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Edinburg (Meyer’s Universum)

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XXXI. Como Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XXXII. Edinburg
XXXIII. Die Dogana und Santa Maria della Salute in Venedig
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HIGHSTREET, EDINBURG, SCHOTTLAND.

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XXXII. Edinburg.




Dicht an der großen Straße, welche von Edinburg nach London führt, am östlichen Ende der Hauptstadt Schottlands, erhebt sich in imposanten Massen ein hoher Felsen mit breitem Scheitel, Caltonberg mit Namen. Ein bequemer Fahrweg, aus dem Gestein gehauen, windet sich zum Gipfel, von dem man eine der grandiosesten Aussichten genießt, die unser Welttheil bietet. In einem Halbkreise, dessen Tiefe eine volle Stunde mißt und dessen beide Enden fünf englische Meilen von einander getrennt sind, liegt das Athen des Nordens, Edinburg, durch eine tiefe durch Brücken verbundene Schlucht in zwei ungleiche Hälften gespalten, zu des Schauenden Füßen. Man denke sich eine Masse von mehr als 20,000 Häusern, von etwa 140 Domen, Kuppeln, Thürmen, und schlanken Säulen, den den großen Männern des Vaterlandes geweiheten Denkmälern, überragt, über welche sich wieder, auf breitem Felsenrücken, mitten aus der Stadt die uralte Königsburg erhebt, düster die verwitterten grauen Zinnen in die Lüfte reckend. Rechts sieht man den Hafen von Leith mit einem Wald von Masten, jenseits desselben, den dunkeln weiten Busen des Meeres, wimmelnd von schneeweißen Segeln, die kommen und gehen, und von zahllosen grauen Fischerbarken belebt. Auf der südöstlichen Seite thürmt sich der pittoreske Felsengipfel des Arthursitzes auf, an dem die alte Sage der Mährchen viele von dem königlichen Helden der Ritter von der Tafelrunde knüpft, und an dem Fuße dieses Colosses umgibt das Amphitheater der Salisbury-Craggs einen Theil der Häusermassen, gleichsam die Stadt zu umarmen trachtend. Am Horizont endlich weidet sich das Auge an den kühnen Formen von den Pentland-Bergen im Süden, oder ruht auf den nördlich in sanften Wellenlinien sich hinziehenden Hügeln von Corstorphein. Keine Hauptstadt Europa’s bietet mitten in ihrem Schooße ein so herrliches Panorama.

Nur einen Theil desselben rückt der Stahlstich vor unser Auge. Der Felsen in der rechten Ecke des Vorgrundes gehört zum Caltonberge – er war der Standpunkt des Zeichners. Die eine unabsehbare 150 Fuß breite Straße bildende Doppelreihe von Palästen ist Highstreet, die schönste Straße der Edinburger Neustadt, und eine der prächtigsten der Erde. Die mit Mauern und Thürmen eingeschlossenen zwei großen, finsteren, scheinbar den Zeiten des Faustrechts angehörenden Gebäude, im altflorentiner Style, sind die Hauptgefängnisse Bridewell und New-Prison. Jene das Auge fesselnde Kuppel auf der rechten Seite der Highstreet, über dem von 4 [78] Thürmen rechtwinklich begrenzten Pallaste, deckt das Reichsarchiv von Schottland. Links, am Fuße des Burgfelsens, hebt sich der nach griechischem Muster erbaute Tempel des königlichen Instituts zur Beförderung der Wissenschaften empor; hinter diesem die Johanniskirche mit ihrem seltsam geformten, zweispitzigen Thurme; – der schlanke, hochbekuppelte Säulenkreis rechts ist der Dom der Georgenkirche und die weiße Colonne, die das Auge nahe am rechten Rande des Bildes anzieht, ist ein Denkmal, welches die öffentliche Dankbarkeit der Edinburger ihrem großen Mitbürger Lord Melville errichtete. Jenseits der schönen Nordbrücke, welche die tiefe, beide Stadttheile trennende Schlucht, die früher ein See war, überspannt, beginnt die Altstadt mit ihren unregelmäßigen, engen, dunkeln, oft an steilen Bergwänden hinlaufenden Straßen, deren Bauart mit der durchgängig edeln der Neustadt den schneidendsten Gegensatz bildet. Da sieht man in den Berg hinein gebaute, nach Vornen 11 Stock hohe, Hauserreihen, welche auf der Hinterseite, der steilen Bergwand zu, die Hausflur im 9. Stocke haben. Auf dem Bilde nicht sichtbar, im südlichen Theile der Stadt, verbindet eine zweite, die sogenannte Südbrücke, die obere (neue) mit der untern (alten) Stadt, und ihre hohen Bögen überspannten Straßen, die sich in der tiefen, dunkeln Schlucht hinwinden. Die Häuser der Neustadt bestehen fast ganz aus Quaderstücken, und bilden rechtwinklich sich kreuzende Straßen von 1 bis 2 Meilen Länge, und 100–150 Fuß Breite. Für sich betrachtet ist sie unstreitig die prächtigste Stadt der Erde, dahingegen jene, sammt der Hafenstadt Leith als die häßlichste gelten mag, die es geben kann. Am Südende der Altstadt steht der finstre alte Pallast der schottischen Könige, Holyrood-Haus, berühmt geworden in neuester Zeit als Asyl einer flüchtigen Königsfamilie, über die Frankreichs Volk, müde mißbrauchter Gewalt, Thronverlust und ewige Verbannung aussprach. – Zu den schönsten Gebäuden Edinburgs gehören noch das mit Hörsälen für 3000 Studenten versehene Neue Universitätsgebäude, (1789 mit einem Aufwand von 1 Million Gulden errichtet) die Bank, das Parlamentshaus, die Börse. – Die Sternwarte, Nelson’s Monument, der berühmte Tempel der Hochschule – alles Baudenkmale, welche den Rücken des Caltonberges, auf unserm Bilde nicht sichtbar, zieren, werden wir später, als Gegenstand eines besondern Stahlstichs beschreiben. – Auch der historisch merkwürdigen königl. Burg widmen wir ein eigenes Blatt. –

Edinburg, das vor 280 Jahren, zur Zeit der Marie Stuart, kaum 18000 Einwohner in den ekelhaften Gassen der Altstadt zählte, hat jetzt, mit der Hafenstadt Leith, über 200,000; – und die Gewerbe und der Reichthum seiner fleißigen, rührigen Bürger haben sich verhundertfacht. Es ist dieß ein schlagender Beweis für die oft verkannte Wahrheit, daß ein üppiger, verschwenderischer, lüderlicher Hof, der das Mark eines ganzen Landes in der Hauptstadt vergeudet, einem Orte nie jenes Gedeihen geben kann, welches überall keimt, wo Fleiß und Betriebsamkeit der Bürger die Saat ausstreuen.