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Ein Plauderstündchen in der Depeschen-Annahme

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Textdaten
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Autor: Reinhold Billig
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Titel: Ein Plauderstündchen in der Depeschen-Annahme
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 418–420
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Information über die Möglichkeiten von Post und Telegraphie
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Ein Plauderstündchen in der Depeschen-Annahme.


Als mir zum ersten Male die Ehre zu Theil wurde, den Posten in der Depeschen-Annahme für einen erkrankten Collegen versehen zu dürfen, war ich höchst gespannt auf meine Erlebnisse am Schalter und malte mir das Wechselvolle dieses Postens, gegenüber der monotonen Beschäftigung des Apparatbeamten, in den lebhaftesten Farben aus. Allein meine Hoffnungen wurden schmählich getäuscht: nie habe ich so viel Aerger gehabt, wie damals.

Es kann nicht meine Absicht sein, alle Rencontres jenes Vormittags hier zu erzählen, ich will nur auszugsweise diejenigen allgemeinen Regeln wiedergeben, auf welche die Depeschen-Aufgeber aufmerksam zu machen ich damals Gelegenheit hatte.

Die frühe Morgenstunde ließ mir Zeit, gleich die erste mir überbrachte Depesche ein wenig näher zu betrachten. Ich wurde sofort lebhaft an jenen Elegant erinnert, welcher nie an eine Dame geschrieben hatte, ohne vorher auf das Sorgfältigste Toilette zu machen. Seinem Beispiele war der Verfasser dieser Depesche nicht gefolgt. Auf ein schmutziges Stück Papier hatte er die herzlichsten Glückwünsche für die Geliebte seines Herzens mit Bleistift und in Krähenfüßen, welche nur mit Mühe zu entziffern waren, niedergeschrieben.

Wenn Jemand gut zu schreiben absolut außer Stande ist, so wird es Niemand beikommen, das Ansinnen an ihn zu stellen, er möge seine Depeschen deutlich schreiben; man fragt ihn einfach, was dieses oder jenes unleserliche Wort bedeuten soll, und schreibt es deutlich darüber; und wenn Jemand, der keinen Begriff von Anstand hat, seine Depesche auf unsauberes Papier schreibt, so wundert sich Niemand darüber, sondern die Depesche wird aufgeklebt und befördert, ohne daß ein Wort darüber verloren würde.

Es wird aber auch Jeder unwillkürlich auf schlechtes Papier schlechter schreiben, als auf gutes, und hier kommen wir zu einem Punkte, den das Publicum doch beachten sollte; es handelt sich dabei um sein eigenes Interesse. Wie genau auch bei der Beförderung der Depeschen die Reihenfolge nach der Aufgabezeit innegehalten wird, so werden doch stets schlecht geschriebene Depeschen später befördert werden müssen, als gut oder wenigstens deutlich geschriebene.

Man denke sich z. B. an die Stelle eines Beamten, der während der Börsenzeit – also der Zeit des stärksten Depeschenverkehrs – an seinem Hughes-Apparate sitzt, und dem die zu befördernden Depeschen immer zu zehn, zu zwanzig Stück auf den Tisch gelegt werden. Um diese Correspondenz zu bewältigen, muß er per Stunde gegen sechszig Stück – bei Weitem noch nicht das Maximum der Leistung – verarbeiten; er kann also selbstverständlich die einzelnen Depeschen nicht vor der Beförderung durchlesen, sondern erst im Moment des Abtelegraphirens; woher soll er die Zeit nehmen, um schlecht geschriebene Depeschen Wort für Wort durchzubuchstabiren, und warum sollen durch diese zeitraubende Beschäftigung alle anderen Depeschen verzögert werden? Die schlecht geschriebenen Telegramme wandern also zum Aufsichtsbeamten, kann dieser sie nicht lesen, zum Annahmebeamten behufs Entzifferung; der hat aber in diesen Stunden alle Hände voll zu thun, um das Publicum am Schalter zu befriedigen, und so kann es vorkommen, daß Depeschen von vielleicht großer Wichtigkeit und Dringlichkeit durch Schuld des Aufgebers wegen schlechter Schrift nicht unbeträchtlich verzögert werden.

Sind die Depeschen unwichtig, so legt man sich eher auf das Errathen. Ob man schreibt: Gratulation oder Glückwunsch, herzlich oder innig oder aufrichtig – das macht am Ende keinen großen Unterschied, ob es aber in einer Geschäftsdepesche heißt: Kauft zehntausend Laura, 100 oder 101 oder 110, das ist eine gewaltige Differenz, und die Folgen eines möglichen Irrthums wird kein Beamter auf seine Schultern nehmen wollen.

Der Aufgeber, wenn er darüber interpellirt wird, ist natürlich stets höchst verwundert, daß seine „deutliche“ Schrift unleserlich gewesen sei; der Mann bedenkt nicht, daß wir Beamte meist nicht in der glücklichen Lage sind, uns so genau um die Course kümmern zu müssen, wie er. Wer konnte z. B. in der Schwindelperiode dem Beamten zumuthen, die Namen von allen den Unternehmern zu kennen, welche damals wie die Pilze aus der Erde wuchsen? Trotzdem aber wurden gerade jene Bezeichnungen sehr oft so undeutlich geschrieben, daß wir manchmal Alle die Köpfe zusammensteckten, um diese Hieroglyphen zu entziffern. Kam dann die Depesche spät an, so waren die Actien vielleicht schon wieder um ein achtel Procent gestiegen oder gefallen – das Geschäftchen war nicht mehr zu machen, und der Unglücksmann kam zur Station und wollte Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Ersatz zu erhalten für den durch die Verspätung erlittenen Schaden, den er doch nur selbst verschuldet hatte.

Ebenso ungünstigen Einfluß auf die Leserlichkeit der Depeschen bringt auch zumeist das bei Geschäftsleuten übliche Copiren derselben mittels Anfeuchtung hervor.

Darum wolle man vor Allem die Depeschen und besonders die darin vorkommenden Geschäftsausdrücke möglichst deutlich schreiben. Man erspart dadurch nicht nur sich selbst und den Beamten viel Zeit und Aerger, sondern kann auch versichert sein, daß die Depeschen jederzeit prompt befördert werden.

Ein zweiter Fehler der Depeschen ist sehr oft eine unvollständige Adresse. Eine Depesche „an Herrn Müller in Berlin“ ist natürlich von vornherein unbestellbar; denn welcher von den tausend Müller’s ist wohl der Rechte? „An Auguste in Dresden“ – nun, lieber Beamter, suche Dir im Adreßbuch diese Holde auf und übernimm es, die Depesche bestellen zu lassen! Letztere Adresse hat mir wirklich vorgelegen, ein Beweis für die Naivetät, mit welcher manche Correspondenten bei Benutzung des Telegraphen zu Werke gehen. Meist sucht man, thöricht genug, die Worte in der Adresse zu sparen, während man doch gerade diese so genau wie möglich formuliren und lieber im Texte einen überflüssigen Zusatz, wie: „Herzlichen Gruß“ u. a. weglassen sollte. Wenn die Depeschen mit ungenauer Adresse nicht geradezu unbestellbar werden, so wird ihre Bestellung doch gewiß bedeutend verzögert; denn der betreffende Beamte muß sich erst in das Adreßbuch vertiefen, und wenn diese Forschungen noch kein genügendes Resultat ergeben, so muß er bei den Polizeibehörden nach der Wohnung des Adressaten recherchiren lassen. Diese Ermittelungen kosten Zeit, viel Zeit, und um diese zu gewinnen, telegraphirt man doch; wird also die Depesche verspätet, so verfehlt sie ihren Zweck, und dies ist sehr oft die Quelle vieler Unannehmlichkeiten für beide Theile, Aufgeber und Empfänger.

Wenn dann einmal das gelbe Zettelchen: „Verzögert in Folge unvollständiger, respective unrichtiger Adresse“ der Depesche aufgeklebt ist, so hilft kein Reclamiren bei der zuständigen Behörde mehr. Man kann zwar eine ungenaue Adresse nachträglich vervollständigen, jedoch nur gegen nochmalige Entrichtung der Gebühr für eine einfache Depesche zwischen denselben Stationen.

Will man z. B. einem Freunde mit dem nicht mehr ungewöhnlichen Namen „Schulze“ in Berlin seine Ankunft für heute, vielleicht schon für die nächsten Stunden, anmelden, dann adressire man so genau wie möglich, etwa:

Kaufmann Friedrich Wilhelm Schulze,
Auguststraße 21, II. rechts. Berlin.

Dies sind neun Worte; eins braucht man zur Unterschrift; es bleiben also noch zehn für die eigentliche Mittheilung. Darin kann man ihm einen ganzen Roman erzählen, ohne siebensilbige Worte zu bilden, wie eine gewisse Bank: Nachmittagsdreiuhrzugig sendet etc. Der Text laute z. B.: „Cassirer mit 20000 durchgegangen. Polizei sofort benachrichtigen. Komme heute noch.“ Ob man dem Freunde noch einen telegraphischen Gruß sendet oder nicht, wird demselben wohl gleichgültig sein.

Eine genaue Adresse bedingt aber auch die genaue Bezeichnung des Adreßortes, wenn es deren mehrere gleichen Namens giebt. Eine Depesche nach Straßburg z. B. kann nach dem Elsaß, kann auch nach Westpreußen befördert werden; in beiden Provinzen existirt ein Ort dieses Namens. Setzt man nun nicht die nähere Bezeichnung „Straßburg Elsaß“ hinzu, so muß man einer bedeutenden Verzögerung oder gar der Unbestellbarkeit der Depesche gewärtig sein.

Ist einem aber ganz besonders viel daran gelegen, zu wissen, um welche Zeit die Depesche dem Adressaten behändigt worden [419] ist – wie dies ja bei Börsendepeschen der Fall ist – so schreibt man zwischen Adresse und Text den Zusatz: „Empfangsanzeige bezahlt.“ Dafür entrichtet man die Gebühr für eine einfache, das heißt bis zwanzig Worte enthaltende Depesche zwischen dem Ausgangs- und dem Adreßorte der Empfangsanzeige. Man depeschirt z. B. von Dresden nach Berlin und bezahlt für die einfache Depesche zehn Groschen. Für die Empfangsanzeige zahlt man nochmals zehn Groschen, in Summa zwanzig Groschen. Dafür meldet einem nun die Station Berlin nach Dresden zurück: „Depesche Nr. 302 dem Kaufmanne Friedrich Wilhelm Schulze, Auguststraße 21, II. rechts, zugestellt den 12/4. 3 Uhr 45 Minuten Nachmittags.“ Nun weiß man bestimmt, der Freund hat das Telegramm richtig und rechtzeitig enthalten, und diese Gewißheit ist sehr oft mit den wenigen Groschen nicht zu theuer erkauft.

Man kann sich aber solche Empfangsanzeige auch nach irgend einem anderen Orte senden lassen. Gesetzt den Fall, man giebt eine Depesche nach Hamburg in dem Moment der Abreise von Dresden nach Berlin auf, und es liegt einem daran, vor der Weiterreise von Berlin nach Hamburg Gewißheit über das Schicksal der Depesche zu erhalten, so sagt man dem Annahmebeamten: „Ich bitte, die Empfangsanzeige nach Berlin zu dirigiren,“ und bezahlt in diesem Falle nur zehn Groschen für dieselbe, weil eine einfache Depesche zwischen Hamburg und Berlin nur zehn Groschen kostet.

Giebt man nun vielleicht einen telegraphischen Auftrag zu irgend einem Kaufe oder Verkaufe und will sich gegen jede etwaige Verstümmelung, das heißt unrichtige Uebermittelung der Depesche sicher stellen, so bietet Einem die Verwaltung hierzu die Möglichkeit dadurch, daß man gegen Mehrzahlung der Hälfte der auf die eigentliche Depesche entfallenden Gebühr die vollständige Collationirung derselben verlangen kann. Man telegraphirt z. B. von Breslau nach Hamburg; die Depesche enthält vierzig Worte und kostet einen Thaler. Die richtige Uebermittelung derselben ist Einem sehr wichtig; daher begehrt man deren Collationirung und entrichtet hierfür noch fünfzehn Groschen. Den Vermerk „Collation bezahlt“ setzt man gleichfalls zwischen Adresse und Text der Depesche. Dieselbe wird dann von dem gebenden wie von dem nehmenden Beamten Wort für Wort collationirt, also zweimal gegeben, so daß sich irgend welcher Fehler nur sehr schwer verbergen könnte. Kommt ein solcher aber dennoch vor und kann man nachweisen, daß in Folge dessen die Depesche ihren Zweck nicht hat erfüllen können, so zahlt auf Wunsch die Verwaltung die für die Depesche entrichtete Gebühr zurück.

Es wird z. B. etwas für den 16. dieses Monats bestellt; die Collation ist bezahlt, trotzdem schreibt aber der aufnehmende Beamte 26. statt 16. In Folge dessen wird die Bestellung am 16. nicht effectuirt, und die Depesche hat dadurch ihren Zweck verfehlt. In diesem Falle werden die bezahlten Gebühren auf diesbezüglichen Antrag restituirt. Dasselbe kann geschehen, wenn gewöhnliche Depeschen durch Schuld der Telegraphenverwaltung gar nicht oder mit bedeutender Verzögerung dem Adressaten zugehen.

Alle derartigen Reclamationen sind bei der Aufgabestation einzureichen und zwar innerhalb zwei Monaten, vom Tage der Aufgabe der Depesche an gerechnet (bei Depeschen nach außereuropäische Ländern, so wie bei solchen, für welche die Antwort, die Collation oder die Empfangsanzeige bezahlt ist, innerhalb sechs Monaten). Als Beweisstücke sind beizufügen: in dem Falle der Nichtankunft einer Depesche eine schriftliche Erklärung der Adreßstation oder des Adressaten, daß dieselbe wirklich nicht angekommen ist, in dem Falle einer Verstümmelung der Depesche aber die dem Adressaten zugestellte Ausfertigung.

Es wurden eben Depeschen mit bezahlter Antwort erwähnt: der Aufgeber kann nämlich die von dem Adressaten verlangte Antwort frankiren. Wird eine Antwort von nicht mehr als zwanzig Worten gewünscht und zwar nach demselben Orte, wo die erste Depesche aufgegeben wird, so ist einfach zwischen Adresse und Text zu setzen: „Antwort bezahlt“, und es ist der Betrag für eine einfache Depesche zwischen beiden Stationen zu entrichten. Die Antwort von Berlin nach Dresden kann aber auch mehr als zwanzig, z. B. dreißig Worte enthalten sollen, dann ist zu schreiben: „Antwort bezahlt 15 Gr.“; bei nach außerdeutschen Stationen gerichteten Depeschen ist der Betrag in Franken und Centimes anzugeben.

Die Antwort kann man sich nach jedem beliebige Orte senden lassen. Depeschirt man z. B. von Köln nach Danzig und wünscht, da man sich auf der Reise nach Paris befindet, die von Danzig verlangte Antwort in Paris zu erhalten, so bezahlt man außer der Gebühr für die Depesche von Köln nach Danzig noch für die Antwort die Gebühr für eine Depesche von Danzig nach Paris, welche sich wieder nach der Länge der verlangten Antwort richten wird. In keinem Falle aber darf der für die Antwort zu zahlende Betrag die für die Ursprungsdepesche entrichteten Gebühren um mehr als das Zweifache übersteigen.

Dem Adressaten wird zugleich mit der betreffenden Depesche ein Antwortformular zugestellt, auf dessen Rückseite die Höhe der von dem Aufgeber hinterlegten Summe vermerkt ist. Dieses Formular vertritt die Stelle einer Anweisung an die Casse der Adreßstation, und gegen Rückgabe desselben wird dem Vorzeiger der vermerkte Betrag ausgezahlt bis sechs Wochen nach dem Tage der Ausfertigung. Der Adressat kann also keineswegs gezwungen werden, dieses Formular eben zu der verlangten Antwort zu benutzen, und ebenso wenig findet eine Restituirung der Antwortgebühren an den Aufgeber statt, wenn er die begehrte Antwort nicht erhält.

Jede Depesche muß eine Unterschrift haben, und jeder Aufgeber einer Privatdepesche ist verpflichtet, auf diesfälliges Verlangen die Echtheit der Unterschrift nachzuweisen. Depeschen ohne Unterschrift sollen zwar auch zur Beförderung angenommen werden, der Aufgeber ist jedoch auf die aus der Weglassung der Unterschrift möglicher Weise entstehenden Nachtheile aufmerksam zu machen. In der That werden Depeschen ohne Unterschrift auch nur selten aufgegeben und dann meist in Folge von Vergeßlichkeit des Aufgebers; eine stricte Verweigerung der Unterschrift dürfte nur in den seltensten Fällen vorkommen.

Umgekehrt aber liegt sehr Vielen daran, daß der Adressat von der Echtheit ihrer Unterschrift überzeugt sein möge, und zu diesem Zwecke können sie sich dieselbe nach vorgängiger Legitimation von der Aufgabestation beglaubigen lassen. Der betreffende Zusatz ist dem Texte zuzuzählen und bei Berechnung der Gebühren mit in Ansatz zu bringen.

Hat man z. B. der Post einen Brief oder ein Packet zur Beförderung übergeben und faßt nachträglich den Entschluß, dasselbe dem Adressaten nicht aushändigen zu lassen, so läßt man sich von der Aufgabepoststation die Identität der Person bescheinigen und telegraphirt nun an die Adreßpoststation, sie solle den betreffenden Gegenstand zurückhalten. Gegen Vorzeigung der Postbescheinigung wird dann die Telegraphenstation die Unterschrift gern mit den Worten beglaubigen: „Aufgeber durch Postbescheinigung legitimirt.“

Solche Fälle waren sehr häufig in der Krachperiode des vorigen Jahres. Ein Bankhaus übersendet dem andern, welches noch für ganz solid gilt, eine bedeutende Geldsumme durch die Post; nach Abgang derselben erhält es die Nachricht von dem unmittelbar bevorstehenden Sturze dieses Hauses; die Geldsumme wäre verloren, wenn nicht der Telegraph rettend einträte und durch denselben das Adreßpostamt zur Zurückhaltung der Sendung aufgefordert werden könnte. Wir haben hier einen Fall, wo Post und Telegraphie Hand in Hand gehen; es kommt dies sehr oft vor; abgesehen davon, daß die Post Depeschen, welche nach Orten ohne Telegraphenstation gerichtet sind, zur Weiterbeförderung übernimmt, ist besonders im nachstehenden Falle das Zusammenwirken von Post und Telegraphie sehr angenehm und sicher schon von Vielen mit Dank anerkannt worden.

Man denke sich, man hätte einen Wechsel einzulösen, ohne im Besitze des nöthigen Geldes zu sein – wovor uns übrigens der Himmel in Gnaden bewahren möge! Lautet der Wechsel nur über fünfzig Thaler, so würden Einem selbst in dem günstigen Falle, daß man wenige Stunden vor Ablauf des letzten Termins die benöthigte Summe erhielte, dennoch viele Unannehmlichkeiten und Kosten erwachsen, böten sich Einem nicht Post und Telegraphie als rettende Engel dar, welche den Fünfzigthalerschein dem drängenden Gläubiger noch zur rechten Zeit in die Hände spielen, vorausgesetzt, daß sowohl an des Aufgebers wie des Gläubigers Wohnort eine dem öffentlichen Verkehre dienende Telegraphenstation sich befindet.

Man lasse sich nun in Kürze erklären, was man zu thun hat, um die fünfzig Thaler rechtzeitig an ihre Adresse gelangen [420] zu lassen. Man geht zur Post und zahlt diese Summe ein mit der Weisung, dieselbe telegraphisch zu befördern. Will man dem Adressaten noch irgendwelche Mittheilungen machen, so übergiebt man sie ebenfalls der Post. Diese vermittelt nun die telegraphische Beförderung und sofortige Auszahlung des Geldes an den Adressaten, und dafür ist zu entrichten: die Postanweisungsgebühr, die Gebühr für das von der Post zu redigirende Telegramm, das Expreßbestellgeld für Besorgung der Depesche am Aufgabeorte vom Postbureau bis zur Telegraphenstation, wenn letztere sich nicht im Postgebäude mit befindet, und endlich – sofern die Anweisung nicht poste restante oder bureau restant adressirt ist – das Expreßbestellgeld für die Bestellung am Adreßorte zur Erhebung.

Setzen wir nun einen andern Fall: Man sei auf einer Reise begriffen und es sei Einem durch irgend eine unglückliche Verkettung von Umständen das Reisegeld ausgegangen, so ist nichts leichter, als sich solches schnellstens aus der Heimath zu requiriren – vorausgesetzt natürlich, daß dort das Requiriren etwas hilft. Man depechirt: „Sendet mir telegraphisch so und so viel Thaler bureau restant hierher!“ In kurzer Zeit wird die Depeschenanweisung bureau restant eingegangen sein, und dieser Zusatz ermächtigt die Telegraphenstation, dem Reisenden nach vorausgegangener Legitimirung die betreffende Summe gleich selbst auszuzahlen, ohne daß dieser erst zur Post zu gehen nöthig hätte. – Man sieht, daß diese beiden Elemente, Post und Telegraphie, innig gesellt, nicht nur die Welt beherrschen, sondern auch sehr viel zur Erleichterung der süßen Gewohnheit des Daseins beitragen können. Freilich giebt es auch Fälle, wo dem Telegraphen recht herzlich gemeinte Flüche und Verwünschungen nicht erspart bleiben, wenn z. B. flüchtige Cassirer etc. durch telegraphische Steckbriefe erkannt und an der Sicherung ihrer sauer erworbenen Gelder gehindert werden.

Eine andere Erleichterung gewährt die Telegraphenverwaltung dem Publicum insofern, als es gestattet ist, dieselbe Depesche an mehrere Adressaten gleichzeitig für einen geringern Satz befördern zu lassen, als zu entrichten wäre, wenn man an jeden eine besondere Depesche richten müßte. Man kann Depeschen mit mehreren Adressen aufgeben entweder an mehrere Adressaten an demselben Orte oder an denselben Adressaten in verschiedenen Wohnungen an demselben Orte.

Dies wird durch ein Beispiel klar werden: Ich sei Banquier und stehe am Vorabende einer großen vorkrachlichen Gründung, zu welcher mir fremde Capitalien sehr erwünscht, wenn nicht unentbehrlich sind. Ich will meinen Geschäftsfreunden an den anderen Börsenplätzen hiervon Mittheilung machen, was damals Anstands halber nur per Draht geschehen konnte, und will ihnen bestimmte Summen zur Consortial- oder Syndicatsbetheiligung offeriren. Die betreffende Depesche zähle sechszig Worte, koste also von Berlin nach Hamburg einen Thaler. Die Zahl meiner Hamburger Geschäftsfreunde möge sich auf einundfünfzig belaufen, und ich will sie alle gleichzeitig glauben machen, daß ich jedem Einzelnen nur aus ganz besonderer Rücksicht Gelegenheit biete, sein und anderer Leute Geld bei meiner Gründung auf anständige Manier loszuwerden. Müßte ich nun an jeden Einzelnen dieselbe Depesche richten, so würde dies Kosten in der Höhe von einundfünfzig Thalern verursachen. Statt dessen schreibe ich auf meine Depesche alle einundfünfzig Adressen und bezahle nun – wenn diese einundfünfzig Adressen hundertzwei und der Text der Depesche achtundfünfzig Worte enthalten – die Gebühr für eine achtfache Depesche, gleich zwei Thalern zwanzig Silbergroschen, in Summa also sechs Thaler fünfundzwanzig Silbergroschen; ich erspare daher vierundvierzig Thaler fünf Silbergroschen. Bei Depeschen nach außerdeutschen Stationen erhöht sich der Satz für die zweite und jede folgende Adresse auf vier Silbergroschen.

Es kann aber auch der Fall eintreten, daß ich Jemandem, dessen Wohnung ich nicht genau kenne, etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Er ist vielleicht auf einer Reise begriffen und hat mir sein Absteigequartier nicht bekannt gegeben, oder sein Bureau liegt von seiner Wohnung ziemlich entfernt. Ich kann in diesem Falle meine Depesche an denselben Adressaten nach verschiedenen Wohnungen dirigiren. Zum Beispiel: An Herrn N. N., Berlin, Hôtel Rom, oder Thiergartenhôtel, oder Hôtel Petersburg. Dies sind drei Adressen: mit denselben soll die Depesche zwanzig Worte zählen, kostet also von Metz nach Berlin fünfzehn Groschen; hierzu die Gebühr für zwei weitere Adressen à zwei einen halben Groschen, macht in Summa zwanzig Groschen, während ich für drei separate Depeschen desselben Inhalts einen Thaler fünfzehn Groschen hätte bezahlen müssen. Es wird nun an jede Adresse eine Abschrift der Depesche gesandt.

Nehmen wir ferner an, Jemand will eine Reise unternehmen und den Zurückbleibenden die Möglichkeit bieten, ihm jederzeit telegraphische Nachrichten zukommen zu lassen, so giebt er ihnen ein Verzeichniß der von ihm in Aussicht genommenen Nachtquartiere nebst ungefährer Angabe der Daten und beauftragt sie, ihren Depeschen den Zusatz: „Nachzusenden“, beizufügen, gefolgt von den Adressen, unter welchen ihn an den bestimmten Tagen Mittheilungen erreichen können. Er reist z. B. von Leipzig nach Nürnberg, Augsburg, München, Salzburg, Wien, Prag, Dresden und zurück; er gedenkt an jedem Orte fünf Tage zu bleiben und weiß im voraus, in welchen Hôtels er absteigen wird. Am zehnten Tage will man ihm von Leipzig etwas Wichtiges melden, weiß aber nicht genau, ob er nicht schon von Augsburg nach München gereist ist. Man adressirt dann die Depesche wie folgt: „Herrn N. N., Drei Mohren, Augsburg, nachzusenden München, Vier Jahreszeiten.“ Nun wird in Augsburg versucht, ihm die Depesche zu behändigen; ist er schon nach München weitergereist, so besorgt die Telegraphenstation Augsburg die Abtelegraphirung der Depesche nach München, wo sie ihn im Hôtel „Zu den Vier Jahreszeiten“ erreicht und ihm gegen Zahlung der Depeschengebühr Augsburg–München ausgeliefert wird.

Vermuthet man in einer empfangenen Depesche eine Verstümmelung, so steht es Einem frei, eine Wiederholung entweder der ganze Depesche oder der betreffenden Stelle zu verlangen. Sei die Depesche z. B. von Hamburg nach Dresden gekommen und heiße es darin: „Herr N. heute gestorben, wird morgen begraben,“ so wird man sich mit Recht über diese Schnelligkeit wundern und auf die Vermuthung kommen, die Depesche sei Einem fehlerhaft übermittelt worden. Um hierüber Gewißheit zu erlangen, hinterlegt man in Dresden die Gebühr für eine bezahlte Antwort nach Hamburg gleich einem Thaler, und die Station Dresden ersucht nun die Station Hamburg um Wiederholung der Worte „wird“ bis „begraben“. Stellt sich dann heraus, daß es vielleicht heißen muß: „wird Montag begraben“, daß also die Depesche durch Schuld der Telegraphenverwaltung verstümmelt worden ist, so wird Einem der Betrag von einem Thaler sofort zurückerstattet. Andernfalls geht er Einem verloren. Derartige Reclamationen müssen aber stets innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden nach Empfang der Depesche erhoben werden.

Dies wäre so ungefähr das Wichtigste, was dem depeschirenden Publicum zu wissen nöthig ist; ein specielleres Eingehen auf alle möglichen Fälle dürfte leicht zu weit führen. Daß der Inhalt der Depeschen nicht gegen die Gesetze des Staats und der Sittlichkeit verstoßen darf, versteht sich wohl von selbst. Es ist ferner überflüssig, dem Annahmebeamten Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Wann kommt die Depesche dort an? Wann werde ich Antwort haben? Der Beamte kann ja nicht wissen, welche Hindernisse sich einer sofortigen Zustellung der Depesche an den Adressaten oder dem Abgange von dessen Antwort entgegenstellen. Freilich will dies manchmal blaustrumpfigen jungen Damen nicht in den Kopf. Kürzlich wurde mir auf meine Aeußerung, ich könne nicht bestimmen, wann die Depesche ankommen werde, eingeworfen: „Das wissen Sie nicht? Weiß man es doch von jedem Eisenbahnzug. Das ist ja scandalös; ich werde es meinem Vater erzählen, damit er es einmal in seiner Zeitung bespricht.“ Solcher Naivetät ist natürlich nur mit ausdrucksvollem Lächeln beizukommen. – Auch darf man dem Beamten nicht zumuthen, wie mir dies gleichfalls geschah, über die Lage aller mögliche Hôtels in London oder Paris Auskunft zu ertheilen, oder Adreßbücher dieser Städte zur Hand zu haben: Die Telegraphie bringt eben nicht so viel ein, daß man derlei hôtelologische Studien an Ort und Stelle machen könnte.

Lassen wir es denn hiermit genug sein! Etwa noch auftauchende Zweifel wird jeder Telegraphenbeamte gern bereit sein zu beseitigen.

Reinhold Billig.