Ein tapferes Ameisenvolk

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Textdaten
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Autor: K. L.
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Titel: Ein tapferes Ameisenvolk
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 484
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[484] Ein tapferes Ameisenvolk. Die hohe sociale Stufe, welche im Tierreich die Ameisen in ihren Staatenbildungen erreicht haben, ist bekannt. Mit Erstaunen gewahren wir oft in dem Thun und Treiben der kleinen Insekten ein Gegenbild menschlichen Handelns. Wir kennen Ameisenarten, die Ackerbau treiben, andere sind als Sklavenhalter bekannt, viele sind kriegerischer Natur, und wir finden bei ihnen einen großen Teil des Volkes in körperlicher Ausbildung und in seinem wilden angriffslustigen Mut als Kriegerkaste entwickelt. Einen Zug heroischer Selbstaufopferung zum Besten des Gemeinwohls aus dem Leben der Ameisen erzählt Semon in seinem an biologischen Beobachtungen reichen Werke „Im australischen Busch“. In der Nähe des Lagers befand sich ein großer Ameisenhaufen, dessen Bewohner dem Gelehrten oft sehr peinliche Besuche abstatteten. Er mußte sich ihrer zu erwehren suchen. In der Absicht, den ganzen Staat zur Auswanderung zu zwingen, streute Semon eine Handvoll Naphthalinkrümchen auf den Haufen; in größter Aufregung stürzten alle auf die übelriechenden Brocken, um sie fortzuschleppen, und wenn auch jede Ameise nach kurzer Zeit, von dem schädlichen Geruch überwältigt, ihr Stück fallen ließ, so traten andere an die Stelle, und in weniger als zwei Stunden war auch der kleinste Naphthalinbrocken aus dem Nest entfernt. Da griff Semon in der Not zu einem drastischeren Mittel und warf Cyankalium auf den Haufen. Wer von den Ameisen das furchtbare Gift berührte, bezahlte es mit dem Leben; immer und immer wieder aber eilten die Tiere herbei, um die verderbenbringenden Brocken wegzutragen. Die Dunkelheit unterbrach Semons Beobachtungen; am andern Morgen aber fand er, daß der Haufen nicht verlassen war, wie man erwarten konnte; er war vielmehr in seiner ganzen Oberfläche wie ein Schlachtfeld mit toten Ameisen besät, die Cyankalistückchen waren aber verschwunden. „Mehr als die Hälfte des Volkes,“ schreibt Semon, „hatte in diesem Verzweiflungskampf den Tod gefunden; es war aber dem Todesmute der heroischen Geschöpfe geglückt, unter rücksichtsloser Aufopferung des eigenen Lebens das Gift aus ihrer Vaterstadt zu entfernen, indem sie es Millimeter für Millimeter fortschafften und jeden Schritt mit einer Leiche bedeckten.“ Nach Wegschaffung der Toten durch die Ueberlebenden, die noch an demselben Tage erfolgte, war wieder Ordnung geschaffen und die tapferen Tiere durften sich des ungestörten Besitzes der mit so ungeheuren Opfern behaupteten Heimat erfreuen; denn durch deren Heroismus besiegt, verzichtete der Forscher auf die Vertreibung der Ameisen und der Zoologe streckte vor seinen kleinen Gegnern edelmütig die Waffen. K. L.