Ein Ritt von Lima aus ins Innere
Ein Ritt von Lima aus ins Innere.
Es ist eine ganz eigenthümliche Thatsache, daß man die noch so getreue Beschreibung eines fremden, besonders überseeischen Landes mit der größten Aufmerksamkeit lesen mag, und sich doch ein ganz anderes und verschiedenes Bild von dem Lande selber machen wird, als man es später in Wirklichkeit findet. Man mag dabei noch soviel Erfahrung von anderen Ländern auf seiner Seite haben, es hilft Alles nichts; die Phantasie, selbst des trockensten Menschen, spielt uns stets einen Streich, und wir sehen uns dann plötzlich in Scenen versetzt, mit denen wir von vornherein vertraut zu sein glaubten, und die uns doch jetzt vollkommen unbekannt und fremd sind.
So ging es mir mit Peru, dessen Küste ich als dürr und steinig kannte, von dem ich aber geglaubt hatte, daß ich, wenn nur die ersten Hügel überschritten, die ersten Meilen hinter mir, ein herrliches, mit Vegetation bedecktes Land finden würde, und wie hatte ich mich darin getäuscht!
Am dritten Weihnachtsfeiertag, Morgens etwa um zehn Uhr, ritt ich aus und zwar auf einem guten Maulthier, das ich mir besonders zu dem Zwecke in Lima gekauft, meinen Revolver vorn im rechten Halfter, meine Doppelbüchse ebenfalls geladen an der Seite, denn eine Menge Mordgeschichten waren mir von diesem Wege erzählt und ich besonders gewarnt worden, die Tour nicht allein zu unternehmen. Thatsache ist es, daß viele Menschen schon in der Nähe von Lima, aber nicht weiter ab als sechs oder acht Leguas, angefallen und ermordet wurden, und es war deshalb immer besser, sich vorzusehen. Außerdem treiben sich auch, nach Aufhebung der Sclaverei, eine Unmasse von Negern hauptsächlich in Lima und dessen unmittelbarer Nähe umher, und diesen Burschen ist ebensowenig zu trauen, wie den Süd-Amerikanern selber, denn sie sind schon zu lange im Land gewesen, um nicht etwas wenigstens davon zu lernen.
Mein nächstes Ziel, Cerro de Pasco, jene berühmte Silberstadt und auch zugleich die höchste der Welt, für die ich irrthümlicher Weise Quito gehalten, liegt 5000 Fuß höher als letztere Stadt, und zwar 14,500 Fuß, schon an den Wassern des Amazonenstromes und in etwa nordöstlicher Richtung von Lima fort. Der Weg zieht sich auch aus Lima, wenn man die Brücke über den Rimac passirt hat, nördlich hinauf bis zu dem kleinen Bergstrome Chillon, dem er von da an treu bis zu der Wasserscheide der Cordilleren folgt.
In den Straßen von Lima selber sieht man dabei natürlich nur wenig von dem Charakter des Landes draußen, die dürren Küstenhügel ausgenommen, die kahl und nackt herüberschauen und eben nicht viel Tröstliches von der nächsten Umgebung versprechen. Und jetzt verläßt man diese Straße und betritt einen breiten Weg, der ebensogut ein trockenes Flußbett sein könnte, denn er ist mit großen, vom Wasser rund und glatt geschliffenen Kieseln bedeckt, deren Zwischenräume allein mit grauem Staub gefüllt sind. An beiden Seiten ist er mit einer niedrigen dicken Lehmmauer eingefaßt, hinter der hie und da Weiden und auch wohl Fruchtbäume stehen, denn eine der Wasserleitungen, die Lima mit frischem und gutem Wasser versehen, führt hier durch und begünstigt in etwas die Vegetation. Sonst ist Alles kahl, Alles dürr, todt und wüst und nicht ein Vogel – die eklen Aasraben Lima’s ausgenommen – zu sehen.
Draußen am äußersten Thore Lima’s steht noch ein Garten, in dem ein Deutscher einen Schankstand hat; es ist heute noch Feiertag und die schwarz-roth-goldene Fahne weht darüber – gegenüber flattern die italienischen Farben im Wind – eine kleine scherzhafte Illustration, wie friedlich die beiden Flaggen dicht neben einander wehen könnten, wenn jede nur ihr eigenes Wohl im Auge hätte – dahinter beginnt die Oede und hie und da, noch mehr zur Stadt, stehen nur ein paar kleine offene Lehmhütten, in denen Tschitscha, wie altbackenes Brod und Papiercigarren dem reisenden Publicum für schweres Geld zur Verfügung gestellt sind. Wer sich dadurch nicht verführen läßt, reitet weiter und sieht sich plötzlich am Ende des eingezäunten Weges und am Fuße jener dürren Hügel selber, die selbst da, wo sich ein Thal hineinöffnet, nichts, nichts weiter bieten, als Sand, Staub, Steine und hart gebrannte, dürre, rothbraune Erde, auf der die Sonne niedersengend liegt.
Soweit das Auge dabei die ebene Bahn bestrich, war kein menschliches Wesen zu sehen, nur hinter mir her kam in scharfem Trab ein einzelner Cavallerist, dessen Bahn von hier links ab nach einem kleinen Städtchen bog. Er zügelte sein Pferd ein, als er mich überholte, und frug, wohin ich so allein wolle. Ich nannte ihm mein Ziel, das weit hinter den Cordilleren lag, und er schüttelte den Kopf. „Ich solle mich in Acht nehmen“, meinte er, „denn es treibe sich wieder einmal böses Gesindel im Lande umher, dem sie bis jetzt vergebens nachgespürt hätten.“ Damit bog er seitab und verschwand wenige Minuten später in der Staubwolke, die sein eigenes Thier aus dem trockenen Boden schlug.
„In Acht nehmen!“ Ich hatte weiter gar nichts zu thun, zündete mir eine frische Cigarre an und trabte wohlgemuth meine Bahn entlang. Mich drängte es nur, die Nähe der Küste zu verlassen, und zwar nicht der möglichen Räuber, sondern dieser traurigen Scenerie wegen, die ja doch im Innern mit einer mehr freundlichen Umgebung wechseln mußte.
Eine kleine halbe Stunde mochte ich so durch diese Einöde geritten sein, als ich vor mir Staub aufwirbeln sah, und gleich darauf erkannte ich drei Reiter, die auf meinem Wege Lima entgegensprengten. Es waren, wie ich bald fand, Neger, und ich lenkte mein Pferd nach der rechten Wegseite hinüber, sie links an mir vorbeipassiren zu lassen. Eine feste Begrenzung des Weges fand aber hier gar nicht statt, wo die Bahn Hunderte von Fußen breit dalag, die Reiter theilten sich dabei, so daß ich zwei zur Linken und einen zur Rechten bekam, und dicht bei mir zügelten sie plötzlich ihre Thiere ein, während einer der Ersteren seinen Arm ausstreckte und Feuer für seine Cigarre verlangte.
Die Möglichkeit ist nun da, daß es ganz brave und harmlose Menschen waren, die nicht das geringste Böse im Schilde führten. Nach allen früher gehörten Mordgeschichten war ich aber nicht gesonnen, ihnen hier allein, Einer gegen Drei, den geringsten Vortheil über mich zu gestatten, denn „Gelegenheit macht Diebe“. Schon vorher hatte ich deshalb die Hand unter meinem Halfterdeckel, und den Revolver herausnehmend sagte ich dem Manne vollkommen ruhig: „das sei das einzige Feuer, das ich zu vergeben hätte.“
Er prallte mit seinem Maulthiere rasch zur Seite, und die andern Beiden lachten laut auf, ich aber gab meinem Thiere die Sporen, fest entschlossen, mich auf keine weitere Unterhaltung in Arms Bereich einzulassen, und als ich gleich darauf den Kopf nach ihnen zurückdrehte, sah ich, wie sie noch im Wege hielten. Ich wußte aber recht gut, daß sie mir jetzt nicht mehr folgen durften, denn das wäre ein offener Beginn von Feindseligkeiten gewesen, bei denen sie, meiner Doppelbüchse gegenüber, bös den Kürzeren gezogen hätten. Das mochten sie auch recht gut selber wissen, denn ich wurde nicht weiter von ihnen belästigt und hatte sie bald aus dem Gesicht verloren.
Mit meinem Maulthier war ich ziemlich zufrieden, wie alle diese Thiere aber, die vortrefflich in Gesellschaft gehen, war es allein zu faul, und ich hatte die Sporen nöthig. So erreichte ich denn auch bald den kleinen Bergstrom Chillon, dem ich von jetzt [522] an entgegen reiten sollte, und fand an dessen Ufer wenigstens etwas Vegetation, immer aber noch weit weniger, als ich erwartet hatte. Das Thal dazu, dem ich aufwärts folgen sollte, lag zu beiden Seiten des Stromes dürr und kahl, und eine Menge von Einfriedigungen, die aus mauerartigen übereinander gelegten Steinen bestanden, gaben mir Stoff zum Nachdenken, weshalb um Gotteswillen Menschen mit der größten augenscheinlichen Mühe und Arbeit eine Anzahl von Plätzen sorgfältig eingezäunt und abgegrenzt hatten, in denen auch nicht einmal ein einzelner Grashalm wuchs.
Im „Winter“ sollen diese Berge allerdings ein etwas freundlicheres Aussehen haben, denn obgleich es hier nie wirklich regnet, fällt doch dann und wann, wie mir gesagt wurde, ein feiner Sprühregen, der, mit dem Thau der Nächte, das Gras aus dem dürren Boden ruft und die Hänge mit einem matten, durchsichtigen Grün deckt. Möglich, daß dann diese Einfriedigungen zu Weiden werden, in denen sich kurze Zeit ein paar Maulthiere vor dem Verhungern schützen können. Soviel ist übrigens sicher, daß sich Viele dieser Landstriche durch Bewässerung mit nur einiger Arbeit trefflich verwerthen ließen, denn an Wasser fehlt es selbst diesen trockenen Hügeln nicht. Eine Menge von Quellen entspringen darin, und der Fluß oder Bergstrom selber hat Fall genug, ihn nach vielen Seiten hin zu verwenden. Das aber kostete Arbeit, schwere Arbeit, und dazu ist diese faule spanische Race nicht gemacht. Nur den Fremden will sie für sich schaffen lassen und scheint höchstens dazu gut, eine einträgliche Anstellung mit Würde zu verzehren oder den Tag über die Ellbogen auf dem Ladentische abzureiben. Selber thätig sein wollen oder können sie nicht, und weite Strecken Landes, die reiche Ernten tragen könnten, werden deshalb so lange unbenutzt und dürr liegen, bis fremde Hände sich ihrer bemächtigen – was jedenfalls im Lauf der Zeit geschieht.
Ich passirte jetzt einige Haciendas, die, von Quellen und dem Chillon selber begünstigt, Pisang, Orangen, Futterkräuter und Zuckerrohr trugen. Ueberhaupt ist der Boden selber fruchtbar genug, und treffliche Gemüse werden hie und da, besonders von Deutschen, in der Nähe von Lima gezogen. Weiter oben verengte sich aber das Thal mehr und mehr, der vom Wasser getränkte grüne Streifen Land wurde schmaler und schmaler und zog sich endlich nur noch wie ein Band dicht an den Ufern des Bergstromes entlang, während rechts und links die kahlen nackten Höhen wild und traurig in die blaue Luft hineinstarrten und von ihren öden, sonngebrannten, ja gebratenen Flächen eine erstickende Hitze ausbreiteten. Ueberhaupt war der Weg – von keinem einzigen Baum gegen die Sonnenstrahlen geschützt – nichts weniger als angenehm zu reiten, und erst mit anbrechendem Abend wurde es kühl genug, mein Thier zu schärferem Schritt antreiben zu können.
Vor Dunkelwerden erreichte ich endlich eine Brücke über den Chillon, der hier viel zu reißend floß, als daß man ihn mit dem Pferde hätte passiren können. An der andern Seite lag eine Hacienda, Macas, wo ich übernachten konnte, und ich fand dort wenigstens ein gutes Bett, von den Beschwerden des ersten Tages auszuruhen.
An der Brücke wurde mir von einem Chinesen Zoll abgenommen, und ich sah dicht an der Hacienda eine Menge niedriger, schilfgeflochtener, schmutziger Hütten, die von Chinesen wimmelten. Auf meine Erkundigung sagte mir der „Mayor domo“ (der Eigenthümer wohnte in Lima oder befand sich wenigstens gerade dort), daß diese Chinesen sogenannte Culies seien, die einen achtjährigen Contract hätten und nach dieser Zeit frei wären, für sich selber etwas anzufangen oder sich auf eigene Hand zu verdingen. Diese hier hatten schon fünf Jahre ihrer Zeit abverdient, und der Mann versicherte, er sei mit ihrer Arbeit zufrieden.
Die Sclaverei ist in Peru abgeschafft, aber die Sclaven bestehen fort, gerade wie in Ecuador. Diese Söhne des „himmlischen Reichs“ (Töchter kommen gar nicht herüber) werden von „Unternehmern“ in China angeworben, bekommen freie Passage und sehen sich dann plötzlich ganz einfach zum Verkauf ausgestellt, wo man sie an den Meistbietenden für den Preis von 3–400 Dollars, vielleicht auch mehr, wie gerade Arbeiter verlangt werden, abläßt. Ihre Behandlung soll dabei, wie sich das auch kaum anders erwarten läßt, eine sehr schlechte sein; selbst vor körperlicher Mißhandlung schützt sie das Gesetz oder deren Vertreter nicht – es sind ja nur Chinesen – und man sucht aus ihnen in dem kurzen Termine soviel Arbeit als möglich, mit sowenig als möglich Unterhaltungskosten, herauszuziehen.
Die Neger sind frei geworden, und Chinesen wie Indianer haben an deren Statt das Joch übernommen, das sie früher wund drückte. Peru selber freilich hat nichts dabei gewonnen, als eine freie, freche und ekelhafte Bevölkerung der schwarzen Race, und einen Zuwachs von eben so zweideutigem Nutzen in dem, wenn auch fleißigen, doch schmutzigen und lasterhaften Volke Chinas.
Von Macas, bis wohin ich noch ziemlich ebenen Weg gehabt, brach ich am nächsten Morgen früh wieder auf und kam jetzt bald in das eigentliche Bergterrain des Landes. Der Chillon hat einen außerordentlich starken Fall, der gar nicht so selten in kleine Wasserstürze ausartet. Das Thal verengte sich außerdem immer mehr, die Felsen liefen an vielen Stellen schroff und steil bis in das Flußbett nieder, und da die peruanischen Wegbauer nie ein Pfund Pulver verbrauchen, hemmende Felsen damit zu sprengen, so zieht sich der schmale Maulthierpfad denn auch bald steil einen solchen Hang hinauf, bald läuft er gelegentlich, wie es gerade paßt, eben so unerwartet bis zum Wasserrand hinunter, es den Maulthieren überlassend, ihre Bürde unaufhörlich auf- und abzuschleppen.
Dicht bei Macas, am rechten Ufer des Flusses und ziemlich hoch am Berg hinauf in einer wilden Oede von nackten, unfruchtbaren Wänden liegt eine alte indianische Stadt mit einem ganz eigenthümlich gespenstischen Aussehen. Die Mauern scheinen, soweit ich das aus der Ferne erkennen konnte, von Lehm zu sein, trotzdem aber daß die Dächer schon lange verfault und niedergebrochen waren, hatten sie doch in einem Lande, wo man keinen Regen kennt, der Zeit Trotz geboten, und unheimlich starrten noch jetzt die dunklen, augenartigen Fenster und Thüröffnungen, durch die schon lange, lange Jahre kein lebendes Wesen geschaut hatte, aus den weißen leeren Wänden heraus nach dem Wanderer unten. Noch ließ sich der frühere Marktplatz erkennen – noch die Ueberreste einer wahrscheinlich von den Spaniern gebauten Kirche, aber kein Fuß betrat mehr jene öffentlichen Plätze und Straßen, kein Haupt neigte sich mehr in jener Kirche dem unbekannten neugebrachten und furchtbaren Gott, dessen Name in diesem neuen Welttheil mit Blut getränkt und mit Schrecken umgeben worden. Die bleichen, kahlen Mauern, die von dort herüberschimmerten, kamen mir vor wie ein riesiges Menschengerippe, das da drüben in der Sonne dörrte.
Aber auf diesen Wegen kann man sich nicht viel Betrachtungen hingeben, denn man muß das Auge auf den Pfad selber halten, der von jetzt an bald steil aufläuft, bald tief abfällt, wie gerade das Terrain selber toll und wild seine Höhen aufgeworfen oder seine Tiefen gerissen hatte. Vom Wegbau haben die Süd-Amerikaner nur eine sehr unbestimmte Idee, die sich darauf beschränkt, die Bahn für ein Lastthier nur möglicher Weise passirbar zu machen. Schwierigkeiten im Wege wegzuräumen fällt ihnen nicht ein; sie umgehen dieselben, wenn auch auf noch so großen Umwegen, und was ihre Thiere dabei unnöthiger Weise auf- und abklettern müssen, wird gar nicht geachtet. Sprengpulver steht, wie mir gesagt wurde, sorgfältig auf allen Rechnungen, aber wie ein Steinbohrer aussieht, wissen sie schwerlich; wenigstens ist er nie angewandt.
Enger und enger wurde das Thal, aber hie und da zeigten sich jetzt auch einige fruchtbare und angebaute Felder darin, und besonders üppig stand in diesen die Alfalfa, das Futterkraut für die Thiere. Auch Mais und Kartoffeln – denn das tropische Klima lag hinter mir. Uebrigens hatte ich mir vorgenommen, heut noch das von Macas vierzehn Leguas entfernte Oberagilio, ein größeres Städtchen, zu erreichen, um in gutes Quartier zu kommen, und die Nacht brach ein, während sich der Weg noch steil am Fluß hinaufzog. Der Chillon bildete hier fast nur eine Kette von kleinen Wasserstürzen, und wundervoll sah es aus, wie die weiß schäumende Fluth donnernd und kochend aus dem dunklen Schatten der Felsen herausströmte und in tiefen Kesseln dann tief unten wirbelte und gährte. Der Pfad war dabei schmal und rauh, mein Thier mußte halbe Stunden lang über lose Felsstücken hinwegsteigen und selbst oft klettern; Maulthiere haben aber darin einen vortrefflichen Instinct, und man kann sie sich selber vollkommen ruhig überlassen, ja je weniger man selber den Zügel führt, desto sicherer gehen sie. Es wurde aber doch neun Uhr, ehe ich die Stadt selber erreichte, und mit Mühe konnte ich noch Quartier für mich und einen Burschen bekommen, der mein Maulthier für die Nacht in einen der Pastresos (Weideplätze) hinausführte. An ein Bett war ebenfalls nicht zu denken, und ich schlief die Nacht – wie [523] schon so viele in meinem Leben – mit dem Kopf auf dem Sattel, in meinen Poncho eingewickelt.
Der nächste Tag brachte für mich eine freundlichere Scenerie, denn der wilde Strom schien genug Wasserstaub umherzustreuen, den Thalboden feucht und fruchtbar zu halten, auch wurde mir gesagt, daß es hier sehr häufig regnen solle. Ich hatte also die dürren, trocknen Küstenhänge Perus hinter mir und durfte jetzt doch wenigstens auf grüne Hänge hoffen. Es giebt nichts Traurigeres, als durch ein so ödes Land zu reiten.
Die Berge waren auch hier in der That mit grünen und Blumen tragenden Büschen bewachsen, und am Wege selber stand in großen duftenden Sträuchern das reizende Heliotrop (Vanille), das seinen Wohlgeruch mit der frischen Morgenbrise ausstreute. Allerliebste Colibris, purpurroth und grün und von winziger Kleinheit, summten und surrten um die Weidenbüsche des Stromufers, und buntfarbige, zierliche Vögel machten schwache und meist unglückliche Versuche, ein Concert anzustimmen.
Die Vögel Amerika’s haben herrliche Farben, aber nur sehr wenige können wirklich singen, und unsern Waldsängern daheim kommt keiner gleich, den Mocking birdvon Louisiana, der auch die amerikanische Nachtigall genannt wird, vielleicht ausgenommen.
Alfalfa, Mais und Kartoffeln wuchsen hier üppig, blieben aber auf das schmale Thal beschränkt, und nur hie und da hatten sich die Bewohner in die Hänge hinaufgewagt und ordentliche Felder angelegt, die grün und fruchtbar aussahen. Wenn die Leute hier ordentlich arbeiten wollten, könnten sie gewiß genug ziehen, wenig aber brauchen sie nur zum Leben, und über das Wenige hinaus gehen dann auch ihre Anstrengungen nicht, wie man es ja in ganz Süd-Amerika, wie man es bei der ganzen spanischen Race findet.
Gegen Abend überholte ich einen Arriero, der mit Packthieren nach Cerro de Pasco und weiter nach Huánaco zog. Den Thieren waren die kupfernen Gefäße zu einer Branntweinbrennerei aufgeladen, und Einzelne davon trugen riesige kupferne Kessel, die diese Leute mit großer Gewandtheit auf den Packsätteln festzuschnüren wissen. Rauh genug gehen sie freilich mit den ihnen anvertrauten Gütern um, denn rauh ist auch der Weg und rauh das Volk, und was sich eben nicht gutwillig mit den rohledernen Schnüren festigen läßt, muß entweder biegen oder brechen. Den Schaden trägt natürlich der Empfänger, weshalb also auch große Vorsicht damit brauchen? Mehrere der kupfernen Gefäße und Röhren waren schon eingebogen und ein paar der Abzugshähne vollkommen abgebrochen, so daß ich in der That nicht weiß, wie sie das im innern Land je wieder repariren können.
Da ich am vorigen Tage einen sehr weiten Ritt mit meinem Thiere gemacht und es etwas schonen wollte, so blieb ich an diesem Tage bei den Arrieros, natürlich in der Voraussetzung, daß wir wieder irgend ein bequem gelegenes Haus erreichen würden, in dem wir übernachten könnten. Darin sollte ich mich aber getäuscht sehen. Höher und steiler stieg der Weg hinan; fruchtbare, angebaute Felder hatten wir schon gegen Mittag hinter uns gelassen, und viele Strecken mußte ich absteigen und zu Fuße gehen, meinem Thier nur etwas den Weg zu erleichtern. Aber wir erstiegen auch jetzt den scheidenden Bergrücken der Cordilleren, in die wir so allmählich hineingekommen waren, daß ich es gar nicht recht merkte, bis mich die kältere Luft darauf aufmerksam machte.
Einer Menge von Maulthieren und Eseln begegneten wir dabei, oder überholten sie auch, die theils leer von Cerro herunterkamen, theils eine Menge der verschiedenartigsten Waaren hinaufschafften. Ganze Karawanen von Eseln besonders trugen jene schweren eisernen, mit Schrauben versehenen Gefäße, in denen das Quecksilber verschickt wird, das sie in Cerro zur Amalgamation gebrauchen. Große Fässer trugen andere und riesige Kisten, ja eines der unglücklichen Thiere hatte sogar ein ganzes Pianino auf dem Rücken, das es von Lima aus in die 48 Leguas – circa 34 deutsche Meilen – entfernte Bergstadt hinaufschleppen mußte. Wer die Wege selber kennt, sollte das fast für unmöglich halten, aber Maulthiere machen fast Alles möglich, was in ihr Fach schlägt, und nicht sehr rasch, aber vollkommen sicher verfolgen sie ihre Bahn. Manchmal freilich wird es ihnen doch zu viel, und besonders hier oben, wo die Berge nur höchst dürftig Futter tragen und nichts auf der Gotteswelt mehr zu kaufen ist, verlassen sie nicht selten ihre Kräfte. Die Beweise liegen dazu in zahlreichen gebleichten Maulthier- und Pferdegerippen auf den Höhen und besonders an der Straße selber, denn so lange sie nur noch kriechen konnten, gönnte man ihnen keine Ruh. Oft wird ja sogar erst den todten die bitterschwere Last abgeschnallt, die das arme, von Hunger ermattete Thier zu Boden drückte. Arrieros können nämlich oder wollen für ihre Thiere kein Futter kaufen, und sobald sie diese Höhe erreichen, wo deshalb auch nie Jemand einen Vorrath von Futter einlegt, so treiben sie ihren Trupp von Thieren einfach auf die Weide. Wie gesund die aber für sie sein muß, sah ich am nächsten Morgen, wo der ganze Boden weiß mit Reif gedeckt war.
Diese Nacht, die ich vollkommen im Freien zubringen mußte, fror ich furchtbar, denn eben erst aus einem heißen Klima so recht mitten wieder in den Winter hineinzukommen, wollte meinem Körper gar nicht zusagen. Du lieber Gott, ich wußte ja nicht, was mir noch Alles bevorstand, und wie oft ich in den nächsten Wochen das Klima von heiß zu kalt und von kalt zu heiß wechseln sollte. Nahrungsmittel waren außerdem ebenfalls keine zu bekommen. Nicht weit von dort, wo wir absattelten, hatte allerdings ein Schäfer seine kleine, runde, mit Rasen gedeckte Hütte, in der er die Nacht warm genug liegen mochte, aber nichts weiter als etwas sogenannte chupa oder Suppe, die er uns anbot und die ich, mit der frischen Erinnerung an die ecuadorische Kochkunst, hartnäckig verweigerte. Ich führte etwas Brod und Chocolade bei mir und hielt davon mein frugales Abendbrod. Am nächsten Morgen brachen wir ziemlich früh wieder auf, d. h. die Arrieros begannen mit ihren Thieren sehr früh; ehe sie aber allen die Sättel aufgelegt und die Packen festgeschnürt hatten, verging doch eine ziemlich lange Zeit und ein schöner Theil vom Tag. Mir selber wurde dabei die Zeit lang, und sobald ich mein Thier fertig gesattelt hatte (wobei mir die Hände so froren, daß ich sie abwechselnd in die Tasche stecken mußte), sagte ich den langsamen Arrieros adios und trabte frisch in die wilde, öde Bergwelt hinein. Und wie wild, wie öde sah das hier aus; wie kahl und starr hoben sich die nackten, nur dürftig mit einem gelblichen Gras bewachsenen Kuppen empor, zwischen denen nur manchmal eine einzelne stille Lagune der Scenerie einige Abwechselung gab! – und trotzdem war kein einziges wildes, d. h. jagdbares Thier hier zu sehen. Hoch, hoch über mir, aber weit außer einer Kugel Bereich kreisten wohl ein paar Condore, sonst aber – zwei schwarze Bläßenten ausgenommen, die auf der einen Lagune schwammen – war kein einziges lebendiges Wesen zu sehen, und ich und mein Maulthier schienen in der ringsum ausgestorbenen Schöpfung allein übrig geblieben zu sein.
Ein paar Mal, wo es ziemlich steil bergauf ging, stieg ich ab, es dem Thier zu erleichtern, und fand dann zu meinem Erstaunen, daß mir das Athmen sehr schwer wurde. Auch Kopfschmerz bekam ich, oder eigentlich keinen wirklichen Schmerz, sondern nur eine Art unangenehmes Zusammenpressen der Schläfe. Freilich war alle Ursache dazu vorhanden, denn ich befand mich hier, als ich die Höhe endlich erreichte, auf dem höchsten Paß der Cordilleren und 16,000 Fuß hoch über der Meeresfläche. Ich fühlte dabei besonders die beißende Schärfe der Luft, wenn ich den Athem durch die Nase zog, sonst aber von allen jenen Unbehaglichkeiten, von denen mir früher war erzählt worden, nichts. Es soll nämlich gar nicht so selten vorkommen, daß Menschen und selbst Maulthiere einen wirklichen Krankheitsanfall auf dieser Höhe bekommen, eine Art von Seekrankheit, die von furchtbaren Kopfschmerzen und tödtlicher Ermattung begleitet ist. Die davon befallenen Maulthiere stürzen plötzlich nieder, und wenn man sie nach einiger Zeit wieder in die Höhe bringt, zittern sie an allen Gliedern, und können sich vor Mattigkeit kaum selber von der Stelle schleppen, viel weniger noch einen Reiter tragen. Man nennt diesen Anfall, wenn ich nicht irre, hier im Land Vedde, und er muß, nach Allem, was ich darüber gehört habe, weit eher in gasartigen Luftströmungen, als in der wirklichen Höhe seinen Ursprung haben, da er nie eigentlich auf dem höchsten Punkt des Passes, sondern mehr an dem östlichen Hang der Cordilleren vorkommt.
[536] Der eigentliche Gipfel der Cordilleren zeigt sich aber hier keineswegs so scharf und entschieden ausgeprägt, wie weiter südlich und östlich von Valparaiso, wo man den wirklich scheidenden Gebirgsrücken in einer halben Minute passiren kann. Hier ist die Höhe weit mehr gebrochen und in kleine Hügel und Tiefen abgetheilt; sogar eine Lagune hat sich dort oben gesammelt, und ich fand eigentlich erst, daß ich den wirklichen Hauptgipfel erreicht hatte, als ich plötzlich wilde, mit Schnee bedeckte Hänge vor mir sah, deren weiße Flächen tiefer hinabreichten, als ich mich selber befand. Die Schneegrenze, d. h. die Linie des ewigen Schnees, die in der Schweiz etwa auf 9000 Fuß liegen wird, wenn auch einzelne von ihren Gletschern bis 8000 herunterreichen, liegt wunderbarer Weise unter und nahe den Wendekreisen viel höher als unter der eigentlichen Linie selber, denn sie beträgt unter dem Aequator 15,000 und unter jenen 16–17,000 Fuß. Woher das kommt, ist noch nicht erklärt, wenn auch für Amerika allein eine Erklärung leicht [537] würde. Gerade unter dem Aequator und in wenigen Graden davon liegen hier nämlich eine Menge sehr hoher, schneebedeckter Berge, und unter ihnen der riesige Chimborazo, der fast mit einer Masse von 10,000 Fuß in die Schneeregion hineinreicht. Natürlich verbreiten diese ausgedehnten Schneefelder auch eine viel größere Kälte als dort, wo diese Kuppen nur vereinzelt emporragen, und müssen deshalb die Schneegrenze auch tiefer in das niedere Land drücken. Die nämliche Erscheinung, wenn auch natürlich in kleinerem Maßstab, haben wir schon mit der Schweiz und Tyrol, denn in dem letzteren Land, das keine so weite schneebedeckte Flächen hat, wie das erstere, liegt die Schneegrenze ebenfalls höher, und 9000 Fuß hohe Kuppen tragen hier nur im Winter Schnee, und auf dieser Höhe noch das zarteste und süßeste Alpengras.
Von hier ab senkte sich der Weg bald wieder bis zu etwa 14,000 Fuß nieder, führte aber nicht wieder, wie ich gehofft hatte, in fruchtbare Thäler hinab, sondern hielt sich auf diesen Höhen, die man hier punas nennt, und wo nur allein ein dürftiges, vom Reif nicht selten wie gesengtes Gras Schaf- und Llamaheerden am Leben erhält. Die Schafe haben wahrhaftig kein leichtes Brod, wenn sie sich an diesen Hängen ihre Nahrung suchen wollen, und die Llamas halten sich lieber in den tiefer gelegenen und sumpfigen Stellen auf, die das Schaf vermeidet. Denn das Llama hat breite Hufe oder vielmehr Schalen, mit denen es nicht so tief in den weichen Boden einsinkt, kann auch vielleicht eher das im Wasser wachsende und mehr sauere Gras vertragen, als das Schaf.
Diese Cordilleren sind die eigentliche Heimath des Llamas, das aber nicht mehr wild angetroffen wird, sondern überall in zahmen Heerden beisammen lebt. Das Vicuña dagegen, eine kleinere Gattung, kommt hier noch wild vor, und läßt sich entweder nicht zähmen, oder ist auch vielleicht zu schwach, irgend eine Ladung zu tragen. Früher soll es auch Guanácos gegeben haben, deren eigentliches Vaterland Patagonien bis zum 30. Breitengrade hinauf ist, diese sind aber jetzt ausgerottet oder nach dem Süden hinuntergetrieben, wo man sie noch in zahlreichen wilden Rudeln findet.
Die alten Ynkas, deren Erinnerung jetzt nur noch im Munde des Volkes lebt, während ihre einfachen Bauwerke selbst noch bis auf unsere Tage dem Zahn der Zeit getrotzt haben, hielten nicht selten große Jagden auf das Vicuña und zwar auf eine höchst eigenthümliche Weise, indem sie dieselben „verlappten“. Nach allen Beschreibungen nämlich scheinen sie wirkliche Federlappen gehabt zu haben, mit denen sie, wo sie ein Rudel dieser Vicuñas trafen, dasselbe einkreisten und den Ring immer enger und enger zogen, bis sie die einzelnen Thiere mit dem Lasso sichern oder mit ihren Pfeilen tödten konnten. Die Federlappen waren dabei gar nicht so hoch, aber kein Vicuña wagte es sie zu überspringen; nur wenn sich ein oder mehrere Guanácos mit im Rudel befanden, was ziemlich häufig scheint der Fall gewesen zu sein, so war die Jagd vergebens, denn diese letzteren übersprangen die Lappen, und sobald eines dieser Thiere hinübersetzte, blieben die Vicuñas auch nicht zurück, sondern folgten dem Beispiel. Die Indianer hüteten sich auch deshalb wohl ein Rudel einzukreisen, bei dem sie eines der klügeren Guanácos spürten.
Das wilde Guanáco hat eine bestimmte Farbe, wie überhaupt fast alle wilde Thiere – das gezähmte Llama dagegen findet sich von allen Farben, schwarz, weiß, braun, grau, gefleckt, ja selbst getigert, und es giebt kaum etwas Bunteres auf der Welt, als eine Heerde dieser hübschen, langhalsigen, zottigen Thiere, die nicht scheu, aber doch erstaunt den schönen Kopf emporwerfen, wenn ein einzelner Reiter auf diesen Höhen die stille Oede ihrer Weiden unterbricht. Es giebt aber gewiß nichts Herzigeres und Lieberes auf der ganzen Welt, als so ein junges Llama mit seiner seidenweichen und dichten Wolle, und ich hätte Gott weiß was darum gegeben, wenn ich eines dieser prächtigen kleinen Dinger hätte mitnehmen können. Aber ich hatte Mühe genug mich selber vorwärts zu bringen, und überhaupt können die Llamas auch das heiße, trockene Land der Küste gar nicht recht vertragen. Sie kommen allerdings dann und wann in einzelnen Heerden selbst bis nach Lima hinunter, aber man treibt sie stets wieder so rasch als möglich zurück in das höhere, kältere Land, das ihre eigentliche Heimath ist und dessen rauher Luft zu begegnen, sie einen ganz anständigen warmen Pelz auf dem Leibe tragen.
Mein Maulthier hatte sich oben in der feinen und dünnen Luft ziemlich gut gehalten; beim Bergsteigen schien ihm nur auch die Luft etwas zu fehlen, denn es schnaufte schwer und blieb oft stehen, sich auszuruhen. Um es nicht zu sehr anzustrengen, machte ich deshalb einen kurzen Tagesmarsch und blieb in dem ersten Tambo, der unten am Fuß des oberen Rückens ziemlich einsam in den Bergen lag. Diese Tambos, kleine, niedrige Lehmhütten, die in größeren Städten wohl auch dann und wann ein Bett für den Fremden und Reisenden haben, sind in dieser Wildniß natürlich nur einfache Nachtquartiere, in denen man höchstens Abends eine Kartoffelsuppe und – wenn man Glück hat – ein Stück Fleisch, aber sonst nicht die geringste weitere Bequemlichkeit findet. Wenn man schlafen will, wird einem für die Nacht ein halbes Dutzend trockener Schaffelle anvertraut, auf denen man wenigstens vor der Feuchtigkeit des Bodens geschützt ist; sonst muß man, wie gewöhnlich, seinen Sattel zum Kopfkissen, seinen Poncho zur Decke nehmen, und wenn die Luft recht kalt und eisig über die Schneeberge herüberstreicht, kann man nach Herzenslust unter der dünnen Decke schütteln und frieren.
Ueberreinlich sind dabei diese Nachtquartiere ebenfalls nicht, und wenn es nicht unumgänglich nöthig ist, sollte man sich nie in der Nähe des Heerdes aufhalten, wo die Suppe bereitet wird – vorausgesetzt nämlich daß man etwas eigen in Bereitung der Speisen wäre. Dennoch ist es kein Vergleich mit dem Innern von Ecuador, denn im Vergleich mit den Bewohnern dieses Landes sind die Peruaner wahrhafte Holländer. Das Hauptnahrungsmittel dieser Höhen sind Kartoffeln, die aber auch aus mehr „tropischen“ Gegenden eingeführt werden müssen, und Schaffleisch; Mais bekommen sie ebenfalls dann und wann herauf und dörren ihn mit Fett, wo er ihnen als Brod dient.
Von diesem Haus aus Casacaucha, wo ich übernachtete, brach ich am nächsten Morgen wieder ziemlich früh auf, ein kleines Städtchen Ualjay zu erreichen. Der Weg dorthin, der noch immer auf der Puna fortführte, war aber heute sehr schlecht, denn obgleich hoch in den Bergen und an grasigen Hängen hinführend, zeigte sich der Boden so weich und sumpfig, daß mein Maulthier ein paar Mal zu versinken drohte und von da an nur mit der äußersten Vorsicht weiter gebracht werden konnte. Allerdings hat der Staat, da dies der Hauptweg der ganzen Republik ist, den Weg verbessern und an den schlimmsten Stellen ordentlich pflastern lassen. Da dies aber nur mit sehr rauhen Steinen geschehen konnte, die noch dazu kein festes Lager fanden, so drückten sie sich natürlich theils in den sumpfigen Boden ein, theils schoben sie sich auseinander, und eine schönere Gelegenheit, die Beine eines Maulthiers zu zerbrechen, giebt es wohl auf keiner Straße der Welt.
Unterwegs sah ich nichts als zahlreiche Schaf- und Llamaheerden. Die Schäfer wohnen in kleinen, runden Hütten, deren etwa vier Fuß hohe Mauer von Steinen aufgebaut ist, auf denen ein spitzes Dach von dick aufeinander gelegten Binsen ruht. Als Brennmaterial dient ihnen dabei der an sumpfigen Stellen abgestochene und in der Sonne getrocknete Rasen, und sie haben im Innern aus Lehm roh zusammengeklebte und von ihnen selbst aufgestellte Oefen, die so trefflich geformt sind, daß sie tüchtig ziehen und eine höchst wohlthätige Temperatur im Inneren verbreiten. Rings im Inneren der Hütte läuft dann eine Bank von eben solchen Rasenstücken aufgestellt, die über Tag zum Sitz und Nachts zur warmen Lagerstätte dient. Der Rauch zieht natürlich durch das Dach, oder wo er eben sonst einen Ausweg findet – Schornsteine kommen nicht vor.
Ualjay erreichte ich etwa drei oder vier Uhr Nachmittags, und da ich von hier aus noch etwa acht Leguas bis Cerro hatte, beschloß ich hier die Nacht zu bleiben. Ein guter Tambo sollte ebenfalls im Ort sein; vergebens frug ich aber dort um Nachtquartier, vergebens hielt ich bei jedem nur einigermaßen anständigen Haus, das ich in dem kleinen Städtchen fand, quarto zu bekommen; Niemand wollte den Fremden beherbergen, und no hay quarto lautete der Bescheid. Wäre ich nun ein schüchterner, junger Reisender gewesen, so hätte ich jedenfalls diese Nacht müssen unter freiem Himmel zubringen – keinenfalls etwas Angenehmes, da es etwa eine Stunde später scharf zu graupeln anfing. Ich hatte aber schon genug von der südamerikanischen Race gesehen, um zu wissen, wie man sie behandeln muß, und sowie ich meinen Rundritt gemacht und nirgends ein Nachtquartier gefunden, ritt ich vor das beste Haus der Stadt. Dort stieg ich einfach ab, schnallte meinen Sattel ab und trug ihn in das Haus, stellte meine Büchse in die Ecke und erklärte dem Besitzer der mich vorher selbst ziemlich [538] barsch abgewiesen, daß ich eingezogen sei. Er schien das auch vollkommen in der Ordnung zu finden, über meine vorherige Anfrage wurde kein Wort mehr gesprochen, und der Mann war von da an so freundlich, wie er sein konnte. Ich bekam sogar etwas sehr Seltenes, für mein Maulthier etwas Hafer und Mais, denn draußen auf der Weide war wenig oder nichts für dasselbe zu finden.
Außerdem entdeckte ich eine Tienda, in der ich ein Licht, etwas Brod und ein Blech mit Sardinen in Oel kaufen konnte. Chocolade und etwas guten Cognac hatte ich selber bei mir, und wenn der Leser wissen will, wozu ich solche lucullische Vorbereitungen an einer solchen öden Stelle machte, so muß ich ihm einfach sagen, daß es Sylvesterabend war, den ich an diesem Ort allein und einsam verbrachte. Natürlich wollte ich ihn auf eigne Hand feiern und mir wenigstens einen ordentlichen Grog brauen, die Gesundheit meiner Lieben und Freunde daheim zu trinken.
Wie denn die Zeit kam, daß daheim die Mitternachtsstunde schlug, und während ich im Geist die fröhlichen Paare daheim in den erleuchteten Sälen dahinfliegen sah, während ich manches stillen traurigen Stübchens gedachte, in dem sich gute Menschen ein herzliches Prost-Neujahr entgegenriefen – während ich wußte, wie – doch das Alles läßt sich eben nicht so mit Worten sagen, wie man es in einer solchen Stunde fühlt; als es aber daheim zwölf Uhr war, und während in Ualjay der Hagel auf das Dach niederraschelte und auf das hölzerne Vordach der Verandah schlug, lag ich ausgestreckt auf meinen Schaffellen, den Kopf auf dem Sattel, den dampfenden Grogbecher neben mir, und ein herzlicher gemeintes Prost-Neujahr hat Niemand aus der weiten Fremde in die Heimath gesandt, die guten Menschen dort zu grüßen.
Sonst schlafe ich sowie ich den Kopf auf den Sattel drücke – heute ging’s nicht, und lange noch lag ich träumend und wach, rauchte eine Cigarre nach der anderen und blies den Dampf in das neben mir stehende flackernde Licht hinein; der Mensch kann nämlich, wie bekannt, nicht im Dunkeln rauchen, so sonderbar das auch für einen Nichtraucher klingen mag. Sobald man den Dampf nicht sieht, weiß man nicht, ob Pfeife oder Cigarre brennt, und demzufolge wäre der Genuß des Rauchens also in der That nur eine Einbildung.
So lag ich, bis es auch in Ualjay schon sicher lange zwölf Uhr war, aber hier blieb Alles still und stumm. Das alte Jahr war vorüber und ein neues fing an, das etwa wußten die Leute, und Weiteres kümmerte sie nicht. Wie hätten sie auch mit irgend einem bestimmten Gefühl das alte Jahr scheiden sehen sollen, da sie überhaupt gar kein bestimmtes Gefühl für Zeit haben! Sie wissen, daß das Jahr 365 Tage hat, das ist Alles, wie rasch diese fliegen oder wie langsam, bleibt sich völlig gleich, denn sowie ein Tag vorbei ist, kommt ein anderer, der genau so aussieht und ganz denselben Werth hat, wie sein Vorgänger. Wozu die Tage etwa zu gebrauchen wären, und daß sie doch vielleicht selber in die Welt gesetzt sein könnten, derselben etwas zu nützen, fällt ihnen gar nicht ein.
Daß wir Europäer diesen Zeitabschnitten vielleicht ein wenig zu viel Nachdenken widmen, ihnen vielleicht etwas zu große Bedeutung zulegen, mag vielleicht sein, aber so ein neues Jahr ist doch auch immer wieder ein Riesenschritt dem Grab entgegen, nach denen gemessen unsere Bahn nicht eben lang erscheint, und daß Einem bei einem solchen Schritt dann noch eine ganze Menge von anderen Dingen einfallen – wer kann’s dem armen Menschenherzen verdenken?
Mein Licht wehte endlich nieder, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, stand die Neujahrssonne schon hoch am Himmel. Da ich übrigens keine Neujahrsvisiten zu machen hatte, störte mich das wenig, und ich stand langsam auf, meine Chocolade zu kochen und dann mein Thier zum Weitermarsch zu satteln.
Als ich die Thür öffnete, schien und blitzte die Sonne auf die weißbereiften und behagelten Wiesen und Dächer – Schnee und Eis unter 11 Grad südlicher Breite in Peru, wo, allen authentischen Bildern nach, die Leute als einzige Kleidung einen Schurz von rothen und gelben Federn und eine ebensolche Krone tragen. Wetter noch einmal, wie fest ich mich in meinen Poncho einwickelte und wie oft ich die Finger wärmen mußte, bis ich den Sattel wieder aufgeschnallt hatte!
Was half es mir jetzt, daß ich den Winter unter den Tropen zubrachte? Ich fror hier mit meinen verhältnißmäßig dünnen Kleidern mehr, als ich in Deutschland im kältesten Winter gefroren haben würde. Die aufsteigende Sonne leckte aber bald den Reif von den Hängen, und erst einmal im Sattel, wurde mein Thier, wie ich, bald warm genug.
Von hier aus führte der Weg bis Cerro de Pasco nur durch eine weite Pampa – eine fast ununterbrochene Hochebene, auf der das Maulthier wacker austraben konnte. Trotzdem daß hier die eigentliche Regenzeit schon länger eingesetzt, war ich bis jetzt noch glücklich verschont geblieben, und selbst die jene Ebene durchströmenden Flüsse standen so niedrig, daß ich sie alle an den verschiedenen Fuhrten passiren konnte.
Ganz merkwürdig ist die Scenerie, die sich dem Reisenden bietet, wenn er das enge Thal hinter sich läßt, in dem Ualjay noch liegt. Dort öffnet sich die Pampa vor ihm, und rechts und links weichen die niedrigen Berghöhen mehr und mehr zurück. Diese bestehen aber hier aus den wunderlichst geformten Steinen und Felsblöcken, die sämmtlich aussehen, als ob sie theils gemeißelt, theils durch Menschenhände sorgfältig aufeinander geschichtet wären. Dazu ist der ganze Berg nicht etwa Fels, sondern Rasenboden, aus dem die einzelnen Steine förmlich heraus zu wachsen scheinen, und was für sonderbare Gruppen bilden sie! Hier steigt ein einzelner Pfeiler wohl sechzig bis achtzig Fuß hoch vollkommen isolirt empor, dort sind vier oder fünf Felsblöcke zu einer Art riesigen Menschenfigur, die einen weitausstehenden Hut trägt, aufgeschichtet, und alle möglichen fabelhaften Ungethüme kann sich die nur einigermaßen lebhafte Phantasie aus diesen zerrissenen Gestalten und Formen zusammenstellen.
Man soll nie in der Welt etwas aufschieben – als ich dort vorbei kam, wollte ich mir ein paar der sonderbarsten Gruppen abzeichnen, verschob es aber auf den Rückweg, und als ich zurück kam, regnete es gerade an der Stelle, und ich mußte machen, daß ich nach Ualjay hineinkam. Hier traf ich mit einer kleinen Reisegesellschaft zusammen, die ebenfalls von Lima kam und nach Cerro de Pasco wollte. Es war ein Kaufmann von dieser Stadt, mit seiner jungen Frau, einem kleinen fünfjährigen Burschen vor sich auf dem Sattel, und ein älterer Herr, der sie begleitete – möglicherweise der Schwiegervater.
Unterwegs fanden wir einen jener kleinen Haidevögel, die sich ziemlich zahlreich in der Steppe finden. Sie sind etwa von der Größe einer Lerche, mit der sie auch sonst viel Aehnlichkeit haben, und weiß und schwarz gefleckt. Dies eine harmlose Thier flatterte um uns her, und wir sahen, wie es eines seiner Jungen, das noch nicht recht flügge war, wegzubringen suchte. Die junge Frau äußerte den Wunsch, den kleinen Vogel zu haben, und der gehorsame Gatte willfahrte dem. Die arme Mutter flog mit ängstlichem Flügelschlag und Klageruf hinter uns drein, als ob sie den Raub zurückerbitten wollte. Ich sagte der jungen Dame, daß sie unmöglich das kleine hülflose Thier am Leben erhalten könne, ihre einzige gleichgültige Antwort darauf aber lautete: „ich weiß es“, und sie behielt das arme Thierchen in der Hand, bis es die Mutter lange in Verzweiflung aufgegeben hatte und sie müde war, es zu tragen – dann warf sie es auf die Steppe hinaus, dort zu verschmachten.
Es war eine noch junge, ganz hübsche Frau, aber ich hätte von da an kein freundliches Wort – nicht einmal ein artiges –mehr mit ihr wechseln können. Keinenfalls hatte sie ein Herz, wie sie sich denn auch um ihr eigenes Kind den ganzen langen Weg nicht ein einziges Mal bekümmerte.
Hier begegneten wir einer Masse von Arrieros und besonders Llamatreibern, denn Cerro de Pasco ist eine nicht unbedeutende Stadt, die außerdem Nichts selber erzeugt, sondern Alles, bis auf das Letzte, aus der Umgegend zugeführt bekommen muß. Nur das Silber, um dafür zu bezahlen, liegt um sie her im Bauch der Erde, und die Menschen haben sich in einer kalten Einöde angesiedelt, um es heraus zu wühlen,
Pasco war die frühere Minenstadt, etwa drei Leguas von dem jetzigen Cerro entfernt, die Minen aber dort erwiesen sich schlecht, und die Bewohner von Pasco zogen sich meist alle nach den reicheren Minen von Cerro hinüber, wo sie sich häuslich niederließen. Da aber Cerro ursprünglich von Pasco kam, nannten sie die Stadt, wie es auch daheim nicht selten unsere Schriftsteller thun, Cerro de Pasco. – Pasco besteht solcher Art noch immer fort; wir konnten es vor uns an einem kahlen trockenen Berghang liegen sehen, aber nur noch wenige Einwohner sind dort, mehr aus alter Gewohnheit wie eines wirklichen Nutzens wegen, kleben geblieben, [539] und weder Handel noch Gewerbe blühen in der Mutterstadt, die das junge silberreiche und deshalb geadelte Cerro lang überflügelt hat. Auch ein paar Haciendas sahen wir unterwegs, aber die Eigenthümer derselben müssen sich auf dieser Höhe einzig und allein auf die Viehzucht beschränken, denn allen Feldfrüchten sind die Nachtreife, die hier das ganze Jahr eintreten, stets verderblich. Auf dieser Höhe kann natürlich weder Sommer noch Winter einen Einfluß haben, und wenn die Sonne auch im Sommer, wo sie über Kopf steht, am Tag etwas wärmer scheinen mag und etwas mehr Schnee von den Gebirgen wegfrißt, so bleibt die Luft doch immer kalt und dünn, und die Nächte sind immer dem Frost und Reif preisgegeben.
Einen wundervollen Anblick hatten wir aber auf dieser Hochebene, denn als sich gegen Mittag der auf den Flächen lagernde Nebel hob, sah ich das herrlichste Panorama von Schneegebirgen um mich her, das sich auf der Welt denken läßt. Diese schneebedeckten Kuppen schienen allerdings von dort aus, wo wir uns befanden, nicht übermäßig hoch – lag doch die Ebene selber wenigstens 14000 Fuß über der Meeresfläche –! aber wie ein weißer zackiger Gürtel spannten sie sich um uns her, oft tüchtige Hörner in die Wolken reckend, um deren scharfgerissene Spitzen dünne, schleierartige Nebel hingen. Thätige Vulcane schienen übrigens nicht darunter zu sein, wenigstens konnte ich nirgends die dunklen Rauchsäulen erkennen, die in Ecuador so manches Schneegefilde überhängen.
Die Pampa bildet hier solcher Art einen von mächtigen Hängen eingeschlossenen Kessel, der ebenfalls eine mehrere Leguas im Umfang haltende Lagune trägt. Alle die Wasser aber, die hier entspringen, nähren schon den Amazonenstrom und fließen in ihm dem atlantischen Meere zu. Diese Lagune weit zur Rechten lassend, zieht sich der Weg, während die Stadt Pasco ebenfalls an dem rechten Hügelhang liegen bleibt, mehr nach links hinüber, und etwa um drei Uhr Nachmittags erreichten wir die Minenstadt Cerro de Pasco.