Ein kritischer Augenblick (Die Gartenlaube 1895/27)
[468] Ein kritischer Augenblick. (Zu unserer Kunstbeilage.) Um den Hals geht es ja nicht gerade bei dieser Unternehmung, selbst das Ertrinken dürfte in dem seichten Graben eine wahre Kunst sein, aber Courage gehört doch dazu, über den schwanken morschen Baumstamm zu laufen.
Und gerade deswegen probiert es das lustige Mariandel, dem auch ein Tag scharfer Arbeit beim Heumachen noch lange nicht den guten Humor und den kecken Wagemut zu nehmen vermag. Ob der Balken sie wohl noch trägt? … Früher, als sie noch mit den Buben lief und kletterte, da war so ’was nur eine Kleinigkeit, aber heute, als erwachsene Person – hm! man probiert es halt einmal! Frisch die Schuhe herunter, und nun mit geschickt greifenden Füßen vorwärts, ein, zwei Schritte! Aber jetzt kommt’s, die Brücke fängt an zu wiegen, der Arm mit dem Rechen streckt sich weit aus, ein zweifelndes Lachen begleitet den gefährlichen Augenblick, denn es fängt in dem alten Balken an leise zu krachen und sein Ende neigt sich tiefer ins Wasser –. Wird er halten oder gleich unter seiner Last zusammenbrechen? … „Unbesorgt,“ sagt der Künstler, „seht ihr nicht die gelenken sprungkräftigen Glieder dieses Prachtmädels? So eine plumpst nicht in den Graben, die schwingt sich, wenn der Balken bricht, mit einem Satz vollends hinüber und lacht die andern aus, die den Umweg nach der Brücke gemacht haben.“ Bn.