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Ein Reisemärchen/Siebentes Kapitel

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Textdaten
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Autor: Alfred de Musset / P.-J. Stahl
Illustrator: Tony Johannot
Titel: Ein Reisemärchen
Untertitel: Siebentes Capitel
aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843, S. 94–95
Herausgeber: Johann Jacob Weber
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Originaltitel: Le Voyage où il vous plaira
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung:
Fortsetzung: Ein Reisemärchen/Achtes Kapitel
Eintrag in der GND: [1]
Bild
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Bearbeitungsstand
fertig
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[94]
Ein Reisemärchen.
Siebentes Capitel.
Die Fortsetzung aus Franzens Tagebuch. Ein Auto da Fé. Allerlei andere schauerliche und merkwürdige Dinge und Begebenheiten.

In Franzens Tagebuch nun heißt es ferner nach der Stelle: „Wie lang ist diese Nacht!“

Indem ich dies sagte, packte ich alle Bände jener unglücklichen Sammlung der wichtigsten Land- und Seereisen, die ich fortan nur als eine Sammlung abscheulicher Land- und Seelügen betrachtete, zusammen und warf einen nach dem andern in den Ofen.

„Verbrennt!“ rief ich, „denn Ihr habt mich unglücklich gemacht.“

Es gab ein schönes helles Feuer. Als die Flamme Alles aufgezehrt hatte, athmete ich freier und zündete mir lustig meine Pfeife mit einem herausgefallenen Blatte dieser Münchhausiaden im großen Style an.

Aber die Spannung dauerte nicht lange. Der gewaltsame Bruch mit meinen bisherigen Beschäftigungen, Plänen und Träumen hatte mich heftig erschüttert und der rasche Uebergang von der quälendsten Unruhe zur lachenden Perspective des an Glück so reichen folgenden Tages meine Kräfte aufgerieben.

Ohnmächtig sank ich in meinen Lehnsessel. Der Kampf war zu heftig gewesen für meine Constitution. – Als ich wieder zu mir kam, stürzte ein Thränenstrom mir aus den Augen.

Der Wind brauste durch die Wipfel der mit Reif und Schnee bedeckten erstarrten Bäume vor meiner Wohnung und schüttelte die Aeste, daß sie knarrten und dröhnten.

Rund um mich her aber herrschte, wenn der Sturm schwieg, eine Todtenstille, und man hörte deutlich das leise Knistern, das der Frost in den Krystallen der Fensterscheiben hervorbringt, indem er tausend und aber tausend seltsame Figuren dort bildet.

Ich legte die letzten Scheite Holz in den Ofen .... Meine müden Augen blickten wider meinen Willen nach den seltsamen Figuren der Fensterscheiben. Der Rauch meiner Pfeife, der in bläulichen Wolken zwischen ihnen und mir emporstieg, schien ihnen ein wunderliches Leben zu verleihen.

Bald sah ich ungeheure Felsen, die sich wie riesenhafte überhängende Bogen wölbten.

Dann wieder lange, dunkle, mit dichtem Schnee bedeckte Tannenwälder.

Gleich darauf drang ich in unendliche Bergschluchten ein, die sich immer weiter zogen, je tiefer ich kam. – Und Alles war bald mit namenlosen Wesen, mit seltsamen Gestalten bevölkert, die sich hier schweigend aber voll rastloser Eile in geschlossenen

Kreisen drehten, dort in einem wilden Durcheinander auf sich einstürmten; bald aber auch war es nur eine wilde, wüste Einöde, ohne die mindeste Spur von Leben.

Der finstere Anblick dieser unbeweglichen Natur weckte tausend verwirrte Erinnerungen in mir, wie von einer Welt, die nicht mehr vorhanden ist.

War denn diese von dem Froste überfallene Vegetation mit ihren eleganten, aber unter ewigem Winter erstarrten Formen nie jung, frisch und grün gewesen?

[95] Mir war zu Muthe, als sähe ich das Phantom aller meiner schönen und glänzenden Reiseträume; meine Erinnerungen wurden zu Visionen, meine Blicke verdunkelten sich und meine Lampe warf ein blendendes Licht auf alle diese Gegenstände. Mich durchschauerte ein eisiges Frösteln.

Das Feuer im Ofen erlosch und ich fühlte nicht die Kraft in mir, es wieder anzuzünden.

Meine erstarrten Glieder weigerten sich, mir zu gehorchen, und ich fuhr fort, mechanisch in den weiten Einöden umher zu irren, die sich vor mir geöffnet hatten. Allmälig versank ich dann in ein ruhiges und tiefes Träumen.

Die Stille um mich her wurde immer größer; bald hörte ich weder draußen den Wind mehr, noch jene geheimnißvollen Stimmen, die gewöhnlich hinter den halbverbrannten Kohlen eines erlöschenden Feuers zu flüstern pflegen.

Endlich herrschte die Stille überall. Der Wächter auf dem alten Thurme stieß zwölf Mal in sein Horn. Es war Mitternacht.

Ich hörte nun Nichts mehr und schlief ein.

Plötzlich fuhr ich aus meinem Schlummer auf. Ein kurzer, rascher Schlag wurde an meine Thür gethan. – Erschreckt rief ich: „Herein!“

Kaum hatte ich dies Wort so höflich wie möglich für einen plötzlich aus dem Schlaf gestörten Menschen ausgesprochen, als ich auch schon – nicht ohne Furcht – bemerkte, daß ich nicht mehr allein sei ....

Und doch war der späte seltsame Gast Niemand Anderes als Walter – mein guter lieber Walter – dasjenige Wesen, das mir nach Maria das Liebste auf der Welt war.

Walter aber schien so bleich, so entstellt, so ganz anders als gewöhnlich, daß sein Geist, wäre er gestorben und aus dem Grabe gestiegen, um mich zu besuchen, ebenso hätte aussehen müssen.