Ein Opfer deutscher Vaterlandsliebe

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Autor: E. St.
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Titel: Ein Opfer deutscher Vaterlandsliebe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, 3, S. 28–31, 42–44
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Opfer deutscher Vaterlandsliebe.
Nach den handschriftlichen Aufzeichnungen des Vaters, mitgetheilt von E. St. in Naumburg.


Als im Jahre 1809 Napoleon auf der Höhe seines Glanzes stand und seinen tyrannischen Arm über ganz Deutschland ausstreckte, unternahm es ein deutscher Jüngling, Namens Friedrich Staps, durch einen Mordversuch auf den gefürchteten Kaiser das Vaterland von der Fremdherrschaft zu befreien. Obwohl dieses Factum und das Schicksal des jungen Menschen allbekannt sind, so verbreiten doch die nachstehenden Mittheilungen neues Licht über diesen patriotischen Märtyrer, dessen verwerfliche Absicht, obwohl der Vaterlandsliebe entsprungen, dadurch jedoch keineswegs nur im Geringsten gerechtfertigt werden soll.

Diese Notizen über Friedrich Staps sind Aufzeichnungen von der Hand seines Vaters entnommen. Sie athmen innige Liebe und tiefen Schmerz um einen Sohn, welcher ein Muster kindlicher Liebe, reiner Sitte und des Fleißes war, der seine Eltern nie betrübt hatte, als durch seine letzte That.

Die Aufzeichnungen sind mit einer dem alten Manne und der damaligen Zeit verzeihlichen Breite geschrieben; es ist hier Wesentliches hervorgehoben, allzu Umständliches zusammengefaßt, doch der Ton des Vaters beibehalten, welcher dem Ganzen eine warme, gemüthvolle Färbung verleiht. –

Die Predigerstelle in dem Dorfe Schönburg bei Naumburg an der Saale war seit mehreren Generationen erblich geworden in der Familie Wislicenus. Eine Tochter des letzten Pastors daselbst – Justus Jacobus Wislicenus – wurde die Mutter des unglücklichen Jünglings. Ein viel jüngerer, den Eltern noch spät geborener Sohn, nachmals Prediger zu Badaune bei Leipzig, wurde der Vater des früheren Predigers Gustav Wislicenus (jetzt in Zürich), des tapfern Kämpfers in der evangelischen Kirche – allgemein bekannt durch sein Werk über die Bibel, der Verfasser freisinniger religiöser Schriften und Opfer seiner Ueberzeugung!

Die Mutter des jungen Staps war in erster Ehe an den Wirth des Gasthofs „zum Scheffel“ in Naumburg an der Saale verheirathet. Eines Tages sangen die Schüler des dortigen Domgymnasiums vor ihrem Hause, wie das damals Sitte war. Die hübsche junge Frau hörte dem Gesange zu. Einer der Sänger, der Schüler Staps, Sohn eines Landmannes aus der Umgegend, rief bei ihrem Anblick aus: „Wenn ich mir einst ein Weib nehme, eine solche Frau muß es sein, am liebsten diese selbst!“

Friedrich Gottlieb Staps wurde später Prediger an St. Othmar in Naumburg, und die geborene Wislicenus, deren Mann indessen gestorben war, reichte nun wirklich dem etwas jüngeren Manne ihre Hand in zweiter Ehe.

Lassen wir den Vater nun selbst weiter erzählen:

Im März 1792 wurde unser Sohn geboren und Friedrich Gottlieb genannt. Welche Freude für mich, welch noch innigeres Glück für seine Mutter, die zuvor siebenzehn Jahre in kinderloser Ehe gelebt hatte. Friedrich wuchs auf, gesund, frisch, ein lernbegieriges Kind. Schon früh zeigte er Neigung zum Stande seines Vaters, und setzte seine Zuhörer durch den Vortrag seiner kindlichen Predigten in Verwunderung. Später erwachte in ihm die Neigung zum Kaufmannsstande, welcher ich nicht entgegen war, und ihm nur lehrte, was er für seine neue Laufbahn brauchte. Friedrich betrieb mit Vorliebe das kaufmännische Rechnen, neue Sprachen – bald konnte er seinen Telemach übersetzen, sowie deutsche Briefe in fremde Sprachen. Vor allen hörte er die Religionsvorträge mit wahrer Ehrfurcht an und prägte sich ihre Lehren tief in sein jugendliches Herz. Kein Tag fing an ohne Gebet aus dem eigenen Schatze seines Herzens, und mit innigem Danke gegen Gott legte er sich auf sein Lager. Er hat es bis an sein Ende fortgesetzt. Er war ordentlich, fleißig und ausdauernd, führte unverbrüchlich aus, was er sich vorgesetzt. Im neunten Jahre machte er sich einen Stundenplan – durch Nichts, am wenigsten durch ein Vergnügen, ließ er sich davon abbringen. Lust und Ehrgeiz trieben ihn zum Lernen, er wollte vorwärts kommen, um seinen Eltern einst eine Stütze zu werden. „Mutter,“ hatte er eines Tages gesagt, „wenn ich einst meinen eigenen Heerd habe, nehme ich Dich zu mir, dann will ich Dir all’ Deine Liebe vergelten.“

Braucht man es wohl auszusprechen, wie sehr uns dieser Sohn beglückte, wie hoch er besonders im Mutterherzen stand? Doch wurde diese häufig durch einen Traum seinetwegen beunruhigt. [29] Ihr träumte, sie sei mit ihren beiden Söhnen im Garten zu Schulpforta bei Naumburg; im Ueberschreiten des schmalen Steges, der hier über einen Arm der Saale geht, fällt ihr geliebter Fritz plötzlich in’s Wasser. Sie strengt alle Kräfte an, ihn zu retten, umsonst – er versinkt und entschwindet ihren Augen für immer. Wie oft beängstigte dieser Traum ihr mütterliches Herz, vergebens erinnerte ich sie daran, daß Träume nur Spiele der Phantasie seien.

Friedrich hatte sich einen reichen Schatz von Kenntnissen gesammelt, auch trieb er Musik und zeichnete nicht ohne Talent, ja, er beschäftigte sich mit dichterischen Versuchen und bearbeitete nach der Lectüre von Gumal und Lina einen Theil davon als Schauspiel.

Im Jahre 1806 fand sich Gelegenheit zu seiner weiteren kaufmännischen Ausbildung, indem er als Lehrling in die Fabrik von Rothstein und Lentin nach Erfurt kam. Auch hier erwarb sich unser Sohn durch Fleiß und Treue die Liebe seines Principals. Er hatte sich das Ziel gesetzt, einst Correspondent oder Reisender eines großen Hauses zu werden, nicht ein Krämer, sein Sinn stand nach größeren Verhältnissen.

Friedrich’s häufige Briefe aus jener Zeit athmen stets liebevoll kindlichen Sinn, zu Geburtstagen und Festlichkeiten erfreute er uns mit Geschenken von seinem ersparten Taschengelde, für mich war es meist eine correkte Zeichnung, ein französischer Brief, die Uebersetzung eines Lustspiels, wovon er wußte, daß es mir werth sei. Mit dem Jahre 1809 wurden seine Briefe noch inhaltreicher, er beschrieb die Festlichkeiten, herbeigeführt durch die Zusammenkunft der Kaiser und Könige in Erfurt. Nicht eine Spur gehässiger Empfindung gegen Napoleon klang daraus hervor. Wahrscheinlich hat er ihn damals ebenso bewundert, wie er ihn später haßte. Napoleon heuchelte ja auch eine Sehnsucht nach Frieden und die Beglückung der Welt nach Deutschlands Wiedergeburt. Wäre meines Sohnes unglückseliger Entschluß schon damals gefaßt gewesen, wie viel leichter konnte er ihn in Erfurt ausführen, als später in Schönbrunnen! Zum Beweise dafür theile ich hier einen seiner Briefe mit, es ist der einzige, welchen ich noch besitze. Im Jahre 1809 wurden sämmtliche Briefe von dem französischen Intendanten von Erfurt uns streng abgefordert. In unserer Angst schickten wir sie ein, hoffend, das Leben des geliebten Sohnes dadurch zu retten. Ach, wir ahnten nicht, daß er schon nicht mehr war!

Sein französischer Brief lautet:

Erfurt, 20. März 1809.     

Mit vielem Vergnügen und den aufrichtigsten Gefühlen der Dankbarkeit habe ich Ihren Brief gelesen und das Kästchen, welches Sie die Güte gehabt haben, mir zu schicken, geöffnet. In Wahrheit, ich weiß nicht, wie ich die Empfindungen meines Herzens für Ihre väterlichen Wünsche, wie für Ihre Geschenke aussprechen soll. Nur durch Liebe und Gehorsam werde ich mich beeifern, Ihrer Güte mich werth zu machen. Sie fragen mich, wann ich Sie besuchen darf. Das weiß ich wirklich selbst noch nicht. Zu Ostern schwerlich, denn wir haben viele Geschäfte und noch keinen neuen Gehülfen. Bitten Sie Herrn Rothstein selbst, wenn er nach Leipzig zur Messe fährt. Ich wiederhole meine Danksagungen mit der Versicherung, daß ich nie aufhören werde zu sein

Ihr gehorsamer Sohn
Friedrich Staps.     

Im Anfang August 1809 erfreute uns Fritz durch einen achttägigen Besuch. Es wurde gerade das Kirschfest in Naumburg gefeiert, zum Andenken an den Hussitenkrieg. Fröhlich und unbefangen vergnügte er sich mit Alt und Jung, wie nur irgend ein Jüngling, dem die Welt entgegenlacht. Er hatte sich an Körper und Geist entwickelt, war groß und blühend geworden, sein heiteres und einnehmendes Wesen gewann ihm Aller Herzen. Wie lustig tanzte er auf der Wiese, wie freudig nahm er an allen Festlichkeiten Theil! Hätte wohl Jemand ahnen können, daß ein so düsterer, verhängnißvoller Entschluß in dieser kindlich unbefangenen Seele reifen könne, wie er ihn mit nur zu großer Energie zur Ausführung brachte?

Auch beim Abschiede verrieth er sich mit keiner Miene, er war zärtlich wie immer, doch ohne ungewöhnliche Rührung, ohne daß ein besonderer Ernst auf seinen Zügen lagerte. Es ist das letzte Mal gewesen, daß Vater und Mutter ihren Sohn gesehen haben!

Nach dieser Zeit studirte Fritz mit verdoppeltem Eifer die Zeitungen, er theilte mir Alles mit, was er über den französisch-österreichischen Krieg erfahren konnte. Mit großer Begeisterung schrieb er von den Siegen des Erzherzogs Karl. Der Tagesbefehl desselben nach der Schlacht bei Aspern vom 23. Mai 1809 wurde von ihm abgeschrieben und mir überschickt. Er meldete ja den glänzenden Sieg über Napoleon! Dieser Nachricht fügte er noch Gerüchte hinzu, welche durch die Wünsche der gebeugten Erfurter erzeugt wurden: Rußland und Preußen machen eine Armee gegen die Gallier mobil – Napoleon sei gefährlich verwundet und auf der Flucht etc.

„Was ich höre, theurer Vater,“ schrieb er, „theile ich Ihnen mit, melden auch Sie mir, was Ihnen zu Ohren kommt, trotz der umherschleichenden französischen Polizei, denn wir müssen Alles erfahren. Die Oesterreicher werden ihnen bald das Handwerk legen, ich hoffe mit Sehnsucht darauf.“

Friedrich bat mich stets, seine Briefe zu vernichten. Welcher Psycholog hätte daraus wohl seinen späteren Entschluß errathen können! Mein Sohn war kein Söldling, kriechend und heuchlerisch wie damals so viele Deutsche, aber seines Vaterlandes Geschick ging ihm tief zu Herzen. Schiller war sein Lieblingsschriftsteller; vor Ausführung seiner That soll die Jungfrau von Orleans seine letzte Lectüre gewesen sein.

Fritz hatte zwei treue Freunde in Erfurt; der eine, Zerrenner, Commis in einer dortigen Buchhandlung, ist später in französischer Gefangenschaft am Hungertode gestorben; der andere, Walter, war Commis in einem Tuchgeschäft. Diesem hatte er sich, wie ich später erfuhr, anvertraut. Eines Abends, als sie bei einer Bowle Punsch zusammensitzen, theilt er ihnen mit, daß er die Absicht habe, Napoleon zu ermorden, daß er sein Vaterland von diesem Ungeheuer befreien und sich selbst zum Opfer bringen wolle, denn daß er sterben würde, wisse er. Die Freunde, starr vor Schrecken, drohen ihm, seinen unheilvollen Plan sogleich seinem Vater zu berichten, wenn er ihnen nicht heilig verspräche, sogleich davon abzulassen. Er thut es, weiß sie zu überzeugen, daß es nur ein Scherz gewesen ist, und trinkt mit ihnen in heiterster Laune seinen Punsch, so daß die Freunde nicht anders glauben können, als daß es nur eine flüchtige Idee gewesen sei. Deshalb schweigen sie gegen mich; ich erfahre nichts davon, nichts Näheres darüber, wie Fritz diesen schrecklichen Gedanken fassen konnte und was ihn endlich zur Ausführung trieb. Leidenschaftlich war er nie; Tausende haßten, wie er, Napoleon, ohne sich gegen sein Leben [30] zu verschwören. Was muß es ihn gekostet haben, seinen Plan so tief in seine Brust zu verschließen, daß weder Eltern noch Lehrherr etwas davon merkten, ihn, der bis dahin die Offenheit selbst war! –

Als am 23. September 1809 Herr Rothstein nach Leipzig zur Messe abgereist war, bestellt Fritz sich Wagen und Pferd und nimmt einen Platz nach Naumburg. Am 24. September, nachdem er elf Friedrichsd’or zu sich gesteckt hat, fährt er heimlich bis Ilmenau. Hier verkauft er Wagen und Pferd und geht mit der Post bis Wien. Obwohl es anfing kalt zu werden, hatte er wenig Kleidung und Wäsche mitgenommen. Die Vorstellung mochte ihn dabei leiten, daß Mutter Erde nun bald umsonst ihren Mantel über ihn decken werde. Die Uhr, welche ihm als Geschenk seines Vaters sehr theuer war, hatte er wohl bei sich, um sie im Nothfall zu verkaufen. Nicht eine Ahnung hatten wir Eltern von dieser Reise.

Am 27. September erhielten wir von dem Handlungsdiener der Fabrik Rothstein folgenden Brief aus Erfurt:

„Ein Vorfall, für Sie höchst wichtig, veranlaßt mein heutiges Schreiben. Ihr Sohn Fritz hat uns gestern verlassen, ohne weder die nöthige Erlaubniß erbeten, noch irgend Jemand Erklärung darüber gegeben zu haben. Er ist bis jetzt nicht zurückgekehrt. Aus dem Inhalt eines zurückgelassenen Blattes schließen wir, daß er die Idee hat, Soldat zu werden. Er hat sein Vorhaben in tiefer Stille betrieben, so daß wir ihn nicht daran verhindern konnten. Aeußerungen von ihm, die darauf hindeuteten, hielten wir für mehr muthwillig und scherzhaft als ernst gemeint und konnten sie nur lächerlich machen. In der Hoffnung, bald Kunde von ihm zu erhalten, Ihr etc.“

An Freund Walter hatte er ein Blatt zurückgelassen, des Inhalts: man solle ihn nicht suchen, nur todt auf dem Schlachtfelde würde man ihn wiederfinden.

Den Eindruck dieses Briefes kann nur der begreifen, welcher selbst Vater ist! Von dem Schrecken der Mutter schweige ich.

Nach einer Stunde fuhr sie mit ihrem ältesten Sohne mit Extrapost nach Erfurt. In dem Dorfe Hassenhausen, zwischen Kösen und Auerstädt, lebten uns Verwandte. Dort hielt sie an. Doch ehe sie dem Schwager erzählen konnte, was sie nach Erfurt trieb, übergiebt dieser ihr nachstehenden Brief ihres Sohnes. Fritz hatte ihn an den Onkel adressirt, damit dieser die Eltern vorbereiten solle. Das Original desselben ist nicht mehr in unseren Händen; der französische Intendant zu Erfurt ließ es, nebst allen Briefen Fritzens, durch eigene Staffette abfordern.

Dennoch wurde damals in der Eile Abschrift genommen. Hier ist sie:

„Erfurt, den 20. September 1809.

          Theuerste Eltern!

     Diesen Brief wird Ihnen der gute Onkel in Hassenhausen überreichen, nachdem er Ihnen beigebracht hat, daß Sie mich nie wiedersehen. – Ach, könnte ich Ihnen fühlbar machen, wie schwer es mir wird, Ihnen dieses zu schreiben, und doch muß ich es! Ja, ich muß fort, fort, um zu vollbringen, was Gott mir geheißen hat; was ich ihm fürchterlich heilig gelobt habe, zu vollbringen; fort muß ich, um Tausende vom Tode, vom Verderben zu erretten und dann selbst zu sterben. – Was und wie ich es thue, darf ich Ihnen nicht entdecken. Schon vor einigen Wochen kam ich auf den Gedanken, es zu thun, doch überall fand ich Hindernisse. Als ich zwei Tage darauf bei einer unangenehmen Nachricht Gott bat, mir Mittel zu geben, mein Vorhaben auszuführen, da wurde es mir so hell vor den Augen; mir war, als sähe ich Gott in seiner Majestät, der mit donnerähnlichen Worten zu mir sprach: ‚Gehe hin und thue, was Du Dir vorgenommen hast; ich will Dich leiten und Dir behülflich sein; Du wirst Deinen Zweck erreichen, Dein Leben aber zum Opfer bringen müssen, aber dann bei mir ewig froh und selig sein.‘ Da hob ich meine Hände zu ihm auf und schwor fürchterlich und heilig, ihm zu gehorchen bis in den Tod; ich verlangte hier keine frohe Stunde und dort ewige Verdammniß, wenn ich meinen Schwur brechen würde. Und schon damals hätte ich gehen sollen; aber ich war zu wankelmüthig, bereute oft, was ich geschworen hatte. Doch mein Gewissen wacht jetzt auf und sagt mir: ‚Gehe, eile fort, noch ist Zeit, aber auch die höchste Zeit, darum eile!‘ Es reißt mich fort mit Riesengewalt nach meinem Schicksal hin, dessen Laufbahn bald geendet sein wird. Dann erwartet mich jene Seligkeit, jene ewige Herrlichkeit, die Gott mir verheißen hat! Ja, liebe Eltern, trauern Sie nicht um mich, freuen Sie sich, einen Sohn zu haben, der dieses unvollkommene Leben bald mit einem schöneren vertauscht. Ihnen nur verdanke ich es, Ihren guten Lehren, daß ich standhaft und Gott getreu bin bis in den Tod. Sie lehrten es mich, für das Glück, für das Leben meines Nächsten nicht den Tod zu scheuen. Ja, ich kann ruhig, freudig ihm entgegengehen; wie die Apostel thaten, will ich lächelnd sterben! Dort sehen wir verklärt uns wieder; dort wird nichts uns trennen, unsere Freude stören! Dort finde ich auch die Geliebte wieder, die ich verlassen muß, denn Gott verlangt ein großes Opfer!

So sage ich Ihnen, liebe Eltern, Dir, lieber Vater, und allen Freunden das letzte Lebewohl und meinen Dank für Alles, was Sie von Kindheit an für mich gethan, für die Sorgen und Mühen, die Sie für mich hatten, für die guten Lehren und Alles, was Sie mir gaben.

Zu der Reise, die ich antreten muß, habe ich verschiedenes Nöthige geborgt, auch etwas Geld; ich bitte, dieses Letzte noch für mich zu bezahlen.

So sei denn Gott mit Ihnen, wie er mit mir sein wird, denn mit mächtiger Hand wird er leiten

Ihren bis in den Tod getreuen
Fritz.

Ach, ich kann nicht schließen! Haben Sie nochmals für Alles Dank! Verzeihen Sie mir meine Fehler und das, womit ich Sie beleidigt habe; so auch, daß ich Sie jetzt nicht um Rath fragte. Tausendmal habe ich zu Gott gebetet: ‚Himmlischer Vater, muß es sein, muß ich gehen, wie soll ich’s möglich machen?‘ ‚Du mußt fort!‘ donnerte mir jene Stimme zu, ‚ich begleite, ich führe Dich, was brauchst Du mehr? Sei unverzagt und gehe!‘ Würde ich jetzt noch bleiben, so könnte ich keinem ehrlichen Menschen in’s Gesicht sehen, ohne als ein Meineidiger zu erröthen. Ein kalter fürchterlicher Schauer würde mich überfallen, wenn ich an jenes Leben dächte, wo dann nur Qualen meiner warteten. So denke ich jetzt mit Freude daran, denn ich weiß, Gott wird mich aufnehmen in seine Herrlichkeit.

Am Sonntag besuchte ich die Kirche, es wurde vom Sterben gepredigt. Dieses hat mich nun ganz standhaft gemacht. Ich fühle die letzten Worte der Predigt in ihrem ganzen Umfange, sie heißen: ‚Erhaben über Staub, unsterblich ist des Menschen Geist!‘“ –

Die bange Mutter setzte die Reise nach Erfurt fort.

Der Brief gab kein volles Licht über Friedrich’s eigentliches Vorhaben; nur die nächsten Freunde erriethen, daß Wien sein Ziel sei. Man rüstete schnell einen verständigen Mann mit allem Nöthigen aus und schickte ihn Friedrich nach mit der Weisung, diesen aufzuhalten, wo er ihn fände, nötigenfalls durch obrigkeitliche Gewalt. Dieser Mann, statt schnell und mit Energie den Auftrag auszuführen, geht erst nach Leipzig, reist in Sachsen herum, erkundigt sich auf allen Cantonnirungen, umsonst! Nach Oesterreich wagt er sich nicht. So geht die rettende Zeit verloren. Ich ließ in alle Zeitungen Aufrufe ergehen, mit der Bitte, den Sohn anzuhalten, ihn mit allem Nöthigen zu versehen, vor Allem aber seinen Eltern schleunigst Nachricht zu geben. Umsonst!

Statt dessen verbreiteten sich verwirrte böswillige Gerüchte: unser Sohn sei gefallen, sei todt, habe die Casse bestohlen etc. – Die Angelegenheit wurde ernsthafter. Von München und Weimar kamen. Nachfragen an das Naumburger Gericht: Wer die Eltern von F. Staps seien? Wie ihr Charakter sei? Ob sie Vermögen besäßen? Wie alt sie seien? Ich mußte zwei solcher Verhöre aushalten, ohne daß man mich fragte: Warum? Dann wurden die Briefe abgefordert. Wir ahnten nun das Schlimmste. Da es unendlich peinlich für uns war, über das Schicksal des Sohnes nichts erfahren zu können, entschloß ich mich, an Duroc zu schreiben; es erfolgte keine Antwort. Ich bat einen andern hochgestellten Mann schriftlich dringend um Auskunft. Es kam die Weisung: man möge ihn nie wieder mit Anfragen in dieser Angelegenheit behelligen. Nur ein Brief aus Hamburg sprach deutlich vom Tode unseres Sohnes. Es hieß zum Schluß: „Nun ist wieder ein Deutscher weniger!“ Dieser Brief war an einen Bekannten adressirt, mit der Bitte, ihn uns mitzutheilen. Der Bekannte überlieferte ihn einem andern Bekannten, dieser erst überschickte ihn an uns durch die dritte Hand. Nur mit Mühe ließ sich ein Kaufmann aus Leipzig erbitten, einige offene Zeilen mit der Frage: Ist Friedrich Staps todt oder transportirt? in einen Brief nach Wien [31] einzuschließen. Unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit erhielten wir endlich mündlich (nie erfuhren wir auf welchem Wege) die niederschlagende Nachricht: Er ist erschossen worden. Ein Kaufmann aus Wien, den wir dringend um Auskunft über unseren Sohn baten, entschuldigte sich mit Krankheit, er könne selbst nicht schreiben. In einigen Zeilen von der Hand seiner Frau hieß es: das traurige Loos des Erschießens habe allerdings einen jungen Mann aus Erfurt getroffen, doch sein Name sei unbekannt. Ich wandte mich an den Gesandten v. Bourgoing in Dresden, mit inständiger Bitte um ein Attest über den Tod meines Sohnes. Der Gesandte versprach es mir, hat aber nicht Wort gehalten. Ich richtete ein Gesuch an den damaligen sächsischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Nach langem Warten erhielt ich den Bescheid: es sei am rathsamsten für beide Theile, die Sache ganz ruhen zu lassen, da man nicht gerne davon spräche. So groß war damals die Furcht, und nicht ohne Grund, vor Napoleon dem Ersten und seiner Rache!

Wir wurden in dieser Periode von Bekannten und Freunden geflohen, als sei unsere Wohnung ein Pesthaus. Unsere Lage war so schlimm, daß wir nicht einmal unserem Schmerz uns hingeben konnten, sondern nur auf unsere eigene Sicherheit bedacht sein mußten. Meine Frau hielt immer das Nöthigste gepackt, für den Fall, daß unvermuthet ein neues Gewitter über unseren Häuptern zusammenschlagen solle. Ja, Arzt und Beichtvater stellten uns Zeugnisse aus, daß in unserer Familie bisweilen Anfälle von Geisteszerrüttung und Tollheit vorkämen. Wir wagten nicht um den Sohn zu trauern; dem Bruder wurde es auf das Bestimmteste untersagt; und dies nicht von Franzosen – es waren die damals so ängstlichen, furchtsamen Deutschen!

[42] Sobald der französische Intendant in Erfurt, Vismes, von der Affaire Nachricht erhalten hatte, war auf alle Sachen meines Sohnes Beschlag gelegt worden, Lehrherren und Bekannte vor Gericht gefordert. Die Freunde Walter und Zerrenner wurden besonders scharf inquirirt, befragt, ob sie Geistesverwirrung an Fritz bemerkt hätten? Um ihn zu retten, bejahten sie es, ohne daran zu glauben.

Herrn Rothstein wurden die Fragen vorgelegt: Ob sie einen Sieur Staps kennten? Ob er sich viel mit Politik beschäftigt, Haß gegen Napoleon gezeigt habe? Mit welchen Personen er umgegangen sei? Ob er eine Liebschaft gehabt? Ob er Paß und Reisegeld gehabt? Ob er überspannte Ideen geäußert? etc. –

Zerrenner benachrichtigte uns, daß die Post in Erfurt Befehl habe, alle Briefe an die Eltern des Staps der französischen Polizei zu übergeben; durch ihn hatten wir auch zuerst erfahren, daß Friedrich in Wien arretirt sei, man hoffe aber, daß ihm das Leben geschenkt würde. Welch schwärmerische Liebe dieser Zerrenner für meinen Sohn empfand, beweist ein Stammbuchsblatt; es war ihm um keinen Preis feil, denn Friedrich hatte einige Zeilen darauf geschrieben.

Er selbst hatte hinzugefügt:

Himmlischer, göttlicher Jüngling!
Du, der Unschuld Blüthe und Kraft,
Du, der Eltern Freude und Wonne!
Warum strebte Dein Geist zu höheren Thaten,
Als die menschliche Kraft zu tragen im Stande?
Warum folgtest Du nicht,
Als Du den schrecklichen Plan
Theueren Freunden vertrautest,
Und sie mit freundlichem Wort
Dich zurückzogen vom Abgrund?!
Warum eiltest Du dennoch
Sie so schmerzlich zu täuschen?
Heimlich gingst Du dahin
ohn’ alles zum Unterhalt Nöthige,
Vergaßest Eltern, Freunde und – Dein Glück!
Dachtest nicht daran, obwohl Dir’s wohlbewußt,
Welchen Kummer, Schmerz, Angst Du ihnen bereitest.
Und Dein Plan – ach, er scheiterte im Nu,
Und Du warst unglücklich!
Deutscher, der Du dies liesest,
Weihe dem edeln Jüngling eine Thräne!
Ach, er sank dahin im edelsten Streben,
Nur des Vaterlandes Schmerz hatte sein Glück zerstört!

Im Jahre 1810 bekam ich einen Brief aus Dresden des Inhalts, der Kaiser Napoleon habe befohlen, den Eltern des Friedrich Staps eine Unterstützung zukommen zu lassen; wir möchten uns deshalb an Duroc wenden. Ich that es, ich bat nicht um Geld, nur um ein beglaubigtes Attest über den Tod meines Sohnes. Auch hier erfolgte keine Antwort. Die Sache soll sich jedoch folgendermaßen verhalten haben. Als Bonaparte nach geschlossenem Frieden 1809 über München nach Paris zurückkehrte, soll er gegen den König von Baiern geäußert haben, er sei gesonnen, dem Vater des Staps ein Geschenk zu geben, und er frug den König von Baiern, ob er nicht Jemand wisse, durch dessen Hand dieses gehen könne. Der König schlug den Schreiber des Briefes vor. Bonaparte sagte, Duroc solle Alles vermitteln. Der König von Baiern theilte dies dem Schreiber des Briefes mit, welcher in Folge dessen an mich schrieb. Duroc war jedoch schon, dem König unbewußt, nach Paris abgereist, und Napoleon folgte ihm denselben Abend. So wurde Napoleon’s Absicht vergessen. Aber der arme Jüngling mußte doch einen Stachel in dem Gewissen des Welteroberers zurückgelassen haben!

Darüber war uns nun Gewißheit geworden: Friedrich war in Schönbrunn erschossen. – Er hatte sein Versprechen erfüllt: „Lächelnd will ich dem Tode entgegengehen.“ Doch noch immer wußten wir nichts Bestimmtes über seine letzten Stunden.

So war das Jahr 1813 genaht. Nach der Schlacht bei Lützen brachte man viele Verwundete, besonders Russen und Preußen, nach Naumburg. Sie wurden theils bei den Einwohnern einquartiert, theils, da es an Raum fehlte, in den Kirchen untergebracht. Auch die St. Othmarskirche wurde Lazareth. Ich nahm mich der Leidenden thätig an; oft hielt ich Betstunde in der Kirche, und that alles, was in meinen Kräften stand, das unsagbare Elend zu lindern. Unter den schwer Leidenden erregte ein junger Mann aus Berlin meine besondere Theilnahme. Ich brachte ihn in eine Familie, wo er wie ein Kind des Hauses gepflegt wurde. Sein Vater, welcher ihn oft besuchte, brachte uns eine Nummer des russisch-deutschen Volksblattes mit (herausgegeben von Kotzebue, Nr. 26. Berlin, den 19. Mai 1813). Wir fanden darin die erste gedruckte Nachricht über unsern Sohn und zwar in einem Artikel, den das Blatt unter dem Titel: „Ein moderner Brutus“ brachte und den ich hier wörtlich mittheile. Er lautete:

Schon oft hat man sich folgende Geschichte – von Friedrich Staps, eines Predigers Sohn aus Naumburg — hie und da in die Ohren gezischelt, sie ist jedoch nie recht laut geworden, viel weniger erinnern wir uns, sie gedruckt gelesen zu haben. Wir liefern sie hier aus authentischen Quellen. Man beurtheile sie, wie man wolle, so wird doch Niemand leugnen können, daß der Name des Jünglings, der die Hauptrolle darin spielt, der Nachwelt aufbehalten zu werden verdient, und der Einsender hat wohl Recht, vorauszusetzen, daß den Eltern die öffentliche Meinung nicht unangenehm sein kann, da bei vielen die herzlichste Theilnahme, bei Allen aufrichtiges Mitleid dadurch erweckt wird, Empfindungen, die den Unglücklichen stets wohl thun.

Als Napoleon in dem Kriege von 1809 das Schloß Schönbrunn unweit Wien bewohnte und in dem geräumigen Vorhof fast täglich seine Truppen musterte, drängte sich einst an einem Freitage ein junger Mensch mit auffallender Geflissenheit nahe an ihn heran. Wenn auf der einen Seite der General Rapp den Jüngling zurückwies und auf dessen Vorgeben, daß er dem Kaiser eine Bittschrift übergeben wolle, ihn bedeutete, daß hier der Ort nicht dazu sei, so zeigte er sich sogleich wieder auf der andern Seite. Alle Zurückweisungen halfen nichts. Man schöpfte endlich Verdacht. General Rapp ließ den Zudringlichen verhaften, in die Wachstube führen und durchsuchen. Außer einigen unbedeutenden Papieren und dem Bilde eines Frauenzimmers fand man – auch einen Dolch bei ihm.

Der Vorfall schien so wichtig, daß er dem Kaiser berichtet werden mußte. General Rapp erhielt den Auftrag, den Gefangenen zu verhören. Aber der Jüngling erklärte sehr bestimmt, daß er Niemandem Rede und Antwort geben werde als dem Kaiser selbst. Napoleon ließ ihn vor sich führen, umgeben von seinen Generalen und den Großen des Hofs. Der Gefangene maß den Kaiser vom Scheitel bis zur Sohle und sagte dann mit der kältesten Unerschrockenheit, daß er ihn habe umbringen wollen; daß er schon einmal in dieser Absicht mit einem Stockdegen zur Parade gekommen sei und daß er ihn ein anderes Mal auf der Treppe erwartet habe, die er gewöhnlich hinabzusteigen pflege. Indessen habe diese Waffe ihm unbequem geschienen und er sich deshalb jetzt mit einem Dolche versehen. Zufälliger Weise sei der Kaiser gerade an diesem Tage auf der andern Seite der Treppe herabgestiegen. Er habe deshalb seinen Vorsatz nicht ausführen können und sich unter das Volk gemischt, wo er entdeckt und verhaftet worden sei.

Man that noch andere Fragen an den Gefangenen, die er mit einer Dreistigkeit beantwortete, über welche die Zuhörer nicht blos erstaunten, sondern auch in Verlegenheit geriethen. Auf des Kaisers Frage, warum er ihm nach dem Leben getrachtet habe, antwortete er ihm: weil er ihn für eine Geißel der Menschheit halte.

Auf die Frage, ob er schon früher diesen Vorsatz gefaßt habe, antwortete er: „Nein, denn lange hielt ich Sie für einen großen Mann, der das Glück der Menschheit beabsichtige. Jetzt aber bin ich überzeugt, daß Sie ein gemeiner Mensch sind, daß Sie aus Selbstsucht, Ehrgeiz, Raubsucht nur Krieg und immer Krieg suchen, und darum habe ich die Welt von einem solchen Ungeheuer befreien wollen.“

Man gab ihm zu bedenken, welches Schicksal nach solchen Aeußerungen seiner warte. Man suchte auch seine Zärtlichkeit für den geliebten Gegenstand, dessen Bild er bei sich trug, rege zu machen; aber sein Muth blieb unerschütterlich, und er antwortete gelassen: „Den Tod fürchte ich nicht; vielmehr habe ich erwartet, [43] niedergehauen zu werden. Allerdings wird meine Geliebte sich um mich grämen; doch wenn sie erfährt, mit welcher Standhaftigkeit ich gestorben bin, so wird sie sich wiederum zufrieden geben.“

Napoleon ließ ihn Gnade hoffen und fragte, was er thun werde, wenn ihm das Leben geschenkt sei.

Er antwortete: „Dann werde ich Alles anwenden, um mein Vorhaben in Zukunft auszuführen.“

Diese Antwort setzte den Kaiser in sichtliche Verlegenheit, indem er nicht wußte, wie er sich benehmen solle. Auf einmal faßte er sich und fragte, ob er die Geschichte des Brutus kenne, ob vielleicht diese ihn in eine solche Ueberspannung versetzt hätte.

Allein der Gefangene war in der Geschichte des Alterthums nicht bewandert.

Napoleon fragte hierauf, was er zuletzt gelesen.

„Schiller’s Werke,“ war die Antwort.

„Ob er jemals krank gewesen sei?“

„Ich habe mich jederzeit wohl befunden,“ erwiderte der Gefangene, „sowie mir auch jetzt nicht das Mindeste fehlt.“

Der Leibarzt erhielt den Befehl, dem Jüngling den Puls zu fühlen; er ging ruhig und regelmäßig. – –

So weit die Nachricht des russisch-deutschen Volksblattes. Später ist mir von glaubwürdigen Personen versichert worden: Der Kaiser hätte einigemal seinen Adjutanten zu dem Gefangenen geschickt, mit der Frage: ob er den Kaiser nicht lieben wolle! – Dann sollte ihm das Leben geschenkt werden. Er ist aber bei seinem Entschlusse fest geblieben. –

Unter den vielen Berichten, welche wir später kennen lernten, führe ich nur den des General Rapp an, als den authentischsten, weil er unter der Umgebung Napoleon’s derjenige war, der am besten Deutsch verstand. Er bestand in folgender Mittheilung:

Die Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Oesterreich rückten nur langsam vorwärts. Deutschland litt sehr darunter, deshalb beschloß ein junger Deutscher, entbrannt von Vaterlandsliebe, die Ursache dieses Leidens, Napoleon, aus dem Wege zu räumen. Am 23. October 1809 kam er nach Schönbrunn zur Parade. Ich hatte an dem Tage Dienst. Napoleon stand zwischen mir und Berthier. Der junge Staps trat an den Kaiser heran. Berthier, in der Meinung, er wolle eine Bittschrift überreichen, weist ihn an mich; er antwortet jedoch, er habe mit Napoleon selbst zu sprechen. Nochmals wird er an mich gewiesen, doch entfernt er sich mit der wiederholten Aeußerung, Napoleon selbst sprechen zu müssen.

Er nähert sich diesem; ich trete ihm entgegen, indem ich ihm in deutscher Sprache zu verstehen gebe, er müsse sich entfernen; der Kaiser sei erst nach der Parade zu sprechen. Er hatte eine Hand unter dem Ueberrock, in der andern ein Papier, wovon ein Stück hervorragte. Da mir sein entschlossenes Wesen verdächtig schien, ließ ich ihn durch einen Gensd’armen verhaften. Da die Aufmerksamkeit auf die Parade gerichtet ist, wird dieser Zwischenfall nicht bemerkt. Doch bald meldet man mir, man habe bei Staps ein langes Küchenmesser vorgefunden. Ich erzählte es Duroc. Wir begaben uns zu Staps, welchen wir auf seinem Bette sitzend fanden. Neben ihm lag das Bild einer jungen Dame und eine Börse mit einigen Goldstücken. Ich frage ihn, wie er heiße.

„Das kann ich nur Napoleon sagen.“

„Was wollten Sie mit dem Messer thun?“

„Das kann ich nur Napoleon sagen.“

„Gedachten Sie sein Leben anzutasten?“

„Ja, mein Herr.“

„Und weshalb?“

„Das kann ich nur Napoleon sagen!“

Ich theilte Napoleon das Ereigniß mit, und dieser befahl, den Jüngling in sein Cabinet zu führen. Napoleon stand zwischen Bernadotte, Berthier, Savary und Duroc. Staps wurde von zwei Gensd’armen, die Hände auf den Rücken gebunden, hereingeführt. Er war ruhig, Napoleon’s Gegenwart machte auf ihn nicht den geringsten Eindruck; er grüßte mit Ehrerbietigkeit.

Der Kaiser fragte ihn, ob er Französisch spreche.

„Nein,“ versicherte er.

Napoleon befahl mir, folgende Fragen an ihn zu richten:

„Woher sind Sie?“

„Aus Naumburg an der Saale.“

„Wer ist Ihr Vater?“

„Ein evangelischer Geistlicher.“

„Wie alt sind Sie?“

„Achtzehn Jahre.“

„Was hatten Sie mit diesem Messer vor?“

„Ich wollte Sie damit tödten.“

„Sie sind wahnsinnig; – ein Illuminat!“

„Ich bin nicht wahnsinnig; ich weiß nicht, was ein Illuminat ist.“

„Sind Sie krank?“

„Nein, ich bin ganz gesund.“

„Weshalb wollten Sie mich tödten?“

„Weil Sie mein Vaterland unglücklich machen.“

„Sind Sie auch unglücklich geworden?“

„Gleich allen Deutschen.“

„Wer hat Sie zu diesem Verbrechen aufgereizt?“

„Niemand, meine Ueberzeugung gab mir die Waffe in die Hand. Sie sagte mir, daß ich meinem Vaterlande, daß ich Europa diesen Dienst leisten müsse.“

„Sahen Sie mich zum ersten Male?“

„Nein, ich habe Sie schon beim Congreß in Erfurt gesehen.“

„Hatten Sie schon damals die Absicht, mich zu tödten?“

„Nein, ich bewunderte Sie damals, ich glaubte, Sie würden Deutschland den Frieden geben.“

„Wie lange sind Sie in Wien?“

„Zehn Tage.“

„Weshalb haben Sie die Ausführung Ihres Planes so lange aufgeschoben?“

„Ich kam vor acht Tagen nach Schönbrunn, als die Parade fast zu Ende war, deshalb verschob ich die Ausführung bis heute.“

„Sie müssen krank oder wahnsinnig sein.“

„Keins von Beidem.“

Napoleon ließ nun Corvisart rufen; Staps fragte: „wer ist Corvisart?“

„Ein Arzt.“

„Den brauche ich nicht.“

Wir schwiegen bis zu dessen Ankunft. Napoleon befahl ihm, den Puls des jungen Mannes zu untersuchen.

„Nicht wahr, mein Herr, ich bin gesund?“

Corvisart wandte sich zu Napoleon: „Er ist vollkommen gesund,“ worauf Staps mit einer Art Freude ausrief:

„Sehen Sie, hab’ ich’s nicht vorher gesagt?“

Diese Ruhe machte Napoleon verlegen, doch setzte er das Verhör fort.

„Sie sind ein Hitzkopf und richten die Ihrigen zu Grunde. Ich will Ihnen das Leben schenken, wenn Sie Ihr Verbrechen bereuen und um Gnade bitten.“

„Ich will keine Gnade, und bereue Nichts, als daß mein Vorhaben mißlungen ist.“

„Teufel, ein Verbrechen scheint Ihnen etwas Leichtes!“

„Es ist kein Verbrechen, Sie zu tödten, es ist eine Pflicht.“

„Wessen Bildniß ist es, das man bei Ihnen gefunden?“

„Das Bild meiner Geliebten.“

„Wird Ihr Unternehmen sie nicht unglücklich machen?“

„Nur sein Mißlingen. Sie haßt Sie ebenso sehr wie ich.“

„Würden Sie mir dankbar sein, wenn ich Sie begnadige?“

„Nein, ich würde Sie dennoch zu tödten suchen.“ – –

Napoleon war entsetzt, und ließ ihn hinwegführen, Er sprach viel über diesen Vorfall, besonders über die Illuminaten. Gegen Abend ließ er mich rufen und sagte zu mir:

„Wissen Sie, lieber Rapp, der Eindruck dieses Ereignisses ist außerordentlich. Dies sind Umtriebe aus Berlin und Weimar.“

Ich widersprach seinem Argwohn.

„Die Weiber sind zu Allem fähig!“

„An beiden Höfen würden weder Männer noch Frauen ein solch abscheuliches Vorhaben billigen.“

„Denken Sie nur an Schill!“

„Was hat diese Sache mit dem Verbrechen gemeint?“

„Sie haben gut reden, mein Herr General, man liebt mich weder in Berlin noch in Weimar.“

„Muß man Sie deshalb tödten wollen?“

Auf Napoleon’s Befehl mußte ich dem General Lauer den Auftrag geben, Staps nochmals zu verhören. Er beharrte darauf, ohne fremden Einfluß, aus eigenem Entschluß zu dem Verbrechen getrieben zu sein.

Am 27. October wollten wir von Schönbrunn abreisen. Napoleon stand um fünf Uhr Morgens auf, und ließ mich rufen. [44] Die Garden marschirten, auf ihrem Rückzuge nach Frankreich begriffen, an uns vorüber. Als wir allein waren, sprach Napoleon wieder von Staps: „Es ist unerhört, daß ein so junger Mensch von seiner Bildung, ein Deutscher, ein Protestant, solch ein Verbrechen habe begehen wollen! Benachrichtigen Sie mich, wie er gestorben ist.“

Ich befragte den General Lauer über Staps’ Tod, er sagte mir, die Hinrichtung sei am 27. October um sieben Uhr Morgens vor sich gegangen. Staps hätte seit dem Vierundzwanzigsten Nichts genossen. Als man ihm zu essen anbot, habe er geantwortet, er habe Kraft genug, um in den Tod zu gehen. Bei der Nachricht, daß Friede geschlossen sei, bebte er zusammen. Seine letzten Worte waren: „Es lebe die Freiheit, es lebe Deutschland. Tod den Tyrannen!“ –

Ich theilte dies Napoleon mit, und er trug mir auf, das Messer an mich zu nehmen; ich besitze es noch.


„Das ist Alles,“ schließt der Vater seinen Bericht, „was ich über mein Kind erfahren konnte. Weder die Stätte, wo er erschossen wurde und den letzten Athemzug aushauchte, noch das kleine Stückchen Erde, worin man die sterbliche Hülle des Armen einscharrte, ist mir bekannt geworden; alle meine Nachforschungen sind vergebens geblieben und ich werde, was mein Herz so heiß zu wissen wünscht, wohl auch niemals erfahren.“