Ein Augenblick
Denn der mächtigste von allen
Göttern ist der Augenblick.
Schiller.
Ich hab’ ihn oft geseh’n. Die breite Stirn
Von dunkler Lockenfülle dicht umrahmt,
Des Auges Blitzen eine Sonne, die
Im Jüngling schon des Mannes Macht verkündet –
Wer damals ihn erschaut und schaut ihn jetzt,
Den überkommt es freudig: „Ja es hat
Erfüllt das Leben, was es einst versprach –“
Und sie? Sie war ein lieblich holdes Kind,
Fromm zwischen edlen Eltern aufgeblüht –
Und doch kein Kind mehr, nein, ein rosiges Mädchen,
Im Abglanz wandelnd jenes Jugendmorgens,
Wo neue unbekannte Stimmen leise
Sich regen in der Brust, wo scheu der Blick
Zum ersten Mal in lichterfüllter Ferne
Des Lebens halbverhüllte Räthsel sucht
Und zitternd dann zurück flieht in sich selbst.
So sah er sie – es war ein Augenblick –
Und festgezaubert hemmte er den Schritt.
Doch sie, nicht ahnend seine Gegenwart,
Gesenkten Blickes stand sie sinnend da,
Still dem geheimnißvollen Leben lauschend,
Das wie der Strom verborg’ner Quellen tief
Durch alle Fasern ihres Wesens kreis’te.
O hätte sie doch aufgeseh’n! Ein Blick –
Und süßer Frühling wär’s in ihr gewesen;
Allein sie sah nicht auf und ging vorüber,
Und weiter ging sie – immer weiter. Fernab
Hob sich noch einmal ihres Kleides Saum,
Und flatterte im Winde und verschwand.
Er aber schien sie immer noch zu seh’n,
Als ihrer Schritte Schall schon längst verweht.
Und Jahre schwanden.
Ein and’rer Blick traf sie, ein heißer Blick,
Der tief in’s Herz ihr sank, und alles Leben,
Das knospend d’rin geruht, es brach die Hülle
Und blüht’ und duftete und stand in Pracht,
Von diesem Blick berührt. Es sangen Vögel,
Und Quellen rieselten, und hoch und leuchtend
An ihres Herzens Himmel stand die Sonne,
Die hehre Sonne, die man Liebe nennt
Und die man ewig glaubt, bis sie, wie Alles,
In Nacht vergeht, um wandellos vielleicht
Sich einst in einem Jenseits zu erheben.
Und wurde sie geliebt? – Ich weiß es nicht.
Doch schmerzlich neigen sah ich sie das Haupt;
Der sanfte Blick ward trüb’, und bleicher stets
Die Wange, bis sie endlich ganz erblich.
Ein Frühlingsmorgen war’s; der erste Strahl
Der Sonne sog den letzten müden Hauch
Ihr von den zarten Lippen. Noch ein Zucken,
Ein leichtes Rieseln noch, unmerklich fast,
Und unlösbare, hehre Ruhe lag
Im Antlitz ihr – der Kampf war ausgekämpft.
Sie schlief im Sarge, eine weiße Rose,
Und weiße Rosen schmückten ihr das Haar,
Und weiße Rosen deckten ihre Brust
Und lagen um sie her. Das war das Letzte.
Und Er?
Durch’s Leben ging er und bezwang die Welt,
Und was sein Wille je ergriff, gelang,
Und Menschen dienten ihm – er stieg und stieg.
Der Eltern Augen leuchteten beglückt
Bei seinem Namen, und wie Jahre schwanden,
Da führt’ er an der Hand ein liebes Weib,
Und schöne Kinder wuchsen um ihn her,
Und wer ihm nahte, pries ihn hochbeglückt.
Er selbst, er nannte glücklich sich, und doch –
Ein Etwas war in ihm; nicht nennen konnt’ er’s,
Doch war es da und legte sich wie Nebel,
Ein Silbernebel freilich, aber doch
Ein Nebel immer, über all sein Glück.
Umsonst schalt er sich drum. Es war ein Weh
Wie unerfüllter Sehnsucht, ja wie Klage
Um ein geahntes Paradies, das er
Im Traum von fern geseh’n vielleicht, und das
Am Tag verschwand.
Vergessen hatt’ er jenen Augenblick;
Er wußte nichts von ihr, nicht ihren Namen
Und nicht ihr Grab. Und dennoch blieb’s in ihm
Und klang ihm nach wie einer Saite Ton,
Der, angeklungen, schwellend steigt und plötzlich
Zerrissen schweigt und dem die Seele folgt
Und wie verzaubert immer folgen muß,
Bis sie an jenem Bruch erschrickt und staunt
Und wieder neu beginnt. So immer fort.
Und so wie damals steht noch seine Seele
In jenem Augenblick gebannt und horcht
Dem geisterhaften Schall der leichten Schritte,
Die fern verhallen in die Ewigkeit.