Ein Märchen und die Natur

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Märchen und die Natur
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 31–32
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Blätter und Blüthen.

Ein Märchen und die Natur. Gleich mir wird Mancher in seiner Jugend das Märchen gelesen haben, das erzählt, ein König habe einst die drei Prinzen, seine Söhne, ausgesandt, damit sie ihm das Merkwürdigste aus den fernen Ländern brächten. Der, welcher ihm das Außerordentlichste vorlegte, solle sein Nachfolger auf dem Throne sein. Dieser Glückliche war der Jüngste, denn er brachte - eine Nuß. Eine Nuß? Ja. Seine Brüder lächelten auch verächtlich. In der Nuß befand sich aber eine Erbse, in der Erbse ein Hanfkorn, in dem Hanfkorn ein Hirsekorn und aus dem Hirsekorn zieht man - ein Stück Zeug von zwanzig Ellen.

Wie staunte ich damals! Allmälig aber lernte ich erkennen, daß das wirkliche Leben hundert Mal mehr Wunder enthalte als die wunderreichsten Märchen und daß die Wunder der Märchen Kinderspiele gegen die Wunder der Natur sind. Bleiben wir einmal bei dem Hirsekorn mit den zwanzig Ellen Zeug darin, über das ich als Knabe so sehr gestaunt. Was ist Außerordentliches dabei?

Da habe ich ein Samenkorn, das viel kleiner ist als ein Hirsekorn, ein Samenkörnchen von der Nachtkerze (Oenothera). Stecke ich dies in die Erde, so kommt eine große schöne Pflanze mit Blättern und Blumen von lieblichem Geruch aus ihm hervor, dann fünf, sechs, hundert Pflanzen. Dieses kleine Samenkorn enthält für alle Zeiten endlose Geschlechter ähnlicher Pflanzen mit ihren Blättern, ihren Blüthen und ihrem Duft. Stecke ich es in die Erde, so werden aus ihm lange noch, nachdem alle Menschen gestorben sind, die jetzt die Erde bedecken, andere Blüthen und andere Körner hervorgehen, die wieder andere Blüthen erzeugen.

[32] Warum zwanzig Ellen Zeug in dem Hirsekorn? Es enthielt viel mehr als das; es enthielt für alle Zeiten schöne Stengel mit langen hängenden schweren Trauben, es enthielt in sich den Stoff, in weniger als zehn Jahren die ganze Erde mit Hirse zu bedecken. – Und giebt es einen Grashalm, der nicht ein weit größeres Wunder wäre als alle Wunder aller Fabeln und Märchen aller Zeiten und aller Völker? Herr Gott, wie groß bist Du!