Ein tirolisches „Haberfeldtreiben“

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Autor: Arthur Achleitner
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Titel: Ein tirolisches „Haberfeldtreiben“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 526–527
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein tirolisches „Haberfeldtreiben“.

Von Arthur Achleitner.

So oft zur Habererzeit Mitteilungen über irgend ein besonders „solenn“ verlaufenes „Treiben“ in die Oeffentlichkeit gelangten, erregte es meine Verwunderung, daß man in der nächsten Nachbarschaft, z. B. jenseit des Inn auf tirolischem Boden, niemals etwas hörte von einem ähnlichen Femgericht. Wenn auch politisch getrennt und zwei verschiedenen Staatswesen angehörend, haben die Unterinnthaler in Sprache, Sitte und im gegenseitigen Verkehr so viel Berührungspunkte, so viel Gleiches im Leben, daß es seltsam wäre, wenn die tirolischen Unterinnthaler so gar nichts Gemeinsames mit den bayrischen Unterinnthalern auch in Bezug auf nächtliche Femgerichte haben sollten. Wohl wird, wie ich in Nr. 2 dieses Jahrgangs berichtet habe, im bayrischen Unterinnthale ab und zu „getrieben“ und die tirolischen Nachbarn nehmen an solchen Veranstaltungen großes Interesse, aber daß sie selber sich an solchen Nachtspektakelscenen beteiligen, hat man nicht gehört.

Und dennoch existiert eine tirolische Abart des oberbayrischen Haberfeldtreibens, richtiger gesagt, sie hat existiert. Der betreffende, kulturhistorisch hochinteressante Brauch ist in der Kufsteiner Gegend, der sog. Ebbser Schranne (Gemeindegebiet), zu einer Zeit üblich gewesen, als die Dörfer an den Jnnauen gegen die bayrische Grenze zu noch die Stätten regen Gewerbfleißes waren und es neben Hufschmieden hier zahlreiche Nagelschmieden, Kupfer- und Pfannenschmieden, ja sogar Waffenschmieden gab. Der Pferdebeschlag erfolgte stets in Ebbs, dessen Hufschmiede weitum im tiroler Land großen Ruf genossen, und mancher Fuhrmann wartete mit dem Neubeschlag, bis er das freundliche Dorf Ebbs erreichte, das durch den Zuzug fremder Gesellen bald zu einem lärmenden Gemeinwesen wurde, insbesondere dadurch, daß die Dorfburschen jedes Eindringen fremder Elemente in ihren Kreis abwehrten und dabei rasch von den Fäusten Gebrauch machten. Zu jener gewerbsfrohen Zeit, die längst vorüber ist und eine Kirchhofsruhe in diesen Jnndörfern zurückgelassen hat, bestand auch das Sittengericht auf tirolischem Boden in Uebung: die Puchlmusik, das tirolische Haberfeldtreiben.

Das Dialektwort Puchl stammt von puchen, und dieses heißt so viel wie pochen, stampfen, sich trotzig aufblähen, auflehnen. Der „Puch“ bedeutet Stolz, Trutz, daher Puchlmusik so viel wie Trutzspektakel: der Brauch besitzt die Tendenz einer Rüge für eine das allgemeine Sittlichkeitsgefühl verletzende Handlungsweise. Dieser Brauch der Puchlmusik ist besonders im Gebiete der Ebbser Schranne üblich gewesen, allmählich aber erstorben, wenigstens tritt er längst nicht mehr so stark in den Vordergrund wie zur Verzweiflung der Beamten das Haberfeldtreiben auf bayrischem Boden.

Die Puchlmusik ist die lärmendste Veranstaltung tirolischer Sittenrichter gewesen.

Ebenso wildlärmend wie das oberbayrische Haberfeldtreiben ist eine „Katzenmusik“, mit welcher man Wucher und Geiz, unmoralischen Lebenswandel rügt oder Solchem Feme ansagt, der eine allseits mißbilligte Ehe eingeht. Nach altem Brauch ist die Puchlmusik immer am Abend eines Bauernfeiertages oder an Sonntagen abgehalten worden, und Aenderungen gehörten zu den Ausnahmen. Die Veranstalter eines Puchlkonzertes lieben recht dunkle Nächte ohne Sternenschein, und je schärfer der Wind von den Felsen des „Zahmen Kaisers“ herabstreicht, desto lieber ist es den Puchlern. Wenn die Uhr vom Ebbser Kirchturm in langsamen feierlichen [527] Schlägen die elfte Stunde verkündet, wird es zwischen den weitverstreuten Gehöften lebendig. Schwarze Gestalten huschen umher, immer dichter wird das Gewimmel nach einer bestimmten Richtung hin; aufgeschreckte Hofhunde schlagen an und heulen auf, wenn Steinwürfe sie getroffen.

Ein dichter Menschenwall steht vor einem Hause, dem Konzertplatz in finsterer Nacht, stumm, bewegungslos. Ein leises Kommando ertönt – dann fällt ein Schuß, der den nächtlichen Spektakel einleitet, Fackeln flammen auf, aus zahlreichen Gewehren wird ein regelrechtes Pelotonfeuer eröffnet, grollend verhallt der Geschützdonner in den Bergwänden. Ein entsetzlicher ohrenzerreißender Lärm bricht nun los: Ratschen kreischen, Windmühlen klappern in rasenden Drehungen, Kuhglocken bimmeln, Hafendeckel scheppern, Trommeln dröhnen, Böller krachen – die Hölle scheint los zu sein. Entsetzt eilen die Dörfler aus ihren Häusern: es wird gepuchelt! Aber die Vorposten lassen niemand in die Nähe des Platzes. Plötzlich schweigt die „Musik“, der Höllenlärm ist verstummt. Eine Fistelstimme verliest nun Knittelverse, ganz ähnlich wie es beim Haberfeldtreiben vom Baß des Haberermeisters geschieht, und jeder Absatz findet rasenden Beifall und wird mit Flintenschüssen begleitet. Der Sünder, welchem dieses gräßliche Katzenkonzert gilt, wird meist aus dem Hause geholt; ist er in Vorahnung flüchtig gegangen, so werden seine „Sünden“ dennoch verlesen. Immer fragt der Anführer, ob das alles auch wirklich „wahr“ sei, und der nächtliche Chorus brüllt das „Ja!“, worauf die Katzenmusik immer wieder beginnt. Den Schluß bildet die Anheftung des „Programmes“, der Abschrift des gereimten Sündenregisters, an die Hausthüre des Verfemten.

Daraufhin verschwindet die vermummte Schar spurlos und mit einer Geschwindigkeit, daß man glauben könnte, die Lärmmacher habe die Erde verschlungen; die Puchlmusik hat ein Ende …

Mit unverhohlener Freude aber wurde im Dorfe das Ereignis eines Puchlkonzertes dann besprochen, wenn das Rügegericht nach allgemeiner Auffassung dem Rechtsgefühl des Volkes Ausdruck gegeben hatte, wenn die nächtliche Katzenmusik die richtige Antwort auf thatsächliche Verfehlungen, unmoralischen Lebenswandel und namentlich Geiz und Wucher gewesen war.

So war es vor nicht zu langer Zeit in der Ebbser Schranne in Uebung.