Ein Weihnachten auf der Rauhen Alb

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Autor: Paul Lang
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Titel: Ein Weihnachten auf der Rauhen Alb
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 836–839
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[836]

Ein Weihnachten auf der Rauhen Alb.

Von Paul Lang.
(Mit dem nebenstehenden Bilde.)

Jawohl, Mutter, das ist ein alter Brauch im Schwabenland, daß man dem Schäfer, wenn er nicht zum Christkindle in die Stube kommen will, den Christbaum aufs Feld bringt, den Baum mit brennenden Lichtern und Glaskugeln dran. Ein Schäfer muß doch auch wissen, daß es Weihnachten ist. Ganz gewiß, ein alter guter Brauch ist’s.“

Also beteuerte die dreiundzwanzigjährige Margarete ihrer Mutter, der verwitweten Krämerin Bosch gegenüber, und dabei arbeitete sie wacker drauf los, um ihre Spitzenklöppelei für den heutigen Heiligen Abend vollends fertig zu bringen. Das kunstvolle Werk war ein Geschenk für die gnädige Frau im Schloß, bei der Margarete seit einer Reihe von Jahren im Dienste stand. Und so manches sie im Schloß schon gelernt hatte, was sie sich unter dem niedrigen Dach ihres Elternhauses niemals zu eigen gemacht hätte, das Klöppeln ging ihr doch nirgends so von der Hand wie unter den Augen der Mutter, die eine auch von ihrer Tochter noch nicht übertroffene Meisterin in dieser Fertigkeit war.

„Ein alter Brauch? So? Nein, davon weiß ich nichts und bin doch um ein Gutes älter als Du,“ entgegnete die Mutter. „Aber man hat ja alle die alten Bräuche einschlafen lassen und vergessen; man wüßte gar nichts mehr davon, wenn man sie nicht noch hier und da in den Büchern fände wie Deine gnädige Frau. Die hat Dir’s wohl erzählt?“

„Ja, und drum soll der Vetter Daniel heute abend bei seinen Schafen auch seinen Christbaum haben,“ versicherte Margarete bestimmt; und wenn sie einmal etwas gesagt hatte, so blieb es in der Regel dabei.

„Ich weiß nicht,“ nahm die Krämerin nach einer Pause wiederum das Wort, „ob ihr dem Vetter eine besondere Freude macht, wenn ihr ihn heute abend nicht ganz allein und in Ruhe laßt bei seinem Pferchkarren, seinem Hund und seinen sinnierigen Gedanken. Und die Leute im Dorf müßten Dich ja für närrisch halten, wenn Du mit einem brennenden Bäumle durch den dunkeln kalten Wald laufst.“

„Das Mariele geht natürlich mit mir. Und wenn der Vetter Daniel heut’ abend nicht für sich selber einen Christbaum haben will, so soll er sich doch wenigstens seinem Kind zulieb in den alten schönen Brauch schicken. Das Mariele ist halt ein armer Tropf! Vierzehn Jahre lang hat sie von ihrem Vater nichts gehabt, weil er in der Fremde herumgefahren ist, das eine Mal auf dem Schwarzwald, das andere Mal auf der Alb, das dritte Mal gar im Preußischen“ – sie meinte das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen. „Und jetzt, wo der Vetter zum erstenmal wieder nach langen Jahren Gelegenheit hätte, den Geburtstag seines Kindes und das Geburtsfest unseres Heilands mit anderen Christenleuten in der warmen Stube zu feiern wie sich’s gehört, jetzt will er nicht hergehen, sondern lieber auf dem freien Felde draußen eigenbrödeln. Nein! Das ist nicht recht!“

„Mir thut’s auch weh für ’s Mariele. Aber es hat seinen

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Ein Weihnachten auf der Rauhen Alb.
Nach einer Originalzeichnung von K. Rickelt.

[838] Grund. Heute vor dreizehn Jahren, dazumal hat der Vetter noch in Distelweiler gewohnt und hat seine Hämmel bis nach Straßburg und nach Paris hinein verhandelt und ist ein wohlhabender zufriedener Mann gewesen mit seinem braven fleißigen Weib – Gott hab’ sie selig! Also heute vor dreizehn Jahren ist das Mariele auf die Welt gekommen, und das hat ihrer Mutter das Leben gekostet. Am Stephanstag haben wir sie begraben, und ich hab’ ihrer Mutter keinen einzigen Liebesdienst mehr erweisen können als den, daß ich ihr Kind aus der Taufe gehoben habe. Am Abend, wie die Leidtragenden aus dem Hause gewesen sind, hat der Vetter den noch von seinem Weib aufgeputzten Christbaum angezündet, und ich bin darunter gesessen, das arme Tröpflein auf meinem Arm, und hab’ geweint. Die Lichter sind so nach und nach verloschen und der Vetter hat gesagt: ‚So, Base Lene, jetzt zünd’ ich keinen Christbaum mehr an!‘ Ich hab dann das Kind mit von Distelweiler herübergenommen durch Schnee und Regen, und Dein Vater hat das Mariele aufgezogen wie seine eigene Tochter, bis ich ihm selber die Augen zugedrückt habe. Die Glaskugeln und was sonst noch an dem Christbaum gehängt ist, hab’ ich auch mitgebracht; der Vetter hat mir’s sorgfältig in eine Schachtel gepackt in schneeweiße Lammwolle. Aber ich hab’s seitdem in der Schachtel gelassen und nicht angerührt.“

„Ja,“ fiel das Mädchen ein, „ich weiß noch gut, wie man mich vom Schloß geholt und mir gesagt hat, jetzt sei mein liebster Wunsch in Erfüllung gegangen, ich hab’ ein Schwesterle gekriegt. Aber ich bin fast ein bißle eifersüchtig geworden auf all die Liebe, die Du und der Vater an die Neuangekommene gewendet habt.“

„Wir haben dem Kind erwiesen, was sich gehört hat,“ fuhr die Mutter fort. „Und sie ist uns so etwas wie ein Ersatz gewesen für Dich; denn Du bist schon dazumal lieber auf dem Schloß gesteckt als in unserem engen Kramlädle. Der Vetter Daniel aber ist in die Fremde gegangen als ein armer Schafknecht, bis er sich im vergangenen Frühling in der Schäferei unserer Gutsherrschaft hat einstellen lassen. Nicht als ob er nach seiner Tochter in den dreizehn Jahren nicht gefragt oder nicht für sie gesorgt hätte. Zu ihrem Geburtstag hat er ihr immer etwas Schönes geschenkt. Aber vom ,Christkindle‘ hat er nie etwas aus der Fremde geschrieben. ‚Ich zünd’ keinen Christbaum mehr an‘ – das hat er bis zum heutigen Tag gehalten, und dabei wird er wohl bleiben.“

„Das kann er halten, wie er mag,“ entgegnete Margarete. „Aber wir zünden ihm den Baum an, versteht sich, erst draußen auf dem Kapellenbühl. Das Mariele trägt den Baum, und Du, liebe Mutter, gehst auch mit.“

„Ich weiß nicht, ob ich meinen Kramladen so stehen lassen kann. Am Heiligen Abend kommen ja gerade noch viele Kunden.“

„Ei, die Nachbarin wird gern für Dich einstehen, hat’s ja schon manchmal gethan.“

„Wir wollen sehen,“ entgegnete Frau Bosch und brach das Gespräch ab; denn in diesem Augenblick trat Vetter Daniel, der Schäfer, von seinen beiden Verwandten freundlich begrüßt, zur Thür des traulichen Gemaches herein.

Der Schäfer hängte seinen alten Pelzkragenmantel und seinen wetterfesten Lodenhut an den hölzernen Pflock in der Nähe des warmen Ofens, unter dem es sich sein treuer Hund Nero, ohne sich lange zu besinnen, behaglich gemacht hatte. Dann setzte er sich auf die Einladung der Base hin an den reinlich gedeckten Tisch.

Er hatte die wenigen Schafe, die ihm eigen gehörten, und mit denen er am Nachmittag und auf den Abend wieder ausfahren wollte, weil das Futter heuer gar so „klemm“ (rar) war, im Stall sorgfältig untergebracht, und nun ließ er seine erstarrten schwielenharten Finger, die heute morgen die Schippe regiert hatten, in der Stnbenwärme auftauen. Seiner Gamaschen, einer Fußbekleidung, die er sich in Straßburg beigelegt hatte, entledigte er sich nicht; er trug sie mit Stolz und ließ es sich wohl gefallen, daß man ihn im Dorf den „Gamaschendaniel“ nannte.

Nun schlug vom nahen Kirchturm des Dorfes die Mittagsstunde und das Mariele kam aus der Schule, wo sie in der letzten Stunde vor Mittag beim Pfarrer Konfirmandenunterricht genossen hatte. Sie ward von einigen Buben mit Schneeballwürfen verfolgt, denn ein Geburtstagskind muß es sich nach altem Herkommen im Dorf gefallen Lassen, daß ihm die Kameraden zur Erhöhung des Festes mit Neckereien zusetzen. Doch vor dem Hause kam Lammwirts Konrad der Flüchtigen zu Hilfe. „Schämet euch, vier Buben gegen ein Mädle!“ Das Mariele aber flog mit leuchtenden Augen und von der Kälte geröteten Wangen in die Stube, wo sie mit Jubel erst den Nero, der unter dem Ofen hervorkroch, begrüßte, dann die Base Lene, die Margarete und den alten Vater.

Kaum hatte der Schäfer Daniel Zeit und Gelegenheit, seine väterlichen Glückwünsche zum Geburtstag anzubringen, so wichtig war es seiner Tochter, ihm die Neuigkeit mitzuteilen, daß sie heute nachmittag keine Schule habe.

Das schmackhafte Mittagsmahl wurde von den Vieren ohne sonderlich lebhafte Unterhaltung eingenommen. Die Landleute auf der Alb nehmen es mit dem Essen ernsthaft; insbesondere bewies der Vetter Daniel, indem er kräftig zulangte, daß man dem Schäfer und seinem Hund nicht mit Unrecht nachsagt, sie seien keine Kostverächter.

Nach Tische wurde das Mariele in dem Gemache nebenan, in der „Stubenkammer“, wohin sich die beiden Mädchen zurückgezogen, von Margarete in das Geheimnis eingeweiht, daß man heute dem Vater nach altem guten Brauch den Christbaum auf den Kapellenbühl bringen werde.

Marie klatschte bei dieser Nachricht vor Freuden in die Hände. „Weißt Du,“ sagte sie, „das ist dann bei uns ganz so, wie es in alten Zeiten in Bethlehem gewesen sein muß. ,Und es waren Hirten in der selbigen Nacht auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn umleuchtcte sie, und sie fürchteten sich sehr.‘“

„Dein Vater fürchtet sich aber nicht,“ entgegnete Margarete. „Wenn er Angst hätte so allein auf dem Feld, so käm’ er zu uns in die warme Stube am Heiligen Abend und an Deinem Geburtstag.“

„Vor was sollt’ er auch Angst haben?“ fragte das Kind treuherzig. „Ist ja der Nero bei ihm.“

„Je nun, ich weiß, warum eigentlich Dein Vater heute die Nacht auf dem Felde zubringen will. Nach einem Schatz will er graben. Weißt Du, draußen auf dem Kapellenbühl, auf der Heide sind Gräber von alten Königen, die man dort vor zweitausend Jahren begraben hat. Das hat im letzten Sommer der gelehrte Herr Professor aus Stuttgart, der auf dem Schloß gewohnt hat, Deinem Vater gesagt. Bei den Schäfern aber ist’s ein alter Glaube, daß dort, wo an einem Rain auf der Heide drei Schafe in der Christnacht bei einander stehen und fressen, die Köpfe gegeneinander, daß dort ein vergrabener Schatz zu finden sei. Das mußt Du aber für Dich behalten und darfst meiner Mutter beileibe nichts davon sagen. Sie kann solchen Aberglauben nicht leiden. Und besser wär’s schon, Dein Vater guckte in der Christnacht an einem brennenden Christbaum hinauf als in ein altes Heidengrab hinunter.“

Marie nickte nachdenklich. Es war ihr doch etwas unheimlich, daß ihr Vater auf dem Kapellenbühl in der Heiligen Nacht Schatzgräberei treiben wollte, wenn er’s auch nur dem Stuttgarter Professor zulieb that. Margarete kam rasch auf etwas anderes zu reden. Schon um fünf Uhr sei die Bescherung auf dem Schloß. Um sieben sei sie frei, dann könne man den Christbaum auf den Kapellenbühl hinaus tragen. Mariele solle nur den herrschaftlichen Jäger Oswald darum bitten, daß er aus dem Park ein nettes Tannenbäumle abgebe.

Die Lichter könne man im Kramladen haben; für die Glaskugeln und den sonstigen Schmuck des Baumes werde die Mutter sorgen. Auf dem Schloß solle Marie einen Korb mit ein paar Weinflaschen und Backwerk holen, den die gnädige Herrschaft für ihren treuen Schäfer schon zurechtgestellt habe. Und im „Lamm“ müsse sie dann noch für eine Laterne sorgen, der Hausknecht werde ihr gern eine geben.

Das Kind ging mit Freuden auf alles ein, was Margarete dem Vater zulieb thun wollte. Nur hinsichtlich des Jägers Oswald hatte sie einige Bedenken. „Er ist so streng,“ sagte sie, „und hat die jungen Tannenbäume so lieb, wie wenn’s seine Kinder wären. Auch fürcht’ ich mich vor seinem Hund.“

„Dann nimmst Du den Nero mit.“

„Den braucht der Vater! Mir giebt der Jäger kein Tannenbäumle. Ich mein’ aber, Dir thät er’s nicht abschlagen, Margret.“

Margarete wandte sich errötend ab. Sie war allerdings selbst schon seit einigen Monaten überzeugt, daß ihr der stattliche herrschaftliche Jäger kaum einen Wunsch abschlagen würde. Aber gerade deswegen konnte sie nicht zu ihm gehen und ihn um eine Gefälligkeit bitten. Ein dreizehnjähriges naseweises Ding braucht ohnehin von solchen Sachen nichts zu wissen. „Zum Jäger gehst Du, Mariele,“ sagte sie kurz abbrechend. „Ich hab’ an meiner Klöppelarbeit noch zu thun. Doch kann ich den Korb bei der gnädigen Herrschaft abholen.“

Während Mariele die ihr von Margarete erteilten Aufträge mit [839] flinker Freudigkeit ausrichtete. machte der alte Daniel im lederüberzogenen Großvaterstuhl am Ofen sein „Nickerle“. Margarete aber saß emsig am Klöppelkissen, während ihre Gedanken bei Oswald weilten. Später vertrat sie im Kramladen die Mutter, welche in die Bühnenkammer hinaufstieg, um den Christbaumschmuck hervorzusuchen. Sie fand in der Schachtel, in schneeweiße Lämmerwolle verpackt, alles wie es der Vetter vor dreizehn Jahren hergerichtet hatte. Sie fand aber noch etwas, wovon sie bis jetzt keine Ahnung gehabt hatte. Auf dem Boden der Schachtel lag eine notariell ausgestellte Urkunde. Darin erklärte der Vetter Daniel Heinrich Bader, Schäfer aus Distelweiler, „für Leben und Sterben“, daß er all seine Ersparnisse – es war eine schöne Summe – bei einer Bank in Straßburg hinterlegt habe. Das Geld gehöre zur Hälfte seiner Tochter Marie Bader, zur Hälfte der Tochter seines freundes Bosch, Margarete Bosch. Es solle jedoch der Marie Bader erst etwas davon gesagt werden, wenn sie konfirmiert sei, und der Margarete Bosch erst, wenn sie sich zu verehelichen gedenke. – –

„Aber Vetter, Vetter Daniel, was treibt Ihr für Sachen?“ fagte Frau Bosch erregt, indem sie mit der Urkunde in der Hand in die Stube trat.

Der alte Schäfer fuhr von seinem „Nickerle“ im Lehnsessel auf. „Was soll’s, Base Lene?“ fragte er verdutzt.

„Nun, was Ihr da habt schreiben lassen, Vetter! Das sieht ja aus, als hätten wir nicht alles, was wir dem Mariele erwiesen, gern umsonst gethan!“

„Ja, Base Lene, habt denn Ihr und Euer Mann gemeint, ich wolle euch so mir nichts, dir nichts ein Pflegekind anhängen? Ihr habt, soviel ich weiß, nicht gerade viel übrig gehabt, und ich – ich bin nach dem Tode meines Weibes wohl als ein armer Schafknecht in die Fremde gegangen, aber ein ganz unvermöglicher Mann bin ich in Distelweiler nicht gewesen. Also wenn’s Euch so recht ist, Base Lene, von dem, was da geschrieben steht, erfährt mein Mariele zum erstenmal etwas an ihrem Konfirmationstag, und Eure Margret an ihrem Hochzeitstag.“

„Wenn mir’s aber nicht recht ist, Vetter?! Und es ist mir gar nicht recht! Eurem Weib hab’ ich versprochen, daß ich das Mariele aufziehen wolle wie mein eigen Kind. Und jetzt soll ich mich von Euch wie mit einem Kostgeld abfinden lassen? Nein, Vetter –“

„Base Lene,“ sagte der Schäfer, „es thut mir leid, daß es Euch nicht recht ist. Aber ich kann’s nicht ändern! Wenn ich Euch von Rechtswegen heimzahlen sollte, was Ihr, Ihr und Euer Mann selig, an meinem Kind Gutes gethan habt um Gottes willen, ich blieb Euer Schuldner. Und – Kostgeld! Ein ‚Christkindle‘ ist’s für die Margret!“

Damit stand er auf, nahm seinen Lodenhut und seinen alten Pelzkragenmantel vom Pflock und verließ, von seinem Hund Nero geleitet, die Stube. Draußen ließ er die Schafe aus dem Stall und zog „mit sinnierigen Gedanken“, wie man’s vom „Gamaschendaniel“ gewöhnt war, die Dorfgasse entlang. – –

Abends um sieben Uhr war der Christbaum, der dem Schäfer auf den Kapellenbühl getragen werden sollte, stattlich aufgeputzt.

Die Besorgung des Kramlädchcns hatte Frau Bosch der zuverlässigen Nachbarin übergeben. Margarete war seelenvergnügt von der Bescherung im Schloß zurückgekehrt. Noch freudiger aber glänzten Marieles Augen: sie kam sich mit ihrem Baum vor wie ein Weihnachtsengel.

Man hätte können aufbrechen, wenn man nicht noch auf des Lammwirts Konrad, den biederen Hausknecht vom „Lamm“ und den Jäger Oswald gewartet hätte. Alle Drei hatten sich zur Begleitung auf den Kapellenbühl angeboten: Konrad, weil er den Korb mit den Weinflaschen tragen wollte, der Hausknecht, weil er meinte, die Laterne sei „von wegen den Baumwurzeln“ nur in seiner Hand vor einem Unfall sicher, der Jäger, weil er, wie er behauptete, nicht fehlen durfte, wo es gelte, einen alten guten Brauch wieder zu Ehren zu bringen.

Und die Drei fanden sich, ohne daß man allzulang auf sie warten mußte, der Reihe nach ein. Konrad bemächtigte sich mit seinen Pelzhandschuhen des gesamten Mundvorrats. Der Hausknecht zündete seine Laterne an. Der Jäger kaufte für seine kurze Pfeife im Kramladen ein Päckchen Tabak; er hatte das Tannenbäumchen der Bittstellerin recht freundlich verwilligt. Und nun ging’s auf möglichst einsamen Pfaden, weil man „unbeschrieen“ bleiben wollte, durch die mäßig verschneiten Wiesen und die waldige Berghalde entlang zu dem eine halbe Stunde entfernten Kapellenbühl.

Wir lassen die Wanderer durch den Wald allein gehen; für Oswald und Margarete, die dicht nebeneinander schreiten, … wären wir eine lästige Gesellschaft. Aber auch Frau Bosch, Mariele, Konrad und der lichtspendende Hausknecht können unserer Begleitung füglich entraten.

Wir eilen voraus zum Kapellenbühl und machen am Pferchkarren Rast.

„Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad,
Steht hoch auf der Heiden, so frühe wie spat;
Und wenn nur ein mancher so’n Nachtquartier hätt’!
Ein Schäfer tauscht nicht mit dem König sein Bett.“

singt Mörike! Und er hat recht.

Freilich, unser alter Daniel ist ein gestandener Mann, nicht mehr so jugendlich leichtblütig wie Mörikes Schäfer. Allerlei Gedanken, ernste und heitere, gehen ihm durch den Kopf, während er zu dem grau überlaufenen Nachthimmel hinauf, zu dem schweigenden Wald hinüber blickt. Mit dem Schatzgraben ist’s heute nichts; der Bodcn ist, wiewohl der Frost nicht allzustreng waltet, doch hart gefroren. Auch kommt es nie dazu, daß drei Schafe ihre Köpfe zusammenstecken, ihm das erwünschte Zeichen für die richtige Stelle zu geBen.

Allerlei Gedanken: sein Weib, das er noch nie hat vergessen können, sein Kind und die Konfirmation im nächsten Frühjahr, was die Base Lene von der Urkunde denkt, und ob Margret nicht doch bald Heiratstag haben wird ...

Nero, der Hund, wird unruhig und schlägt an; denn er hat in der Ferne des Hausknechts Laterne bemerkt und Tritte nahen hören durch die tiefe Stille der Nacht. Sein Herr bringt ihn nur mit Mühe zum Schweigen.

Nun flammen im völlig windstillen Dunkel sechs, sieben, acht andere Lichter auf.

Jetzt erkennt der Schäfer Daniel die Base Lene, die zwischen dem Jäger und ihrer Tochter sich eine unerschütterliche Stellung erkämpft hat. Da keucht der schwerbeladene Konrad heran. Aber allen voraus schreitet sein Kind und bringt ihm den Christbaum, damit er auch Weihnacht feiern kann auf dem Feld.

„Aber Base, Base Lene, was denket Ihr, was treibet Ihr!“ ringt es sich von des alten Mannes Lippen los. Und weil die Base keine Antwort giebt, stimmt Margret mit hellem Klang das alte liebe Lutherlied an:

„Vom Himmel hoch, da komm’ ich her
Und bring’ euch gute neue Mär.“

Der Schullehrer hat’s mit dem gemischten Chor für den morgigen Festtag eingeübt. Und der Jäger Oswald nimmt andächtig die Pfeife aus dem Mund und fällt mit seinem kräftigen Baß ein.

Wie aber das Lied zu Ende gesungen ist, wird der brennende Baum auf ein paar zusammengestellte Hürden gepflanzt, und der alte Schäfer Daniel sieht sich in einem Kreis froher Menschen die Geschenke an, mit denen er sonst noch bedacht worden ist.

Viel Worte macht er ebensowenig wie die Base Lene, aber das Herz ist ihm zum Zerspringen voll. Und schließlich hat er nichts dagegen einzuwenden, wie sie alle aufbrechen, um ihn allein zu lassen bei seinem Pferchkarren und seinen Schafen, mit seinem Hund und seinen sinnierigen Gedanken.

Der Hausknecht hat ein neues Licht in der Laterne aufgesteckt. Konrad schwenkt den Arm, der keine Last mehr heimzutragen hat. Der Jäger und Margret sind schon ins Dunkel des Waldes getaucht.

Doch ehe die Base Lene den alten Daniel verläßt, nimmt er sie ein wenig beiseite und sagt: „Lene, nichts für ungut, aber ich meine, die Urkunde auf dem Boden der Schachtel ist für die Zwei da vorn nicht so ganz ohne. Was meint Ihr?“

Man sagt den Schäfern nach, sie können das Wetter prophezeien. – Warum nicht auch eine Verlobung?