Ein erzbischöflicher Ketzer und Märtyrer

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Autor: E. M. Sauer
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Titel: Ein erzbischöflicher Ketzer und Märtyrer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 738–742
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[738]
Ein erzbischöflicher Ketzer und Märtyrer.
Von E. M. Sauer.


Wer die stolze Bergveste Hohensalzburg besucht hat, erinnert sich gewiß noch jenes kleinen, engen Gemachs zur Seite des prunkvollen Banquetsaales, das, genau dreiundsechszig Quadratfuß messend, dem Besucher als Kerker des Fürsterzbischofs Wolf Dietrich gezeigt wird. In diesem Käfige soll der Gefangene fünf volle Jahre bis zu seinem Tode zugebracht haben, weil er, wie die Führerin zu sagen pflegt, „das Cölibat habe aufheben wollen“. Der Tourist, wenig vertraut mit der Specialgeschichte des ehemaligen Fürsterzbisthums Salzburg, nimmt gewöhnlich die Angabe auf Treu und Glauben hin. Er bewundert vielleicht das Raffinement geistlicher Bosheit, welche die gefallene Größe hart neben den Banquetsaal einsperrte, wo der Gefangene Ohrenzeuge der erzbischöflichen Tafelfreuden sein mußte, und denkt sich wohl dabei, wenn Wolf Dietrich kein anderes Verbrechen begangen hat, als daß er das Cölibat aufheben wollte, dann war die Strafe eine echt mittelalterliche, geistliche Barbarei. Nur wenige unter dem Gros der Touristen mögen dabei eine Ahnung davon haben, daß hier ein geistig hochbedeutender Mensch, der größte unter den Kirchenfürsten Salzburgs, jesuitischen Ränken und elender Habgier und Rachsucht elendiglich zum Opfer gefallen ist, denn trotz manches dunklen Schattens in seinem Charakter, zumeist eine unvermeidliche Folge der Zeit und der Sphäre, in welcher Wolf Dietrich lebte, war der Gefangene auf Hohensalzburg doch ein deutscher Fürst, wie es deren nur wenige gab, und darum verdient die Geschichte des erzbischöflichen Ketzers und Märtyrers von dem deutschen Volke gekannt zu sein. Gestützt auf die Mittheilungen des strengkatholischen und, was hierbei besonders schwer in’s Gewicht fällt, des kurfürstlich bairischen Archivbeamten Judas Thaddäus Zäuner, in dessen leider bis auf wenige Exemplare durch die große Feuersbrunst in Salzburg vernichteter Chronik von Salzburg, der seinen Bericht überall mit Documenten von unbestreitbarer Echtheit belegt, will ich versuchen in Kürze die Geschichte Wolf Dietrich’s wiederzugeben.

Wolfgangus Theodorikus von Raittenau, gewöhnlich Wolf Dietrich genannt, wurde im Jahre 1587 vom Salzburger Domcapitel zum Erzbischof gewählt. Er war damals kaum achtundzwanzig Jahre alt. Obwohl er das zu seinem Amte erforderliche Alter noch nicht erreicht hatte, übertrug ihm das Capitel doch die hohe Würde „in Ansehung seines hohen Verstandes und seiner seltenen Bildung“, wie es in dem betreffenden Documente heißt. Mit dieser seltenen Bildung hatte es seine Richtigkeit, denn Wolf Dietrich hatte sich nicht weniger als sechs Sprachen vollkommen zu eigen gemacht, war erfahren in der Wirthschaftskunde, der Staats- und Kriegswissenschaft und stand mit dem berühmten Astronomen Tycho de Brahe in fortlaufendem freundschaftlichem Briefwechsel. Daß jedoch die seltene Bildung und der hohe Verstand bei der Wahl nicht allein maßgebend gewesen sein mögen, geht daraus hervor, daß sich das Domcapitel in der [739] Wahlcapitulation ausdrücklich ausbedang: „die ansehnlichsten Aemter als Landeshauptmannschaft etc. sollten vor allen andern den Domherrn selbst verliehen werden“. Ohne Zweifel glaubte man unter einem jungen lebensfreudigen und prachtliebenden Erzbischofe dieses Ziel leichter erreichen zu können als unter einem andern, gleich seinem Vorgänger Georg, von dem die Chronik nur meldet, daß er einen „sehr großen, fetten Leib besessen habe, obwohl er nicht viel zu essen pflegte.“ Wolf Dietrich scheint jedoch den Erwartungen des Domcapitels nur wenig entsprochen zu haben. Wegen seiner Jugend anfangs vom Volke nicht besonders geachtet, gewann er bald die Liebe seiner Unterthanen durch weise und entschiedene Regierungsmaßregeln. „Er ließ,“ sagte der Chronist, „die Pfleger, d. h. Vögte und Bedrücker des Volkes, zum warnenden Beispiel an den Pranger stellen, mit Ruthen aushauen oder sonst des Landes verweisen.“ Solche Maßregeln mögen gerade nicht nach dem Geschmacke des Domcapitels gewesen sein, und, wie sich später zeigte, trat schon damals eine Mißstimmung zwischen dem Erzbischofe und seinem Domcapitel ein, die durch das selbstbewußte, autokratische Wesen des Fürsten im Laufe der Zeit jedenfalls noch gesteigert wurde. Wie väterlich Wolf Dietrich für die Bedürfnisse seines Volkes sorgte, ersieht man daraus, daß er zur Zeit der Theuerung den Armen das Korn, das sonst elf bis dreizehn Gulden kostete, aus dem „Hofkasten“ um acht Gulden verkaufen ließ. Auch für die geistigen Bedürfnisse seiner Unterthanen trug Wolf Dietrich Sorge. Gegen die Unwissenheit der Geistlichen gründete er eine höhere Lehranstalt, deren Leitung er den Franziskanern übertrug.

Schon bei der Gründung dieser Klosterschule traten die ersten Spuren einer Dissonanz mit Baiern zu Tage, welche später dem Erzbischof so verderblich werden sollte. Der bigotte Herzog Wilhelm von Baiern empfahl nämlich Wolf Dietrich zur Leitung der neuen Schule die Jesuiten, allein der Erzbischof „weigerte sich standhaft, denselben in seiner Residenz einen beständigen Aufenthalt zu geben,“ was ihm nachher von bairischer Seite den Vorwurf zuzog, „als ob er die Protestanten heimlich begünstigte.“ Auch für den jungen Adel und „die Jugend des Volkes“ errichtete Wolf Dietrich Schulen. In den Volksschulen sollte „Buchstabiren, Lesen, Schreiben, Rechnen“ gelehrt werden (Schulordnung vom 15. Februar 1594). Wie sehr der Erzbischof den Jesuiten abgeneigt war, beweist noch ein anderer Umstand. Als nämlich im Februar 1604 Herzog Wilhelm von Baiern „in größter Stille mit einigen Jesuiten nach Salzburg kam, um nach St. Wolfgang zu wallfahrten,“ verbot Wolf Dietrich seinen Unterthanen „bei schwerer Strafe auf der Gasse zu stehen, aus dem Fenster zu sehen, vielweniger aber dem Zuge selbst nachzulaufen.“ Es läßt sich denken, daß ein solches Vorgehen des Erzbischofs Seitens der Jesuiten und ihres Anhangs sehr übel vermerkt wurde. Auffallender Weise blieb jedoch Wolf Dietrich trotz alledem am päpstlichen Hofe gut angeschrieben, und der Papst hatte sogar die Absicht, ihn zum Cardinal zu erheben, was jedoch der kaiserliche Gesandte Veit von Dornberg im Einverständnisse mit Kaiser Rudolph zu hintertreiben wußte. Es ist dies um so befremdlicher, als Wolf Dietrich sich großer Gunst und Achtung „bei des Kaisers Majestät“ erfreute und auf dem Regensburger Reichstage (1594) von dem Monarchen in so hervorragender Weise ausgezeichnet wurde, daß er dadurch den Neid des bairischen Erbprinzen Maximilian, des nachmaligen Hauptes der Liga und Wolf Dietrich’s unversöhnlichsten Gegners, erregte. Es müssen hier merkwürdige Intriguen in einander gespielt haben.

Gegen die Salzburger Lutheraner ergriff Wolf Dietrich verschiedene Maßregeln, wahrscheinlich auf Betreiben Roms, von wo er im Jahre 1588 zurückgekehrt war, nachdem er dem Papste persönlich seinen Dank für die Bestätigung seiner Wahl dargebracht hatte. Das von ihm erlassene „verschärfte Reformationsmandat vom 9. September 1588“ bekundet trotz seiner „verschärften neun Artikel, immerhin noch eine gewisse Milde gegen die Irrgläubigen“. Ebenso bezeichnend ist es, daß er, als er im Jahre 1596 die Gegenreformation im Gebirge unternahm, diese damit begann, daß er den Franziskaner Tobias Henschel als „Religionslehrer“ hinausschickte. Er wollte also die „Ketzer“ auf dem Wege der Ueberredung und Ueberzeugung wieder in den Schooß der Kirche zurückführen. Der Sendbote fand jedoch hartnäckigen Widerstand, namentlich zu Wagrain. Als der Mönch dem Erzbischof rieth, er möge die „Rädelsführer“ der Wagrainer Lutheraner nach Radtstadt locken, um sich hier derselben zu bemächtigen, wies Wolf Dietrich den Vorschlag „mit Entrüstung“ zurück und zog es vor, lieber das Werk der Gegenreformation ganz fallen zu lassen, als sich einer so „treulosen Handlung“ schuldig zu machen. Auch dies wurde ihm in der Folge sehr übel ausgelegt.

Man sieht aus diesen einzelnen Zügen, daß Wolf Dietrich, wenn er auch katholischer Kirchenfürst war und als solcher z. B. kein Bedenken trug, die Häuser der ausgewanderten Salzburger Lutheraner zur Verschönerung seiner Residenz zu verwenden, doch durchaus nicht dem Grundsatze von den „durch den Zweck geheiligten Mitteln“ huldigte und für einen Erzbischof des erzkatholischen Salzburg zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts immerhin ganz merkwürdig liberale Anschauungen bekundet. Freilich muß man sich hierbei stets die Zeit, den Ort und die ganze Situation gegenwärtig halten, wenn man die Persönlichkeit richtig beurtheilen will. Auch als Maximilian von Baiern im Jahre 1609 die katholische Liga schloß, war es Wolf Dietrich, welcher sich alles Drängens ungeachtet standhaft weigerte, dem Bündnisse beizutreten. „Er wolle seinen Unterthanen nicht dergleichen neue Servituten aufbürden,“ schrieb er in dieser Angelegenheit im Jahre 1610 an den Erzbischof von Mainz. „Er sei Manns genug, sich selbst zu schützen, auch könnten im Nothfall die oberländischen Stifter im Reiche ihm wenig Hülfe bringen.“

Uebrigens war das Verhalten des Erzbischofs gegen die Liga und die deutschen Protestanten keineswegs die Ursache seines Sturzes und seiner Gefangenschaft, sondern diese resultirten aus ganz anderen, rein materiellen Gründen. Schon seit langen Jahren gab es nämlich zwischen Wolf Dietrich und Herzog Maximilian erbitterte Streitigkeiten wegen der Ausfuhr des Salzburger Salzes, die, nothdürftig beglichen, stets wieder auf’s Neue ausbrachen. Die endlosen Weiterungen zwischen dem Erzbischof und dem Herzog führten endlich zum vollständigen Bruche. Umsonst hatte Maximilian versucht, sowohl den Kaiser als den Erzherzog Ferdinand zu Graz von der Gerechtigkeit seiner Ansprüche zu überzeugen. Ueberall zurückgewiesen, griff er zur Gewalt. Dabei wußte er es jedoch so einzurichten, daß er dem heftigen Erzbischof, trotz der vielfach ausgesprochenen und bethätigten Bereitheit dieses Letzteren zu einem gütlichen Vergleiche, noch überdies das Gehässige des Landfriedensbruchs zur Last schieben konnte, denn Wolf Dietrich, auf’s Aeußerste getrieben, eröffnete die Feindseligkeiten damit, daß er das Berchtesgadener Ländchen durch seinen Obersten Ehrgott besetzen und gegen Baiern sperren ließ.

Nun sammelte Maximilian bei Berghausen ein Heer von zehntausend Mann unter Tilly und rückte damit gegen das Salzburgische vor. Durch seine Emissäre wußte er gleich zu Anfang das Domcapitel von dem Erzbischof zu trennen. Die Domherren verbanden sich untereinander „durch feierlichen Eid“, sich „mit Baiern in keine Feindschaft einzulassen“. Jetzt hatte Maximilian gewonnenes Spiel. Am 22. October betrat er an der Spitze seines Heeres bei Tittmoning das Salzburgische Gebiet. Die Stadt ergab sich schon nach dem zweiten Kanonenschusse. Besser hielt sich das von dem Pfleger Ehrenreich Schneeweiß vertheidigte Schloß, vor welchem Maximilian um ein Haar durch einen Pinzgauer Scharfschützen erschossen worden wäre, hätte nicht der Pfleger, welcher den Herzog persönlich kannte, den Soldaten daran verhindert. Anstatt Maximilian’s fiel der neben ihm haltende Hauptmann der sicheren Kugel des Pinzgauers zum Opfer. Gegen Abend capitulirte das Schloß. Wolf Dietrich, der sich von seinem Domcapitel verrathen und von seiner bewaffneten Macht im Stiche gelassen sah, bat nun um Einstellung der Feindseligkeiten, allein Maximilian wies alle Unterhandlungen zurück. Jetzt erkannte der Erzbischof, daß er verloren war. In Begleitung seines Untermarschalls Thomas Perger und dreizehn Mann flüchtete er in weltlicher Kleidung nach Golling. Als er den Degen umgürtete und zu Pferde stieg, rief er den hierbei gegenwärtigen Domherren zu: „Behüte Euch Gott! Nun seht Euch um nach einem andern Herrn!“

Nach der Entfernung des Erzbischofs begab sich das Domcapitel sogleich zu Hofe, nahm alle Beamten und Räthe in Pflicht des Capitels, obwohl der Erzbischof demselben durch einen hinterlassenen Brief die Regierung nur in seinem Namen übertragen hatte, installirte sich am 24. October mit allen Förmlichkeiten wie bei einer wirklichen Stuhlerledigung und schickte Gesandte an Maximilian. Zugleich erließ das Capitel Befehle, den Erzbischof [740] zu verfolgen und festzunehmen. Drei Tage darauf wurde Wolf Dietrich’s Geliebte, Frau Salome von Altenau (von der wir später sprechen werden), mit zwei Söhnen und drei Töchtern nebst Gefolge zu Werfen festgenommen. Der Erzbischof setzte seine Reise durch’s Gebirg nach Kärnthen fort. In Moßheim erhielt er die Nachricht, daß er verfolgt werde. Er begab sich deshalb mit seinen beiden Brüdern Rudolph und Christoph über den Krätschberg und hatte die Grenze bereits hinter sich, als er von bairischen Reitern unter der Führung des Rittmeisters Herceles bei Gemünd eingeholt wurde. Sein Postmeister, Rottmayer hieß der Biedermann, hielt sogleich an und erklärte dem Erzbischof, er sei nicht mehr sein Diener. Unter Mißhandlungen aller Art wurde Wolf Dietrich nun nach Moßheim und von hier nach Werfen zurückgebracht, wo er auf dem Schlosse gefangen gesetzt wurde.

Die Gefangennahme eines so hervorragenden Kirchenfürsten machte natürlich eine ganz ungeheure Sensation in ganz Deutschland. Der Kaiser war empört, der Erzherzog Ferdinand in Gratz war wüthend wegen der Grenzverletzung und verlangte kategorisch, man solle den Erzbischof auf demselben Platze, wo man ihn gefangen, wieder in Freiheit setzen und ihm die abgenommenen Güter wieder zurückstellen, sonst werde er die in Kärnten gelegenen Besitzungen des Erzbisthums einziehen. Maximilian fand jedoch Mittel und Wege, den Kaiser und den Erzherzog zu beschwichtigen. Dem Kaiser sagte er, Wolf Dietrich sei nicht sein Gefangener, sondern der des Domcapitels, und bei dem Erzherzog entschuldigte er sich mit seiner „Unkenntniß der Grenze“. Das Domcapitel schickte Gesandtschaften an den Kaiser nach Prag und an den Papst. Von beiden wurde ihnen das Verfahren gegen den Erzbischof „ernstlich verwiesen“. Dabei hatte es jedoch sein Bewenden, und am 23. November wurde Wolf Dietrich früh zwischen fünf und sechs Uhr in aller Stille von Hohen-Werfen als Gefangener über den Nonnberg nach der Veste Hohen-Salzburg gebracht, die er nun nicht mehr verlassen sollte. Frau Salome von Altenau hatte man unterdessen wieder in Freiheit gesetzt, nachdem sie ein gewisses eisernes Kistchen übergeben hatte, welches ihr „nach genommener Einsicht“ unfehlbar wieder zugestellt werden sollte. Welche Bewandtniß es mit diesem interessanten „eisernen Kistchen“ hatte, wird nirgends erwähnt.

Nun begannen die Verhandlungen mit Wolf Dietrich wegen seiner Resignation. Der Erzbischof, durch die harte Behandlung kleinmüthig geworden, war hierzu bereit. Unter anderen Stipulationen bedang er sich eine jährliche Pension von zwanzigtausend Gulden aus. Der Vertrag wurde unterzeichnet, kam aber niemals zur Ausführung.

Da Papst Pius der Fünfte nicht gesonnen war, Maximilian’s gewaltthätiges Verfahren gegen einen so hohen Kirchenfürsten ruhig hinzunehmen, so gab er dem Herzog auf’s Neue sein „Mißfallen“ kund. Nun befahl Maximilian seinem Geheimrath Dr. Wilhelm Jocher in Salzburg, er solle „alle und jede Fälle, welche zu irgend einem Beweise des vom Erzbischofe bislang geführten ärgerlichen Lebens, Uebelhausens etc. wie immer dienen können, umständlich erkundigen und ausführlich verzeichnen und ihm solches ehestens zum Behufe seiner nach Rom gehenden Gesandtschaft überschicken“. Herr Jocher ließ sich das nicht zweimal sagen. Er brachte, wie der Chronist sagt, „ein ungeheures Sündenregister“ zusammen, welches den bairischen Gesandten Christoph Peutinger und Dr. Aurel Gilgen nach Rom geschickt wurde. Die Hauptbeschuldigungen lauteten: „Wolf Dietrich lebe in offenbarem Concubinate, sei Begünstiger der Ketzer und selbst der Ketzerei verdächtig und anbei auch Unterdrücker der Wittwen und Waisen.“ Der Papst setzte eine Congregation von Cardinälen ein, welche die Sache „ohne Geräusch“ untersuchen sollten. Es erfolgte jedoch kein Spruch, und zwar aus guten Gründen, denn die Beschuldigung der Ketzerei war absolut nicht zu erweisen, und was das Concubinat betrifft, so waren derartige Verhältnisse damals etwas so Alltägliches, daß es geradezu lächerlich gewesen wäre, darauf hin Wolf Dietrich zu verurtheilen. Man entschloß sich also zu dem Auswege, der Erzbischof solle in die Hände eines päpstlichen Nuntius resigniren. Zu diesem Behufe wurde Monsignor Anton Diaz nach Salzburg gesandt. Am 7. März 1612 brachte man Wolf Dietrich unter starker Bedeckung in die Klosterkirche auf dem Nonnberge. Alle Thüren wurden mit Soldaten besetzt; Niemand hatte Zutritt. Der Nuntius führte Wolf Dietrich in die Sacristei, welche sofort verriegelt wurde. Außer den direct Betheiligten waren nur drei Diener zugegen, von denen einer als Notar, die beiden anderen als Zeugen fungiren mußten. Der Erzbischof wollte gegen diese Procedur Einwand erheben; er wurde jedoch gezwungen, zum Zeichen der Einwilligung die Hand auf die Brust zu legen, und hierauf wieder in’s Gefängniß gebracht. Wolf Dietrich war somit von jetzt an officieller Gefangener des Papstes.

Nach dieser infamen, jedem Gesetze hohnsprechenden Procedur schritt das Domcapitel, ohne die Genehmigung des Papstes abzuwarten, auf Betreiben des Nuntius noch in demselben Monate zur Wahl eines neuen Erzbischofs. Diese fiel auf Marx Sittich, Grafen von Hohenembs. Um sich zu behaupten, verfolgte der neue Erzbischof Wolf Dietrich sogar noch weit mehr, als dies Maximilian bisher gethan hatte. Beide setzten nun gemeinschaftlich ihre Beschuldigungen gegen den Gefangenen fort. Wahrscheinlich um dem Scandale ein Ende zu machen, befahl jetzt Papst Pius der Fünfte, der Gefangene solle nach Rom gebracht werden. Maximilian jedoch widersetzte sich auf das Heftigste. Wolf Dietrich, dem man in letzter Zeit einige Erleichterungen gewährt hatte, wurde nun im Juli in engste Haft gebracht. Man sperrte ihn mit zwei Franziskanern und zwei Dienern in ein Zimmer, dessen Fenster von unten mit Brettern verschlagen waren. Niemand hatte Zutritt; Bücher und Schreibmaterialien wurden ihm versagt, blos Bibel, Brevier und Gebetbücher blieben ihm gestattet. Im zehnten Monate seiner Haft erhielt er durch einen gemeinen Soldaten des Nachts Schreibmaterialien durch das Fenster gereicht. Wolf Dietrich richtete nun einen in vortrefflichem Latein geschriebenen (in Zäuner’s Chronik zweiundzwanzig Octavseiten umfassenden) Brief an Paul den Fünften, worin er, mit Ausnahme seines Verhältnisses mit Frau von Altenau (unius mulierculae contubernium heißt es in dem Briefe), alles Uebrige für elende Verleumdung erklärt, über den Nuntius bittere Beschwerde führt und bittet, man solle die Bischöfe von Sackau und Lavant zu seinen Richtern bestellen. Zugleich richtete er einen gleichfalls lateinisch geschriebenen Brief an die Cardinäle. Beide Briefe wurden von dem Soldaten zur Post gebracht, aber eine halbe Stunde vor Abgang derselben verrathen und dem Erzbischofe Marx Sillich übergeben.

Trotz der Verwendung mehrerer deutschen Fürsten, ja sogar trotz des Bittschreibens des Kaisers Matthias (vom 21. Oct. 1613) an den Papst, wurde von da an die Behandlung Wolf Dietrich’s noch „ungleich schärfer und schimpflicher als ehedem“, so zwar, daß zuletzt sogar sein unerbittlichster Feind, Herzog Maximilian „sowohl selbst als durch die Seinigen erklärte, er habe an dieser Behandlung nicht den mindesten Antheil!“

Wolf Dietrich ließ nun alle Hoffnung fahren und ergab sich in sein Schicksal. Im Innersten gebrochen, verbrachte er seine übrige Lebenszeit mit Beten und Bußübungen. Was er von seinem Deputat ersparte, ließ er unter die Armen vertheilen. Sein Beichtvater, der wackere Franziskaner Caspar Gopelzrieder, hielt treulich bei ihm im Gefängnisse fünf volle Jahre aus bis zu seinem Tode am 16. Jan. 1617. Aus dem Documente, welches Gopelzrieder über die letzten Stunden Wolf Dietrich’s ausstellte, geht hervor, daß der Gefangene auf dem Sterbebette allen seinen Feinden verziehen hat. Sein letzter Wunsch, „ohne alles Gepränge und nur von sechs Franziskanern begleitet“ begraben zu werden, wurde von Marx Sittich nicht respectirt. Er ließ die Leiche mit großem Prunke auf dem Friedhofe zu St. Sebastian bestatten.

So endete dieser unglückliche deutsche Kirchenfürst, ein Opfer nichtswürdiger Willkür, keines Vergehens überwiesen und Kaiser und Reich, ja sogar dem Papste zu Trotze, in elender Gefangenschaft. Frau Salome von Altenau (eigentlich Salome Alt, die Tochter eines Salzburger Bürgers und in ihrer Jugend das schönste Mädchen Salzburgs), mit welcher der Erzbischof lange Jahre hindurch in einer sogenannten „Gewissensehe“ gelebt hatte, begab sich, nachdem das Schicksal Wolf Dietrich’s entschieden war, mit ihren fünf Kindern nach Steiermark und später nach Wels. Sie starb, wie die Chronik sagt, in den besten Jahren. Bis zu ihrem Tode trug sie Trauerkleider um ihren unglücklichen Freund.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Salzburg seine jetzige Gestalt weitaus zum größten Theile dem feingebildeten prachtliebenden Erzbischofe Wolf Dietrich verdankt. Während seiner

[742] Regierung hat er nicht weniger als fünfundfünfzig größere Bauten vorgenommen. Die schöne Residenz, das Kapuzinerschlößchen u. a. sind das Werk Wolf Dietrich’s von Raittenau.

Das als Gefängniß des Erzbischofs auf Hohensalzburg gezeigte Gemach war offenbar nur eine kleine Nebenkammer, etwa zur augenblicklichen Wegstellung von Speisen und Tischgeräthschaften während der Mahlzeiten. Auch hätte Wolf Dietrich mit seinen zwei Franziskanern und zwei Dienern darin kaum sitzen, geschweige denn gehen und liegen und ebenso wenig hätte ihm der Soldat hier die Schreibmaterialien durch das Fenster reichen können, da dieses sich über einem thurmhohen Abgrunde befindet. Man hat also augenscheinlich das Gemach, dessen ursprüngliche Verwendung in Vergessenheit gerathen war, gewaltsam mit der Haft Wolf Dietrich’s in Verbindung gebracht. Wo sich in der weitläufigen, winkelreichen Felsenburg das wirkliche Gefängniß befunden hat, scheint Niemand zu wissen.