Ein altes Familienbild

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Autor: Gustav zu Putlitz
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Titel: Ein altes Familienbild
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 633–636
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein altes Familienbild.
Von Gustav zu Putlitz.


Den Lesern der „Gartenlaube“ bringe ich die Wiedergabe eines alten Familienbildes, das ich vor mir habe, indem ich schreibe, das in meinem Zimmer hängt, das mich seit meiner Kindheit lebhaft interessirte und das für mich manche wehmüthige Erinnerung trägt. Von denen aber will ich nicht erzählen, nur von Dem, dessen Züge es aufbewahrte, Züge, die mir so vertraut geworden sind, als ob ich das Original lebend gekannt hätte, und doch ist das Bild fast ein und ein halbes Jahrhundert alt. Freilich gelebt habe ich mit dem Bilde in mancher ernsten und heiteren Stunde und aufgeblickt in erhobener und trüber Stimmung zu den lebensfrischen Zügen, in die dunklen Augen, die so hoffnungsreich und muthig in’s Leben blickten, das noch in demselben Jahre, in dem der Maler das Bild auf die Leinwand fesselte, ein grausamer und jäher Tod beschloß. Es ist das Bild Hans Hermann’s v. Katte, des Jugendfreundes Friedrich’s des Großen. Noch andere Bilder, die zu seinem Leben, zu seinem tragischen Geschick in Beziehung stehen, hängen in demselben Zimmer: seine Großmutter, aus der längst ausgestorbenen Familie v. Capellen; sein Vater, der Feldmarschall v. Katte; seine Schwester, meine Urgroßmutter; das lebensgroße Bild Friedrich’s des Zweiten, ein Geschenk des großen Königs an den Vater seines unglücklichen Freundes.

Hermann von Katte.
Nach einem im Besitz des Herrn Gustav zu Putlitz befindlichen Oelgemälde.

Wie die Bilder in meinen Besitz kamen, ist leicht erklärt. Katte’s Stiefschwester (rechte Geschwister hatte er nicht und seine Mutter, Tochter des Grafen Wartensleben, Minister unter Friedrich dem Ersten, starb früh) war meine Urgroßmutter, und die Bilder kamen aus der Nachlassenschaft einer alten Großtante, die ich noch gekannt habe, in unser Haus. Deutlich noch erinnere ich mich des Tages, als sie mit vielem anderen veralteten Hausgeräth ausgepackt wurden, und ich weiß noch von dem großen Eindruck, den sie dem Knaben machten, denn ich kannte die Geschichte Katte’s, die mir von der alten Großtante als eine Familientradition oft erzählt war. Das einsame, abgeschlossene und meist ereignißlose Leben jener Zeit erhielt die Familiengeschichten durch Generationen lebendig und gab ihnen besondere Wichtigkeit. Diese Geschichte wurde noch durch eine doppelte Empfindung getragen, durch den Schmerz über Katte’s unverdientes und so leicht abzuwendendes Geschick und durch den Stolz auf die Freundschaft des großen Königs, durch die Katte ohne diese tragische Katastrophe eine glänzende und einflußreiche Zukunft gehabt hätte.

Noch ein anderes Andenken bewahre ich von dem Hingerichteten: eine kleine silberne Zuckerdose, auf der sein Wappen, aufgelegt auf das Kreuz des Johanniterordens, eingravirt ist. Diese Dose hat ihn noch in sein Gefängniß begleitet, und mit [634] wunderbaren Empfindungen habe ich sie immer betrachtet. Das Leblose, welches das Lebendige überdauert, der stumme Zeuge eines Geschicks, das Glied einer Kette, die aus der längst verschwundenen Vergangenheit in unsere Tage reicht, hat etwas eigenthümlich Ergreifendes, und immer nur mit einer gewissen Scheu habe ich diese Reliquie berührt.

Wie natürlich also, daß mich die Geschichte Katte’s durch’s Leben beschäftigte, daß ich Alles sammelte, was an Notizen mit derselben in Zusammenhang steht. Sie ist einfach, klar, allbekannt, und mein kurzer Bericht wird dem Leser kaum etwas anderes Neues bringen, als das Bild, das ihn illustrirt. Freilich weicht meine heutige Auffassung der Verhältnisse und des Charakters wesentlich von der jener Familientradition ab und schwächt den Schmerz ab über das Geschick, aber auch den Stolz auf die Freundschaft des jungen Fürsten, der als „alter Fritz“ eine so glänzende Stelle in der Geschichte Preußens einnehmen sollte, ja der die erste Staffel baute zu dem deutschen Bau, der in jüngsten Tagen die Verhältnisse Europas so glänzend wandelte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, möchte auch das Geschick Katte’s wie ein Zahn im Rade der Geschichte neue Bedeutung gewinnen.

Hans Hermann v. Katte ist im Jahre 1708 geboren. Sein Vater, später Feldmarschall in Königsberg, stand in der Armee; seine Mutter, wie schon erwähnt, war die Tochter des einst so einflußreichen Kriegsministers des Königs Friedrich des Ersten, des Grafen v. Wartensleben, der sich, unter Friedrich Wilhelm dem Ersten aus dem Staatsdienst zurückgetreten, ein Haus in Berlin (etwa an der Stelle, an der jetzt der Schloßbrücke gegenüber das Hôtel de Russie steht) gebaut oder dasselbe wahrscheinlich als Dotation vom König Friedrich dem Ersten erhalten hatte. Unseres Katte Mutter starb früh. Der Vater verheirathete sich zum zweiten Mal und hatte eine zahlreiche Familie aus dieser Ehe, eine ganze Reihe von Töchtern und auch mehrere Söhne, die aber unverheirathet starben, so daß dieser Zweig der Familie und mit ihm der Grafentitel, den Friedrich der Zweite dem Feldmarschall v. Katte beilegte, erlosch. Es war natürlich, daß der alte Großvater, Graf Wartensleben, sich der Erziehung Katte’s vorzugsweise annahm, sie in den Ideen seiner Zeit leitete und seine Verbindungen zu benutzen suchte, um dem Enkel eine Carrière zu machen. Aber diese Ideen wichen sehr ab von denen, in welchen Friedrich Wilhelm der Erste, der damalige König, lebte und regierte.

Friedrich der Erste, prunkliebend, unter dem Einfluß des Auslandes, namentlich des glänzenden, sittenlosen Pariser Hofes, suchte französische Form und Bildung nachzuahmen und liebte es, wenn die Söhne der preußischen Adelsfamilien auf Reisen in das Ausland gingen; der schlichte soldatische Friedrich Wilhelm der Erste dagegen war allem ausländischen Prunk und Wesen abhold, nahm es nicht hoch auf, wenn seine Landeskinder in die Fremde gingen und unpreußische Sitten und Anschauungen heimbrachten, die sich meist in geringschätzendem Spott über die karge Wirthschaft am heimischen Hofe Luft machten. Graf Wartensleben hatte seinen Enkel, treu den Auffassungen seines Königs, aber doch auf Reisen geschickt, und der geistig lebhafte, lebensfrohe, sinnliche Hans Hermann v. Katte, der nicht frei war von Eitelkeit und Ehrgeiz, hatte sich eine für seine Zeit ungewöhnliche äußere und innere Bildung angeeignet, die ihn bei dem entschuldbaren Leichtsinn der Jugend, denn er hatte kaum sein zwanzigstes Jahr überschritten, im Guten wie im Schlimmen vor seinen heimischen Standes- und Altersgenossen auszeichnete und, da er es nicht vermied, von sich reden zu machen, die Augen des Berliner Hofes und der Gesellschaft auf ihn lenkte. Er war als Officier bei den Garde-Gensd’armes eingetreten, aber der eiserne Zwang der preußischen Militärzucht wollte dem an freies und zügelloses Leben Gewöhnten ebensowenig behagen, als der prunklose, knappe Zuschnitt der geselligen Freuden in Berlin, und so zogen ihm vielfache Ausschweifungen und Insubordinationen mancherlei Rügen seiner Vorgesetzten zu, die dem Ohr des Königs nicht verschwiegen bleiben konnten. Der junge Mann war durchaus nicht nach seinem Sinn und erregte oft genug seinen Zorn, den nur die Rücksicht auf den Vater und Großvater in Schranken hielt. Er mißbilligte und verbot den intimen Verkehr des Kronprinzen mit Katte, aber bei der eigenthümlichen Stellung des Vaters zum Sohn, bei der schroffen Verschiedenheit ihrer Charaktere trug das nur noch mehr dazu bei, den Kronprinzen enger an Katte zu fesseln. Und in der That fand er in ihm Alles, was ihn anziehen mußte. Liebenswürdig, gebildet, leichtlebig, tollkühn und zum Abenteuerlichen geneigt, mit den Erfahrungen seiner Reisen, dazu um vier Jahre älter als der Kronprinz, hatte er eine gewisse Ueberlegenheit, die wieder die Verschiedenheit der Lebensstellung ausglich.

Das Verhältniß wurde immer inniger und bald nannte man allgemein den jungen Katte als den entschiedenen Günstling des Kronprinzen Friedrich. Unvorsichtig aus Eitelkeit, unüberlegt aus Tollkühnheit und Lust an Gefahren, die dem einförmigen Garnisondienst Reiz und Abwechselung gaben, trug der junge Officier die Zeichen dieser Freundschaft mehr, als gut war, zur Schau, ja er ging so weit, ein Portrait der Prinzessin Wilhelmine, der älteren Schwester des Kronprinzen, der nachmaligen geistvollen, durch ihre Memoiren berühmt gewordenen Markgräfin von Baireuth, öffentlich zu zeigen und eine freundschaftliche Vertraulichkeit auch zu dieser errathen zu lassen, die vielfach von sich reden machte. Das trug nur dazu bei, daß Neid und Mißgunst, vielleicht auch redlicher Eifer, dem Hof zu dienen, ihn beobachtete, zu verdächtigen suchte und den König immer gereizter gegen ihn machte, eine Stimmung, die in erneuerter Strenge gegen den Sohn ihren Ausdruck fand.

Der Kronprinz schüttete sein empörtes Herz gegen den Freund aus und nährte in dem Verkehr mit ihm nur den Abscheu gegen den Zwang seiner Erziehung und die Sehnsucht, ein freies Leben im Auslande kennen zu lernen. So entstand der abenteuerliche, sinnlose Plan der beiden jungen Männer, durch die Flucht aus der Heimath sich der grausamen Strenge des Königs, der langweiligen Militärzucht zu entziehen. Für Katte war das mehr als Desertion, es war Majestätsbeleidigung, fast Landesverrath. Anfangs mag der Plan nur eine Gedankenspielerei müßiger Stunden gewesen sein, aber eine tiefeingreifende Verstimmung in der Familie des Königs ließ ihn zum festen Entschluß werden. Die Königin beabsichtigte eine Doppelheirath ihrer Kinder, des Kronprinzen und der Prinzessin Wilhelmine, mit den ältesten Kindern ihres Bruders, des Königs Georg des Zweiten von England. Anfangs war der König diesem Plan nicht abgeneigt, aber österreichische Einflüsse, zumeist dann ein Hinhalten und Erschweren der Verhandlungen Seitens des englischen Hofes machten ihn ungeduldig. Er brach ab, und nun begann eine Reihe von Intriguen für den Plan, deren Fäden in der Hand der Königin sich vereinigten und in die der Kronprinz, halb aus Opposition gegen den Vater, mit hineingezogen wurde.

Katte, um sich der Königin und Prinzessin Wilhelmine nähern zu können, ließ sich leicht in’s Geheimniß ziehen, dem er durch mancherlei Verbindungen im Auslande förderlich sein konnte. Durch ihn gingen die Briefe, er bewahrte die Correspondenzen, die man bei ihm sicherer hielt als selbst in den Händen der Königin. Der König, dem alle diese Verhandlungen hinter seinem Rücken nicht völlig verborgen bleiben konnten, ließ seinen Zorn darüber zunächst an dem Kronprinzen aus, der nun wirklich, in völliger Verzweiflung über die seiner Meinung nach unwürdige Behandlung seitens des Vaters, den Fluchtplan mit Katte fest beschloß.

Mag man die Memoiren der Prinzessin Wilhelmine, in nie überwundener Gereiztheit geschrieben, für übertrieben ansehen in Bezug auf den Jähzorn und die Tyrannei des Vaters den Kindern gegenüber, darf man sie überhaupt nur unter dem Gesichtspunkte ihrer Zeit beurtheilen, so erklären sie doch, wie in der Seele des Kronprinzen ein Gedanke reifen konnte, den sonst nicht einmal seine Jugend entschuldigen könnte. Katte hatte einen großen Antheil an demselben, und mögen auch Eitelkeit, jugendliche Lust an der Gefahr bei ihm mit bewegend gewesen sein, jedenfalls waren eine schwärmerische Freundschaft und Bewunderung für den jungen Königssohn und Empörung über die diesem vom Vater widerfahrene Unbill die edleren Beweggründe, sein Leben für ihn zu wagen. In dieser Freundschaft liegt seine Entschuldigung; sie ist das Tragische seines Geschickes, das Motiv, das unsere Theilnahme für ihn berechtigt, und zugleich der Trost für seinen grausamen Tod. Er hat für diese Freundschaft sein Leben hingegeben, ist mit ihr gestorben, in dem vollen Bewußtsein, daß auch Der, dem er sein Herz hingab, diese Neigung erwiderte. Dadurch ist sein Geschick minder tragisch als das jenes unglücklichen [635] Mädchens, der Cantorstochter Doris Ritter aus Potsdam, mit welcher der Kronprinz gegen den Willen des Königs Musik trieb und die Dieser, weil er eine Liebelei voraussetzte, öffentlich auspeitschen und dann in das Zuchthaus nach Spandau bringen ließ. Als sie dort einige Jahre abgebüßt hatte – war sie vergessen.

Außer Katte wußten nur Wenige um den Fluchtplan des Kronprinzen. Etwa ein anderer Freund desselben, der Lieutenant v. Keith, gegen den aber der König schon Verdacht geschöpft und ihn, um ihn von dem Sohn zu entfernen, nach Wesel versetzt hatte, dessen jüngerer Bruder, der Leibpage des Königs war, und die Lieutenants v. Spaen und v. Ingersleben. Jedenfalls wußten Letztere aber nur Unbestimmtes, wie auch die Prinzessin Wilhelmine. Daß noch eine Dame um das Geheimniß wußte, darüber hat mich ein anderes Portrait, das gleichfalls in meinem Zimmer hängt, aufgeklärt. Als damals die Bilder aus der Erbschaft der alten Tante kamen, war eins darunter, das nicht als Familienbild festzustellen war, das aber eine schöne anmuthige Frau vorstellte und deshalb mit den anderen behalten wurde. Tracht und Frisur deuten auf eine etwas frühere Zeit als die Katte’schen Bilder. Nun fand sich viel später auf der Rückseite des Bildes ein Wappen und zwar das der Grafen Rothenburg, einer elsässischen Familie. Graf Rothenburg war zur Zeit des Fluchtversuchs französischer Gesandter am Berliner Hof; seine Gemahlin hatte Güter im Elsaß, und auf diesen wollte der Kronprinz mit dem Freunde nach geglückter Flucht zusammentreffen. Die schöne Frau war Katte’s Vertraute, und so kam das Portrait, wahrscheinlich aus jüngeren Jahren der Gräfin, durch leicht erklärliche Verbindung in den Besitz der Katte’schen Familie. Der lange besprochene Fluchtversuch sollte auf einer Reise, die der König in Begleitung seines Sohnes im Sommer des Jahres 1730 antrat, zur Ausführung kommen. Ueber Leipzig, Altenburg und Ansbach, wo der König kurze Zeit bei seiner verheiratheten Tochter verweilte, von da über Augsburg und Ludwigsburg, das Lustschloß des Herzogs von Württemberg, ging die Reise, und dann über Mannheim und Darmstadt nach Frankfurt weiter. Man konnte die Stadt nicht mehr erreichen und mußte im kleinen Städtchen Sinsheim übernachten.

Katte war in Berlin und erwartete noch nähere Bestimmungen des Kronprinzen. Dieser hatte ihm geschrieben; aber der Brief war durch eine Ungeschicklichkeit des Postmeisters in Nürnberg in falsche Hände gekommen, in die eines Werbeofficiers v. Katt, der sich zur Zeit in Erlangen aufhielt und das ihm unverständliche Schreiben durch einen Courier an den König schickte. Dadurch wurde der Plan verrathen und einestheils der Kronprinz gefangen genommen, anderntheils Katte’s Abreise von Berlin verzögert. Erst als schon die Gerüchte von der Gefangennahme des Freundes in Berlin laut zu werden anfingen, entschloß er sich, zu fliehen, und das nur gedrängt durch die Königin und Prinzessin Wilhelmine, die mit Recht voraussahen, daß seine Anwesenheit, zugleich mit compromittirenden Briefen, die man bei ihm finden könnte, den Zorn des Königs nur vermehren und das Geschick des Kronprinzen verschlimmern würde. Keith war gleich nach der ersten Nachricht von der Verhaftung des Kronprinzen von Wesel nach England entflohen, hatte sich dadurch der Strafe entzogen und kehrte später in die Dienste Friedrich des Zweiten zurück. Der große König hat ihm niemals besondere Gunst erwiesen und nie mit einer Silbe später des Fluchtplanes gedacht. Diese Erfahrung sollte Katte erspart werden.

Eine Kette von Zufälligkeiten hielt seine Abreise von Berlin auf. Erst mußte eine Menge von Briefen des Kronprinzen sicher in die Hände der Königin geliefert werden, was, bei bereits erwecktem Verdacht, nicht ohne Schwierigkeiten geschehen konnte; dann war der französische Sattel nicht fertig, dessen er nothwendig zur Reise bedurfte. Der junge Mann spielte mit der Gefahr, kämpfte mit dem Abscheu gegen eine feige Flucht und mit der Empfindung, das Loos seines königlichen Freundes theilen zu wollen, wie es auch fiele. Aber immer dringender wurden die Warnungen, die drängenden Vorstellungen der Freunde, die Alles ahnten; endlich gab er Befehl, das Pferd zu satteln; in einer Stunde wäre er gerettet gewesen. Der Verhaftsbefehl gegen ihn war bereits angelangt; die Vorgesetzten hielten ihn, schon aus Rücksicht für den Kronprinzen, so lange als möglich zurück, ja man glaubte Katte längst fort aus Berlin, als der Chef seines Regimentes, Feldmarschall v. Natzmer, in seine Wohnung trat, höchlichst erstaunt, ihn noch zu finden, und gezwungen war, ihn zu verhaften. Das geschah am 17. August 1730.

Im September war der König mit dem gefangenen Kronprinzen von seiner Reise zurückgekehrt und setzte sofort ein Kriegsgericht ein, um über den Sohn und seine „Complicen“, wie er sich ausdrückte, Recht zu sprechen. Das Kriegsgericht war in Köpenick zusammengetreten. Die Acten desselben liegen vor. Friedrich Wilhelm der Erste hatte für Alle den Tod verlangt. Wir müssen bei Beurtheilung dieser Handlungsweise seinen Charakter, seiner Zeit und seiner Ueberzeugung Rechnung tragen. Er betrachtete das Vergehen als ein doppeltes – als militärische Desertion und als Landesverrath, der den angestammten Thronerben seiner angeborenen Herrscherpflicht entziehen wollte. Es war ihm Ernst, den eigenen Sohn zu opfern, für das Verbrechen an dem Vaterlande.

Der Spruch lautete wirklich für den Kronprinzen auf Tod, soweit hatte man der Ansicht des Königs nachzugeben, für Katte und den älteren Keith (welcher sich, wie bereits erwähnt, durch die Flucht der Strafe entzogen hatte) hieß er lebenslängliche Festungsstrafe, Degradation und Karrenschieben an der Kette; Spaen und Ingersleben kamen mit leichteren Festungsstrafen davon, und ebenso der jüngere Keith.

Der König war fest entschlossen, die Todesstrafe an dem Sohn vollstrecken zu lassen, trotz der Verwendung des gesammten Kriegsgerichts, das wohl nicht gemeint hatte, daß es so weit kommen würde, und der muthigen Vorstellungen einzelner Personen, unter denen die Obristhofmeisterin der Königin, Frau v. Kamecke, in erster Reihe zu nennen ist. Es bedurfte der Einsprüche der meisten europäischen Höfe, die den König fast in Form von Drohungen zwangen, von diesem blutigen Vaterheroismus abzustehen. Um so weniger ist sein Verhalten gegen Katte zu rechtfertigen. Man hatte die Gelegenheit herbeizuführen gewußt, daß dieser sich dem König zu Füßen werfen konnte, für den Kronprinzen und für sich selbst um Gnade zu bitten. Der König mißhandelte ihn, trat ihn mit Füßen und ging noch weiter – er verschärfte das Urtheil des Kriegsgerichts auf den Tod. Dieser Act der Willkür bleibt ein Flecken auf dem Charakter des sonst nach vielen Richtungen der Anerkennung so würdigen Monarchen und Katte’s Tod ein blutiges Blatt in der Geschichte Preußens.

Von jetzt ab verdient der junge Mann nicht allein unsere vollkommene Theilnahme, sondern jede Anerkennung die Muth, Opferwilligkeit und hochherzige Gesinnung beanspruchen können. Die Briefe an seine Familie, die ganze Haltung dem Tode gegenüber waren eines Helden würdig. Am 2. November war ihm in Berlin das Urtheil publicirt; am 5. wurde er nach Küstrin transportirt, wo schon der Kronprinz als Gefangener gehalten wurde, und am 6. wurde der Spruch durch das Schwert von Henkershand vollstreckt.

Der König hatte befohlen, daß die Hinrichtung in Gegenwart des Kronprinzen statthaben sollte, aber man nahm den Befehl nicht wörtlich, wenigstens steht es fest, daß von dem Zimmer im Schlosse zu Küstrin, das der Kronprinz als Gefangener bewohnte und nicht verließ, der Richtplatz nicht zu sehen war. Dagegen sah er den Freund zum letzten Male, als man ihn an seinem Fenster vorbei zum Tode führte. Er riß das Fenster auf und rief wie ein Verzweifelnder: „Vergieb mir, mein lieber Katte!“

Dieser lächelte und erwiderte: „Der Tod für einen so liebenswürdigen Fürsten ist süß!“ Wenige Augenblicke darauf war sein Haupt gefallen.

Die Triebfedern der Geschichte sind wunderbar! Nicht der so verschieden angelegte Vater allein, fast das ganze Land, jedenfalls das Militär, setzten geringe Hoffnung auf den französischer Bildung anhängenden, Flöte blasenden, verweichlichender Träumerei sich hingebenden Kronprinzen Friedrich. Katte’s Freundschaft hatte Höheres in ihm erkannt, und sein Tod war vielleicht der Eindruck, der im Fürstensohne alle die Eigenschaften reifen ließ, durch die er einst der Stolz Preußens und die Bewunderung Europas werden sollte. Sicher ist mit diesem Augenblicke der Umschwung seines Charakters zu männlicher Energie und ernster Hingabe an seine Herrscherpflicht zu bezeichnen. So konnte Katte die späteren Triumphe des Freundes, die zu theilen ihm nicht vom Geschick vergönnt war, durch das Opfer seines Lebens wenigstens vorbereiten, und dies Leben war kein verlorenes.

[636] Es war eine Grausamkeit der Zeit, daß der Henker persönlich von dem Großvater des Hingerichteten die Kosten der Execution einforderte, und es bedurfte eines Gnadengesuchs der Familie beim Könige, um die Leiche in der Gruft auf dem Familiengute Wust beisetzen zu dürfen. Da ist sie noch zu sehen, und auch das Schwert, welches das Haupt des Jünglings vom Rumpfe trennte, wird in der Katte’schen Familie aufbewahrt.

Das freundlichste Andenken, das er hinterließ, ist sein Bild, und so sende ich es hin, die Theilnahme für den in der Blüthe der Jahre Hingeopferten in vielen Herzen wachzurufen.