Ein Parvenü der Presse
Es giebt einen Mann in Frankreich, dem schönen Lande der Troubadours und Parvenü’s, der Sänger und der Abenteurer, der war vor dreißig Jahren gar Nichts. Heut’ aber ist er Viel, heut’ ist er eine Größe und ein Mann von Ruf und Namen, ein Parvenü, der sich in’s Fäustchen lacht. Dies ist Herr Emil von Girardin, der erste und große Emporkömmling der Zeitungsschreiberei. Otons le chapeau!
Es war just Julirevolution, 1830; Louis Philipp bestieg den Thron, die bourbonische Lilie verschwand und eine neue Morgenröthe brach an, der nichts fehlte, nicht einmal der Hahn – auf den Casquets der Soldaten. Da tritt ein Mensch auf, einige zwanzig Jahre alt, der seinen Vater anklagt, weil dieser ihm nicht seinen Namen zu tragen gestattet. Der alte, vom bösen Gewissen geplagte Papa, ein Herr von Girardin, wüthet; sein Sohn lacht ihn aus und meint, daß er als ein Kind der Liebe gerade soviel werth sei, als ein Kind der Ehe, ja vielleicht noch mehr, und daß er unstreitig das Recht besitze, den Namen desjenigen zu tragen, der ihn gezeugt habe. Das Gericht gab dem Sohne auch Recht; denn es kommt in Frankreich gar nicht auf den Namen an, und der Sohn des alten Herrn von Girardin hätte sich ohne Hindernisse Graf Coquin oder Marquis de Pelisson nennen können, da der Adel in Frankreich ohne Werth ist, nämlich so lange, bis er, wie jetzt von dem Herrn Frankreichs geschieht, einen Werth erhalten soll, indem man die Emporkömmlinge für legitim erklärt. Genug, der junge Mann, der damit auftrat, daß er seinen eigenen Vater des Namens wegen verklagte, war der Herr Emil von Girardin, dessen Name damit eine der Illustrationen der chronique scandaleuse geworden war.
Herr Emil von Girardin war nun mit einem Male eine bekannte Gestalt; das war der erste Erfolg, den er erringen wollte. Aber ein Mann wie er begnügte sich mit diesem Erfolge nicht; er wollte etwas Großes werden, denn er besaß namenlosen Ehrgeiz; er wollte Macht, Reichthum und Einfluß erreichen, denn er hatte dazu einen zähen und bedeutenden Geist, Witz und Bosheit. Aber wie sollte ein Mensch, wie er es war, der sich in die bessere Gesellschaft förmlich hineingedrängt hatte und dessen Vermögen nicht gar bedeutend war – wie sollte er ermöglichen, wozu Andere außer ihrem Witz und Geist noch Gönner, Protection und Verdienste haben müssen? – Herr von Girardin war aber kein Mann, der sich abschrecken ließ. Er sah sich zuerst die Welt an, in der er stand, und beobachtete, daß die Gesellschaft einem Milbenhaufen gleiche, wo Einer über den Anderen fortkriecht; ein Gomorrha, wo Seine Majestät das Geld allein regiere und dem Volke mit glühendem Eisen das Herz ausbrenne. Diese Gesellschaft mit allem Jammer und Elend, welches die gepriesene Civilisation hervorgerufen hatte, erschien seinem Geiste wie eine Courtisane, die dem am innigsten anhängt, der sie schlägt und verhöhnt.
Girardin sagte sich nun, daß diese Gesellschaft, die keine Moral und keine Tugend hat, mit aller ihrer Raffinerie doch eigentlich einem Dummkopf gleiche, den man gut gebrauchen muß, und daß man von ihr Alles erwarten könne, wenn man ihr die eigene Fäulniß unter die Nase halte. Speculation war ihre einzige Religion; Moral und Gesinnung fand sie sehr schön, aber langweilig. Um durch sie Etwas zu werden, mußte man sie als Leiter benutzen und ihre Gebrechen verherrlichen, um damit in die Höhe zu kommen. Das war freilich nicht moralisch; aber man braucht heutzutage nicht mehr moralisch zu sein, wenn man nur klug ist.
Nachdem Girardin nun seinen Namen durch den scandalösen Proceß bekannt gemacht hatte, fand er, daß er einen kühnen Wurf thun müsse, um eine respectable Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, die sich Alles gefallen läßt, wenn man nur ihren Gebräuchen schmeichelt und den Schein rettet. Eine Heirath war das beste Mittel, diesen Zweck zu erreichen. Aber der Teufel! Girardin wußte auch, daß er mit seiner Heirath Aufsehen machen müsse, da das Aufsehen bei der Gesellschaft das Verdienst ersetzt. Diese Heirathsspeculation Girardin’s war um so verlockender, als er seine Augen auf die Tochter der bekannten Schriftstellerin Sophie Gay geworfen, die damals bereits den Ruhm ihrer Mutter überflügelt hatte und durch ihre reizenden Poesien von den galanten Dichtern Frankreichs zur „zehnten Muse“ gekrönt worden war. Delphine Gay zu besitzen, das hieß also zugleich eine berühmte, gefeierte und geliebte Schönheit erwerben, deren Verdienst natürlich ihrem Gatten eine wichtige Bedeutung geben mußte. Aber Emil von Girardin war häßlich; sein Adel sehr zweifelhaft und berüchtigt; sein Vermögen, von dem er bisher gelebt hatte, nicht sehr verlockend; außerdem war die junge Delphine, die Muse Frankreichs, von reichen und berühmten Anbetern umringt. Alles dies hätte einen Anderen entmuthigt. Doch Girardin im Gegentheil fand darin höheren Reiz; er stellte sich Delphine vor, nachdem diese ihre Anbeter und darunter den Herrn de la Grange verabschiedet hatte. Die Mutter und die Tochter waren Herrn von Girardin nicht abgeneigt, und die junge Delphine antwortete auf alle Vorstellungen, welche man ihr hinsichtlich des Rufes und der Geburt Girardin’s machte:
„Was thut’s? das ist ein Mann von festem Willen und energischem Charakter, der sich Vermögen zu erwerben wissen wird.“
So führte denn Girardin die Braut 1831 heim, und um dem Aufsehen, welches diese Heirath machte, noch mehr Nahrung zu geben, kaufte der glückliche Ehemann ein prächtiges Hôtel in der Rue St. Georges, was ihn, da er kein großes Vermögen besaß, in Schulden stürzte, die seinen Credit nicht minder erhöhten. Von diesem Tage an sagte man, daß Delphine, die Dichterin, nur einen Fehler habe, nämlich ihren Gemahl. – In den Flitterwochen machte der alte Herr von Girardin seinem speculativen Sohne eine Visite; er sah die fürstliche Pracht seines Hôtels, schnitt ein fürchterliches Gesicht und sagte:
„Wird ’mal in einer Dachstube wohnen!“
Der alte, etwas bramarbasirende Papa Girardin kannte seinen Sohn nicht im Geringsten.
Als Emil von Girardin nun Namen, Stellung, eine berühmte Frau und Schulden erworben hatte, triumphirte er und blickte höhnisch auf die Gesellschaft herab, die ihn einst nicht einmal anerkennen wollte. Doch es handelte sich nun, weiter zu kommen, und auch Einfluß und Ehren zu erwerben. Da man Beides aber vermöge des Geldes erreichen kann, so sann Girardin auf eine Speculation, die ihm Alles auf einmal verschaffen könnte. Es war nicht schwer, unter den damaligen Zuständen Frankreichs, zu finden, daß ein Journal, die Presse überhaupt und eine ganz originelle Taktik darin, den Schlüssel zu allen Erfolgen bilde, die eine so ehrgeizige Natur wie Girardin erringen wollte.
In Folge dessen gründete Emil von Girardin 1836 ein neues Zeitungsblatt, „La Presse.“ Seiner Taktik getreu, suchte er gegen alle bestehenden Journale und gegen die allgemein geltenden Sitten Opposition zu machen. Nicht allein, daß er also sein Journal für 40 Francs jährlich ausbot, wodurch die anderen Zeitungen, die 80 Francs kosteten, in ihrer Existenz bedroht waren; sondern er gründete auch das seitdem eingebürgerte Feuilleton, und machte, da ihm die Leser zu Tausenden zuströmten, aus seiner „Presse“ die Leiter, auf welcher er Stufe zu Stufe erklomm. Auch war er ferne davon, seinem Blatte eine bestimmte politische Farbe zu geben; heute griff er die Regierung an und morgen lobte er sie; er war immer nur bedacht, Aufsehen durch seine Artikel zu erregen, kümmerte sich nicht um die öffentliche Meinung und, wenn er sich auch damit keinen Ruhm erwarb, und am allerwenigsten Ehre, so gewann er deshalb doch eine großartige Abonnentenzahl von mehr als 40,000, die er sich auch immer zu erhalten wußte. Der bessere Theil der Presse erklärte sich natürlich gegen diese gesinnungslose Charlatanerie Girardin’s, welche die Demoralisation der Gesellschaft auf’s Schmählichste ausbeutete. Aber der Redacteur der Presse war über diese Empörung nicht ungehalten; im Gegentheil, er schlug mit seiner Pritsche immer mehr unter den Geistern edlerer und männlicher Gesinnungen umher und zeigte immer entschiedener, daß er sein Journal nur als Mittel für seine persönlichen Zwecke gegründet habe, nicht für die einer Partei. Armand Carrel, der stolze Geist des „National“, der die Fahne des edleren Republikanismus aufgepflanzt hatte und sie mit heroischem Muth vertheidigte, war der Einzige, welcher Girardin vernichten konnte; denn die Gewalt einer edlen, mit Energie begabten Gesinnung ist unwiderstehlich. Girardin ahnte, was Carrel für eine Nemesis für ihn werden könnte, und rief ihn, als er nicht mehr mit der Feder ihm gewachsen war, zum Zweikampfe heraus, in welchem, von Allen betrauert, der Redacteur [386] des National blieb. Girardin aber, der ruhmlose Sieger, weidete sich an den Flüchen und den Verwünschungen, die jeder redliche Mann, ja ganz Frankreich gegen ihn ausstießen; er trotzte ihnen unerschütterlich mit seiner scharfen Feder, und als sich endlich der Sturm legte, den er hervorgerufen hatte, – ließ er sich zum Deputirten der französischen Nation erwählen. So bildete er im wahren Sinne des Wortes eine geißelnde Satire auf die gesinnungs- und morallose Gesellschaft, die zugleich verachten und fürchten, heute hassen und morgen verherrlichen kann.
Emil von Girardin, der durch sein Journal reich geworden und durch seine gefürchtete Polemik zu Einfluß gekommen war, hatte für seinen Ehrgeiz indessen noch ein weit höheres Ziel gesteckt. Er wollte Minister werden. Am 24. Februar 1848 gab er Louis Philipp den Rath abzudanken und die Herzogin von Orleans zur Regentin zu ernennen; er war sicher, alsdann von der ihn begünstigenden Frau ein Portefeuille zu erhalten. Aber in dieser Hinsicht verrechnete sich Girardin jedes Mal und am 24. Februar ebenfalls; als er nach seiner Ministerernennung lief, war es bereits zu spät, und die Republik, die seine glänzende Hoffnung zerstört hatte, mußte es dafür schwer entgelten. Er griff sie an und setzte sie durch seine Artikel dermaßen in Aufruhr, daß Cavaignac den mißvergnügten Deputirten der Nationalversammlung einsperren ließ.[1] Dies verhinderte ihn jedoch nicht, 1850, als sich wieder Aussichten für eine Ministerschaft eröffneten, der Führer der rothen Republikanerpartei zu werden; denn Girardin wäre auch gern Mitglied einer Directorialregierung geworden. Als Louis Napoleon dem ehrgeizigen Girardin 1851 Aussichten auf ein Portefeuille eröffnete, verleugnete dieser sofort allen Republikanismus und schwärmte für Bonaparte; als er sich nach dem Staatsstreiche des December wiederum betrogen sah, schnaubte er vor Grimm und griff Louis Bonaparte auf’s Heftigste an. Wohl drei Monate lang nach dem 10. December 1851 setzte er tagtäglich an die Spitze seines Blattes irgend einen Artikel der abgeschafften republikanischen Verfassung; z. B.: „Artikel 10. der Verfassung von 1848 sagt: der Präsident der Republik wird auf drei Jahre erwählt. Nach diesem Zeitraume muß er abtreten. Jedes Attentat gegen die Republik wird mit dem Tode bestraft.“ – Man kann sich denken, wie gefährlich Louis Napoleon diese Citate einer von ihm beseitigten Verfassung, denen weiter nichts beigefügt war, erschienen, und wie sehr sie andererseits wieder Girardin’s Einfluß bei den Volksmassen erhöhten. Trotz alledem sah man den Parvenü der Presse ein Jahr nachher wieder Arm in Arm mit Sr. Majestät dem Kaiser Napoleon III. in vertraulicher Unterhaltung auf der Terrasse des Tuileriengarteus promeniren.
Aber bald hatte er von Neuem die schmerzliche Erfahrung zu machen, daß der Kaiser Napoleon ihn nicht zum Minister auserwählen wollte. Er, sowie der andere journalistische Dr. Véron, waren bisher vom Kaiserreich genug chicanirt worden, um nicht mit ihm zu schmollen und dadurch ihre Person mit einer neuen Wichtigkeit zu umgeben. Dr. Véron, der nicht einmal zum Gesandten ernannt wurde, that sich nun wieder groß als Bourgeois, verkaufte sein Journal dem „Constitutionel“ und wurde Mäcen der Schriftsteller, um sich zu trösten. Girardin machte es ihm nach, indem er vor mehreren Monaten sein Journal verkaufte. Er verfehlte nicht, dies mit allem Eclat zu thun, den er bei jeder Gelegenheit zu entfalten verstand. Er nahm feierlichst Abschied von der publicistischen Laufbahn, was ihm natürlich Niemand glaubt, und versicherte dem über seinen Schritt erstaunten Publicum, daß ein Mann von Geist und von Gesinnung, wie er sei, unter den jetzigen Umständen kein Blatt mehr redigiren könne. So schied er mindestens mit einem echten Knalleffect, denn alle Welt war wie versteinert, als man hörte – Girardin, diese größte politische Wetterfahne, die es gegeben, dieser Charlatan, der niemals Gesinnung gehabt, und morgen verwarf, was er heute vertheidigte, dieses politische Chamäleon ziehe sich aus Gesinnung von der öffentlichen Carriere zurück.
Um diesem Aufsehen noch höheren Effect zu verschaffen, heirathete Girardin, da seine liebenswürdige Gattin Delphine 1854 gestorben war, eine reiche deutsche Gräfin und eins der schönsten Mädchen, verschloß sich in seiner Villa, und läßt die Gesellschaft, deren Schöpfung er ist, ahnen, daß sein feiner und speculativer Geist eine neue Komödie brüte; denn vielleicht wird dieser Parvenü der Presse doch noch ein Minister!
- ↑ Bei dieser Gelegenheit verweisen wir auf das nächstens erscheinende, neue Buch von Schmidt-Weißenfels: „Vier Jahre Memoiren, Portraits und Erlebnisse,“ in dem sich nähere Details über die neueren französischen Bewegungen befinden. Der Redacteur.