie dem Verfasser die Bewegung der letzten Clavierspielerepoche nicht fremd geblieben ist, ohne daß wir sie gerade seinen glücklichen Leistungen beirechnen möchten.

Herrn Kalkbrenners Namen findet man nur noch auf einzelnen Phantasieen über Themas aus gerade in Paris beliebten Opern, über deren Zuschnitt und Zweck nicht viel zu sagen ist.

Ein Curiosum eines sehr bejahrten Tonsetzcrs liegt uns noch vor in Bravourvariationen von F. D. Weber,* dem Director des Prager Conservatoires. Wir nehmen das Stück als eine liebenswürdige Laune des alten Mannes. Wenn aber einzelne deutsche Recensenten über das Werk in Ekstase geriethen und ausschrieen, dies wäre der wahre classische Bravourstil, so kann man darüber nur lächeln. Es ist ein Gelegenheitsstück wie hundert seines Gleichen und von wahrer Musik darin keine Rede; ja, wir finden nicht einmal das Thema sehr ausgezeichnet und namentlich die Harmonie vom drittletzten zum vorletzten Tact unmusikalisch. Daß das Ganze in seiner ursprünglichen Gestalt, wie wir in einer Anmerkung lesen, mit Orchesterbegleitung und Ritornells sich ungleich bedeutender ausnehme, ist kein Zweifel.

Dies wären die namhaftesten der älteren Tonsetzer, die uns zuletzt Claviercompositionen gegeben, und die Auswahl freilich keine große.

Von den Componisten der letzten Epoche vermissen wir seit Jahresfrist leider Mendelssohn unter den für das Clavier thätigen. Seine zuletzt erschienenen Werke waren das vierte Heft der Lieder ohne Worte und ein Variationencyklus in dem Beethoven-Album, die beide schon in der Zeitschrift erwähnt wurden. Leider feiert auch W. Taubert in Berlin, dessen fruchtbarer Anfang eine reichere Folge erwarten ließ. Hoffen wir, daß sie, wie manche Andere, mit ihren Gaben nur zurückhalten.

Vielem Geistvollen begegnen wir wieder in einigen Compositionen Chopins: sie sind ein Concert-Allegro [Werk 46, A dur], eine Ballade [Werk 47, As dur], zwei Notturnos [Werk 48, C moll und Fis moll] und eine Phantasie [Werk 49, F moll] und, wie alle von seiner Hand,

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      * Prag, bei J. Hofmann.  [Sch.]


{408} im ersten Augenblick als Chopinsche Compositionen zu erkennen. Das Concert-Allegro hat ganz die Form eines ersten Concertsatzes und ist wohl ursprünglich mit Orchesterbegleitung geschrieben. Wir vermissen in dem Stück einen schönen Mittelgesang, das sonst reich an neuem und glänzendem Passagenwerk ist; wie es dasteht, schweift es zu unruhig vorüber; man fühlt das Bedürfniß nach einem nachfolgenden langsamen Satz, einem Adagio, wie denn die ganze Anlage auf ein vollständiges Concert in drei Sätzen schließen läßt. Das Clavier zur höchsten Selbständigkeit zu erheben und des Orchesters unbedürftig zu machen, ist eine Lieblingsidee der jüngsten Claviercomponisten und scheint auch Chopin zur Herausgabe seines Allegro in der jetzigen Gestalt vermocht zu haben; an diesem neuen Versuche sehen wir indeß von Neuem ihre Schwierigkeit, ohne deshalb vom wiederholten Angreifen der Sache abzurathen. — Bei Weitem höher als das Allegro stellen wir die Ballade. Chopins dritte, die sich von seinen früheren in Form und Charakter merklich unterscheidet und, wie jene, seinen eigensten Schöpfungen beizuzählen ist. Der feine geistreiche Pole, der sich in den vornehmsten Kreisen der französischen Hauptstadt zu bewegen gewohnt ist, möchte in ihr vorzugsweise zu erkennen sein; ihr poetischer Duft läßt sich weiter nicht zergliedern. — Die Notturnos reihen sich in ihrem melancholischen Charakter, ihrer graziösen Haltung Chopins früheren an. Vorzüglich mag das zweite zu Mancher Herzen sprechen. — In der Phantasie begegnen wir dem kühnen, stürmenden Tondichter wieder, wie wir ihn schon öfter kennen gelernt, sie ist voll genialer einzelner Züge, wenn auch das Ganze sich einer schönen Form nicht hat unterwerfen wollen. Welche Bilder Chopin vorgeschwebt haben mögen, als er sie schrieb, kann man nur ahnen; freudige sind es nicht. —

W. Sterndale Bennett hat seit seinen reizenden, schon vor Jahr und Tag in der Zeitschrift besprochenen vierhändigen Vorlage:Diversions nur eine einzige Claviercomposition veröffentlichen lassen: Suite de Pièces [Werk 24]; sie reicht aber hin, die Achtung vor seinem schönen Talente zu erneuen. Sechs Stücke sind es ziemlich gleichen Charakters, die das Heft enthält, die sämmtlich Zeugniß von der echten, alles wie nur im Scherz und Spiel vollbringenden Schöpferkraft ihres Verfassers geben. Nicht das Tiefsinnige, Großartige ist es, was uns hier Gedanken weckt und imponirt, sondern das Feine, Spielende, oft Elfenähnliche, das seine kleinen aber tiefen Spuren in unserm Herzen zurückläßt. Einen großen Genius wird daher Bennett niemand nennen

{409} wollen, aber von einer Genie hat er viel. In diesen Tagen, wo so viele unerquickliche Musik sich breit macht, das Aeußere, das Mechanische bis zum Unmaß und Unverstand hinaufgetrieben wird, wollen wir uns aber doppelt erfreuen an jener natürlichen Grazie, jener stillen Innerlichkeit, wie sie Bennetts Compositionen innewohnt. Wir zweifeln auch nicht, daß diese Art Musik, wie die ihr verwandten höheren uud niederen Richtungen sich immer mehr Bahn brechen müssen, und daß, wie verschieden auch die Urtheile über einzelne ihrer Vertreter ausfallen mögen, die Geschichte der Kunst der Periode, die das Kunstreiche und Seelenvolle wieder zu verbinden strebt, ihren hohen Platz über das, was Mode und Laune des Glückes gehoben, einräumen und sichern wird. Vieles ist schon gethan; und unter den Componisten jener edleren, selteneren Richtung verdient auch Bennett eine Ehrenstelle. schriebe er nur mehr! Aber es scheint, daß er selbst einsieht, er bewege sich auf einem kleinen Terrain und er dürfe nicht immer auf diesem verharren; denn, wie gesagt, wir lieben wohl die Elfenspiele, aber Mannesthaten noch mehr, und diese zu vollbringen, scheint das kleine Gebiet des Claviers zu beschränkt; dazu gehört ein Orchester, eine Bühne. Doch wir schweifen zu weit von unserer Composition ab, die ihrem Verfasser, möge seine Zukunft sein wie sie wolle, zur immerwährenden Ehre gereicht. Von einem Mißlingen der Form u. dgl. kann bei ihm schon gar keine Rede mehr sein; Anfang, Fortgang und Schluß des Stückes, alles gestaltet sich ihm meisterlich. Auf die Aehnlichkeiten seiner Compositionen mit Mendelssohnschen ist schon öfter aufmerksam gemacht worden; man würde Bennett aber sehr Unrecht thun und Urtheillosigkeit verrathen, glaubte man mit so einem Ausspruche seinen Charakter vollständig bezeichnet zu haben. Gewisse Aehnlichkeiten sind den verschiedenen Meistern der verschiedenen Epochen immer gemein gewesen; wie in Bach und Händel, wie in Mozart, Haydn und in den früheren Compositionen Beethovens, ist es ein gewisses gemeinschaftliches Streben, das sie verbindet, das sich auch oft äußerlich ausspricht, gleich als ob sich einer aus den andern berufen möchte. Dieses Hinneigen eines edlen Geistes zu einem andern wird Niemand mit dem Worte Nachahmung belegen wollen, und etwas Aehnliches liegt auch im Verhältnisse Bennetts zu Mendelssohn. Von Werk zu Werk hat sich aber Bennett immer eigenthümlicher herausgestaltet, und in dem jetzt vorliegenden könnte, wie gesagt, nur das verwandte künstlerische Streben im Ganzen an Mendelssohn erinnern. Eher möchten wir manchmal an ältere Meister denken, in die sich der


{410} englische Componist eingelebt zu haben scheint; das Studium Bachs, und unter den Claviercomponisten des D. Scarlatti, die Bennett vorzugsweise liebt, ist nicht ohne Einfluß auf seine Fortbildung geblieben, und er hat ganz Recht, sie zu studiren; denn wer ein Meister werden will, kann es nur bei Meistern, — wenn wir natürlich auch nicht Scarlatti mit Bach auf eine Stufe setzen wollen. Von den einzelnen Stücken der „Suite“ — auch ein altes gutes Wort — möchten wir kaum einem vor dem andern den Vorzug geben. Jeder wird nach seiner Einsicht wählen. Die eigenthümlichsten scheinen uns die zweite Nummer in ihrer eigenthümlichen höchst zarten Gestaltung, und die vierte wegen ihres phantastischen Charakters.

Wie St. Bennett war leider auch Adolph Henselt in den letzten Jahren nur wenig productiv. Vielleicht hielten ihn nur äußere Gründe ab; denn daß ein Quell, der so frisch und fröhlich zu sprudeln begann, so schnell wieder versiegt wäre, kann man nicht glauben. Sein neustes Stück für Clavier allein heißt Tableau musical [Werk 16]; einer böhmisch-russischen Volksmelodie folgt ein ländliches Thema, die sich in anmuthiger Weise später begegnen; es gibt ein Bild, als wenn etwa eine Zigeunerbande sich in moderneres Bauernvolk mischte, und vielleicht hat dem Componisten so etwas vorgeschwebt, wie zum Theil wenigstens der Titel vermuthen läßt. Das Ganze macht einen heitern, fast malerischen Eindruck und ist von jenem Wohlklang beseelt, wie er alle Compositionen dieses Künstlers auszeichnet.

Von berühmten Virtuosen, die das Clavier neuerdings bedacht, führen wir zuerst S. Thalberg an, der, außer seiner zweiten Phantasie über Themas aus Don Juan, die von seinen andern Phantasieen sich nur wenig unterscheidet, unter dem Titel: Thème original et Etude [Werk 45, A moll] eines seiner effectvollsten Stücke veröffentlicht hat, — dasselbe, mit dem er in seinen Concerten so oft Furore machte. Der Reiz liegt zuerst in dem anmuthigen Thema, von dem Jemand sagte, es habe etwas von einem Gesang italiänischer Maulthiertreiber, was den besonderen Charakter der Melodie auch im Ganzen andeuten mag; den Haupteffect auf das Publicum macht aber erst die schillernde Variation, wo man nicht weiß, wo der Spieler alle die Finger herbekommt. Dabei klingt die Etüde viel schwieriger, als sie ist. Hätte die Composition eine gehaltvollere Einleitung und einen weniger kurzen Schluß, sie wäre eines unbedingten Lobes würdig. Für das Publicum ist sie noch immer trefflich genug.

Liszt hat vor Kurzem, außer einigen Phantasieen über Opernthemas,


{411} sein umfangreichstes und, wie wir glauben, sein bedeutendstes Werk erscheinen lassen, seine Pèlerinage, die drei starke Bände füllen wird. Wir konnten erst den ersten Band zu Gesicht bekommen und versparen unser Urtheil, bis wir das Ganze kennen gelernt, für einen spätern besondern Artikel.

Von jüngeren Componisten, die sich als solche schon anderweitig bekannt gemacht, für Clavier aber, so viel wir wissen, erst wenig oder gar nichts veröffentlicht, müssen wir noch O. Nicolai und Julius Rietz nennen, von denen uns zwei Claviercompositionen vorliegen. Und wie wir vorzugsweise gern nach neuen Sonaten greifen, so freute uns schon der Titel aus der Nicolaischen Composition, die eben eine Sonate [Werk 27] ist. Man hat diesen Componisten wegen seiner italiänischen Sympathieen vielfach angegriffen, wir kennen nichts von seinen in Italien geschriebenen Opern; in dieser Sonate steckt aber noch genug gutes deutsches Blut. Oder wäre es, daß er seine Feder so in der Gewalt hätte, daß er sich heute in italiänischer Weise, morgen in anderer ergehen könnte? Dies wäre eine gefährliche Gewandtheit, der schon Meyerbeer als Opfer gefallen ist, Doch kennen wir, wie gesagt, zu wenig von Hrn. Nicolais Compositionen, um uns ein Urtheil darüber zuzutrauen. Die Sonate bekundet in jedem Fall eine deutsche Abstammung und im Besonderen eine große Leichtigkeit in der Erfindung und Ausführung; ist jene nicht gerade tief, diese keine außergewöhnlich kunstreiche, so fesselt doch das Stück durch andere Vorzüge, durch sein aufgewecktes rasches Wesen, das [sich] nicht grüblerisch beim Einzelnen aufhält und eben eine dem Componisten günstige Totalwirkung hervorbringt. Am wenigsten gelungen scheint uns der letzte Satz; es verändert sich in ihm das Tempo zu oft, was nur ein besonders geistreiches Spiel vergessen machen würde. Recht aus dem Ganzen ist dagegen der erste Satz, ebenso das Scherzo und namentlich das Trio gelungen. Zum Hauptmotiv des Adagios hat der Componist eine schwedische Volksmelodie (allerdings eine der schönsten) gewählt; einen Zusammenhang mit dem Uebrigen vermögen wir indeß nicht zu entdecken.

Julius Rietz, der sich durch seine beiden Ouverturen einen klangvollen Namen erworben, debütirt als Claviercomponist mit einem Scherzo cappricioso [Werk 5, B moll]. Von seiner Hinneigung zu Mendelssohns Weise war schon öfter die Rede; auch uns verleidete dies manche Stelle seiner Compositionen. Daß uns gewisse Anklänge bei manchen Componisten mehr beleidigen als bei andern (wie z. B.

{412} bei Bennett), mag schwer zu erklären sein, wenn es nicht vielleicht daher kommt, daß Vor- und Nachbildner von Natur aus weniger verwandt sind, und mithin das Angeeignete im letztern fremdartiger berührt, als wo (wie eben bei Bennett und Mendelssohn) die Charaktere einen Aehnlichkeitszug gleich bei ihrer Geburt mit auf die Welt gebracht zu haben scheinen. Wie dem sei, der äußerst talentvolle Componist, von dem wir sprechen, hat so viel Bildung, zeigt einen so entschiedenen Charakter, daß es vielleicht nur einer größeren Aufmerksamkeit seinerseits bedarf, Reminiscenzen zu verhüten. Im Uebrigen erinnert gerade das Scherzo weniger an Mendelssohnsche Art; es ist dazu viel zu mißmuthig, mißtrauisch fast, wenn wir so sagen dürfen. Hinter dem wenig heitern Humor des Stückes verbirgt sich aber jedenfalls ein vortrefflicher Tonkünstler, dem wir wünschen, daß, wie er heimisch in seiner Kunst, er sich auch ganz glücklich in ihr fühlen möge. —

Noch liegt eine Reihe Compositionen vor uns, deren Verfasser weniger oder gar nicht gekannte Namen haben; wir haben sie aus einem ansehnlichen Stoße neuer Musikalien als die bemerkenswerthesten herausgewählt.

Julius Schapler, dessen Preisquartett als ein bedeutendes Musikstück bereits S. 358 ff. angezeigt wurde, hat neuerdings eine Fantasia capricciosa gebracht. Den Eindruck jenes Quartetts noch im frischen Gedächtniß bewahrend, gingen wir mit Freude an die neue Composition, fanden uns indeß diesmal getäuscht. Der Titel mag vieles entschuldigen, aber nicht alles. Wir vermissen in der Phantasie einen wahrhaft schönen musikalischen Gedanken und den innerlichen Faden, der auch die phantastische Unordnung durchschimmern soll, will sie anders im Bezirk der Kunst anerkannt sein. Offenbar hat der Componist mit seinem Stück etwas gewolltwas aber? verschweigt er uns. Gegen das Ende hin erscheint nämlich auf einmal, diesmal recht wie aus den Wolken kommend, der „Mond“, d. h. ein Andante mit dieser Aufschrift. Was ihm vorangeht, ist kaum zu errathen; es fehlt uns der Schlüssel zur Auflösung. So vermuthen wir denn, der Componist hat irgend eine Begebenheit schildern wollen und, die Musik geheimnißvoller wirken zu lassen, die nöthigen Andeutungen weggelassen. Damit that er aber sich und seinem Werke Schaden, dem wir wenigstens, wie es dasteht, kein Interesse abzugewinnen wissen. Die Musik ist eben zu wenig an sich und könnte nur dadurch zu ihrer Bedeutung gelangen, wenn uns der Componist die Bilder, die ihm jedenfalls

{413} vorgeschwebt, mit Worten genannt, wie er es bei dem „Mond“ that. Ein nicht gutes Zeichen für eine Musik bleibt es aber immer, wenn sie einer Überschrift bedarf; sie ist dann gewiß nicht der inneren Tiefe entquollen, sondern erst durch irgend eine äußere Vermittelung angeregt. Daß unsere Kunst gar vieles ausdrücken, selbst den Gang einer Begebenheit in ihrer Weise verfolgen könne, wer würde das leugnen, die aber, die die Wirkung und den Werth ihrer so entstandenen Gebilde prüfen wollen, haben eine leichte Probe: sie brauchen nur die Ueberschriften wegzustreichen. Herr Schapler that es; aber die Probe fiel gegen ihn aus. Nichtsdestoweniger zählen wir sein Werk zu den bemerkenswerthen und würden es ohne dies in diese Revue gar nicht aufgenommen haben. Auch im Verfehlten läßt sich oft ein Talent erkennen, und dieses ist dem Componisten in jedem Falle zuzusprechen.

Einen anmuthigen Zyklus von Etuden gibt uns S. Goldschmidt;* er gehört nach diesen Proben seines Talentes, den ersten, die wir von ihm zu Gesicht bekommen, mit Leib und Seele der Richtung der neusten Zeit, aber einer ihrer edleren an. Chopin scheint er zumal ins Herz geschlossen zu haben; dabei offenbart er aber auch Eigentümliches; das Jugendlich-Schwärmerische, das alle seine Stücke durchweht, kann kaum Jemandem entgehen. Auch schöne Kenntnisse stehen ihm zu Gebote. Am liebsten ergeht er sich in fremdartigen Tonarten; bis auf eine Etüde spielt das ganze Heft in Des und Fis. Steige er späterhin aber auch manchmal zu menschlicheren herab; ein junger Componist, zu dem man sich erst durch fünf bis fechs Kreuze hindurcharbeiten muß, braucht noch einmal so viel Zeit zur öffentlichen Anerkennung. Die Hauptsache aber ist, er bewahre sich seine Natürlichkeit und schreibe dann, in welcher Tonart er wolle. Wir haben keinen Zweifel, daß Herr Goldschmidt noch Schöneres und Bedeutenderes leisten werde; sein Werk spricht dafür. Den zarteren Stücken in ihm geben wir übrigens den Vorzug; in den kräftigeren steht er weniger selbständig da. Einige Gemeinstellen (chromatische Gänge etc.) wünschten wir unterdrückt; er erinnere sich immer des Satzes: Nur das Beste wird fortdauern.

Eine andere nicht unbedeutende Etudensammlung hat wiederum H. F. Kufferath [Werk 8] veröffentlicht; seine erste ward schon lobend in diesen Blättern besprochen. Auch diese Etuden geben sich

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  • Six Etudes de Concert. Oe. 4 (Sch.)

{414} auf den ersten Blick als Kinder der jüngsten Zeit; man kennt jene Notengruppirungen, in denen fliegende Arpeggien eine ruhende Melodie einzuhüllen scheinen. Der Componist gibt in dieser Art wieder einige treffliche; nur schreibe er nicht zu viel in dieser Compositionsweise; sie führt zur Manier. Bach hat 30 Exercices oder Variationen geschrieben, von denen jede eine andere Physiognomie hat, — und dies schon vor 100 Jahren; er konnte freilich nicht anders und würde nicht begreifen, wie 9/10 der heutigen Componisten alle über die nämliche Weise variiren und etüdiren. Herr Kufferath gehört gewiß zu den besseren unter ihnen; es thut aber Noth, die jungen manchmal an die alten zu erinnern; in Vielem machten sie sich’s nicht so leicht. Von diesen höchsten Forderungen an Vielseitigkeit und Mannigfaltigkeit abgesehen, enthält die Kufferathsche Etudensammlung aber, wie gesagt, viel Schätzenswerthes. Die Fertigkeit und Sicherheit des Componisten als Spieler zeigt sich auch in seinen Compositionen. In der Form sind sie durchgehends gelungen, wenn dieser auch oft eine gewisse Breite und Umständlichkeit anhängt. Das Figurenwerk finden wir sehr fleißig und zart behandelt, dies namentlich in der vierten und fünften. Feiner Züge voll ist auch die dritte. Die Steigerung in den glänzenderen Nummern durch Anhäufung von Bravourformen kann ihre Wirkung nicht verfehlen. Die meisten der Etuden eignen sich zum öffentlichen Vortrage und verdienen diesen mehr als manche werthlose Composition berühmter Virtuosen. {{Right|13.

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 			1843.

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[leer]

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Pianofortemusik.

II.

Stephen Heller hat uns in einem Scherzo [Werk 24, A moll] und einer Caprice [Werk 27, in Es] neue Beweise seines geistreichen Talentes gegeben. Besonders glücklich finden wir das Scherzo: es ist voll von Humor und dabei von künstlerischer Form; wir fühlen uns vom Anfang bis Ende in der Nähe eines höchst lebendigen, liebenswürdigen Geistes, der, wie er zu scherzen und zu unterhalten, oft auch einen tieferen Gedanken heranzubringen versteht. Und scheint uns auch nicht alles der Erguß einer freischöpferischen Phantasie, nicht alles unmittelbar aus dem Innersten geflossen und mehr am Instrument gefunden, so müssen wir um so mehr wünschen, der Künstler bekomme Zeit und Lust, für Orchester zu schreiben, damit sein bedeutender innerer musikalischer Sinn sich immer mehr von der Herrschaft der mechanischen Einflüsse befreie, denen sich Alle, die am Instrument erfinden, nicht leicht entziehen können. Hellers Claviercompositionen tragen alle Anzeichen eines bedeutenden zukünftigen Orchestercomponisten in sich; sie wären mit wenigen Abänderungen auf das Wirkungsvollste zu instrumentiren; man hört, wie ihm hier Violinen, dort Hörner etc. vorgeschwebt. Es wäre schade, wenn uns Paris, das zeitraubende Leben dort einen Orchestercomponisten zu Schanden werden ließe, den die Natur mit so entschiedener Befähigung ausgerüstet. Den Clavierspielern würde, wenn Heller sich der Orchestercomposition zuwendete, freilich mancher Genuß entzogen werden; denn man erholt sich von dem nichtswürdigen Clavierpassagenkram gern an festeren Gebilden, wie sie symphonieartig in Hellers Compositionen oft auftauchen.


[418] Wir würden aber den Genuß gern gegen den reicheren vertauschen, den das aller Nüancen fähige Orchester zu bereiten im Stande ist; und daß er auch dieses mit der Zeit sich unterthan machen würde, dafür spricht sein Talent, die Stufe, auf der er überhaupt schon als Musiker steht. Sehen wir aber von diesen Wünschen ab, so müssen wir nochmals eingestehen, daß Scherzo ist geistreich und fein genug, als daß wir unzufrieden sein dürften. Allen wird freilich seine und solche Musik überhaupt nicht zusagen und kann es nicht. Sie zu verstehen, zu lieben, gehört wohl mehr dazu als blose Dilettanten-, selbst Musiker-Bildung. Aus diesem spielenden Humor erklingt mehr als blos musikalische Erfahrung. Wer Shakespeare und Jean Paul versteht, wird anders componiren, als wer seine Weisheit allein aus Marpurg etc. hergeholt; wer im Strom eines reichbewegten Lebens anders, als wer den Cantor seines Ortes für das Ideal moglicher Meisterschaft hält, — und dies bei übrigens gleichen Talenten, gleich ernsten Studien. Eine andere als blos musikalische Bildung und Erfahrung spricht auch aus den Compositionen unseres jungen Künstlers; wir wollen nichts hineinklügeln, aber wir wissen, das ist nicht für Jedermann. Auch in der Caprice findet sich Ausgezeichnetes; doch steht sie an Naivetät, an Grazie gegen das Scherzo zurück. Die Gesangstelle darin scheint uns karg; dagegen sprüht auch in ihr humoristisches Feuer unausgesetzt, wie man das Ganze einem künstlichen Feuerrade vergleichen möchte, das uns in seinem buntfarbigen Umschwunge eine Weile ergötzen will. Das Crescendo (Seite 11 und 12) macht eine shmphonieartige Wirkung, ohne ins Triviale der gewöhnlichen Crescendos zu fallen; wir kennen nichts Aehnliches für Clavier, der Spieler kann sich hier im größten Glanze zeigen.

Von Hermann von Lövenskiold liegen uns zwei Hefte Charakterstücke [Werk 12] vor; sie haben die Ueberschriften: An die Entfernte, Venetianisches Gondellied, der Wunsch, die Elfenschwärme, Aufregung, und sprechen sich demgemäß aus. Der Componist ist zwar zu einer entschiedenen Selbständigkeit noch nicht vorgedrungen; die Richtung aber, die er verfolgt, zeigt sich als eine edlere. Vieles sagt uns namentlich in der Anlage zu; die Ausführung läßt manches vermissen. Eine gewisse Flucht des Fertigwerdenwollens macht sich hier und da bemerkbar; nicht alle Stücke sind gleichmäßig, künstlerisch ruhig abgeschlossen. Ueberall aber blickt Talent hindurch, und was zur Meisterschaft noch fehlt, möge Zeit und Fleiß dem jungen strebenden Künstler erreichen helfen.


{419} Hier erwähnen wir gleich noch ein Werk eines anderen jungen dänischen Componisten: 12 Capricen von Emil Horneman [Werk 1], das uns durch seinen bedeutenden Umfang wie durch den erfreuenden Inhalt gleichmäßig überraschte. Schon die Form der Stücke, eine Mittelart zwischen Etüde und Caprice, müssen wir eine glücklich-getroffene nennen. An die Etüde erinnern sie durch ihre Abgeschlossenheit, durch das öftere Festhalten der einmal gefundenen Figur, vermeiden aber, an das Capriccio anstreifend, das Aengstlich-Mechanische des Zweckes, wozu oft die Etüde den Componisten verleitet. Die Musik an sich trägt einen heiteren, wohlthuenden Charakter. Nirgends stößt uns Außerordentliches, Genialisches auf; selbst hinter den kühneren Anläufen birgt sich ein bescheidener Sinn, der schnell zurückhält, wo ihn die Sicherheit im Wohlbekannten zu verlassen droht. Der Componist will mit einem Worte nicht mehr leisten, als er kann, und dies hehagt immer, wenn er die triviale Sphäre überhaupt hinter sich hat. Sein Drang, überall geregelte Kunstformen zu geben, verleitet ihn freilich oft zur Breite, und wir erhalten in den zweiten Theilen meist nur die Parallelstellen des früher Dagewesenen, ohne daß er einen neuen Aufschwung versuchte; aber es ist uns diese Breite uoch immer lieber als platte Formlosigkeit, die nicht weiß, was sie will. Damit rathen wir aber dem jungen Künstler keineswegs an, bei dem Gewonnenen zu verharren, sich nicht in schwierigeren Formen zu versuchen, seiner Phantasie nicht neue Gebiete zu eröffnen. Im Gegentheil, wir setzen dies voraus. Im tausendfachen Durcheinander der Gegenwart würde seine sanfte Stimme nur spurlos verhallen. Will er mehr, so ist es an ihm, sich zu kräftigen, den höheren Streitern sich anzuschließen. Einstweilen dürfen wir dies sein erstes Werk, mit dem er sich auf so ehrenvolle Weise eingeführt. Allen, die sich an einer weichen klangvollen Mufik erfreuen wollen, auf das Beste empfehlen.

Wir sprachen zum Schluß unseres letzten Artikels von Compositionen zweier junger dänischer Musiker, von Lövenskiold und Horneman; so eben wird uns eine neue Claviercomposition eines dritten, gleichfalls jungen Dänen N. W. Gade mitgetheilt, desselben, der schon durch seine Ouverture „Ossian“ sich bekannt gemacht, so reiche Hoffnungen für die Zukunft erweckt. Scheint er auch im Orchester in seinem eigentlichen Elemente, so verräth doch auch die erste Claviercomposition, die mit seinem Namen vor uns liegt, den kenntnißreichen Musiker und jedenfalls ein inniges poetisch-musikalisches Gemüth; sie heißt „Frühlingsblumen“ und besteht aus drei kleinen Stücken, die


{420} diesen Titel zu tragen vollkommen verdienen. Es sind eben stille bescheidene Kinder seiner Phantasie, hier und da an ähnliche Mendelssohns, auch Henselts erinnernd, doch auch fesselnd durch die eigene nordische Färbung, die schon in der Ouverture „Ossian“ zu bemerken war. Was ist doch alles Virtuosengeklimper gegen solch' anspruchlose sittige Musik! Aber die Gegenwart fängt an zu erkennen, und „die sich selbst erniedrigen, sollen erhöhet werden“. Doch genug der Worte über die kleine Composition, die für sich selbst spricht.

  • Von Ferdinand Möhring, dessen Streben in diesen Blättern gleichfalls schon Anerkennung fand, liegen uns zwei Hefte vor: 5 Charakterstücke [Werk 6] und 3 Notturnos [Werk 8]. Originelles bieten sie nichts, einzelnes erinnert fast buchstäblich an Mendelssohns „Lieder ohne Worte“, und anderes versucht sich in der galanten Salonmanier Thalbergs, die dem im Grunde soliden und ehrbaren Charakter des jungen Componisten noch weniger ansteht. Nirgends ist aber deshalb Talent zu verkennen, und wir hören gern zu, wo es sich einfach und natürlich äußert. Unangenehm berühren uns einige Gemeinstellen, so z. B. der ganze Satz in A dur in Nr. 5 der Charakterstücke, der gerade in dieser origineller erfundenen Nummer beleidigt.
  • In fünf Pièces lyriques von Otto Thiesen [Werk 13] begegnen wir vielem Ansprechenden. Gleich das erste Stück nimmt für den Componisten ein, es scheint uns das glücklichste im ganzen Heft. Dem zweiten wünschten wir einen längern Schluß in C moll; C dur wäre besser gar nicht zu berühren gewesen. Das dritte ist in der neumodischen Weise, die schon altmodisch zu werden anfängt: Melodie in der Alt-Region, mit Begleitung oben und unten. Nr. 4 ist ein completes „Lied ohne Worte“. Der Componist hat im Ganzen manches mit dem vorher Genannten gemein, Anlage, bereits erfreuliche Fertigkeit im Technischen, Streben nach ausdrucksvollem Gesang. Aber auch ihm geht noch die Selbständigkeit ab, die freilich oft erst die Frucht späterer Jahre und unermüdlicher Arbeit, noch viel öfter gar nicht zu erringen ist.
  • In 6 Etuden von A. von Kontski [Werk 53], die zum Theil wohl im wüstromantischen Paris entstanden sein mögen, gefällt uns eben deshalb ein oft durchbrechender Zug von Solidität, die sich auch im Streben nach guter Form erfreulich äußert. Auswüchse finden sich demungeachtet noch viele, und Stellen wie diese (zum Schluß eines Stückes aus Gis moll):


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  1. Notenbeispiel

können wohl nur in Paris geschrieben und goutirt werden. Die Etuden scheinen überhaupt in sehr verschiedenen Zeiten componirt; es wäre sonst nicht zu begreifen, wie neben manchem Reiferen und Gelungeneren so viel wirklich Ungenießbares stehen könnte. Zu den Stücken der ersten Classe zählen wir ohne Weiteres das mit der Ueberschrift: le trille du diable, eine sehr interessante Trilleretüde, die auf eine gesund harmonisirte Melodie gebaut von vortrefflicher Wirkung sein muß. Schade um den Schluß, wo die triviale Baßfigur à la Thalberg den guten Eindruck stört. In natürlicher Weise bewegen sich auch die Nummern: la bavarde und l’obstinée, dagegen die übrigen mißrathen sind, in einzelnen Tacten geradezu Häßliches enthalten.

In den sechs „Romanesken“ von Gustav Nottebohm [Werk 2] wird Jedermann etwas Anderes zu finden hoffen, als sie bieten; es sind Stücke der schlichtesten bürgerlichsten Art, daß man den Titel beinahe für eine Ironie halten könnte. Wie dem sei, ein guter Kern läßt sich unter der unscheinbaren, oft herben Schale nicht verkennen. Aus einigen größeren Compofitionen desselben Verfassers, die an einem andern Orte zu besprechen sind, geht dies noch deutlicher hervor. Hier, scheint es, wollte er nur etwas Leichtes, den Verlegern Gefälliges liefern.

Eine Phantasie von F. E. Wilsing [Werk 10] rief uns eine frühere in diesen Blättern schon besprochene Composition desselben ins Gedächtniß. Was damals anerkannt wurde, findet sich auch hier wieder bestätigt. Der Componist gehört einer gründlichen Schule an und scheint sich immer freier zu entwickeln. In seiner Phantasie ist Sinn und Ordnung, für eine Phantasie eher zu viel als zu wenig. In einer Zeit, wo dies schöne Wort so oft gemißbraucht worden, sei aber jeder Versuch, es wieder zu Ehren zu bringen, mit Auszeichnung genannt, auch wenn er sich zum Extreme neigte. Bei aller Anerkennung des Componisten würden wir’s nicht ungern sehen, wenn sich seiner zuweilen auch jene Grazie bemächtigte, die den Ernst erst liebenswürdig

{422} macht. Einige altmodische Fiorituren (im ersten Theile) wünschten wir gänzlich unterdrückt; durch Schönpflästerchen etc. wird die classische Zeit noch nicht zurückgebracht. Doch das sind Kleinigkeiten. Der Verfasser muß sich durch das überwiegende Gute seines Werkes die Achtung aller gebildeten Musiker erwerben; möge ihn das ermuntern zu fortgesetztem Streben. Das Liebste in der Phantasie ist uns übrigens der zweite Satz. Die Fuge zum Schluß hat im Thema Aehnlichkeit mit dem des letzten Satzes der Sonate in A dur von Beethoven, verräth sonst aber den tüchtigen Musiker, wenn wir auch nicht alles in ihr sehr wohlklingend finden können.

Wir beschließen unsern Ueberblick mit einigen Bemerkungen über drei neu erschienene Sonaten, derer Verfasser Adolph Reichel, Ignaz Lachner und Theodor Kullak sind.

Die erstere [Werk 4] scheint uns der erste Versuch in dieser schwierigen Kunstform, die lobenswürdige Arbeit eines fleißigen Schülers. Vom Druck hätten wir abgerathen, wir sind überzeugt, ähnliche Sonaten werden in Deutschland jährlich zu Hunderten componirt. Wer in einer Gattung, die so herrliche Muster aufzuweisen hat, nichts Eigenes, nichts durch und durch Meisterhaftes zu geben vermag, bleibe zurück. Der Verfasser, wenn er sonst klar mit sich, wird zugestehen, daß vor solchen Forderungen sein Werk allerdings verschwindet. Daß er nach guten Vorbildern gearbeitet, zeigt jede Seite seiner Composition; manches erscheint auch gelungener. Das Ganze macht aber keinen andern Eindruck als den der Copie. Eine gewisse Trockenheit hängt dem Versasser vielleicht noch von den Studienjahren an, vielleicht fehlte ihm auch ein rechter Meister, der das Talent in ihm lebendig zu machen verstand. Der Jugend sieht man manchmal gern ein Zuviel nach, aber das Beschneiden der Flügel macht Philister, man muß den unsichern Flug zu lenken verstehen. Mit einem Worte, der Componist ist noch in pedantischen Begriffen befangen; eine Sonate soll kein Pensum sein, die feinste Blüthe der Meisterschaft duftet uns aus den Musterwerken der Gattung entgegen. Darum fort mit den Terzen- und Sextengängen. wie sie in der vorliegenden Sonate so häufig vorkommen; das ist die schlechte Classicität, der Perückenstil. Solche und ähnliche Stellen fallen doppelt auf, da der Componist hin und wieder seinen Gedanken eine interessantere Wendung zu geben versteht; so beginnt der Mitteltheil im ersten Satz sehr glücklich, so erhebt sich die letzte Seite der Sonate zu freierem Schwunge, so gefällt uns manches im Scherzo, wenn auch die zweite Stimme zu


{423} Anfang desselben nicht nach Meisterart auftritt. Aus diesen Beispielen möge der Verfasser in etwas einsehen, wo wir ihm beistimmen, wo nicht. In keinem Falle aber halte ihn je ein Tadel ab, rüstig fortzuschreiten. Nur einige der größten Geister haben mit ihrem Werk 4 gleich ein Meisterstück geliefert.

Ueber die Sonate von I. Lachner [Werk 20] können wir uns kurz fassen: sie ist offenbar das Werk eines sehr routinirten Musikers, der seinen Stoff zu ordnen und zu beherrschen versteht. Das fließt wie vom Born, immer glatt und ruhig fort. Wir finden kaum etwas auszusetzen an Form und Schreibweise. Damit ist aber auch beinahe alles gesagt; Ansprüche an Erfindung, an Neuheit kann sie keine machen. Im Uebrigen mag der Componist vorzugsweise im Orchestersatz geübt sein; gewisse Gemeinstellen, die im Orchester Effect machen, auf dem Clavier aber sich leicht trivial ausnehmen, wünschten wir gänzlich beseitigt. Die Fortschritte neuerer Claviercomponisten, die Wirkungen, die sie ihrem Instrumente abgewonnen, scheinen dem Verfasser ganz fremd geblieben zu sein. Die Sonate versetzt uns somit in die Haydn-Mozartsche Periode, ohne eine Haydn-Mozartsche zu sein. Doch auch gegen solche Werke, wenn sie sonst nicht ungesund sind, wollen wir kein Verdammungsurtheil aussprechen; für eine gewisse Mittelklasse von Spielern muß ja auch gesorgt sein, und die Ansprüche dieser befriedigen solche und ähnliche Werke vollkommen.

Noch liegt uns die Sonate von T. Kullak [Werk 7], die interessanteste, aber auch barockeste unter den drei genannten, vor; eine wahre Hexenküche, das gährt und kocht unaufhörlich durcheinander. Nur im Mittelsatz bricht ein sanfter Mondstrahl hindurch. Ohne Vergleich, der Componist hat Geist und Phantasie und mag ein brillanter Spieler sein. Nicht alles können wir Musik in seinem Werke heißen; zieht man einzelnen Gedanken das bestechende glänzende Gewand ab, so erscheinen sie oft dürftig genug. oft aber erhebt sie sich auch zu edlerem Ausdruck und dies gibt uns Hoffnung auf seine Zukunft als Künstler, daß dieser nicht dem eitlen Virtuosenwesen unterliegen werde. Zu thun bleibt ihm freilich noch manches übrig; fragt er, was? so antworten wir: habt nur helle Köpfe und spielt eure Sonaten nach einer Beethovenschen, Mozartschen, und seht dann zn, wo der Unterschied liegt. Was die Finger schaffen, ist Machwerk; was aber innen erklungen, das spricht zu Allen wieder und überlebt den gebrechlichen Leib. {{Right|13.

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{424}

Concertouverturen.

Julius Stern, Geistliche Ouverture. Werk 9. Partitur.

Das Titelblatt besagt, daß der Componist für diese Ouverture von der Akademie der Künste in Berlin die große Compositionsmedaille erhalten hat. Man darf mithin etwas erwarten. Aber es scheint, die musikalische Section jener Akademie hat kein Glück mit ihren Preisen: es sind sogar Schnitzer in der Ouverture stehen geblieben — so S. 7 Tact 6 die Octaven zwischen der ersten Violine und Baß, ebenda Tact 12 in denselben Stimmen —, auf die die Prüfenden doch wenigstens vor dem Drucke aufmerksam machen mußten, vom Geiste der Erfindung gar nicht zu reden. Denn wo sollte dieser auch herkommen bei einem Thema wie dem, das dem Componisten aufgegeben wurde? Gegen den letzteren haben wir nichts, er hat sein Talent in mancher anmuthigen Gesangcomposition schon bethätigt, aber gegen die Akademie, die ein solches Thema aufgab und einer solchen in jedem Falle mit Unlust gemachten Bearbeitung eine öffentliche Anerkennung ertheilte. Wie gesagt, die Ouverture ist nichts als eine ganz mechanisch gemachte Variation eines abgedroschenen Fugenthemas, wie sie jeder halbweg vorgerückte Schüler in jeder Stunde schreiben muß. Im kleinsten Liede des Herrn Stern steckt mehr Grund zu einer Medaille als in dieser ganzen Ouverture.

P. Lindpaintner, Kriegerische Jubelouverture. Werk 109. Partitur.

Was man von ihr zu erwarten hat, spricht der Titel aus. Es ist ein Gelegenheitsstück zur 25jährigen Regierungsfeier des Königs von Württemberg componirt und tritt mit allem möglichen Pomp auf, wie er bei solcher Gelegenheit an Ort und Stelle ist. Weber gab für diese Gattung den Ton an; seine Jubelouverture ist noch nicht übertroffen worden. Das God save the king benutzte, wie schon Weber, dann Marschner, Leibrock u. a., so auch Lindpaintner. Dazwischen bringt er aber Kriegsgetümmel und Siegesmarschähnliches an, wodurch sich diese Ouverture von ähnlichen unterscheidet. Man kann glauben, daß ein so gewandter Instrumentator, als welcher Lindpaintner bekannt ist, zu solchem Bild die rechten Farben zu nehmen verstanden.


{425} Ein großer Effect kann nicht ausbleiben. Auf dem Clavier nimmt sich das Stück gar nicht aus, es ist. als wenn man nach einer großartigen militärischen Revue sich eine Schachtel Soldaten aufstellen wollte. {{Right|23

Julius Rietz, Ouverture zu Hero und Leander für das Pianoforte

zu vier Händen. Werk 11.

Ein schönes bedeutendes Werk. Die neue Zeitschrift. scheint uns, hat ein Unrecht gegen diesen würdigen Künstler gut zu machen: wir finden nämlich die frühere Ouverture desselben,* in einem früheren Jahrgange in unerschöpfender und zu wenig anerkennender Weise besprochen, wovon die Schuld allerdings sein mag, daß dem damaligen Referenten** nur der Clavierauszug vorlag, und daß er sie noch nicht vom Orchester aufführen gehört hatte. Wir müssen dies aber hier anführen, weil uns jene erste Ouverture die glückliche Vorgängerin der zweiten scheint, weil, was dort fruchtbarer Keim, sich hier zu reiferer Entfaltung bereits entwickelt hat, weil, wenn schon dort ein höchst bedeutendes Streben, von einem nicht minder bedeutenden Talente getragen, sich geltend machte, dies von der späteren andern Ouverture in noch größerem Maße zu sagen ist. In der That, eine Zeit, die solche Werke hervorbringt, solche tüchtige Talente aufzuweisen hat wie Rietz u. a., braucht vor einer entschwundenen großen Periode nicht so sehr zu erröthen, wie einige Zurückgebliebene uns so gern einreden möchten, und darf auch mit Zuversicht auf eine noch ergiebigere Zukunft hoffen. Talent und Kenntniß reichen sich in diesem Werke die Hand zum schönen Bunde; es ist kaum ein unkünstlerischer Tact in ihm, wenn wir einige leise Anklänge an bekannte Werke ausnehmen. Hätte der Componist diese letzteren zu tilgen gesucht, wir würden ihm die Ouverture, wie sie jedenfalls das Beste ist, was er bis jetzt gegeben, auch als sein ganz und gar ihm zugehöriges Eigenthum anrechnen. Namentlich die Stelle zu Ende der zehnten und elften Seite störte uns als zu Mendelssohnisch; viel weniger einige andere, die an Stellen der Coriolanouverture und der neunten Symphonie von Beethoven erinnern, aber mehr im verwandten Charakter als, wie dort, in der melodischen Führung. Diese einzelnen Tacte abgerechnet,

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      * Werk 7. 
     ** O. Lorenz.


{426} haben wir allen Respect vor der Composition. Die Beherrschung der Form, die er vorzugsweise breit anlegt, die Erfindung, Bedeutsamkeit und Schönheit der einzelnen Motive, die äußerst edle Haltung des Ganzen, das alles ist gern und freudig anzuerkennen. Und daß wir die Hauptsache nicht vergessen, die Instrumentation, die uns bis auf einzelne etwas dichte, vielleicht noch zu lichtende Stellen, ganz meisterhaft und im Einzelnen ganz originell dünkt. Wir haben die Ouverture zweimal hier in Leipzig gehört;* sie hat beidemal diesen schönen Eindruck auf uns gemacht, und wir zweifeln nicht, daß sich dieser, je mehr das Orchester sie kennen lernt, noch steigern wird, wie dies bei der ersten Ouverture von Rietz schon der Fall war. Denn schwer ist sie, sehr schwer, in den einzelnen Instrumenten wie im Ensemble aller. Sorgfältig einstudirt, mit Liebe und Verständniß ausgeführt, wird und muß sie aber auch einen lohnenden Erfolg bringen.

Wir haben noch nichts über das Sujet gesagt; aber wer kennt jene rührende Sage nicht, die uns schon der alte Musäos in so anmuthiger Weise erzählte? Im Uebrigen gestehen wir, in Verlegenheit zu sein, wenn wir dem Schluß eine Auslegung geben sollten. Ist es die letzte Nacht der Liebenden, die der Tondichter schildern wollte, oder schwebte ihm nur das glückliche Liebespaar vor? Wir wissen’s nicht: aber eine so freudige Erhabenheit erklingt aus dem Schluß, daß wir weiter nicht nachgrübeln und dem Künstler nur uoch die Versicherung unserer Hochachtung aussprechen wollen, und im Speciellen unsern Dank für den reizenden Flötenlaufer, für den rührenden Gesang der Clarinette gleich im Anfange, für die brausenden Violoncells in der Einleitung, für die Trompeten am Schlusse, wo es D dur wird, und für so vieles, was ihm im Innern lebendig erklungen, auch in Allen, die ihm nachzufühlen verstehen, lebendig wiedererklingen muß. {{Right|13. _____________

    * Zuerst am 22. April 1841. Schumann schrieb Tags daraus in der Zeitschrift: „Die Ouverture ist bedeutend, in einem hochst edeln Charakter geschrieben, überhaupt eine früher gehörte desselben Componisten in jedem Betracht überwiegend, namentlich auch was das Colorit der Instrumentation anlangt“.


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Lieder und Gesänge.

Theodor Kirchner, Zehn Lieder für eine Singstimme mit Pfte. Werk 1.

Im jüngsten deutschen Sängerwald möchten diese ersten Blüthen eines noch sehr jugendlichen Compositionstalentes* mit zu den charakteristischsten gehören. Und erhalten wir nicht lauter Eigenes, so scheint doch alles aus so innerer Fülle geflossen, daß wir der Hoffnung vertrauen, der Frühling halte noch lange an und es werde ihm ein fruchtbringender Sommer nachfolgen.** Im Zusammenhange mit der fortschreitenden Dichtkunst ist der Franz Schubertschen Epoche bereits eine neue gefolgt, die sich namentlich auch die Fortschritte des einstweilen weiter ausgebildeten Begleitungsinstruments, des Claviers, zu Nutze machte. Der Componist nennt seine Lieder auch „Lieder mit Pianoforte“, und es ist dies nicht zu übersehen. Die Singstimme allein kann allerdings nicht alles wirken, nicht alles wiedergeben; neben dem Ausdrucke des Ganzen sollen auch die feineren Züge des Gedichts hervortreten, und so ist’s recht, wenn darunter nicht der Gesang leidet. Darauf hat nun freilich auch dieser junge Componist zu achten. Seine Lieder erscheinen häufig als selbständige Instrumentalstücke, die oft kaum des Gesanges zu bedürfen scheinen, um eine vollständige Wirkung zu machen; sie sind oft nur wie Übersetzungen der Gedichte für das Clavier, gewissermaßen Lieder ohne Worte, aber durch Worte angeregt; der Gesang in ihnen erscheint daher oft wie ein leises Hinlispeln der Worte, und der Hauptausdruck liegt meistens in der Begleitung. Daß es dem Componisten an melodischer Kraft fehle, wird Niemand sagen können, aber sie stützt sich noch zu sehr auf die Harmonie, und die Führung der Stimme trägt noch einen zu sehr instrumentalen Charakter. Wo aber überall so viel Talent, wirklich poetische Anlage hervorblickt, da ist nicht zu fürchten, daß der Componist stehen bleibe. Schon in den ersten Versuchen Talentvoller läßt sich eine gewisse Bildungsfähigkeit erkennen, die auch einen stärkeren Druck der Kritik nicht scheut, und diese Fähigkeit, wie die Bescheidenheit ein

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       * Kirchner war 18 Jahre alt.
      ** Zwei Hefte sehr genialer Clavierstücke, die so eben (1852), erschienen, haben die Prophezeiung wahlgemacht.   [Sch.]


{428} Zeichen wahren Talentes, scheint auch unserm Liedercomponisten inne zu wohnen, die er sich denn immer erhalten möge.

Der vorherrschende Charakter der Lieder ist der des Schwärmerischen, Sehnsüchtigen, die Wahl der Gedichte (von Heine, C. Beck, J. Mosen) eine dem entsprechende. Das süße Wühlen in Frühlingsgedanken, das sehnende Gefühl des Weiterschweifenwollens über Berg und Thal, wie es unsere Dichter so oft, so schön ausgesprochen — darin ergeht sich auch der junge Musiker am liebsten; solche Gedichte gelingen ihm am besten. Zum Vortrag der Lieder gehören geübte Hände und Stimmen, namentlich erstere, eben weil der Hauptausdruck meist in der Begleitung liegt, und auch die Fertigkeit wird’s nicht allein ausmachen sondern die Zartheit, der Schmelz der Schatten und Lichter. Für die bedeutendsten Stücke halten wir die Heineschen; sie sind vorzugsweise schwärmerisch und mit Liebe componirt, namentlich die beiden Frühlingslieder Nr. 4 und Nr. 6. In andern, wie in Nr. 9, stören einige etwas weit hergeholte Modulationen, wo es dem Componisten vielleicht gerade recht überschwenglich zu Muthe war. aber zum Schaden der sichern schönen Form, die er nicht mehr zu beherrschen wußte. Möchte denn die Zukunft den wohlwollenden Sinn dieser Zeilen bestätigen, die Anerkennung wird nicht ausbleiben, und man schreibe sich schon jetzt den Namen dieses talentvollen Musikers zu denen, die einen guten Klang in der Folge zu bekommen verheißen. {{Right|13.

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Symphonieen für Orchester.

Der letzte Bericht der Zeitschrift über neu erschienene Symphonieen reicht bis zum Januar 1841. Den wenigen, die seitdem gedruckt worden, ist der heutige gewidmet; ihre Componisten sind: R. Schumann. F. Müller (in Rudolstadt), W. Attern, Spohr. Mendelssohn.

Von der Symphonie des Ersteren erwähnen wir nur historisch, daß sie in Orchesterstimmen und vierhändigem Clavierauszug erschienen ist und in B dur steht. Von der des Zunächstgenannten [Werk 52, in Es] können wir, da uns keine Partitur im Augenblick vorliegt, nur aus der Erinnerung anführen, daß sie das Werk eines praktisch routinirten Musikers, klar und fleißig gearbeitet ist und manche Anklänge


{429} an die Art und Weise älterer Meister, wohl auch an Spohr, zu Gehör bringt. In diesem Sinne wurde sie schon früher nach ihrer ersten Aufführung in Leipzig besprochen.

Von der Symphonie von W. Attern (Werk16) liegt uns außer den gestochenen Stimmen auch die geschriebene Partitur vor. Es ist die zweite des Componisten; ein Urtheil über dessen erste steht Bd. XIII Nr. 49, das wir beinahe wörtlich auch für die zweite abschreiben möchten. Sie hat. wenn wir nicht die Verbindung der Einleitung, die aus H moll geht, mit dem Allegrosatze, der wie die andern Hauptsätze in D dur compomrt ist, ausnehmen, fast gar nichts Auffallendes an sich, so wenig wie etwa ein Bach, der durch stille Wiesen hinfließt; wir ergötzen uns, so lange wir ihn sehen; mit andern tieferen Eindrücken verschwindet natürlich der leichtere. Das Idyllische, Beschränkte und Genügliche des Werkes liegt im Vorigen genügsam angedeutet. Zu loben hätten wir nur noch den Musiker, der sein Material klug verwendet und zierlich und reinlich zu instrumentiren versteht. Die mitwirkenden drei Posaunen scheinen uns, dem ganzen Charakter der Symphonie nach, allein überflüssig; wo Flöten und Hoboen ausreichen, einen Gedanken auszusprechen, da können jene Instrumente sogar verderben. Bescheidenen Ansprüchen, wie man sie etwa in kleineren Städten hat, wie sie kleinere Orchester zu erfüllen vermögen, genügt denn diese freundliche Symphonie vollkommen. Wohl dem, der seine Kräfte kennt; er wirkt im engen Kreise dasselbe, was der Höherbegabte in weiten. Der Componist ist in dem Falle; bleibe er auch nicht stehen und bilde sich in steter Progression weiter; die Achtung der Welt wird ihm nicht entgehen.

Von Spohr liegen uns zwei neue Symphonieen vor, die in dem Zeitraume von kaum drei Jahren erschienen. Die erste (von den sieben, die er geschrieben, die sechste) wurde schon nach ihrer ersten Aufführung in Leipzig in diesen Blättern ziemlich ausführlich besprochen [S. 298], es ist seine historische [Werk 116]. Wir wüßten dem früher Gesagten kaum etwas zuzusetzen. Es hieß dort u. a.: „Eine merkwürdige Erscheinung bleibt es gewiß, daß in unserer Zeit schon mehrere Versuche gemacht wurden, uns die alte vorzuführen etc. Man kann nichts dagegen haben; die Versuche mögen als Studien gelten, wie ja die Gegenwart neuerdings ein Wohlgefallen am Rococo-Geschmack zeigt. Aber daß gerade Spohr auf die Idee fällt, Spohr, der fertige, abgeschlossene Meister, er, der nie etwas über die Lippen gebracht, was nicht seinem eigensten Herzen entsprungen, der immer beim

{430} ersten Tone zu erkennen — dies muß wohl Allen interessant erscheinen. So hat er denn auch die Aufgabe gelöst, wie wir beinahe erwarteten; er hat sich in das Aeußere, die Form verschiedener Stile zu fügen geschickt; im Uebrigen bleibt er der Meister, wie wir ihn lange kennen und lieben; ja es hebt gerade die ungewohnte Form seine Eigenthümlichkeit noch schreiender hervor, wie denn etwa ein irgend von der Natur Ausgezeichneter sich nirgends leichter verräth, als wenn er sich maskirt. So ging Napoleon einstmals auf einen Maskenball und war kaum einige Augenblicke da, als er schon — die Arme ineinander schlug. Wie ein Lauffeuer ging es durch den Saal: „der Kaiser!“ Aehnlich konnte man bei der Symphonie in jedem Winkel des Saales den Ausruf „Spohr“ und wieder „Spohr“ hören.“— Diesen Worten, die unmittelbar nach dem zuerst empfangenen Eindrucke niedergeschrieben wurden, wüßten wir, wie gesagt, auch jetzt, wo wir das Werk in der gedruckten Ausgabe kennen gelernt, nur wenig hinzuzufügen. Einzelne feine schöne Züge entdecken sich natürlich in jedem Werke Spohrs, je mehr man mit ihm vertraut wird, und so möchten wir auch an dem früher ausgesprochenen Urtheile über den letzten Satz der Symphonie einiges mildern, dem wir damals eine ironische Absicht unterlegten, während wir jetzt dies Spiegelbild der Gegenwart weniger grell finden. Hat sich übrigens nicht schon in den letzten drei Jahren manches geändert? Würde Spohr jetzt nicht manches anders schreiben? Ja, wir hoffen’s, den Lebensabend des würdigen Meisters werden noch die ersten Strahlen einer besseren Zeit umleuchten, als er sie in dem Schlußsatze seiner Symphonie charakterisirte. Am besten aber widerlegte sich Spohr selbst durch seine neuste Symphonie, der wir noch einige Worte zu widmen haben, wenige, — denn wer könnte noch etwas zu seinem Lobe sagen, das nicht schon gesagt worden! Das Werk ist aber in vieler Beziehung merkwürdig und läßt sich in der Eigenthümlichkeit seiner Entstehung, Form und Ausdrucksweise nur mit der früheren [Symphonie] Spohrs, der „Weihe der Töne“ vergleichen. Wie dort, wählte er sich auch hier ein Thema, das er mit der etwas allgemein gesagten Hauptüberschrift „Irdisches und Göttliches im Menschenleben“ bezeichnete und in drei Sätzen ausarbeitete, von denen jeder wieder ein besonderes Motto hat. Mit andern Worten, der erste Satz schildert die Kinderwelt, der zweite die Gefahren des Jünglings-, wohl auch des Lebens des Mannes, der dritte endlich den Sieg des Guten über das Böse. Wir gestehen, ein Vorurtheil gegen diese Art des Schaffens zu haben, und theilen dies vielleicht mit hundert gelehrten


{431} Köpfen, die freilich oft sonderbare Vorstellungen vom Componiren haben und sich immer auf Mozart berufen, der sich nichts bei seiner Musik gedacht haben soll. Wie gesagt indeß, das Vorurtheil haben wohl Manche, auch Nicht-Gelehrte, und hält uns daher ein Componist vor seiner Musik ein Programm entgegen, so sag ich: „vor Allem laß mich hören, daß du schöne Musik gemacht, hinterher soll mir auch dein Programm angenehm sein“. Es ist eben ein Unterschied, ob ein Goethe nach aufgegebenen Endreimen einmal dichtet oder ein Anderer. Drum wird auch Niemand der Spohrschen Symphonie ihre Schönheiten wegphilosophiren können, eben weil es etwas Anderes ist, wenn er sich ausnahmweise eine Aufgabe stellt oder ein Anfänger der Kunst. Ueber all' dieses ist schon bei der „Weihe der Töne“ hin und her geredet worden, und der Kampf fängt schon wieder an aufzulodern über das Etwas-sich-nicht-denken-sollen beim Componiren und das Gegentheil. Die Philosophen denken sich die Sache auch wohl schlimmer, als sie ist; gewiß, sie irren, wenn sie glauben, ein Componist, der nach einer Idee arbeite, setze sich hin wie ein Prediger am Sonnabend-Nachmittag und schematisire sein Thema nach den gewöhnlichen drei Theilen und arbeite es überhaupt gehörig aus; gewiß, sie irren. Das Schaffen des Musikers ist ein ganz anderes, und schwebt ihm ein Bild, eine Idee vor, so wird er sich doch nur erst dann glücklich in seiner Arbeit fühlen, wenn sie ihm in schönen Melodieen entgegenkommt, von denselben unsichtbaren Händen getragen, wie die „goldenen Eimer“, von denen Goethe irgendwo spricht. Drum, behaltet euer Vorurtheil, zugleich aber prüft und laßt die Pfuschereien des Schülers nicht den Meister entgelten.

Sagen wir’s denn kurz, es liegt über dieser neusten Symphonie Spohrs ein Zauber ausgegossen, wie kaum über einer anderen. Wir könnten nicht sagen, daß uns besonders große, neue Gedanken aus ihr entgegenklängen, andere, als wir schon von Spohr gehört; aber diese Reinheit und Verklärtheit des Klanges findet man nicht leicht wo anders. Den Zauber des Kolorits zu erhöhen, kam dem Componisten freilich zu statten, daß er sich zwei Orchester zu seiner Verfügung stellte, und das ist auch eine von den Ideen, auf die nicht Jeder fällt, oder fällt er darauf, sie fahren läßt aus Gründen. Denn gehört schon zur Beherrschung eines Orchesters in der Partitur ein Meister, ein wie viel größerer, wenn er mit zweien zu thun hat. Viel Nachahmung wird denn das Unternehmen schwerlich finden, und sie ist in anderem Sinne auch nicht einmal zu wünschen. Interessant wäre es

{432} hier, die Frage zu beantworten, was wohl Beethoven aus einer solchen Idee gemacht haben würde. Sollte man nicht das Ungeheuerste von ihm erwarten? — Wir glauben, er hätte sie nicht einmal benutzt, und sie liegt viel mehr im Charakter des Meisters im Zarten und Feinen wie Spohr, als in dem des gewaltigen Beethoven. Spohr war es wohl auch, der das erste Doppelquartett schrieb, wie schon in diesen Blättern ausgesprochen wurde.

Zwei Orchester sind denn in der Symphonie thätig, von denen das eine einen mehr obligaten Charakter hat und (ohne die starken Messing- und Schlaginstrumente) nur einfach besetzt werden soll, das andere aber, bis etwa auf die Hoboen und Fagotten, die immer einstimmig spielen, die gewöhnliche starke Besetzung verlangt. Daß diese ungewöhnliche Art der Instrumentation der Aufführung an manchen Orten hinderlich sein wird, ist natürlich; im Uebrigen halten wir die Symphonie für nicht so schwierig wie z. B. die „Weihe der Töne“.

Weicht denn die Symphonie in Vielem vom Herkömmlichen ab, so auch in der Form, in der Folge der Sätze; der erste, ein Gemälde seligen Kinderlebens, ist nach einer langsamen Einleitung ein Allegretto; wir möchten ihm den Preis geben; grüne Matten breiten sich vor uns aus, und unter einem wolkenlosen Himmel spielen die Kinder zu Scharen; dazwischen sieht man wohl auch das wehmüthig lächelnde Auge des Meisters selbst, und wie er sich gern seiner eigenen Kinderzeit erinnern mag.

Den Charakter des zweiten Satzes haben wir schon oben nach dem Inhalte des Mottos bezeichnet. Er schildert gut, was er will; dem dumpfen, zweifelnden Anfange folgt ein leidenschaftliches Allegro; auch hier sieht überall der edle Meister selbst durch, der die Verirrungen seines Lieblings (einen Helden der Symphonie angenommen) gleichsam selbst mit zu beklagen scheint.

In diesem Satze ist mir eine einzige Stelle aufgefallen, von der mir scheint, daß sie vielleicht nicht ganz die Wirkung macht, die sich der Componist davon versprochen; es ist dies das Solo der Violine des ersten Orchesters, die gegen die Massen des andern nicht auskommen kann und zu dünn klingt. Eine Verstärkung wäre natürlich sehr leicht zu erreichen gewesen; aber es scheint, der Componist lege Gewicht darauf, daß ein Einziger sie spiele, und wir glauben seine Idee zu verstehen. So wäre denn von einstudirenden Dirigenten darauf zu sehen, daß das zweite Orchester mit seiner Stärke möglichst an sich halte.

{433} Im dritten Satze sehen wir den Dichter nun ganz auf seinem Felde; der Böse entflieht und die Kraft des Guten siegt. In der Erfindung der Themas erinnert dieser an Anderes von Spohr, namentlich auch an den letzten Satz des ungefähr in gleicher Zeit geschriebenen Trios in E moll, und auch der Schluß erinnert an den der „Weihe der Töne“, ohne deshalb einen schönen erhebenden Eindruck zu verfehlen.

So schließt der Meister. Laßt uns ihm folgen, in der Kunst, im Leben, in seinem ganzen Streben! Der Fleiß, der aus jeder Zeile der Partitur hervorgeht, ist wahrhaft rührend. Er sei uns mit unsern größten Deutschen ein leuchtendes Vorbild!

Auf die neue Symphonie von F. Mendelssohn Bartholdy [Werk 56, A moll] waren wohl Alle, die die glänzende Bahn dieses seltenen Gestirns theilnehmend bisher verfolgt, auf das Höchste gespannt. Man sah ihr wie gleichsam seiner ersten Leistung auf dem symphonistischen Gebiete entgegen; denn seine wirklich erste Symphonie in C moll fällt beinahe in die früheste Jugendzeit des Künstlers,* seine zweite [A dur], die er für die philharmonische Gesellschaft in London schrieb, ist durch den Druck nicht bekannt geworden;** die Symphoniecantate endlich, der „Lobgesang“, kann nicht als eine rein instrumentale Arbeit betrachtet werden. So fehlte im reichen Kranze seiner Schöpfungen, die Oper ausgenommen, nur noch die Symphonie: in allen andern Gattungen hatte er sich schon fruchtbar gezeigt.

Wir wissens durch dritte Hand, daß die Anfänge der neuen Symphonie zwar auch in eine frühere Zeit,*** in die von Mendelssohns Aufenthalt in Rom fallen; die eigentliche Vollendung geschah aber erst in jüngster. Zur Beurtheilung ihres ganz besondern Charakters ist dies gewiß interessant zu erfahren. Wie wenn wir aus einem alten verlegten Buche plötzlich ein vergilbtes Blatt herausziehen, das uns an eine entschwundene Zeit erinnert, und diese nun in ganzer Helle wieder auftaucht, daß mir die Gegenwart vergessen, so mögen wohl auch die Phantasie des Meisters, als er jene alten im schönen Italien gesungenen Melodieen wieder in seinen Papieren fand, holde Erinnerungen umspielt haben, so daß, bewußt oder unbewußt, endlich dieses zarte Tongemälde entstand, das einen wohl, wie etwa die italiänische Reisebeschreibung in Jean Pauls Titan, die Trauer, jenes gesegnete

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        * Wahrscheinlich in das Jahr 1824.
      ** Sie wurde nach Mendelssohns Tode gedruckt und trägt die Werkzahl 90. 
     *** 1830.


{434} Land nicht gesehen zu haben, auf eine Weile vergessen machen könnte. Denn daß durch die ganze Symphonie ein eigenthümlicher Volkston weht, ist schon mehrfach ausgesprochen worden, — ein ganz phantasieloser Mensch nur wird dies nicht merken. Das besondere reizende Colorit ist es denn auch, das, wie der Franz Schubertschen Symphonie, so der Mendelssohnschen eine besondere Stelle in der Symphonieliteratur sichert. Das herkömmliche Instrumentalpathos, die gewohnte massenhafte Breite trifft man in ihr nicht, nichts was etwa wie ein Ueberbieten Beethovens aussähe, sie nähert sich vielmehr, und hauptsächlich im Charakter, jener Schubertschen, mit dem Unterschiede, daß, während uns die letztere eher ein wildes, zigeunerisches Volkstreiben ahnen läßt, uns die Mendelssohns unter italiänischen Himmel versetzt. Darin liegt zugleich ausgesprochen, daß der jüngeren ein anmuthig gesitteterer Charakter innewohnt und daß sie uns weniger fremdartig anspricht, indeß wir freilich der Schubertschen wieder andere Vorzüge, namentlich den reicherer Erfindungskraft zusprechen müssen.

In der Grundanlage zeichnet sich die Symphonie Mendelssohns noch durch den innigen Zusammenhang aller vier Sätze aus; selbst die melodische Führung der Hauptthemas in den vier verschiedenen ist eine verwandte; man wird dies auf eine erste flüchtige Vergleichung herausfinden. So bildet sie denn mehr als irgend eine andere Symphonie auch ein engverschlungenes Ganze; Charakter, Tonart, Rhythmus weichen in den verschiedenen Sätzen nur wenig von einander ab. Der Componist wünscht auch selbst, wie er in einer Vorbemerkung sagt, daß man die vier Sätze ohne lange Unterbrechung hinter einander spiele.

Was das Rein-Musikalische der Composition anlangt, so ist wohl über deren Meisterlichkeit Niemand in Zweifel. An Schönheit und Zartheit des Baues im Ganzen und der Bindeglieder im Einzelnen stellt sie sich neben seine Ouverturen; an reizenden Instrumentaleffecten ist sie nicht minder reich. Wie fein Mendelssohn einen älteren Gedanken wiederzubringen, wie er einen Rückgang zu schmücken versteht, daß uns das Frühere wie in neuer Beleuchtung entgegentritt, wie reich und interessant das Detail ohne Ueberladung und philisterhafte Gelehrtthuerei, davon gibt jede Seite der Partitur neue Beweise.

Die Wirkung der Symphonie auf das Publicum wird zum Theil mit von der größeren oder minderen Virtuosität des Orchesters abhängen; dies ist freilich immer so, hier aber, wo weniger die Kraft der Massen als die ausgebildete Zartheit der einzelnen Instrumente in Anspruch genommen wird, doppelt der Fall. Vor Allem verlangt sie

{435} zarte Bläser. Am unwiderstehlichsten wirkt das Scherzo; es ist in neuerer Zeit kaum ein geistreicheres geschrieben worden; die Instrumente sprechen darin wie Menschen.

Der Clavierauszug ist vom Componisten selbst und mithin gewiß das treueste Abbild, das gedacht werden kann. Trotzdem läßt er oft nur die Hälfte der Reize der Orchesterwirkungen ahnen.

Der Schluß der ganzen Symphonie wird widerstreitende Meinungen hervorrufen, es weiden ihn Manche im Charakter des letzten Satzes erwarten, während er, das Ganze gleichsam kreisförmig abrundend, an den Anfang des ersten erinnert. Wir können ihn nur poetisch finden, er ist wie der einem schönen Morgen entsprechende Abend. {{Right|S.

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Antonio Bazzini.

Das Publicum fängt seit Kurzem an, einigen Ueberdruß an Virtuosen merken zu lassen und (wie sie es schon öfters gestanden hat) diese Zeitschrift auch. Daß dies die Virtuosen selbst fühlen, scheint ihre neuerdings entstandene Auswanderungslust nach Amerika zu beweisen, und es gibt manche ihrer Feinde, die dabei den stillen Wunsch hegen, sie möchten in Gottes Namen ganz drüben bleiben; denn, alles in allem erwogen, zum Besten der Kunst hat die neuere Virtuosität nur wenig beigetragen. Wo sie uns aber in so reizender Gestalt entgegentritt wie bei dem obengenannten jungen italiäner, da lauschen wir gern noch stundenlang, — in Kurzem sei es gesagt, es hat mir seit Jahren kein Virtuos so innige Freude gemacht, mich so wohlig und glücklich gestimmt, als A. Bazzini. Er scheint mir bei Weitem zu wenig anerkannt, auch hier nicht in dem Grade gewürdigt worden zu sein, als er es verdient. Die norddeutschen Publicums entschließen sich nun einmal schwer, einem Künstler einen Namen zu machen; kommt er etwa aus Paris, vielleicht auch mit einem Orden, so hilft ihnen das schon eher über die Zweifel hinweg. Bazzini kam fast ohne allen Namen hierher, trat anspruchslos auf; im Geräusch der Messe ist’s ohnedies schwerer, sich bekannt zu machen; man erwartete denn einen Salonspieler, wie man sie schon zu Dutzenden hier gehört. Er ist gewiß bei Weitem mehr, und nähme man ihm seine linke Hand (zum Anfassen der Violine), er würde mit der andern noch schreiben können

{436} und sich unter den bekannten italiänischen Compositionscelebritäten noch ganz gut ausnehmen; mit andern Worten, er hat auch offenbar productives Talent, und bei einiger erlangter Theaterkenntniß gewiß ebenso viel Recht wie Herr Donizetti etc., Opern zu schreiben. Sein „Concert“ bewies es am deutlichsten; der natürliche Guß des Ganzen, die meist discrete Instrumentirung, der wirklich bezaubernde Schmelz und Wohlklang in einzelnen Stellen — von alle diesem haben ja die meisten Virtuosen kaum eine Ahnung. italiäner ist er durch und durch, aber im besten Sinne, als käme er aus dem Lande des Gesanges, nicht einem Lande, das da oder dort liegt, aus jenem unbekannten ewig heitern, so war mir’s manchmal bei seiner Musik.

Als Spieler nun insbesondere rangirt er gewiß zu den größten der Gegenwart; an eminenter Fertigkeit, an Anmuth und Fülle des Tones, und vor Allem an Reinheit und Ausdauer wüßt' ich keinen, dem er es nicht gleich thäte; an eigenthümlicher Frische, Jugendlichkeit und Gesundheit des Vortrags überragt er wohl die meisten, und vergegenwärtige ich mir mancher, namentlich belgischer Virtuosen herz- und seelenloses blasirtes Wesen, so kommt er mir wie ein Jüngling unter Greisen vor, dem, trotz daß er schon aus solcher glänzenden Höhe, eine noch glänzendere Zukunft bevorsteht.

Dies Urtheil zu unterschreiben, hätte ich nur das Scherzo über Themas aus der Aufforderung zum Tanz von Weber und sein Concert zu hören gebraucht und gewünscht. An den beiden folgenden Stücken sah ich nur ungern, daß er auch dem Publicum zu schmeicheln nicht verschmäht; hier war weniger Musik, aber eine Anhäufung von Violinkünsten, in denen es nun einmal Paganini Niemand nachthun wird. In dieser Weise wolle er letzteren und sich selbst nicht überbieten; sie scheint mir sogar außer seiner Natur zu liegen, die zu gefallen und zu bezaubern nur ihre einsachen Reize zu entfalten braucht; zu Kunstgriffen der Kokette seine Zuflucht zu nehmen, hat er nicht nöthig.

Möge denn die Welt dem jungen liebenswürdigen großen Künstler die Theilnahme zuwenden, mit der sie gegen weniger Würdige oft verschwenderisch genug war. Es zeichnet ihn auch noch eine Eigenschaft aus, die der Bescheidenheit; da ist nichts, was uns spannen und in Verwunderung setzen will. Weltmüder, blasser Virtuosengestalten haben wir nun schon genug gehabt; erfreut euch nun auch einmal an einem kräftigen Jünglingsgesicht, dem Heiterkeit und Lebenslust aus den Augen blickt, wie sie nur ein in sich wahrhaft glückliches Gemüth zurückzuspiegeln vermag. {{Right|Sch.

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Kürzere Stücke für Pianoforte.

A. Rubinstein, „Undine“, Etüde. Werk 1.

Die erste Arbeit des talentvollen Knaben, der sich als Spieler einen schon so großen Ruf gemacht. Ob er auch bedeutendes productives Talent habe, läßt sich nach dieser vorliegenden ersten Leistung weder behaupten noch verneinen. Daß in dem kleinen Stücke das Melodische vorwiegt, ohne gerade eine schöne neue Melodie zu bieten, läßt hoffen, daß er das wahre Wesen der Musik zu begreifen angefangen und sich in diesem Sinne immer glücklicher entwickeln werde. Der Titel der Etüde findet seinen Grund zumeist in der wellenförmigen Art der Begleitungsfigur, etwas Originelleres, durch und durch Gelungenes konnten wir von so jungen Jahren* nicht erwarten. In keinem Falle durften aber unreine Harmonieen stehen bleiben wie

  1. Notenbeispiel

Jeder irgend leidlich gewandte Musiker hätte ihm die Stelle verbessern können.

Julius Hopfe, Vier zweistimmige Fugen.  Werk 29.

Derartige Versuche junger Componisten sind zu selten, als daß wir nicht mit besonderem Vergnügen darauf hinwiesen, und nennt sie Beethoven im Schaffenszorn auch einmal „zweibeinige Skelette“ u. dgl., so sind sie uns noch immer hundertmal lieber als die Bravaden junger Virtuosen, aus denen nie was Rechtes wird. Daß die „Skelette“ natürlich keinen ungeheuerlichen Eindruck hervorzubringen vermögen oder sonst eine Revolution in der Musik, glaubt wohl Jeder von vornherein. Ueberall aber müssen wir das Talent und den Fleiß des Verfassers anerkennen, der mit so Wenigem in einer der undankbarsten

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     * Rubinstein stand im vierzehnten Lebensjahre; am 9. October 1842 war er zum erstenmal in Leipzig als Spieler aufgetreten.

{438} Setzarten so Lobenswerthes zu erreichen wußte. Einige allzu gewöhnliche Sequenzen ausgenommen, behagen uns die Fugen in ihrer Klarheit und Regelrichtigkeit ganz gut, am besten die letzte, die uns in Thema und Ausführung die lebendigste scheint. Noch eines: eine Fuge wirkt viel kräftiger nach einem Präludium, und Bach hatte gewiß seine guten Gründe, daß er die meisten seiner Fugen mit Vorspielen einleitete. Wir wünschen, daß sich der Componist bei späteren ähnlichen Arbeiten diesen Wink nicht entgehen lasse.

Carl Voß, „Der Traum der Kriegerbraut“, Impromptu für 

die linke Hand allein. Werk 38.

Irren wir nicht, so existirt ein Bild eines neuern französischen Malers unter gleichem Titel. Vielleicht hat es der Autor bei der Hand gehabt (die rechte bot sich ihm dazu von selbst) und in Tönen nachzukneten versucht, was freilich in der Malerei schon schwer auszudrücken war. Ließe sich nach den Kleidern auf den Menschen, nach Titeln auf den Inhalt schließen, so dürfte der Verfasser auf ein Lob von uns lange warten. In der Musik gibt es nun einmal keine „Kriegerbräute“, sondern nur Septimen- und andere Accorde, und die „linke Hand“ allein hat schon Noth, diese zu bewältigen, geschweige denn auch noch an die Träume der ersteren zu denken. Doch wir gehen über den geschmacklosen Titel hinweg, ihm kein weiteres Gewicht beilegend, zur eigentlichen Musik, die ebenso gut eine Etüde für die linke Hand ist wie viele ihres Gleichen. Ein Concert für zwei Hände halten wir freilich höher, und die Zeitschrift hat schon öfter ausgesprochen, daß mit solchen mechanischen Kunststücken Niemandem und der Kunst nicht genützt wird. Die Mühe, die der Spieler aufbietet, ist entsetzlich, und was der Eindruck? kaum ein anderer als der eines holperig und stolperig gespielten Stückes für zwei Hände. Geschicklichkeit und einiges Talent wollen wir dem Verfasser nicht absprechen, er verwende sie aber auf Würdigeres und Belohnenderes.

R. Willmers, „Sehnsucht am Meere“, Musikalisches Tongemälde. W. 8. 
„          „         Gr. Phantasie über ein Thema von Prume.  Werk 9.
„          „         Gr. Concertvariationen über ein Thema v.Bellini.  W. 10.
„          „         Notturno.  Werk 12.

Außer diesen Compositionen liegen uns von demselben Verfasser einige Uebertragungen von Liedern von Reichardt und Himmel vor, die


{439} überall den geschickten brillanten Clavierspieler verrathen, als der er sich bei seiner jüngsten Anwesenheit in Paris auf das Ehrenvollste bethätigte. Wir kennen ihn als Spieler und Compositionstalent schon seit früher, und die Zeitschrift hat schon öfter ihr Interesse an seinen Leistungen ausgesprochen. Wir bedauern so doppelt, ihn jetzt auf einem von uns an unzähligen Stellen als gänzlich verwerflich bezeichneten Wege vorschreiten zu sehen, auf dem er unmöglich dem Schicksale entgehen kann, dem alles Eitle, Modesüchtige, Virtuosische mit der Zeit unterliegt. Gerade von ihm, der eine strenge Schule durchgemacht, von dem wir wissen, daß er gar wohl Beethoven von Bellini zu unterscheiden weiß, erwarteten wir etwas ganz Anderes. Ja, es tritt uns in diesen Sachen das moderne Virtuosenthum nicht einmal in seinen glänzenden Seiten entgegen, wie sie durch Liszt und Thalberg vertreten werden, von denen dem ersteren Niemand Genialität in Combination mechanischer Schwierigkeiten, Erfindung wirklich neuer Instrumentllleffecte etc. absprechen kann, ebenso wenig wie dem andern eine Salongrazie, eine Berechnung und Kenntniß des Effectes etc., daß er überall einnehmen und enthusiasmiren muß. Den Compositionen des Hrn. Willmers klebt eine ganz eigene Trockenheit und Philisterhaftigteit an, als traue er seinen feinen Manieren selber noch nicht, als höre er in der Ferne das Donnerwort seines alten Dessauer Meisters,* dem, wie uns, solche Bestrebungen unmöglich erfreulich sein können. Dieser Trockenheit halber, die sich nun eben in Liszt-Thalbergscher Manier bewegt, dieselben Schwierigkeiten ohne deren Reize bringt, glauben wir sogar, daß seinen Producten nicht einmal in den Kreisen, für die sie berechnet sind, die Theilnahme folgen wird, die jene gefunden und die wir uns vom virtuosischen Standpuncte aus genommen gar wohl erklären können. Es gibt unsrer Meinung nach nur zwei Ausflüchte für Hrn. Willmers, entweder ganz umzukehren von der seichten Bahn, die er betreten, oder sich dem Schlechten gänzlich in die Arme zu werfen. Im letztem Falle muß er’s noch viel toller machen, als es Andere vor ihm gemacht; er muß zwanzigstimmige Accorde hinschreiben können, Quinten und Octaven müssen ihn nicht geniren, er muß eine Form bringen, gegen die das Zerrissenste Liszts unschuldiges Kindergelalle ist; er muß mit einem Worte ganz und gar vergessen, daß es eine Würde, daß es etwas Schönes und Ewiges in der Kunst gibt. An Lorbeeren und Verlegern wird es ihm nicht

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    *  Fr. Schneider.

{440} fehlen; nur das Eine fürchten wir, — es wird nicht lange dauern; die Kränze, die das Publicum flicht, zerrupft es selber wieder, sie in anderer Weise einem Anderen darzubringen, der sich auf besseres Amüsement versteht. Bedeute er dies und ergreife noch früh genug Anstalten zur Umkehr. Man kann sich auch die Gunst der Künstler verscherzen und dann will’s doppelte Anstrengung, sich in die Höhe zu raffen, sich wieder in Respect zu versetzen. Bedenke er dies. Von sämmtlichen Compositionen, die wir oben nannten, finden wir nur im Notturno eine edlere Haltung, einen Anflug von wirklich empfundener Musik, allenfalls auch in der „Sehnsucht am Meere“, obwohl in beiden noch Affectives und Seichtes genug; vollkommen verwerflich aber sind die andern Sachen und nichts als ein Conglomerat nicht einmal interessanter und geschmackvoller Passagen, eine Art der Composition, von der man sich nur unwillig abwenden kann. Der Componist ist noch jung,* wir wissen dies; wir wissen auch, es wird noch Schlechteres und von Talentloseren gedruckt. Aber eben wir richten nicht allein nach den Leistungen, sondern auch nach den Gaben, die Jemand hat. und es ist uns in der Ueberzeugung, daß wir es mit einem jungen Talente zu thun haben, dessen ungewöhnliche Begabung wir durchaus zugeben, doppelt schmerzlich zu gestehen, daß wir hier so wenig Würdiges und Ungemeines von ihm zu berichten gehabt haben. {{Right|13.

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Concerte und Concertstücke für Pianoforte

mit Orchester-Begleitung.

Ferdinand Kufferath, Capriccio (Cis moll). Werk 1.

Die Zeitschrift hat schon mehrere Arbeiten dieses talentvollen jungen Componisten besprochen, der einige Zeit in unserer Nähe lebte und, wenn auch nicht Schüler Mendelssohns, von ihm Rath und Belehrung erhielt. Dieser Einfluß äußert sich auch in der vorliegenden Composition unverhohlen, und stärker zwar als in anderen späteren, die uns mit seinem Namen zu Gesicht gekommen. Eine neue Seile

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        * 22 Jahre.


{441} der Kunst zeigt uns somit das Capriccio nicht, immerhin aber ein achtungswerthes Streben, doppelt dies in unserer Zeit, wo die meisten Claviercomponisten aus Unkenntniß des Orchestersatzes etwas Aehnliches kaum hervorzubringen vermögen. Wir erinnern uns, das Capriccio hier mit Begleitung des Orchesters gehört und an der sinnigen discreten Instrumentirung uns damals erfreut zu haben.* Ist, wie wir hoffen, der Componist seitdem nicht stehen geblieben, so dürfen wir immer Gediegeneres in dieser Gattung von ihm erwarten, und auch auf Anerkennung darf er rechnen; denn das Verlangen nach derartigen Compositionen wird, wie gesagt, immer dringender. Was dem Capriccio im Speciellen fehlt, ist ein anmuthiger melodischer Charakter, jener Zauber des Wohlklanges, wie er uns auch aus dem Ernste des Meisters entgegenströmt. Vielleicht trägt zum Gedrückten, Dumpfen der Wirkung auch die Tonart, Des dur und Cis moll, bei; das Orchester arbeitet nun einmal in diesen und ähnlichen schwer und ungern, Jean Paul würde sagen, wie in Blechhandschuhen. Mag dies ein Wink für den jungen Tonsetzer sein, später leichtere zu wählen, wenn er wieder in Verbindung mit Orchester schreibt. Diesem eigensinnigen Ungeheuer müssen sich nun einmal in gewissen Beziehungen Alle bequemen. Mit den besten Hoffnungen für die Zukunft des Künstlers sehen wir seinen späteren Leistungen entgegen.

'W. Sterndale Bennett', Capriccio (E dur).  Werk 22.

Dies Capriccio theilt alle Vorzüge, die wir schon so oft an den Compositionen dieses bedeutendsten aller lebenden englischen Componisten zu loben hatten. Das Eine fangen wir zu fürchten an, Bennett scheint sich immer fester in eine Manier einzuspinnen, aus der er zuletzt nicht mehr herauskommen wird. Er sagt seit Kurzem immer dasselbe, nur in veränderter Form; je vollkommener er die letztere zu beherrschen gelernt hat, je mehr scheint die eigentliche Erfindungskraft in ihm abzunehmen. Er müßte, seinen Kräften einen neuen Sporn zu geben, sich auf große Arbeiten werfen, auf die Symphonie, die Oper etc., müßte sich vom Niedlichen, Spielerischen abwenden, der Kraft, der Leidenschaft eine Sprache finden. Vielleicht, daß dies schon ohne unser Zuthun geschehen. Wir wollen’s hoffen, in jedem Falle dankbar gegen ein Talent, das zu den echtesten der Gegenwart gehört.

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      * S. Seite 290.

{442}

'Aloys Schmitt', Brillantes Rondo. Werk 101.

Der Componist ist bekannt genug in seiner Seitenverwandtschaft zur Hummelschen Schule, die auch dies Rondo auf das Deutlichste verräth. Was wir in den meisten Leistungen jener finden, Correctheit, Klarheit und Fluß des Satzes, finden wir auch hier, und den Fieldschen Beigeschmack, den das Rondo außerdem hat, erklärt der Autor selbst durch den Titel „Souvenir à John Field“, den er seinem Werke gegeben. Eins ist uns aus ihm wieder recht klar geworden: wie sich Zeit und Ansprüche in den letzten 10 bis 15 Jahren verändert haben. Das Rondo, früher gedruckt, würde sich Eingang verschafft haben, jetzt, wir fürchten, gelingt es ihm nicht. Wir sind ganz und gar über jene Halbgattung von Musik hinaus, wo der Componist den Virtuosen, und dieser jenen glänzen lassen wollte. Beethoven, der arme bespöttelte Beethoven, ja der ist’s freilich, der zu fürchten war, der hat uns doch andere Begriffe von Musik beigebracht. Aber auch gute bürgerliche Prosa sei unverwehrt, wenn sie von der Bornirtheit nicht etwa der Poesie eines Unsterblichen, wie Beethoven, gleichgesetzt wird. Es geschieht auch schon seltener, die Köpfe sind heller geworden.

Wir kommen jetzt zu den eigentlichen Concerten oder auch Concertinos, die neuerdings erschienen, und möchten mit einem tiefen Seufzer anfangen über die Unfruchtbarkeit, die sich auf diesem Gebiete der Claviermusik zeigt, über die wenige Bedeutendheit des wenigen Erschienenen; quantitativ wie qualitativ steht es wirklich traurig um die Gattung, Ein Concertino von J. Rosenhain [Werk 30] bestärkt uns in dem Verdachte, den wir schon seit einiger Zeit zu schöpfen anfingen, daß dieser nicht unbegabte Componist immer mehr nachlasse im Streben und dem unrettbaren Loos eines Routiniers mit den Jahren anheim fallen werde. Wir wssen wohl, es gibt Verhältnisse, wo sich der Künstler zu seinem Erröthen vergessen, wo er schreiben muß für Verleger und Publicum. Aber nur die drängendste Notwendigkeit hätte hier einen Anspruch auf Nachsicht der Kritik; in jedem andern Falle wäre Schonung an unrechter Stelle. Wir haben denn über das Concertino nichts zu sagen als: es ist eine Speculationsarbeit, in jenen brillanten Flitter versteckt, wie er Wirkung macht etwa an Geburtstagen gerührter Väter talentloser Töchter; von Musik ist da keine Rede.

Ueber ein Concertino von C. Czerny [Werk 650] wissen wir gleichfalls nichts zu sagen. Wer so schreibt, der kann es freilich bis Werk 1000 bringen. Es gehört aber viel — Talent dazu.

{443} Von einem Concerte von Carl Mayer [Werk 70] erwarteten wir gleichfalls mehr. Es enthält fast nur Passage; vielleicht daß sich in der Orchesterpartitur, die uns nicht zu Händen gekommen, manches Lobenswerthere findet, — die Clavierstimme hat uns, wie gesagt, wenig Freude gemacht. Gehen am musikalischen Himmel hier und da freundliche Zeichen auf, die eine schönere Zukunft der Kunst verheißen, so verstimmen Werte wie dies Concert, wo alles wieder auf Mechanik und Fingerbravour hinausläuft, um das Doppelte. Man spricht so oft von Verderbtheit des Publicums; wer hat es denn verdorben? Ihr, die Componisten-Virtuosen. Ich wüßte kein Beispiel, daß ein Publicum bei einem Beethovenschen Concert je eingeschlafen wäre. Herr C. Mayer gehört zu den Besseren der galanten Schule, wir haben manchem seiner kleineren Clavierstücke, anmuthigen Miniaturgebilden, oft aufrichtiges Lob spenden müssen, mit seinem Concerte hat er aber keinen Fortschritt gezeigt.

Es bleibt noch ein Concert zu besprechen übrig von Jacques Schmitt [Werk 300], das, in Erfindung weder neu noch bedeutend, doch überall den gründlichen Mann von Fach und Talent verräth, namentlich eine würdige Form, die große dreifähige, aufstellt, wie wir’s denn bedauern würden, wenn diese letztere ganz aus der Concertmusik verschwände, weshalb jedoch irgend genialen Neuerungen nichts weniger als der Weg vertreten sein soll. Der Componist ist, wie sein Bruder Aloys, von dem wir oben sprachen, bekannt genug; sie haben manches gemein und sind wohl auch in ziemlich gleicher Schule erzogen. Außer Klarheit und Fluß des Satzes zeichnet die Compositionen von Jacques Sch. noch ein besonderer Wohlklang, und vor denen des anderen mehr Erfindungskraft der Melodie aus. Jedenfalls ist es erfreulich, einen verschollen Geglaubten wieder mit einer größeren Composition hervortreten zu sehen, und hebt sie die Gattung auch nicht auf eine höhere Stufe, so vermehrt sie sie auch nicht unnütz; im Gegentheil, man wird das Concert, etwa als Vorstudie zu Hummelschen, jüngern Spielern mit Nutzen in die Hand geben können.

Dies ist denn die Ausbeute, die wir auf diesem Gebiete der Musik machten, das Wichtigste, was in einem Zeiträume von über drei Jahren herausgekommen. Daß es um die Gattung traurig stehe, sagten wir oben zu viel? {{Right|13.

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{444}

Lieder und Gesänge.

Carl Koßmaly, 6 Gesänge für eine Singstimme mit Begl. des Pianoforte. (3. Heft.) 

Carl Helsted, „ „ „ „ „ „ „ „ „ Werk 1. Robert Franz, 12 Gesänge für Sopran oder Tenor mit Pianoforte. Werk 1.

Der Name des zuerst Genannten ist wohl den meisten unserer Leser kein fremder mehr. Wie sich in seinen Kunstansichten, von denen diese Zeitschrift seit ihrer Entstehung öfters mittheilte, ein stets auf das würdigste Ziel der Kunst gerichteter Sinn aussprach, so war dies auch von ihm als Praktiker zu erwarten. Zeigte es sich dort überall deutlich, daß hinter dem Kritiker ein guter Musiker sich verbarg, so gilt von den Liedern dasselbe umgekehrt, und wie wir ihm gern in die oft seltsam verschlungenen Gänge seiner Gedankenwelt folgten, so gern und als Musiker noch lieber in die seiner Tonschöpfungen. Die Lieder sind nicht alle gleich und scheinen auf zwei verschiedene Lebensperioden des Componisten hinzudeuten. In eine frühere setz' ich Nr. 1. „Frühlingsglaube“, Nr. 3. „Erster Verlust“ und Nr. 6. „Nähe des Geliebten“, in eine spätere, neuere die anderen. Der Unterschied dieser zwei Hälften ist auffallend. Hat sich der Componist in den späteren offenbar zu größerer Klarheit durchgerungen, zu einer leichteren, freieren Behandlung von Wort und Ton, so möchte ich dafür nicht die älteren hingeben, wie oft sie uns auch ein verdüstertes Gemüth sehen lassen. Hat er in den ersteren vielleicht leichter gefunden, so in den anderen tiefer gesucht; die letzteren, jene in älterer Zeit geschriebenen, sind mir die lieberen.

Es ist eine schöne Zeit, wo der junge Künstler, unbekümmert um Zeit und Ruhm, allein seinem Ideal nachlebt, den höchsten Fleiß auch auf das Kleinste verwendet, seiner Kunst alles hinzuopfern bereit ist. In eine solche scheinen mir jene erstgenannten drei Lieder zu fallen; es sind welche unter vier Augen zu singen, nicht ohne Mühen, aber mit Liebe gepflegt und vollendet; vor einem Publicum würden sie erstarren, unverstanden wie ein tiefer Mensch im Gesellschaftssaale vorübergehen, ihre oft grüblerischen Einzelnheiten sogar Mißbehagen erwecken. Anders die drei andern Lieder; sie sind weit absichtlicher, mehr auf die augenblickliche Wirkung berechnet, und gewiß, daß sie sich schneller Beifall erringen; aber jene Innigkeit und Ursprünglichkeit


{445} geht ihnen dafür ab, man merkt ihnen sogar eine Hinneigung in die Weisen Anderer, namentlich Fr. Schuberts und Marschners, an, während jene älteren, nur leise manchmal an Spohr erinnernd, sonst dem eigensten Gemüth des Componisten entsprungen scheinen. Was die Lieder Koßmalys im Ganzen auszeichnet, ist die Absicht der tiefsten Erfassung des Gedichtes und der auf die Begleitung gewendete sorgsame Fleiß. Von Seiten des Singenden wie des Spielenden gehört zu ihrem Vortrag ein genaues Verständniß, das dieser mit seinem oft vielstimmigen[H 4] Gespinnst nicht verdeckt, während jener den goldenen Faden der Melodie unbekümmert fortzuführen verstehen muß. Oft möchte man über ein „Zuviel“ in der Begleitung klagen; bei genauerer Betrachtung erscheint sie aber der Erfindung des Ganzen so verwachsen, daß sich kaum etwas wegnehmen läßt. Möchte denn der Componist jenen Ton wiederfinden, den er früher angestimmt; er war sein eigner und kann ihm nicht verloren sein; wir haben noch manche edle Blüthe seines Talents von ihm zu erwarten.

Der zweitgenannte Componist ist ein junger Däne, und wie uns Dänemark in neuster Zeit manch' beachtenswerthes Talent geliefert, wie Hartmann, Gade, Horneman, v. Lövenskiold u. a., so freut es uns, diesen in der Zeitschrift schon öfters erwähnten Namen den des Hrn. Helsted hinzuzufügen, der sich mit seinen Liedern auf das Ehrenvollste in Deutschland einführt. So mag im Auslande noch manches Talent verborgen leben, das sehnsüchtig nach Deutschland, noch immer dem guten Vaterlande wahrer Musik, herüberblickt, und es gibt freilich nur wenige kunstsinnige Fürsten, die ihnen die Mittel, Bildung und Ruf zu gewinnen, so oft und gern gewähren wie der von Dänemark, von welchem auch der Componist zu einem mehrjährigen Aufenthalt im Auslande Unterstützung erhielt. Wir führen dies an, weil sich so Manches an den Liedern leichter erklären läßt: die dentschen Texte, die fast immer gute Declamation, die ganze Art der Musik, die, nur manchmal nordischer anklingend, sonst echt deutsch zu nennen. Von vielen unserer Liedercomponisten können wir dies leider nicht rühmen; wir haben wohl Hamburger, Wiener u. a., echtdeutsche nur wenige; der junge Däne könnte Manchem zum Muster dienen. Damit sei indeß keineswegs gesagt, es wären die Lieder durchweg meisterhaft, aber ein feuriger Jünger im Guten steht immer höher als ein Meister im Mittelmäßigen, und jenes Epitheton dürfen wir unserem im besten Sinne des Wortes geben. Vielleicht sind die Lieder, wie ein Opus 1, so die ersten überhaupt, die der Componist geschrieben; die Melodie


{446} erscheint hier und da noch etwas unfertig, die Form will sich noch nicht überall gleich schön gestalten. Wie der Quell, ehe er zum reichen breiten Strome wird, in unruhiger Hast jetzt Wasserfälle bildend oder Fels und Stein überspringend, vorwärts treibt, so mancher junge Künstler, und oft bieten gerade jene Anfänge einen reizenderen malerischeren Anblick als das bequeme Bett, in dem sich öfters die Meisterschaft ausruht. Dies Bild auf die Lieder angewandt, so haben sie etwas anziehend Wildes und jene erste Frische, der wir gern die kleinen Mängel nachsehen, wie sie sich im Gefolge jeder ersten Versuche finden. Die Hauptsache ist überall die Richtung. So wüßten wir z. B. an manchem Liede des Hrn. Kücken formell nichts auszusetzen; aber die ganze Richtung dieses und anderer Componisten seines Charakters ist eine vulgäre, während wir an den Leistungen Anderer formell vielleicht zu tadeln finden, der punct aber, von dem sie ausgehen, ein ungleich höherer ist. Daß die Lieder, von denen wir sprechen, durchaus einer edleren Richtung angehören, bemerken wir mit Freuden; sie sind mehr als blose Accordbegleitung zu einer sangbaren Melodie, sie gehen ins Leben des Gedichtes ein, und die meist glückliche Auffassung schließt auch die künstlichere Ausführung nicht aus. So entdecken wir oft kleine Nachahmungen, hinter denen die Melodie nur um so schlauer hindurchsieht, feine Züge, die das Ohr des Musikers verrathen, der neben der Hauptmelodie gleichzeitig zweite und dritte kleinere erfindet. In dieser Art scheinen mir das „Klosterfräulein“ und „In der Fremde“ die gelungensten; namentlich muß das letzte, etwas langsam genommen, von durchaus trefflicher Wirkung sein; es ist mein Liebling geworden. Was die Lieder, gegen einander verglichen, noch interessant macht, ist ihre charakteristische Verschiedenheit. Während andre Componisten jahrelang nicht von Müller-, Wiegen- u. a. Liedern lassen können, zeigt hier jedes, was freilich vernünftigerweise schon durch die Wahl der verschiedenen Gedichte bedingt wurde, eine andere musikalische Färbung. Der innige „Frühlingsglaube“, der wilde „irre Spielmann“ Eichendorffs, Heines spöttisches „Im Hirn“ spult mir ein Märchen fein“, die beiden „altdeutschen“ Lieder, und das letzte melancholische „In der Fremde“, sie schlagen alle einen unter sich verschiedenen, in der Hauptsache immer den rechten Ton an. was für die Fähigkeit des Componisten. die er mit der Zeit der Oper zuwenden möge, das günstigste Zeugniß ablegt. Tadel gegen Einzelnes — wo wäre der nicht vorzubringen! So scheint mir das erste Lied trotz seiner Innigkeit doch etwas schwerfällig,

{447} das altdeutsche eines guten Flusses zu entbehren, der Schluß des „Klosterfräulein“ unbehaglich u. dgl. Aber, wie gesagt, die Hauptsache ist da: Talent, ernstes Streben, schon weit gediehene Bildung; die Genien, die ihm dies verliehen, werden auch ferner ihre freundliche Hülfe nicht versagen.

Ueber die Lieder von R. Franz ließe sich viel sagen; sie sind keine vereinzelte Erscheinung und stehen im innigen Zusammenhange mit der ganzen Entwickelung unserer Kunst in den letzten zehn Jahren, Man weiß, daß in den Jahren 1830 bis 34 sich eine Reaction gegen den herrschenden Geschmack erhob. Der Kampf war im Grunde nicht schwer; er war einer gegen das Floskelwesen, das sich, Ausnahmen wie Weber, Loewe u. a. zugegeben, fast in allen Gattungen, am meisten in der Claviermusik zeigte. Von der Claviermusik ging auch der erste Angriff aus; an die Stelle der Passagenstücke traten gedankenvollere Gebilde, und namentlich zweier Meister Einfluß machte sich in ihnen bemerklich, der Beethovens und Bachs. Die Zahl der Jünger wuchs; das neue Leben drang auch in andere Fächer. Für das Lied hatte schon Franz Schubert vorgearbeitet, aber mehr in Beethovenscher Weise, dagegen in den Leistungen der Norddeutschen die Wirkung Bachschen Geistes sich kund gab. Die Entwickelung zu beschleunigen, entfaltete sich auch eine neue deutsche Dichterschule: Rückert und Eichendorff, obwohl schon früher blühend, wurden den Musikern vertrauter, am meisten Uhland und Heine componirt. So entstand jene kunstvollere uud tiefsinnigere Art des Liedes, von der natürlich die Früheren nichts wissen konnten, denn es war nur der neue Dichtergeist, der sich in der Musik wiederspiegelte.

Die Lieder von R. Franz gehören durchaus dieser edlen neuen Gattung an. Das in Bausch und Bogen fabricirende Liedermachen, das ein Stümpergedicht mit demselben Behagen recitirt wie etwa ein Rückertsches, fängt an in seinem Werthe gewürdigt zu werden, und wenn das gemeine Publicum den Fortschritt nicht gewahrt, den Besseren ist er längst klar geworden. Und in Wirklichkeit ist vielleicht das Lied die einzige Gattung, in der seit Beethoven ein wirklich bedeutender Fortschritt geschehen. Vergleicht man z. B. an den vorliegenden Liedern den Fleiß der Auffassung, der den Gedanken des Gedichtes bis auf das Wort wiedergeben möchte, mit der Nachlässigkeit der älteren Behandlung, wo das Gedicht nur eben so nebenher lief, den ganzen harmonischen Ausbau dort mit den schlotternden Begleitungsformeln, wie sie die frühere Zeit nicht loswerden konnte, so kann nur

{448} Bornirtheit das Gegentheil sehen. Mit dem Vorigen ist schon das Charakteristische der Lieder von R. Franz ausgesprochen; er will mehr als wohl- oder übelklingende Musik, er will uns das Gedicht in seiner leibhaftigen Tiefe wiedergeben. Das Still-träumerische gelingt ihm am besten; doch finden wir auch Reizend-naives, so gleich das erste Lied, dann das „Tanzlied im Mai“, und muthigere Aufwallungen wie in einigen Burnsschen Texten. Eine Reihe der verschiedensten Bilder und Gefühle weckt das Liederdoppelheft; etwas Schwermüthiges möchte sich überall mit einstehlen. Zum Vortrag der Lieder gehören Sänger. Dichter, Menschen; allein lassen sie sich am besten singen und dann etwa zur Abendstunde. Einzelnes beleidigt mein Ohr, so die Anfänge des siebenten und zwölften Liedes, das öfters wiederkommende e im letzten; eines, das siebente,* wünschte ich ganz aus der Sammlung entfernt, es scheint mir in Melodie und Harmonie zu gesucht. Was außerdem übrig bleibt, ist interessant, bedeutend, oft vorzüglich schön. Dem Tieckschen Schlummerliede wünscht' ich einen musikalisch-reicheren Schluß; doch bleibt es auch ohnedies eines der glücklichsten. Wollte man einzelne seine Züge anführen, man würde nicht fertig; innige Musikmenschen werden sie schon herausfinden.

Die Lieder unterscheiden sich denn hinreichend von anderen. Wer aber so begonnen, darf sich nicht wundern, wenn die Zukunft noch höhere Anforderungen an ihn stellt. Erfolge in kleinen Genres führen oft zur Einseitigkeit, zur Manier. Schütze sich der junge Künstler dagegen durch Ergreifen neuer Kunstformen, versuche er sein reiches Innere auch anders auszusprechen als durch die Stimme. Unsere Theilnahme folgt ihm gewiß überall. {{Right|R. S.

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Heinrich Esser:

Thomas Riquiqui oder die politische Heirath.

Komische Oper in drei Acten [nach dem Französischen bearbeitet von C. Gollmick]. W. 10.

Nach den Berichten, die wir über diese Oper vor und nach ilrer Aufführung gelesen, mußten wir etwas ganz Vorzügliches von ihr erwarten. In einem hieß es u. a.: Manche sähen in dem jungen

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      * Sonntag. „Die Nacht war kaum verblühet.“

{449} Componisten einen zweiten Adam, Andere einen Boieldieu, Exaltirtere sogar einen Mozart und Beethoven entstehen. Zwischen Adam und Beethoven liegt freilich viel in der Mitte, und ist der Componist klar mit sich, so wird er selbst zugestehen, daß er einen Vergleich mit ersterem allerdings eher aushalten würde als mit dem letzteren. Doch dürfen wir den Componisten nicht entgelten lassen, was persönliche Theilnahme vielleicht an ihm überschätzt; sein Werk hat einen zu bestimmten Eindruck auf uns gemacht, als daß uns dies, wie die entgegengesetzte kalte Aufnahme, die die Oper in Mannheim erfahren, in unserem Urtheile beirren könnte. Doch ehe wir über die Musik sprechen, erst einiges noch über den Text. Da müssen wir denn vor Allem bekennen, daß wir nur wenig Komisches an ihm finden. Wenn Riquiqui, die Hauptperson der Oper, ein gutmüthiger Schuhmacher, um die Tochter seiner Wohlthäterin aus den Händen wüthender Sanscülotten zu befreien, mit dieser eine Scheinheirath eingeht, sie aber nach Beendigung der (französischen) Revolution frei und ihrem früheren Verlobten zurückgibt, so ist das brav und edelherzig aber gewiß nicht komisch, und um jene Scheinheirath dreht sich doch das ganze Stück, das uns in vielen Beziehungen eher wie ein in eine niedere Sphäre gezogener „Wasserträger“ vorkommt, den doch gewiß niemand zu den komischen Opern zählen wird. Die einzige lustige Figur ist die des Barnabé; aber sie ist viel zu unbedeutend, um das Beiwort „komisch“ für das Ganze zu rechtfertigen. So wünschten wir denn vor Allem aus dem Titel jenen Beisatz heraus, weil sonst Jedermann etwas Anderes erwartet, als er empfängt. Uebrigens ist der Text geschickt behandelt, namentlich auch der Dialog gewandt und lebendig geschrieben, wie denn die Prosa dem Verfasser geläufiger scheint als der Vers.

Vom Charakter der Musik einen Begriff zu geben, so können wir sie im Allgemeinen als gesund und natürlich bezeichnen. Offenbar schwebt Mozart dem jungen Tonsetzer als Ideal der Muse vor; in der Leichtigkeit und Anmuth der Formen verräth es sich namentlich, daß jener Meister ins Blut und Leben des jüngern Künstlers übergegangen. Aber auch der französischen Schule scheint er nicht unvertraut, und wir bemerken dies gern, wo er an Boieldieu, weniger gern, wo er an Adam erinnert. So könnte speciell das Motiv, das die Grundidee der Oper trägt: „Arbeit, Frohsinn, leichtes Blut sind des Daseins höchstes Gut“ vom Componisten des Postillons sein — wir gestehen, es etwas trivial gefunden zu haben. Es haben also jene verschieden lautenden Berichte alle in etwas Recht, wenn sie von einem Einfluß

{450} Mozarts, Boieldieus und Adams auf die Bildung des Componisten sprechen; Beethovensches nur vermochten wir nirgends zu entdecken, aber ebenso wenig italiänische Gemeinplätze, was wir mit Vergnügen hinzusetzen.

Für die ausgezeichnetsten Stücke der Oper halten wir die Ensembles, und wenn es wahr ist, daß sich gerade darin der Beruf des dramatischen Componisten zeigt, so müssen wir diesen Hrn. Esser zusprechen. In der Partitur, auf der Scene nimmt sich gewiß manches noch vortheilhafter aus, aber auch der Clavierauszug läßt das entschiedene Talent des Componisten in diesem Bezug ahnen. Dies ist nicht der schwerfällige Versuch des Schülers, sondern die spielende Hand natürlichen Geschickes.

Was das melodische Element der Oper betrifft, so hält es sich in der Mitte zwischen französischem und deutschem Charakter. Zur Offenbarung tieferer Melodieenkraft bot die Oper keine Gelegenheit. Gut sangbar ist fast das Meiste, nur der Tenor (Riquiqui) hält sich oft in den höchsten Lagen auf. Die Chöre sind durchgängig sehr leicht, in Betracht, daß wir Sanscülotten aus der ersten Zeit der französischen Revolution vor uns haben, fast etwas zahm zu nennen.

Vor Allem aber ist die Correctheit und Sauberkeit des Satzes zu rühmen, wie sich das durch die ganze Oper hindurch zeigt. Daß sie auch vortrefflich — klar, einfach und natürlich instrumentirt sein mag, läßt sich, ohne sie vom Orchester gehört zu haben, beinahe mit Bestimmtheit voraussagen.

Wir haben somit in jedem Falle eine freundliche Oper mehr, und es verdienen auch die Verleger Erwähnung, die das Werk eines jungen vaterländischen Talentes im stattlichsten Gewande der Oeffentlichkeit übergaben. Gedenken wir der grüßen Jugend des Componisten (er soll kaum 24 Jahre zählen), so dürfen wir auf seine Zukunft erfreuliche Hoffnungen setzen. Es wird auch Zeit, daß die deutschen Componisten den Vorwurf strafen, der ihnen seit lange gemacht wird, italiänern und Franzosen das Feld nicht auf das Tapferste überlassen zu haben. Da gab' es ein Wort zu reden, auch an die deutschen Dichter! {{Right|L.

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{451}

Kleinere Compositionen für Pianoforte.

  • E. Marxsen, Sieben Variationen über ein russisches Thema. Werk 14.

Die Rubrik „Variationen“ nimmt in den neusten Musikkatalogen kaum den fünften Theil ihrer früheren Länge ein; das ganze Genre war in Verruf gekommen. Diesmal aber erhalten wir ein schätzbares Heft, auf das wir mit Vergnügen aufmerksam machen. Das Thema ist ein originelles, sechstactig und sehr zur Variation geeignet. In den Variationen selbst zeigt sich eine künstlerische Hand, die ihr Thema festzuhalten und interessant zu machen versteht; es sind keine Passagenstücke sondern saubere Miniaturen, im Charakter des Themas in meist anziehender Weise ausgeführt. Auf große Originalität macht die Arbeit keinen Anspruch; die Leistung ist dennoch eine complete und sagt uns mehr zu als manches Andre von demselben Componisten, wo er der brillant modernen Richtung neuerer Virtuosen, wie wir glauben gegen seine bessere Natur, zu huldigen schien.

Fr. Proche, Sechs Variationen über ein Originalthema

elegischen Inhalts. Werk 27.

Vom Thema hat der Componist nicht zu viel gesagt, wenn er es nennt, wie er es genannt; es berührt uns auf eine ganz eigne melancholische Weise, wie die letzte Klage eines Unglücklichen; wir würden es geradezu trefflich nennen müssen, wenn uns nicht einige geschmacklose Wendungen darin wieder störten. Und so verhält es sich mit dem ganzen Cyclus; es ist ein sonderbares Gemisch von Philistrosität und Talent, von Geschmacklosigkeit und Empfindungsfülle. Daß jede der Variationen aus einem andern Tone geht als das Thema, würden wir an sich eher als etwas Besonderes, vom Schlendrian Abweichendes bezeichnen, als tadelnswerth finden. Wie es aber hier geschieht, in der Weise, daß die verschiedenen Variationen einen vom elegischen Ton des Themas sich gänzlich entfernenden Charakter annehmen, die in Cdur sogar in einem Francois Hüntenschen Bravourton verfällt, will uns jene Sonderbarkeit eben nur als eine solche, keine durch eine innere Nothwendigkeit begründete Form erscheinen. Aber das Thema, wie gesagt, und dann auch der Schlußsatz, der

{452} wieder den Charakter des Themas aufnimmt, stimmen uns zur Teilnahme für den Componisten, der, wenn er seinen Geschmack an wahren Mustern reinigen wollte, vielleicht mit der Zeit wahrhaft Schönes zu Tage fördern würde. Vor Allem müßte er dann vom Passagenkram lassen, dem Ursprünglichen seiner Gedanken die rechte Fassung zu geben, überhaupt vieles lernen, was sich aus keinen Büchern, sondern nur im steten Verkehr mit Meistern und Meisterwerken und durch Vergleichung zwischen diesen und den eigenen Leistungen lernen läßt. Möchte ihm die erstere Vergünstigung zu Theil werden und er zum andern Kraft und Bescheidenheit genug mitbringen!

* Walther von Goethe, Vier Impromptus.  Werk 6.

{{Right|„ „ Poësie. Werk 8.

Von den Arbeiten des jungen Goethe, eines Enkels des großen, haben wir bereits früher in der Zeitschrift angezeigt. An die vorliegenden dürfen wir allerdings auch noch nicht das strengste Richtmaß anlegen. Der Componist ist noch jung, schwankt offenbar noch zwischen verschiedenen Idealen, und unschlüssig, ob er zur deutschen oder italiänischen Fahne schwören soll, scheint er sich nun willenlos den ersten besten Eingebungen hinzugeben, so daß freilich nicht überall Vollkommenes zu Stande kommen kann. In Erfindung leichter melodischer Sätze zeigt er sich am gewandtesten; wo es aber auf Ausarbeitung, auf Durchführung ankommt, verläßt ihn Lust und Kraft, und so haben denn die meisten der Stücke ein mehr dilettantisches Gepräge. Am besten hat uns das freundliche Motiv des vierten Impromptus zugesagt; der Verlauf des Stückes entspricht indeß dem ersten Eindrucke nicht. Noch würden wir dem jungen Tonsetzer zurufen, sich nicht zu sehr im Kleinen zu zersplittern, wenn nicht die Kunde ginge, daß er sich auch mit größeren dramatischen Arbeiten beschäftige. Mit Verlangen sehen wir den letzteren entgegen; an allem, was an einen großen Mann erinnert, nimmt ja die Welt doppeltes Interesse; und so sei uns der gefeierte Name eine gute Vorbedeutung seines künftigen Schaffens und Wirkens.

* C. Krebs, Große Phantasie über Themas aus Lucrezia Borgia

von Donizetti. Werk 121.

Der Componist scheint Liszt und Thalberg den Rang ablaufen zu wollen mit seiner Phantasie, nach unserer Ansicht ohne das mindeste

{453} Geschick dazu; es hat uns lange nicht etwas in seiner Schalheit so abgestoßen als dies Opus. Welche Geckenhaftigkeit, welche Gespreiztheit und Selbstgefälligkeit überall! Da sind uns die Quinten und Octaven eines fleißigen Schülers lieber als solche Routine, die keine Schnitzer macht aber Schlimmeres als das, gemeine Musik. Was Liszt im Conflict mit sich und der Welt, was Thalberg im Salon und unter Frauen gelernt, das will hier ein Kleinstädter nachmachen, und sieht bei jenen überall die große Virtuosität in Beherrschung des Instruments heraus, so arbeitet sich hier Einer mühselig auf den Tasten ab und bringt nichts als Philistern. Wird aber der Kleinstädter genial, so schreibt er Sachen wie:

  1. Notenbeispiel

Im Uebrigen alles wüst und leer. Fort mit solcher Composition!

Stephen Heller, Phantasie (Werk 31) und Boleros (Werk 32)

über Themas aus der Jüdin von Halévy.

Dies ist auch Salonmnsik; aber wie sieht hier überall der feine Musiker heraus, wie pikant und eigenthümlich alles! Oft schon haben wir unser Bedauern ausgesprochen, wenn wir wirklich schöpferische Talente in secundären Compositionsweisen sich ergehen sahen; anderntheils kann es aber auch Nutzen bringen, wenn geistreiche Künstler, wie St. Heller, manchmal den Salon bedenken, wohin sonst kein Strahl guter Musik so leicht dringen würde. Es ist, als ob sich Halévys Musik in Hellers Hand veredelte; er besitzt eine außerordentliche Gewandtheit, fremdes Mittelmäßiges so zuzurichten, daß es sich wie eine gute Originalcompositwn anhört. Wir wissen kaum einen andern Componisten, der es ihm darin gleich thäte, der sich in einer Gattung, die immer einen künstlerischen Verdacht erregt, so wenig von seiner Würde zu vergeben wüßte. Wende er also immerhin von seinem


{454} Reichthum auch dem Dilettanten zu; er schlägt ihm damit die Brücke zum Verständniß tieferer Kunst. Gefahr für seine eigene bessere Künstlerschaft scheint dabei nicht vorhanden zu sein.

S. Thalberg, Brillante Walzer.  Werk 47.

Sie wären zu recensiren, ohne sie gesehen zu haben. Was könnte man hier erhalten als das Rechte, eine flimmernde flunkernde Clavier-Tanzmusik, die nichts will als das. Auch Chopin und Liszt haben für den Tanzsalon geschrieben; wie Thalberg sich im Großen von diesen unterscheidet, wird man hier wieder im Kleinen gewahr; den schwärmerischen. immer etwas masurenartigen Charakter der Chopinschen Walzermusik, den stürmischen des Ungarn Liszt in elegant-wienerischer Vereinigung wiederzufinden, greife man nur nach den Thalbergschen Walzern. Eine Empfehlung der Kritik ist unnöthig. wo auch ein Abrathen nichts fruchten würde.

S. Friedburg, Caprice.

Die Composition hat keine Werkzahl, ist vom Componisten „seinem Vater“ zugeeignet, — wir haben also wohl ein Erstlingsproduct vor uns und zwar ein vielversprechendes. Wie selten wird uns die Freude, dies sagen zu können, und wie gern möchten wir’s öfter! Vor Allem zeigt sich in der Caprice, so kurz sie ist, eine klare künstlerische Form; sie bringt nichts kopflos Zusammengewürfeltes, man sieht überall die ordnende Hand, die auch künstlichere Formenverschlingungen zu beherrsehen trachtet, die vor den Schwierigkeiten der Entwirrung nicht zurückschreckt. Wo wir dies an der Jugend wahrnehmen, dürfen wir immer Hoffnungen für die Zukunft hegen; die Beherrschung der Form führt das Talent zu immer größerer Freiheit, die Geschichte aller Künste und Künstler hat das bewiesen. Zwar, wir finden auch in der Caprice jugendliche Auswüchse, aber das Gute ist bei Weitem überwiegend, und durch und durch Meisterliches gelingt ja auch dem älteren Künstler nicht zu jeder Stunde. So bewillkommnen wir denn den jedenfalls noch jungen Mann und seinen ersten Sprößling mit den erfreulichsten Erwartungen für das Später. Zur größeren Wirkung des Stückes hätten wir ihm nur einen feurigeren Schluß, einen Schluß im Forte gewünscht: im lebensfrischen Charakter der Caprice lag auch kein Grund zu dem leisen Ende. Auf nichts


{455} aber hat der Componist in seiner Kunst mehr zu achten als auf die rechte Kraft des Schlusses; nur sie gibt die Totalwirkung.

F. Chopin, Tarantelle (As dur)  Werk 43.

Ein Stück in Chopins tollster Manier; man sieht den wirbelnden, vom Wahnsinn besessenen Tänzer vor sich, es wird einem selbst wirblich dabei zu Muthe. Schöne Musik darf das freilich Niemand nennen; aber dem Meister verzeihen wir wohl auch einmal seine wilden Phantasieen, er darf auch einmal die Nachtseiten seines Innern sehen lassen. Für Recensenten vom rechten Schrot und Korn hat Chopin ohnedies nicht geschrieben. Das erste Verständniß des Stückes wird leider durch die Druckfehler, von denen es wahrhaft wimmelt, sehr erschwert.

W. Sterndale Bennett, Rondo (E dur).  Werk 25.

Nach der vorhergehenden Composition wirkt die Bennettsche wie der Tanz einer Grazie nach einem Hexenreigen. Bennett hat schon viel Aehnliches geschrieben und einen Fortschritt läßt auch diese Arbeit vermissen, die andererseits wieder alle die meisterlichen Vorzüge besitzt, die wir schon so oft an diesem Componisten hervorhoben. Das Ganze gibt sich anspruchslos und ist offenbar zu einer Studie für Spieler mittlerer Fertigkeit bestimmt, wie es auch der hier und da angegebene Fingersatz andeutet. Es fehlt an gehaltvollen Stücken dieser Art. weshalb wir es angelegentlich empfehlen. {{Right|13.

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Etuden für das Pianoforte.

C. Vollweiler, 3 melodische Etuden. Werk 4. H. Ravina, 25 charakteristische Etuden. C. Mayer, 3 große Etuden. Werk 61.

Etuden erscheinen in neuerer Zeit bei Weitem weniger als noch vor einigen Jahren. Wir begrüßen das als ein gutes Zeichen, daß sich der Sinn der Künstler vom Mechanischen weg wieder dem Melodischen zuwendet, wie dies auch ganz natürlich gekommen, da eine


{456} Steigerung der Etüde nach dem, was Chopin u. a. darin geleistet, nicht wohl möglich war. Vielleicht durch Mendelssohns unübertreffliche Lieder ohne Worte angeregt, brachte Henselt zuerst wieder melodisches Element in die Etüde. Was nach ihm erschienen, bewegt sich in ziemlich gleicher Richtung. Wahrhaft Bedeutendes hat die Gattung in neuster Zeit nicht gebracht; die bedeutenderen Componisten, sie als abgeschlossen betrachtend, wendeten sich anderen zu.

Auch was uns heute zur Beurtheilung vorliegt, will sich im Ganzen nicht über den Grad einer hübschen Salonmanier erheben. Spuren tieferer Anlage zeigen sich hier und da nur in den Etuden von C. Vollweiler; der Componist scheint noch jung, vielleicht daß er jene heranbildet und mit der Zeit Charakter und Festigkeit des Stils erlangt. Was er in den Etuden gegeben, findet man größtentheils in früheren besser und meisterhafter. Doch dürfen wir auch dem jungen unentwickelten Künstler sich auszusprechen nicht verwehren, wenn er nicht gerade Schülerhaftes oder Verzerrtes bringt. Das Letztere findet auf die vorliegenden Etuden keine Anwendung, uns scheint namentlich die dritte gelungener. Daß in allen dreien der Schluß (das erste Thema in Octaven) in gleicher Weise wieder auftritt, deutet auf keine große Erfindungsgabe; freilich ist das eine Bequemlichkeit der Manier, die wir auch bei besseren Componisten wiederfinden, wie z. B. in allen Henseltschen Etuden der Rückgang in der Mitte auf dieselbe Weise durch eine Reihe verminderter Septimenaccorde geschieht.

Die zu zweit genannten Etuden gewinnen dadurch an Interesse, daß sie, wie wir glauben, einen italiäner zum Verfasser haben. Möchten wir deshalb einen milderen Maßstab anlegen, so dürfen wir auch nicht die Wahrheit verschweigen, daß sie neben einigen artigen Stücken doch auch zu viel Unbedeutendes enthalten, was uns kaum der Veröffentlichung werth scheint. Die frischesten sind Nr. 8 und Nr. 10; das Andere möchten wir zum größten Theile ungedruckt wissen. Am bestimmtesten wäre der Componist als ein Schüler und Nachahmer Bertinis zu bezeichnen, mit dem er namentlich eine gewisse süßliche Schalheit, ohne dessen öfters wirklich graziösen Ausdruck zu besitzen, gemein hat. Einen fertigen Clavierspieler verrathen übrigens die Etuden in jedem Stück, als der er sich auch in Paris Ruf erworben. Die Zukunft muß lehren, ob wir uns in unserm Urtheil über sein Compositionstalent geirrt, das uns zur Zeit als ein untergeordnetes erscheint.

In den Salon sind gleichfalls die Etuden von C. Mayer zu


{457} verweisen. Den Vorzug größter Claviermäßigkeit theilen sie mit andern Clavierwerken desselben Componisten, wie sie denn natürlich auch nirgends die gewandte sichere Schreibweise verleugnen können, die stete Uebung und reiferes Alter überall mit sich bringen. Ein langes Leben, eine nachhaltigere Wirkung dürfen wir freilich den Etuden nicht verbürgen; dazu sind sie viel zu sehr im Fluge gehascht, viel zu oberflächlich in Erfindung und Empfindung. Wer aber an flüchtiger Freude ein Vergnügen hat — und Shakespeare und Bach sind auch nicht alle Tage zu genießen und zu verstehen —, der greife wohl auch einmal nach so leichter Musik, eine Stunde hinzutändeln, um dann in um so größerem Maße sich an der Kraft des echten Genius zu erlaben. {{Right|13.

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Preissonaten.

Gustav Krug, Großes Duo für Pianoforte und Violine. Werk 3. Louis Hetsch, „ „ „ „ „ „ Werk 13.

Es sind diese beiden Compositionen von dem norddeutschen Musikvereine in Hamburg mit dem Preise, und zwar die erstgenannte mit dem ersten, die zweite mit dem zweiten gekrönt worden. Eine vergleichende Kritik scheint also hier mehr als in jedem andern Falle statthaft. Interessant mußte schon Jedem von vornherein die Anzeige sein, daß ein Dilettant den Preis über die Künstler davongetragen. Nach genauerer Einsicht in die Compositionen bekennen wir indeß, daß die Sachen keineswegs so schlimm stehen, daß die Ehre der Musiker noch keineswegs als verloren zu erachten. Mit Vergnügen gestehen wir, durch die erstgekrönte Composition mit einem Dilettanten bekannt geworden zu sein, wie es deren, was Reinheit des Satzes, Geschicklichkeit der Anordnung und Ausführung im Sinne guter Muster anlangt, nicht viele geben mag. Von einer Preiscomposition verlangen wir indeß mehr, als daß sie blos gut ist, daß sie uns keinen Anlaß zu Tadel gibt: wir verlangen ein erfindungfreiches, lebensfrisches Werk, ein Werk, daß uns neue Seiten der Kunst enthüllt oder, im mildesten Sinne vom Richter beurtheilt, auf eine fruchtbare Zukunft des Schöpfers hoffen läßt. Solchen Ansprüchen gegenüber kann

{458} sich aber die erstgenannte Composition nicht halten; wir vermissen überall Originalität und Neuheit, sie erhebt sich kaum über ähnliche Arbeiten von Andreas Romberg, mit andern Worten, sie kommt circa 30 Jahre zu spät. Wir müssen dies, so gut es Buchstaben vermögen, genauer nachweisen.

Der erste Satz — A moll — beginnt mit einem einfachen Thema, das aber schon vom fünften Tacte an matt wird und auch später, wo die Violine in einem simpeln Contrapunct dazutritt, kein wärmeres Interesse zu erwecken vermag. Die Stelle bis zum Erscheinen des Dur-Themas bewegt sich lebhafter fort, das letztere selbst aber (in C dur) scheint uns sehr gewöhnlich, durch gar nichts ausgezeichnet, Schluß des ersten Theils in C dur und etwas dilettantenhafter Rückgang nach A moll, um in den Anfang zu kommen. Im Mitteltheil dieses Satzes wird nun der erste Tact des Anfangs-Themas ausführlicher behandelt, doch nach Beschaffenheit dieses letzteren wenig interessant. Das Dur-Thema erscheint jetzt in (Fis) Moll; hierauf ziemlich schnelle Modulation nach A moll und dem Anfange zurück, worauf nach gewöhnlichem Herkommen das Frühere noch einmal folgt und bald der Schluß mit dem ersten Thema wieder.

Es folgt ein Scherzo, das wir artig und wohlgelungen nennen müssen; auch das Trio sagt uns sehr zu; nur erwarte man eben nichts Originelleres.

Die Stelle des Adagios vertreten Variationen über ein hübsch gesungenes Thema. Von den ersteren gefällt uns die dritte als charaktervoll empfunden; die zweite ist kaum eine Variation, sondern das Thema selbst, nur mit einem einfachen Clavieraccompagnement vermehrt.

Den Variationen schließt sich ohne Pause gleich der letzte Satz, ein Allegro agitato, an. In der Form etwas unklar, scheint er uns dennoch der lebendigste und schwungvollste der ganzen Sonate, und hinterläßt so eine dem Werke günstige Stimmung.

Fassen wir unser Urtheil in Kurzem zusammen, so müssen wir dem Verfasser, wie gesagt, Befähigung und Bildung zugestehen, seinem Streben, durch Einfachheit zu wirken, alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, ihm Glück wünschen zu seiner Kunst, die ihm vielleicht einen trockenen bürgerlichen Beruf* verschönen hilft. Wäre seiner Composition der Preis allein zuerkannt worden, wir könnten nichts dagegen

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        * Der Verfasser lebte damals als Oberlandesgerichtsassessor in Naumburg.

{459} haben, da uns der Werth der anderen eingeschickten Arbeiten nicht bekannt sein kann. Anders gestaltet sich aber die Sache, wo wir, wie hier, eine zweite Composition zum Vergleich vor uns haben, und so gestehen wir, das Preisgericht nicht zu begreifen, das die bei Weitem bedeutendere, überall von einem reichen Talente zeugende Sonate von Louis Hetsch jener nachsetzen konnte.

Das Werk leidet, im Gegensätze zu dem des Hrn. Krug, an einer gewissen Unruhe und Ueberfülle; aber wie viel Vorzüge hat es außerdem vor jenem! Ein lebensfrisches Herz schlägt uns aus ihm entgegen, der Componist gibt sich voll und ohne Rückhalt, es spiegelt sich ein Moment der Gegenwart in seinem Werke, nicht der schlechten, verderbten, sondern ihrer würdigeren Vertreter. Und sehen wir den Künstler noch nicht auf der Höhe seines Talentes, siegt er nicht geniusgleich, so ist es auch gewiß noch nicht zu Ende mit seiner Kraft, und wir dürfen auf immer meisterhaftere Leistungen von ihm mit Sicherheit aussehen. Ueberall sympathisiren wir nicht; manches scheint uns gesucht, nicht natürlich genug gesungen, der Componist gehört zu den originelleren Naturen, die immer mehr Zeit zur Entwicklung brauchen als die alltäglichen. Achtung müssen wir aber immerhin dem schon Erreichten zollen, seinem bedeutenden harmonischen Wissen, seinem kräftigen Stil, seinem Streben, im Ganzen wie im Einzelnen bedeutend zu sein. Den Vorzug vor allen Sätzen geben wir dem ersten; erinnert er auch in seinem Hauptthema etwas an das des Beethovenschen großen Es dur-Concerts, so hat das doch der überall hervorbrechenden Wärme der Behandlung keinen Eintrag gethan. Diesen Anklang ausgenommen begegnen wir sonst im Satze lauter Eigenthümlichem, oft, namentlich in der Harmonie, Interessantem und Neuem; auch an künstlichen Combinationen in der thematischen Arbeit ist das Stück reich. Vor Allem aber sagt uns eben sein leidenschaftlicher stolzer Charakter zu, der, auch wo er sich zuweilen zu milderen, schwärmerischeren Gefühlen umstimmen möchte, nirgends zu weibischer Sentimentalität herabsinkt.

Wir müssen leider bekennen, daß die übrigen Sätze, einer nach dem andern, an Interesse verlieren. Im Adagio treffen wir zwar noch auf bedeutende Schönheiten; die breite Anlage steht ganz im Verhältnisse zu dem ersten Satze und erinnert an die Adagioweise in den größeren Beethovenschen Sonaten. Im Scherzo vermissen wir aber einen eigentlich anziehenden Gedanken; schön ist jedoch der Uebergang ins Trio und das letztere selbst. Am wenigsten gefällt uns der letzte

{460} Satz; schon das Thema dünkt uns nicht musikalisch genug; man sehe selbst:

  1. Notenbeispiel.

Wir hofften wenigstens auf eine canonische humoristische Verarbeitung, zu der das Thema auf den ersten Anblick auffordert. Es kommt aber nichts dergleichen. Das zweite Thema:

  1. Notenbeispiel

ist wo möglich noch weniger bedeutend. Trotzdem führt der Componist den Satz nicht mit Unehren durch und es fehlt ihm nicht an einzelnen geistreichen Wendungen.

Fassen wir unser Urtheil über beide Werke noch einmal zusammen, so wiederholen wir: in jedem Falle überwiegt die zweite Sonate die erste an Kraft, Erfindung und Originalität; in keinem möchten wir aber dem achtungswerthen Dilettanten deshalb seine Freude verkümmern. Auch zum Glück gehört Talent, und Jeder findet am Ende in der eigenen Brust seinen unparteiischsten Richter.

{{Right|L.

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{461}

         1844
     und später.

{462}

[leer]


{463}

Niels W. Gade.

In einem französischen Blatte war vor Kurzem zu lesen: „Ein junger dänischer Componist macht jetzt in Deutschland Aufsehen, er heißt Gade, wandert, seine Violine auf dem Rücken, öfters von Kopenhagen nach Leipzig und zurück und sieht dabei aus wie der leibhaftige Mozart“. Der erste und letzte Satz sind vollkommen richtig, nur in den Mittelsatz hat sich etwas Romantik eingeschlichen. Der junge Däne kam wirklich vor einigen Monaten in Leipzig an (obwohl er wie seine Violine fahrend) und sein Mozartkopf mit dem starken wie in Stein gehauenen Haupthaar paßte gut zu den Sympathien, die seine Ouverture zu Ossian und seine erste Symphonie unter den hiesigen Musikern schon vorher erregt hatten.

Aus seinem äußeren Leben ist nur wenig zu berichten. Zu Kopenhagen im Jahre 1817 geboren, Sohn eines dortigen Instrumentenmachers, mag er seine ersten Jahre mehr unter Instrumenten als unter Menschen hingeträumt haben. Seinen ersten Unterricht in der Musik erhielt er von einem jener gewöhnlichen Lehrer, die überall nur auf den mechanischen Fleiß, nicht auf das Talent sehen, und es soll der Mentor mit den Fortschritten seines Zöglings nicht sonderlich zufrieden gewesen sein. Guitarre, Violine und Clavier lernte er, von jedem etwas, ohne sich außerordentlich hervorzuthun. Erst später bekam er gründlichere Lehrer in Wexschall und Berggreen, wie ihn auch der treffliche Weyse manchmal berieth. Compositionen verschiedener Art entstanden, von denen indeß der Componist jetzt nicht viel halten will, es wären zum Theil Ausbrüche einer fürchterlichen Phantasie gewesen. Später kam er in die königliche Capelle zu Kopenhagen als Violinist, und hier hatte er Gelegenheit, den Instrumenten alle die Geheimnisse

{464} abzulauschen, von denen er sie uns manchmal in seinen Instrumentalstücken erzählen läßt. Diese praktische Schule, Manchem versagt, von Vielen unverstanden benutzt, erzog ihn wohl hauptsächlich zu jener Meisterschaft in der Instrumentation, die ihm, unbestritten zugestanden werden muß. Durch seine Ouverture „Nachklänge aus Ossian“, die auf das Urtheil Spohrs und Fr. Schneiders mit dem von dem Kopenhagener Musikvereine ausgeschriebenen Preise gekrönt wurde, mag er wohl die Aufmerksamkeit seines regierenden kunstliebenden Königs auf sich gezogen haben; so erhielt er denn, wie viele andere Talente unter seinen Landsleuten, ein wahrhaft königliches Stipendium zu einer Reife ins Ausland, und er machte sich fürs erste nach Leipzig aus, das ihn zuerst in das größere musikalische Publicum eingeführt hatte. Noch ist er hier, wird sich aber binnen Kurzem nach Paris und von da nach Italien begeben. So benutzen wir denn den Augenblick, wo sein Bild noch frisch vor uns steht, einige Züge der künstlerischen Eigentümlichkeit des trefflichen Mannes zu geben, wie uns unter den Jüngeren seit lange keiner vorgekommen.

Wer von seiner Aehnlichkeit mit Mozart, die wirklich etwas Ueberraschendes hat, indeß auch auf eine musikalische Aehnlichkeit Beider schließen wollte, würde sehr irren. Wir haben einen ganz neuen Künstler-Charakter vor uns. In der That scheint es, als ob die Deutschland angrenzenden Nationen sich von der Herrschaft deutscher Musik emancipiren wollten; einen Deutschthümler könnte das vielleicht grämen, dem tiefer blickenden Denker und Kenner der Menschheit wird es nur natürlich und erfreulich vorkommen. So vertritt Chopin sein Vaterland, Bennett England, in Holland gibt J. Verhulst Hoffnungen, seinem Vaterlande ein würdiger Repräsentant zu werden, in Ungarn machen sich gleichfalls nationelle Bestrebungen geltend. Und wie sie auch Alle die deutsche Nation als ihre erste und geliebteste Lehrerin in der Musik betrachten, so soll sich Niemand verwundern. wenn sie auch für ihre Nation ihre eigene Sprache der Musik zu sprechen versuchen wollen, ohne deshalb den Lehren ihrer Meisterin untreu zu werden. Denn noch hat kein Land der Welt Meister, die sich mit unsern großen vergleichen könnten, und Niemand hat dies noch leugnen wollen.

Auch im Norden Europas sahen wir schon nationelle Tendenzen sich äußern, Lindblad in Stockholm übersetzte uns seine alten Volkslieder, auch Ole Bull, obwohl kein productives Talent erster Größe, versuchte Klänge aus seiner Heimath bei uns einzubürgern. Mußten

{465} ja die neu auftauchenden bedeutenden Dichter Scandinaviens seinen musikalischen Talenten eine mächtige Anregung geben, wenn sie anders nicht von selbst von ihren Bergen und Seen, ihren Runen und Nordscheinlichtern daran erinnert würden, daß der Norden gar wohl eine eigene Sprache mitreden dürfe.

Auch unsern jungen Tonkünstler erzogen die Dichter seines Vaterlandes; er kennt und liebt sie alle; die alten Märchen und Sagen begleiteten ihn auf seinen Knabenwanderungen, und von Englands Küste ragte Ossians Riesenharfe herüber. So zeigt sich in seiner Musik, und zuerst eben in jener Ossian-Ouverture, zum erstenmal ein entschieden ausgeprägter nordischer Charakter: aber gewiß wird Gade selbst am wenigsten verleugnen, wie viel er deutschen Meistern zu verdanken hat. Den grüßten Fleiß, den er ihren Werken widmete (er kennt so ziemlich alles von Allen), belohnten sie ihm mit dem Geschenk, das sie Allen hinterlassen, die sich ihnen treu zeigen, mit der Weihe der Meisterschaft.

Von neuern Componisten ist namentlich ein Einfluß Mendelssohns in gewissen Instrumentalcombinationen sichtbar, namentlich in den „Nachklängen auf Ossian“; in der Symphonie* erinnert manches an Franz Schubert; dagegen sich überall eine ganz originelle Melodieenweise geltend macht, wie sie bisher in den höheren Gattungen der Instrumentalmusik in so volkstümlicher Art noch nicht dagewesen. Ueberhaupt ragt aber die Symphonie in jedem Bezug über die Ouverture, in Naturkräftigkeit wie in Musterhaftigkeit des Technischen.

Dabei ist nur eines zu wünschen: daß der Künstler in seiner Nationalität nicht etwa untergehe, daß feine „nordscheingebärende“ Phantasie, wie sie Jemand bezeichnete, sich reich und vielgestaltig zeige, daß er auch in andere Sphären der Natur und des Lebens seinen Blick werfen möge. So möchte man allen Künstlern zurufen, erst Originalität zu gewinnen und dann sie wieder abzuwerfen; schlangengleich häute er sich, wenn das alte Kleid zu verschrumpfen anfängt.

Aber die Zukunft ist dunkel; es geschicht das Meiste anders, als wir dachten; nur unsere Hoffnungen dürfen wir aussprechen, daß wir das Gediegenste, Schönste von diesem ausgezeichneten Talente erwarten. Und als hätte ihn, wie Bach, schon der Zufall des Namens auf die Musik hingewiesen, so bilden sonderbarer Weise die vier Buchstaben seines Namens die vier offenen Violinsaiten. Streiche mir

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          * C moll.


{466} Niemand dies kleine Zeichen höherer Gunst weg, wie das andere, daß sich sein Name (durch vier Schlüssel) mit einer Note schreiben läßt,* die herauszufinden Cabbalisten ein Leichtes sein wird.

Noch in diesem Monate erwarten wir eine zweite Symphonie** Gades; sie weicht von der ersten ab, ist weicher und leiser; man denkt dabei an die lieblichen Buchenwälder Dänemarks.

         [1844, 1. Januar.]

{{Right|Robert Schumann.

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Der Sommernachtstraum.

(Brieflich.)

Der zuerst etwas über den Sommernachtstraum von mir erfährt, bist natürlich du, geliebter Freund. Wir sahen ihn endlich gestern*** (nach beinahe 300 Jahren zum erstenmale), und daß der Theaterdirector gerade einen Winterabend mit ihm ausschmückte, zeugt von richtigem Sinne, denn im wirklichen Sommer verlangte man eher nach dem „Wintermärchen“ — aus bekannten Gründen. Viele, das kann ich dir versichern, sahen wohl nur Shakespeare, um Mendelssohn zu hören; mir ging es umgekehrt. Ich weiß recht wohl, daß Mendelssohn es nicht macht wie schlechte Schauspieler, die sich im zufälligen Zusammenspiel mit großen recht breit machen wollen; seine Musik (die Ouverture ausgenommen) will nur eine Begleitung sein, eine Vermittelung, eine Brücke gleichsam zwischen Zettel und Oberon, ohne die ein Hinüberkommen in das Reich der Feerei fast unmöglich, wie sie gewiß auch zu Shakespeares Zeiten schon eine Rolle gespielt. Wer mehr von der Musik erwartete, wird sich getäuscht gefunden haben; sie tritt sogar noch bescheidener zurück als in der „Antigone“, wo freilich die Chöre den Musiker zu reicherer Ausstattung zwangen. In den Gang der eigentlichen Handlung, in das Liebesverhältniß der vier jungen Leute greift die Musik sonst nicht ein; nur einmal schildert sie in sprechenden Affecten das Suchen der Hermia nach ihrem Geliebten; dies ist eine vortreffliche Nummer. Im Uebrigen begleitet sie nur die Feenpartieen des Stückes. Und hier war Mendelssohn an seinem Platz

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     * #Notenbeispiel

{{Right|** E dur. {{Right|*** Den 30. December 1843.

{467} und Niemand so wie er, das weißt du. Ueber die Ouverture ist die Welt längst einig; „transferirte Zettels“ gibt es freilich überall. Die Blüthe der Jugend liegt über sie ausgegossen wie kaum über ein anderes Werk des Componisten, der fertige Meister that in glücklichster Minute seinen ersten höchsten Flug. Rührend war mir’s, wie in den später entstandenen Nummern oft Bruchstücke aus der Ouverture zum Vorschein kommen, und nur in den Schluß des Ganzen, der den Schluß der Ouverture fast wörtlich bringt, stimme ich nicht ein. Die Absicht des Componisten nach Abrundung des Ganzen ist klar; sie scheint mir aber zu verstandesmäßig hervorgebracht; gerade diese Scene hätte er mit seinen frischesten Tönen ausstatten sollen, gerade hier, wo die Musik zur größten Wirkung gelangen konnte, hatte ich etwas Originales, Neugeschaffenes erwartet. Denke dir selbst die Scene, wo die Elfen zu allen Lugen und Spalten des Hauses hereinkletternd ihren Ringelreihn tanzen, Droll voran „die Flur zu fegen blank und weiß“ und Oberon, seinen Segen ertheilend: „Friede sei in diesem Schloß etc.“ — nichts Schöneres für Musik kann gedacht werden. Componirte Mendelssohn doch an dieser Stelle noch etwas Neues! — So schien mir denn, blieb auch die höchste Wirkung des Stückes am Schlusse aus; man erinnerte sich wohl der vielen reizenden Musiknummern im Vorhergegangenen, der Eselskopf Zettels mag noch heute Manchen belustigen, der Zauber der grünen Waldnacht und die Verwirrung darin Vielen unvergeßlich bleiben; das Ganze machte doch aber mehr den Eindruck einer Rarität. Im Uebrigen, glaube mir, ist die Musik fein und geistreich genug, gleich vom ersten Auftreten Drolls und der Elfe an; das ist ein Necken und Scherzen in den Instrumenten, als spielten sie die Elfen selbst; ganz neue Töne hört man da. Aeußerst lieblich ist auch das bald darauf folgende Elfenlied mit den Schlußworten „nun gute Nacht mit Eya Popey“ und so alles, wo die Feen mit im Spiele sind. Auch einen Marsch kannst du hören (den ersten, glaub' ich, den Mendelssohn geschrieben) vor dem Schluß des letzten Theils, er erinnert in etwas an den Marsch in Spohrs „Weihe der Töne“ und hätte origineller sein können; doch enthält er ein höchst reizendes Trio. Das Orchester spielte unter MD. Bachs Leitung vortrefflich, auch die Schauspieler gaben sich alle Mühe, dagegen die Ausstattung fast ärmlich zu nennen war. Heute' soll das Stück wiederholt werden. {{Right|F.

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        * Den 31. December 1843.


{468}

* A. B. Marx:

Mose, Oratorium. Clavierauszug.

Es ist uns der Clavierauszug dieses Werkes von der Redaction zugestellt worden, der wir unsere Ansicht darüber mitzutheilen schon vor dem Erscheinen des „Moses“ zugesagt hatten. Nur ungern erfüllen wir das Versprochene jetzt, wo wir das Oratorium näher kennen gelernt, es hat uns lange nichts so abgestoßen als diese Musik, und es thut uns dies Geständniß leid um des Verfassers willen, dessen schriftstellerisches Talent von Niemandem höher gestellt werden kann als von uns. Zum Componisten fehlt ihm unserer Meinung nach fast alles. Welcher Fleiß, welcher starke Wille dazu gehören mag, ohne schöpferische Kraft dennoch ein so umfangreiches Stück zu Stande zu bringen, wir müssen es bewundern, aber es erfüllt uns auch mit Trauer, den Mann, der für Andere so gut sehen kann, in seiner eigenen Sache für ganz verblendet erklären zu müssen. Wir ehren den Lehrer, der auch schaffen will, steht es nur nicht in gar zu schlimmem Verhältniß mit dem, was er lehrt. Kann man schöner und ergreifender über Sebastian Bach schreiben, als Marx gethan? Rührt es nicht, wenn er, bei Beethoven verweilend, fast schwärmerisch wird? Kann man mit schärferer, blitzenderer Waffe gegen einen Feind ziehen als er? Und lehrt er die Jugend, kann man es gründlicher, hingebender thun? Und nun er, durch Buchstaben zu wirken verschmähend, selbst reden möchte durch die geliebten Schriftzeichen der Tonkunst — was gibt er? Ist das die Melodie, die er lehren will? Ist das die saubere Harmonie, über die er ganze Bücher, die besten in ihrer Art, geschrieben? Ist das die Meisterschaft in allen Formen, auf die er überall dringt? Ist das die urschöpferische Kraft der Erfindung, wie er sie an Bach, Mozart, Beethoven erkannt? Wir wollen nicht darauf antworten; wir müßten darauf überall dasselbe sagen, — daß wir auf das Bitterste getäuscht worden sind, daß wir selbst bei den einzelnen Stellen, wo wir anfingen zu hoffen, bald wieder auf unser Endurtheil zurückkamen, es fehle hier alle Gestaltungskraft, aller Schönheitssinn. Eine einzige, wenigstens besondere Idee fiel uns auf: die „Stimme des Herrn“ im meistens achtstimmigen Chor zu behandeln. Kurz und gut angebracht, hätte sie wohl wirkungsvoll ausfallen


{469} können; achtzehn Seiten des Clavierauszugs aber ausgedehnt, der Schlußsatz des zweiten Theils sogar in einen Anlauf zu einem Fugato endigend, will es uns, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, ein Verstoß gegen die Natur des Gegenstandes dünken. Sichtlichen Fleiß hat der Componist auf die Charakteristik der einzelnen Personen, wie der gegensätzlichen Chöre der Israeliten und Aegypter verwandt; was hilft das alles, wo das Beste fehlt — Schönheit des musikalischen Ausdrucks. Ein glückliches Motiv fällt uns auf im ersten Theil zu den Worten: „und dein grimmiger Zorn“ — aber der Verlauf des Satzes? Ist das Durchführung? Es ist nicht zu viel gesagt, es findet sich im ganzen Moses nicht einmal nur ein in der Form geglücktes, wirklich abgerundetes Musikstück. Und dann, welche Declamation, wie von aller Natur verlassen! Welche Harmonieen — Mißklänge nämlich! Wünscht es die Redaction, so sollen ihr die Belege schriftlich vorgelegt werden. Es schien uns zu nichts zu fruchten, den Raum dafür in Anspruch zu nehmen.

Noch eine Hoffnung hegen wir: daß uns eine baldige Vorführung des Werkes manches in einem günstigeren Lichte sehen lasse. Vielleicht findet sich bald Gelegenheit, da ein hiesiger Verein, wie wir hören, mit dem Einstudiren des übrigens äußerst schweren Wertes beschäftigt ist. So ist es recht, man soll sich mit Allem bekannt machen. Aendert sich dann unser Urtheil, so verlasse sich der Componist darauf, wir widerrufen feierlichst. Heute aber konnten wir nicht anders.64

      [1844, 1.Juli.]

{{Right|XII.

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Compositionen für Pianoforte.

  • Carl Evers, Dritte Sonate (Dmoll). Werk 22.

Es ist eine bedenkliche Ebbe in der Literatur der Claviermusik eingetreten, namentlich in Solostücken für das Instrument, weshalb wir immer mit Theilnahme nach Compositionen greifen, die wenigstens ihrem Titel nach auf ein ernstes künstlerisches Streben schließen lassen. Irren wir nicht, so wurde der Componist obiger Sonate in Wiener Blättern sogar als eine Art Restaurateur des guten Geschmacks und zwar seiner Bestrebungen im Sonatenfache wegen bezeichnet: ein

{470} Urtheil, das nach unserer Meinung indeß außerordentlich einzuschränken ist. Wir kennen die früheren Sonaten des Herrn Evers nicht; stehen sie aber nach Form und Gehalt nicht höher als die vorliegende, so sind sie eben Versuche, wie diese; sich in classischen Formen zu versuchen, macht aber noch lange keine Classicität. Wie dem sei, die Sonate reicht vollkommen hin, sich ein Urtheil über das Talent und Streben des Componisten zu bilden. Ist schon jeder Versuch, sich in größeren Formen zu bewegen, sie beherrschen zu lernen, ein löblicher, so dürfen wir diese Anerkennung auch Herrn Evers nicht vorenthalten; andererseits treten freilich Ungeschick und mangelhafte Bildung nie stärker hervor, als wo sie sich an größere Formen wagen, und es kann einem talentreichen Dilettanten ein kleines Lied gelingen, während er bei dem Versuch einer Sonate vielleicht nicht über die Modulation nach der Dominante hinauskommt. Vor Allem also vermissen wir in der Sonate die Meisterschaft in Handhabung der Form. Wie der Componist auf Seite 4 schon nach F dur modulirt, wieder abläßt, noch einmal nach F dur modulirt, dann mühselig nach A moll kommt etc. etc., — geschieht noch alles ungeschickt, fast schülerhaft. Nun kann ein Werk trotz formeller Schwächen charakterische Vorzüge und Schönheiten besitzen; aber auch in diesem Bezug treffen wir nur auf wenig Ausgezeichnetes. Daß jeder Tact Musik sei, die Forderung dürfen wir freilich nur an den Meister stellen; wir verlangen weniger von Herrn Evers, doch auch mehr als solche dürre, klappernde Passagen wie Seite 6 und 7. Das ist die leidige Hummelsche Manier, die denkt, nach der gehörigen Rührung müsse nun auch dem Zuhörer imponirt werden durch Fingerfertigkeit. Daß zum Schluß des Satzes dieselben Passagen und dann in der Tonica vorkommen, versteht sich. Dem ersten Satz folgt ein Adagio in Fis dur, ein ziemlich geschmackloses Stück, halb Zopf, halb moderne Süßlichkeit; es wäre besser ungedruckt geblieben. Das Beste in der Sonate scheint uns das Thema des letzten Satzes, es hat Schwung und Leben; was dann folgt, ist fast nur Passagengeschnörkel, der eintretende Marsch Bellinisch genug. Statt des erwarteten Kraftschlusses verläuft sich der Satz plötzlich wie in den Sand und in ein dreifaches p. So schließt die Sonate; möge sie der Componist selbst als eine Studie betrachten und später die Meisterwerke nachfolgen lassen; vor der Hand wäre nur der gute Wille anzuerkennen. {{Right|13.

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* Joachim Raff, 2 Pièces caractéristiques. Oeuv. 2.

Ein ganz neuer Componistenname, ein Opus 2, das Vertrautheit mit der neusten Spielweise, hier und da wahrhaft musikalische Züge verräth — kurz eine Ueberraschung. Das Heft enthält zwei mit Prélude überschriebene Stücke und einen Walzer. Den letzten wünschten wir unterdrückt, er klingt wie ein leichtfertiger Witz nach einer Liebeserklärung. An den andern Nummern gefällt uns die bei allem Ernste doch jugendliche Empfindung; ein Etwas, das auf eine Zukunft hindeutet. Noch liegt der Componist unter den Banden moderner Virtuosität; weiß er zu widerstehen, wir dürfen vielleicht Schönes von ihm erwarten; an Begabung scheint es ihm nicht zu fehlen. {{Right|14.

St. Heller, Improvisata sur une Mélodie de H. Reber. Op. 18.
   „      „      Caprice sur un motiv de l’Opéra de Monsigny:
                    le Déserteur.  Op. 41.

Wenn Jemand ein Recht hat, seine Bearbeitungen fremder Motive mit einer Opuszahl zu bezeichnen, so ist es der obige Componist. Die Zeitschrift hat schon öfters auf die eigenthümliche, geistreiche Weise aufmerksam gemacht, mit der St. Heller Andrer Gedanken umzumünzen weiß, daß sich die Originale dafür nur zu bedanken haben. Dabei schreibt er so vortrefflich für sein Instrument, weiß oft mit wenigen Mitteln so schöne Wirkungen hervorzubringen, wie kaum ein anderer Saloncomponist. Und was dies alles überwiegt, eine blüthenreiche Phantasie spielt in seinen Gebilden; so führt er uns in der Caprice über ein Thema von Monsigny wie durch Zauberei in eine alte verklungene Zeit, so gibt er in der Improvisata über eine ländliche Melodie von Reber eine ganze kleine Dorfgeschichte; er hält uns fest wie mit spielenden Fingern, und wir lassen’s uns gern gefallen. Die Deutschen fangen an, diesen schalkhaften Geist zu begreifen; möchte ihm Zeit und Ruhe zu größeren und Originalarbeiten kommen! Dies Eine wünschen wir. [1844, 5. Aug.] {{Right|14.

  • H. Wichmann, Sonate (G moll). Werk 1.

Eine Sonate als Opus 1 hat zwiefachen Anspruch auf unsre

{472} Theilnahme; wenn schon das seltne Concentriren der schaffenden Kraft zu Erzeugung größerer kunstwürdiger Gebilde als die Phantasieen, Uebertragungen, deren Hervorbringung heute in doppeltem Sinne keine Kunst mehr ist, jedenfalls Beachtung heischt, so ist dies um so mehr der Fall, wenn ein Künstler, statt einige entlehnte Gedanken in einer saloppen, ausgetretenen Form mit einem Passagenschwall zu übergießen, sich in die Oeffentlichkeit mit einem Werke einführt, das die Aussprüche eigner Gedanken in einer gebildeten, edlen Form und dazu gleiche Mächtigkeit des Strebens wie der künstlerischen Bildung bedingt. Ein vorsichtiges Urtheil ist hier doppelt Pflicht. Gestehen wir von vornherein, daß wir Manches und Hauptsächliches an der Sonate auszusetzen haben, daß wir uns namentlich gegen Auffassung und Stil des Ganzen erklären müssen. Größere, bedeutsamere Formen erfordern auch einen kräftigeren Flügelschlag der Phantasie; weiche, liebliche Melodieen, kurzgeschürzte Perioden, leichtgerundeter, einfacher Formenbau reichen nicht allein aus. Es bedarf da kräftiger, kühner Gedanken, einer schwunghaften Ausführung. Nicht blos die Liebesklagen der Hirtenflöte, auch der Wogenschlag der Leidenschaft soll da seine Sprache finden. In allen vier Sätzen dieser Sonate fließt alles so weich und sanft dahin, nirgends ein Anstoß, eine Brandung; überall derselbe glatte Spiegel. Es fehlen die kräftigen Gegensätze, dein Lichte der Schatten. Was aber das Instrumentale anbelangt, so gewährt die Sonate im Allgemeinen ungefähr den Anblick einer Haydnschen. Darin liegt freilich ein harter Vorwurf, wir können ihn aber dem Componisten nicht ersparen. Hat er, was wir ihm nicht absprechen, ein gesundes Talent, ein wahrhaft ernstes Streben, so muß, so wird er bald von selbst höhern Flug nehmen. In jedem Fall ist eine Enttäuschung je früher desto weniger schmerzlich. Wäre Hummel, Moscheles, wäre Beethoven nicht für ihn dagewesen — dessen was die neuste Zeit für die Technik des Pianofortespiels that, gar nicht zu erwähnen — so wäre gar nichts weiter zu sagen. Hat er sich aber absichtlich herbeigelassen, etwas Leichtes zu liefern, so ist das wenigstens unklug. Bei einem ersten Werke, zumal einer Sonate, erwartet man, daß der Künstler sein Höchstes und Bestes gebe.

        [1844, 9. August]

{{Right|22.

{473}

Aphoristisches.65

Neue, kühne Melodieen mußt du erfinden.

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„Es hat gefallen“ oder „es hat nicht gefallen“ sagen die Leute. Als ob es nichts Höheres gäbe, als den Leuten zu gefallen!

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Licht senden in die Tiefe des menschlichen Herzens — des Künstlers Beruf!

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Niemand kann mehr, als er weiß. Niemand weiß mehr, als er kann.

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Wer in der Literatur nicht das Bedeutendste der neuen Erscheinungen kennt, gilt für ungebildet. In der Musik sollten wir auch so weit sein.

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Worüber die Künstler tage-, monate-, jahrelang nachgedacht haben, das wollen die Dilettanten im Husch weghaben?

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Theaterbüchlein (1847-1850).66

Johann von Paris von Boieldieu.

(Den 4. Mai 1847 in Dresden.)

Eine Meisteroper. Zwei Acte, zwei Decorationen, zwei Stunden Zeitlänge — alles trefflich gerathen. Jean de Paris, Figaro, und Barbier, die ersten komischen Opern der Welt und nur die Nationen der Componisten zurückspiegelnd!

Instrumentation (auf die jetzt mein Hauptaugenmerk geht) überall meisterlich — die Blasinstrumente, namentlich Clarinetten und Hörner, mit Vorliebe behandelt, den Gesang nirgends deckend, — die Violoncellos hier und da schon als selbständige Stimme mit Effect behandelt.

Hörner klingen in hoher Lage, wenn die Singstimme noch höher liegt, sehr gut, verschmelzen sich mit ihr.

{474}

Templer und Jüdin von Marschner.

(Den 8. Mai 1847.)

Mit großem Genuß gehört. Die Composition hier und da unruhig, nicht ganz klar instrumentirt, neben einer Fülle geistreicher Melodieen. Bedeutendes dramatisches Talent, einzelne Anklänge an Weber.

Ein Edelstein, der sich nicht ganz von seiner rohen Hülle [hat] befreien können.

Behandlung der Singstimmen zum Theil nicht dankbar und vom Orchester erdrückt. Zu viel Posaunen.

Die Chöre gingen spottschlecht, sie müßten theilweise größere Wirkung machen.

In Summa, nach den Weberschen die bedeutendste deutsche Oper der neuern Zeit,

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Iphigenia in Aulis von Gluck.

(Den 15. Mai 1847.)

Schröder-Devrient, Klytämnestra; [Johanna] Wagner, Iphigenia; Mitterwurzer, Agamemnon; Tichatschek. Achill.

Richard Wagner hat die Oper in Scene gesetzt; Costümirung und Decoration sehr angemessen. Auch an der Musik hat er hinzugethan; ich glaubt' es hie und da zu hören. Auch den Schluß „nach Troja“ hinzugemacht. Dies ist eigentlich unerlaubt. Gluck würde an R. Wagners Oper vielleicht den umgekehrten Proceß vornehmen — wegnehmen, herausschneiden.

Was soll ich über die Oper sagen! Wie lange die Welt steht, solche Musik wird immer wieder einmal zum Vorschein kommen, wird nie alt.

Ein großer origineller Künstler. Mozart steht aus seinen Schultern sichtbar; Spontini copirt ihn oft wörtlich.

Der Schluß der Oper wieder von höchster Wirkung, wie in Armida.

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Tannhäuser von Richard Wagner.67

(Den 7. August 1847.)

Eine Oper, über die sich nicht so in Kürze sprechen läßt. Gewiß, daß sie einen genialen Anstrich hat. Wär' er ein so melodiöser Musiker, wie er ein geistreicher, er wäre der Mann der Zeit.

{475}

Viel ließe sich über die Oper sagen, und sie verdiente es, ich hebe es mir auf später auf.

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La Favorite von Donizetti.

(Den 30. August 1847.)

Nur zwei Acte hörte ich. Puppentheatermusik!

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Euryanthe von C. M. von Weber.

(Den 23. September 1847.)

Geschwärmt haben wir wie lange nicht. Die Musik ist noch viel zu wenig erkannt und anerkannt. Es ist Herzblut, sein edelstes, was er hatte; ein Stück Leben hat ihm die Oper gekostet — gewiß. Aber auch unsterblich ist er durch sie.

Eine Kette glänzender Juwelen vom Anfang bis zum Schluß. Alles höchst geistreich und meisterhaft. Die Charakteristik der Einzelnen, namentlich Eglantinens und Euryanthens, wie herrlich — und wie klingen die Instrumente! Aus der innersten Tiefe sprechen sie zu uns.

Wir waren ganz voll davon, sprachen noch lange darüber. Das genialste Stück der Oper scheint mir das Duett zwischen Lysiart und Eglantine im zweiten Act. Der Marsch im dritten Act zu Ehren der nämlichen ist’s auch, aber nicht Einzelnem, dem Ganzen gebührt die Krone.

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Barbier von Sevilla von Rossini.

(Im November 1847.)

Mit der Viardot-Garcia als Rosine. Immer erheiternde geistreiche Musik, die beste, die Rossini je gemacht. Die Viardot macht aus der Oper eine große Variation; kaum eine Melodie läßt sie ungeschoren. Welch' falsche Ansicht von Virtuosenfreiheit! Uebrigens ihre beste Rolle.

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Stumme von Portici von Auber.

(Den 22. Februar 1848.)

Die Oper eines musikalischen Glückskindes. Der Stoff hat sie erhalten. Die Musik gar zu roh, gemüthlos, dabei abscheulich instrumentirt. Hier und da Funken von Geist.

{476}

Oberon von Weber. (Den 18. März 1848.)

Gar zu lyrischer Stoff. Auch die Musik andern Weberschen Opern an Frische nachstehend. Eine schlumprige Aufführung.

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Ferdinand Cortez von Spontini.

(Den 27. Juli 1848.)

Mit Entzücken zum erstenmal gehört.

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Fidelio von Beethoven.

(Den 11. August 1848.)

Schlechte Aufführung und unbegreifliche Temponahme von R. Wagner.

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Heimliche Ehe von Cimarosa. 68

(Den 19. Juni 1849.)

Im Technischen (Satz und Instrumentation) durchaus meisterlich, sonst ziemlich interesselos, zuletzt wahrhaft langweilig und aller Gedanken ledig.

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Wasserträger von Cherubini.

(Den 8. Juli 1849.)

Mit großer Freude an der geistreichen meisterlichen Oper seit vielen Jahren wieder zum erstenmal gehört. Ein vortrefflicher Wasserträger in Dall' Aste.

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Prophet von Giac. Meyerbeer.

(Den 2. Februar 1850.)

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{477}

Musikalische Haus- und Lebensregeln.69

Die Bildung des Gehörs ist das Wichtigste. Bemühe dich frühzeitig, Tonart und Ton zu erkennen. Die Glocke, die Fensterscheibe,70 der Kuckuck — forsche nach, welche Töne sie angeben.

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Dn sollst Tonleitern und andere Fingerübungen fleißig spielen. Es gibt aber viele Leute, die meinen, damit alles zu erreichen, die bis in ihr hohes Alter täglich viele Stunden mit mechanischem Ueben hinbringen. Das ist ungefähr ebenso, als bemühe man sich täglich, das ABC möglichst schnell und immer schneller auszusprechen. Wende die Zeit besser an.

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Man hat sogenannte „stumme Claviaturen“ erfunden; versuche sie eine Weile lang, um zu sehen, daß sie zu nichts taugen. Von Stummen kann man nicht sprechen lernen.

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Spiele im Tacte! Das Spiel mancher Virtuosen ist wie der Gang eines Betrunkenen. Solche nimm dir nicht zum Muster.

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Lerne frühzeitig die Grundgesetze der Harmonie.

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Fürchte dich nicht vor den Worten: Theorie, Generalbaß, Contrapunct etc.; sie kommen dir freundlich entgegen, wenn du dasselbe thust.

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Klimpere nie! Spiele immer frisch zu, und nie ein Stück halb.

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Schleppen und eilen sind gleich große Fehler.

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Bemühe dich, leichte Stücke gut und schön zu spielen; es ist besser, als schwere mittelmäßig vorzutragen.

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Du hast immer auf ein rein gestimmtes Instrument zu halten.

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{478} Nicht allein mit den Fingern mußt du deine Stückchen können, du mußt sie dir auch ohne Clavier vorträllern können. Schärfe deine Einbildungskraft so, daß du nicht allein die Melodie einer Composition, sondern auch die dazu gehörige Harmonie im Gedächtniß festzuhalten vermagst. _____________

Bemühe dich, und wenn du auch nur wenig Stimme hast, ohne Hülfe des Instruments vom Blatt zu singen; die Schärfe deines Gehörs wird dadurch immer zunehmen. Hast du aber eine klangvolle Stimme, so säume keinen Augenblick, sie auszubilden, betrachte sie als das schönste Geschenk, das dir der Himmel verliehen! _____________

Du mußt es so weit bringen, daß du eine Musik auf dem Papier verstehst. _____________

Wenn du spielst, kümmere dich nicht darum, wer dir zuhört. _____________

Spiele immer, als hörte dir ein Meister zu. _____________

Legt dir Jemand eine Composition zum erstenmal vor, daß du sie spielen sollst, so überlies sie erst. _____________

Hast du dein musikalisches Tagewerk gethan und fühlst dich ermüdet, so strenge dich nicht zu weiterer Arbeit an. Besser rasten, als ohne Lust und Frische arbeiten. _____________

Spiele, wenn du älter wirst, nichts Modisches. Die Zeit ist kostbar. Man müßte hundert Menschenleben haben, wenn man nur alles Gute, was da ist, kennen lernen wollte. _____________

Mit Süßigkeiten, Back- und Zuckerwerk zieht man keine Kinder zu gesunden Menschen. Wie die leibliche, so muß die geistige Kost einfach und kräftig sein. Die Meister haben hinlänglich für die letztere gesorgt; haltet euch an diese. _____________

Aller Passagenkram ändert sich mit der Zeit; nur, wo die Fertigkeit höheren Zwecken dient, hat sie Werth. _____________

{479} Schlechte Compositionen mußt du nicht verbreiten, im Gegentheil sie mit aller Kraft unterdrücken helfen. _____________

Du sollst schlechte Compositionen weder spielen noch, wenn du nicht dazu gezwungen bist, sie anhören. _____________

Such' es nie in der Fertigkeit, der sogenannten Bravour. Suche mit einer Composition den Eindruck hervorzubringen, den der Componist im Sinne hatte; mehr soll man nicht; was darüber ist, ist Zerrbild. _____________

Betrachte es als etwas Abscheuliches, in Stücken guter Tonsetzer etwas zu ändern, wegzulassen oder gar neumodische Verzierungen anzubringen. Dies ist die größte Schmach, die du der Kunst anthust. _____________

Wegen der Wahl im Studium deiner Stücke befrage Aeltere: du ersparst dir dadurch viel Zeit. _____________

Du mußt nach und nach alle bedeutenderen Werke aller bedeutenden Meister kennen lernen. _____________

Laß dich durch den Beifall, den sogenannte große Virtuosen oft erringen, nicht irre machen. Der Beifall der Künstler sei dir mehr werth als der des großen Haufens. _____________

Alles Modische wird wieder unmodisch, und treibst du’s bis' in das Alter, so wirst du ein Geck, den Niemand achtet. _____________

Viel Spielen in Gesellschaften bringt mehr Schaden als Nutzen. Sieh dir die Leute an; aber spiele nie etwas, dessen du dich in deinem Innern zu schämen hättest. _____________

Versäume aber keine Gelegenheit, wo du mit Anderen zusammen musiciren kannst, in Duos, Trios etc. Dies macht dein Spiel fließend, schwungvoll. Auch Sängern accompagnire oft. _____________

Wenn Alle erste Violine spielen wollten, würden wir kein Orchester zusammen bekommen. Achte daher jeden Musiker an seiner Stelle. _____________


{480} Liebe dein Instrument, halte es aber nicht in Eitelkeit für das höchste und einzige. Bedenke, daß es noch andere und ebenso schöne gibt. Bedenke auch, daß es Sänger gibt, daß im Chor und Orchester das Höchste der Musik zur Aussprache kommt. _____________

Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen. _____________

Spiele fleißig Fugen guter Meister, vor Allen von Joh. Seb. Bach. Das „wohltemperirte Clavier“ sei dein täglich Brod. Dann wirst du gewiß ein tüchtiger Musiker. _____________

Suche unter deinen Kameraden die aus, die mehr als du wissen. _____________

Von deinen musikalischen Studien erhole dich fleißig durch Dichterlectüre. Ergehe dich oft im Freien! _____________

Von Sängern und Sängerinnen läßt sich manches lernen, doch glaube ihnen auch nicht alles. _____________

Hinter den Bergen wohnen auch Leute. Sei bescheiden! Du hast noch nichts erfunden und gedacht, was nicht Andere vor dir schon gedacht und erfunden. Und hättest du’s, so betrachte es als ein Geschenk von Oben, das du mit Anderen zu theilen hast. _____________

Das Studium der Geschichte der Musik, unterstützt vom lebendigen Hören der Meisterwerke der verschiedenen Epochen, wird dich am schnellsten von Eigendünkel und Eitelkeit curiren. _____________

Ein schönes Buch über Musik ist das „Ueber Reinheit der Tonkunst“ von Thibaut. Lies es oft, wenn du älter wirst. _____________

Gehst du an einer Kirche vorbei und hörst Orgel darin spielen, so gehe hinein und höre zu. Wird es dir gar so wohl, dich selbst auf die Orgelbank setzen zu dürfen, so versuche deine kleinen Finger und staune vor dieser Allgewalt der Musik. _____________

Versäume keine Gelegenheit, dich auf der Orgel zu üben; es gibt


{481} kein Instrument, das am Unreinen und Unsauberen im Tonsatz wie im Spiel alsogleich Rache nähme, als die Orgel, _____________

Singe fleißig im Chor mit, namentlich Mittelstimmen. Dies macht dich musikalisch. _____________

Was heißt denn aber musikalisch sein? Du bist es nicht, wenn du, die Augen ängstlich auf die Noten gerichtet, dein Stück mühsam zu Ende spielst; du bist es nicht, wenn du (es wendet dir Jemand etwa zwei Seiten auf einmal um) stecken bleibst und nicht fortkannst. Du bist es aber, wenn du bei einem neuen Stück das, was kommt, ungefähr ahnest, bei einem dir bekannten auswendig weißt, — mit einem Worte, wenn du Musik nicht allein in den Fingern, sondern auch im Kopf und Herzen hast. _____________

Wie wird man aber musikalisch? Liebes Kind, die Hauptsache, ein scharfes Ohr, schnelle Auffassungskraft kommt, wie in allen Dingen, von Oben. Aber es läßt sich die Anlage bilden und erhöhen. Du wirst es nicht dadurch, daß du dich einsiedlerisch Tage lang absperrst und mechanische Studien treibst, sondern dadurch, daß du dich in lebendigem, vielseitig-musikalischem Verkehr erhältst, namentlich dadurch, daß du viel mit Chor und Orchester verkehrst. _____________

Mache dich über den Umfang der menschlichen Stimme in ihren vier Hauptarten frühzeitig klar; belausche sie namentlich im Chor, forsche nach, in welchen Intervallen ihre höchste Kraft liegt, in welchen andern sie sich zum Weichen und Zarten verwenden lassen. _____________

Höre fleißig auf alle Volkslieder; sie sind eine Fundgrube der schönsten Melodieen und öffnen dir den Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen. _____________

Uebe dich frühzeitig im Lesen der alten Schlüssel. Viele Schätze der Vergangenheit bleiben dir sonst verschlossen. _____________

Achte schon frühzeitig auf Ton und Charakter der verschiedenen Instrumente; suche ihre eigenthümliche Klangfarbe deinem Ohr einzuprägen. _____________


{482} Gute Opern zu hören, versäume nie. _____________

Ehre das Alte hoch, bringe aber auch dem Neuen ein warmes Herz entgegen. Gegen dir unbekannte Namen hege kein Vorurtheil. _____________

Urtheile nicht nach dem Erstenmalhören über eine Composition; was dir im ersten Augenblick gefällt, ist nicht immer das Beste. Meister wollen studirt sein. Vieles wird dir erst im höchsten Alter klar werden. _____________

Bei Beurtheilung von Compositionen unterscheide, ob sie dem Kunstfach angehören oder nur dilettantische Unterhaltung bezwecken. Für die der ersten Art stehe ein; wegen der anderen erzürne dich nicht! _____________

„Melodie“ ist das Feldgeschrei der Dilettanten, und gewiß, eine Musik ohne Melodie ist gar keine. Verstehe aber wohl, was jene darunter meinen; eine leichtfaßliche, rhythmisch-gefällige gilt ihnen allein dafür. Es gibt aber auch andere anderen Schlages, und wo du Bach, Mozart, Beethoven aufschlägst, blicken sie dich in tausend verschiedenen Weisen an: des dürftigen Einerleis namentlich neuerer italiänischer Opernmelodieen wirst du hoffentlich bald überdrüssig. _____________

Suchst du dir am Clavier kleine Melodieen zusammen, so ist das wohl hübsch; kommen sie dir aber einmal von selbst, nicht am Clavier, dann freue dich noch mehr, dann regt sich in dir der innere Tonsinn. — Die Finger müssen machen, was der Kopf will, nicht umgekehrt. _____________

Fängst du an zu componiren, so mache alles im Kopf. Erst wenn du ein Stück ganz fertig hast, probire es am Instrumente. Kam dir deine Musik aus dem Innern, empfandest du sie, so wird sie auch so auf Andere wirken. _____________

Verlieh dir der Himmel eine rege Phantasie, so wirst du in einsamen Stunden wohl oft wie festgebannt am Flügel sitzen, in Harmonieen dein Inneres aussprechen wollen, und um so geheimnißvoller wirst du dich wie in magische Kreise gezogen fühlen, je unklarer dir vielleicht das Harmonieenreich noch ist. Der Jugend glücklichste Stunden


{483} sind diese. Hüte dich indessen, dich zu oft einem Talente hinzugeben, das Kraft und Zeit gleichsam an Schattenbilder zu verschwenden dich verleitet. Die Beherrschung der Form, die Kraft klarer Gestaltung gewinnst du nur durch das feste Zeichen der Schrift. Schreibe also mehr, als du phantasirst.70 _____________

Verschaffe dir frühzeitig Kenntniß vom Dirigiren, sieh dir gute Dirigenten oft an; selbft im Stillen mit zu dirigiren, sei dir unverwehrt. Dies bringt Klarheit in dich. _____________

Sieh dich tüchtig im Leben um, wie auch in anderen Künsten und Wissenschaften. _____________

Die Gesetze der Moral sind auch die der Kunst. _____________

Durch Fleiß und Ausdauer wirst du es immer höher bringen. _____________

Aus einem Pfund Eisen, das wenig Groschen kostet, lassen sich viele tausend Uhrfedern machen, deren Werth in die Hunderttausend geht. Das Pfund, das du von Gott erhalten, nütze es treulich. _____________

Ohne Enthusiasmus wird nichts Rechtes in der Kunst zu Wege gebracht. _____________

Die Kunst ist nicht da, um Reichthümer zu erwerben. Werde nur ein immer größerer Künstler; alles Andere fällt dir von selbst zu. _____________

Nur erst, wenn dir die Form ganz klar ist, wird dir der Geist klar werden. _____________

Vielleicht versteht nur der Genius den Genius ganz. _____________

Es meinte Jemand, ein vollkommener Musiker müsse im Stande sein, ein zum erstenmal gehörtes, auch complicirteres Orchesterwerk wie in leibhaftiger Partitur vor sich zu sehen. Das ist das Höchste, was gedacht werden kann. _____________

Es ist des Lernens kein Ende. {{Right|R. Schumann. {{Right|[1850, 3. Mai.] _____________

{484}

*Neue Bahnen

Es sind Jahre verflossen — beinahe ebenso viele, als ich der früheren Redaction dieser Blätter widmete, nämlich zehn, — daß ich mich auf diesem an Erinnerungen so reichen Terrain einmal hätte vernehmen lassen.72 Oft, trotz angestrengter productiver Thätigkeit, fühlte ich mich angeregt; manche neue, bedeutende Talente erschienen, eine neue Kraft der Musik schien sich anzukündigen, wie dies viele der hochaufstrebenden Künstler der jüngsten Zeit bezeugen, wenn auch deren Productionen mehr einem engeren Kreise bekannt sind.* Ich dachte, die Bahnen dieser Auserwählten mit der größten Theilnahme verfolgend, es würde und müsse nach solchem Vorgang einmal plötzlich Einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre. Einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion spränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer** gebildet in den schwierigsten Satzungen der Kunst, mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister*** empfohlen. Er trug, auch im Aeußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. Am Clavier sitzend, fing er an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise hineingezogen. Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Clavier ein Orchester von wehklagenden und lautjubelnden Stimmen machte. Es waren Sonaten, mehr verschleierte Symphonieen, — Lieder, deren Poesie man, ohne die Worte zu kennen, verstehen würde, obwohl eine tiefe Gesangmelodie sich durch alle hindurchzieht, —

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       * Ich habe hier im Sinn: Joseph Joachim, Ernst Naumann, Ludwig Norman, Woldemar Bargiel, Theodor Kirchner, Julius Schäfer, Albert Dietrich, des tiefsinnigen, großer Kunst beflissenen geistlichen Tonsetzers C. F. Wilsing nicht zu vergessen. Als rüstig schreitende Vorboten wären hier auch Niels W. Gade, C. F. Mangold, Robert Franz und St. Heller zu nennen.  [Sch.]
     ** Eduard Marxsen in Hamburg.  [Sch.] 
   *** Joachim.

{485} einzelne Clavierstücke, theilweise dämonischer Natur von der anmuthigsten Form, — dann Sonaten für Violine und Clavier, — Quartette für Saiteninstrumente, — und jedes so abweichend vom andern, daß sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen. Und dann schien es, als vereinigte er, als Strom dahinbrausend, alle wie zu einem Wasserfall, über die hinunterstürzenden Wogen den friedlichen Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallenstimmen begleitet.

Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor. Möchte ihn der höchste Genius dazu stärken, wozu die Voraussicht da ist, da ihm auch ein anderer Genius, der der Bescheidenheit, innewohnt. Seine Mitgenossen begrüßen ihn bei seinem ersten Gang durch die Welt, wo seiner vielleicht Wunden warten werden, aber auch Lorbeeren und Palmen; wir heißen ihn willkommen als starken Streiter.

Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündniß verwandter Geister. Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend! [1853, 25. October.] {{Right|R. S.

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{486}

[leer]


Anmerkungen[Bearbeiten]

{487}

Anmerkungen.

{488}

[leer]


{489}

1 (S. 7). Bennett kam am 29. October 1836 nach Leipzig und blieb fast acht Monate dort. Ueber seinen freundschaftlichen Verkehr mit Schumann enthält sein Tagebuch allerlei Einzeichnungen, deren Mittheilung ich seinem Sohne, Herrn James Sterndale Bennett in Derby, verdaute. Einige Auszüge mögen hier folgen.

3. Nov.1836: „Ging gestern Abend zum Abendessen ins Hôtel de Bavière, wo ich zwei meiner neuen Freunde traf — die Herren Schumann und [Eduard] Franck und einen andern Musiker, der mir fremd war. Wir wurden aber bald Freunde bei einem Glase Sekt. Ich kam um elf in meiner Wohnung an, was hier zu Lande für ungeheuer spät gehalten wird. Heute werde ich als Abonnent im Hôtel de Bavière anfangen.“

4. Nov.: „Habe eben Herrn Wieck besucht, . . . . . habe außerdem Fräulein Clara Wicck mein Compliment gemacht, — ein sehr kluges Mädchen, das famos spielt. Sie spielte mir ein Concert vor, das sie componirt hat. Ich wollte, alle Mädchen wären so wie sie.“

In den nächsten Wochen folgen Vermerke über Besuche bei und von Schumann und über gemeinschaftliche Spaziergänge, Schumann führte Bennett bei Kistner (seinem demnächstigen Verleger) und bei Frau Henriette Voigt ein. Unterm 28. Nov. heißt es: „Ging heute zu Schumann, um ihn zu besuchen, da er sehr krank ist.“

Auch nach der Heimath berichtet Bennett über seine Bekanntschaft mit Schumann. An seinen Freund James Davison in London schreibt er: „Ich habe einen Freund gefunden, der ganz nach Deinem Herzen sein, der mit Dir die ganze Nacht wachen und rauchen und plaudern würde: sein Name ist Robert Schumann.“ Es wird dadurch aufs Neue bestätigt, daß Schumann in seinen jungen Jahren keineswegs jene beharrliche Schweigsamkeit zeigte, die später ein Grundzug seines Wesens war. Bei der Erörterung dieses punctes schrieb mir Herr Bennett: „Mein Vater hat Schumanns nie als eines sehr schweigsamen Mannes erwähnt. Freilich war sein enger Verkehr mit ihm fast nur auf seinen ersten Besuch in Deutschland beschränkt, und Schumann ist vielleicht erst später so schweigsam geworden.“

Wie Bennett, so schreibt auch Schumann den Seinigen über den neugewonnenen Freund. „ . . . Dann ist noch ein junger Engländer William Bennett in unsern täglichen Kreisen, Engländer durch und durch, eine poetisch schöne Seele, vielleicht bring' ich auch den mit.“ Ebenso wünscht er Zuccalmaglio die Bekanntschaft Bennetts, der „ein Engel von einem Tonkünstler“ sei.

{490} Bennetts Tagebuch berichtet unterm 14. Febr. 1837: „Meine Ouverture [die Najaden] wurde gestern Abend mit gutem Beifall aufgenommen. Ich dirigirte sie selbst (auf Mendelssohns Wunsch) und wußte nicht, wo ich mit meiner linken Hand bleiben sollte. Im zweiten Theile des Concerts wurden Scenen aus Goethes Faust gegeben mit Musik von einem preußischen Prinzen [Fürsten Radziwill]. Aus diesem Anlaß gingen Schumann, Goethe (der Enkel), Armstrong und Franck mit mir nach Dr. Fausts, d. h. Auerbachs Keller. Es waren da einige wunderbare alte Bilder vom Doctor und vom Teufel, und der Ort machte einen sehr schwefelhaften Eindruck. Mehr will ich darüber nicht sagen.“

An diesem Abende schrieb Bennett den Canon:

  1. Notenbeispiel.

(Die Originalhandschrift dieses Canons kam später — wahrscheinlich durch Schumann — in den Besitz der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde.)

Mendelssohns Hochzeitstag, den 28. März 1837, feierten Schumann und Bennett durch ein Mittagessen in einem Dorfe bei Leipzig.

Am 13. April gab Bennett zur Feier seines 21. Geburtstages ein Frühstück, an welchem auch Schumann theilnahm. „Schumann schickte mir einen Brief Martin Luthers, Frau Voigt einen von Weber. Goethe gab mir seines Großvaters Werke, . . . . Frau Kistner schenkte mir etwas in einem Korbe mit einem Lorbeerkranz, was aussah wie eine Theebüchse, sich schließlich aber als ein Kästchen entpuppte, das einen silbernen Becher und Teller von der Concertdirection enthielt.“

28. Mai: „Mein armes Tagebuch — so viele Tage und sogar Wochen sind vorbei, und du bist nicht einmal aufgeschlagen — —. Ich vergaß zu erwähnen,


{491} daß ich Frau [Therese] Schumann in Zwickau, 50 [englische] Meilen von hier, besucht habe, ich fuhr mit Robert Schumann und v. Goethe. Es regnete die ganze Zeit.“

10. Juni: „Schumann ist eine Stunde bei mir gewesen, um eine Flasche Porter zu trinken. Ich bin sehr traurig, von ihm zu scheiden, denn ich gkaube, er hat eins der besten Herzen, die ich je gekannt. Mein Herz springt, wenn ich denke, daß ich Montag Leipzig verlasse, doch weiß ich nicht, ob aus Trauer, daß ich von hier fortgehe, oder aus Freude, mein England wiederzusehen,“

Am 12. Juni reiste Bennett von Leipzig ab. „Mit Trauer sehen wir dem von Allen geliebten, hochgehaltenen Künstler nach,“ schrieb Schumann einige Tage später in der Zeitschrift (1837, VI. 194).

Während Bennetts zweiten Aufenthalts in Leipzig — vom 16. Oetober 1838 bis zum 2. März 1839 — war Schumann in Wien. Dort, in seiner Vereinsamung, vermißte er den Freund recht. „Einen jüngeren Menschen, einen Bennett, habe ich noch nicht finden können, und ich muß meine besten Gedanken für mich behalten,“ schrieb er an Clara.

Noch ein drittes Mal war Bennett in Leipzig: vom 12. Januar bis zum 7. März 1842. Sein Tagebuch enthält nur einige kurze Aufzeichnungen.

15. Januar: „Aß gestern (Freitag) bei Voigt zu Mittag, wo ich Schumann und seine Frau (Clara Wieck) traf. Wir fuhren nachher mit dem Schlitten nach Connewitz, einem kleinen Dorfe bei Leipzig. — Wie interessant ist es für mich, die Bekanntschaft Schumanns zu erneuern, den ich seit beinahe fünf Jahren nicht gesehen habe.“ Berlin den 21. Januar [bei Mendelssohn zum Besuch): „Ein schöner Mensch bin ich, ein Tagebuch zu führen! Nichts über Fräulein Meertis Concert vergangenen Montag, nichts über das Mittagessen bei Schumann am Sonntag ― — “

Leipzig den 25. Januar: „Schumann aß hier heute zu Abend. Prächtiger Mensch!“

2 (S. 18). Auch Schumann scheint sich angeregt gefühlt zu haben, zu diesem Shakespeareschen Drama Musik zu schreiben, als er sich in den ersten vierziger Jahren dem Orchester zugewandt hatte; doch ist die Ausführung des Gedankens unterblieben. Louis Ehlert erfuhr das aus Schumanns Munde bei einer besonderen Veranlassung. Ehlert war 1843 Schüler des Leipziger Conservatoriums geworden, suchte Schumann einmal in seiner Wohnung auf und legte ihm eine Orchestercom- position zur Beurtheilung vor. „Freundlich setzte er sich mir gegenüber“ (so schrieb mir Ehlert) „und las den Titel: Ouverture zu Romeo und Julie. ,Sie haben es also gewagt', sagte er mit leisester Stimme, ,ich habe es nie gewagt'. Die Wirkung auf mich war niederschmetternd. Ich entriß ihm das unglückselige Machwerk und ließ ihn trotz aller seiner Bitten keine Zeile darin lesen.“

3 (S. 19). Harmonika, Glasglockeninstrument, aus 50 Glocken bestehend, die sich um eine eiserne wagerechte Achse drehen und durch Berührung mit feuchten Fingern zum Tönen gebracht werden. Der Klang ähnelt dem der Geige mit Sordinen.

4 (S. 26). Unter den mancherlei phantastisch eingekleideten Recensionen Schumanns ist diese jedenfalls eine der seltsamsten, eine Art Novelle. Der Kern derselben — die Charakterisirung der Tanzcompositionen — tritt klar genug heraus. Der Name Ambrosia mag eine Dame aus Schumanns Bekanntschaft bezeichnen sollen, bei Beda liegt der Gedanke an Clara nahe. Mit de Knapp (der „nicht

{492} viel Deutsch versteht“) ist der Liedercomponist C. Banck (— man lese den Namen von rückwärts —) gemeint, der bis Ostern 1836 Mitarbeiter der Zeitschrift, hernach aber mehr und mehr in eine gegnerische Stellung zu Schumann gerathen war. (In 93 mir vorliegenden Briefen Bancks an Fr. Hofmeister, vom 3. Jan. 1836 bis zum 14. Nov. 1842 reichend, ist nichts enthalten, was irgendwie auf freundschaftliche Gesinnungen gegen Schumann schließen ließe. Dagegen lassen sie ein lebhaftes Interesse für Clara Wieck erkennen, das freilich erlosch, als 1839 ihre Verlobung mit Schnmann öffentlich bekannt geworden war. Als hervorragender Charakterzug tritt in den Briefen ein starkes Selbstgefühl hervor. Man liest mit heiterem Erstaunen, wie rührig und geschickt Banck die von ihm geschriebenen oder veranlaßten Reclame-Artikel über sich in alle möglichen Zeitungen zu bringen wußte.)

Die ironischen Scherze des Aufsatzes über Recensenten und die neue Zeitschrift (die mit den Augen der Gegner betrachtet und durch eine „neuste musikalische Zeitung“ noch überboten wird) bedürfen keiner Erläuterung. Der in der „Nachschrift“ enthaltene Hinweis auf die Recension des Carnaval in der „Neusten“ hatte wohl nur den Zweck, das kritische Verfahren des „doppelzüngigen Redacteurs“ an einem bestimmten Beispiel aufzudecken. Der Carnaval war aber noch gar nicht gedruckt, als dieser Aufsatz (d. 19. Mai) erschien; erst im August wurde er fertig. In Wirklichkeit hat keine der damaligen Musikzeitungen den Carnaval erwähnenswert!) gefunden; nur die „Zeitung s. d. eleg. Welt“ (22. Sept. 1837) brachte eine Recension desselben.

De Knapp ist noch ein zweites Mal in der Zeitschrift erwähnt und zwar 1839 (X, 172). Er wird da in Beziehung gebracht mit einem Artikel im „Nürnberger Correspondenten“ vom 11. Mai (unterz. Dr. St.), der Schumanns Zeitschrift „träge und farblos“, Finks Zeitung dagegen „lebendiger und entschiedener“ nennt. (In einem Briefe Bancks an Hofmeister vom 1. Mai 1839 ist das genau mit denselben Worten gesagt. „Finks Zeitung fährt fort, lebendiger und entschiedener zu werden.“) Eine Entgegnung Schumanns im Nürnberger Corresp. vom 20. Mai weist die „rein persönliche, aus böswilligen Absichten hervorgegangene“ Bemerkung des „leicht zu erkennenden Verfassers“ kurz zurück. Auf diese Entgegnung macht die erwähnte Notiz in der Zeitschrift (Nnmmer vom 28. Mai) warnend aufmerksam; „de Knapp und Cons, mögen es sich merken.“ Vgl. Anmerk. 45.

5 (S. 31). Das bezieht sich auf Otto Nicolai, der in seinem Aufsatz: „Einige Betrachtungen über die italiänische Oper im Vergleich zur deutschen“ (1837, VI, 99) eine bedenkliche Hinneigung zu der neusten italiänischen Opernmusik verrieth. Nicolai, der einige Jahre Organist an der preußischen Gesandtschaftscapelle in Rom war (zu Bunsens Zeit), beklagt darin, daß man unserer Kunst in Italien nicht Gerechtigkeit widerfahren lasse, und kommt bei den Erwägungen, wie ihr Eingang zu verschaffen sei, zu dem Resultat, daß „eine Vereinigung beider Schulen“ angestrebt werden müsse. Schumann, mit den Ausführungen nicht einverstanden, fügte dem Aufsatz folgende Nachschrift an: „Mehr als tragikomisch sah namentlich Florestan aus, als ihm der obige Aufsatz vorgelesen wurde. ,Ein so gescheuter Mann — und Vorschläge, wie Vermischung der Stile etc., murmelte er vor sich hin. ,Indeß jede Ansicht soll gehört werden — und geprüft auch,’ setzte er rasch hinzu. So möchten sich denn unsere auswärtigen Freunde (namentlich du, köstlicher Wedel!) über manches oben Angeregte vernehmen lassen, und mit der Freimüthigkeit, die jenen Aufsatz so sehr auszeichnet. Uns selbst fehlt es heute an Zeit. {{Right|Die Dblr.“

{493} Daraufhin schrieb Wedel eine Entgegnung (1837, VI, 195), welche mit den Worten schließt: „Ist der Wanderer [Nicolai] erst wieder unter uns, so wird ihm manches in einem andern Lichte erscheinen, und so wird ihn der höhere Ernst deutscher Kunst, den man wohl verspotten aber nicht entwürdigen kann, über vieles, was ihm jetzt bedeutend [erscheint], hinüber heben,“

6 (S. 32). Schumann kannte den alten Böhner auch persönlich, „Sie wissen,“ schrieb er 1834 an Fricken, „daß er seiner Zeit so berühmt wie Beethoven war und dem Hoffmann als Original zu dessen Capellmeister Kreisler saß. Aber seine ärmliche Erscheinung hat mich niedergedrückt — der alte Löwe mit dem Splitter in der Tatze — das ist sie. Vorgestern phantasirte er ein paar Stunden bei mir; die alten Blitze schlugen hier und da hervor, sonst ist aber Alles dunkel und öde. Sein früheres Leben rächt sich jetzt. Er hat mit einer Keckheit und einem Stolz der Menschen gespottet, daß diese es nun umdrehen. Hätte ich Zeit, so möcht' ich einmal für die Zeitung Böhnerianen schreiben, zu denen er mir selbst viel Stoff gegeben. Es ist zu viel Lustiges und Betrübendes in diesem Leben gewesen. So kündigte er einmal in Oldenburg Concert an — das Publicum ist versammelt und gespannt — da tritt er ans Orgelchor, beugt sich herüber und sagt: ,vor so einem albernen Publicum spielt ein Louis Böhner nicht´. So treibt er alles. Hat er einmal ein gut Concert gemacht, so kauft er sich Körbe voll goldener Dosen; jetzt kommt ein Freund, macht ihm die bittersten Vorwürfe — flugs wirft er den ganzen Goldkram zum Fenster hinaus. Dergleichen Geschichten kenn' ich an die hundert von ihm.“ Jugendbr. S. 254.) So viel bekannt, hat Schumann keine Aufzeichnungen über Böhner gemacht.

7 (S. 37). Schumann beurtheilte das Werk richtig, denn später hat sich erwiesen, daß es ein untergeschobenes ist. (Vgl. F. W. Jähns' „C. M. v. Weber in seinen Werken“ S. 446.) In Finks Ztg. (1836, S. 731) wurde die Phantasie als Werk Webers beurtheilt, das „den vielen Freunden des früh Verstorbenen lieb und werth“ sein werde. Rellstab fand (Iris 1836, S. 190) das Werk „sehr schön in der Erfindung“ und „mit der sicheren Hand des Meisters geschrieben.“

8 (S. 39). Der Musikverein Euterpe wurde 1824 gegründet durch die Musiker Sipp, Kretzschmar, Fölck, Sommerfeld, Rosenkranz und den stud. jur. Hermsdorf. Sie versammelten sich im ersten Winter (1824,25) in Sipps Junggesellenwohnung zur Pflege der Kammermusik, gingen aber alsbald an die Ausführung kleinerer Orchestersachen, als sich ihnen in demselben Winter noch sechs andere junge Musiker angeschlossen hatten. 1828 nahm der stetig wachsende Verein den Namen „Euterpe“ an. Hermsdorf hatte das Ehrenamt eines Vorstehers, Sipp war Concertmeister. Vergl, „Der Musikverein Euterpe zu Leipzig“, ein Gedenkblatt zur 50jährigen Jubelfeier desselben, von K. W. W[histling]. Leipzig 1874.

9 (S. 59). Keine Bühnenkünstlerin hat einen gleich mächtigen Eindruck auf Schumann hervorgebracht wie die geniale Wilhelmine Schröder-Devrient. Einer Notiz im Jahrgang 1835 (II, 148) über ihre Mitwirkung in einem Concerte fügte er die Worte hinzu: „Wer lobt, stellt sich gleich, sagt Goethe: wir schweigen also,“ Nach ihrem Auftreten in der „Schweizerfamilie“ heißt es: „Wie sich alle Herzen ihrer Liebenswürdigkeit zuwenden, so weicht das Urtheil ihrem Genius.“ An der Spitze von Nr. 25 des Jahrg. 1837 (VI, 99) stehen an Stelle des Mottos die mit einem Kranz eingefaßten Worte: „Am Tag, wo Mad. Schröder-Devrient den Fidelio gab.“ Etwas weiter (S. 114) steht folgende Notiz, aber ohne jede


{494} Namensnennung: „Allgemeiner Enthusiasmus. Wo man hinhört, nichts als von Ihr. Sie verdient es und alles Herrliche. Heute spielt sie zum letztenmal den Romeo zu einem milden Zweck: der Dank vieler Unglücklichen und der Aller folgt ihr.“ Gelegentlich des Gastspiels einer jungen Sängerin als Fidelio bemerkte Schumann (S. 190), daß die Schröder in dieser Rolle nun einmal „das denkbar Höchste“ gäbe. Am 6. April 1840 berichtete er: „Nach langen Entbehrungen sahen wir gestern wieder eine deutsche Oper und eine große Künstlerin, Mad. Schröder-Devrient im Fidelio. Sie gab ihn so vollendet, wie wir ihn nur je von ihr gesehen zu haben uns erinnern können.“ — Nach ihren Liedervortragen am 28. März 1841 im Gewandhause sagte Schumann von der „Künstlerin und Dichterin“, daß sie, „so lange sie noch einen Ton in Herz und Kehle habe, ihn immer entzücken werde,“ (S. Seite 308.) Im Jahre 1844 widmete Schumann ihr den Liedercyklus „Dichterliebe“. Auch verehrte er ihr sein Manuscript von „Frauenliebe und Leben“.

10 (S. 65). Schumann fügte diesem Aufsatz 1852 folgende Anmerkung an:

„Der obige Artikel hat dem Verfasser seiner Zeit bedeutende Angriffe eingebracht, namentlich in Pariser und Hamburger Blättern, aber auch ein Lob von einem sehr würdigen Mann — von Fr. Rochlitz. Es verhielt sich so damit: Eine musikalische Freundin, dieselbe, der die „Erinnerungen“ im Jahrgang 1839 (Bd. XI, Nr. 28—30) gewidmet sind (Frau Henriette Voigt), vermittelte zwischen ihm und dem jüngeren Kunstleraufwuchs in der Art, daß sie ihm meist auf dem Pianoforte Musikalisches, wie von Mendelssohn, Chopin, Florestan und Eusebius u. A. mittheilte, ausnahmsweise wohl auch Kritisches, wie obige Fragmente. Nach Lesung des letzteren ertheilte ihr Rochlitz eine Antwort, die, von der Freundin mir zum Andenken im Original hinterlassen, ein Zeugniß von der entschiedenen Gesinnung des edlen Kunstrichters, der sich damals schon dem Greisenalter näherte, geben mag. {{Right|D. 14. Septbr, 1837.

Meinen verbindlichsten Dank für die zurückfolgende Mittheilung. Seit Jahren habe ich über Musik nichts, ganz und gar nichts gelesen, was mir — wie ich nun bin und sein kann — so innerlichst wohlgethan hätte. Helle, festgefaßte, festgegründete, überall, wo Vernunft und Recht gilt, geltende Ansichten; reine, würdige, edle Gesinnung — und Beides nicht blos, was jene Musikwerke, ja nicht blos, was Musik überhaupt betrisst; ein bedachtsam zusammengesaßtes, haltungsvolles, und dabei doch frischbelebtes, zwanglos sich bewegendes Wesen in der Darstellung: das finde ich in diesem Aufsatze, und zwar von der ersten bis zur letzten Zeile. Dabei eine Unparteilichkeit, die selbst am Teufel anerkennt, was er Gewandtes und Tüchtiges darlegt: so wie am Freunde, daß und wo er kein Engel ist — ja, die an diesem noch mehr Menschlichkeiten zugibt, als manche andere Leute (ich z. B.) dafür erkennen. Dies Alles habe ich hier gefunden und meine, alle Leser, bei denen, wie gesagt, Vernunft und Recht gilt, und an welchen allein dem Verfasser gelegen sein kann — werden es gleich mir finden. So wird er, der Verfasser, hiermit sicherlich zum Guten, und nicht allein in unmittelbarer Beziehung auf jene Werke, mitwirken, redlich, aufrichtig, eindringlich. Wo aber dies geschieht, da wird bald oder später auch geschehen, wie es dort, nach verwandten Voraussetzungen, heißt: es wird euch das Andere Alles zufallen — von selbst kommen. Und das ist, was ich ihm, dem Verf., von Herzen wünsche.

Was sollen Sie aber mit alledem? Gar nichts, liebe Freundin, außer eine Bestätigung empfangen, es sei mir mit meinem Dank für die Mittheilung Ernst gewesen. {{Right|Rchz.“

{495} Diesen Brief hatte Schumann schon in der Zeitschrift, wenige Tage nach Rochlitz' Tode (16. Dec. 1842), abgedruckt mit der Anmerkung: „Obiger Brief war an eine Freundin gerichtet, die Rochlitz einen Aufsatz aus unserer Zeitschrift (über Meyerbeers Hugenotten und Mendelssohns Paulus zum Lesen zugesandt hatte; die klare, manchmal an Goethe erinnernde Sprach- und Denkweise des verehrten Verstorbenen bezeugt auch dieses Schreiben, an die zu erinnern der Zweck seines Abdrucks ist.“

Was Schumanns Stellung zu Meyerbeer betrifft, über dessen Kunstrichtung er mit so unverhohlenem Zorn den Stab bricht, so ist an der Hand der Neuen Zeitschrift zu erweisen, daß er nicht etwa aus persönlicher Gereiztheit gegen Meyerbeer so rücksichtslos verfuhr. Es hatte auch niemals eine persönliche Begegnung der beiden stattgefunden; erst im December 1846 waren sie gleichzeitig in dem Wiener Künstlerverein „Concordia“ als Gäste anwesend, wo sie aber — wie Hanslick als Augenzeuge berichtet — „einer dem anderen sorgfältig auswichen.“

Von der ersten Notiz an, welche die Zeilschrift über Meyerbeer brachte (1834, S. 72), bis zum 9. April 1837, wo Schumann die Hugenotten selbst hörte, wurde Meyerbeers und seiner künstlerischen Erfolge stets aufmerksam und wohlwollend gedacht, insbesondere über den großen Erfolg der Hugenotten alsogleich berichtet. Ein erster Bericht darüber (IV, 117) war Schumann nicht eingehend genug; eine zweite von ihm veranlaßte Correspondenz druckte er mit der Anmerkung ab (1836, V, 19): „Im früheren Bericht schien uns der eigentliche musikalische Theil der Oper nicht ausführlich genug behandelt, weshalb wir Herrn Mainzer um einen von seiner Hand ersuchten.“ Nachdem Schumann kurze Zeit nachher (V, 42) Veranlassung genommen, einer „schönen Handlung“ Meyerbeers zu gedenken, daß dieser sich nämlich „auf mündliches Ersuchen des Hofrath Winkler in Dresden, des Vormundes der Kinder von Carl Maria v. Weber, sogleich bereitwillig gefunden hat, eine von Weber angefangene komische Oper fertig zu machen“, meldete er bald darauf die zu erwartende Aufführung der Hugenotten in Leipzig, die aber erst am 9. April 1837 stattfand. Schumann schrieb darüber (1837, VI, 122): „Endlich haben wir auch die Hugenotten gesehen und sind mit unseren Gedanken über ihre Tendenz im Ganzen vollkommen im Reinen, doch muß man sie mehrmals hören, um auch Kleineres nicht zu übersehen .... Später also mehr.“ Unterm 20. April berichtete er: „Die Hugenotten haben bis jetzt mit immer mehr abnehmendem Beifall drei Vorstellungen erlebt. Die Zeilschrift wird späterhin eine ausführlichere Kritik über das an guter wie an schlechter Musik überreiche Werk bringen.“ Eine Notiz vom 9. Juni lautete: „Nr. 99 der ,eleganten Zeitung' bringt einen scharfen Artikel über die Hugenotten. Der darin ausgesprochenen Aufforderung [daß sich nämlich auch die musikalischen Zeitungen darüber vernehmen lassen möchten] wird nachgekommen werden.“ Am 5. Sept. erschien in den „Fragmenten ans Leipzig“ Schumanns Kritik, die viel Aufsehen und Widerspruch erregte. Schumann beharrte bei seinem ablehnenden Urtheil. Im Mai 1838 schrieb er: „Gestern die Hugenotten. Man weiß, was wir davon halten. Mad. Schröder-Devrient gab die Valentine und veredelte, so viel in ihren Kräften stand; mehr kann aber auch das Genie nicht und aus Puppen keine Menschen machen. Ihretwegen hielten wir den Abend aus, und das einzige ,ich liebe Dich' macht sie uns auch in dieser Rolle werth und unvergeßlich. Im Übrigen überlassen wir das Stück seinem Schicksal. Blasirtheit und Gemeinheit täuschen nur auf kurze Frist.“ Derselben Verurtheilung Meyerbeers begegnet man auch in späteren Zeitschrift-Notizen (1842, XVI, 12; XVII, 4). In der ohne Zweifel von Schumann


{496} geschriebenen Recension eines Gesangalbums (1842, XVI, 61) heißt es über den Meyerbeerschen Beitrag: „Meyerbeer ist wenigstens ein geborener Deutscher. Seinen Bußgesang, gestehen wir, hätten wir am liebsten vermißt; Himmel, wie kann der Mann häßlich componiren! Das Lied macht auf uns den Eindruck wie gewisse alte Bilder, wo aus den Mäulern der Abconterseiten lange Zettel heraushängen, aus denen ihre quaest. Seelenstimmung auf das Deutlichste noch einmal in Worten zu lesen. Was ist Herrn Meyerbeer geschehen, daß er auf einmal so jammert und bußpsalmt? Hat er nicht Ruhm, nicht Geld, nicht Neider? Bleibe er doch in seinem alten Stile. Zur Umkehr ist es zu spät.“ — Auch in den vertraulichen Mittheilungen Schumanns ist seine Beurtheilung Meyerbeers dieselbe. (Vgl. Schumanns Briefe, Neue Folge, 1886 S. 179.) — Hanslick erzählt (Frankls „Sonntagsblätter“ 1847 S. 96), daß er im Gespräch mit Schumann (1846) „die abfälligsten Äußerungen“ über Meyerbeers Musik eingetauscht habe. „Alle diese Controversen machten mich kritischer und rigoroser, ohne meine Meinung umzustoßen, und selbst der Tadel des verehrten Schumann konnte nur zwar sehr erklärlich, aber nicht allgemein giltig erscheinen. Denn es gibt wohl unter den musikalischen Zeitgenossen nicht zwei schroffere Extreme. Schumann: tiefe, in sich versenkte Innerlichkeit; Meherbeer: glänzende hervortretende Äußerlichkeit. Der tiefsinnige Florestan konnte sich unmöglich für eine Ausdrucksweise begeistern, welche der seinigen diametral entgegengesetzt war.“ — Als Schumann 1850 Meyerbeers Propheten gehört hatte, trug er in sein „Theaterbüchlein“ statt jeder kritischen Bemerkung nur ein ┼ ein. —

Was die am Eingang dieser Anmerkung erwähnten „Angriffe“ anbelangt, die Schumann in Folge seiner Hugenottenkritik erfuhr, so wird eine Probe davon genügend zeigen, mit welcher Art von Gegnern Schumann es zu thun hatte. Das folgende Curiosum ist der „Eisenbahn“, einer hauptsächlich von literarischem Klatsch lebenden, jetzt längst vergessenen Zeitschrift „zur Beförderung geistiger und geselliger Tendenzen“ entnommen und bildet die Einleitung eines auonymen Berichts über eine am 13. Nov. 1838 in Leipzig erfolgte Aufführung der Hugenotten:

„Schade, daß Herr Robert Schumann in Leipzig dieses neueste Opernwerk Meyerbeers durch einige Federzüge aus der Reihe der lebenden Tondichtungen gestrichen hat! Seitdem Herr Robert Schumann den Compositeur des „Crociato“ und „Robert“ einen mnsikalischen Ignoranten, einen Melodien-Piraten, einen plumpen Effectpinsler genannt hat, seitdem sind die „Hugenotten“ und „Robert der Teufel“ überall, wo sie zur Aufführung kamen, jämmerlich durchgefallen. Das ist die Macht eines großen musikalisch-kritischen Kopfes gegenüber einem solch trivialen Bettel-Musikanten wie Meyerbeer, der nur drei so armselige Opernmusiken geschrieben, die in die Herzen dreier Völker übergegangen! Ich habe vor der neulichen Aufführung der Hugenotten auf der Leipziger Bühne noch ein Mal mit dem Todesschweiße auf der Stirn, mit geräderten Gliedern das durchgearbeitet, was Herr Robert Schumann in seiner musikalischen Zeitung gegen diese Hugenotten als Anathema geschleudert, und bei Gott, jedes einzelne Musikstück ist mir überraschender, origineller, ergreifender denn früher erschienen. Mein guter Herr Robert Schumann, da werden Sie noch viel musikalische Zeitungs-Makulatur liefern müssen, da mögen Sie noch zehn Jahre fort und fort 5deutschdümmeln, da müssen Sie noch viele jeanpaulisirende Wort-Knüppel für den Setzerkasten in den kritischen Urwäldern auflesen und noch manchen Wagen voll romantischer Stil-Stoppeln von dem musikalisch-kritischen Brachfelde in die Scheune ziehen, bis es Ihnen gelingen wird,

{497} den Namen Meyerbeer da hinabzuziehen, wo Sie ihn eigentlich zu sehen wünschten. Sie sind ein gutes, frommes „Eusebius-Gemüth“, Herr Robert Schumann, aber lassen Sie den Haß gegen Meyerbeer! Sie blamiren sich schrecklich damit! Wozu die Feder eingetaucht in Bitterkeiten oder in bittern Schnaps, wenn sie über Meyerbeer schreiben soll? Mendelssohn Bartholdy steht auch ohne diese Ihre Diatriben gegen Meyerbeer groß da! Bedenken Sie, Herr Robert Schumann, daß wenn Sie einmal die Augen zugedrückt haben, Niemand mehr von Ihnen in der weiten Welt, nicht einmal in Kleinzschocher (Dorf bei Leipzig) sprechen wird, Myeerbeer hingegen wahrscheinlich sogar die Existenz Ihrer musitalischen Zeitung überleben dürfte. Wenn die Leute in Eutritzsch (Dorf bei Leipzig) oder Paris Ihre Schmähungen gegen Meyerbeer zufälligerweise in die Hände bekommen, Herr Robert Schumann, so müssen sie der Ueberzeugung sein, daß aus Ihnen der verunglückte Compositeur, dessen verworrene Clavier-Compositionen keinen Abgang finden, der Teufel des Neides seine verspottende Zunge gegen den Compositeur der Hugenotten herausstreckt! Das ist die schwache Seite der sogenannten „gelehrten Musikbeurtheiler“, die auch componiren wollen, aber an Ueberfluß des Gedanken-Mangels laboriren, daß sie, wenn einmal eine großartige Erscheinung in der Comuositions-Welt hervortritt, diese als einen lächerlichen Popanz, als ein gauklerisches Schemen-Bild erklären wollen. Herr Robert Schumann möchte so gern den deutschen Berlioz in Duodez-Format spielen! Aber dazu fehlt ihm noch Alles! Geist, Tiefe der kritischen Anschauung, Ausdrucks-Grazie und Weltton! — Mit Herrn Robert Schumann wäre ich fertig, jetzt zur Darstellung der Hugenotten! Neu waren heute Demoiselle Schlegel-Valentine“ etc.

Ich vermuthe, daß Banck, der 1838 wieder einige Zeit in Leipzig lebte, diesen Artikel, wenn nicht verfaßt, so doch beeinflußt hat. Wie er alles mißbilligte, was von Schumann ausging, so hatte er auch dessen Hugenotten-und Paulus-Kritik mißbilligt. Mir erscheint der Umstand etwas verrätherisch, daß in dem Eisenbahn-Bericht ein Ausdruck Schumanns citirt wird, der sich in der Zeitschrift überhaupt nur ein einziges Mal findet und daher wohl nur einem genaueren Kenner derselben gegenwärtig sein konnte. Dieser Ausdruck („schönes Eusebiusgemüth“) kommt im Jahrgang 1835 (vgl. Bd. 1, S. 36) vor, also zu einer Zeit, als Banck noch Mitarbeiter an der Zeitschrift war. Für recht unwahrscheinlich halte ich’s, daß der Redacteur der „Eisenbahn“, Fr. Wiest, der kurz zuvor als junger Journalist von Wien nach Leipzig gekommen war, diesen Ausdruck noch nach Verlauf von drei Jahren im Gedächtniß behalten hätte, — vorausgesetzt, daß er die namentlich in Wien fast ganz unbekannte Schumannsche Zeitschrift gelesen haben sollte. Bei der gehässigen Stellung Bancks zu Schumann ist die Annahme seiner Betheiligung an dem Schmähartitel wohl gerechtfertigt. Schumanns um Michaelis 1838 erfolgte Uebersiedelung nach Wien ermuthigte augenscheinlich seine Gegner in Leipzig, stärkere Hebel in Bewegung zu setzen, um der neuen Zeitschrift den Boden zu entziehen. Fehlte es doch auch nicht an Versuchen, den stellvertretenden Redacteur derselben, Oswald Lorenz, zum Abfall zu bewegen. Lorenz äußerte sich darüber in einem Briefe vom 1. October 1879: „Bei einer zufälligen, vielleicht auch nicht zufälligen Begegnung fragte mich Papa Wieck in Bancks Begleitung, was ich von Schumann damals in Wien befindlich für Nachrichten habe. Im Lauf des Gesprächs machte er mich aufmerksam, daß die Allgem. (Finksche) Mus.-Ztg. ein Feuilleton hergestellt habe und sonstige Fortschrittsthaten ausübe, und daß jetzt Gelegenheit und

{498} Veranlasssung für mich zu selbständigem Auftreten u. s. w. sich darbiete. Bestimmtere Erklärungen unterblieben; vielleicht wurde ich als unbrauchbar erfunden. Schumann, dem ich Meldung davon machte, ist weder schriftlich, noch später mündlich darauf eingetreten, weshalb auch ich schwieg. Einen Zweck aber hatte die Verbrüderung sicher.“ „Von einer Conspiration Beider“ — schrieb Lorenz ein anderes Mal — „bin ich überzengt, durch welche vielleicht nach mehr als einer Richtung hin geangelt wurde.“ Vgl, Anmerk. 4 und 45.

11 (S. 66). Diese Recension erschien schon in der Nummer vom 1. Sept., wiewohl das Werk selbst erst Ende October im Druck fertig war. Außer diesen Variationen kannte Schumann noch (durch Krägen) einige ungedruckle Etuden von Henselt. Als Clara Wieck mehrere derselben in ihrem Morgenconcert am 13. Aug. (Leipzig) gespielt hatte, schrieb Schumann voller Freude an den ihm persönlich noch unbekannten Componisten: „Wie wünschte ich, Sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen! Es hat mir seit Jahren nichts so innig wohlgethan, als was ich eben vor Kurzem hörte, und es ist, als läge Ihre Seele offen vor mir da.“ Und am 31. Aug.: „Ich schreibe Ihnen wie einem alten Freunde. Bin ich doch durch [E. A.] Becker und Wieck in neuster Zeit Ihnen so nahe gerückt, daß ich Ihre Hand zu fühlen glaube. Kommen Sie, kommen Sie; es soll Ihnen wohl werden. Hier gibts Schwung, Freunde und Künstler, die Sie zu ehren wissen.“ In dieser freudig erregten Stimmung mochte es ihn drängen, je eher je lieber auch in seiner Zeitschrift auf den vielverheißenden Künstler aufmerksam zu machen. Im December kam Henselt nach Leipzig, wo er Schumann durch sein Spiel „die glücklichsten Stunden“ schuf. In der Zeitschrift berichtete Schumann unterm 23. December: „Herr Adolph Henselt ist bei uns und wird nächste Woche Concert im Gewandhaussaale geben. Ueber sein Riesenspiel hat man bereits so viel gesprochen und geschrieben, daß er allerdings große Erwartungen zu erfüllen hat. Ob er diesen in einem Concert genügen, sich in so wenig Stunden in seiner ganzen Größe zeigen wird, wissen wir nicht. Daß er aber der echte deutsche Clavierspieler und groß und einzig dasteht, darüber müssen Alle übereinstimmen, die ihn privatim öfter gehört und genauer kennen, wie wir das an uns selbst erfahren und in kurzen Worten vorläufig aussprechen.“ Henselts Concert war am 29. December. Zur Mitwirkung in demselben lud Schumann Frau Bünau-Grabau ein, ihr schreibend, daß Henselt „tausendmal besser am Clavier als am Schreibtisch sei“. Er wiederholte seine Bitte in einem zweiten Briefchen (24. Dec.): „Sie dürfen es diesem ganz prächtigen Menschen und Künstler schon nicht abschlagen.“ Nach dem Concert stattete er auch Clara (in Wien) Bericht ab: „Also Henselt war da! — unser erstes Sehen, ich kann es sagen, war das wie zweier Brüder; so kräftig, natürlich und derb von Gestalt habe ich ihn mir nicht vorgestellt, und seine Worte und Urtheile entsprechen dieser äußeren Haltung. Nun sind wir aber von Stunde zu Stunde inniger geworden, obgleich ich gar nichts Rechtes von ihm weiß, als daß ich ihm überaus gut bin. Doch muß ich Dir sagen, daß er als Spieler alle Erwartungen übertroffen hat, die ich mir nach Euren Aeußerungen über ihn gemacht.“

12 (S. 66). Den ursprünglichen Schlußsatz: „Wer aber weiß, was die Zukunft aus dem noch Lebenden macht“ hat Schumann 1852 gestrichen. Er hatte mehr und mehr eingesehen, daß Henselts Compositionstalent doch nicht so bedeutend war, wie es ihm zuerst erschien. Der Quell, „der so frisch und fröhlich zu sprudeln begann“ (wie Schumann 1842 schrieb), versiegte verhältnißmäßig rasch, jedenfalls lassen


{499} die späteren Werke Henselts gegen die ersten Variationen und die Etuden keine Steigerung erkennen. Die Entstehung seiner Hauptwerke fällt in die Zeit bis 1838, wo er sein 24. Lebensjahr zurückgelegt hatte. Auch das Duo mit Hörn (dessen Uebertragung für Violoncell F. Kummer besorgte) und die Variationen über ein Thema aus Robert (bei deren Orchesterbegleitung Reißigers Sachkenntniß in Anspriich genommen wurde) waren 1837 bereits geschrieben, was aus (ungedruckten) Briefen Henselts an Krägen hervorgeht. In demselben Jahre war auch schon von einem Concert und einem Trio die Rede (N. Ztschft. 1837, VII, 58), vermuthlich die später bekannt gewordenen Werke. Henselts eigentlicher Boden war das kurze Charakterstück, die Etüde; die Beherrschung größerer Formen war nicht seine Stärke. Das F moll-Concert hatte er jahrelang unter der Feder. Schon 1839 arbeitete er daran, 1841 wurde es als „fertig“ gemeldet, 1844 „fehlte an der Instrumentirung noch Vieles“, auch die Clavierstimme war „noch nicht ganz klar“ (wie Schumann aus Petersburg meldete). Nachdem Clara Schumann es endlich 1845 im Gewandhause gespielt hatte, erschien es doch erst 1847 im Druck. — Schumann trat für die Würdigung und das Bekanntwerden Henselts, an dem er vom ersten Augenblicke an so neidlos seine Freude hatte, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln ein. Als Henselt im März 1838 mit Empfehlungen aus Berlin 8von der Kronprinzessin, von der Prinzeß Wilhelm und der Prinzeß Friedrich) in Petersburg eingetroffen und bald nachher als Lehrer in der kaiserlichen Familie thätig war — die Großfürstin Helene wurde 1839 eine seiner ersten Schülerinnen —), veröffentlichte Schumann noch vier kleinere Compositionen von ihm in den Beilagen (1838 bis 1840) zur neuen Zeitschrift. In den kritischen Anzeigen sprach er sich auch über die schwächeren Erzeugnisse Henselts freundlich und wohlwollend aus, allein man merkt ihm an, daß seine Erwartung, Henselt werde aus seinem engeren Kreise heraustreten und sich höheren Aufgaben zuwenden, getäuscht war. So dachten auch Andere, z. B. C. Banck, der die ersten 12 Etuden auf Henselts Wunsch mit französischen Mottos versehen und den Verlauf des Werks an Hofmeister vermittelt hatte. Banck schrieb nach der Veröffentlichung der kleineren Stücke (Werk 8 bis 10) unterm 18. Juli 1839 an Hofmeister: „Die neuen Sachen von Henselt wären besser nicht heraus — wenigstens in diesen Verhältnissen, nach solchen Erwartungen und nun diese einzelnen kleinen schwächeren Piecen? die als Nebencompositionen ganz hübsch sind.“ Unterm 28. Juli setzte er hinzu: „Uebrigens sind diese Piecen mir immer noch lieber als die Novelletten von Schumann“, — ein Urtheil, das durch das noch schlagendere vom 24. Febr. 1839 überholt wird: „Bei Schumann sind Titel und Überschriften sehr gut, wenn nur andere Noten darunter ständen!“ „Titel ist das halbe Werk, oft das Ganze, wie Sie an Schumann sehen.“ (17. Aug. 1839.) — Schumann bezeugte Henselt seine Freundschaft auch durch die Widmung der „Novelletten“ (1839), die sich die Sympathie Henselts aber nicht erworben zu haben scheinen. Henselt muß von dem Componisten Schumann wohl keine sonderliche Meinung gehabt haben. Das geht aus einem Briefe hervor, den er unterm 13. Dec. 1865 an Krägen richtete, zu einer Zeit also, wo die ganze geistige Arbeit Schumanns doch vollständig zu überblicken war. Die für Henselts Standpunct bezeichnende Stelle lautet: „Auch an allen andern beigelegten Stücken [Compositionen eines jungen Dresdner Künstlers] habe ich mich wenig erbaut und wäre nicht das prélude poétique in Gis moll dabei gelegen, so wäre ich sehr im Zweifel gewesen, ob hinter diesem Herrn mehr als eine Fingerfähigkeit steckt. Aber

{500} lernen thun halt heut zu Tage die Leute zu wenig, ich meine contrapunctische Studien machen. Das fing schon mit Schumann an, der glaub ich wär weiter gekommen, wenn er etwas weniger Talent gehabt hätte und es ihm folglich nicht so leicht geworden wäre, dann hält er mehr gelernt. Die Leute lernen jetzt ein Instrument spielen, dann eine kurze Harmonielehre, dann Partituren Studiren [am Rande: „das letzte ist die Hauptsache!“] und dann geht der Wunsch zu brilliren an u. der Componist ist fertig; ich komm aber in Auslassungen, die ich nicht will; die Zeit ist der beste und richtigste Richter. Wenn Beethoven mit der 9. Symph. und op. 106 angefangen, war er längst vergessen. Die Pietät für den großen Mann erhält auch alles andere.“ — Mit seltener Unbefangenheit und Klarheit beurtheilte Henselt in seinen späteren Lebensjahren sich selbst und seine Compositionen, wie seine Briefe an Frl. M. Lipsius (Leipziger Ztg., 1890, wissenschaftl. Beilage Nr. 56 und 57 bezeugen. „Ich bin durchdrungen (schreibt er 1874), daß ich in meiner Jugend sehr viel versprochen und dann sehr wenig gehalten habe, und man nicht von mir sprechen könnte, ohne das zu rügen.“ „Ich habe die unumstößliche Ansicht über mich, daß nach dem, wie ich angefangen, — ich war im 18. Lebensjahre, als ich mein op. 14 (Duo für Clavier und Horn) geschrieben — man berechtigt war, viel mehr von mir zu erwarten, als ich geleistet. Ein anderes Urtheil würde gewiß vielfache Opposition hervorrufen. Im günstigsten Fall wäre nur zu sagen, daß, wenn ich nicht zum Clavierspieler erzogen worden wäre, ich in der Composition Bedeutenderes geleistet haben würde. Glauben Sie mir, das ist das richtige Urtheil über mich; ein jeder Künstler weiß am besten sich selbst abzuschätzen, wenn ihn nur die Eitelkeit nicht um den klaren Verstand bringt.“ 1875: ,,Mir wird immer angst und bange, wenn man von mir als Componisten spricht und von meinen Werken! Sie glauben vielleicht, daß ich mich unterschätze; gar nicht, ich lebe nur in keiner Illusion über mich. Ich weiß z. B, sehr gut, daß unter dem Besten, was man für unser Instrument hat, auch einiges von mir ist, und daß ich bessere Studien gemacht als mancher sogenannte Componist; aber das ist viel zu wenig, namentlich die Werke, die nennenswerth sind, viel zu wenig; ich habe nur ein Zeugniß gegeben, daß ich hätte Componist werden können; aber meine Verhältnisse waren dazu nicht angethan; vor Allem hätte das Streben nach Virtuosität niemals über mich kommen müssen etc.“ 1878: „Die Zeit, wo man sich vielleicht für mich interessiren können wird, fängt erst nach meinem Ableben an, und zwar erst dann, wenn blos die Notenköpfe für oder gegen sich sprechen und wenn alle anderen Interessen und Bekanntschaften und Verbindungen längst aufgehört haben.“ „Ich bin eigentlich nur da, wo ein pädagogischer Zweck vorliegt, in meinem Fahrwasser.“ „Seit meiner Jugend bin ich im Schaffen immer rückwärts gegangen, auch da, wo ich etwas wollte; ich danke Gott, daß ich hierüber hell sehe.“ „Ich weiß gar wohl, daß ich mich nicht mit Chopin vergleichen kann, aber es ist doch menschlich, daß ich gerade nicht in meiner Schwachheit [d. h. in den „Préambules“, einer Sammlung ganz kurzer Präludien] neben ihm figuriren möchte.“

13 (S. 68). Den Andeutungen über Hellers erste Anknüpfung mit Schumann seien noch einige biographische Notizen über den Componisten hinzugefügt.

Stephan Heller wurde am 15. Mai 1814 in Pest geboren. Nachdem der zehnjährige Knabe bei einem öffentlichen Auftreten als Clavierspieler allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, übergab ihn der Vater dem damals berühmten Lehrer Anton Halm in Wien zu weiterer Ausbildung. Nach etwa drei bis vier Jahren

{501} unternahm der Vater Concertreisen mit ihm in Ungarn und Polen, 1829 auch in Deutschland. In Augsburg wurde der Knabe von schwerer Krankheit befallen, fand aber in einem kunstsinnigen Hause ein so freundliches Asyl und so sorgsame Pflege, daß er sich nach seiner Genesung aufs Innigste dort gefesselt fühlte. Es war der Friede einer schönen Häuslichkeit, der nach dem unsteten Wanderleben um so wohlthuender auf Körper und Geist einwirkte, als er zugleich dem Bedürfnis;, sich zu sammeln und weiter zu bilden, entgegen kam. Hellers Aufenthalt in Augsburg währte bis ins Jahr 1838. Durch den anregenden Verkehr mit Chélard, E. A, Drobisch, Graf Fugger u. a. hatte sich nicht allein der Virtuose zum wirklichen Künstler herausgebildet, sondern auch der wissenschaftliche Trieb des Jünglings reiche Nahrung empfangen. (Vgl. Hamburgische Musikztg. 1889, Nr. 27 u. 29.)

Seine Compositionsstudien führten zu der Bekanntschaft mit Schumann, dem der Einundzwanzigjährige zuerst am 9. April 1835 schrieb. Unter den eingesandten Manuscripten waren die hernach als Werk 7, 8 und 9 bekannt gewordenen Clavierstücke, die Kistner auf Schumanns Empfehlung druckte. Hellers Arbeiten regten Schumann zu eingehenden Erörterungen an und hatten einen jahrelangen freundschaftlichen Briefwechsel zur Folge, der erst nach Schumanns Verheirathung allmählich aufhörte. Schumann fand sich durch eine „offenbare Wahlverwandtschaft“ zu Heller hingezogen, die er besonders in Nr. 1 und 3 der hier besprochenen Impromptus, sowie in dem Rondo-Scherzo und in dem Scherzo der D moll-Sonate ausgeprägt fand. — Auch zur Mitarbeit an der Zeitschrift veranlaßte Schumann seinen jungen Freund, dessen erster „Davidsbündlerbrief“ aus Augsburg im April 1836 erschien (IV, S. 119). Schumann legte Heller den Bündlernamen Jeanquirit bei, den dieser zuerst in der Zeitschrift las. Die Veranlassung dazu gab wahrscheinlich des Berichterstatters Bemerkung am Schluß seines Briefes, daß er nämlich kein Jean Paul sei, „sondern höchstens ein Jean qui rit, oder ein Paul qui pleure“. Der theilweise etwas spöttisch gefärbte Musikbrief mußte in Augsburg wohl etwas böses Blut erregt haben, wenigstens schrieb der Davidsbündler kurz nachher (1836, IV, 196): „Gern hätte ich Euch den weitern Bericht geschrieben, aber ich sehe seit dem letzten meist verkappte Prügel und Leute, die ordentlich interessant aussehen vor lauter Gift und Galle. Daher melde ich nichts, als daß hier am ersten Pfingsttag ein Beethoven-Denkmal-Concert stattgefunden, wo viel Beethovensches vorkam: Pastoralsymphonie, Egmont, Adelaide, Sonate pathétique u. m,“ Florestan schrieb darunter: „Seid nur nicht bange, Jeanquirit! Unser Mantel geht weit,“ Mit dem bei der Sonate eingeklammerten Zusatz: „gespielt von Stephan Heller, bedeutendes Talent“, bezweckte Schumann wohl hauptsächlich, die Augsburger über den bösen Jeanquirit irrezuführen. Erst im folgenden Jahre erschien ein zweiter Davidsbündlerbrief aus Augsburg (1837, VII, 42).

In der zweiten Hälfte des Jahres 1838 wandte sich Heller nach Paris, wo er — einige Reisen abgerechnet — bis zu seinem Tode verblieb. Dort führte er sich durch eine Empfehlung von Schumann bei Chopin ein: durch Überreichung des „Carnaval“, den Schumann ihm zu dem Zweck noch nach Augsburg gesandt hatte.

Die langgehoffte Gelegenheit, den von ihm so innig verehrten Schumann auch persönlich kennen zu lernen, fand Heller nicht. Selbst der schriftlichen Erinnerungszeichen an ihn, seiner Briefe (— mit der öfter wiederkehrenden Anrede „Lieber Heller von Diamantenwerth“ —) sollte er sich nicht lange erfreuen. Er büßte sie auf bedauerliche Weise ein, als er gelegentlich eines Wohnungswechsels seine


{502} Briefschaften ordnete und in Folge einer Verwechselung Schumanns Handschriften mit verbrannte. Der Verlust derselben ist um so mehr zu beklagen, als auch Schumann selbst noch in seinen spätern Lebensjahren äußerte, daß er seinen interessantesten Briefwechsel mit Heller geführt habe.

Auf mein Ersuchen sprach Keller sich über die Briefe und den Eindruck, den er aus ihnen von Schumanns Persönlichkeit empfangen, aus. Der Einzelheiten erinnere er sich nach so langer Zeit nicht mehr, schrieb er mir am 16. Juni 1879, es habe sich hauptsächlich um die ihm zugesandten Arbeiten gehandelt, die Schumann mit wohlwollendem und herzlichem Antheil zu fördern immer bereit gewesen sei, lieber seine eigenen Compositionen habe Schumann sich nicht ausgelassen, wohl aber über andere ihm nahestehende Künstler, „Mit großer Freundschaft und Bewunderung sprach er von Mendelssohn, den er über alle Neueren stellte, auch von Schunke, Henselt, Bennett, Hiller und Gade. In einigen seiner Briefe der letzten Jahre sprach er mit unbegrenzter Liebe von seiner Frau und deren Talent. In allen seinen Briefen errieth man den edlen kraftvollen Geist, der so viel Herrliches schaffen sollte. Eine ungemeine Güte und Zartheit des Gemüthes war darin unverkennbar, so wie sie aus Allem, was er geschrieben, hervorleuchtet. Ich habe bis kurz vor der Krankheit Schumanns noch indirecte Beweise gehabt, daß er mich nicht vergessen habe. Von meiner Seite kann ich sagen, daß meine Bewundernng und meine Zuneigung zu ihm mit den Jahren immer gewachsen und ich es als ein Mißgeschick ansehe, nicht einige Zeit mit ihm gelebt zu haben.“

In Paris schrieb Heller wieder mehrere Berichte für die neue Zeitschrift (1839 und 1843), seine Hauptthätigkeit widmete er der Composition. Der Ausgang seines Lebens war trübe. Ein Augenleiden, das im Jahre 1883 anhob, steigerte sich bis zu beinah völliger Erblindung, so daß ihm die Ausübung seiner Kunst unmöglich gemacht war. Als noch Vermögensverluste hinzukamen, erließ sein Freund Charles Hallé in Gemeinschaft mit zwei Kunstfreunden in London 1885, einen Aufruf zur Bildung eines „Stephen-Heller-Fonds“, der dem schwergeprüften Künstler eineJahresrente sichern sollte. Heller starb — unvermählt — am 15. Januar 1888.

14 (S. 76). Die Redaction erließ unterm 1. October 1837 eine Bekanntmachung, daß von Neujahr 1838 an vierteljährlich musikalische Beilagen zur Zeitschrift erscheinen sollten. In der Einladung an die Componisten um Beiträge dazu heißt es: „Hauptsächlich hoffen wir, durch das Unternehmen jungen talentvollen Componisten, denen der Weg zur Oeffentlichkeit meistens so sehr versperrt ist, nützlich zu werden; muß schon die Aufnahme ihrer Compositionen an sich als eine Auszeichnung betrachtet werden, so kann es auch gewiß kaum ein rascheres und sichereres Mittel zur Bekanntmachung ihres Namens geben als eine von Tausenden gelesene Zeitschrift. Für den Leser, für den jungen Künstler wie für uns haben Beilagen aber noch einen Hauptvortheil. Gerade ihnen werden wir die strengste kritische Aufmerksamkeit widmen, Schönheiten und Mängel, so weit sich dies durch Worte thun läßt, gerade hier nachweisen, wo der Leser, die Compositionen neben sich, Schritt vor Schritt nachfolgen kann und den Gegenstand des Urtheils vor Augen stehen hat. Das Urtheil vielseitiger und fester zu stellen, werden wir daher auch oft die von uns zur Aufnahme in die Zeitschrift bestimmten Compositionen vorher mehreren unserer fähigsten Mitarbeiter mittheilen und verschiedene Meinungen mit Namensunterschrist neben einander abdrucken lassen. So haben wir auch im Sinne, als zweite Beilage ein Heft Compositionen desselben Gedichtes, das seiner

{503} Zeit in diesen Blättern abgedruckt werden soll, beizugeben und die Lieder stufenweise vom mangelhaften bis zum gelungenen übereinander zu stellen. Es kann nicht fehlen, daß dies Jung und Alt zur Theilnahme anregen, überall nützen und interessiren wird. Aber auch der alten Zeit soll gedacht werben. Namentlich liegt uns an Verbreitung vieler noch ungedruckter Compositionen von J. S. Bach, deren sich bereits einige der herrlichsten in unserm Besitz befinden. Ueber manche andere Pläne, die wir mit diesen Beilagen in Verbindung zu bringen gedenken, werden wir später noch ausführlicher sprechen.“ Als Schumann 1838 nochmals zur Einsendung von Beiträgen aufforderte, setzte er hinzu: „Die Freude über ein neu entdecktes Talent, das wir auf diesem Wege rascher als sonst in die Oeffentlichkeit einzuführen meinen, zählen wir zu unseren liebsten.“

Schumanns Vorhaben ist in der beabsichtigten Weise wohl nicht ausführbar gewesen. Es erschienen von 1838 an jährlich vier Hefte von je 4 bis 6 Compositionen, mit dem 16. Hefte (Ende 1841) hörten die Beilagen auf. Die Besprechungen der Beilagen von 1838 sind von Schumann. Ein paar Auszüge daraus seien hier mitgetheilt.

(Heft 2) R. Schumann, Intermezzo f. Pfte. [H moll, in Nr. 3 der Novelletten als Mittelsatz enthalten.] „ ... Den letzten Beitrag erklärt und entschuldigt das Motto aus Macbeth {{Right|When shall we three meet again, {{Right|In thunder, lightning, or in rain?

in einiger Hinsicht; es ist ein Bruchstück aus einem größeren Satz, wo er noch mehr als hier den Eindruck eines wilden phantastischen Schattenspiels hinterlassen mag. Der Componist wünschte nicht, daß man die Musik für eine Unterlage des angeführten Mottos hielte; es ist umgekehrt, er fand erst später jene dem Sinne der Musik nahe kommenden Worte.“

(Heft 3) Pauline Garcia, Die Capelle, Lied von Uhland.

            Johanna Mathieux, Trinklied für Tenor mit Chor.

„... Ueber Pauline Garcia haben diese Blätter schon an mehreren Orten berichtet. Als Sängerin ihrer berühmten Schwester nachstrebend, in der Composition ihr vielleicht überlegen, scheint sie auch dem letztern und höhern Talent die größere Sorgfalt zuzuwenden. Das Lied ist merkwürdig, als ein deutsches Lied von einer Spanierin componirt, dann durch sich selbst in seiner Gestaltung und Abrundung. Die Musikerin hat das Bild des Dichters bis ins Zarteste ausgemalt und Eignes hinzugethan, indem sie de» Hirtenknaben im Anfang singend einführt. Das Letztere mag vielleicht etwas spielend erscheinen; im Gegensah aber zur ruhenden Landschaft, die der Dichter vor uns ausgebreitet, treten die Contraste nun um so lebendiger vor. Nach dem Schluß hin verschwindet der Gesang des Hirtenknaben allgemach und klingt wie ein Echo nur in der Begleitung hier und da; es ist, als ob das Glöcklein seinen Gesang immer mehr übertöne. Einen Vortrag, wie er der Componistin eigen, eine Stimme wie ihre aus dem Innersten kommend, werden dem Lied die rechte Färbung und Bedeutung geben.“

(Schumann hatte die Garcia zuerst im Juni 1838 im Gewandhause gehört. Ueber ihren Vortrag eines selbstcomponirten Liedes — „Des Knaben Berglied“ von Uhland — den sie selbst am Clavier begleitete, bemerkte er in der Zeitschrift: „Sie zeigte hier drei Talente, von denen jedes für sich seinen Künstler zieren würde.“ 1840 widmete er ihr seinen Liederkreis von Heine, Werk 24.)

„Sehr verschieden von dem Beitrag dieser reichbegabten Künstlerin ist der einer andern, ein Trinklied und noch mehr, eines in G moll. Scheint mir diese dunklere, fast wild auftretende Tonart auch nicht vom Gedicht geboten, das heiter und schönsinnig zur Werthhaltung unserer theuersten Güter auffordert, so mag die Auffassung der Componistin als ein Zeichen der Zeit angesehen und vielleicht aus jener weiblichen Dichterschule hergeleitet werden, die wir aus Rahels und Bettinas Schriften kennen. Wer die Componistin, ihre musikalische, durchaus weibliche Natur genauer schätzen lernen will, mag es aus ihren vor Kurzem erschienenen Liederheften, die der innigsten Anerkennung würdig, wie sie sie bereits überall gefunden haben.“

(Heft 4) Vesque von Püttlingen, Die Geisterinsel, Lied von Heine. Josephine Lang, Traumbild, Lied von Heine.

„Der erste Beitrag rührt von einem Dilettanten her, einem hochgestellten Beamten in Wien, der sich noch unlängst aus der dortigen ersten Bühne auch in der Oper versucht. Ueber seine Leistungen im Liederfache hat die Zeitschrift bereits früher berichtet. Franz Schubert scheint nicht ohne Einfluß auf den Componisten gewesen zu sein, wie andererseits seine Melodie oft an italiänische erinnert; eine Bemerkung, die man an mehreren süddeutschen Componisten, wie Lachner, Thalberg, Proch u. a. machen kann. Dem Sinne des Heineschen Gedichtes entsprechend ist es der graue, trübe Ton der Musik, der die Wirkung der Composition macht; von den Worten entkleidet, erschiene sie allerdings etwas einförmig und harmoniearm.

Das Lied von Josephine Lang ist ein feines, äußerst zartes Gewächs, das wir der aufmerksamen Betrachtung des Lesers anempfehlen; es gefällt uns durchaus in seiner Innigkeit, namenentlich da, wo es ins C dur ausweicht, wie denn das Ganze sehr ausdrucksvoll declamirt ist. Alles Vorzüge, die man in einem vor kurzem bei Haslinger erschienenen Liederhefte noch zahlreicher antreffen wird; dasselbe Heft enthält auch eine Composition des von dem Mannheimer Musikverein ausgeschriebenen Preisgedichts, die mir gleichfalls unter allen mir zugekommenen als die am innigsten und eigenthümlichsten aufgefaßte erschienen. Die Verfasserin, noch sehr jung, lebt meistens in Augsburg.“ —

Mendelssohn, der bei seiner Anwesenheit in München (1831) dem sechzehnjährigen Mädchen eine Zeit lang täglich eine Stunde im Generalbaß gab und sie lehrte, was sie (nach seinem Ausdruck) „schon von Natur wußte“, schildert in einem Briefe vom 6. October seinen Eltern die „kleine Lang“: „Sie ist mir eine der liebsten Erscheinungen, die ich je gesehn. Denkt Euch ein zartes, kleines, blasses Mädchen, mit edlen, aber nicht schönen Zügen, so interessant und seltsam, daß schwer von ihr wegzusehen ist, und all' ihre Bewegungen und jedes Wort voll Genialität. Die hat nun die Gabe, Lieder zu componiren und sie zu singen, wie ich nie etwas gehört habe; es ist die vollkommenste musikalische Frende, die mir bis jetzt wohl zu Theil geworden ist. Wenn sie sich an das Clavier setzt und solch ein Lied anfängt, so klingen die Töne anders, — die ganze Musik ist so sonderbar hin und her bewegt, und in jeder Note das tiefste, feinste Gefühl. Wenn sie dann mit ihrer zarten Stimme den ersten Ton singt, da wird es jedem Menschen still und nachdenklich zu Muthe und jeder auf seine Weise durch und durch ergriffen. Könntet Ihr nur die Stimme hören! So unschuldig, und unbewußt schön, und so aus der innersten Seele heraus, und doch so sehr ruhig! Voriges Jahr waren alle die Anlagen wohl schon da; sie hatte kein Lied geschrieben, worin nicht irgend ein sonnenklarer Zug von Talent war, und da trommelten Marx und ich zuerst Lärmen in der Stadt

{505} unter den Musikern; es wollte uns aber keiner so recht glauben. Seitdem aber hat sie den merkwürdigsten Fortschritt gemacht. Wen die jetzigen Lieder nicht packen, der fühlt überhaupt gar nichts, und so ist es nun gar leider Mode geworden, das kleine Mädchen um Lieder zu bitten, ihr die Lichter vom Clavier fortzunehmen, um sich an ihrer Melancholie in Gesellschaft zu freuen. . . . . Ich habe nun das Meinige gethan und die Eltern und sie selbst aufs eindringlichste gebeten, die Gesellschaften zu vermeiden und so etwas Göttliches nicht vergehn zu lassen. Der Himmel gebe nur, daß es helfen möge . . . .“ —

Bezüglich der späteren Beilagen zur Zeitschrift sei noch erwähnt, daß von Schumanns eigenen Compositionen darin enthalten sind: 1839, Heft 5: Gigue (später in Werk 32 aufgenommen).

            — 6: „Fragment aus den Nachtstücken“ (später als „Intermezzo“ in

{{Right|den Faschingsschwank aufgenommen).

1840, Heft 9: 2 Lieder: „Hauptmanns Weib“ und „Weit, weit“ (Myrthen).

          — 10: Fughette. (In Werk 32.)
          — 11: „Rastlose Liebe“, Männerchor. (In Werk 33.)
          — 12: Distichon „Nur ein lächelnder Blick“. (In Werk 27.)

1841, Heft 13: Lied „Stille Thränen“. (In Werk 35.)

            — 14: Lied „Mondnacht“. (In Werk 39.)

15 (S. 94). Obwohl mit keiner Schumannschen Chiffre gezeichnet, trägt dieser Aufsatz doch ein so unverkennbar Florestansches Gepräge, daß ich ihn aufgenommen habe. Er ist einer Reihe von kurzen Recensionen unter der Aufschrift „Gelegenheitsstücke“ entnommen, welche die Redaction mit den Worten einleitete: „Viel Platz können wir der Anzeige solcher Musik natürlich nicht einräumen, sondern blutwenig, daher wir auch für dieses Fach einen unserer ausgezeichnetsten Lakoniker gewonnen, der auf alles in möglichster Kürze hinzudeuten verspricht.“ (1837, VII. 40.)

16 (S. 97).

  1. Notenbeispiel.

Henselts Poëme d’amour (W. 3), worin die auf diese Figur gebaute Etüde enthalten ist, erschien in Schlesingers Album du Pianiste von 1838. In Schumanns Besprechung (1838, VIII, 70) heißt es: „Was dem Album die meisten Käufer verschaffen wird, ist wohl namentlich das durch Clara Wieck verherrlichte Andante mit Etüde in H dur von Adolph Henselt. Dem Andante wüßte ich nichts als eines jener schönsten Sonette von Petrarca, das mit den Worten „benedetto sia’l giorno. anfängt, an die Seite zu setzen; es sucht seines Gleichen. Die Etüde, zu anderer Stunde erfunden und in keiner tieferen Beziehung zum Andante gedacht, bringt es aber beim Zuhörer aus dem Herzen in die Hände, und ihre Wirkung ist wie bekannt die allgemeinste, daß Alles durcheinander spricht vor Freude. Der Componist

{506} war lange im Zweifel, ob er die Melodie der Etüde, vor jener großwogigen Begleitung, nicht erst in einfacherer vorführen sollte, wovon ich ihm bescheidentlich abrieth, aus mehreren Gründen, von denen der eine, daß die Etüde dann eine mehr variationsähnliche Wirkung hervorbrächte, ihm am meisten zu gefallen schien. Leider muß man das Stück jetzt in allen möglichen Gesellschaften zu hören bekommen, wie denn neulich ein armes Fräulein an ihm wie an einem schweren eisernen Kasten schob, der nicht von der Stelle wollte.“

17 (S. 100). Schumann irrte in der That — wenigstens in Bezug auf die Opern Meyerbeers, die sich in Deutschland bis auf die neuste Zeit in der Gunst des Publicums behauptet haben. Lehrreich ist folgende, der Brüsseler Gazette von 1889 entnommene statistische Zusammenstellung von Opern, welche an der Pariser großen Oper in den Jahren 1828 bis 1888 mehr als 100 Aufführungen erlebt haben. Freilich läßt sich nicht daraus ersehen, ob und in welchem Maße die jährlichen Aufführungen gefallen oder gestiegen sind.

Erste Aufführung:

1828 Auber, Stumme von Portici . . . 505 Vorstellungen. Rossini, Graf Ory . . . . . . . 434 „ 1829 Rossini, Tell . . . . . . . . . 743 „ 1830 Auber, Gott und Bajadere . . . 143 „ 1831 Auber, Liebestrank . . . . . . 242 „

                 Meyerbeer, Robert d. Teusel   718           „

1832 Halévy, Die Versuchung . . . . 104 „

                  Auber, Der Schwur  .  .  .  .  .  .  .  102           „

1833 Auber, Gustav III . . . . . . . . 169 „ 1834 Mozart, Don Juan . . . . . . . 213 „ 1835 Halévy, Jüdin . . . . . . . . . 505 „ 1836 Meyerbeer, Hugenotten. . . 821 „ 1840 Donizetti, Favoritin . . . . . . . 601 „ 1841 Weber, Freischütz . . . . . . . 210 „

                  Halévy, Königin von Cypern. . .      118          „

1846 Donizetti, Lucia von Lammermoor 268 „ 1849 Meyerbeer, Prophet. . . . . . 442 „ 1857 Verdi, Troubadour . . . . . . . 223 „ 1859 Gounod, Faust . . . . . . . . 507 „ 1865 Meyerbeer, Afrikanerin . . . 399 „ 1873 Thomas, Hamlet . . . . . . . . 277 „ 1880 Verdi, Aida . . . . . . . . . . . 300 „

18 (S. 101). Zu einem Aufsatz über Voglers Charlatanismen in seinen Orgelconcerten (1840, XIII, 87) machte Schumann die Anmerkung: „Indeß war der geniale Alte als Componist bedeutend; jetzt, wo über manches anders gedacht wird als im vorigen Jahrhundert, wäre es wohl nicht der Mühe unwerth, auch an Voglers Werke in einer ausführlichen kritischen Würdigung einmal zu erinnern.“

19 (S. 101). Die Méhulsche Symphonie hat mehrere Anklänge an Beethovens C moll-Symphonie. Das Anfangsthema des letzten Satzes und ein daraus hergenommener Rhythmus erinnert an den ersten Satz der C moll-Symphonie; der dritte Satz (G moll ¾, pizzicato) an das Scherzo; der zweite Theil des Trios (G dur) mit dem basso solo und auch der Schluß ebeufalls an das Trio bei

{507} Beethoven. — Méhuls vier Symphonieen sind in den Jahren 1797, 1808, 1809 und 1810 zum ersten Male aufgeführt worden. Das Geburtsjahr seiner ersten, der G moll-Symphonie, ist bisher nicht festgestellt worden. Ihre erste Aufführung in Deutschland (d. h. in Leipzig) war am 13. Mai 1810, im Druck erschien sie (als Nr. 1) im Juli 1810 bei Breitkopf und Härtel. Beethovens C moll-Symphonie wurde begonnen 1805, beendet 1808 und am 22. Dec. 1808 zuerst aufgeführt. Gedruckt erschien sie im April 1809. Das Thema des ersten Satzes findet sich schon in einem Notizbuch Beethovens aus 1800 angegeben.

20 (S. 108). Der Verleger, A. Diabelli in Wien, widmete diese Sonaten Schumann, der in seinem Dankbriefe vom 18. Mai 1838 schrieb: „Sie haben mir durch Ihre Widmung eine Freude gemacht, — ich muß gestehen, die größte, die mir je von außen auf so zarte Weise geworden ist. Dazu nun das schöne Gewand, mit dem Sie diese höchst merkwürdigen letzten Gedanken dieses geliebten Künstlers ausgestattet — nehmen Sie meinen besten Dank dafür!“ — Schubert selbst beabsichtigte diese Sonaten Hummel zu widmen.

21 (S. 115). Die „Quartett-Morgen“ sind nicht etwa nur eine freiere Form von Kritiken, sondern Berichte über Musik-Aufführungen, welche Schumann in seiner Wohnung veranstaltete, zunächst, um neue Kammermusikwerke (auch ungedruckte) kennen zu lernen, zugleich auch, um Altes und Bekanntes wieder zu hören. Die Berichte für die Zeitschrift hatten es nur mit den ersteren zu thun. Zuhörer waren des beschränkten Raumes wegen nur wenige zugegen. Schumann scherzte einmal darüber (1838, IX, 110): „Unsere Quartett-Morgen finden Nachahmung. Herr M. Schlesinger in Paris wird nächsten Winter eine Reihe ähnlicher Soiréen geben, zu denen die Abonnenten seiner Zeitschrift freien Zutritt haben; ein guter Gedanke, den wir wegen Kleinheit unseres Redactionspalais nicht auszuführen vermöchten.“ — Schumanns Wohnung, in der die Quartett-Morgen stattfanden, war von 1836 bis 1840 im sog. „rothen Colleg“, eine Treppe hoch, und hatte die Aussicht nach dem „niederen Park“ hinaus. Jetzt zeigt das Stubenfenster auf die neuangelegte Goethestraße, es ist links von der, ebenfalls erst nach Schumanns Zeit dort angebrachten Hausthür.

22 (S. 127). Die hier genannten Werke sind später gedruckt worden, aber wohl schwerlich mit den von Schumann vorgeschlagenen Aenderungen. Um fremdem Einfluß zugänglich zu sein, war Hirschbach eine zu eigensinnige und schroffe Natur. Er veröffentlichte unverdrossen bis an sein Lebensende zahlreiche Kammermusik- und Orchesterwerke, ohne beim Publicum Theilnahme für seine Musik erwecken zu können. Die Verstandesthätigkeit war bei ihm überwiegend, wie er denn auch für einen hervorragenden Schachspieler galt.

23 (S. 127). Vier Wochen vor dem Erscheinen dieses Berichts schrieb Schumann an Clara (13. Juli): „Eine große Erscheinung ist diese Woche an mir vorübergegangen; Du wirst den Namen in der Zeitschrift [unter zwei Aufsätzen] gelesen haben: Hirschbach. Er hat viel Faustisches, Schwarzkünstlerisches. Vorgestern machten wir Quartette von ihm; im Satz mangelhaft, in der Erfindung, im Streben das Ungeheuerste, was mir bis jetzt vorgekommen. In der Richtung einige Aehnlichkeit mit mir — Seelenzustande. Doch ist er viel leidenschaftlicher, tragischer als ich. Die Formen ganz neu, ebenso die Behandlung des Quartetts. Einzelnes hat mich im Tiefsten gepackt. Die kleinen Fehler überhört man bei solcher überstürzenden Phantasie. Außerdem Ouverture zu Hamlet, Ideen zu einem Oratorium ,Das verlorene

{508} Paradies'. Die Quartette sind Scenen aus Faust. Jetzt hast Du ein Bild. Dabei oft tiefste Romantik bei aller Einfachheit und rührender Wahrheit.“ An demselben Tage schrieb Schumann an Hirschbach, der von Berlin nach Leipzig gekommen war: „Wünschen Sie es, so soll meine offne Meinung über ihre Quartette in einem der nächsten ,Quartettmorgen' der Zeitschrift erscheinen. Sie müßten mich als Componist kennen, um zu wissen, wie nahe wir zusammen gehen, wie ich alle Ihre Sphären obwohl mit leiserem Flügel berührt schon vor längerer Zeit. Dies lassen Sie mich noch sagen, Ihr Streben ist mir das ungeheuerste, das mir in neueren Kunstrichtungen vorgekommen, und wird von großen Kräften getragen. Einige Zweifel hege ich aber im Einzelnen und gegen Einzelnes, vorzüglich als Musiker. Ich werde Ihnen die Stellen angeben.“ Im folgenden Jahre rieth Schnmann wiederholt zum Druck der Sachen. „Was ich helfen kann, thu' ich.“ „Sie müssen Sich freilich zum Schritt entschließen und irgendwo anklopfen. Ich werde darüber nachdenken und Ihnen wieder davon anfangen.“

24 (S. 129). Schumanns Vermuthnng war richtig. In Dr. E. Bellasis' „Cherubini, Memorials of his life (London 1874) heißt es: „Die Aufnahme des Es dur-Quartetts veranlaßte Cherubini, sich wieder seiner D dur-Symphonie zuznwenden, die er in London geschrieben hatte, aber sie wurde in ein Quartett verwandelt, mit einem neuen Adagio, geschrieben März 1829.“ G. Groves Dictionary of music and musicians berichtet noch eingehender: „1815 bot die Londoner philharmonische Gesellschaft ihm (Cherubini) 200 Lstr. für eine Symphonie, eine Ouverture und ein Vocalstück. Cherubini kam im März nach London, die Symphonie in D wurde beendigt den 24. April und aufgeführt den 1. Mai. Sie wurde 1829 in ein Quartett umgeschrieben mit einem neuen Adagio.“

25 (S. 133). Das Gedicht war in der Zeitschrift überschrieben: „An C. W.“ und unterzeichnet „A. L.“ Clara Wieck spielte in dem Concert, das nach Dörffels Festschrift der Gewandhaus-Concerte am 8., nicht am 9. Sept. stattgefunden hat: Chopins E moll-Concert (ersten Satz), Caprice in E moll von Thalberg, Lieder von Schubert-Liszt, Orage und Liebeslied von Henselt, eine Manuscript-Mazurka von Chopin und ein eigenes Scherzo (D moll, Manuscript).

26 (S. 134). Hierher gehört auch das Notturno in H dur (Werk 32 Nr. 1), das in Schlesingers Album du Pianiste erschien. Schumann sagte darüber: „Von Chopin enthält das Album ein Notturno, den Dichter in den ersten Tacten verrathend. Der Gesang des ersten Verses (man kann es so heißen) ist möglichst zart und wohllautend; matter dagegen, wie Chopins zweite Erfindungen so häufig, der zweite. Den Schluß halte ich für später angesetzt.“ — lieber das in demselben Album erschienene H moll-Scherzo von Mendelssohn bemerkte Schumann: „Ein kleines Scherzo von Mendelssohn, schon früher (1829) als Beilage zur Berliner allg. musik. Zeitung [A. B. Marx] abgedruckt, macht sich trotz seiner Kürze oder vielmehr wegen ihr geltend. Es läßt sich kaum geistreicher sein in so wenig Sekunden.“ (1838, VIII, 70.)

27 (S. 134). Diese Ansicht vertrat auch Zuccalmaglio, der die früheren Werke Chopins — die beiden Concerte, das Trio, die ersten Etuden und Mazurkas — den später geschriebenen vorzog. Als Wedel in den „Vertrauten Briefen an H. Heine“ (1838, IX, 1) bei der Erwähnung von Chopins außerordentlichem Spiel äußerte: „An Fertigkeit hat es wohl keiner der Meister ihm noch zuvorgethan, und an prunkenden fingergewandten Klangfiguren, Ausschmückungen der Gedanken kann man

{509} den Künstler, aber auch nur in diesem, neben den verewigten Hummel stellen“, bemerkte Florestan dazu in einer Fußnote: „Dies Lob dünkt mir ein sehr kleines, wie denn diese beiden Künstler kaum zu vergleichen sind. Gewiß aber haben an Hummels Compositionen die Finger weit mehr Antheil als an Chopins.“

28 (S. 133). Gegen derartige harmonische Freiheiten war Schumann später doch empfindlicher, weswegen er diese Stelle wohl auch gestrichen hat. Uebrigens dachte Schumann in der Quinten- und Octavenfrage auch in jüngeren Jahren keineswegs so jacobinisch, wie bisweilen wohl angenommen wird. Es befestigte sich immer mehr die Ueberzeugung in ihm, daß die alten guten Satzregeln doch etwas mehr als nur graue Theorie seien. Gleichwohl hing er ihnen nicht mit engherzigem Buchstabenglauben an. Dafür ließen sich Belege genug beibringen. Ein scherzhaftes Beispiel fand ich in der Original-Handschrift der Davidsbündlertänze. Nr. (D moll enthält im Mittelsatz (D dur), Tact 10, eine Quintenfortschreitung (a h); darunter steht von Schumanns Hand ein lakonisches: {{Right|d e „Ei, ei.“ Schumann ließ die Quinten stehen. — Während er gelegentlich einmal hinwirft (1836), daß er im Traum eine Musik von Engeln gehört habe, die „der himmlischesten Quinten voll“ gewesen, so macht er ein anderes Mal (1835) auf eine Octavenfortschreitung in Mendelssohns E dur-Sonate aufmerksam. An Hirschbach schreibt er (13. Juni 1838): „Schon längst halte auch ich im Sinn, gegen gewisse Theorieen zu Felde zu ziehen, im Grunde gegen alle“ (— eine Florestansche Hyperbel —) bemerkt dann aber (13. Juli 1838) zu des Componisten Hamlet-Ouverture: „Einige Octaven darin kann ich aber unmöglich gutheißen, ebenso in den Quartetten.“ Wenn er gegen Zuccalmaglio äußert (8. Aug. 1838): „Ich höre mit Musiker-Ohren und kann auch im Volkslied keine Quinten und Octaven ausstehen“, so überrascht dagegen die Florestansche Verherrlichung der Quintenkette in Chopins Cis moll-Mazurka. 1853 tadelt er in einem Streichquartett von Böhme eine Quintenfortschreitung, die er beseitigt wünscht, da das Quartett „nach alten guten Regeln ein so correctes sei“.

29 (S. 137). Berlioz kam im Februar 1843 nach Leipzig und führte dort mehrere von seinen Compositionen auf, die aber nur wenig Beifall fanden. In der neuen Zeitschrift berichteten Hirschbach und Z. (Heinrich Schmitt) darüber, ersterer mit warmer Theilnahme, ohne freilich seine Bedenken zu verbergen (en Schlußsatz der phant. Symphonie nannte er geradezu eine „Albernheit“), letzterer kühl und durchweg verwerfend. Er sprach ironisch von Berlioz' „großem Genie“, was Schumann (wie er in einer Fußnote bemerkte) dem „jedenfalls bedeutenden Manne gegenüber“ unpassend fand; Berlioz gelte in Paris für den ersten französischen Instrumentalcomponisten, „der er auch sei“. — Mündlich rühmte Schumann das Offertorium gegen Berlioz, der darüber an J. d'Ortigue in Paris berichtete: „Schumann, der schweigsame Schumann ist ganz elektrisirt von dem Offertorium meines Requiems; Tags nach der Aufführung hat er den Mund geöffnet — zum großen Erstaunen seiner Bekannten — um mich bei der Hand zu nehmen und mir zu sagen: dieses Offertorinm geht über Alles“. — Da Schumann nicht selbst über Berlioz' Auftreten in Leipzig geschrieben hatte, so las ihm R. Griepenkerl in einer kleinen Schrift „Ritter Berlioz in Braunschweig“ etwas den Text. Darauf erwiderte Schumann in der Zeitschrift:

Ritter Berlioz in Braunschweig heißt der Titel einer Brochure von Wolfg. Rob. Griepenkerl, in der neben Berlioz unsere Zeitschrift beinahe die


{510} Hauptrolle spielt, die einer Angeklagten nämlich. Es wird ihr Indifferentismus gegen den französischen Componisten, einzelnen der Mitarbeiter, die über ihn berichtet, Kurzsichtigkeit und Philiströsität, mir selbst auch fragend vorgeworfen, warum ich nicht die Feder für den in Deutschland vielfach Beleidigten ergriffen. Darauf läßt sich unschwer antworten. Unser liebenswürdiger Berliozritter, den die Zeitschrift seit Jahren schon zu ihren Mitarbeitern zählt, scheint diese dennoch wenig zu kennen. So finden sich (er glaube mir aufs Wort) in den früheren Jahrgängen Berichte aus Paris die Menge über Berlioz, desgleichen eine viele Nummern durchlaufende Kritik über seine erste Symphonie von mir, der Niemand wenigstens den Vorwurf der Theilnahmlosigkeit machen kann, desgleichen über die Ouverture zu Waverley, nicht minder ein begeisterter Artikel von Lobe über die zu den Vehmrichtern, ebenso ein ähnlicher über die Romeo-Julie-Symphonie, — mit einem Worte, über alles von Berlioz bisher Erschienene (die Lear-Ouverture ausgenommen, die indeß in Deutschland wenigstens noch nicht gedruckt) und über vieles Nicht-Erschienene hat die Zeitschrift berichtet. Will also Hr. Griepenkerl mein Urtheil erfahren, so schlage er nur nach. Gegen manches, ich gesteh' es, würde ich freilich jetzt weit verdammender auftreten; die Jahre machen strenger, und Unschönes, wie ich es wohl in den Jugendarbeiten Berlioz' gefunden und, glaub' ich, auch nachgewiesen, wird mit der Zeit nicht schöner. Doch auch das hab' ich gesagt; es ruht ein göttlicher Funke in diesem Musiker, und gewünscht, das reifere Alter möge ihn läutern und verherrlichen zur reinsten Flamme. Ob dies in Erfüllung gegangen, weiß ich nicht; denn ich kenne von den Arbeiten aus Berlioz' reiferem Mannesalter nichts, und es ist noch nichts davon erschienen. Und deshalb, und weil Hr. Berlioz hier in Leipzig nur von seinen älteren, in der Zeitschrift schon so oft besprochenen Compositionen aufführen ließ — ein Offertorium ausgenommen, das indeß nur ein Bruchstück seines großen Requiem — schien mir ein wiederholtes Mitsprechen meinerseits unnöthig, und Andere wollen ja auch sprechen, und eine Zeitschrift darf gar wohl auch verschiedene Ansichten bringen. Sind aber die Partituren erst da, die Romeo-Julie-, die Harold-Symphonie und das Andere, von denen uns Hr. Griepenkerl so Wunderbares erzählt, so wird die Zeitschrift, wie sie die erste war, die Berlioz' Jugendarbeiten in Dentschland bekannt machte, gewiß nicht die letzte sein, die seinen spätern gleiche Aufmerksamkeit zollen wird. So viel, um den höchst ungerechten Vorwurf des Indiffserentismus von uns abzuwehren, der uns curios genug von einer Seite kam, von der er am wenigsten zu erwarten war. Aber der trunkene Schwärmer fordert überall zu viel; der leiseste Zweifel an der Hoheit seines Ideals macht ihn zum Fanatiker. Wir Musiker aber halten uns zuvörderst an die Noten, und ehe wir sie, zum Ganzen vereinigt, für ein Meisterwerk erklären, verlangen wir Rechenschaft von jeder einzelnen. Darum auch wird ein Kampf, wie ihn die Brochure wünscht, für jetzt unmöglich sein, weil uns ja aller Grund und Boden fehlt — die Partituren. Sind sie aber gedruckt, so werden wir, wie gesagt, auch mitsprechen, und man soll uns dieselben Feinde der Philiströsität, aber auch des dilettantischen Enthusiasmus finden, als die wir uns seit Entstehung der Zeitschrift, denken wir, oft genug bekannt. Möge übrigens die kleine Schrift gelesen werden; sie enthält manch' blitzenden Gedanken und konnte auf so vieles Unwürdige, Ignorantenhafte, was neuerdings über Berlioz in Deutschland geschrieben worden ist, gar nicht ausbleiben. Dem merkwürdigen Künstler aber schlage, was um ihn vorgeht, alles zum Besten aus, wie Goethe sagt im Tasso:

{511}

Ruhm und Tadel Muß er ertragen lernen, sich und Andre Wird er gezwungen recht zu kennen.“ (1843, XVIII. 177.)

Man erkennt aus allem, daß Schnmann seine anfänglich auf Berlioz gesetztn Hoffnungen nicht erfüllt sah. Im Jahre 1844 sagt er gelegentlich (XX, 11) über Berlioz, daß er gar nicht so viel Formlosigkeit in seiner Musik finden könne, eher umgekehrt zu oft Form ohne Inhalt. Er fügt hinzu, „daß es ein schlimmes Zeichen für einen beginnenden Componisten sei, wenn er nicht vor Allem blos Musik machen, sondern allerhand durch die Musik darstellen will, wenn er die Musik nur als Dienerin oder Dolmetscherin gebrauchen will“. Daß Schumann in Berlioz mehr und mehr ein Mißverhältniß zwischen Wollen und Können wahrnahm und seine Compositionen zunehmend strenger beurtheilte, ist auch aus seiner Privatcorrespondenz zu entnehmen. Hatte er noch 1839 an Hirschbach geschrieben: „Kennen Sie nichts von Berlioz? Das ist der Tollste, hat nur zu wenig Schönheitssinn, enthält aber viel Wahres, selbst Tieferes,“ so spricht er sich 1843 gegen Ambros unwilliger aus: „Es kommen in Berlioz' neueren Arbeiten Dinge vor, die man einem Vierzigjährigen nicht mehr sollte nachsagen können.“

30 (S. 138). Dies Bruchstück über Berlioz ist dem chronologischen Plan dieser Ausgabe gemäß von dem „Dicht- und Denkbüchlein“, wo es mit dem Vermerk „1838“ stand, hierher verlegt worden, obwohl ohne genauere Zeitangabe. Es ist auch nicht festzustellen, ob man es mit einer Tagebuchnotiz oder mit dem Bruchstück eines Zeitungs-Aufsatzes zu thun hat. Für die letztere Annahme spricht der Umstand, daß auf die früheren Berlioz-Kritiken in der Neuen Zeitschrift hingewiesen wird. Der Schluß des Bruchstückes läßt wohl die Deutung zu, daß Schumann in Bezug auf Wien aus eigener Wahrnehmung geschrieben; er verlebte den Winter 1838/39 in der Kaiserstadt und hatte dort in musikalischer Beziehung nicht eben die erfreulichsten Erfahrungen gemacht.

31 (S. 143). Schumann war seit Anfang October 1838 in Wien. (S. „Vorbericht“, 2. Abschnitt.) Gleich nach seiner Abreise von Leipzig war Lyser darauf bedacht, ihm durch eine Art von Geleitsbrief, der in Saphirs Humoristen vom 20. October 1838 erschien, einen freundlichen Empfang in den Wiener Künstlerkreisen zu bereiten. Der Aufsatz lautet:

„Robert Schumann und die romantische Schule in Leipzig.

Je unerfreulicher und zerfahrener sich das literarische Leben und Treiben um 1834 in Leipzig gestaltete, und je tiefer namentlich die Journalistik gesunken war, so daß den Fremden ein Grausen anwandelte, wenn er zufällig unter die sich bekämpfenden Horden gerieth, welche ums tägliche liebe Brot sich zur Belustigung des Pöbels zerbläuten und mit Schmutz bewarfen — um so erfreulicher war es zu sehen: wie in den musikalischen Zuständen Leipzigs sich ein freudiges, jugendliches Streben nach dem Edlern und Höhern in der Kunst entwickelte und schnell herausbildete, so daß es noch auf lange Zeit zur Freude aller Bravgesinnten bestehen dürfte, wenn nicht etwa unvorhergesehene, ungünstige Umstände eine gewaltsame Aenderung des Fertigen und noch Werdenden herbeiführen.

Für kein günstiges Zeichen dürfte es allerdings zu halten sein, daß Robert Schumann Leipzig verlassen und zwar eben jetzt verlassen hat! Und ist das Gerücht

{512} gegründet, daß er Wien zu seinem bleibenden Aufenthalt wählen und somit nicht nach Leipzig zurückkehren wolle, so wäre dies jedenfalls ein unersetzlicher Verlust nicht nur für seine Freunde, sondern auch für die Kunst, denn nur der liebenswürdigen Persönlichkeit Schumanns war es möglich, tüchtige Männer von den verschiedensten Ansichten einander näher zu bringen, daß sie befreundet sich vereinigten: einem schönen großen Ziele zuzustreben. — Dies Ziel stand fest, unverrückbar! so daß Streben Bedingung war, die Art aber, wie solches geschehen möge, blieb Jedem überlassen, denn Jeder wußte von dem Andern — und Schumann wußte es von Allen: Keiner könne sich unwürdiger Mittel bedienen. Wurde hier und da eine Ansicht auf allzuherbe Art laut, so wurde die Art getadelt, die Ansicht aber wurde geprüft, und unfehlbar ward ihr die gerechte, unparteiische Würdigung.

Schumann war das Haupt dieser Kunstverbrüderung. ― Mit dem Frühjahr 1834 aber traten Schumann, Schunke, Friedrich Wieck (Vater der Clara), Carl Banck, Knorr und der Dr. Glock zusammen und gründeten die neue musikalische Zeitschrift, Ehrenmitglieder und Mitbegründer waren damals noch der rühmlich bekannte Sänger Hauser, der Organist Becker, A. Bürck und J. P. Lyser.

Das Unternehmen fand die lebhafteste Theilnahme und hob sich rasch. Glocks Aufsätze über englische Musik, Bürcks Beurtheilung des „Goethe-Zelterschen-Briefwechsels, Lysers „Vater Doles und seine Freunde“ sowie dessen Kumtnoveüeu „Händel“, „Beethoven“, „Sebastian Bach und seine Söhne“ fanden die ehrenvollste Anerkennung, und Schumanns eigne Aufsätze gingen alsbald in französische Blätter über. Bald schlossen sich befreundete Geister von nah und fern an,.... und wenn der Magister Fink, der Redacteur der alten musikalischen Zeitung, sich auch gar ungeberdig anstellte und hie und da einige spitze Reden fallen ließ, so irrte es das junge, strebende Volk nicht. Erneuter Eifer im Streben war die einzige Antwort auf alle Angriffe, und erst später folgten einige kurze Abfertigungen, als das Gekläffe gar kein Ende nehmen wollte....

Was glich jenen Abenden, wo Francilla Pixis und das Wundermädchen Clara zusammen spielten und sangen! Banck lief herum wie toll und suchte neue Liederformen — Schunke, den Tod in der Brust, schrieb seine Phantasie „Beethoven“ — Bürck schnappte ein Bischen über, Lyser dichtete seine Wanderlieder an Claras Clavier, und Schumann selbst mag wohl in jenen Tagen zuerst über seine „Kreisleriana“ nachgesonnen haben, denn eben in jener Zeit war es, wo das Urbild des Callot-Hoffmannschen Kapellmeisters, der unglückliche Ludwig Böhner, sich kurze Zeit in Leipzig aufhielt. Ein großes Blatt, welches Lyser damals zeichnete, zeigte, wie auf einem bunten Maskenball, alle die lieben, anmuthigen und wunderlichen Gestalten.

Die kurze Anwesenheit Mendelssohn Bartholdys [der am 1. Oct. 1834 zu einem mehrtägigen Besuch Fr. Hausers nach Leipzig gekommen war] gab damals Hoffnung, ihn bald und auf längere Zeit in Leipzig zu sehen. Es schien, als wolle die Direction der Gewandhausconcerte dadurch, daß sie den jugendlichen Meister für das Institut gewinne, den Unwillen des Publicums versöhnen, welcher sich laut und heftig über den Vandalismus aussprach, durch den Leipzig eben um eins seiner schönsten artistischen Denkmäler (die Öserschen Fresken im Gewandhaussaal) gekommen war.

Gegen das Ende des Jahres starb Louis Schunke, ein Genie, das zu den schönsten Hoffnungen berechtigte,und einer der liebenswürdigsten Menschen. Schumann verlor viel an ihm, und nur Felix Mendelssohn Bartholdy vermochte ihm

{513} später den Verlust zu ersetzen. Zu gleicher Zeit verließen noch mehrere seiner Freunde Leipzig, Knorr und Glock traten zurück. Bürck ging nach Stuttgart, Lyser nach Dresden, so daß sich Schumann unter den Zurückgebliebenen, ihm wenig Nahestehenden wohl oft vereinsamt fühlen mochte; was er in der Zeit componirte, spricht dies sehr deutlich aus. Das Verhältniß mit dem Verleger der Zeitschrift war auch nicht geeignet, ihn aufzuheitern, die Folge davon war, daß das Blatt aus Hartmanns Verlag in den des Buchhändlers Barth überging.

Jetzt erschien Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig und übernahm die Direction der Gewandhaus-Concerte. Welch' einen großartigen Aufschwung jetzt dieses berühmte Institut erhielt, ist bekannt, denn der Ruf desselben ist in diesem Augenblick ein europäischer.

Es war vorauszusehen, daß Schumann und Felix Mendelssohn sich bald finden und erkennen müßten, und so geschah es; ihr Verhältniß ist das innigste, auf wechselseitige Achtung gegründet.

Das ernste, beharrliche Streben Mendelssohns war für Schumann ein gewaltiger Sporn, das, was in ihm lebte und sich gestaltete, auch zu Tage zu fördern, da er früher oft in genialer Lässigkeit sich begnügt hatte, für sich zu träumen oder um Mitternacht am Flügel seine Ideen auszuarbeiten, ohne daran zu denken, sie niederzuschreiben. Die Freude, welche er an den Schöpfungen seines Freundes hatte, reizten ihn, Aehnliches in seinem Kreise zu versuchen, und so entstanden die wundersamen Etuden, Capriccios, die Fantasie „Clara“, der Carnaval sowie die „Kreisleriana“, nebstbei nicht unerwähnt bleiben darf, daß er in seinen kritischen Aufsätzen sich gleichzeitig bestimmter und freier aussprach, als er es früher für angemessen halten mochte.

Mißdeutungen konnten hier nicht ausbleiben und blieben auch nicht aus! und so ging es denn hin und wieder in der neuen musikalischen Zeitung etwas bunt und scharf her. Man muß sich aber wohl hüten, unserm Schumann Unrecht zu thun und auf seine Rechnung zu setzen, was nicht darauf gehört! — Und wer möchte es denn tadeln, wenn er für das erhabene Werk seines Freundes, wenn er für den „Paulus“ enthusiastisch schwärmt? Verwirft er dagegen mit Eifer Meyerbeers Opern und namentlich die Hugenotten, indem er in diesem Werke nur eine Prosanation des Heiligsten in der Kunst sieht, so verdient er deßhalb wahrlich nicht jene Anfeindungen und jenen harten Tadel, welcher ihm von Meyerbeers blinden Verehrern zur Ungebühr ward. . . . [Nach einigen Bemerkungen über Verleger-Ansprüche und Redacteur-Nöthe spricht Lyser — der in Schumanns Zutunftspläne nicht eingeweiht war und also den wahren Grund seines Wegganges von Leipzig nicht kannte — die Vermuthung aus, daß es den Redacteur Schumann „in die Freiheit“ hinausgetrieben habe. Dann fährt er fort:] Was unter solchen Umständen aus der neuen musikalischen Zeitschrift wird, mag der Himmel wissen. Für Leipzigs Kunstleben, für Schumanns Freunde wäre, wie gesagt, der Verlust ein großer, nicht zu ersehender, da Schumanns Einfluß für die neue Schule das war, was früher der Einfluß Fr. Rochlitz' für die ältere.

Schumann selbst dürfte sich wohl dabei befinden, in seinem Leben wie in seinem Streben. Verdiente so ein Virtuos und Componist die Bezeichnung des musikalischen Jean Pauls, so ist es Robert Schumann. Humor, der tiefste, innigste, herzigste Humor! das ist das Wesen aller Schumannschen Compositionen. Deshalb aber konnte ich auch nicht trauern, als er mir kund that, er wolle Leipzig für einige

{514} Zeit verlassen, sondern ich schrieb ihm: ,Du thust Recht, es ist Dir Noth', und wahrlich, es war ihm Noth.

Ist Robert Schumann nach Wien? ist er nach Paris? ist er nach Constantinopel oder Athen gereist, nach Bockum oder Kyritz? Ich weiß es nicht, indem ich dieses schreibe! — Aber wenn er in Wien ist, so bitte ich den Humoristen, daß er’s den Wienern sage: daß sie säuberlich mit dem Knaben Robert verfahren. Er ist kein Robert der Teufel — (über diesen Vergleich, wenn er ihn zu Gesichte bekommt, wird er wüthend werden!) sondern ein herziger, guter Mensch, ein würdiger Jünger der Kunst und wie geschaffen für das herzige Wien.

Als Clavierspieler, das dürften die Wiener bald finden! — wenn er sich entschließen kann, öffentlich sich hören zu lassen — ist Schumann mit keinem jetzt lebenden Virtuosen zu vergleichen. Seine Fertigkeit ist groß, doch wird er darin von der Mehrzahl weit übertroffen. Aber hört ihn phantasiren! hört ihn seine Papillons und vor Allem seine Kreisleriana spielen! Es ist dies ein ganz guter Rath, und ich wüßte für diesmal nichts weiter hinzuzufügen.“

Wie Lysers Aufsätze manchmal etwas eilfertig und sorglos abgefaßt, gelegentlich auch mit novellistischen Freiheiten versetzt sind — z. B. ein Artikel: „Zur Biographie Mendelssohn Bartholdys“ in den „Wiener Sonntagsblättern“ vom 5. December 1847, der unrichtige Thatsachen und widersprechende Zeitangaben enthält — so ist ebenfalls die vorstehende Darstellung von Ungenauigkeiten nicht frei. Es sei noch Folgendes dazu bemerkt.

Banck kam erst im Mai 1834 nach Leipzig und gehörte nicht zu den Gründern der Zeitschrift. Dagegen wäre Ortlepp zu nennen gewesen.—

„Ehrenmitglieder“ im gewöhnlichen Sinne gab’s bei der Zeitschrift nicht; die Bezeichnung wird Lyser erst unter dem Schreiben gekommen sein. Fr. 5Hauser, den Schumann als „bedeutenden Musiker“ schätzte, nahm an dem Gedeihen der Zeitschrift lebhaftes Interesse, empfahl sie auch Mendelssohn zum Lesen. Der aber sprach sich in seiner Antwort sehr geringschätzig über Musikzeitungen aus. „Im Ernst, soll ich das Blatt lesen? Was Du mir auch rathen magst, so lese ich’s doch nicht.“ Diese Briefstelle s. Hanslicks „Suite“ S. 30) kann nur aus Schumanns Zeitschrift bezogen werden. Später nahm Mendelssohn übrigens, wie Lyser berichtet, „viel Antheil an den Bestrebungen der neuen Zeitschrift“. —

Die Novelle „Seb. Bach“ hatte Lyser aus besondere Anregung von Seiten Mendelssohns, dem der „Vater Doles“ gefallen hatte, geschrieben. Lyser erzählt das in dem oben erwähnten Aufsatz. „Kaum war die Novelle in der Musikzeitung abgedruckt, so sandte mir Felix Mendelssohn durch Schumann ein ,Lied ohne Worte', welches er mir ausdrücklich zugeschrieben; es war ein tief ergreifendes, schwermüthiges Lied etc.“ Eine genauere Angabe des Liedes fehlt bei Lyser. —

Mit der „Fantasie Clara“ ist wohl die im Juni 1836 componirte, 1839 als Werk 17 veröffentlichte Fantasie in C dur gemeint. „Der erste Satz ist wohl mein Passionirtestes, was ich je gemacht — eine tiefe Klage um Dich,“ schrieb Schumann im März 1838 an Clara Wieck; und im April 1839: „Die Phantasie kannst Du nur verstehen, wenn Du Dich in den unglücklichen Sommer 1836 zurückversetzest, wo ich Dir entsagte; jetzt habe ich keine Ursache, so unglücklich und melancholisch zu componiren.“

32 (S. 152). Den Baß sang Julius Krause, Tenor Schmidbauer, Sopran Leopoldine Tuczek, Alt Agnes Bury; J. B. Schmiedel dirigirte.

{515} 33 (S. 154). Auf Veranlassung von Mosewius' Artikel über Alexander Dreyschock(Allgem. musik. Ztg. 1839 S. 290) geschrieben, worin es heißt: „Wie entfernt auch seine (Dreyschocks) Compositionen von denen der neuesten Schule stehen mögen, so zeichnen sie sich doch durch Ruhe, Klarheit und Ebenmaß aus . . . . . Die echten Clavierspieler sind der Meinung, ich verstände nichts vom Clavierspiel, vorzüglich, wenn es romantisch ist, Dafür danke ich dem Genius der Kunst, der mir das Wohlbehagen an dieser Teufelsromantik der neuesten Zeit verschloß, in der man bei musikalischen Fantasieen, welche ein so romantischer Jünger auf dem Clavier schlägt, an große Säle mit blühenden Mandelbäumen und nach Belieben an Cypressenhaine erinnert werden soll, wo blinkende Kronleuchter in tausend Farben spielen, bunte Vögel seltsamer Art und Gestalt herumfliegen, Wohlgerüche duften und im Hintergrunde glühende Gletscher sich neigen. — Mich freut es, wenn ich einen durch und durch gesunden Künstler wie Dreyschock antreffe .... Wenn er fest auf dem betretenen Wege fortschreitet, wird die Welt später mehr von ihm hören, als daß er einer der tüchtigsten Claviervirtuosen ist; und da solche Erscheinungen niemals einzeln auftreten, wenn die Zeit sie gereift hat, so werden wir ähnlich Tüchtige folgen sehen, und die Qual und Marter dieser musikalischen Übergangsperiode wird ein Ende nehmen.“ — Mosewius' Name findet sich seltsamerweise auch unter den früheren Mitarbeitern an Schumanns Zeitschrift aufgeführt, es scheinen aber nur die zwei mit „P. B.“ unterzeichneten Correspondenzen aus Breslau (1835, III, 123, und 1836, IV, 162) von ihm herzurühren. — Mosewius' „Teufelsromantiker“ waren übrigens mit Schumanns Entgegnung noch nicht abgethan. Man begegnet ihnen noch einmal in einer Satire, welche unter der Aufschrift: „Die alte Primadonna und der Musiknarr, novellistische Etüde von H. Truhn“ in der „Ztg. für die eleg. Welt“ (1840 S. 293) erschien. Der folgende Auszug daraus ist einer Unterhaltung zwischen dem alten Musiknarren („Querkopf“ genannt) und dem Erzähler entnommen. Ersterer bezeichnet Thalberg als den „größten lebenden Clavierspieler und Componisten“, der seinem (Querkopfs) Zögling als Muster vorleuchte. Als ihm eingewendet wird, daß es „vielleicht der Abwechselung wegen hübsch sei, wenn sein Virtuosenzögling auch etwas von Chopin oder Henselt spiele“, erwidert der Alte: „O bewahre, bewahre, nein, nein! Das ist Romantik, neue Romantik — nichts fürs Publicum. Alles zu wirr zu wirr, zu wild zu wild — paßt nicht für den Concertsaal. Weiß auch, wie die componiren, die Neuromantiker. Sehr gut, sehr gut! Mein Freund, der Magister F[ink] in L[eipzig] hat mir alles erzählt. In derselben Stadt wohnt so ein Teufelsromantiker, der sich um keinen Menschen scheert, immer so vor sich hinbrütet, in der Dämmerstunde den Flügel aufmacht und nun wie wahnsinnig darauf herumfährt. Wenn’s dann mal recht arg kommt, wie es nie dagewesen: — schreibt er’s auf und läßt’s drucken. Und so machen’s alle Neuromantiker, die Teufelsromantiker! sagt mein Freund, der Magister. Aber er wird sie ausrotten mit Stumpf und Stiel, er hat mir’s versprochen. Er und sein Freund M[osewius] in B[reslau], auch Magister, und sein Freund C[arl] B[orromäus] v. M[iltitz], ein großer Componist in Dresden, der endlich herausgebracht hat, daß die Schröder-Devrient kein Genie ist: — diese drei haben sich verschworen, die ganze neue Romantik zu vertilgen mit sammt der neuen romantischen Zeitung, die der Teufelsromantiker Robert Schumann, der Aergste von Allen, herausgibt. Dieser soll es schon so weit gebracht haben, daß er gegen meinen Freund, den Magister, förmliche Injurien componirt, z. B. Magister, Philister u. s. w., was sehr gesährlich, da es


{516} gar nicht herauszufinden und vor Gericht zu stellen ist, denn Text schreibt er nicht darunter. Zum Glück versteht es Niemand, außer der geheimen Gesellschaft der Teufelsromantiker, die sich ,Davidsbündler' nennen. Aber die verstehen’s und lachen darüber und nennen solche componirte Injurien Humor, — was denn für einen Magister doch immer sehr ärgerlich ist . . . . “ Vgl. auch Jansens „Davidsbündler“ S. 58.

34 (S. 160). Schon beim Erscheinen der ersten Lieferungen dieser neuen Ausgabe machte Schumann (1838, IX, 78) auf die Werke des Dom. Scarlatti, „neben Bach und Händel wohl des interessantesten Claviertonsetzers seiner Zeit“, aufmerksam. „Eine ältere Ausgabe ist ganz vergriffen und hat auch äußerlich kein einladendes Aussehen. Die Hauptsache bleibt immer der Inhalt, dessen Frische und große Eigenthümlichkeit keine Zeit vertilgen kann.“

35 (S. 163). Als ein paar Jahre später auch eine französische Ausgabe von Bachs Clavierwerken (bei Launer in Paris) angekündigt wurde, bemerkte Schumann dazu (1843, XVIII, 30): „Fängt man vielleicht auch in Frankreich an, den großen Meister zu begreifen? Wir wollen es wünschen und hierbei an den bedeutungsvollen Ausspruch eines Kunstkenners über Bach erinnern: Es darf kühn vorausgesetzt werden, daß die Erkenntniß seines Geistes und Wesens der Vorläufer einer neuen Zeit sein wird, die uns erlöset von allem Uebel und allen Uebelkeiten, welche die neueste Zeit aus Italien und Frankreich über uns und unsere Musik gebracht hat.“

36 (S. 179). Schumann erwähnt diese Recension in einem Briefe (9. Juni) an Clara Wieck: „Wie sehne ich mich, Dich wieder zu hören! Und doch, glaub' ich, sind wir in unserm Urtheil oft weit von einander. Daß wir uns darüber später ja keine bitteren Stunden machen! Wieder vorgestern fiel es mir ein, als ich über die Ouverturen von Berlioz und Bennett in der Zeitung schrieb, wo ich gewiß wußte, daß Du nicht mit mir einverstanden warst, und doch nicht anders konnte. Nun, wir wollen uns schon gegenseitig von einander belehren lassen.“ Das hier nur Angedeutete wird durch eine andere Briefstelle (24. Jan. 1839) deutlicher: „Ich deute mir manchmal, was Du als Mädchen selbst bist, achtest Du an der Musik vielleicht zu wenig, nämlich das Trauliche, einfach Liebenswürdige, Ungekünstelte. Du willst am liebsten gleich Sturm und Blitz und immer nur Alles neu und nie dagewesen. Es gibt auch alte und ewige Zustände und Stimmungen, die uns beherrschen.“

37 (S. 183). Hier war noch angefügt: „bis auf eine Octavenparallele S. 19, in den zwei letzten Tacten, die schwerlich vom guten Meister gebilligt würde, und den Querstand S. 45, vorletzter Tact, der zum wenigsten befremdet.“ Diese Bemerkung veranlaßte Preyer zu einer „Berichtigung“ (Allgem. musik. Ztg. S. 804), worin die Octavenparallele als Stichfehler bezeichnet wurde, der nicht dem Componisten sondern dem Corrector zur Last falle. Schumanns „Erwiderung“ darauf (XI, 132 und Allgem. Musik. Ztg. S. 841) lautet: „In der letzten Nummer der Allgem. Musikal. Zeitung beklagt sich Herr G. Preyer, Professor am Conservatorium in Wien, daß der Rccensent seiner Symphonie in unserer Zeitschrift einen in drei verschiedenen Stimmen stehenden Fehler nicht auch gleich als drei Druckfehler erkannt. In Werken großer Geister nur eine Note als falsch zu bezeichnen, ist gefährlich, geschweige denn dieselbe Note dreimal an derselben Stelle wiederholt. In der That, risse die Fehlerhaftigkeit in Partituren so weit ein, daß man selbst einer dreifach bestätigten Note keinen Glauben schenken dürfte, es wäre besser, man versenkte sie in die Tiefe des Meeres. Ist es nun schon eine Anmaßung


{517} von Anderen Scharfsicht zu verlangen, wo der Componist, der doch gewiß seine Symphonie selbst corrigirt, selbst keine bewiesen, so vollends an jener Stelle, die auch, wie sie nun steht, nur wenig meisterhafter geworden, wie denn das jetzt corrigirte g, das nach f geht, mit dem nach c gehenden d in der zweiten Violine eine Quinte bildet, wie wir sie wohl einem Straußschen Walzer nachsehen, einer Symphonie aber nicht. Herr G. Preyer hätte also besser gethan, den Vorwurf in jener Recension, deren Milde er überhaupt nicht verstanden zu haben scheint, mit Stillschweigen zu übergehen, als sich gereizt zu zeigen und überall den beleidigten großen Componisten durchblicken zu lassen, zu dem allerwege noch mehr gehört, als Octaven und Quinten vermeiden. {{Right|Die Redaction d. neuen Zeitschr. f. M.“

38 (S. 189). Hofmeister druckte später noch ein Quartett (W. 14) von N.Burgmüller. — Von Schumanns dauernder Vorliebe für den begabten Componisten zeugt es, daß er das unvollendete Scherzo aus dessen nachgelassener zweiter Symphonie (D dur) im December 1851 instrumentirte. Die Symphonie wurde, jedoch ohne das Scherzo, 1864 in Leipzig zur Aufführung gebracht. — Burgmüller starb den 7. Mai 1836, 26 Jahre alt, zu Aachen, wo ihn, während er ein Bad nahm, ein epileptischer Zufall überkam und das Wasser den Bewußtlosen erstickte. Zu seinem Leichenbegängniß in Düsseldorf schrieb Mendelssohn, der schon zu den Proben des Musikfestes dort anwesend war, den Trauermarsch (A moll), der später als op. 103 aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde.

39 (S. 189). Als clavierspielenden Knaben führte ihn bereits Florestan in der Zeitschrift (1836, IV, 48) ein durch folgendes

„Ehrenzeugniß.

Wie gern willfahr' ich dem Wunsche des Herrn Willmers aus Kopenhagen, ein paar Worte über seinen vierzehnjährigen Sohn Rudolph aus den Büchern der Davidsbündler abzuschreiben.

,— Bei Weitem erstaunlicher als im Vortrage der Compositionen, die er bei Hummel einstudirt, trat sein musikalisches Talent im freien Phantasiren hervor. Euseb gab ihm das Hornthema aus dem ersten Satz der C moll-Symphonie. Erst stutzte der Knabe und tappte, da er nicht wußte, ob es nach B dur oder Es gehört, so liebenswürdig verlegen in den Harmonieen herum, daß es eine Freude war. Nach und nach aber erschloß sich ihm die Bedeutung der vier Töne, und nun strömten ordentlich Blumen, Blitze und Perlen unter seinen Fingern hervor, so daß wir einen Jüngling zu hören meinten. Auf den gebt Acht, sagte Meister Raro nach dem Schluß, der wird euch einmal was erzählen.' So steht im 20sten Buch der Davidsbündler. {{Right|Florestan.“

Daß Schumann später seine auf Willmers gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt sah, geht aus der Streichung folgender Worte hervor, die sich ursprünglich an den ersten Satz auf Seite 189, Zeile 5 v. u., anschlossen: „Mit besonderer Freude, mit schönen Hoffnungen auf sein zukünftiges Wirken führt er ihn heute zum ersten Mal als Componisten in diese Zeitschrift ein.“

40 (S. 205). Bennett hat die Phantasie Werk 16 Schumann gewidmet als Gegengabe für die Widmung der symphonischen Etuden an ihn. Es handelte sich dabei (wie mir Bennetts Sohn mittheilte) zugleich um einen Scherz: Bennett wollte ein schwieriges Stück schreiben, woran Schumann tüchtig zu üben haben sollte. Vielleicht war es auch nach dieser Seite hin auf ein Gegenstück zu den symphonischen {518} Etuden abgesehen. Ueber das Finale der letzteren liest man in J. A. Fuller Maitlands Biographie Schumanns (London 1888) S. 53: „Das Thema, mit dem es beginnt, ist einer Melodie aus Marschners Oper Templer und Jüdin: ,Du stolzes England, freue dich' entnommen. Die Wahl dieses Themas für das Finale sollte eine Huldigung für Sterndale Bennett sein, der gerade zu der Zeit nach Leipzig gekommen war, als die Variationen componirt wurden, und dem sie Schumann widmete. Es ist jedoch zu befürchten, daß der englische Componist die Ehre, die Schumann ihm erwiesen hatte, kaum auf ihren richtigen Werth hin würdigte, denn es wird von ihm erzählt, daß, als er später das Werk gelegentlich hörte, er es nicht wiedererkannte.“ Das ist wohl glaublich, stimmt auch zu Bennetts Tagebuch, in dem von Schumann nur in den herzlichsten und freundschaftlichsten Worten gesprochen wird, während man vergeblich nach einer Aeußerung über seine Compositionen sucht. Man darf hieraus übrigens nicht etwa folgern, daß Bennett der Schumannschen Musik theilnahmlos gegenübergestanden habe; er hat vielmehr einige von Schumanns größeren Werken zuerst in England eingeführt, z. B. 1856 die Peri.) — Bennetts A dur-Phantasie ist in England erst nach dem Tode des Verfassers veröffentlicht worden, — wie der Sohn meint: weil der Componist selbst ihr keinen sonderlichen Werth beigelegt habe.

41 (S. 208). Genaueres darüber s. in Jansens „Davidsbündler“ S. 123: „Ludwig Schunke und Henriette Voigt.“

42 (S. 210), Mendelssohn ist gemeint. Von der Hochachtung, die er der Frau Voigt zollte, zeugen seine Briefe an sie: Carl Voigt gab sie 1871 unter dem Titel: „Acht Briefe und ein Facsimile von F. Mendelssohn Bartholdy“ anonym heraus. Weniger bekannt ist, daß Carl und Henriette Voigt wesentlichen Antheil daran hatten, daß Mendelssohn im Jahre 1835 für Leipzig gewonnen wurde. Sie vermochten ihn dazu, den an ihn ergangenen Ruf zur Leitung der Gewandhausconcerte, dessen Ablehnung er bereits niedergeschrieben halte, doch anzunehmen. Ein Brief der Frau Voigt (Coblenz d. 16. Juni 1835) an Frl. Alwine Jasper in Leipzig berichtet darüber: „Das Musikfest selbst (in Köln) war wahrhaft erhebend und befriedigend, wir waren viel mit Mendelssohn zusammen, der sich unendlich freute, daß wir noch gekommen waren, und die Liebenswürdigkeit selbst persönlich darstellte. Er gewann alle Herzen, ausgenommen meines, das ihm schon seit alter Zeit angehörte, und vermochte so viel über uns, daß wir seinen Bitten nachgaben und noch nach Düsseldorf reisten, wo wir in seinem eignen Zimmer die herrlichsten Stunden verlebten und wider unsern früheren Plan zwei volle Tage dort blieben. Als wir ihn wiedersahen, hatte er schon den Absagebrief für Leipzig in der Tasche — er bat uns, ihm zu rathen und zu helfen — diesen großen Rath pflogen wir in Düsseldorf während der Pausen unseres Musicirens (so geizten wir mit der Zeit!), und so entschied er sich Freitag früh 11 Uhr, daß er auf 6 Monate den Leipziger Antrag annehmen wolle — die guten Leute dort wollten dies Alles viel früher als er selbst wissen, und wir lachten herzlich mit ihm sie aus, da er jetzt erst entschieden, nun auch es hingeschrieben hat, Er zeigte mir alle seine Herrlichkeiten, auch sein musikalisches interessantes Album, wo ich mich eintragen mußte, — ein Vielliebchen, das ich mit ihm in Köln beim Künstlerdiner aß, habe ich in Düsseldorf gewonnen, das interessanteste, das ich je gegessen.“ — Daß Mendelssohn sich nur schwer zur Annahme der Leipziger Stellung entschlossen hatte, bestätigt sein Brief vom 13. Aug. 1835 an Moscheles: „Du weißt, daß ich den nächsten Winter in Leipzig bleibe, um

{519} Äbonnementconcerte zu dirigiren; ich habe mich dazu nur von Michaelis bis Ostern verbindlich gemacht; mir graut etwas davor und ich kann mir den Aufenthalt nicht reizend denken.“ Nie Verhältnisse in Leipzig gestalteten sich aber vom ersten Beginn an so überaus erfreulich, daß Mendelssohn sich dort sehr glücklich fühlte.

43 (S. 220). Dieses Capriccio bildete ursprünglich den Schluß des „Denk- und Dichtbüchleins“; es schien zweckmäßiger hier eingefügt zu werden, da es (vor) 1839 nicht geschrieben sein kann. Genau ist die Zeit der Abfassung nicht zu bestimmen, doch füllt sie jedenfalls in den Zeitraum von 1839 bis 1842, der die Lebensdauer der Schillingschen „Jahrbücher für Musik und ihre Wissenschaft“ umfaßt. Auf eine Verspottung des von Schilling gegründeten „Deutschen Nationalvereins für Musik“ ist es ohne Frage abgesehen, — die Ueberschrift, der mit „G. S.“ (Gustav Schilling) unterzeichnete Aufruf, das „Protektorat“ des Bürgermeisters sowie die „correspondirenden und Ehrenmitglieder“ deuten darauf hin. Geschildert wird ein Zusammenstoß der Anhänger des „Neuen“ und des „Alten“, der Schauplatz ist eine „berühmte Musikstadt“ ― offenbar Leipzig. Daß mit den fingirten Namen auf bestimmte Musiker angespielt wird, ist gewiß; wer aber getroffen werden sollte, ist nicht mit Sicherheit zu jagen. Das Urbild des „Kniff“ ist am leichtesten erkennbar — Fink.

44 (S. 226). Mendelssohn hat es zweimal öffentlich gespielt: am 2. April 1838 in einem Concert der Geschwister Botgorschek und am 25. Nov. 1839. Er hatte das „Adagio und Rondo“ (so war es auf dem Programm bezeichnet) für das erstgenannte Concert geschrieben und zwar in unglaublich kurzer Zeit. In einem Briefe vom Datum des Concerttages (2. April) berichtete Mendelssohn seiner Familie in Berlin, er habe Frl. Botgorschek das Spielen zusagen müssen, aber erst nachher sich besonnen, daß er durchaus nichts „Kurzes, Passendes“ habe. „So entschloß ich mich denn, ein Rondo zu componiren, von dem vorgestern früh noch keine Note geschrieben war, und das ich heute Abend mit ganzem Orchester spiele und heute früh probirt habe. Es klingt lustig genug; wie ich’s aber spielen werde, wissen die Götter, und auch die kaum, denn an einer Stelle habe ich 15 Tacte Pausen in die Begleitung geschrieben und habe noch keine Ahnung, was ich da hineinspielen soll. Aber Einem, der en gros spielt wie ich, dem geht Vieles durch!“

45 (S. 227). Der Ausdruck im Text verlangt eine Erläuterung. C. Banck kam 1834 nach Leipzig, etwa zwei Monate nach Begründung der neuen Zeitschrift, deren Mitarbeiter er wurde. Er schrieb für sie Skizzen aus Italien etc., vorwiegend aber Kritiken über Gesangsachen und Opern. Im Ganzen hat Banck 65 Beiträge (darunter fünf Selbstkritiken) geliefert, davon sind 31 mit der Ziffer 6, 21 mit „16“, 4 mit „26“, 5 mit „Serpentinus“, 2 mit „C.—k.“ und nur 2 mit dem vollen Namen „Carl Banck“ gezeichnet. Bei 6 kürzeren, mit „B.“ gezeichneten Recensionen halte ich es für zweifelhaft, ob sie Banck oder Gustav Bergen zuzuschreiben sind. Mai 1836 hörte die Mitarbeiterschaft an Schumanns Zeitschrift auf und zwar — nach Bancks eigener Angabe — weil er sah, „daß das Institut unfähig sei, die nöthige wirkungsvolle Stellung zu erreichen, theils durch Zeitverhältnisse, theils durch innere Schwäche der Führung gehemmt.“ So heißt es in dem biographischen Aufsatz über Banck in O. L. B. Wolffs „Portraits und Genrebildern“ (Cassel und Leipzig 1839) 2. Bd., S. 260. Schumanns „schwacher“ Redactionsführung gegenüber gab Banck 1839 sogar den Musikzeitungen von Fink und Schilling den Vorzug. Wolffs Aufsatz (der theilweije „fast ganz mit Bancks Worten“ niedergeschrieben wurde) weist S. 247


{520} darauf hin, daß die musikalische Kritik auch bezüglich Bancks bewiesen, wie wenig sie sich „bei der Charakteristik hervorragender Persönlichkeiten“ auf den richtigen Standpunct zu schwingen wisse. Banck werde fälschlicherweise „der neusten romantischen Richtung zugezählt“, da man eben „Namen von gutem Klange an der Spitze haben wolle“, allein „auch Chopin und Henselt hätten sich Gleiches gefallen lassen müssen.“ — Banck nahm seit seinem Weggange von Leipzig Anfang 1836, eine mehr und mehr feindliche Stellung zu Schumann und seiner Zeitung ein, und als vom Jahre 1838 an in allen möglichen belletristischen und politischen Blättern anonyme und pseudonyme Artikel auftauchten, die in der Schmähung der „romantischen“ oder „neuromantischen Schule“ (d. h. Schumanns und der neuen Zeitschrift) auffällig übereinstimmten, da war Schumann nicht in Zweifel darüber, daß die meisten derselben direct oder indirect von Banck ausgingen. In einigen der anonymen Angriffe ist Banck kaum zu verkennen. In einem Aufsatz „Standpunct der musikalischen Kritik“ (Hamburger Corresp. v. 9. Jan. 1839) wurde gesagt, daß die musikal. Zeitungen „ihr mühsam karges Leben ohne Einfluß hinschleppen, theilweise mit gutem Willen, aber durchgängig mit einem wunderbaren Mangel an Kräften geführt“. Insbesondere sollte Schumanns Zeitschrift, „welche mit frischen jugendlichen Kräften und einer zeitgemäßen, scharf markirten und wenigstens höchst anregenden Richtung auftrat“, hernach „durch unsichere Redactionsführung Geist und Haltung verloren und die gehegten Erwartungen rasch getäuscht haben.“ Schließlich wurde bedauert, daß „die deutschen Componisten von Bedeutung“ dem verworrenen und verwirrenden Treiben der musikalischen Kritik unthätig zusähen, und daß „manche derselben, z. B. C. Banck, die schon früher ihre große kritische Fähigkeit bewiesen, sich ganz davon zurückgezogen haben.“ — Die anonymen Zeitungsartikel versicherten wiederholt, daß weder Banck, noch „sein Freund Henselt“ der neuromantischen Schule angehöre etc. Die verschiedensten nicht-musikalischen Blätter der letzten dreißiger Jahre brachten Variationen über dieses Thema, lobende Anzeigen (auch Selbstkritiken) Banckscher Lieder, Zusammenstellungen der bemerkenswerthesten neuerschienenen Musikwerke, worin Bancksche Lieder aufgezählt, Schumanns Compositionen aber todtgeschwiegen wurden. (Nürnberger Corresp. 1839. Vgl. Anmerk. 4.) Schumann scheint zu Entgegnungen erst gedrängt worden zu sein, als Banck sich auch der Bundesgenossenschaft Schillings zu erfreuen hatte. Mehrere ironische Notizen finden sich in der Zeitschrift von 1840 (XII, S. 28, 36, 44 u. 48). Der „Liederknirps von Jena“ mag Bancks Selbstbewußsein am empfindlichsten getroffen haben. Zwei Jahre später zog Schumann Banck noch einmal vor sein Forum und zwar in einer unbarmherzigen Kritik seiner „Marienlieder“ (s. S. 377). Welche besondere Veranlassung Schumann zu solchem Zorn gereizt haben mag, habe ich nicht ermitteln können. Mit dieser Abfertigung scheint wiederum eine im Hamburger Corresp. vom 18. Jan. 1843 abgedruckte anonyme Correspondenz aus Dresden im Zusammenhang zu stehen, die indeß eine Beantwortung seitens Schumanns nicht gefunden hat und nicht finden konnte. Der gallige Artikel liegt zu weit jenseits der Linie des Anständigen, um hier mitgetheilt werden zu können. — Hatte Banck während der Zeit seiner Mitarbeiterschaft an der Zeitschrift Schumanns Thätigkeit günstig beurtheilt, so änderte sich das, nachdem die beiden so grundverschiedenen Männer in eine feindliche Stellung zu einander gerathen waren. Bancks Geringschätzung Schumanns hat sich auch in den nächstfolgenden Jahren schwerlich gründen, wenigstens ist in seiner Abhandlung „Zur Betrachtung der musikal. Kunstzustände


{521} in der Gegenwart“ (A. Schweglers „Jahrbücher der Gegenwart“, 1846, S. 771 und 983) davon nichts zu bemerken. Wenn Banck darin beklagt, daß „in Deutschland verkehrte und verflachende Richtungen in der Musik periodisch einen erschreckenden Fortgang gewinnen“, so hätte es nahegelegen, dem gegenüber wenigstens mit einem Wort auf Mendelssohn und Schumann hinzuweisen, falls er dem Wirken derselben überhaupt eine besondere Bedeutung beimaß. — Das persönliche Verhältniß Bancks und Schumanns zu einander war und blieb zerstört, wurde auch in Dresden nicht wiederhergestellt. Wenn Erler (ll, 44) sagt, daß Schumann „später [d. h. 1848, nachdem er fast vier Jahre schon in Dresden gewohnt] sein Unrecht eingesehen und zuerst die Hand bot“, so ist das letztere richtig, das erstere zum mindesten unerwiesen. Der von Erler mitgetheilte Brief Schumanns an Banck (— ohne Anrede und mit dem kühlen „Ihr ergebener“ —) überzeugt nicht, namentlich der Schluß: die Einladung zur Faustprobe als eine Privatsache zu betrachten „zugleich aber auch als einen Anfang der Wiederherstellung des früheren geselligen [!] Verhältnisses zwischen uns, das aufzuheben weder mir noch vielleicht Ihnen selbst in den Sinn gekommen — so will ich es wenigstens glauben.“ Das klingt nicht wie ein Zugeständniß begangenen Unrechts gegen den ehemaligen Genossen. Eher wird man annehmen dürfen, daß Schumann von außen her veranlaßt wurde, die Hand zum Frieden zu bieten. — Beiläufig sei noch bezüglich ungenauer Zeitangaben über Bancks Aufenthalt in Italien berichtigend bemerkt, daß Banck schon im Juli 1830 nach Italien ging. Sein Versuch einer Annäherung an Mendelssohn muß wenig ermunternd ausgefallen sein, wie man nach Mendelssohns Brief (Rom, d. 23. Nov. 1830) annehmen muß, der nicht gerade sehr erfreut berichtet, daß „B.“ (Banck) ihm „ein ganzes Liederheft und ein Ave Maria“ vorgespielt habe. Hieraus bezieht sich, was Banck unterm 26. Jan. 1836 an Hofmeister schrieb: „Ich merke, daß mit Mendelssohn das Kunstleben dort (in Leipzig) unangenehm verändert ist, und daß ich Recht hatte, mich ihm immer drei Schritte, noch von früherer Erfahrung her, entfernt zu halten, — auch hier [in Berlin] höre ich nichts Liebenswürdiges über ihn.“ —

Diese ausführliche Anmerkung erschien nothwendig, um Bancks Stellung zu Schumann etwas näher zu beleuchten, weil Banck eine der Hauptquellen für Wasielewskis Schumann-Biographie geworden ist. (Vgl. Anmerk. 10 am Schluß.)

46 (S. 229). Zwischen Beethovens ehemaliger Grabstätte auf dem Währinger Friedhofe und der Schuberts sind noch drei Gräber gewesen. Zunächst Beethoven war die Familiengruft des Freiherrn Schlechta v. Wssehrd und der ihm verschwägerten von Hardtmuth 1827; dann kam das Grab von Caroline Gräfin Odonnel und von Joh. Graf Odonnel.

47 (S. 231). Die Bedeutung Mendelssohns wurde bei seinen Lebzeiten nur von einem kleinen Theil der Wiener Musikfreunde erkannt. Das bestätigt ein Aufsatz Hanslicks im „Wiener Boten“ (Beilage zu den „Sonntagsblättern“) vom 31. Oct. 1847, der auf die bevorstehende Aufführung des Elias hinweist. Von freudiger Bewunderung für das Werk erfüllt, wollte Hanslick die Hörer mit dem Plan des Ganzen bekannt und auf die einzelnen Schönheiten aufmerksam machen. Er läßt aber die Bemerkung einfließen: „In Wien hat, ehrlich gestanden, der Paulus wenig Glück gemacht, überhaupt kein Werk Mendelssohns nachhaltig gewirkt. Die Bestrebungen würdiger Männer, wie Fischhof, Becher, Vesque, Laurencin sind vereinzelt geblieben; zu einer populären Größe, einer allgemeinen


{522} Beliebtheit, wie sie Mendelssohn in Deutschland genießt, konnte er es in Wien niemals bringen.... Häufiger als irgendwo hört man in Wien den Gemeinplatz gegen Mendelssohn richten: er componire mit dem Verstand und nicht mit dem Gefühle.“ (Ueber solche Urtheile der Wiener spricht auch Schumann S. 151.) Hanslick glaubt aber erwarten zu dürfen, daß beim Elias nicht, wie bei der ersten Aufführung des Paulus (1839), Journalritter von der traurigsten Gestalt einem Felix Mendelssohn die Fehler dutzendweise nachrechnen würden. „Auch das unleugbare Widerstreben, welches sich von jeher in unserer Presse und unserm Publicum gegen Kunstleistungen äußerte, die von Norddeutschland kamen, schwindet immer mehr und mehr; und wenn wir auch nicht hoffen dürfen, daß Wien je ein Grenzdamm sein werde gegen das Schlechte aus Süden, so wird es doch gewiß aufhören, ein Grenzdamm zu sein gegen das Gute aus Norden.“ — Die erste Aufführung des Elias sollte am 7. Nov. 1847 unter Mendelssohns eigener Leitung stattfinden, doch mußte sie „wegen eingetretenen Unwohlseins des Compositeurs“ aus den 14. Nov. verschoben werden. Als Hanslick am Schluß seines Aufsatzes Mendelssohn zuversichtlich und freudig zurief, wie der Engel dem Elias: „Komm' herab! noch sind übrig geblieben 7000 in Israel, die sich nicht gebeugt vor Baal“ — da ahnte er nicht, daß wenige Tage darauf der Erwartete heimgegangen sein und die Aufführung des Elias am 14. Nov. sich zu einer Todtenfeier für den verklärten Meister gestalten werde.

48 (S. 237). In Brockhaus' Allgem. Ztg. vom 23. März ließ Schumann sich näher darüber aus: „Morgen Abend gibt Herr Franz Liszt sein zweites und leider letztes Concert. Wir würden es auf das Innigste beklagen müssen, wenn es wirklich sein letztes wäre, könnten es jedoch andererseits dem Künstler kaum verdenken, seine Abreise nach Paris zu beschleunigen, da einige Stimmen laut geworden sind, die ihm zur Last zu legen sich bemühen, was Andere in übertriebenem Geschäftseifer versehen hatten. Wie kann es aber das Publicum berühren, wenn einige Personen keine Freibillets bekommen haben? Kommen Fehler und Versehen nicht auch bei unwichtigeren Concertgebern vor? Man wird doch nicht glauben wollen, Herr Liszt, der sein Leben hindurch wahrlich Beweise genug von Freigebigkeit und Hochherzigkeit gegeben, habe sich auf einmal bei uns durch Ausfall einiger Freibillets oder durch Sperrsitze (die anderwärts z. B. in Wien immer vorhanden) bereichern wollen. Und hätte er die Preise der Sperrsitze auch noch mehr erhöht, es käme doch noch lange nicht die Summe heraus, die er z. B. zur Errichtung des Monumentes für Beethoven angewiesen. Leider müssen wir solche Thatsachen erwähnen, einem Artikel gegenüber, der in einer „Beilage zum Dresdener Wochenblatt“ durch Unwahrheiten gegen den Künstler aufzuhetzen versucht hat. Aber Hr. Liszt steht zu hoch über solchen Angriffen. Erlaben wir uns denn lieber an der Kunst des letztem, anstatt von erstern noch weiter zu sprechen. Es ist eine Ehrenangelegenheit, und daß sie sich zur Freude Aller ausgleichen werde, dürfen wir von den Zauberkräften des Meisters wie von der gesunden Empfänglichkeit des Publicums getrost erwarten.“

Mendelssohn, der eine „übergroße Freude“ von Liszts Aufenthalt in Leipzig hatte, schrieb über die Streitigkeiten an Moscheles (21. März): „Leider ist auch er (Liszt) von einem Geschäftsführer und einem Secretär umringt, die seine Sachen so mordschlecht besorgen, daß das ganze Publicum entsetzlich aufgebracht gegen ihn war, und daß es uns allen die größte Mühe gekostet hat, die Sache zum zweiten Concert nur einigermaßen auszugleichen. Die Anzeigen, die Abänderungen, die Preise, das Programm, kurz Alles, was nicht Liszt selbst gemacht

{523} hatte, war verkehrt und setzte die ruhigen Leipziger in Wuth. Jetzt, denke ich, haben sie sich eines bessern besonnen, und Hiller, Härtel, Schumann und ich haben die Secretäre möglichst zu neutralisiren gesucht.“ Seiner Mutter schildert Mendelssohn den Vorgang ebenfalls (30. März) und fügt hinzu: „Nun fiel mir ein, daß die schlechte Stimmung vielleicht am besten zu beseitigen sein würde, wenn die Leute ihn einmal in der Nähe besahen und behalten, entschloß mich kurz und gab ihm eine Soirée auf dem Gewandhause von 350 Personen, mit Orchester, Chor, Bischof, Kuchen, Meeresstille, Psalm, Tripel-Concert von Bach (Liszt, Hiller und ich), Chören aus Paulus, Fantasie sur la Lucia di Lammermoor, Erlkönig, Teufel und seine Großmutter, und da waren alle so vergnügt und sangen und spielten mit solchem Enthusiasmus, daß sie schwuren, sie hätten noch keinen lustigem Abend erlebt, und mein Zweck wurde dadurch glücklich und auf eine sehr angenehme Art erreicht.“ — Hiller gab Liszt zu Ehren ein glänzendes Mittagsmahl, zu welchem er die musikalischen Größen Leipzigs eingeladen hatte. „Als wir (so erzählt Hiller) von unseren socialen Heldenthaten später plauderten, amüsirte es Mendelssohn königlich, daß meine halb verborgene und wenige Leute umfassende Fête mich viel mehr gekostet hatte, als ihn seine großartige Demonstration. Sein Lachen bei dergleichen hatte etwas kindlich-naiv-gutmüthiges, und er war eigentlich nie gemüthlicher, als wenn er ein wenig spotten konnte.“

49 (S. 240). Das Leipziger Tageblatt vom 29. März enthält einen mit „L.“ unterzeichneten, ohne Zweifel von Schumann geschriebenen Artikel, der auf das am folgenden Tage stattfindende Concert Liszts, „des größten Pianisten unserer Tage“, noch besonders hinweist. Schumann sagt darin zum Verständniß des Carnavals: „Es ist ein humoristischer Maskenroman, in welchem außer dem bekannten Gesichte des Harlekin, Pantalon, der Colombine auch bedeutendere der Gegenwart, wie Chopin und Paganini in flüchtigen musikalischen Umrissen zum Vorscheine kommen; dazwischen sich ein Abenteuer zu entwickeln scheint, wie die Namen anderer Stücke anzudeuten scheinen.“ — In einem (bisher ungedruckten) Briefe vom 9. Febr. 1838 an Julie Baroni-Cavalcabo sagt Schumann über den Carnaval: „Daß Sie mein Carnaval reizen mag, begreife ich wohl; es sieht ja im Künstlerherzen manchmal wunderlich aus und die schreienden Dissonanzen, wie sie das Leben zusammensetzt, mildert die versöhnende Kunst, wie sie oft auch wieder die Freuden in dunkle lange Schleier einhüllt, daß man sie nicht so offen sehe.“

50 (S. 241). Schumanns Briefe an seine Braut enthalten Näheres darüber. Am 18. März schrieb er: „Mit Liszt bin ich fast den ganzen Tag zusammen. Er sagte mir gestern, ,mir ist’s als kennte ich Sie schon 20 Jahre' — mir geht es auch so. Wir sind schon recht grob gegen einander, und ich hab’s oft Ursach, da er gar zu launenhaft und verzogen ist durch Wien. Wie er doch außerordentlich spielt und kühn und toll, und wieder zart und duftig — das Hab' ich niemals gehört. Aber Clara, diese Welt ist meine nicht mehr. Die Kunst, wie Du sie übst, wie ich auch oft am Clavier beim Componiren, diese schöne Gemüthlichkeit gab' ich doch nicht hin für all' seine Pracht; und auch etwas Flitterwesen ist dabei. Laß mich darüber heute schweigen.“ Am 20.: „Heute früh hätte ich Dich zu Liszt gewünscht. Er ist doch gar zu außerordentlich. Er spielte aus den Novelletten, aus der Phantasie, der Sonate, daß es mich ganz ergriff. Vieles anders, als ich’s mir gedacht, immer aber genial und mit einer Zartheit und Kühnheit im Gefühl, wie er sie wohl auch nicht alle Tage hat. Nur [E. A.] Becker war dabei, dem standen die Thränen in

{524} den Augen... Das zweite Concert gab er noch nicht und legte sich lieber ins Bett und ließ zwei Stunden zuvor bekannt machen, er wäre krank. Daß er angegrissen ist und war, glaub' ich gern. Lieb war es mir, weil ich ihn nun den ganzen Tag im Bett habe und außer mir nur Mendelssohn, Hiller und Reuß zu ihm können.... Glaubst Du wohl, daß er in seinem Concert ein Härtelsches Instrument gespielt hat, das er vorher noch niemals gesehn? So etwas gefällt mir nun ungemein, dies Vertrauen auf seine guten zehn Finger.“ Am 22.: „Dir aber sag ich’s, Liszt erscheint mir alle Tage gewaltiger. Heute früh hat er wieder bei Raimund Härtel gespielt, daß wir alle zitterten und jubelten, Etuden von Chopin, ein Stück aus der Rossinischen Soiréen und Mehreres noch.“

51 (S. 245). Zu dieser ursprünglich nicht beabsichtigten Aufführung aller vier Ouverturen gab ein Zufall die Veranlassung. Ein fremder Violinist war im ersten Theil des Concerts mit so entschiedenem Mißerfolg aufgetreten, daß er sich ganz sachte auf und davon machte und im zweiten Theil nirgends zu finden war. Um die dadurch entstandene Programmlücke auszufüllen, entschloß sich Mendelssohn kurz, den im ersten Theil bereits gespielten zwei Ouverturen auch noch die beiden letzten — ohne vorherige Probe — folgen zu lassen. —

Ueber die Reihenfolge, in der die vier Fidelio-Ouverturen entstanden, hat erst Nottebohm das Richtige festgestellt. („Beethoveniana“.) Die jetzt als die erste bezeichnete Ouverture erschien 1832 bei Haslinger im Druck und erhielt die Werkzahl 138. Bis dahin kannte man in Wien nur zwei Leonoren-Ouverturen: die als Nr. 3 bezeichnete aus dem Jahre 1806, und die vierte (E dur) aus dem Jahre 1814. Von der wirklich ersten, im Jahre 1805 geschriebenen Ouverture hatte man keine nähere Kenntniß. Diese wurde erst durch die Leipziger Aufführung vom 9. Januar 1840 bekannt. Mendelssohn kannte im Jahre 1835 nur zwei Ouverturen zu Fidelio: die große in C (Nr. 3) und die vierte in E. Als er damals von einer „dritten“ Ouverture reden hörte, die Haslinger im Manuscript besitzen solle, wandte er sich an Aloys Fuchs um eine Abschrift der Partitur, die aber nicht zu erlangen war. Unterm 13. April 1838 schrieb Mendelssohn an Fuchs: „Sie könnten mir gewiß sagen, ob irgendwo noch ein Exemplar von der Beethovenschen Ouverture zu Leonore existirt, welche (wie es scheint) zu der großen aus C dur (bei Breitkopf und Härtel) die erste größere und schwerere Bearbeitung ist, mit demselben Thema, demselben Schluß, dem Trompetenstoß in der Mitte etc. Durch Herrn Schindler in Aachen haben Breitkopf und Härtels hier eine Abschrift dieser Ouverture, mit Bemerkungen von Beethovens Hand darin — aber am Ende fehlen 2—4 Seiten, und Herr Schindler behauptet, die seien nirgend zu finden, da diese Abschrift das einzige sei, was von der Ouverture existire. Ist das wahr? Oder wissen Sie Mittel und Wege, das Fehlende aus irgend einer andern Abschrift oder gar aus dem Manuscript zu ersetzen? Es sind die letzten 200 oder 300 Tacte (nach dem Eintritt des letzten Presto), von denen es sich handelt.“ Fuchs' Nachforschungen waren erfolglos. So füllte denn Mendelssohn zu der ersten Aufführung dieser Ouverture (9. Januar 1840) die Lücke der Partitur durch eine entsprechende Stelle aus der dritten Ouverture aus, die auch in die, 1842 durch Breitkopf und Härtel veranstaltete Ausgabe aufgenommen wurde.

52 (S. 254). Ueber den Vortrag der Ciaconna, die Mendelssohn (wie Hiller berichtet) frei am Clavier begleitete, sagt Schumanns Concertbericht in Brockhaus' Allgem. Ztg. vom 1. März: „David spielte eine Ciaconna von J. S. Bach, ein

{525} Stück aus jenen Sonaten für Violino solo, von denen Jemand einmal verkehrt genug geäußert, ,es ließe sich keine andere Stimme dazu denken', was denn Mendelssohn Bartholdy in bester Weise dadurch widerlegte, daß er sie auf dem Flügel accompagnirte und zwar so wundervoll, daß der alte ewige Cantor seine Hände selbst mit im Spiele zu haben schien. Daß Bach sich sein Stück so oder ähnlich gedacht, mag möglich sein — denn der Meister gewordene Componist denkt sich sein Wert auch immer in reinster Vollendung, wenn es auch die Virtuosen nicht gern zugestehen wollen — aber gehört in solcher Vollkommenheit, solcher meisterlichen Naivetät hat er es sicher nicht.“ — Schumann schrieb Anfang 1853 eine Clavierbegleitung zu allen sechs Violinsonaten, eine Arbeit, die ihm „Mühe, aber noch viel mehr Freude gemacht.“ (Brf. an Härtel.)

53 (S. 264). Mendelssohn nennt LvoffVorlage:Lwow in einem Briefe an Moscheles (vom 17. Juni 1840) „einen höchst merkwürdigen Mann und Künstler“, „einen der ausgezeichnetsten, seelenvollsten Violinspieler, die mir vorgekommen, der durch seinen vortrefflichen Vortrag und Ton, wie durch seine musikalische Fertigkeit und Bildung uns wahrhaft entzückt hat.“ — Als Lvoff auf seiner Rückreise von Paris nach Petersburg wieder in Leipzig verweilte und auf Mendelssohns Einladung am Vormittag des 8. November vor einem gewählten Kreise im Gewandhause gespielt hatte, berichtete Schumann „mit besonderer Freude“ darüber in der Zeitschrift. „ ... Er steht ganz außer dem dilettantischen Bereiche und reiht sich ein Meister den ersten und besten an. Von seinem lebendigen Musikgeist gaben auch seine Compositionen Zeugniß, ein durchaus originelles Concert (Manuscript), wie eine Phantasie [Werk 5] über russische Melodieen, die von einem Männerchor gesungen wurden. Der Beifall war enthusiastisch.“ (1840, XIII, 164.)

54 (S. 268). Wenn Schumann hier sagt, daß die Orchestersätze, unabhängig von dem Lobgesang, schon früher geschrieben seien, daß aber dieser ihm „durchaus neu zu sein scheine“, so ist dieser reservirte Ausdruck nicht recht verständlich, denn der Sachverhalt war ihm bekannt. Ebenso schrieb er nach der zweiten Aufführung des Lobgesanges (3. Dec. 1840), er „glaube“, daß der Componist Änderungen darin vorgenommen habe, während sein Bericht in der Brockhausschen Ztg. (v. 8. Dec.) bestimmt sagt: „Der Meister hatte mehrere Aenderungen darin vorgenommen.“ Es ist auch anzunehmen, daß Schumann sein Bedeuten bezüglich der Form des Ganzen schon mündlich gegen den Componisten geäußert hatte, bevor er sie öffentlich aussprach. Später, beim Ordnen seiner ges. Schriften, mochte er seine damaligen Einwendungen als gegenstandslos ansehen, da das Wert längst veröffentlicht worden war. So strich er denn den ganzen Passus. — Es ist nichts darüber bekannt geworden, daß sich in Mendelssohns Nachlaß auch ein zu den drei Orchestersätzen gehöriges Finale vorgefunden hätte, an dessen Stelle die Cantate gesetzt wurde. Von einer „Symphonie in B“, an der er schreibe, berichten Mendelssohns Briefe aus 1838 und 39 mehrfach. — Eine spaßhafte Scene in einer der ersten Orchesterproben zum Lobgesang erzählte man sich noch zehn Jahre später in Leipziger Musikerkreisen. Als ein kleines Beispiel davon, wie Mendelssohn einen guten Scherz aufnahm, mag das Geschichtchen hier eine Stelle finden. Die versammelten Musiker stimmten ihre Instrumente (was man früher im Gewandhause recht gründlich besorgte), während Mendelssohn sich noch im Saal unterhielt. Plötzlich erschallte auf dem Orchester, mitten im lärmenden Durcheinander des Stimmens, wie ein gewaltiger Kommandoruf das Anfangsthema des Lobgesangs, von einer Posaune geblasen:


{526}

  1. Notenbeispiel.

Die Wirkung, namentlich des improvisirten Doppelschlags, war so überwältigend komisch, daß Alle in ein schallendes Gelächter ausbrachen — voran Mendelssohn, der vor Vergnügen in die Hände klatschte und dem Posaunenkönig Queißer Bravos zurief.

55 (S. 281). Der interessante, mit „Dr. M.“ unterzeichnete biographische Aufsatz über N. Burgmüller ist auf Schumanns Veranlassung geschrieben von dem Dr. med. Carl Wilhelm Müller, bekannt unter dem Dichternamen Wolfgang Müller von Königswinter. Es ist derselbe „C. W. Müller“, dessen von Burgmüller componirtes Frühlingslied im 12. Heft der musikal. Beilagen zur Zeitschrift (1840) erschien. Als Müller im Herbst 1840 nach Düsseldorf zurückgekehrt war, lieferte er im folgenden Jahre noch einen zweiten Beitrag für die Zeitschrift: die mit „M.“ unterzeichnete Correspondenz aus Düsseldorf, Bd. XV, S. 30.

56 (S. 300). Vielleicht in Folge dieser strengen Kritik befragte Spohr Mendelssohn um sein Urtheil über die historische Symphonie. Mendelssohn sprach sich in seinem Antwortschreiben (s. Spohrs Selbstbiographie II, 232) sehr zurückhaltend aus, konnte aber doch nicht verschweigen, daß ihm der letzte Satz nicht gefallen habe. Entschieden mißbilligend äußerte er sich ein Jahr früher, als er das Werk selbst noch nicht kannte, schon über den Plan desselben. Als Moscheles ihm (März 1840) berichtet hatte, daß die Symphonie im philharmonischen Concert zu London ausgepocht sei, und daß man annähme, der Componist habe mit derselben nur einen Scherz beabsichtigt, meinte er: „Welch unglückliche Idee ist aber das Ganze! Zu einem Spaß ist doch eigentlich das ernsthafte Orchester zu gut.“ — Am schärfsten verurtheilte Hauptmann die Symphonie. „Spohr kann eben den Bach und den Händel nur vorstellen, wie sie ihm vorkommen: fugirt und altväterisch hätte er den Begriff ihrer Größe, würde er’s wohl mit seinen Mitteln eben in dieser Sphäre nicht unternehmen wollen — eben so wenig Beethoven — von letzterem ist aber auch nicht ein Tröpfchen .... Der letzte Satz, 1840, der neuromantisch sein soll, ist sehr widerwärtig, in philiströser Form phantastisch sein sollend.“ (Brief an Hauser vom 3. April 1840.)

57 (S. 302). Es ist nicht erwiesen, daß diese Motette von Sebastian Bach ist; sie wird vielmehr Johann Christoph Bach (dem Eisenacher) zugeschrieben. Sie wurde veröffentlicht unter den 1806 von J. G. Schicht herausgegebenen „6 Motetten von Johann Sebastian Bach“, doch erhoben sich Zweifel gegen die Autorschaft Sebastians, die auch von dessen Sohne Philipp Emanuel nicht anerkannt worden ist. Schelble in Frankfurt brachte die Motette in den Jahren 1821 bis 1834 als Johann Christophs Werk viermal zur Aufführung, auch erschien sie später unter diesem Namen in Schlesingers Musica sacra (II, 46). Die Bach-Gesellschaft zu Leipzig läßt die Frage unentschieden und wird die Motette dem in Vorbereitung begriffenen Motettenbande „als nicht sicher verbürgt“ im Anhange beigeben. (Vgl. auch Spittas „Joh. Seb. Bach“ I 73, 93, II 820, 981.)

58 (S. 309). Mendelssohn nahm bald nachher Urlaub von seiner Leipziger Stellung auf ein Jahr, das er theils in Berlin, wo König Friedrich Wilhelm IV. ihn dauernd zu fesseln suchte, theils auf Reisen zubrachte. Als im Sommer 1841 die englischen Künstler Panne und Wrankmore einen Stahlstich Mendelssohns


{527} vollendet hatten, kündigte Schumann das Erscheinen desselben mit den Worten an, daß dies „wohl das schönste Bild sei, das von ihm, vielleicht überhaupt von einem Musiker existire.“ Er setzte hinzu: „Da uns der Meister auf einige Zeit entrissen, so kommt dies Bild im rechten Augenblicke, uns die vielgeliebten Züge recht oft vergegenwärtigen zu können.“ (1841, XV, 60.)

59 (S. 343). Die Widmung dieser Ballade an Schumann war wohl nur ein Act ritterlicher Artigkeit, mit der Chopin die Widmung der Kreisleriana (1838) erwiederte. Schumanns Musik war Chopin durchaus nicht sympathisch, es ist auch kein einziger Fall bekannt, daß er einem seiner Schüler etwas von Schumann zum Studium empfohlen hätte. Bei seinem ersten Besuch in Leipzig (1835) spielte Clara Wieck ihm Schumanns (noch ungedruckte) Fis moll vor. Als St. Heller ihm 1838 Schumanns Carnaval überbrachte, lobte Chopin die „reizende Ausstattung“ des Hefes, sagte aber über die Musik kein Wort. Später hatte er aufMoritz Schlesingers Befagen, ob er ihm wohl zu einer französischen Ausgabe des Carnaval rathen könne, erwidert: der Carnaval sei überhaupt keine Musik. Fr. Niecks, dessen Biographie Chopins (Leipzig 1890) ich diese Notizen (I, S. 300, II S. 123 u. f.) entnehme, bemerkt dazu: „Diese Gleichgültigkeit und mehr als Gleichgültigkeit eines großen Künstlers gegen die Schöpfungen eines seiner bedeutendsten Zeitgenossen hat etwas Betrübendes, besonders wenn wir uns erinnern, welche Ergebenheit und Bewunderung Schumann für Chopin hatte, wie er ihn liebte und stets für ihn eintrat.“ Liszt, der Chopin in seinen Sympathieen und Antipathien vielfach zu beobachten Gelegenheit gehabt, sagte von ihm: „In den großen Meisterwerken der Kunst fragte er einzig nach dem, was seiner Natur entsprach. Was sich derselben näherte, gefiel ihm, dem aber, was ihr ferner lag, ließ er kaum Gerechtigkeit widerfahren.“ — Schumanns Compositionen blieben der Pariser Musikerwelt noch auf Jahre hinaus vollkommen unbekannt. Der Verleger Richault sagte einmal zu St. Heller: „In ganz Paris gibt es nur zwei Menschen, die Schumann anders kennen als nur dem Namen nach: Sie und Alkan.“

60 (S. 345). Im Jahre 1845 beschäftigte Schumann der Plan einer kritischen Ausgabe des wohltemperirten Claviers, er kam aber über die ersten Vorbereitungen nicht hinaus. Vgl. Schumanns Briefe, neue Folge, Nr. 288, 289 und 161.

61 (S. 348). Schumanns Conjecturalkritik hat sich als richtig erwiesen. Bezüglich der Bachschen Toccata ergibt das eine Vergleichung mit der Ausgabe der Bach-Gesellschaft. — Ueber den Fall in der Kunst der Fuge (— Nr. 14 ist eine Wiederholung der Fuge 10, mit Hinweglassung der ersten 22 Tacte, womit diese letztere beginnt—) sagt Hauptmann in seinen „Erläuterungen“: „Zur Aufnahme in das Werk, dessen Druck erst nach S. Bachs Tode erfolgte, war diese Doublette vom Autor jedenfalls nicht bestimmt.“ Der Herausgeber des Werkes in der großen Bach-Ausgabe, Dr. W. Rust, dem ein älteres Autograph aus der Königl. Bibliothek zu Berlin vorlag, bezeichnet Nr. 14 als „Variante zu Contrapunct 10.“ Er bemerkt im Vorwort, daß er den 14. Contrapunct sowie die unvollendete Schlußfuge aus dem Werke verwiesen und in den Anhang als „Variante“ und „Zugabe“ gestellt haben würde, wenn ihm ein solches Eingreifen nicht bedenklich erschienen wäre. „Nach alle dem (sagt Rust am Schluß) blieb es bei der Anordnung der Originalausgabe, indem es genügen dürfte, aus gegenwärtigem Vorwort den Aufbau und Abschluß des Werkes in seiner Reinheit kennen zu lernen.“ — Die Orgelfuge mit dem zu Anfang fehlenden vierten Tacte ist diese:


{528}

  1. Notenbeispiel.

Hinsichtlich des Andantes in Mozarts G moll-Symphonie hat sich Schumanns Annahme, daß an zwei Stellen vier Tacte auszuscheiden seien, als richtig herausgestellt. Jahn hat (Mozart IV, S. 132) nachgewiesen, daß Mozart ursprünglich die vier Tacte 33—36 (sowie II 52—55) geschrieben, dann auf einem Nebenblatte, vielleicht zur Erleichterung, die andere Lesart hinzugefügt hatte; durch Irrthum sind nachher beide neben einander abgeschrieben. Die kritische Gesammtausgabe von Mozarts Werken (Breitkopf & Härtel) enthält denn auch den Satz ohne die ersten vier Tacte. — Auch mit den beiden Stellen in den Beethovenschen Symphonieen hatte Schumann Recht; der überzählige Tact in der B dur-Symphonie ist längst entfernt, die Pausen in der Pastorale sind in der durch Schumann angedeuteten Weise ausgefüllt worden.

Wie sehr der im Aufsatz behandelte Gegenstand Schumann am Herzen lag, ersieht man aus seinem Briefe vom 5. August 1847 (an Brendel(, in welchem die Idee der Gründung eines „allgemeinen deutschen Tonkünstlervereins “ besprochen wird. Unter den Anträgen, die Schumann für die erste Tonkünstler-Versammlung in Leipzig (13. und 14. August) formulirte, waren zwei, welche die Einsetzung besonderer Sectionen bezweckten: eine „zur Wahrung classischer Werke gegen moderne Bearbeitung“, eine andere „zur Ausfindigmachung verdorbener Stellen in classischen Werken.“ Zur Verhandlung gelangten diese Vorschläge nicht. (Vgl. La Maras „Musikerbriefe aus 5. Jahrh.“ II, 200.)

62 (S. 362). Hirschbach gab am 5. Januar 1843 ein Concert im Gewandhause mit eigenen Compositionen, über die Schumann (XVIII, 28) berichtete: „Bei dem Verhältniß, in dem der Componist zu diesen Blättern steht, würde ein Urtheil in ihnen, wie es auch gestellt sei, Mißdeutungen unterliegen. Wir führen also nur an, daß ein Quintett (C moll), ein Quartett (B dur) und ein Septett (Es dur) zur Aufführung kamen, und daß sie die Theilnahme erweckten, die sie ihrem düsteren Charakter gemäß anzusprechen berechtigt sind. Sämmtliche Compositionen sind schon vor mehreren Jahren entstanden. Vielleicht hat der Componist seiner Kunst seitdem holdere Seiten abgewonnen. In keinem Falle stehe er still.“ Diesem etwas kühlen Bericht merkt man deutlich an, daß Schumann sich in seinen früher gehegten Erwartungen von Hirschbachs schöpferischem Talent getäuscht sah. In der Folge ist auch von Hirschbachs Compositionen keine Rede mehr in der Zeitschrift.

63 (S. 393). Mit dieser Humoreske brachte die Zeitschrift ihren siebenjährigen Krieg gegen Gustav Schilling („Heller“) zum Abschluß. Schilling hatte von 1835 an einige Beiträge für Schumanns Zeitschrift geliefert, den letzten (über die Schebest) 1837, aber schon 1835 wurde der Kampf gegen den Herausgeber des „Universallexikons“ und Verfasser verschiedener musiktheoretischer Schriften durch Dorn eröffnet, dem sich nach und nach C. F. Becker, Hientzsch, Kahlert, Freudenberg, zuletzt auch Marx anschlossen. Schumann wurde persönlich erst in die Zänkereien gezogen, nachdem Schilling (März 1839) den sogenannten „Deutschen National-Verein für Musik“ (mit dem Wahlspruch: Omnia ad majorem Dei gloriam) gegründet hatte. Dieser Verein stand unter dem Protectorat des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen; Spohr (Präsident(, Reißiger, Fr. Schneider, Marx, Schnyder von

{529} Wartensee und Schilling („permanenter Secretär“) bildeten den Gesellschaftsausschuß. Dem Prospect war gleich eine Liste von ordentlichen, correspondirenden und Ehren-Mitgliedern beigegeben. Schumann war ohne sein Wissen und Wollen in die zweite Classe aufgenommen worden — eine captatio benevolentiae, die sich jedoch als unwirksam erwies, wie aus Schumanns gleichzeitigen Briefen an Dorn und Zuccalmaglio (auch aus mehreren noch ungedruckten) hervorgeht, in denen er seine Geringschätzung des „Universaldoctors“ in sehr starken Ausdrücken ausspricht mit dem Hinzufügen, daß er Schilling „auch privatim“ kennen gelernt habe. Von der neuen Musikzeitung, den „Jahrbüchern des Deutschen National-Vereins für Musik und ihre Wissenschaft“ (auf die jedes Mitglied abonniren mußte) sagte er vorher, daß sie eine „Raufzeitung“ werden würde. So kam’s auch. Zuerst gab es versteckte Anspielungen, dann offene Angriffe, die Schumann endlich veranlaßten, einen wuchtigen Schlag gegen Schilling zu führen. Die Zeitschrift brachte nämlich 1841 (XVI, 9) jene erbarmungslose und zornige Kritik des Schillingschen „Polyphonomos oder die Kunst, in 36 Lectionen sich eine vollständige Kenntniß der musikalischen Harmonie zu erwerben“, die den unglücklichen Bücherplünderer so vernichtend traf. Auf Schillings Entgegnung: „Die neue Zeitschrift für Musik von Schumann und ich“ (Beiblatt zu den Jahrb. v. 5. Febr.), worin „das musikalisch-literarische Publicum“ auf das anzurufende „strafende Gericht“ verwiesen wird, ließ Schumann die Erklärung folgen, daß es „Pflicht gegen das Publicum gewesen sei, auf das marktschreierische Treiben dieses Pfuschers aufmerksam zu machen“, und daß „gehörigen Ortes“ der Verfasser genannt werden solle, „der in so gründlicher Weise jenen dünkelhaften und unwissenden Plagiator entlarvt habe.“ Nachdem Schilling noch einen Artikel gegen den „ chinesisch-neuromantischen Oberinspector Schuh-Wah-Kah-Man“ veröffentlicht hatte (Jahrb. 1841 S. 411), erhob er Klage gegen Schumann beim Leipziger Stadtgericht, das den Beklagten wegen der angeführten kränkenden Aeußerungen (zu denen auch die gehörte: „ich kann mich leider von der werthlosesten aller Kupfermünzen, von diesem Hohenzollern-Hechingischen Schilling nicht losreißen“) zu sechstägigem Gefängniß verurtheilte, was auf eingewendete Appellation in eine Geldstrafe von 5 Thalern umgewandelt wurde. — Ueber den ungenannten Verfasser der verhängnißvollen Polyphonomos-Kritik hat man sich die Köpfe zerbrochen. Schilling selbst hielt Marx, mit dem er mittlerweile zerfallen war, für den Verfasser. Erler gibt (II, S. 200) C. F. Becker als solchen an. Der war’s aber ebenso wenig, wie aus einem (ungedruckten) Briefe Schumanns vom 16. Jan. 1841 an Becker hervorgeht. Darin heißt es: „Der Aufsatz über Schilling [abgedruckt in den Nummern vom 8., 11., 15. u. 18. Jan.] ist deutlich, denk' ich, und hat nebst Ihrem [über Schillings „Aesthetik d. Tonkunst“ in 1840, XIII, 158] dem Manne den Garaus gemacht. Er rührt übrigens von einem bekannten tüchtigen Musiker und Componisten her.“ Dieser war H. Dorn, den Schumann schon unterm 14. April 1839 um eine Besprechung der Schillingschen Bücher gebeten hatte. Schumann fügte der Dornschen Recension noch einige Verschärfungen hinzu und nahm die alleinige Verantwortung auf sich, den Namen des Verfassers verschweigend.

Das Urtheil des Leipziger Stadtgerichts ist vom 25. Juni 1842. Schon am 14. Juli ließ Schilling einen neuen Schmähartikel gegen Schumann — „R. Tartüffe“ ― folgen; Schumann machte eine Injurialklage gegen ihn beim Stuttgarter Criminal-Amte anhängig, wurde aber (August 1842) mit der Klage abgewiesen. Am

{530} 27. September erschien „Die Verschwörung der Heller“. Damit waren Schillings Jahrbücher, die mehr und mehr zu einem blosen Schimpfblatt herabgesunken waren und noch vor Ablauf des Jahres ganz eingingen, in der Zeitschrift abgethan. — Schillings schriftstellerische Thätigkeit ruhte nach dem Aufhören der Jahrbücher nicht; gelegentlich brach auch der Theologe in ihm wieder hervor z. B. in der Schrift: „Kunst der äußeren Kanzelberedsamkeit, oder die Lehre von der kirchlichen Deklamation und Aktion in ihrem ganzen Umfange dargestellt“. (Hirschbachs Repert, 1845, S. 212.) Im Jahre 1857 begab er sich — etwas eilig, denn die württembergische Justiz hatte ihm ihre Theilnahme zugewandt — nach Amerika, lebte 3 Jahre in Newyork, ging von da (wiederum in finanziellen Verlegenheiten) nach Montreal, später nach Nebraska, wo er im Jahre 1880 auf der Farm seines Sohnes starb. In der deutsch-amerikanischen Presse war er die letzten Jahre durch seine „Erinnerungen eines Verstorbenen“ bekannt geworden, in welchen er über Künstler und Künstlerinnen seiner Zeit erzählte. Mir sind die Blätter nicht erreichbar gewesen.

64 (S. 469). Mit der Ziffer 12 zeichnete Schumann sehr häufig, die Unterschrift XII kommt nur dies eine Mal in der Zeitschrift vor. Trotzdem halte ich diese Kritik für Schumanns Eigenthum. Sowohl das darin ausgesprochene Urtheit an sich, als auch der strengere Ton, dem man in Schumanns Kritiken der letzten Jahre so häufig begegnet, sowie die Besonderheit des Stils, gewisse bei ihm oftmals wiederkehrende Ausdrücke und Wendungen führen zu dieser Annahme. Beispielsweise liest man den Zeile 17 ausgesprochenen Gedanken fast wörtlich in Schumanns Briefe vom 31. Jan. 1840 an Keferstein: „Niemand (Marx ausgenommen) hat wohl besser über Bach geschrieben als der alte Zelter.“ Auch die Schlußworte der Moses-Kritik sind fast dieselben, mit denen der vorhergehende Bericht über den Sommernachtstraum ursprünglich abschloß. Dieser 1852 gestrichene Schluß lautete: „Heute soll das Stüik wiederholt werden; ändert sich mein Urtheil, so meld' ich es dir.“ Durchaus Zuverlässiges über Schumanns Autorschaft konnte mir selbst Oswald Lorenz, Redacteur der Zeitschrift von Juli bis December 1844, nicht sagen; er erinnerte sich nur, den Aufsatz aus Schumanns Händen entgegengenommen zu haben. Das aber erhebt die Wahrscheinlichkeit meiner Annahme fast zur Gewißheit. — So hart Schumanns Urtheil über Marx' Oratorium auch war — die richtende Geschichte der Kunst hat ihm Recht gegeben, denn nach einigen Aufführungen in den vierziger Jahren ist es der Vergessenheit anheimgefallen. — Es mag beiläufig noch erwähnt werden, daß der Moses auch die Veranlassung zur gänzlichen Lösung der Freundschaft zwischen Marx und Mendelssohn gab. Marx hielt einen durchschlagenden Erfolg seines Oratoriums für unzweifelhaft und nahm fest an, daß Mendelssohn es zuerst in die Welt einführen werde. Als er es 1839 Mendelssohn vorspielte, lehnte dieser jedoch eine Aufführung ab mit den Worten: „Du darfst mir das nicht übel nehmen, aber für dieses Werk kann ich nichts thun.“ Marx war dadurch in seinen Erwartungen so bitter getäuscht, in seinem Selbstgefühl so tief verletzt, daß er zeitlebens nicht darüber hinweggekommen ist. (Vgl. Therese Marx' „A. B. Marx' Verhältniß zu F. Mendelssohn in Bezug auf E. Devrients Darstellung,“ Leipzig 1869, S. 22.) Nach Devrient hat schon Mendelssohns Vater den Einfluß Marx' auf Felix zu beschränken gewünscht. „Leute der Art, die so gescheidt reden und nichts Gescheidtes zu machen wissen, wirken nachtheilig auf productive Talente.“

65 (S. 473). Diese Aphorismen stehen in der ersten Auflage gleich nach den Preissonaten von Krug und Hetsch. Da sie aber mit den Haus- und Lebensregeln

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zusammen entstanden zu sein scheinen, so sind sie der Zeitordnung nach hier eingefügt worden.

66 (S. 473). Zur Ergänzung des „Theaterbüchleins“, in das Schumann seine Urtheile nur für sich und in kürzester Form eintrug, mögen hier noch einige verstreute Aussprüche über andere Opern mitgetheilt werden, die dem Feuilleton der Zeitschrift entnommen sind.

Aus 1835. Aubers Cheval de bronce. „Geistreich leichte Conversationsmusik,“

1836. Halévys Jüdin. „... Wir mußten unsere Ohren suchen, so viel tausende Accorde summten in kurzer Zeit an einem vorbei. Gewisse Formeln der neuen französisch-italiänischen Schule sind so allgemein geworden, daß man nicht weiß, wem sie eigentlich angehören: solche allgemeine Monotonie findet sich am meisten. Geistloser als die Musik Aubers und unendlich weniger melodiös als die Bellinis, entschädigt sie indeß hier durch mehr Wahrheit, dort durch Fleiß.“

Marschners Templer und Jüdin und Hans Helling „waren erfreuliche deutsche Erscheinungen am Theater“.

1838. Spontinis Vestalin. „Am 15. Dec. feierte Spontinis Vestalin ihr 30jähriges Jubiläum. Ehre ihrem Schöpfer!“

Bellinis Nachtwandlerin und Norma. „Ref. rechnet sie zu den langweiligsten der Welt, gegen die ihm Donauweibchen und Dorfbarbier wie Meisterstücke von Kunst vorkommen.“

Aubers Domino noir „ist so gut wie durchgefallen; mit Vergnügen berichten wir’s und zur Ehre unseres Publicums. Die Musik ist die schwächste, die Auber wohl je gemacht; nur einzelnes, wie die komische Arie des Castellan im zweiten Act, ist amüsanter. Die Handlung selbst ist gemeine Dutzendarbeit und obendrein lasciv ohne Gleichen. Gewiß muß man es unserm Director Dank wissen, daß er uns schnell das Neuste vorführt; andererseits aber auch bedauern, wie so viel Zeit und Mühe so vieler Menschen an solch Zeug verwendet wird. Auber macht nicht viel Umstände mit der Kunst und dem Publicum; wir haben ebenfalls keine Zeit, die Worte zu wählen.“

1839 (Wien) Mozarts Figaro. „ ... Die Musik zum ersten Act halte ich für das Himmlischeste, was Mozart je geschrieben...“

Lindpaintners Genueserin. „ ... Man nennt das hier [in Wien] eine deutsche Musik; sie ist es aber im Grunde nicht, sondern, wie alles von Lindpaintner, einnehmend im ersten Augenblick, klar und leicht verknüpft, und namentlich in der Instrumentirung klangvoll und glänzend. Dabei herrscht der deutsche gesunde Sinn im Ganzen allerdings vor, weshalb wir auch gern in die dem Componisten höchst ehrenvolle Anerkennung einstimmen, die ihm vom Publicum an allen drei Abenden zu Theil geworden, und die Oper allen deutschen Bühnen zur Aufführung empfehlen. Der Text ist freilich sehr gewöhnlich; Neuheit oder gar Poesie in der Idee fehlen ihm gänzlich. Und was konnte doch ans der glücklich gewählten Lokalität (Venedig), gemacht werden; sie ist aber rein zufällig, und das Stück konnte ebenso gut in Braunschweig oder Algier spielen bei passend verwechselter Costümirung.... Als vorzüglichstes Musikstück galt mir die erste Arie des Hrn. Schober, die aber am Publicum ganz spurlos vorüberging. Der zweite Act enthält ebenfalls viel gute Musik, erinnert aber durchaus an die Kerkerscene im Fidelio.

{532} Eine ausführlichere Besprechung der ganzen Oper behalte ich mir bis aus mehrmaliges Anhören vor...“

Donizettis Torquato Tasso. „ ... An der Musik hatte ich wieder für viele Jahre genug; sie war gar zu schlecht....“

1840. Glucks Opern, scheint es, wollen sich wieder Bahn in Deutschland brechen. Die glänzenden Aufführungen in Berlin sind bekannt. Vielleicht daß auch bald in Frankreich eine musikalische Rachel den alten großen Meister zu Ehren bringt.“

Als gleichzeitig von fünf der bedeutendsten deutschen Theater die Aufführung französischer und italiänischer Opern gemeldet wurde, begleitete Schumann diese Notiz mit den Worten: „Bravo, deutsche Theater! Es ist nur ein Wunder, daß wir in Deutschland noch so leidlich deutsch componiren.“

1841. Kreutzers Nachtlager. „... Gewiß gehört sie zu den Opern zweiten Ranges, aber dies in allen Ehren, und reizt überdies durch ein glückliches dankbares Sujet.“

67 (S. 474). Ueber den Tannhäuser liegen auch briefliche Aeußerungen Schumanns vor. Er erwähnte der Oper, als er sie nur erst aus der Partitur kannte, in einem Briefe vom 22. Oct. 1845 an Mendelssohn. Nachdem er an dessen kurz zuvor erschieneuen Orgelsonaten die „echt poetischen, neuen Formen“, die „reinen Harmonieen“ gerühmt, fährt er fort: „Freilich was versteht die Welt (incl. viele ihrer Musiker) von reiner Harmonie? Da hat Wagner wieder eine Oper fertig — gewiß ein geistreicher Kerl voll toller Einsälle und keck über die Maßen — die Aristokratie schwärmt noch vom Rienzi her — aber er kann wahrhaftig nicht vier Tacte schön, kaum gut hintereinander wegschreiben und denken. Eben an der reinen Harmonie, an der vierstimmigen Choralgeschicklichkeit — da fehlt es ihnen allen. Was kann da für die Dauer herauskommen! Und nun liegt die ganze Partitur schön gedruckt vor uns — und die Quinten und Octaven dazu — und ändern und radiren möchte er nun gern — zu spät! — Nun genug! Die Musik ist um kein Haar breit besser als Rienzi, eher matter, forcirter! Sagt man aber so etwas, so heißt es gar: ,ach, der Neid’, darum sag' ich es nur Ihnen, da ich weiß, daß Sie es längst wissen.“ — Nachdem Schumann den Tannhäuser (der am 20. Oct. die erste Aufführung erlebte) dann auch gehört, schrieb er am 12. Nov. an Mendelssohn: „Ueber Tannhauser vielleicht bald mündlich; ich muß manches zurücknehmen, was ich Ihnen nach dem Lesen der Partitur darüber schrieb; von der Bühne stellt sich alles ganz anders dar. Ich bin von Vielem ganz ergriffen gewesen.“ An Dorn schrieb Schumann unterm 7. Jan. 1846: „Tannhäuser von Wagner wünscht' ich, daß Sie sähen. Er enthält Tiefes, Originelles, überhaupt 100 mal Besseres als seine früheren Opern — freilich auch manches musikalisch-Triviale. In Summa, er kann der Bühne von großer Bedeutung werden, und wie ich ihn kenne, hat er den Muth dazu. Das Technische, die Instrumentirung finde ich ausgezeichnet, ohne Vergleich meisterhafter gegen früher.“

68 (S. 476). Ein gelegentliches Wort Schumanns über die „heimliche Ehe“ ist in Max Maria v. Webers Aufzeichnungen: „Kleine Erinnerungen an große Menschen“ (Wiener „Neue freie Presse“ von 1876) enthalten. Schumann hatte eine der ersten Aufführungen dieser am 10. Juni 1849 neu in Scene gesetzten Oper besucht, und der von Weber erzählte Vorfall wird kurz nachher stattgefunden haben. Ich theile ihn der Hauptsache nach hier mit — nicht als ob ich glaubte, solchen


[533} in hypochondrischer Stimmung hingeworfenen Aeußerungen besondere Wichtigkeit beilegen zu müssen, sondern weil man aus Webers Schilderung ersieht, in wie hohem Grade Schumann zeitweise von seiner nervösen Reizbarkeit beherrscht wurde, und wie das furchtbare Verhängniß, dem der edle Mann nach Verlauf weniger Jahre erliegen sollte, schon damals seine Schatten vorauswarf. — Schumann (so erzählt Weber) verkehrte in Dresden gern mit der Wittwe Carl Maria v. Webers, „deren musikalischen Feinsinn und praktisches Verständniß für musikalische Wirkung er so hochhielt, als es die damals schon beginnende Umdüsterung seines großen Geistes zuließ. Diese Umdüsterung gab sich unter Anderm auch in einer oft bis zu größter Rücksichtslosigkeit gesteigerten Vernachlässigung der gesellschaftlichen Formen,.... vornehmlich aber durch den mehr als schroffen Ausdruck kund, den er oft seinem Urtheile über Kunst und Kunstwerke gab.“ Schumann hatte seine Sympathie für Weber und dessen Wittwe auch auf deren Sohn übertragen, mit dem er ziemlich häufig in einer der Post nahegelegenen Restauration [von Engel] zusammentraf. Dorthin war Schumann zumeist durch eine Vereinigung von Künstlern gezogen worden, von denen er sich aber später fast ganz absonderte, wie Weber berichtet. „Meist saß er dann, das Gesicht nach der Wand gewendet, vom Getriebe des Saales abgekehrt, die Hand auf dem Henkel des Bierkruges, an einem kleinen Tische, völlig in sich versenkt und schien leise vor sich hin zu pfeifen, obwohl aus den zugespitzten Lippen kein Ton gehört wurde. Die geflissentliche Absonderung des genialen Mannes wurde meist aus Achtung, theils aber auch aus Furcht respectirt, da Versuche, ihn in den lebendigen Verkehr zu ziehen, von ihm auf mehr als derbe Weise abgelehnt worden waren. Zuweilen wurden dieselben indeß doch erneuert, wenn irgend ein künstlerisches Vorkommniß auf die Betheiligung des Meisters hoffen ließ.

Da war Cimarosas „heimliche Ehe“ einstudirt worden. Die lieblich geistvolle Musik von Mozarts großem Zeitgenossen hatte bei dem feiner organisirten, hochgebildeten Theile des Publicums ein heiteres Entzücken hervorgerufen, das in uns nachwirkte, als ich, mit einigen Glaubensgenossen in der Kunst, eines Abends das genannte Restaurant betrat. Im Drange des vollen Eindrucks eilte ich auf den bereits an gewohnter Stelle sitzenden Schumann zu und rief ihn an: ,Nun, Doctor, sind Sie auch in der Oper gewesen?' Er wendete den Kopf nur wenig, die dunklen Haare hingen ihm über die hohe Stirn herein; er sah mich von unten mit mürrischem, fast bösem Blick an und sagte: .Wie können Sie das einem vernünftigen Menschen zutrauen? Lassen Sie mich in Ruhe mit der Canarienvogel-Musik und den Haarbeutel-Melodieen'. Worauf Lipinski, der mit eingetreten war, um eilends ein Glas Wein zu trinken, sich umkehrte und in seinem gebrochenen Deutsch zu ihm sagte: ,Alle Ehr', Doctor, Sie seien sehr respectabcler Componist, wollte aber, wüßten einen zu recommandiren uns, der schriebe Haarbeutelmusik von der Matrimonio segreto.’

Da stand Schumann ohne Erwiderung auf, ergriff seinen Hut, setzte ihn auf und schritt eilend, ohne Jemanden zu grüßen, aus dem Saale, von Lipinski mit den Worten geleitet: .Merkwürdiger Componist, aber grober Mann, fataler Kamerad. Sehr, sehr respectabel' ....“

69 (S. 477). Die Haus- und Lebensregeln waren ursprünglich für das 1848 componirte Jugendalbum (Werk 68) bestimmt und sollten ihren Platz zwischen den einzelnen Clavierstücken erhalten. Schumann gab diesen Plan auf, führte vermuthlich die Sammlung noch weiter aus und veröffentlichte sie in einer Extrabeilage


{534} zu Nr. 36 der neuen Zeitschrift von 1850. Später erschienen die Aphorismen als selbständiger Anhang zum Jugendalbum.

70 (S. 477). Ein Beispiel davon, wie Schumanns Aufmerksamkeit überall auf dergleichen gerichtet war, theilte mir L. Ehlert aus der Zeit mit, wo er Schumanns Clavierschüler auf dem Leipziger Conservatorium gewesen. Die eigentliche Lehrgabe ging Schumann ab, und seine Schüler, selbst wenn sie „völlig roh“ waren und „der intimsten Anleitung bedurften“ (wie Ehlert das von sich selbst sagte), vernahmen von ihm meistens nur irgend ein allgemeines Wort über das Vorgespielte, keinerlei Belehrung über Fingersatz, Phrasirung, Dynamik etc. Nach einem solchen Vortrage sagte Schumann einmal: „Es ist merkwürdig: immer wenn Sie das kleine Es anschlagen, klirrt jene Fensterscheibe.“

71 (S. 483). Die Nachtheile des vielen Phantasirens am Clavier hatte Schumann an sich selbst erfahren. Er schrieb darüber einmal an Clara Wieck (3. Dec. 1838): „Eines möchte ich Dir rathen, nicht zu viel zu phantasiren, es strömt da zu viel ungenützt ab, was man besser anwenden könnte. Nimm Dir immer vor, alles gleich auf das Papier zu bringen. So sammeln und concentriren die Gedanken sich mehr und mehr.“

72 (S. 484). Das ist nicht ganz genau. Im Jahrgang 1848 (XXVIII, 236) steht eine Anfrage Schumanns, ob der englische Nationalcanon Non nobis Domine“ von W. Byrd oder von Mozart componirt sei. (C. F. Becker entschied diese Frage zu Gunsten Byrds.)

  1. [WS] gemeint ist xxxKuhnau
  2. [WS] Vorlage: Trio
  3. [WS] "nicht" fehlt in der Vorlage
  4. [WS] Vorlage: vierstimmigen