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Ein Primadonnenstücklein

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: R. L.
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Titel: Ein Primadonnenstücklein
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 656
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Anekdote aus dem Leben der Sängerin Marietta Alboni
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[656] Ein Primadonnenstücklein. Der Director des Theaters „della Scala“ in Mailand beschloß, die gerade in der Blüthe ihrer Kunst in Berlin sich aufhaltende Mme. Alboni für zwölf Vorstellungen zu engagiren. Er nahm Postpferde und reiste ab. In einem Dorfe nahe bei Innsbruck in Tirol zerbrach etwas am Wagen, und unser Impressario war zu einem unfreiwilligen Aufenthalte gezwungen. Mißmuthig geht er, während der Schmied sich beeilt den Wagen auszubessern, das Dorf entlang spazieren. Da hört er plötzlich aus einem der Berghäuser die schönste, frischeste, reinste und gefühlvollste Stimme von der Welt erschallen. Man denke sich sein Erstaunen! Er nähert sich und befindet sich bald dem Gegenstande seiner Aufmerksamkeit gegenüber. Die Sängerin war ein kräftiges, schönes Tirolermädchen von einem eigenthümlich feinen Anstand, das von drei kleinen ihm aufmerksam zuhörenden Kindern umgeben war. Er entschuldigt sich wegen der Unterbrechung und fragt, ob das Fräulein sich auf die Musik verstehe, oder ob alles soeben Gehörte reines Naturtalent sei. Das Tirolermädchen antwortet ihm, sie kenne auch die Musik. Augenblicklich zieht der Director einige Blätter aus der Regimentstochter, die er zufällig bei sich trug, aus seiner Tasche und bittet seine Sängerin, ihm einige Takte zu singen. Die Tirolerin lächelt und singt mit ebensoviel Anmuth als Kunstsinn und Genauigkeit. Der Director ist vor Entzücken außer sich.

„Mein Fräulein, ich war im Begriff nach Berlin zu reisen, um Mme. Alboni, die große europäische Berühmtheit, für mein Theater als Gast zu engagiren; da ich Sie fand, ist meine Reise unnütz, denn Sie ersetzen mir die Alboni; ich biete Ihnen 2000 Franken für jede Vorstellung und engagire Sie für zwölf.“

„Und wie viel hätten Sie Mme. Alboni geboten?“

„Mme. Alboni, das ist etwas Anderes, der hätte ich wenigstens 5000 Franken geben müssen; aber Fräulein, bedenken Sie, jene hat einen europäischen Namen, während Sie noch gänzlich unbekannt sind.“

„Vor einem Augenblicke sagten Sie mir, ich könnte Ihnen Mme. Alboni ersetzen, und deshalb verlange ich dieselbe Bezahlung, die Sie ihr bestimmten.“

„Das ist unmöglich, Fräulein, wollen Sie 3000 Franken?“

„Nein.“

„4000 Franken?“

„Nein.“

„So leben Sie denn wohl, weiter kann ich nicht gehen, denn da Ihr Name noch unbekannt ist, riskire ich Alles, Sie Nichts. Sie konnten das Glück Ihrer Familie und das Ihre machen, Sie stoßen es von sich, Adieu.“

Der Director kommt in Berlin an und erkundigt sich nach Mme. Alboni. Der Intendant antwortet ihm, Mme. Alboni sei auf drei Monate verreist und bringe die Saison bei ihrer Milchschwester auf dem Lande zu.

„Wo?“

„In Tirol.“

„In Tirol? Und wo da?“

„Im Dorfe N. zwei Stunden von Innsbruck.“

„Ich bin verloren!!“

Augenblicklich reist er ab, kommt nach Tirol zurück und findet sein Bauernmädchen.

„Madame,“ ruft er, „ich kenne Sie jetzt, Sie trieben das grausamste Spiel mit mir.“

„Ich? Hören Sie, mein Herr Director, da Sie mich nun kennen und da Sie so unklug waren, das erste beste Bauermädchen mir verziehen zu wollen, so erkläre ich Ihnen, daß ich gar kein Engagement mit Ihnen eingehe.“

Der Director verzweifelt, fällt ihr zu Füßen und erweicht nur nach langem Flehen und unter dem Versprechen von 6000 Franken für jede der zwölf Vorstellungen das Herz der Mme. Alboni. Beide reisten zusammen ab, doch ließ Mme. Alboni die Summe von 12,000 Franken den Kindern ihrer Milchschwester zurück.
R. L.