Drei Tage in Widdin

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Autor: Otto von Breitschwert
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Titel: Drei Tage in Widdin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 810–812
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Drei Tage in Widdin.
Ein Erinnerungsbild von Otto von Breitschwert.


„Kalafat!“ sagte der Zaptieh neben mir auf dem bulgarischen Bauernwagen, als wir die rumänische Festung drüben über dem Donaustrom zu Gesicht bekamen. Sie lag deutlicher vor uns als Widdin selbst, von dem man nichts als die an Höhe und Schlankheit wetteifernden Pappelbäume und Minarets erblickte. Von Kalafat sah man nicht nur jedes einzelne auf und an der Höhe gelegene Haus, sondern selbst die Fenster der Kirche waren zu unterscheiden, und der Leiterwagen, welcher mich als Berliner Kriegscorrespondenten nach Widdin beförderte, mußte von den rumänischen Artilleristen drüben mit bloßem Auge bemerkt werden. Wäre gerade Schießtag gewesen, so hätten sie uns alle Vier, mich, den Zaptieh, den bulgarischen Bauern, der uns führte, und sein junges Weib, das uns Rosen überreicht hatte, ehe es mit aufstieg, durch ein einziges Krupp-Bonbon mit Füllung vom Erdboden wegfegen können, mitsammt den etwas ruppigen, aber flinken Pferdchen, die uns zogen.

Auf dem Wege von der serbischen Grenze bis an das ziemlich primitive Stadtthor von Widdin, das heißt auf einer Strecke, die ich von Vormittags elf Uhr bis Abends sechs Uhr zurücklegte, war mir nichts Abenteuerliches noch Merkwürdiges passirt. Einzelne Reiter, theils Officiere, theils gewöhnliche Soldaten, anscheinend tscherkessischer Nationalität, passirten an dem Wagen vorüber, ohne ihm viel Aufmerksamkeit zu schenken. Die lange bulgarische Fouragecolonne, an der wir vorbeifuhren, hatte ein weit schlechteres Ansehen als ähnliche Züge von Wagen mit Futtermaterial, die ich auf serbischer Seite gesehen hatte, sonst aber bot auch diese Begegnung nichts gerade Bemerkenswerthes. – Durch die holperigen Straßen der ganz und gar ländlich anzusehenden westlichen Vorstadt von Widdin fuhr unser Wagen, passirte dann einen großen, schlecht gehaltenen Platz, der die Stelle des Glacis der eigentlichen Festung vertrat und großentheils mit Zeltreihen arabischer Truppen bedeckt war, und hielt endlich vor dem „Marin-Han“ einem Gasthaus, wohin der Chef des Zaptieh im Grenzdorf Rackowitza seinem Untergebenen mich zu führen befohlen hatte. Wohl befand sich auch ein deutsches Gasthaus in Widdin, „Hôtel Bellevue“ genannt, über dessen Thür ein Schild in vaterländischen Schriftzeichen dem Landsmanne aus dem Reich versicherte, daß hier Wein, Bier und Restauration zu finden sei, aber dem Schild war nicht mehr zu glauben, weil der Wirth, in Betracht der benachbarten Kalafater Batterien das Haus geschlossen und seine Person in Sicherheit gebracht hatte.

Ich konnte sogleich merken, warum mich der Effendi in Rackowitza gerade hierher recommandirt hatte; der Eigenthümer des Gasthauses begrüßte mich nämlich in deutscher Sprache, verschwand aber bald wieder, weil er sein Haus an zwei junge Leute, Mann und Frau – er ein Bulgare, sie eine Griechin mit kohlschwarzen, lebhaften Augen – vermiethet hatte. Auch diese Leute radebrechten etwas Deutsch und Italienisch, so daß man sich schon verständigen konnte. Ich erhielt ein Zimmer und ein Bett, an dem mir zunächst die brettartige Härte der Matratze auffiel. Marina – so wurde die Wirthin von den Gästen gerufen – schleppte aber so viel Kissen und Polster, theilweise zierlich gestickt, herbei, daß die Lagerstätte ganz acceptabel wurde. Ich fragte nach den Spuren des Bombardements, aber sei es, daß die junge Frau wirklich so heroisch war, oder daß sie mich als Gast zu verlieren fürchtete, wenn sie die Wahrheit sage – sie wollte von der Gefährlichkeit dieses Aufenthaltes nichts wissen. Erst von verschiedenen Deutschen, die sich in der Wirthschaft einstellten – darunter auch ein Landsmann Mehemed Ali’s, ein Magdeburger im Fez – erfuhr ich, daß die in der Nähe befindlichen Zelte der Araber das Ziel wiederholter Beschießung Seitens der Kalafater Batterien gewesen und einige zu kurz geflogene Geschosse auch dicht neben dem Marin-Han friedliche Wohnungen zertrümmert hätten, was der Augenschein nachträglich bestätigte.

Im Billardzimmer des Han’s machten es sich türkische Subaltern- und Unterofficiere bequem. Sie tranken meist Schnaps (Raki) mit Wasser oder auch ohne solches. Der Wein war nicht nur koranwidrig, sondern auch theuer, wenn man nämlich die bessere Sorte, von den Wirthsleuten „vino bello“ getauft, trinken wollte. Die andere Sorte aber verdiente durch ihre Säure den Namen „vino brutto“, als Gegensatz zu dem „schönen Wein“, vollständig. Was das Essen anbetrifft, so merkte man die türkischen Landesbräuche an den Bestandtheilen der Mahlzeiten, zu denen namentlich Lämmer und Fische die [813] Elemente liefern. Mit sechsundzwanzig Piastern glaubte die schöne Marina eine solche keineswegs lecker zubereitete Mahlzeit äußerst billig berechnet zu haben.

Die Landsleute im Fez halfen den Abend verkürzen. Vor Kurzem erst war der neue Civil-Gouverneur (an den ich ein Empfehlungsschreiben von Aleko Pascha in der Tasche hatte, im Konak eingezogen, und die Rumänen drüben, welche dies wußten, hatten ihn sogleich mit fünfzehn Geschossen begrüßt, welche sie in die Wohnräume, Höfe und Nachbarstraßen des Regierungsgebäudes warfen. Zeri (oder Zerif?) Pascha, ein noch junger Mann griechischer Herkunft, dem Rufe nach ein gemüthlicher Bonvivant von feinen Manieren, ließ sich aber aus seiner olympischen Ruhe und Heiterkeit nicht durch so kleine Nachbarschafts-Neckereien stören.

[814] Schon früh um sieben Uhr hatte mich mein Zaptieh, der gern wieder nach Rackowitza zurück wollte, ermuntert, nach dem Gouvernementsgebäude zu gehen und meine Papiere zu überreichen. Nachdem ich in der Kanzlei eine Zeit lang geharrt, wurde ich über einen Hof und verschiedene Stiegen eines Seitengebäudes in das Vorzimmer des „Civil-Paschas“ geführt, wo ich einen höheren Officier in voller Gala (wie Osman Pascha es verlangt) antraf. Es war der Adjutant des Muschir, Generalstabs-Oberst Tahir Bey, ein feingebildeter Mann, der sich sogleich in französischer Sprache mit mir verständigte und das noch bevorstehende Erscheinen des Civil-Gouverneurs, an den mein Empfehlungsbrief adressirt war, ankündigte. Während wir uns im Vorsaal unterhielten, wurden aus den inneren Gemächern des Gouverneurs blaue Fauteuils und zuletzt ein thronartiger rother Lehnstuhl nach dem Audienzzimmer geschleppt, und nachdem dieser Empfangssaal entsprechend ausgestattet war, erschien auch der Gouverneur selbst, ein, wie gesagt, noch junger, jovial aussehender Gentleman in europäischer Tracht, etwas zur Wohlbeleibtheit geneigt und mit einem Klugheit und Sinnlichkeit ausdrückenden Gesicht, wie man es nicht selten in Mailand unter dem dunkelhaarigen, echt italischen Elemente der Bevölkerung trifft.

Sobald der Titular-Pascha Zeri-Effendi auf seinem Gouverneursthron Platz genommen hatte, stellten sich auch die Audienzgäste ein, welche sich insgesammt vor dem Würdenträger verbeugten und mit freundlicher Handbewegung zum Sitzen eingeladen wurden. Es waren da namentlich ein alter türkischer Geistlicher mit weißem Bart, dann einige Geschäftsleute aus der Stadt, die gerne abgezogen wären aus dem bombardirten Orte und doch Osman Paschas strenges Wort im Gedächtniß hatten: „Fortziehen könnt Ihr, aber herein lasse ich die Fortgezogenen nie wieder.“

Ob wohl der liebenswürdige junge Gouverneur von diesem strengen Feldherrnwort etwas für diese Leute abhandeln konnte, die vor der Wahl standen, ihre Häuser nie wieder zu sehen oder sich in denselben den tödtlichen Geschossen auszusetzen? – Auch der Correspondent des Londoner „Standard“, Mr. Fitzgerald, ein sehr germanisch aussehender, sympathischer Engländer im Fez, der zu seinem blonden Barte recht gut stand, stellte sich ein und brachte als Morgengruß dem Gouverneur und dem Generalstäbler die Botschaft, daß die Rumänen von einer Feldschanze unterhalb Kalafat soeben auf ein nach dem Lom abmarschirendes türkisches Bataillon geschossen, aber wenig Schaden angerichtet hätten. Die türkischen Herren nahmen die Sache mit Gleichmuth auf und ließen sich dadurch nicht im Genuß des trefflichen Kaffees stören, der, nebst feinen Cigaretten, auf Befehl des Gouverneurs den Anwesenden servirt wurde. Tahir Bey hatte in der Nähe Zeri-Effendi’s Platz genommen, um, da dieser kein Französisch verstand, ihm die Unterhaltung zu verdolmetschen. Außer dem goldgeschmückten Säbel und der flotten Uniform fiel an diesem trefflichen Officier noch ein Ausrüstungsstück durch seinen seltenen Glanz in die Augen, das ich bisher noch nirgends gesehen, nämlich ein Paar Bundschuhe mit goldenen Schnüren und vergoldeten Spitzen.

Kurz vorher hatte ich in einem Wiener Blatte eine boshafte Notiz gelesen über die „Krönungs-Opanken“ Carol’s von Rumänien, die schon bestellt seien, und hatte kaum eine bestimmte Idee gehabt, wie ein solches Prachtstück der Fußbekleidung wohl aussehen möge; jetzt sah ich etwas Aehnliches vor mir und konnte mir schon aus dieser Aehnlichkeit den Schluß ableiten, daß Osman Pascha selbst in der Ausrüstung seiner Officiere das Heimische dem Ausländischen vorzieht.

Die Conversation, welche französisch geführt und fortlaufend in’s Türkische übertragen wurde, bewegte sich auf dem Gebiete der politischen Ereignisse und Aussichten, und namentlich war es die Haltung Rumäniens, sowie der russische Plan einer Secundogenitur in Bulgarien, welche von den Türken mit herber Bitterkeit besprochen wurden. Endlich erhielt Tahir Bey den Auftrag, mich zu fragen, ob ich an den „allgemeinen Krieg“ glaube, was er aber etwas origineller Weise in die Worte kleidete: Croyez-vous à la guerre commune? Ich hätte ihm gern gesagt, daß ein allgemein gewordener Krieg (une guerre générale) aus manchem Gesichtspunkt auch ein recht communer Krieg genannt werden könnte, doch begnügte ich mich zu antworten, daß eine solche Eventualität keinenfalls schon sehr nahe zu sein scheine.

Der „Civil-Pascha“ gab dem Gespräche eine minder verfängliche Wendung, indem er mich fragen ließ, ob ich mit meiner Wohnung zufrieden sei, oder wünsche, daß er mir besseres Unterkommen verschaffe. Ich lehnte das letztere Anerbieten dankend ab, außer für den Fall, daß mir, auch ohne Ferman des Sultans, ein längerer Aufenthalt bei Osman Paschas Corps gestattet würde. Um hierüber in’s Klare zu kommen, begleitete mich der Stabsofficier nach dem Theile des Konak’s, wo der nachmals so genannte Löwe von Plewna hauste. Er hieß mich in einem Zimmer voll Officiere und Ordonnanzen eine lange Weile warten und kam mit der Meldung zurück, Seine Excellenz sei eben nicht zu sprechen und vermöge auch nicht länger als auf drei Tage den Aufenthalt in der Festung zu gestatten. – Osman Pascha war nämlich damals in gelinder Wuth gegen die Kriegscorrespondenten. Einer derselben hatte versprochen, ihm Generalstabskarten der nördlichen Türkei von Wien aus zu senden, und war für den ungeduldig harrenden Muschir mit der Erfüllung dieses Versprechens nun schon zu lange im Rückstande; daher wollte der rauhe Krieger von uns Federhelden vorerst nichts mehr wissen.

Ich trennte mich von dem liebenswürdigen Tahir Bey mit dem Bedauern, daß mir derselbe zu spät enthüllte, wie geläufig ihm, der in Wien auf der Generalstabsschule studirt hatte, das österreichische Idiom sei. „Also bis Montag in der Früh,“ sagte er, den Termin meiner Abreise in echt „weanerscher“ Ausdrucksweise bezeichnend. –

Schon am Nachmittage suchte ich den englischen Collegen auf, der ein türkisches Haus mit recht stattlicher Einrichtung bewohnte. Der nationale Theegenuß fehlte ihm auch hier nicht, und die über Mr. Fitzgerald’s Dach hinsausenden Krupp-Geschosse, welche rechts und links in die Häuser einschlugen, vermochten nicht den tüchtigen Publicisten von den ernsthaftesten nationalökonomischen Studien abzuhalten. Die steigende Einfuhr der englischen Manufacturen in die Donauländer hatte Mr. Fitzgerald in den Spalten seines Blattes ziffernmäßig nachgewiesen und so den Engländern gezeigt, daß ein Handelsinteresse auf dem Spiele stehe, wenn der russische Bär seine Tatzen auf die unteren Donauländer lege. – Ueber Mr. Gladstone sprach sich – als von Russenfreunden in England die Rede war – Mr. Fitzgerald dahin aus, daß der einstige Premier durch übermäßige geistige Anstrengung sich einem sehr bedenklichen geistigen Zustand genähert habe, und daß Gehirnleiden in der Familie Gladstone mehrfach vorgekommen seien.

Von den Theorien zur grauen, oft auch blutigen Wirklichkeit zurückkehrend, führte mich der englische Berufsgenosse in der Nachbarschaft seiner Behausung umher. Da war zunächst das Pulvermagazin, ein viereckiges, weißes Gebäude, welches durch den daneben stehenden Thurm den Artilleristen in Kalafat leicht bemerkbar sein muß und von ihnen auch hartnäckig, aber mit wenig Geschick auf’s Korn genommen wird. Die Häuser gegenüber und die Soldatenzelte vor dem Pulvermagazin hatten das Ungeschick zu büßen, indem die Projectile auf ihnen platzten. Uebrigens ist das genannte Magazin das einzige casemattirte Gebäude in der ganzen „Festung“ Widdin.

Zum Militärspital schreitend, zeigte mir Mr. Fitzgerald ein Loch in der Mauer eines Bäckerhauses. Ein Krupp’scher „Zuckerhut“ war da hinein gefahren und hatte sich in die volle Backtruhe eingewühlt: seltsame Rosine in einem Kuchenteig! Tragischer wirkte ein anderer Schuß. Ein Projectil prallte von einer Mauer zurück und schlug einer armen Frau beide Beine entzwei. Nun kam das Spital, ein langes, gelbangestrichenes Gebäude, auf dem eine vom Wetter stark vergilbte weiße Fahne mit dem rothen Halbmond in solcher Größe, daß sie in Kalafat wohl wahrgenommen werden konnte, aufgepflanzt worden war. Oberhalb eines der hohen Parterrefenster hatte ein rumänisches Geschoß von fünfzehn Centimeter Basis die Wand glatt durchgeschlagen (es war also direct gezielt, nicht fehlgeschossen) und, explodirend in dem dahinter liegenden Krankensaal mit sechszehn Betten, mehr als die Hälfte der armen Kranken getödtet oder schrecklich verstümmelt. Ali Effendi, der diensthabende Arzt, ein Schüler der Pariser Medicinschule, zeigte uns das Unglückszimmer, in welchem Dielen und Mauern durch die Eisenstücke zerrissen worden waren. Der Arzt schilderte die Schreckensscene, namentlich die Leiden eines Kranken, dem beide Beine zerschmettert wurden, [815] und sprach auch die Ansicht aus, die Rumänen hätten zeigen wollen, daß sie die weiße Fahne mit dem Halbmond nicht respectirten.

An den zwei folgenden Tagen, die ich mit Spaziergängen durch die Stadt und Besuchen verbracht, war namentlich die Behausung des einzigen in der Stadt verbliebenen Consuls, Ritter von Schulz, der Ort, wo ich interessante Bekanntschaften machen und deutsche Landsleute treffen konnte. Ritter von Schulz ist eigentlich österreichischer Consul, aber er hat auch die deutschen Reichsbürger und andere Fremde unter seinen Schutz genommen, als das übrige Consularcorps sich nach auswärts verzog. Auf dem Balcon seines Hauses hatte man die Donau, und zwar einen Landungsplatz vor sich – keine Festungswerke hemmten an dieser Stelle den Ausblick – und gegenüber das amphitheatralische Kalafat, dessen Batterien jeden Augenblick unsere Kaffeegesellschaft in corpore nach dem Schattenreich expediren konnten.

So war denn der vortreffliche Kaffee, den uns Herr von Schulz serviren ließ, buchstäblich „unter der Kanone“ trotz aller guten Eigenschaften. Mit der herzlichsten, fast kindlichen Gutmüthigkeit und Liebenswürdigkeit verbindet Consul von Schulz den erprobtesten Mannesmuth.

„Soll ich meine Fahne im Stiche lassen?“ sagte er, fast beleidigt, als ich ihn fragte, ob er nicht ein sichereres Quartier aufsuchen wolle. Und er ist in der That nicht vom Posten gewichen, bis sein Haus kurze Zeit nach meiner Abreise wirklich in Trümmer geschossen wurde.

Die Gäste des Consulats waren größtentheils Aerzte, und zwar meist Reichsbürger und Oesterreicher, durchgehends gebildete freundliche Leute. Ich habe mir die Namen Dr. Taussig, Busch und Kronberger notirt. Ein britischer Arzt mit deutschem Namen, Dr. Rain, war sogar aus Melbourne herbeigekommen, um türkische Dienste zu nehmen. Ein sehr ansehnlicher, pathetischer Herr war der türkische Stabsarzt Fano Bey, aus istrianischer Familie stammend und ganz Italiener in Sprache und Wesen. Sehr interessant waren die Aufschlüsse, welche mir der Consul sowie der gelehrte Präsident des Handelsgerichts und der Handelskammer in Widdin, Dilber Effendi, über die Handelsbeziehungen der Donaustädte zu Oesterreich gaben. Das Lob des österreichischen Handelsstandes wurde da nicht gerade gesungen, und ich begriff leicht, wie Engländer und Franzosen statt der Wiener und Brünner Firmen an der Donau Fuß fassen können. Doch ist das ein Capitel, welches seine besondere Erörterung verlangt.

Ich habe das Maß eines kleinen Erinnerungsbildes erreicht und will es nicht überschreiten. Das aber kann ich sagen, daß mir selten eine Truppe, so durch ihre ungezwungene militärische Erscheinung, ihre strenge freiwillige Disciplin und ihr anspruchslos decentes Wesen imponirte, wie die Truppen Osman Paschas in Widdin, namentlich die Araber.

Am Festungsthore von meinen englischen Freunden Fitzgerald und Rain Abschied nehmend, sah ich – es war kurz vor Thorschluß – ein lustiges, behend und fröhlich einherziehendes Trüppchen türkischer Zigeunerinnen, durch den Koran zu tadelloser Reinlichkeit bekehrt, durch die Soldatengruppen dahinschreiten. Die witzigen Mädchen machten im Gehen allerlei Scherze, sodaß selbst die strengen Gesichter der Muselmänner sich aufhellten und die bronzefarbenen Söhne der Wüste lächelten, aber keiner von den Soldaten erlaubte sich eine Freiheit gegen die unvertheidigte Schaar hübscher Arbeiterinnen (denn die türkische Zigeunerin arbeitet auch). Es waren das dieselben Soldaten, welche Nachts die Officiere in Arrest brachten, die gegen das Festungsreglement bis Mitternacht zechten. Solche Disciplin, mit heroischer Tapferkeit geeint, mußte wohl zum Siege des Halbmondes bei Plewna beitragen.

Ungern verließ ich, als die Aufenthaltsfrist abgelaufen war, Widdin, um über Negotin auf österreichischen Boden zurückzukehren. Dank der treuen Begleitung eines Zaptiehs stieß mir kein Abenteuer zu.