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Ein Herbstmittag im Thiergarten von Berlin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: J. L.
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Titel: Ein Herbstmittag im Thiergarten von Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 672–673, 680
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[672–673]

Ein Herbstmittag im Thiergarten von Berlin. Nach der Natur aufgenommen von Knut Ekwall.

[680] Ein Herbstmittag im Thiergarten von Berlin. (Mit Abbildung S. 672 und 673.) Der Hochsommer ist vorüber. Berlin ist wieder bei sich selber eingekehrt. Noch aber brütet die helle Septembersonne empfindlich heiß über Straßen und Plätzen, da flüchtet Alles Nachmittags hinaus in den Thiergarten, um den thauigen Schatten des Laubdachs zu genießen, ehe der Herbst es abdeckt, der schon hier und da seine bunten Wahrzeichen darauf geheftet.

Was wäre Berlin ohne seinen Thiergarten? Was wäre es geworden, wenn der letzte Wille Friedrich Wilhelm’s des Zweiten – es war dies eine ausdrückliche Cabinets-Ordre – ausgeführt worden wäre, daß nämlich der Thiergarten sofort abgeholzt werden sollte? Berlins guter Genius hat den unersetzbaren Baumschmuck vor dem Untergange gerettet, und es ist bekannt, welche Vorliebe die späteren Könige ihm zugewandt haben. Da durfte kein Baum, kein Strauch umgeschlagen oder verpflanzt, kein Weg, kein Graben, kurz Nichts durfte gemacht werden, ohne daß die allerhöchste Genehmigung dazu eingeholt worden. So hat der Thiergarten trotz seiner in einzelnen Theilen abschreckenden, verpesteten Sümpfe, trotz seines lybischen entsetzlichen Staubes doch malerische Fußwege, herrliche Partieen erquickender Waldeinsamkeit, stille Solitüden, wo der Lärm des Weltstadtlebens verstummt und nur die Nachtigall flötet, die Taube girrt, der Specht hämmert. Der Thiergarten hat ganze Quartiere luxuriösester, anmuthigster Billen mit den köstlichsten Gärten, lange Straßen mit breitgelagerten Palästen, breite Fahr- und Promenadenwege. Was der Prater für Wien, die Champs Elysées, Bois de Boulogne für Paris, der Hydepark für London – das sind diese Fahr- und Promenadenwege für Berlin. Hier begegnet sich alle Welt. Die vierspännigen Hofwagen mit ihren Vorreitern, lange Reihen prächtiger Equipagen und Gefährte jeder Art, Reiter auf edelsten feurigsten Rossen, Officiere und Damen, Alles rollt und trottirt und galoppirt in den verschiedensten Richtungen an den Promenirenden vorüber, eine kaleidoskopische Kette malerischer Bilder.

Aber wie Alles in Berlin haben auch die Stätten dieser Vergnügungen ihre Wandelungen erfahren. Der fashionabelste aller Promenadenwege ist zur Zeit die Siegesallee, an schönen Herbstagen der Sammelplatz der vornehmen Welt von Berlin und aller Derjenigen, die sich einbilden, ihr anzugehören.

Die große Welt der Reichshauptstadt hält hier jetzt Parade ab über die Toiletten, die noch vor einigen Wochen auf den Promenaden der Bäder und Sommerfrischen von Interlaken bis Helgoland sich stolz entfalteten. In der breiten Avenue, die von der Siegessäule auf dem Königsplatze quer durch den dunkeln Park bis zur Victoriastraße führt, wandelt, rollt und trabt eine reiche Fülle glänzender oder doch in Glanz gehüllter Gestalten an einander vorbei, plaudernd, lächelnd, erkennend und grüßend, eine heitere, mit sich selbst beschäftigte Gesellschaft, die, erfrischt heimgekehrt, wieder neu und interessant geworden und doch mit geheimem Behagen sich im innersten Wesen als die alte empfindet. Unter den glänzenden Equipagen lenken namentlich die Biergespanne der Prinzessinnen Karl und Friedrich Karl die Augen der Lustwandelnden auf sich.

Der Künstler hat sich in dem heutigen Bilde die Aufgabe gestellt, die glänzende Promenadenversammlung in dem Augenblick aufzunehmen, wo die Kaiserin, die es liebt, dann und wann den Wagen zu verlassen und sich mit ihrer jungen anmuthigen Hofdame unter die Promenirenden zu mischen, in der Siegesallee erscheint. Sie schreitet zwischen den Spalieren geschmückter Spaziergänger in würdevoller Haltung hindurch, die huldigenden Grüße von hüben und drüben erwidernd. Folgten nicht in genau bestimmtem Abstande und mit aufmerksamster, dienstbeflissener Geberde zwei mänteltragende Hoflakaien, den beiden Damen, man würde an deren einfacher Promenadentoilette kaum die außergewöhnliche Erscheinung ermessen.

Ringsumher rauschen die aufgebauschten Roben der tief sich verneigenden Berliner Schönen, aber gerade aus schaut der vollbärtige junge Graukopf des wohlbekannten Abgeordneten von der Fortschrittspartei. Nicht weit von ihm hebt ein alter Officier mit tiefdurchfurchtem Antlitz ernst und gemessen die schlachtenlenkende Hand zur schlichten Mütze; es ist Er, der gleich jenseits der Siegessäule, hart am Königsplatze, im Generalstabsgebäude sein Heim hat, in der Straße, die seinen Namen trägt: Feldmarschall Graf von Moltke. Er wandelt still und allein, wenn er noch eine Beziehung pflegt zu irgend einem weiblichen Wesen, so ist es, wie man sagt, die Victoria da droben auf dem weithin ragenden Denkmal der drei jüngsten Kriege. Ist es doch, als winkte sie ihm mit dem vollen Kranze grüßend nach.

J. L.