Durch!
Es war der jüngste Leutnant in der Kompagnie
und eigentlich ein Muttersöhnden. Eine Haut
hatte er, weiß wie Milch, und ein paar große,
ängstliche Augen, und Hände, so schmal wie ein
Edelfräulein sie hat, und zart wie Pfirsichflaum.
Die Kameraden hatten ihn oft gehänselt, und wenn
sein Kompagniechef, Hauptmann Quitzow, guter
Laune war, nahm er ihn mit ins Kasino und
hätschelte ihn, wie einen kleinen, süßen Jungen.
Der Oberleutnant hatte ihm gleich am ersten Tage
den Spitznamen Milchgesicht verliehen; seitdem
hieß er nicht anders.
Jetzt stand er bei Nomeny; ein schweres Gefecht war im Gange.
Er hatte kein Milchgesicht mehr; schwarz vom Pulverdampf war es, und seine Linien zogen sich um die Mindwinkel und unter den Augen hin. Er hatte auch keine ängstlichen Augen mehr; ein hartes, frohes Leuchten war jetzt darin, dieses Leuchten, das je und je in deutschen Soldatenaugen stand, wenn heimtückische Feinde dem Vaterland Macht und Ehre rauben wollten . . .
„Helmers,“ sagte der Kompagniechef zum jüngsten Leutnant, „setzen Sie sich in ein Auto und kontrollieren Sie die vorderste Postenkette.“
Das Automobil ratterte unter ihm, der Chauffeur straffte die Hände um das Lenkrad. Steif zurückgelehnt saß Leutnant Helmers neben ihm. Sie fuhren über das bucklige Gelände; die Maschine sprang und schlingerte, in allen Fugen krachend. Der jüngste Leutnant spähte scharf nach allen Seiten. Weit dehnte sich das Feld. Ganz fern dröhnte Kanonendonner. Sonst war es friedsam über dem Land.
Die Spannkraft des Leutnants ließ ein wenig nach; er schloß halb die Augen und dachte an seiine Lieben daheim. An die greise Mutter, wie sie rubelos von Zimmer zu Zimmer schritt und bei allem, was sie tat, für ihren Einzigen betete . . . Sie war eine kleine ruhige Frau mit einem schwarzen Spitzenschleier über dem schlohweißen Haar. Der Vater schlief lange den ewigen Schlaf; bei Vionville hatte ihn eine feindliche Kugel getroffen, nie hatte er die Folgen der schweren Verwundung völlig verwinden können . . . Leutnant Helmers feufzte und riß sich aus seinen Träumereien . . . .
Da drüben . . . Raschelten nicht die Büsche vor dem schwarzen Wald, der sich wie ein schnurgerader Strich quer über die Äcker zog? Der Chauffeur ließ die Maschine stehen. Nacht. Der große Friede überm Gelände.
Knatternd sprang das Auto weiter. Wieder kamen die Träume, die sehnsüchtigen Flüge in die Heimat, die weit hinter ihm lag, dort, wo die dunkeln Kiefernwälder der Mark rauschten . .
Annelies mit dem blonden Haar . . Sie hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen, die schlanken weißen Arme, als er Abschied von ihr genommen, und hatte ihm fest in die Augen geblickt, und in ihren blauen deutschen Augen war das Leuchten aufgeflammt, dieses harte, frohe Leuchten tapferer Herzen . . Da hatte er sie zum letztenmal geküßt und hatte gesagt: „Seit drei Tagen bist Du mein Weib, Annelies. Und wirst’s in alle Ewigkeit sein, ob ich wiederkehre oder den Tod fürs Vaterland sterbe. In alle Ewigkeit, Annelies!“
„In alle Ewigkeit Kurt!“ hatte sie in weicher Hingebung erwidert und zugleich in stählerner Entschlossenheit.
Jetzt saß sie wohl daheim am großen Erkerfenster und blickte in ernstem Sinnen um ihren Mann hinauf auf den großen See, den die Kieferwälder einrahmten.
Der Chauffeur riß den Wagen zurück. Ein weißes Wölkchen flatterte vor ihnen auf, ein feiner zischender Knall . . . Surrend flog eine Kugel zwischen den beiden Männern in die Sitzlehne. .
Knirschend griffen die Bremsen in die Räder, ein letztes Zucken rann durch die große Maschine, [27] dann lag sie plump auf freiem Feld. Die Räder batten sich tief in den schüttern Boden gewühlt.
Helmers zog seinen Revolver, rief dem Chauffeur den knappen Befehl zu: „Vorwärts!“
Sie liefen geduckt, jeden Busch und jeden Erdhügel als Deckung benützend, geradeaus, dahin, von wo der Schuß gefallen war . . . Der Waldsaum schob sich schwerfällig gegen sie heran. Schon konnten sie deutlich die einzelnen Bäume erkennen. Schon richteten sie sich auf um mit lautem Hurra die letzten Schritte vorwärts zu springen . . . Da wälzte sich eine große weiße Wolke aus dem Buschwerk hervor, Kugeln pfiffen um ihre Köpfe und schllugen prasselnd in die Erde. Es klang, ols ob jemand Erbsen auf ein Blech schüttete . . .
Hochgereckt stand der junge Leutnant im Kugelregen. Seine Stimme fuhr schneidend zum Waldrand: „A bas les armes!“ – Nieder mit den Waffen!
Er fühlte einen heftigen Schmerz im linken Oberarm. Wut kochte in ihm empor. Mit zwei gewaltigen Sätzen erreichte er den Waldesrand. Noch einmal sein gellender Ruf: „A bas les armes!“ Noch einmal ein Knistern und Prasseln . . . . Und dann ein Klirren und Klappern: Vier Franzosen lagen auf den Knien im Gras und ließen ihre Gewehre zur Erde poltern.
Da lachte der jüngste Leutnant und rief seinen Chauffeur. Drehte sich verwundert um, als keine Antwort kam . . . Fand den Tapferen: Hingestreckt auf die harte Adererde lag er, das verzerrte Gesicht zum Himmel gerichtet, mit stieren Augen . . .
„Das sollt ihr mir büßen!“ knirschte der Leutnant die Franzosen an, die mit angstvollen Augen sein Gesicht im Blick hielten.
„Vorwärts!“
Wie eine Hammelherde trieb er sie vor sich her, zum Wagen.
„Tornister herunter!“
Aus den Tragriemen schnitt er Fesseln, mit denen er ihnen die Hände zusammenband.
„Aufsteigen!“
Sie mußten nebeneinander auf die Schnauze des Autos klettern, zwei und zwei: Da band er sie fest und schuf sich so einen prächtigen Schild. Sie kauerten verängstigt oben, hin und herschwankend, als sich der Motor in Bewegung setzte. Langsam fuhr Leutnant Helmers vorwärts. Er wußte jetzt, daß die Postenkette an dieser Stelle zerrissen war, sonst hätten die vier Franzosen nicht soweit vordringen können. Es galt, vorsichtig zu sein.
Er hielt mehr nach links hinüber. Schwer lag seine linke Hand auf dem Steuerrad; ein breiter Blutstreifen zog sich über den Aermel, sickerte auf den Handschuh und von da zu Boden . . . . Der junge Leutnant achtete nicht des Schmerzes, den ihm die Wunde bereitete.
Näher kam das Kanonengedonner. Jetzt konnte er das nervöse Knattern der deutschen Maschinengewehre unterscheiden. Darauf hielt er zu.
Die Maschine keuchte. Eine steile Anhöhe war zu nehmen. Der Leutnant ließ alle Kräfte spielen. Mit prächtiger Leichtigkeit schoß das Auto empor, nahm die letzte Steigung. Wieder reckte sich der Leutnant . . .: Voll traf sein Blick auf eine französische Kavallerieabteilung, die die Straße hergesprengt kam.
Fieberhaft kräuselten fich die Gedanken hinter der Stirn des jüngsten Leutnants. Ein Ausweichen war unmöglich; unmöglicher noch ein Wenden. „Außerdem schmachvoll!“ sagte ein Gedanke. Und ein anderer, sieghafter, der leuchtete wie die deutschen Soldatenaugen vor dem Feind: „Durch!“
„Durch!“
Fest umschlossen die Finger das Lenkrad, mit Vollkraft schoß die Maschine geradewegs auf die feindlichen Reiter zu . . . Die Franzosen auf dem Maschinenkasten vergaßen vor Verwunderung und Entsetzen das Schreien! Sie saßen mit ihren grell Leuchtenden Hosen aneinandergelehnt und rührten sich nicht . . .
Da lachte der jüngste Leutnant. Wahrhaftig, sie wichen nach rechts und links zur Seite, die da vorn, sie meinten, eines ihrer eigenen Autos käme da angeprasselt . . .!
Sie wichen zur Seite, schufen einen breiten Hohlweg, durch den die Maschine wie ein Pfeil hindurchsauste. Der Leutnant sah verwetterte Gefichter unter glimmernden Helmen auf sich gerichtet, dumpfes Murmeln schlug durch den Maschinenlärm an sein Ohr. Er jubelte innerlich: „Durch! Durch!“
Dann wieder zu beiden Seiten das freie Feld und hinter ihm ein Wutgeheul. Und er selbst, sich mit dem Oberkörper halb umwenden und lachend mit einer Hand höhnische Grüße zurückwinkend, während die andere fest das Lenkrad hielt . . .
Und dann ein Freudengeschrei vor ihm, weithin brausend über das Feld.
„Hurra! Hurra!“
Deutsche Artillerie umringte ihn; ein Oberleutnant reichte ihm die Hand in den Wagen hinein; er drückte sie, wollte sich stramm aufrichten und Meldung erstatten. Da floß mit einmal ein Feuerstrom durch seine Glieder, ihm war, als würde er innerlich verbrüht . . . Aufstöhnend sank er in seinen Sitz zurück und brach in sich zusammen . . .
Als er wieder zu sich kam, lag er in einer kleinen Bretterbaracke auf einem saubern Bett, eine Schwester vom Roten Kreuz bewegte sich lautlos um ihn. Der Arzt trat ein.
„Vierzehn Tage liegen bleiben!“ sagte er freundlich und nickte ihm ermunternd zu. Da wußte er wieder, was geschehen war, und dankte [28] dem treuen deutschen Gott, der ihm solche Gnade erwiesen hatte. Am selben Tage noch schrieb er mit der gesunden rechten Hand einen langen Brief an die Mutter und an Annelies, und es stand der scherzhafte Satz darin: „Jetzt können sie mich wohl nicht mehr das Milch-Gesicht nennen, sollt’ ich meinen. Und von Dir, Frau Annelies, bitte ich mir aus, daß Du mich als ganzen Mann behandelst und hübsch folgsam tuft, was Dein strenger Herr und Gebieter Dir befiehlt!“
Und schon ein paar Tage später, konnte er einen zweiten Brief in die Heimat richten, einen Brief, der voll Jubel war: „Liebe Annelies, soeben kommt ein Regimentsbefehl, und darin steht unter anderm, daß den Leutnant Kurt Helmers für umsichtiges und erschrockenes Verhalten in den Kämpfen um Nomeny von Seiner Majestät den Kaiser das Eiserne Krenz verliehen wurde. Hurra! Hurra! Ich umarme und küsse Dich, viele viele Male, teure, süße Annelies! Und vergiß nicht den Wahlspruch, der hier für uns alle gilt, und an den auch Ihr braven deutschen Frauen daheim Euch halten sollt: „Durch!“