Ein Heros geographischer Forschung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: J. Loewenberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Heros geographischer Forschung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 113–116
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über den Afrikaforscher Henry Morton Stanley
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[113]
Ein Heros geographischer Forschung.
Von J. Loewenberg.

Hätte Meister Kaulbach ein monumentales Gemälde „Unsere Zeit“ zu entwerfen gehabt, in der Weise, wie seine Werke in dem Treppenhause des Berliner neuen Museums, er würde dasselbe vielleicht also angeordnet haben:

Henry Stanley.
Henry Stanley und Mitglieder der portugiesischen Gesellschaft in San Paolo de Loando.
Nach einer an die „Gartenlaube“ aus San Paolo de Loando (Südwestküste von Afrika) eingesandten Photographie.

In breitgestrecktem Vordergrunde kämpfen und morden sich in wirren Gruppen Russen und Türken am Balkan und weithin bis zum Kaukasus, den Thälern und Hochebenen Armeniens; – das wäre das Sinnbild der moskowitischen Culturmission in der Türkei und Asien, das Sinnbild moderner Diplomatenweisheit, humanitärer Localisirung eines völkerverheerenden Krieges. – Und hoch erhaben über alledem thront auf wolkengetragenem heiligem Stuhle, umstrahlt von himmlischer Glorie, der heilige Vater und waltet mit wie zum Segen ausgebreiteten Armen seines christlichen Liebesamtes mit Bann und Verfluchung.

An der einen Seite des Bildes steigen hochauf Gruppen gescheitelter Synodalen, die einander von der Kanzel stoßen, [114] tonsurirter Bischöfe mit zerbrochenen Hirtenstäben, knüppelschwingender Socialdemokraten, Gründer und Fürsten, flüchtig über die Trümmer gefallener Banken und befleckter Wappenschilder; – das die Symbolisirung unserer Culturkämpfe um die Freiheit des Geistes in Kirche und Wissenschaft, unserer Bestrebungen um Förderung des Volkswohls.

An dem andern Seitenrande des Gemäldes endlich steigen in langer Reihe die Märtyrer geographischer Forschung hernieder. Wir erkennen vor Allem die Heroen der Afrikareisenden: Rohlfs, Schweinfurth, Nachtigal, Falkenstein, der unsern darwinischen Erzvater Gorilla sorgsam in liebender Umarmung pflegt, Cameron und endlich Stanley an der Küste von Loango mit seiner verhungerten treuen Schaar schwarzer plattnasiger Wollköpfe.

Auf dieser letzten Gruppe meist verkümmerter Gestalten weilt das Auge mit erhöhetem Interesse, weil sie Gedanken wachruft von höheren idealen Anstrengungen im Dienste der Wissenschaft und der Civilisation, weil sie Hoffnungen weckt auf reellere Culturkämpfe im Dienste der Humanität, der Befreiung und Sittigung von Millionen in Thierheit und Sclaventhum verkommener Menschen. Ist doch die afrikanische Entdeckungsfrage unsere eigentliche orientalische Frage, die Mündung und Schiffbarkeit des Congo wichtiger als die Sulinamündung und Schiffbarkeit der unteren Donau, der afrikanische Fetisch- und Schlangencultus lehrreicher als der fanatische Zank der Schriftgelehrten und Gottesmänner, der Verkehr mit den Menschenfressern an den Katarakten des Congo ersprießlicher als der mit den Zollbeamten an der Grenze moskowitischer Länder. Kurz, die Entdeckungsfrage Afrikas ist eine brennende Frage des Tages, und ihrer Lösung weihen Staatsregierungen, wissenschaftliche Vereine, einzelne Männer von glühender Begeisterung reiche Mittel, heldenkühnste Ausdauer.

Dreiundzwanzig Jahrhunderte, wie zu Zeiten Herodot’s, liegt das Sinnbild des Räthsels, die Sphinx, unter dem Wüstensand Aegyptens an der Europa zugekehrten Schwelle des afrikanischen Erdtheils. Wie zu Herodot’s Zeiten hieß es Jahrhunderte lang: „Aus Afrika kommt immer etwas Neues“. Aber wie viel Neues sich auch gehäuft, wie manche vereinzelte geographische Räthselfragen auch gelöst worden, noch bis vor wenigen Jahren konnte man mit dem Dichter klagen:

„Jahre lang schöpfen wir schon in das Sieb und brüten den Stein aus,
     Aber das Sieb wird nicht voll, aber der Stein wird nicht warm.“

Unseren Tagen, und nicht zum geringen Theil deutschen Männern, war es vorbehalten, das Sieb zu füllen, den Stein zu erwärmen.

Eine Karte von Afrika, welche die entdeckten Ländergebiete nach den Nationalitäten, die sie entdeckt und erforscht haben, verschiedenfarbig darstellt, zeigt augenfällig, daß die Größe der von Deutschen entdeckten Gebiete dem Umfange derjenigen, die von Franzosen und Engländern entdeckt wurden, nicht nachsteht. Sie zeigt ferner, daß, während die französischen und englischen Entdeckungsgebiete sich an der Basis der Küsten erstrecken, die deutschen Entdeckungen, unabhängig von politischen und commerciellen Zwecken, sich zu allermeist in dem tiefsten Innern des Continents ausbreiten.

Schon seit der Stiftung der Londoner „African Association“, 1788, und namentlich seit den letzten Jahrzehnten, hatten deutsche Männer in Afrika ein zahlreiches, theures Contingent zu den Opfern der Entdeckungen geliefert. Die Todtenliste der Reisenden in Afrika nennt in besten Ehren die Deutschen Hornemann, Röntjen, Kummer, Burckhardt, Hemprich, Liman, Overweg, Reitz, Schönlein, Vogel, Knoblecher, von Reimans, Vierthaler, Roscher, von Barnim, Harnier, Bilharz, von Beurmann, von der Decken, Linck, Steudner, Schubert, Munzinger, Graf Zichy, Frank, Mohr, Barth, von Bary, Landien und viele, viele andere.

Noch größer ist die Zahl der Deutschen, welche in den verschiedensten Theilen Afrikas als Pioniere der Wissenschaft ihre besten Kräfte opferten. Wir erinnern nur an die neuesten Namen: Schweinfurth, Nachtigal, Rohlfs, Güßfeld, Hildebrand. Die von ersteren durchforschten Gebiete füllen in ihrem Zusammenhange von Westen nach Osten die größte Längenerstreckung des Erdtheiles, fast siebenzig Längengrade. „Quer durch Afrika,“ – „Im Herzen von Afrika,“ sind die stolzen Titel von Rohlfs’ und Schweinfurth’s Reisewerken. Sie klingen und schallen wie schmetternde Fanfaren und verkünden die geographischen Siegeszüge deutscher Entdeckungsreisenden, deutscher erdkundiger Forscher im Innern des geheimnißvollen Erdtheils.

Vergessen wir aber darum die Verdienste der fast gleichzeitigen Afrikareisenden anderer Nationalitäten nicht! Die Gesammtbemühungen aller Forscher haben der Wissenschaft reiche Früchte zugeführt. Die Jahrtausende alte Nilquellenfrage wurde erledigt, die wechselnde Vorstellung von dem Labyrinth der innerafrikanischen Seeregion berichtigt; das unnahbare mit dem Blute der Reisenden Vogel und Beurmann getränkte Wadai ward der Forschung eine gastliche Stätte; zahlreiche Räthsel wurden gelöst vom Ursprung und Lauf der Flüsse; Wasserscheiden, Bodenbildung, Pflanzen-, Thier- und Menschenwelt wurden erforscht, und der Engländer Cameron hat vom März 1873 bis October 1875 Afrika vom indischen bis zum atlantischen Ocean, von Bogamoyo westwärts bis Embomma, durchkreuzt.

Inzwischen war auch der Reisende Stanley 1870 nach Afrika gegangen, um den verschollenen Livingstone aufzusuchen, und er hat ihn im October 1871 in Udjidji am Tanganyikasee gefunden. Nach seiner glücklichen Heimkehr und nach Livingstone’s Tod im Mai 1873 ging Stanley im Sommer 1874 zum zweiten Male nach Afrika, um die Entdeckungen Livingstone’s zu vervollständigen.

Seine Aufgabe war in der That keine kleine; es galt die Entdeckungen Speke’s und Grant’s in Betreff der Nilquellen zu vollenden: es galt den Victoria- und Tanganyikasee zu umschiffen, durch neue Forschungen im letzteren die Entdeckungen Speke’s und Burton’s zu vollenden und diejenigen Livingstone’s zum Abschlusse zu bringen. Eine der Hauptaufgaben war, zu erforschen, ob der Lualabastrom, den auch Livingstone für einen Arm des Nil gehalten hat, nicht der obere Lauf des Congo sei, wie der Scharfsinn des gothaischen Geographen Behm mit Zuversicht behauptet hatte.

Im November 1874 brach Stanley, vortrefflich ausgerüstet, mit einem vorzüglichen englischen zerlegbaren Boote, „Lady Alice“, und einer Escorte von dreihundert angeworbenen Eingeborenen, von Bogamoyo, gegenüber der Insel Zanzibar, auf. Er wandte sich zunächst nach dem central-afrikanischen Seegebiete des Tanganyika-, des Victoria-Nyanza- und Albert-Nyanzasees. Nach wichtigen Aufschlüssen über die Quellflüsse des Nil kehrte er zum Tanganyika nach Udjidji zurück und begann am 11. Juni 1875 auf der „Lady Alice“ die erste vollständige Aufnahme des Sees, die achthundert geographische Meilen beträgt.

Bei seiner Rückkehr nach Udjidji fand er Pockenkrankheit, Ausreißerei und Meuterei unter der Mannschaft. Er beeilte die Weiterreise. Aber zwei Ziele lockten ihn unaufhaltsam: entweder

1) westwärts zu gehen, nach Nyangwe am Lualaba und denselben weiter zu verfolgen, was weder Cameron noch Livingstone gelungen war, – oder

2) nordöstlich wiederum in das schon erwähnte Seegebiet zurückzukehren.

Stanley entschied sich für das erste Ziel, für die Erforschung des Lualaba. Am 29. August 1876 wurde Udjidji verlassen, der Tanganyika gekreuzt, nach Nyangwe vorgedrungen.

Nyangwe liegt fast in der Mitte des geheimnißvollen Erdtheils, ist unter dem vierten Grade südlicher Breite, etwa zweihundertundzwei geographische Meilen von der Ostküste und ungefähr zweihundertunddreißig geographische Meilen von der Westküste entfernt. Die östliche Hälfte des Erdtheils war zeither von Forschern besucht und im Allgemeinen ziemlich bekannt, die westliche Hälfte dagegen ein grauenvolles Geheimniß, eine fabelhafte Region von Zwergen, Menschenfressern, Gorilla’s. Dämonische Hindernisse hatten hier von allen Seiten das Eindringen gehemmt, aber gerade diese Schrecken lockten unseren Reisenden mit unwiderstehlichem Reize.

„Mein Geschick,“ sagt Stanley, „trieb mich vorwärts. Ich hörte den Geschichten zu, wie alle Karawanen vernichtet worden seien, welche es versucht hatten, den großen Fluß abwärts zu fahren. Ich hörte, daß ich umgebracht und gefressen werden würde, daß meine Mannschaft desertiren, und daß ich Schwierigkeiten unüberwindlicher Art finden würde. Aber alle Warnungen schreckten mich nicht.“ – Alle Vorkehrungen wurden getroffen, die Mannschaft der Expedition verstärkt, hundertvierzig Leute mit Gewehren, siebenzig mit Lanzen versehen, und „Vorwärts!“ war die Parole.

[115] Wenige Tagereisen nördlich von Nyangwe wendet sich der Lualaba nach Nordost. Hohe Zacken der Ureggahügel starren in die brausende Fluth; wilde Scenerien von Katarakten und schäumenden Wogen schrecken das Auge. An beiden Flußufern wohnen Wilde: die Wainya, feige, verrätherisch, listig und absolut unzugänglich, weiter nördlich ein mächtiges Volk höheren Muthes, die Wabroiro, am linken Ufer die Wainya, weiter westlich die kriegerischen Bakusu, – lucullische und sybaritische Menschenfresser.

„Auf dieses Volk,“ bemerkt Stanley, „würde die Ankunft eines ganzen Concils von Bischöfen und Missionären nur wie eine Zufuhr landesüblichen Beefsteaks wirken …“

Hier muß der Reisende zu jeder Stunde ein Mann der That sein.

In seinem letzten Briefe aus Innerafrika hatte Stanley von diesen schweren Thaten berichtet, von den Kämpfen mit den tückischen, verrätherischen Kannibalen und von der blutigen Züchtigung, die er ihnen ertheilte, was, wie erinnerlich, die Gelehrten der afrikanischen Entdeckungs-Societäten an den grünen Berathungstischen mit großer sittlicher Entrüstung erfüllt hatte. Glücklicher Weise blieb diese Entrüstung ohne Einfluß. Der willensstarke, muthige Mann drang unaufhaltsam vorwärts. Und schon waren neun lange, bange Monate vergangen, ohne daß Kunde von ihm oder über ihn gekommen; schon hatte sich schwere Besorgniß um ihn verbreitet – da brachte endlich der „Daily Telegraph“ die freudige Botschaft: „Stanley ist am 8. August 1877 in Embomma an der Westküste Afrikas angekommen. Er hat den ganzen Lualabafluß befahren und seine Identität mit dem Congo festgestellt.“

Stanley hat sonach Afrika vom November 1874 bis August 1877 von Bogamoyo bei Zanzibar westwärts bis Embomma nahe der Congomündung in seiner ganzen Breite durchwandert.

Es ist hier nicht der Ort, auf den Verlauf und die Resultate der Reise näher einzugehen, auch ist bis jetzt nur Summarisches bekannt geworden und Stanley selbst erst gegen Ende Januar in London wieder eingetroffen.

Die Bedeutsamkeit der Entdeckung des Congo- oder Lualabastromes muß uns aber schon jetzt frappirend entgegentreten, wenn wir einige Größenverhältnisse desselben mit denen des Rheins vergleichen. Nach uns geläufigen Maßen in Zahlen ausgedrückt ist:


  des Congo:   des Rhein:  
die Stromlänge 000000650 geogr. Meilen, 0156 geogr. Meilen,
das Stromgebiet 50–60,000 „ Q.-Meilen, 3600 „ Q.-Meilen.


Und wie charakterisirt Stanley Strom und Land? „Für die Schiffbarkeit des mächtigen Stroms,“ schreibt er, „bestehen die unüberwindlichen Hindernisse der Katarakte. Hier muß der Landtransport an die Stelle des Flußtransports treten. Sobald dagegen die ersten großen Wasserfälle passirt sind, liegt halb Afrika vor uns, und zwar nicht wie die unteren Nilgegenden als Sandwüsten, sondern als eine reiche, stark bevölkerte Ebene. Kein Theil von Afrika, mit Ausnahme von Ugoge, ist so reich bevölkert. Die gewöhnliche Bezeichnung Dorf ist eigentlich unrichtig für diese Menge von Häusern in den Ortschaften. Es sind wirkliche Städte, oft an manchen Plätzen zwei Meilen lang. Schon oft wurde in letzter Zeit die Befürchtung ausgesprochen, daß Elfenbein bald eine Seltenheit werden müsse, allein ich kann versichern, daß dies in den nächsten zwei bis drei Generationen nicht der Fall sein wird. Die ganze Ebene ist reich an ungeheuren Wäldern, welche Massen von Palmöl liefern können. Auch Baumwolle, Guttapercha, alle Nüsse, Copal, Palmfrüchte. Durch den Fluß ist auch eine Reise nach den Gold- und Kupferdistricten von Katange leicht gemacht.“ So wird der tausendjährige weiße Fleck auf unseren Landkarten von Afrika durch die Entdeckung des größten Stromes mit zahlreichen Nebenflüssen, mit zahlreichen Namen bisher ganz unbekannter Völker, mit Namen von Fundstätten werthvoller Producte ausgefüllt.

Und was war der Mann, der so Außerordentliches geleistet?

Nur ein Journalist – ein Zeitungsschreiber – „eine verfehlte Existenz“. –

Henry Stanley, 1840 in Wales von armen Eltern geboren, heißt eigentlich John Rowlands und wurde in einem Armenhause erzogen. Autodidact, wollte er Lehrer, Seemann, Kaufmann werden und fand in New-Orleans bei einem Kaufmann, Namens Stanley, Beschäftigung und Gelegenheit zu weiterer Ausbildung. Der Kaufmann gewann den anstelligen, fleißigen Knaben lieb und adoptirte ihn, versäumte aber ein Testament zu machen, sodaß der junge Mensch nach dem Tode seines vermeintlichen Wohlthäters bis auf den neuen Namen fast leer ausging. Soldat im Secessionskriege, zeigte er in allen Lebenslagen Charakter und Energie, in allen Aufträgen Umsicht und Geschick. Er bereiste dann die europäische und asiatische Türkei und begleitete 1867 die englische Expedition gegen König Theodor nach Abyssinien als Correspondent des „New-York-Herald“. Seine Berichte zeichneten sich so vortheilhaft vor allen anderen aus, daß er 1868 während der Karlistenunruhen nach Spanien als Reporter geschickt wurde.

Und als bald darauf F. Bennett, der Besitzer des „New-York-Herald“, für seine große, weit verbreitete Zeitung überraschende, sensationelle Berichte brauchte, als es galt, den verschollenen Livingstone in den Wüsten Afrikas aufzusuchen, als es galt, Jemand zu gewinnen, der reisen, schildern, berichten könnte, da wurde wieder Stanley auch mit dieser Mission betraut. Zunächst sollte er nach Aegypten gehen und über Land und Leute, den Khedive, die Eröffnung des Suezcanals, über den Nil, seine Katarakten und Denkmale berichten, dann nach Jerusalem und Constantinopel und über Sultan und Osmanenthum, über Personen und Zustände schreiben, ferner über die Krim, über Sebastopol, den Kaukasus, das Kaspische Meer, Persepolis, Bagdad, Persien nach Indien und von allen Orten interessante, packende Berichte für die Spalten der New-Yorker Zeitung schicken, und endlich sollte er, – was die Hauptsache war – nach Afrika gehen und Livingstone suchen.

Und so geschah es. Im October 1869 erhielt er den Auftrag; im Januar 1871, also nach nur fünfviertel Jahren, war er an der Küste von Zanzibar. Alles war bestens erledigt; überall ist er gewesen; von allen Orten hat er interessant berichtet, und am 26. März brach er von Zanzibar auf, um in den unbekannten Wüsten den Verschollenen zu suchen.

Schon waren zweihundertsechsunddreißig arbeitsvolle Tage vergangen mit beschwerlichen Wanderungen auf Kreuz- und Querzügen, da wiederholte sich das seltene Glück, das einst Eduard Vogel zwischen Kuka und Kano begegnete. Wie Vogel in der afrikanischen Waldwildniß den kranken, hülfsbedürftigen Heinrich Barth ganz unerwartet gefunden, so fand auch Stanley den eifrigst gesuchten Livingstone in Udjidji am nordöstlichen Ufer des Tanganyikasees. Was hierbei größer gewesen, der Spürsinn, das Combinationstalent, die unermüdliche Arbeitskraft des Amerikaners oder sein Glück, das zu entscheiden bleibe dem Scharfsinn unserer Leser überlassen.

Stanley hatte seine Aufgabe gelöst – er hatte Livingstone gefunden. Es galt nunmehr die Kunde hiervon heim zu bringen.

Aber der erste Verkehr beider Männer gestaltete sich alsbald zur innigen, hochachtungsvollen Freundschaft. Livingstone sah in Stanley seinen hoffnungsreichen Nachfolger, der seine Arbeiten vollenden, zum Abschluß bringen werde; Stanley erkannte in Livingstone sein ideales Vorbild, dem er nachzustreben habe. Beide Männer trennten sich nicht sobald. Als sollte Stanley unter den Augen Livingstone’s noch Proben ablegen für die Fähigkeit seiner großen Mission, wurde das Nordende des Tanganyika umschifft und kartirt. Erst im März 1872 trennte sich Stanley von Livingstone,[1] und am 6. Mai war er in Zanzibar.

Telegraphische Blitzboten trugen alsbald die Kunde so glücklicher Thaten in alle Welt, aber auch schnell wie der Blitz erhob sich Zweifel, Neid und Verdächtigung. „Barnum!“ „Humbug!“ „Zeitungsreclame!“ erschallt es hüben und drüben. Wie sollte so ein journalistischer Vagabund, so eine „verfehlte Existenz“ das ausgeführt haben, was gelehrte Fachmänner, wissenschaftliche Reisende nicht ausführen konnten? Nicht lange – Stanley kam. Seine Persönlichkeit, sein Werk „Wie ich Livingstone gefunden“ (How I found Livingstone) zerstreuten alsbald alle skeptischen und kritischen Nebel und der Geschmähte galt als Heros geographischer Forschung.

Was Stanley zum zweiten Male nach Afrika geführt, und was er auch diesmal geleistet, ist bereits erzählt worden. Er schied von den Freunden mit dem Todesmuth der römischen Kämpfer: moriturus vos saluto!

[116] Aber das Glück blieb ihm treu. Wie er auf der ersten Reise Livingstone gefunden, so hat er auf der zweiten den größten Strom, die Schlag- und Pulsader eines neuen Lebens des Erdtheils, gefunden und befahren.

Bei allen Huldigungen, die ihm auf der Heimreise erwiesen wurden, wollte der große Mann immer nur als Journalist gelten. In der Dankrede bei seinem Ehrenfeste in Paris führte er aus: daß in allen seinen Gefahren und Strapazen ihn der Gedanke aufrecht gehalten hätte, er sei am Ende nur ein Journalist. „Als die Eingebornen an den Ufern des Lualaba mir den Weg nach der See verlegen wollten und ich ihnen die Stirn bot, sagte ich mir, ich sei ja nur ein Journalist. Und als ich endlich erschöpft und ausgehungert die Küste des atlantischen Oceans erreichte, erinnerte ich mich wieder, daß ich nur ein Journalist war, und ehe ich auch nur ein Glas Wein und einen Zwieback zu mir genommen hatte, setzte ich ein Telegramm auf und schickte es ab. Der Instinct des Journalismus war es, der mich bestimmte, wie ein Pfeil bis zum Victoriasee zu fliegen, der mich auf meiner Wanderung durch diese Urwildniß aufrecht erhielt, der mich trieb wieder Kehrt zu machen, das Udjidjiland zu besuchen und so zu vollenden, was die Entdeckungsreisenden vor mir noch offen gelassen hatten. Der Ehrgeiz des Journalisten war es, der mich sprechen ließ: ‚Ich will mein Vorhaben nicht aufgeben, sondern vorwärts gehen und die Arbeiten Livingstone’s vollenden‘.“

Einem dankenswerthen Briefe aus San Paolo de Loando an die Redaction dieses Blattes lag die Photographie unseres kleinen Bildes bei. Dasselbe zeigt Stanley unter den Mitgliedern einer portugiesischen wissenschaftlichen Expedition, die kurz vor ihm eingetroffen waren. Der Brief giebt auch von der äußern Erscheinung des außerordentlichen Mannes folgende Schilderung: Henry M. Stanley, an der Schwelle der vierziger Jahre, ist ein Mann von mittlerem Wuchse, untersetzter, doch nicht sehr kräftiger Gestalt. Seine Körperhaltung ist eine gleichmäßig ruhige mit gerade aufgerichtetem Haupte. Geberden begleiten nur in seltenen Fällen seine Worte, aber die großen Augen leuchten an bedeutsamen Stellen. Sein bis auf den Schnurrbart glatt rasirtes Gesicht ist faltenlos; die Züge haben etwas ungewöhnlich Strammes. Das Haupthaar, das er kurz trägt, ist dicht und in Folge der letzten Reise bedeutend ergraut.

Wir freilich haben bei dem Gedanken an die unaufhörlichen Kämpfe im nie betretenen Lande, an die Noth und Drangsale des beschwerlichen Zuges, an die unbeugsame Charakterstärke, die Umsicht und den Heroismus Stanley’s das Bild eines Heroen aus der Zeit des Columbus, dem Zeitalter der Entdeckungen Amerikas.


  1. In unserer Nr. 12, 1875, gaben wir unsern Lesern ein Bild der letzten Tage des Jahrzehnte ausharrenden Forschers.
    D. Red.