Ein Bild von Montenegros Bergen

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Titel: Ein Bild von Montenegros Bergen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 721–722
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Czerna Zid, die wilde Mauer, in Montenegro.
Nach der Natur aufgenommen von Professor Franz Zverina.

[722]

Ein Bild von Montenegros Bergen.
(Mit Abbildung.)


Seit einer Reihe von Jahren sind die Blicke der europäischen Welt mit gesteigertem Interesse dem kleinen Volke der Montenegriner zugewendet, die ihre Unabhängigkeit in stets erneuten Kämpfen siegreich gegen die türkische Uebermacht vertheidigt und erst in der jüngsten Vergangenheit ihre Bedränger mit blutigen Köpfen heimgeschickt haben.

Diese Erfolge verdanken die Montenegriner aber nicht nur ihrer zähen Tapferkeit und – der heimlichen russischen Unterstützung, sondern auch und zwar vorzugsweise der einem Vertheidigungskriege höchst günstigen territorialen Beschaffenheit ihres Vaterländchens, durch welche Uebermacht, Tapferkeit und Kriegskunst der Türken vielfach aufgewogen wurden.

Wie wir wissen, ist Montenegro ausschließlich Gebirgsland; seine fünfundsiebenzig[WS 1] Quadratmeilen Flächengehalt bestehen aus einem selbstständigen Gebirgsstock, der sich in der Schöpfungsperiode gewissermaßen als Verbindungsknoten zwischen den Dalmatinischen und den eigentlichen Dinarischen Alpen gebildet hat. Das vorherrschende Gestein ist ein schwärzlich-grauer Kalkstein (sogenannter Alpenkalk), dessen Farbe das Ländchen seinen Namen Montenegro oder auch „Schwarze Berge“, Czerna Gora, verdankt. Nach allen Seiten schroff wie eine von Titanen gebaute Felsenmauer aufsteigend, bildet das Gebirge ein von tief eingerissenen, wilden, oft geradezu schrecklichen Schluchten und Höhlungen zerklüftetes Hochplateau, auf dem sich isolirte Dolomitkegel, wie z. B. der Dormitor im Flußgebiet der Drina (zweitausendvierhundertundvierzig Meter Höhe), der Kom (zweitausendsechshundert Meter Höhe) erheben.

Obwohl die Verwitterungsproducte des Kalksteins eine der Vegetation sehr günstige fruchtbare Erde liefern, so ist trotzdem das Land im Allgemeinen unfruchtbar, sodass von eigentlichem Ackerbau keine Rede sein kann. Diese Erscheinung muß der schlechten Wirthschaft früherer Zeiten zur Last gelegt werden, die nicht nur dies, sondern noch viel mehr verschuldet hat.

Noch zu Plinius’ (des Jüngeren) Zeiten waren die Gebirge Montenegros und der Nachbarländer von reichen Waldungen bedeckt, aber die sich mehr und mehr entwickelnde Schifffahrt sowohl der Römer selbst, wie auch der nachher an ihre Stelle getretenen Nationen, welche ihren Bedarf an Schiffsbauholz ohne rationelle Rücksicht auf die Zukunft befriedigten, der Vandalismus der Slaven und Türken verwüsteten den Waldbestand und reducirten ihn bis auf das heutige Minimum. Unausbleibliche Folge war, daß das bloßgelegte Erdreich unter den atmosphärischen Einflüssen verschwand und die fruchtbaren Niederungen durch nicht mehr gehemmte Ströme Regenwassers von oben herab mit Gerölle überschüttet wurden. Auf solche Weise ist Montenegro allmählich zur Stein- und Felsenwüste geworden, in welcher sich nur noch einige fruchtbare Oasen finden.

Rauh und wild, wie das Land, ist auch der Charakter des Volkes; an Entbehrungen gewöhnt und abgehärtet, mit allen Schlupfwinkeln seines Felsenlabyrinthes vertraut, von glühendem Patriotismus beseelt, hat es sich den Nimbus der Unnahbarkeit bewahrt und sein Vaterland zur unbezwinglichen Festung umgeschaffen. Die meistens von Norden nach Süden verlaufenden Gebirgsschluchten dienen einestheils als Ausfallsthore, in welche ein Feind deshalb nicht leicht eindringen kann, weil sie überall von unangreifbaren Positionen aus mit geringen Kräften erfolgreich vertheidigt werden können, anderntheils, je nach Umständen, als Fallthüren für den verwegenen Feind, dessen Verderben besiegelt ist, wenn er sich zum Einmarsch hat verlocken lassen.

Vorzugsweise gilt dies von der südlichen Gebirgswand, der Czerna Zid (das ist: schwarze oder wilde Mauer), welche, das Meeresniveau um 1143 Meter überragend, von der Thalsohle aus mindestens 570 Meter hoch senkrecht emporsteigt. Sie beherrscht die Höhen des angrenzenden Albaniens und gestattet einen wechselvollen Ueberblick über die Umgebungen von Scutari, während von Südwesten her das Adriatische Meer seine Silberblicke herübersendet.

Der freundliche Eindruck dieser Fernsichten wird aber verdüstert durch den außerordentlich wilden Charakter der Czerna Zid selbst und ihres nächsten Bereiches, zu dem unter anderen auch das durch mörderische Kämpfe bekannt gewordene Zetathal gehört. Ist es doch, als hätten an dieser Gebirgsmauer infernalische Gewalten gearbeitet und dann die kaum zusammengefügten Werksteine schadenfroh wieder eingerissen und durcheinander geworfen, um dem Menschengeschlechte die Lust zum Eindringen in ihre Baustätte zu verleiden: so furchtbar wild, zerrissen und zerklüftet sieht sie aus. Und was die unterirdischen Gewalten stehen gelassen, das zerstören die meteorischen Kräfte, besonders die Wirkungen des in die Felsenspalten eindringenden Regenwassers, welches entweder die Felsen allmählich unterwühlt, oder sie bei seinem Gefrieren auseinander sprengt; daher die zahlreichen Felsstürze.

Eine häufig vorkommende Eigenthümlichkeit der montenegrinischen Gebirgsformation besteht darin, daß der obere Theil der Felswände etagenartig zurücktritt und so oft stundenweit nur einen freilich äußerst schmalen Pfad (Chozke planinske) für Menschen und Thiere übrig läßt, die jedoch montenegrinisches Blut in den Adern haben müssen, wenn ihnen die Passage gelingen soll. Die Czerna Zid aber, getreu ihrem Charakter, verkümmert dem Wanderer selbst diese Wohlthat, indem der an ihr hinziehende leistenartige und nur für Menschen brauchbare Pfad an einer Stelle durch plötzliches Vortreten der oberen senkrechten Felswand unterbrochen und hierdurch der Passant genöthigt ist, sich mit einem ebenso kühnen wie kräftigen Schwung über den gähnenden Abgrund um den säulenartigen Vorsprung herum zu schwingen. Wer diese – Hexensprung, Muri Skok genannte – Stelle auf Umwegen umgeht, wird als Schwächling verachtet. Genug, dieser Erdwinkel ist so unwirthlich wie möglich und ohne Zweifel sicher vor „Alpenclubs“: denn was ein Montenegriner zu leisten vermag, gehört für Fremde zu den absoluten Unmöglichkeiten.

Die eben erwähnten Leistenpfade werden überdies zur Anlage von Steinbatterien benutzt, wie unsere Abbildung zeigt. Diese bestehen in Haufen von Felsblöcken, die durch untergelegte Hebebäume auf den in der Tiefe hinziehenden Feind gestürzt werden können und ganze Truppenabtheilungen, buchstäblich genommen, zerstücken.

In allen Unabhängigkeitskämpfen der Montenegriner seit Eroberung der Balkanhalbinsel durch die Türken, wo es diesen gelungen war, in die Schluchten der Czerna Zid einzudringen, haben jene Steinbatterien wahrhaft diabolisch gewirkt, und wer vom Felsenhagel nicht erschlagen worden, fiel unter dem Mordstahl der Montenegriner.

Als einer der blutigsten Kämpfe dieser Art gilt unstreitig die neuntägige Schlacht im Zetathal. Am 17. Juni dieses Jahres war nämlich Suleiman Pascha mit 40 Bataillonen, 5000 Pferden und 30 Geschützen von Niksic aufgebrochen und bei Ostrog über die nördliche Grenze Montenegros eingedrungen. Vor seiner mehr als vierfachen Uebermacht hatten zwar die Montenegriner den Rückzug angetreten, dabei aber so geschickt manövrirt, daß das türkische Heer sich ohne Möglichkeit des Rückzuges in das Zetathal gedrängt sah. Hier begann nun das althistorische Morden. Von allen Seiten umzingelt, wurden die Türken nach gräßlichen Kämpfen und Verlusten schließlich unter die Felswände der Czerna Zid geworfen und hier durch die unerbittlich arbeitenden Steinbatterien vollends geschwächt. Mit 12,000 Mann Verlust entkamen sie auf albanesisches Gebiet.

Von manchen Zeitungen ist dieser Türkenzug durch Montenegro hindurch als ein Siegeszug bezeichnet, jedoch nicht bedacht worden, daß Suleiman Pascha nur das Schicksal seiner Vorgänger erlitt, als er, einmal über die Grenze gelassen, unaufhaltsam den Mordgründen der Czerna Zid entgegen gedrängt wurde, um allda die Schädel seiner Soldaten den Montenegrinern zum Bau ihrer Siegespyramiden überlassen zu müssen.

Und so wird sich’s in der Zukunft wiederholen. Dank seinen Bergen wird Montenegro stets eine Türkenfalle bleiben.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fünfundzwanzig, vergl. Berichtigung in Heft 47