Ein Rest deutschen Urwaldes

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Titel: Ein Rest deutschen Urwaldes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 356–359
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kurzbeschreibung: Der Böhmerwald
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Ein Rest deutschen Urwaldes.

Wer den Böhmerwald bereist, die große Gebirgskette, welche Böhmen von Baiern abgrenzt, wird vielfache Generationen des Waldes um sich erblicken. Im Schatten halb mächtiger Buchen und Fichten wächst ein jüngeres Geschlecht in die Höhe, das sich als muntere Knabenwelt mit seinen Häuptern an die Brust der starken Männer anschmiegt. Alle diese Männer und Jünglinge und auch die der Zukunft entgegenrauschenden Kinder wurzeln aber erst auf den Trümmern einer untergegangenen Greisenwelt. Unzählige junge Nadelholzstämmchen sieht man auf langgestreckten Moderhaufen und vermorschten Stöcken neben einander emporwachsen, von denen freilich die größte Zahl wieder zu Grunde gehen muß. Nur die kräftigsten überdauern den nie rastenden Kampf, und man kennt sie später an der eigenthümlichen Gestalt ihrer Wurzeln. Wie auf vielfüßigem Piedestal erhebt sich der großmächtige Stamm; die Wurzeln haben sich über den alten Strunk, auf welchem das Samenkorn die erste Nahrung fand, hinabgesenkt, bis sie den Boden erreichten, und bilden nun, nachdem Fäulniß und Moder ihre erste Unterlage zerstört, einen säulenartigen

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Holzschlitter im Böhmerwalde.

[358] Bau, der dem nachgewachsenen Stamme zur Stütze dient. So wächst und stirbt hier noch der Wald, der in dieser Ursprünglichkeit und Unberührtheit einzig in Deutschland dasteht. Die unermeßlichen Holzschätze auf einem Gebiete, das größer ist, als manches Königreich, sind alles Gaben einer freispendenden Natur. Heute noch triffst Du hier Urwald in seiner von keiner Axt durchklungenen Stille.

Keine andere Macht, als elementare Naturereignisse, stürzt die riesenhafte Edeltanne, deren Höhe man erst ermißt, wenn sie auf dem Boden liegt. Bäume von 150–200 Fuß, mit einem Durchmesser von 4–7 Fuß, kommen selbst auf Culturstrecken noch häufig vor, und es ist etwas fast Gewöhnliches, daß aus einem solchen ohne Ast und Gipfelholz 12–15 Klaftern geschlagen werden, ja in früheren Jahren hat man 25 Klaftern aus einzelnen Bäumen gewinnen können.

Generation um Generation wächst auf und fällt wieder nieder. Oft bilden diese Leichen, sich weit in die Tiefe erstreckend, den alleinigen Grund. Die große Feuchtigkeit begünstigt das Wachsthum kleiner Wasserpflanzen, Spagnum, welche das Wasser wie Schwämme in sich aufsaugen und sich weit verbreiten und Auen und Moore, mit Seen in der Mitte, entstehen lassen. Bei der Austrocknung einer Moorstrecke bei Eleonorenstein fand man in senkrechter Richtung übereinander fünf Lagen gewaltiger Wurzelstöcke, die folgende immer auf der untergegangenen gewachsen. Nicht überall, aber auf vielen meilenweiten Strecken, wird dieser Urproceß der Stoffumwandlung noch sichtbar, in andern Gegenden ist er bereits überwunden, und man begegnet auf den ausgedehnten Besitzungen österreichischer Grundherren den rationellsten Forstculturen, dazwischen bilden weite Wiesenthäler, ausgedehnte Filze einerseits, dann die der Ackerung allmählich zugeführten Culturen und die großartigen Aushaue und Lichtungen andrerseits die natürlichen und künstlichen Unterbrechungen des Waldes.

Bei solchem Reichthum an Holz ist es in der That von hohem Interesse, darnach zu forschen, wie dasselbe verwerthet werde und welche Erwerbsarten unmittelbar oder mittelbar sich aus dem Walde herausgebildet haben.

Lange Zeit kannten die guten deutschen zähen und stämmigen Bewohner des Böhmerwaldes – so fest und knorrig wie seine Stämme, und so voll mystischer Bräuche und Sitten, wie der dunkle, vom Zwielicht durchzitterte Waldesschatten – den Werth nicht, der im Walde stak. Sie wähnten, dieser sei eben nur geschaffen, um localen Bedürfnissen zu entsprechen. Der Wald war für sie eine Schutzstätte, ein Deckmantel für den Schmuggel, das Zeug, aus dem sie Wohnung und Stadel bereitet, das Wärmematerial für ihre Heerde und Oefen, der Stoff für die Einrichtung der Stube, sowie für ihre einfachen Geräthschaften, Aexte und Schaufeln, Schlitten und Wagen.

Dieses tägliche Bedürfniß gebar auch gar bald ein ganz eigenthümliches Rechtsverhältniß zwischen dem Ober- und Grundherrn auf der einen und dem Waldhäusler auf der andern Seite. Gegen Verabreichung des Klaubholzes, der Dörrlinge, der Waldstreu und des Astholzes von Windbrüchen leistete stillschweigender Weise der Häusler dem Grundherrn sein Stück sauerer Arbeit im Walde, und so entstanden allmählich die Waldservituten, die später mit Mühe und Noth abgelöst worden sind. Im Uebrigen galt die allgemein beliebte Anschauung, daß das Holz für Alle gewachsen sei, und Holzdiebstahl und Schmuggelei durchflochten das einsame Leben des Wäldlers mit manchem traurig romantischen Ereignisse.

Hebung des Wohlstandes, bessere Schulbildung haben auch diese Rechtsverletzungen gemindert. Witz und Anstrengung gegen Gefahr einzusetzen, erscheint bei den erniedrigten Zollsätzen nicht mehr so lohnend, wie sonst, und die blutigen Kämpfe bewaffneter Schmugglerhorden mit Grenzwächtern und Soldatenabtheilungen werden nur in sagenhafter Erinnerung noch gefeiert. Damit indeß die Romantik nicht ganz aussterbe, schleicht sich dann und wann ein Wilderer noch hinaus, und die noble Passion des Jägers, die früher häufig gegen Wölfe und Bären geübt werden mußte, bringt manchem feisten Rehbocke ein ungesetzlich frühes Ende.

Die Wölfe sind im Böhmerwalde bereits zu Fabelthieren geworden. Länger erhielt sich daselbst das Bärengeschlecht. Der vorletzte Bär wurde im Jahre 1835 und der letzte im Jahre 1856 erlegt. Dieser letzte, ein sogenannter Honigbär, war den Forstleuten lange schon, gegen fünfzehn Jahre, bekannt. Man stellte ihm schon lange nach, nicht gerade, um ihn auszurotten, denn er betrug sich gegen das im Walde weidende Vieh sehr artig, sondern um ihn in brauchbarem Zustande für das Museum des Fürsten Schwarzenberg, des größten Grundherrn im Böhmerwalde, zu gewinnen. Als in der Nacht vom 7. zum 8. November 1856 frischer Schnee gefallen war, wurde sein engerer Aufenthalt umstellt, man fand aber erst nach zwei Tagen die Spur und scheuchte das Thier am 11. November auf. Das erste Mal leicht verwundet, rettete sich Petz noch einmal, aber nur, um Tags darauf in regelmäßigem Treibjagen von über hundert Schützen und Treibern seinen Verfolgern in die Hände zu fallen. Es war eine alte Bärin, welche über 250 Pfund wog. Ob dieser letzte Petz noch ein rechtschaffener eingeborener Böhmerwäldler gewesen oder von den Alpen herübergekommen war, dürfte schwer zu bestimmen sein, aber daß im Böhmerwalde noch in den vierziger Jahren Bärenfamilien gehaust, ist eine unbestreitbare Thatsache. Luchse, Füchse, Dachse und wilde Katzen nebst dem Rothwild sind jetzt noch die nicht allzuhäufigen vierfüßigen Bewohner unseres Gebirges.

Die Hauptbeschäftigung der Böhmerwäldler und die ehrlichste war und bleibt die des Holzhauers und des Holzknechtes. In gewissen Gegenden gehört ihr fast jeder Jüngling und jeder Mann an. Haue, Axt, Säge und Hammer führt ein jeder Wäldler mit Virtuosität, und tagaus, tagein werden diese Instrumente am grünen und am trockenen, am gefällten und am gesägten Holze geübt.

Der Holzhauer des Böhmerlandes führt seine Wohnung mit sich, wie die Gartenschnecke ihr Haus. Nichts Primitiveres kann aber auch leicht gedacht werden, als diese niedrige Hütte, zusammengefügt aus vier Wänden und darum so transportabel. Schlafstelle, Werkstätte, Heerd, Alles ist darin improvisirt. Alles geschieht an einer und derselben Stelle unweit der Hütte: die Zersägung der gefällten Stämme in Klötze, die Zerspaltung der letzteren und die Zerlegung in Scheite. Nicht weit davon hat der stolze Riese noch vor Kurzem sein erhabenes Haupt im Lichte gebadet und seine Wurzeln in den dicht bemoosten, kräuterbewachsenen Boden gestreckt, wie für die Ewigkeit geschaffen. Rasch ist durch den Holzschlag eine Lichtung entstanden, in der die Sonnenstrahlen gar herrlich spielen und auf welcher das Holz der gefällten Bäume, harzigen Duft rings verbreitend, bald in Klaftern geschichtet liegt. Mit dem Winterschnee heben nun die Schlittenfahrten des Scheitholzes an. Ein mit einwärts gekrümmten Kufen versehener Schlitten wird, nachdem das Holz darauf mittelst Ketten befestigt ward, über den schneebedeckten Abhang nach den Gebirgsbächen hinabgetrieben. Der Lenker des Schlittens, der vorn auf seinem Fahrzeug sitzt, hält eine eisenbeschlagene Holzstange, den „Krall“, in der Hand, ihn in den gefrorenen Schneeboden stoßend und so als Ruder gebrauchend, während er mit den Schenkeln die Kufen drückt und die Absätze seiner Stiefeln in den Schnee bohrt. Gefährlich ist diese Fahrt, und mancher kühne und geschickte Fuhrmann ist schon ihr Opfer geworden.

So ist das Holz an die in der Regel steinhart gefrorenen Bäche gebracht worden. Erst im Frühjahre, wenn die Fessel des Eises bricht, der Schnee schmilzt und der Gießbach gewaltig in die Schlucht schießt, kann es weiter geschafft werden. Die Schwemme nimmt ihren interessanten Beginn und Fortgang. Die von mehreren in der Höhe gelegenen Gebirgsseen hernieder stürzenden Wässer werden, indem man die künstlichen Schleußen an der Mündung der Gießbäche öffnete, mit ihrer ganzen Gewalt losgelassen, und nun werfen Schaaren von Holzknechten die an den abschüssigen Ufern gelagerten Scheite in die brausende Fluth. Für Auge und Ohr ein mächtiger Eindruck! Stundenweit vernimmt man das furchtbare Brausen und Poltern der von dem Wogengischt über die Felsklippen fortgeschleuderten Scheite. Die längs des ganzen Schwemmterrains aufgestellten Holzknechte halten abermals ihren „Krall“ in der Hand, um die aufgestauten oder in die Klemme gerathenen Scheite von Neuem flott zu machen. In den unteren Partien der Gebirgsbäche sind an gewissen Stellen sogenannte „Rechen“ angebracht. In denselben setzt sich der größte Theil, mit Ausnahme des hie und da verschlemmten oder vertragenen Holzes, fest, und hier wird es herausgefischt und zu unübersehbaren Niederlagen zusammengestellt. Ursprünglich hatte die Spedition damit ihr Ende erreicht, jetzt aber hat die Industrie dem Holztransporte neue weitgreifende Arme geschaffen. Die Großbesitzer, begünstigt durch großartige Mittel, brachen hierbei zuerst die Bahn, indem [359] sie dem Holztransporte durch die fürstlich Schwarzenberg’schen Schwemmcanäle und die Floß- und Schwemmbarmachung der Moldau und ihrer Nebenflüsse Hauptadern eröffneten.

Die kühne Idee, die Moldau mit der Donau durch einen Canal zu verbinden, stammt schon aus einer Zeit, wo es noch nicht so viele Heizmittel gab, wie jetzt, und wo dem Weitersehenden die ungeheure Bedeutung des Böhmerwaldes als Holzproducenten aufgehen mußte. Diese sieben Meilen lange künstliche Wasserstraße für die Holzschwemme ist aber um so merkwürdiger, als sie zum ersten Tunnelbaue führte, den Böhmen besaß, viele Jahrzehnte vor den kleinen Tunnelbauten der das Land nun durchziehenden Schienenwege errichtet. Der durch den Fels getriebene Tunnel ist acht Schuh breit und acht Schuh hoch, ihn durchfurcht eine mächtige Wasserriefe. Ein Forstingenieur, Namens Rosenauer, hat diesen Bau bewerkstelligt und damit im Jahre 1789 begonnen. Bereits als Jägerbursche hatte er den kühnen Plan erfaßt und später dem Fürsten Schwarzenberg vorgelegt, welcher die Mittel zur Ausführung bewilligte. Wien wird schon jahrelang mit dem Scheitholze des Böhmerwaldes beschickt. Auf dem Schwarzenberg’schen Canale allein werden jährlich einige 20.000 Klaftern verflößt. Welche Ausbeute aber manche Besitzungen ihren Eigenthümern gewähren, zeigt, daß blos die jetzige Herrschaft Krumau jährlich gegen 75.000 Klaftern Holz in den Handel liefert.

Kein geringeres Verdienst für die Verwerthung des Böhmerwaldes in die fernsten Gegenden hat einer von Böhmens bedeutendsten Industriellen, Adalbert Lanna, der „Moldaukönig“, wie die Menge den bescheidenen Mann nennt. Schon als Knabe trieb er auf einem Flosse von Budweis nach Hamburg. Das Project der Schiffbarmachung der untern Moldau ließ den jungen Mann nicht ruhen, der, obgleich schon wohlhabend, wie der letzte Diener seines Vaters, eines Schiffmeisters in Budweis, das Ruder in seine kräftige Hand nahm und dessen kühner Geist die Fahrbarmachung der Moldau sich zur Lebensaufgabe stellte. Seine Energie bewirkte in einem geringen Zeitraum, daß die Moldau schon in ihren ersten Anfängen sogar an Stellen flößbar gemacht worden war, welche dieser Absicht durch ihre Klemmen und Klippen die unübersteiglichsten Hemmnisse in den Weg warfen. Nun das Böhmerwaldholz in den Holzhöfen von Prag und weiter hinab in denen an der Elbe zu jeder Stunde berghoch aufgeschichtet steht, blickt man nach dem überwundenen Werke der Flößung wie nach einem Kinderspiele zurück.

Im Böhmerwalde selbst aber haben sich mit der Zeit einige Holz-Industrien herausgebildet, welche zum Theil überall da emporblühen, wo große Waldgebiete eigenthümliche Lebensweise und Beschäftigung bedingen, zum Theil aber auch in der besonderen Beschaffenheit mancher erzeugten Holzsorten ihren Ursprung haben. Ein mit den Bäumen im Böhmerwalde gewachsenes Gewerbe ist die Holzschnitzerei. Sie beschickt die Märkte mit dem gewöhnlichsten Hausbedürfniß, wie mit der zierlichsten Luxusarbeit. Jedes Zündhölzchen, das in Westböhmen weitum seine Dienste leistet, ist aus dem Holze des Böhmerwaldes geschnitten. Siebreife, Stoß- und Falzschindeln, Holzschuhe, Pantoffeln, dann allerhand Küchengeräthe (unter dem Sammelnamen „Waldwaare“ begriffen) werden ebenso hier erzeugt, wie die reichornamentirten Spiegelrahmen, die wir in den Schlössern der Schwarzenberg’s und Bouguri’s gewahren und die ohne Weiteres in das Fach der Kunst eingereiht werden können.

Auf eine noch ganz andere und zwar auf die kostbarste Weise verwerthet man aber seit vielen Jahren, zum Theil in bedeutenden Etablissements, wie das von Strunz in Außergefield und das der Bienerts in den Maderhäusern und in Tusset, das feinste Holz, indem man es zu Instrumentholz, für Resonanzböden und Streichinstrumente verarbeitet. Das Resonanzbodenholz wird aus den am regelmäßigsten gewachsenen Stämmen gewonnen. Die Bäume müssen langsam gewachsen sein, damit die Elasticität der Fasern überall gleich groß ist. Man hat auf einem Stamme, dessen Durchmesser nur 17 Zoll war, 375 Jahresringe gezählt. Die Lagen sind dann nicht stärker als feines Papier. Oft findet sich das schönste Resonanzholz in gestürzten und von der Oberfläche herein bereits vermoderten Stämmen, sogenannten Rannen oder Rohnen, die wohl hundert Jahre schon am Boden liegen. Wenn auch die Oberfläche schon ganz mürbe und zerfallen ist, so daß starke Bäume von 70–80 Jahren darauf gewachsen sind, das Innere ist noch ganz gesund und dann wunderschön weiß und dicht.

Die jüngsten Jahre haben den Holztransport auf eine weitaus andere Basis gestellt. Durch eine Reihe von Jahren ging das Holz zwar schon an den Rhein und nach den Niederlanden – nach manchen beschwerlichen Unterbrechungen durch die Achse – auf der Wasserstraße. Die böhmische Westbahn und die mit ihr fast gleichzeitig in’s Leben getretene Strecke der baierischen Ostbahn von Schwandorf nach Fürth aber haben dem Böhmerwaldsholze andere raschere Straßen, andere Stapelplätze eröffnet und hierdurch einen bedeutenden Umschwung des Holzgeschäftes herbeigeführt. Mit dem gesteigerten Absatz und dem raschen Transport ist die Gewinnung des Holzes plötzlich eine andere geworden. Unglaublich rasch hat sich auch die Dampfbretsäge in den waldeinsamen Gebirgen eingestellt.

Früher wurden die schönsten Fichten des Hochwaldes bei Bischofteinitz zu Kohlenmeilern geschichtet und zur Holzkohle umgewandelt. Diese letztere wanderte wieder nach den Eisenwerken der benachbarten Oberpfalz. Jetzt erhebt die stattliche Friedrichs-Dampfsäge ihre Rauchsäule hoch in die Luft und verscheucht mit ihrem Gepuste die niedrigen Geister einer jämmerlichen localen Industrie. Unzählige prachtvolle Stämme gingen ehedem als ein durch Surrogate kaum zu ersetzender Brennstoff lediglich in die vielen Spiegelglashütten, die als Colonien längs des Böhmerwaldes verbreitet liegen, und wenn auch seit zwanzig Jahren im Böhmerwalde bereits Floßbreter geschnitten werden, so mußten sie doch einen weit beschwerlicheren Weg auf der Achse bis an die Ufer des Main zurücklegen. Alle jene altgewohnte Verwerthung des Holzes ist nun untergeordnet gegen die Consumtion nach den fernsten Ländern in der Ausdehnung, wie sie eben jetzt Platz greift.

Ein interessantes nationalökonomisches Moment ist die durch den gesteigerten Absatz herbeigeführte Umwandlung der Holzpreise. Noch vor zehn Jahren standen diese so niedrig, daß mancher schöne Forst in seinem Erträgniß nicht viel Höheres bot, als was Grundsteuer und Waldwirthschaft wieder verschlangen. Nun haben sich die Preise auf das Fünffache gesteigert, und der Arbeitslohn ging um das Doppelte in die Höhe. Der arme Gebirgsbauer, der sonst freudig lächelte, wenn man ihm im Winter mit seinem Ochsengespann im Tage einen Gulden zu verdienen gab, schüttelt jetzt bedenklich oder gar verdrießlich den Kopf, wenn er nicht mit demselben Gespann mindestens drei Gulden erwirbt. Diese Umwandlung bereiteten zum größten Theile jene Bretsägen, denen man in neuester Zeit die Flügel des Dampfes aufgesetzt. Die dies zuerst mit Glück unternahmen, sind die Gebrüder Kröber aus der Rheinpfalz. Sie übernahmen die erste Dampfbretsäge, von einem Großbesitzer 1859 errichtet, und bauten eine neue, die erwähnte Friedrichsdampfsäge in Hochwald. Solche Colonien zu gründen, ist übrigens auch im Böhmerwalde nicht allzuleicht. Die Baulichkeiten, insbesondere die Arbeiten des Maurers, waren in der Waldeinsamkeit theuer und schwer zu erzielen. Unsere Colonisten überwanden indeß manche Schwierigkeit rasch und fast spielend. Der Wald wurde schnell umgelegt, der Bauplatz geräumt, und schnell wuchsen die Gebäulichkeiten in die Höhe. Maschinen von dreißig Pferdekraft setzen mittelst Transmission und Riemen vier Gattern zu je sechs Sägen und nebstdem zwei Kreissägen in unaufhörliche Bewegung, welche durchschnittlich des Tags 800–1000 Wiener Kubikfuß Holz zu Bretern schneiden. Die Sägespäne und Rinden, durch die Sägen zerrieben, müssen ihren Quälern bald dienstbar werden, indem man sie als Heizmaterial für die Dampfkessel wieder verwendet. Was früher das Verfolgte, wird nun, obgleich scheinbar noch dienstbar, das Verfolgende. Was ist also aus den geheimnißvollen Stellen dieser heiligen Wildniß geworden? – Scheu wirft der Edelhirsch seine verwunderten Blicke auf das neue, geräuschvolle Werk, mit welchem sich der Mensch in sein unbestrittenes Revier gedrängt, und ihr mächtighohen Baumgreise, zittert vor eurem baldigen Untergang! Sonst kämpftet ihr auf verlassener Höhe mit den Elementargewalten, jetzt mit den Elementen der erwachten Industrie. Wenn ihr eure 150 Jahre einmal auf dem Rücken habt und euer Nacken von der Last des Schnees so vieler Winter gebeugt ist, verfallt ihr nun erst unbarmherzig dem Wuthschnauben des Dampfes und dem knirschenden Zahne der Säge.

So ist das alte „tempora mutantur et nos mutamur in illis“ auch auf die Baumpatriarchen des Böhmerwalds anwendbar, von denen wir uns mit diesem Epitaphium für jetzt verabschieden wollen.