Ein deutscher Fürst am schwarzen Meer

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Textdaten
Autor: L. H. P.
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Titel: Ein deutscher Fürst am schwarzen Meer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 28–31
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein deutscher Fürst am schwarzen Meer.

Am 23. Februar 1866 brach in Bukarest, der Hauptstadt von Rumänien, eine sehr fein gesponnene Verschwörung aus. Die Verschworenen hatten zwar weder blonde Perrücke, noch schwarzes Collet, wie von ihnen in der „Madame Angot“ gesungen wird, aber sie besaßen die Haupttugend bei Verschwörern, tiefe, unergründliche Discretion. Niemand hatte über den Plan etwas verlauten lassen, und das Opfer, Prinz Conza, verfügte sich ganz ahnungslos zu Bette, bei seiner späten Rückkehr im Palais (er hatte eine markirte Vorliebe für nächtliche Lustwandlungen, der löbliche Hospodar) von Denjenigen ehrfurchtsvoll begrüßt, die ihn wenige Stunden später aus den Federn rüttelten und ihm in kategorischer Weise die Wahl ließen zwischen freiwilliger Abdankung oder Erdrosselung à la Paul des Ersten.

Fürst Conza aber war Philosoph; er merkte sofort, daß Halsstarrigkeit nichts nützen könnte; die Schildwachen, die Dienerschaft, die Adjutanten, Alles, worauf er rechnete, waren gewonnen. [29] So fügte er sich denn in's Schicksal, unterzeichnete im Schlafrock seine Abdankung und eröffnete wohlgemuth den Reigen der Depossedirten, deren Zahl in diesem Jahre des Heiles 1866 erklecklich anschwellen sollte. Vierundzwanzig Stunden war Seine Hoheit, der ehemalige Cavallerie-Oberst, Arrestant im eigenen Hause, dann ging's über die Grenze, und es begann für ihn die glückselige Carrière eines Millionärs, der in Ruhe und Frieden die Freuden eines reichvergoldeten und sorgenlosen Exils genoß.

Die Sorgen waren den Urhebern des Staatsstreichs geblieben. Rumänien war herrenlos. Es handelte sich darum, so rasch wie möglich einen Princeps zu finden. Der russische Bär streckte seine Tatze bereits über den Pruth, und der damals noch nicht bankrotte, deshalb auch furchteinflößende Großtürke war wüthend, weil man ohne seine Erlaubniß in Bukarest revolutionirt und conspirirt hatte. Dazu schüttelten die Diplomaten bedenklich den Kopf, schielten mit den Augen und verzogen die Mienen, als wollten sie sagen: „Meine Herren Rumänen, Sie haben sich da eine böse Suppe eingebrockt – sehen Sie, daß Sie selbe rasch hinunterkriegen!“

Wenn man irgendwo in Europa, Asien, Afrika oder auf den Fidji-Inseln wegen Besetzung eines wackeligen Thrones in Verlegenheit geräth, so wird in erster Reihe an die Bereitwilligkeit des Hauses Coburg appellirt. Die Machthaber in Bukarest hätten um Nichts in der Welt von dieser Tradition abweichen wollen; sofort wurde der Graf von Flandern zum Prinzen der Donaufürstenthümer proclamirt und ihm zu Ehren illuminirt, ein Tedeum gesungen und leidlicher Champagner getrunken. Aber die Veranstalter dieser Festivitäten hatten ohne den Wirth gerechnet. Der Graf von Flandern hatte die Schwäche, seinen lieblichen Laekener Aufenthalt dem Konak in Bukarest vorzuziehen – er bedankte sich höflich und blieb einfacher belgischer Prinz.

Die Bukarester Souverain-Erschaffer mußten daher auf eine andere Fährte gerathen. Unter den Verschworenen, die am meisten zum Sturze Conza's beigetragen hatten, that sich besonders Jean Bratiano hervor. Bratiano war kein Lehrling im Verschwörerfache. Er hatte schon längst alle peinlichen Proben eines emeritirten Carbonaro mit Auszeichnung bestanden. Im Jahre 1848 hatte er mit seinem Freunde Rosetti den Hospodar Ghika gestürzt, darauf ging er nach Paris und wurde – man weiß nicht recht wie – in Verschwörungen gegen Napoleon den Dritten verwickelt. So stand er mit Raue, dem späteren Polizeichef Gambetta's, und mehreren vollblütigen Rothen vor dem Schwurgericht der Seine den donnernden Apostrophen des jüngst verstorbenen Staatsanwalt Chaix d'Est-Ange ausgesetzt und wurde vor dessen strafender Beredsamkeit durch die sanfte Rednergabe seines Vertheidigers Jules Favre geschützt. Die Sache war nicht gespaßig; die jungen Leute standen unter Anklage, getrachtet zu haben, den Erwählten von sieben Millionen in ein besseres Jenseits zu spediren. Eine in der „Komischen Oper“ unterzubringende Höllenmaschine sollte das Werkzeug gewesen sein. Es war allerdings beim bloßen Project geblieben, aber bei der herrschenden Temperatur – kaum zwei Jahre nach dem Staatsstreich – und bei dem aufgespeicherten Material winkten unheimlich im Hintergrunde des Assisensaales die Platanen von Cayenne oder gar die röthlich gefärbten Balken des Blutgerüstes auf dem Roquette-Platz.

Bratiano kam noch billig weg. Er wurde zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt und erfreute sich außerdem der speciellen Vergünstigung, diese Strafe in einer Maison de Santé abzubüßen. Ob Bratiano, heute österreichischer Graf, Großkrenz des St. Annen-Ordens und rumänischer Ministerpräsident, dem Kaiser Napoleon wirklich nach dem Leben getrachtet? Lange Zeit hindurch wies er mit Entrüstung diese Zumuthung zurück – kommt aber ein Republikaner nach Bukarest, so raunt ihm ein Vertrauter des Staatsmannes behaglich in's Ohr. „Sie wissen, unser Ministerpräsident hat vor Jahren den Korsen umbringen wollen.“ Doch die Feststellung dieser Thatsache gehört nicht hierher. Es genüge die Constatirung, daß Bratiano während seiner Haft Gelegenheit hatte, mit dem Potentaten auf dem Throne Frankreichs in Berührung zu kommen. Er ließ dem Kaiser verschiedene Denkschriften über die Donaufürstenthümer unterbreiten, welche von Napoleon mit großem Interesse gelesen wurden und auch wirklich auf die durch Frankreich dem Pariser Congreß aufdictirten Beschlüsse in Bezug auf die Moldau-Walachei nicht ohne Einfluß geblieben sind. Wie versichert wird, war es die Milchschwester des Kaisers, die jüngst verstorbene Mme. Cornu, welche den – bis auf Weiteres nur schriftlichen – Verkehr zwischen dem Cäsar und dem Gefangenen einleitete. Seitdem blieben der nach seiner Heimath zurückgekehrte Bratiano und Louis Napoleon in steter Fühlung mit einander. Allerdings war der ehemalige Kostgänger der „Maison de Santé“ inzwischen eine politisch markante Persönlichkeit des neugeborenen Donaustaates geworden und sollte durch den von ihm im Einverständniß mit den Tuilerien vorbereiteten Sturz Conza's noch zu höherem Ruf und höherer Bedeutung gelangen.

Als die Candidatur des Grafen von Flandern also Fiasco gemacht, drängte sich Bratiano in den Vordergrund. „Wollt Ihr,“ sagte er zu seinen Freunden und Mitschuldigen, „die Fürstenfrage in sicherer Weise erledigen, ohne Euch einen neuen Korb zu holen, so laßt mich walten. Ich kenne die richtige Adresse, an die wir uns wenden müssen; sie lautet: Paris, Palast der Tuilerien.“ Wenige Tage später, gegen Mitte März, war Bratiano auf dem Wege nach der Seinestadt. Ein italienischer Arzt, Herr Davela, in dessen Hause die Frau des Fürsten Conza nach der Katastrophe Zuflucht gefunden, begleitete ihn auf der Argonautenfahrt. In Paris wurde zuerst Kriegsrath gehalten, was für ein Prinz der besonderen und kategorischen Unterstützung des Kaisers vorgeschlagen werden sollte. Madame Cornu wurde diesem Consilium beigeordnet, und sie soll zuerst auf den Fürsten Karl von Hohenzollern hingewiesen haben. Die Königin Hortense hatte zur Zeit ihres Aufenthaltes in Deutschland vielfach mit diesem Zweige des Hohenzollern'schen Herrscherhauses verkehrt, und Madame Cornu, die unzertrennliche Jugendgespielin Louis Napoleon's, war dadurch ebenfalls in diese Gesellschaft gekommen.

Prinz Karl, damals achtundzwanzig Jahre alt, war Lieutenant à la suite im zweiten Dragonerregiment, welches in Potsdam lag. Man schrieb dem Vater und bat ihn, in Düsseldorf eine Besprechung mit seinem Sohne anzuberaumen. In der freundlichen und kunstsinnigen Rheinstadt begegneten sich der zukünftige Fürst und sein zukünftiger Premier. Es bedurfte nicht langer Unterredung, um den Prinzen Karl, dessen Temperament eben kein philiströses ist, zur Annahme der Krone zu bewegen; möglich, daß, um die Klänge des Sirenenliedes noch verführerischer zu stimmen, Bratiano, der Republikaner, damals wirklich die baldige Metamorphose der Fürsten- in eine Königskrone in Aussicht stellte und vor den Augen des jugendlichen Herrschercandidaten das verlockende Bild einer Hohenzollern'schen Großmacht an der Donau schillern ließ. Kurz und gut, der Zustimmung des Prinzen gewiß und überzeugt, daß diesmal die Tedeums nicht umsonst gesungen werden sollten, kehrten Bratiano und Davela nach Paris zurück. Das Terrain war indessen in den Tuilerien trefflich vorbereitet worden. Madame Cornu hatte sich zum Advocaten der Hohenzollern'schen Candidatur gemacht und die Idee mit der ihr eigenen Zähigkeit und Ausdauer verfolgt. Sie hatte beim Kaiser zu jeder Stunde Zutritt, und sehr oft holte sich Louis Napoleon bei seiner Jugendgespielin Rath. Auch in diesem Falle hatte die kluge Frau wieder den Beweis der gewaltigen Tragweite ihres Einflusses documentirt. Napoleon rieth den Rumäniern, nur rasch und entschieden vorzugehen. Die Conferenz, die sich indessen in Paris versammelt hatte und auf welcher Rußland, die Türkei und – schließlich auch Oesterreich, als es von der Candidatur eines preußischen Prinzen Wind bekam, sich der Ernennung eines fremden Fürsten widersetzten, die Conferenz sollte mit Lappalien hingehalten werden, bis die vollendete Thatsache durch Erscheinen des Prinzen auf dem rumänischen Boden geschaffen sein würde. Gegen diese vollendete Thatsache würde sich aber nicht ankämpfen lassen.

Bratiano und Davela ließen es sich nicht zweimal sagen. Mit der empfohlenen Beschleunigung wurde in Bukarest die Fürstenwahl zu Stande gebracht, in Düsseldorf feierlich dem jungen Prinzen die Krone angeboten und die Proteste der Conferenz mit noblem Stillschweigen übergangen. Es handelte sich nur darum, den Prinzen auf seine Herrschaft zu bringen. Das Fatale war, daß Seine Hoheit entweder über russisches oder über österreichisches Gebiet mußten. Hüben wie drüben drohte dem nicht anerkannten Souverän Verhaftung; russische und österreichische Polizisten verfolgten den Fürsten auf Schritt und Tritt. Aber Bratiano hatte während seiner Verschwörerpraxis einer löblichen Polizei allerhand [30] Kniffe abgeguckt – es gelang ihm glücklich, die Häscher auf eine falsche Fährte zu bringen. Prinz Karl versah in auffallender Weise seinen Dienst bei den Dragonern in Potsdam, bis er eines Tages plötzlich verschwunden war, ohne selbst dem Regimentsobersten von seiner Abreise Meldung zu erstatten. Das preußische Dienstreglement kennt keine Ausnahme – so wurde denn nach Ablauf der gesetzlichen Frist der Regent Rumäniens als Deserteur eingetragen. Ein junger Mann von elegantem Aussehen, der sich um diese Zeit im „Weißen Roß“ in Wien als „Kaufmann Lehmann aus Berlin“ in das Register für Reisende einschreiben ließ, hätte wohl den Obersten des zweiten Dragonerregiments am besten über seinen vermißten Lieutenant informiren können. Unter diesem höchst bürgerlichen Namen hielt sich der Prinz achtundvierzig Stunden in Wien auf und reiste dann im nämlichen Incognito über Pest seinem Bestimmungsorte zu. Turn-Severin heißt die erste rumänische Hafenstadt an der Donau. Es ist eine ziemlich behäbig aussehende Provinzstadt mit einer Promenade, einem deutschen Brauhause, einem Grand Hôtel und einem Zollamte, dessen Beamte das Gepäck der Reisenden auf offener Straße durchwühlen. In jüngster Zeit gesellte sich zu diesen Vorzügen auch ein Bahngebäude (Linie Bukarest-Orsova) und ein Café Chautant.

Hier setzte der „Kaufmann Lehmann aus Berlin“, der sich als Fürst Karl der Erste entpuppte, am 20. Mai 1866 Fuß auf’s rumänische Festland. Kanonendonner, Glockengeläute und enthusiastische Vivats begrüßten ihn. Die Reise im sechsspännigen Wagen von Turn-Severin bis Bukarest war ein langer Triumphzug mit ganz besonderen Ovationen in Krajova, Pitesti und all den größeren Ortschaften auf der Strecke. Ueberall wurde mit Pomp und Feierlichkeit dem Neuangekommenen Brod und Salz geboten, überall begrüßte man ihn als den Hort der Unabhängigkeit Rumäniens. In Bukarest war die ganze Bevölkerung, die metropolitanischc Geistlichkeit und sämmtliche Behörden an der Spitze, auf den Beinen – nur die Consuln der Mächte waren zu Hause geblieben. Der preußische Consul allein wagte es, seinem Landsmanne entgegenzureisen. Aber er hütete sich wohl, die Gala-Uniform anzuziehen und die bei festlichen Gelegenheiten gebräuchliche Equipage aus dem Stalle zu beordern. Er fuhr in einfacher Droschke und im schwarzen Fracke zum Thore hinaus. Da er aber keine Legitimation bei sich hatte, wollten ihn die Polizisten nicht fahren lassen.

Waren die Bukarester froh, den Prinzen, der ihnen als Schutzwall gegen die Angriffe von außen galt, in ihrer Mitte zu fühlen, so freuten sie sich doppelt, daß dieser Prinz von so gewinnendem und liebenswürdigem Aeußern war. Prinz und Volk verlebten glückliche Honigmonde; jeder Anlaß war für Ovationen gut, die Loyalität für den Hohenzoller war Modesache, und in dem Palaste des Bojaren wie in der Hütte des Bauern, in den feinsten Ressourcen wie im letzten Branntweindebit, nirgends durfte das Bildniß des Herrschers fehlen, hier prunkvoll in Oel und goldumrahmt, dort hinter Glas und Rahmen in Gestalt bescheidener Lithographie. Die internationalen Schwierigkeiten wurden nach und nach beseitigt. Das Uebergewicht der preußischen Waffen kam auch dem Sprößlinge der Dynastie an der Donau zu Gute. Napoleon der Dritte blieb auch seinem Schützlinge treu. Oesterreich war ohnmächtig, Rußland gezwungen, die Unabhängigkeit Rumäniens endlich anzuerkennen, und der Großtürke durch die Huldigungsreise Karl’s nach Constantinopel beschwichtigt.




Zehn Jahre sind nun verflossen. Und wie haben sich die Dinge geändert, wie anders ist das Verhältniß zwischen Fürst und Volk! Fürst Carol wohnt noch immer in dem Konak der großen Mogodoschai-Straße, der Hauptader Bukarest’s. Das Palais sieht von außen sehr bescheiden aus. Es ist ziemlich niedrig gebaut, nur ein Stockwerk hoch und bildet ein offenes Viereck. Vor dem Haupteingang stehen als Schildwachen zwei Jäger in Uniformen nach österreichischem Schnitt, den Federhut auf dem Kopfe. Zuerst gelangt man durch einen breiten Corridor, der zugleich als Wartesaal dient, in den großen Audienzsalon. Hinter demselben finden wir den Speisesaal, wo hundert Gedecke bequem Platz finden, und eine Reihe von Empfangssalons. Diese sind sämmtlich im feinsten – ich möchte sagen verschwenderischen pariser Styl möblirt. Man findet hier den Luxus der Bojaren wieder, welcher für diese unentbehrlich ist. Seltene exotische Pflanzen in porcellanenen Blumenkästen und einige Gemälde meistens deutscher oder französisch-schweizerischer Künstler vervollständigen die decorative Wirkung dieser Prachtgemächer, die sich jedoch nur ein paar Mal im Winter öffnen.

Am liebsten verweilt der Prinz oben in seinen nach deutscher Art eingerichteten Familienzimmern, die das ganze erste Stockwerk einnehmen. Seit fünf Jahren ist Fürst Carol mit einer Prinzessin von Neuwied vermählt und lebt mit derselben in glücklicher, wenn auch kinderloser Ehe. Dieser Punkt droht eben für das eheliche Glück des fürstlichen Paars eine Klippe zu werden. Die rumänischen Staatsmänner, welche einen fremden Fürsten auf den Thron berufen haben, glaubten, diese heikle Frage wäre ein für alle Mal erledigt. Sie freuten sich, durch die Proklamation des Erbrechtes statt des Wahlrechtes, welches bisher galt, alles Mißliche beseitigt zu haben. Was nützt aber der Grundsatz in der Theorie, wenn die praktische Handhabung desselben unmöglich wird! Es sind schon mehrmals und zwar in Gegenwart des Prinzen über diesen Punkt Andeutungen gemacht worden – man hat so zart wie möglich auf die Leichtigkeit hingewiesen, mit welcher die Eingeborenen von dem Rechte, Ehen, die nicht den gegenseitigen Erwartungen entsprechen, zu lösen, Gebrauch machen. Aber Fürst Carol ist bis jetzt bei seinen schlichten deutschen Anschauungen über die Heiligkeit ehelicher Bande geblieben – und fürwahr, wenn man das fürstliche Paar am Nachmittag, Beide zu Pferd, die königl. Hoheit in der schmucken Uniform eines Dorobanzenofficiers, die Dame in schwarzer Amazone, durch die Alleen der Kisseleff-Avenue reiten sieht, so stellt man unwillkürlich – nicht ohne Entrüstung – die Frage, was die Staatsraison diesem Einverständnisse anhaben kann.

Ja, die Staatsraison! Herr Bratiano und seine Collegen verstehen es, aus diesem Klumpen lauteres Gold und Silber für den eigenen Bedarf zu münzen. Die Staatsraison erforderte es wahrscheinlich, daß die Herren Bratiano oder Catargis, je nachdem die Temperatur im Parlamente roth oder blau-conservativ ist, die wahren und alleinigen Beherrscher des Landes sein müssen. Die loyale Maske von Anno 1866 war bald bei Seite gelegt, und der wirkliche Grund der Revolution vom 23. Februar hörte auf ein Geheimniß zu sein. Man hatte Conza gestürzt, weil Conza ein wenig Anspruch auf den Ausspruch Ludwig’s des Vierzehnten „L'État c'est moi“ erhob, weil er nicht blos eine Puppe in den Händen seiner Minister sein wollte. Als Herr Bratiano seine Argonautenfahrt unternahm, da dachte er sich unter dem zukünftigen Fürsten ein frommes, duldsames Geschöpf, das Alles gut finden müsse, was er, Bratiano, ihm vorschreiben würde. Mit einem einheimischen Fürsten, der das Getriebe der Parteien kennt, der mit den persönlichen Verhältnissen vertraut ist, wäre dieses Ideal von einem ultra-constitutionellen Souverain schwerlich durchzusetzen gewesen. Dem ehemaligen preußischen Lieutenant aber, der wildfremd in ein Land kam, dessen Sprache ihm wohl so gut wie unbekannt war und von dessen gesellschaftlichen Verhältnissen er keine tief gehende Kenntniß hatte, durfte man, so oft er mit einem Acte der eigenen Initiative herausrücken wollte, begreiflich machen, daß er – aus Unkenntniß und mit den besten Absichten – die ihm fremden Gefühle oder Wünsche zu verletzen auf dem Sprunge wäre. Darauf speculirten sowohl der rothe wie der reactionäre Parteichef, und unter solchen Vorwänden beuteten sie die ganze Machtstellung des Staatsoberhauptes zu ihren Gunsten aus. Da sich nun Fürst Carol diesen Verhältnissen gegenüber sehr nachgiebig zeigte, so sollte man doch denken, daß er sich die Zuneigung der Rumänen erworben habe. Durchaus nicht – im Gegentheil! Man muß es offen heraussagen: der Fürst ist als Deutscher und als Hohenzoller in gewissen Kreisen geradezu verhaßt.

Bei Beginn des deutsch-französischen Krieges antwortete der damalige Minister des Aeußern auf die Interpellation eines Deputirten, daß „dort, wo Frankreichs Fahne wehen wird, die Wünsche und die Sympathien Rumäniens sein würden“. Dieser französelnde Rathgeber eines Prinzen der preußischen Dynastie hatte damit seinen Landsleuten aus dem Herzen gesprochen. Der Cultus für Frankreich zeigte sich auch bei jedem Sieg der deutschen Heere. Nach den Schilderungen von unparteiischen Augenzeugen gab es bei jeder für die deutschen Waffen günstigen Nachricht Wuthausbrüche, wie man sie gewiß kaum in Frankreich erlebt hat. Meistens weigerte man sich [31] ganz und gar, diesen Nachrichten Glauben zu schenken; die Siege von Wörth, Sedan, Orleans und Le Mans, die Einnahme von Paris wurden zuerst als Fabeln und Erfindungen geschmäht. Dagegen erzählte man sich freudetrunken von Hunderttausenden niedergemetzelter Preußen, und die Uebertreibungen, mit denen Trochu in Paris und Gambetta in Tours den Humor der Franzosen aufrecht zu erhalten trachteten, fanden, zehn-, zwanzigfach vergrößert, ihren Weg bis in die kleinste rumänische Stadt, wo es nur ein Casino gab und da drinnen sechs Honorationen, welche die Zeitungen lasen.

Als jedoch an den Thatsachen nicht mehr zu zweifeln war, da hofften die Rumänen auf „Revanche“ – gerade wie die Franzosen. Vor Allem wollten sie sich an den Deutschen im eigenen Lande schadlos halten. Während des Krieges hatte der Fürst seine verfassungstreue Haltung bewahrt; wohl mag er mit Stolz und Freude den Thaten seiner ehemaligen Cameraden aus der Potsdamer Dragonerepoche gefolgt sein, aber er ließ von diesen Gefühlen, welche seine Umgebung verletzt hätten, nichts merken. Trotzdem drohte ihm Gefahr. Schon bei Beginn des Krieges ließen sich in Bukarest französische Aufwiegler blicken und suchten das Volk zu bewegen, den einst in den Tuilerien so gnädig aufgenommenen, aber jetzt verpönten Fürsten davonzujagen. Man redete sehr ernst von einem Angriffe gegen den Konak der Mogodoschaistraße. Da verbreitete der Haushofmeister des Fürsten, Graf H., das Gerücht, im Schlosse wäre eine deutsche Garnison verborgen, die mit Handgranaten, Orsinibomben etc. gehörig versehen wäre und entschlossen sei, mit diesen Wurf- und Sprenggeschossen die Angreifenden zu begrüßen. Diese Fabel erfreute sich des allgemeinen Glaubens, und es war durchaus nicht mehr von einer Erstürmung des Schlosses die Rede. Aber noch heute geht in der walachischen Hauptstadt die Sage von den deutschen Dolchrittern, die den Fürsten Carol bewachen, und von dem Sprengmateriale, über welches sie verfügen. Etwas später schwebte ebenfalls der Konak in Gefahr. Die in Bukarest lebenden Deutschen beabsichtigten im März 1871 eine „Siegesfeier“ zu veranstalten. Sie mietheten ein Local und erhielten auch die Erlaubniß zur Abhaltung der Feierlichkeit. Da plötzlich – man hatte soeben den Toast auf den deutschen Kaiser ausgebracht – regnete es Steine und Schiefertafeln gegen die Fenster des Bankettlocales. Ein wüthender Pöbelhaufe stürmte die Treppe hinauf; in einem Nu waren die Tafeln mit Allem, was darauf lag, zertrümmert, mehrere Gäste, darunter der deutsche Consul, verwundet und die Uebrigen gezwungen, sich eiligst zu retten. Der Haufe, auf das Vorgefallene stolz, wollte direct auf’s Schloß marschiren; aber der Prinz zeigte Muth; er jagte den rothen Minister zum Teufel und berief den conservativen Catargis, der fünf Jahre lang das Heft in Händen behielt.

Weder der Prinz noch Catargis konnten es verhindern, daß das deutsche Element, welches in den ersten Regierungsjahren des Fürsten sich eingebürgert hatte, nach und nach verdrängt wurde. Zuerst waren es die deutschen Beamten – namentlich beim Post- und Telegraphenwesen – die da weichen mußten. Die wirklich vortrefflichen Dienste, welche sie geleistet hatten, kamen selbstverständlich nicht in Betracht. Dann mußte der Fürst – immer unter dem Vorwande der Staatsraison – alles Germanische aus seiner Umgebung ausmerzen. Es soll ihm dabei so manche Trennung schwer gefallen sein. Die deutschen Geschäftsleute und Handwerker, die sich im Lande angesiedelt hatten, konnte man allerdings nicht so leicht vertreiben – und dann bedarf man ihrer ja auch. Wie würde der Bojarensohn im eleganten Beinkleide und in den blankgeputzten Stiefeln einherstolziren ohne den deutschen Schneider und den deutschen Schuster? Aber man läßt es die Leute fühlen, daß sie nur „geduldet“ werden und daß man ihrer Nation die Siege von 1870 nicht vergeben hat. Die Nachäffung des Deutschenhasses in Rumänien ist heute eine so gewaltige, daß, während man auf den Pariser Boulevards ungestraft laut deutsch zu reden wagt, dies kaum in Bukarest in Localen zu rathen wäre, wo sich Rumänen einfinden.

Fürst Carol kann dies nicht verhüten; er ist, wie erwähnt, hierin machtlos. Man dichtet auf ihn Spottgedichte, die in den Kaffeehäusern öffentlich feilgeboten werden. Staatsbeamte machen sich über seine Aussprache des Rumänischen lustig, und ist ein Fremder so naiv zu fragen, wie der Souverain über diese oder jene Frage denkt, so zuckt man die Achseln über den Einfältigen, der sich um dergleichen kümmert. So begreift man es, warum öfters von den Gestaden der Donau Abdankungsgerüchte nach Berlin hinüberwehten. Selbst auch der Gutmüthigste wird dieser ewigen Bevormundung, die sich auf alle Acte des Lebens erstreckt, satt. Aber Fürst Carol betrachtet sich auf seinem Throne nicht nur als Fürst, sondern auch als eine Schildwache. Und eine Schildwache verläßt den Posten nicht trotz Wetter, Sturm und allen möglichen Unbequemlichkeiten.
L. H. P.