Ein Burschentag in Bamberg

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Textdaten
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Autor: E. Bdt.
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Titel: Ein Burschentag in Bamberg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 43–44
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Burschentag in Bamberg.
(Eine Jugenderinnerung.)

Studenten sind durchschnittlich ein fröhliches Völkchen, und wir vom Jahre 1826 hatten wohl das Recht, uns zu den Fröhlichsten zu zählen, denn wir lebten noch in stolzer Ungebundenheit, die aber der in unserer Burschenschaft herrschende ritterliche Sinn niemals – ich schreibe wohlbedächtig: niemals – in Zügellosigkeit ausarten ließ. Es war das letzte Aufflammen der akademischen Freiheit, die zu Anfang der dreißiger Jahre in’s Grab gelegt wurde, in welchem sie noch bis heute schlummert. Unsere Behörden waren human genug, uns gewähren zu lassen, obschon das schwarz-roth-goldene Band sich schüchtern unter dem altdeutschen Rocke bergen mußte, damit es ja nicht verrieth, welches harmlose Demagogenherz unter ihm schlug. Dies war aber auch der einzige Zwang, dessen ich mich aus jenen Jahren erinnere, Das geringe Geheimniß, in welches wir unsere Verbindungsangelegenheiten hüllen mußten, trug jedoch nicht wenig dazu bei, uns in unseren und unserer Commilitonen Augen eine gewisse Wichtigkeit zu verleihen und eine Art von Stolz zu wecken.

Im Jahre 1826 waren – wenn ich nicht ganz irre – die zersprengten einzelnen Glieder wieder zusammengefügt und die meisten vereinzelten Burschenschaften zu einer allgemeinen deutschen Burschenschaft zusammengetreten. Auch Leipzig hatte sich dem großen Verbande angeschlossen und daher im Sommer 1827 die Einladung erhalten, einen oder zwei Abgeordnete zum Burschentage nach Bamberg zu senden, woselbst mehrere Fragen von allgemeiner burschenschaftlicher Wichtigkeit zur Erledigung gelangen sollten. Wie stolz fühlte ich mich, als die Wahl eines solchen Vertreters auf mich fiel, einen der jüngeren in der Verbindung, der jedoch, was Begeisterung für die Ideale unseres Burschenlebens anlangt, keinem der ältesten nachstand.

Der Reisekoffer war bald gepackt: das Tornister wurde mit einigen Hemden, einigen Paar Strümpfen und einigen Taschentüchern gefüllt, ein halb Pfund Tabak eingekauft – und die Reisezurüstungen waren beendigt. In der einen Hand die lange Pfeife mit den dreifarbigen Quasten, in der andern den unvermeidlichen Ziegenhainer, den weißen Kragen über den altdeutschen Rock geschlagen und die Verbindungsmütze auf dem stürmischen Kopfe, so ging’s, ein lustiges Wanderlied singend „fröhlich und frei“ zunächst nach Jena, jener Perle unter den deutschen Universitäten, wo ein freier Geist sich selbst unter den trübsten Zeitläufen des Vaterlandes unverkümmert erhalten hatte. Hier schlossen sich alsbald zwei andere Genossen der Burschenschaft an, die in gleicher Absicht, wie wir, nach Bamberg pilgerten.

Ich enthalte mich einer Beschreibung der herrlichen Reise, die durch das romantische Schwarzathal, bei Vierzehnheiligen und Kloster Banz vorbei ihren nächsten Endpunkt in Bamberg fand, wo schon am zweiten Tage nach unserer Ankunft die Sitzungen unseres Burschentages eröffnet wurden. Es waren – wenn ich mich recht erinnere – nur sechs Universitäten vertreten: Erlangen, Jena, Heidelberg, Leipzig, München und Würzburg. Jena präsidirte als geschäftsführende Burschenschaft und übte sein Amt mit einem Takt und einer Würde, wie sie bei vielen größeren Versammlungen nicht immer gefunden wird.

Die erste Frage, die uns beschäftigte, war die Formulirung des Zweckes unserer jetzigen allgemeinen deutschen Burschenschaft. Noch heute erinnere ich mich des stürmischen Titus aus Bamberg (nachmals Abgeordneter zum Parlament in Frankfurt a. M.), der in einer feurigen Rede darauf hinwies, wie uns der von feilen Schriftstellern erhobene Verdacht, thätig in die politischen Verhältnisse des Vaterlandes eingreifen zu wollen, nicht abhalten dürfe, uns mit Politik zu beschäftigen, da ja Politik alles das umfasse, was des Vaterlandes Wohl und Wehe bedinge.

„Schon Cicero,“ rief er uns begeistert zu, „nennt das Studium der Staatsverfassung ein carmen necessarium für die Jugend; und wir sollten kalt dastehen und zusehen, wo es sich um die heiligsten Angelegenheiten des Vaterlandes handelt? Wir sollten nicht regen, lebendigen Antheil nehmen an Allem, was dem geliebten Vaterlande frommt? Wir sollten nicht das Wort unseres edelsten Dichters beherzigen:

„An’s Vaterland, an’s theure, schließ Dich an,
Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft,
Dort in der fremden Welt stehst Du allein,
Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.“

Und so eiferte er fort in mahnender Rede und warnte vor allem Geheimniß, wenn uns die Regierungen nicht selbst in ein solches zurückdrängten, vor aller zu ängstlichen Beobachtung des Formenwesens, unter welchem nur zu leicht der Geist ersticke, vor allem Zusammentreten zu verbotenen, zu unedlen Zwecken.

Nach längerem Erörtern einigten wir uns endlich dahin, als Zweck unseres Zusammenlebens hinzustellen: Vorbereitung zur Herbeiführung eines freien, gerecht geordneten und in volkshtümlicher Einheit gesicherten Staatenlebens mittelst sittlich-wissenschaftlicher Ausbildung auf der Hochschule und der Uebung jeder geistigen und körperlichen Kraft zum Dienste des gemeinsamen Vaterlandes.

Dieses schöne Ziel sollte fortan das Ideal unseres Burschenlebens bilden, aber jeder Mißdeutung, wodurch dasselbe zu erreichen sei, dadurch vorgebeugt werden, daß die Worte: „mittelst sittlich-wissenschaftlicher Ausbildung“ besonders betont wurden. Hierdurch glaubten wir der scheinbar hochverrätherischen Tendenz – und was galt damals nicht Alles dafür?! – die Spitze abgebrochen zu haben.

Die zweite Hauptfrage galt der in Jena ausgebrochenen Spaltung im Schooße der Burschenschaft selbst, die sich alsbald auch über mehrere andere Universitäten verbreitete. „Germanen“ und „Arminen“, so lautete das Feldgeschrei in beiden Lagern, und es war nicht gut möglich, eine Einigung wieder herbeizuführen, da beide Parteien einander principiell entgegenstanden. Die „Arminen“ jener Tage wollten allen politischen Anstrich aus der Burschenschaft verwischt sehen, kein einigendes Band auf den verschiedenen Universitäten anerkennen, wohl aber dieselben sittlich-wissenschaftlichen Zwecke verfolgen; zugleich verwarfen sie – wenigstens in der Folgezeit – das Duell als ultima ratio studiosi und geriethen bald wieder auf Abwege des Mysticismus und Pietismus, von welchen sich nur wenige Perioden der früheren Burschenschaft freigehalten haben. In Leipzig ging es so weit, daß ein sonst ganz tüchtiger Bursch in seinem gelinden Wahnwitz sich weigerte, eine gebratene Taube zu essen, weil die Taube das Symbol des Geistes sei! – Bei einer solchen Auffassung ließ sich natürlich nichts vermitteln, und es blieb uns daher nichts Anderes übrig, als in den Germanen die wahren Burschenschafter anzuerkennen, abgesehen davon, daß das ganze Auftreten dieser Germanen uns vom studentischen Standpunkte aus weit mehr gefiel, als das träumerische Wesen der Arminen, die, wie ihnen die Spötter nachhöhnten, ihre „gemüthlichen“ Commerse in Milch abhielten.

So war denn das große Tagewerk gelöst, und nachdem noch manch ermuthigendes, erfreuendes Wort gesprochen worden war, trennten wir uns denn re bene gesta von dem halb mittelalterlichen, halb modernen Bamberg. Nachdem ich noch einige Zeit bei Bundesbrüdern in Erlangen und Nürnberg verweilt und mich, namentlich in dem ehrwürdigen Nürnberg, ganz in die Dämmerungen des Mittelalters versenkt hatte, aus denen mich jedoch allabendlich die Erlanger „Schimmle“ oder die Nürnberger „Seidle“ zurückriefen, ging es im Geleit eines anderen Universitätsgenossen aus Wunsiedel nach Muggendorf und Streitberg, das Fichtelgebirge entlang, wieder der engeren Heimath zu. Der frische Jugendmuth artete fast in Uebermuth aus, als wir in einem bairischen Grenzstädtchen anlangten, und der traurige Zustand unserer Börsen uns zur Ausführung eines kleinen Humbugs zwang, der vielleicht von manchem Griesgram verdammt wird. Schon in Jena hatte uns Freund W. aus Wunsiedel erzählt: er besitze in dem genannten Grenzstädtchen einen nahen Verwandten, den er noch nie gesehen, dessen Töchter aber im Laufe des Frühjahrs seine beiden Schwestern in Wunsiedel besucht hätten. Sollte uns das Geld ausgehen, so könnte sich leicht mein bairischer Reisegenoß für W. ausgeben, und dann würde eine freundliche Aufnahme uns nicht fehlen. Der nahe Verwandte W.’s war Postmeister und besorgte zugleich die Restauration der Reisenden. Wir kehrten bei ihm ein, trafen die beiden Schwestern im Gastzimmer und äußerten unsere Sehnsucht, bald in Wunsiedel zu sein. Schon nach wenigen Minuten trat der inzwischen von einer seiner [44] Töchter benachrichtigte Wirth in’s Zimmer, lüftete sein Käppchen und begann sein Examinatorium. – „Wo studiren die Herren Studenten, wenn ich fragen darf?“ – „In Jena.“ – „Gewiß auch aus Baiern?“ – „Ja, aus Wunsiedel.“ – „So, so, da habe ich auch einen Verwandten, der in Jena studirt, den Sohn des –rathes W.“ – „Was? der W. bin ich ja; Sie sind der Herr X.?“ – „Freilich, freilich, und Sie Fritz W.?“

Ich stand dabei in stillen Aengsten, wie sich die Sache endigen würde, zumal ich endlich auch als ein weitläufiger Verwandter aus Sachsen vorgestellt wurde.

Der alte Herr rief die ganze Familie zusammen; Mutter und Töchter mußten dem neuen Vetter einen Kuß geben, und dieser Vetter spielte, mit den Verhältnissen in Wunsiedel ziemlich vertraut, seine Rolle so gewandt, daß ich manchmal selbst auf den Gedanken kam, ihn für den rechten Vetter zu halten. Nur einmal, als die eine Cousine nach dem „Tantchen“ frug, und der Vetter deren vollständiges Wohlsein versicherte, wäre er bald in eine unvermuthete Schlinge gefallen, denn das „Tantchen“ lag bereits seit sechzehn Wochen krank; doch half er sich schnell, und nannte eine andere Tante, die er im Sinne gehabt habe, während er die fortwährende Krankheit der andern treuherzig bestätigte.

Da gerade das Vogelschießen – das größte Fest des ganzen Jahres – in die Woche unseres Besuches fiel, so nützte uns kein Sträuben, wir mußten ausharren und wurden natürlich bei der ganzen großen Verwandtschaft des Städtchens herumgeführt und von derselben zum Theil zu weiteren Festlichkeiten geladen. Endlich nahte der Glanzpunkt aller Herrlichkeiten – der Ball am letzten Abend des Vogelschießens, und hier wäre bald der neue Vetter mit seiner bis jetzt so glücklich gespielten Rolle durchgefallen. Die früher als wir in den Ballsaal geeilten Cousinen trafen dort einen jungen Pfarradjuncten aus der Nachbarschaft, der früher in Jena studirt hatte und Mitglied der Burschenschaft gewesen war; in der Freude ihres Herzens verkündigten sie ihm sogleich, daß Vetter Fritz W. von Jena anwesend sei und bald erscheinen werde.

„Aber Fritz trägt einmal einen langen Bart!“ versicherte prahlend die eine Cousine.

Der Pfarradjunct machte große Augen, denn er hatte erst vor einem halben Jahre von dem wirklichen Fritz W. Abschied genommen, als an dessen Kinn der Streit zwischen Haaren und Flaum noch nicht recht entschieden war. Als wir hierauf in den Saal traten, stutzte er nicht wenig; doch bald erkannte er den Pseudofritz, mit dem er ja noch zusammen die Universität besucht hatte. Der falsche Vetter trat auch sofort an ihn heran, und mit den leise zugeflüsterten Worten: „Verrathe mich nicht“ war seine Zunge vorläufig gebunden. – Fast schäumte der jugendliche Uebermuth über die Grenzen hinaus, als der Pfarradjunct bei Tafel das Glas erhob, dem Postmeister zu seinem Vetter Glück wünschte, und die ganze zahlreiche Gesellschaft – zwei Drittheile bestanden aus „Vettern“ und „Muhmen“ – in lautem Jubelruf den seligen Vetter umringte, der gar nicht müde wurde, den Glückwünschenden seinen Dank in herzlichen Küssen zu erkennen zu geben.

Am nächsten Morgen eilten wir (der Postmeister ließ uns drei Meilen weit in einem eleganten Wagen fahren, und die Cousinen hatten für ein elegantes Frühstück Sorge getragen) aus dem fröhlichen Städtchen, und sendeten von der Grenzstation aus unserm freundlichen Wirthe einige dankende Zeilen, in denen wir ihm unseren Scherz gestanden und ihn freundlich baten, uns zu verzeihen, zugleich aber uns bald einmal mit den liebenswürdigen Cousinen in unserem wirklichen Wohnorte zu besuchen, um wenigstens die Zinsen abstoßen zu können, die seine Güte auf uns gehäuft hätte, da wir das Capital doch nicht zurückzuzahlen vermöchten. Der alte Herr hat, wie wir später hörten, ein etwas saures Gesicht bei Durchlesung des Briefes gemacht, und sich namentlich geärgert, wenn ihn Spottvögel gefragt, ob nicht bald wieder ein Vetter ankommen würde. Jetzt wird er wohl das Irdische gesegnet haben; sicher wird er ebensowenig, wie seine lieblichen Töchter, jetzt noch den beiden Wildfängen zürnen, die sich damals einen etwas starken, immer aber harmlosen Scherz mit ihnen erlaubt hatten.

E. Bdt.