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Ein vergessenes deutsches Denkmal

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Textdaten
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Autor: R. Schm.
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Titel: Ein vergessenes deutsches Denkmal
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 604–605
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[604]
Ein vergessenes deutsches Denkmal.

In einer Periode nationaler und geistiger Erhebung, wie solche einmal wieder in unsern Tagen, gleich einem frischen Lufthauche in der Schwüle des Sommers, durch das große deutsche Vaterland zieht, mag es als eine nicht ganz müßige Arbeit erscheinen, die Augen und Herzen Aller, auch der vielen Leser dieses Blattes, auf ein Denkmal zu lenken, das der Urquelle deutscher Geschichte, dem Siege über die Römerwelt, geweiht ist, aber, seit Jahren vergeblich seiner Vollendung entgegenharrend, ein Zeugniß deutscher Zerrissenheit und ein Spott des Auslandes dasteht.

Wenn der Reisende im alten Westphalenlande bei Herford oder Bielefeld die Eisenbahn verläßt und das Becken betritt, wo einst die Römerwelt mit den Germanen zusammenstieß, erblickt er in der Ferne nach Süden zu, über das dunkle Waldgebirge hervorragend, das kolossale Denkmal des Cheruskerfürsten Hermann. Das schöne hehre Bild begleitet ihn auf seiner Wanderung so lange, bis er nach wenigen Stunden die freundliche Residenz des Fürsten zur Lippe, das Städtchen Detmold erreicht hat, welches sich in einem reizenden Thale am Fuße des Teutoburger Waldes [605] ausdehnt, auf dessen höchster Kuppe, der Grotenburg (1195 Fuß), das Denkmal sich erhebt. Von Detmold aus führt eine schattige, anmuthige und bequeme Promenade in den Wald bis zur Höhe des Berges. Liebt der Reisende nun außer schönen herrlichen Natureindrücken zugleich die Geschichte seines großen Vaterlandes, so hat eine Wanderung auf dieser Stätte um so höheres Interesse für ihn, denn sein Fuß wandelt auf classischem Boden. In diesen Schluchten hat die Kraft unserer Vorfahren im J. 9 n. Chr. jene übermüthigen Legionen vernichtet, die der römische Kaiser Augustus vergebens von seinem Feldherrn mit den weltbekannten Worten zurückforderte: „Varus, gib mir meine Legionen wieder!“ Von diesen Bergen, die heute noch ihre Häupter stolz emporheben über die Ebene, hebt das Morgenroth deutscher Geschichte an; dem Siege Hermanns dürfen wir allein es zuschreiben, daß da, wo große Fragen die Welt erschüttern, der germanische Volksstamm gegenüber den Celto-Romanen und Slaven noch immer ein gewichtiges Wort in die Wagschale der Geschichte werfen kann; ihm verdanken wir ferner die Erhaltung unserer Sprache und Sitten. Und ihm, in dessen Seele der große Gedanke entsprang, abzuschütteln das römische Joch der Knechtschaft, und um den sich die zerstreuten deutschen Männer zum ersten Male schaarten und dem Uebermuthe des Eroberers für immer ein Ziel setzten – ihm, dem Befreier, gilt das Denkmal, dessen Säulen sich hier vor Ort erheben. Ein echt deutscher Bau, streben die kühnen Bogen gen Himmel, auch schon in seiner jetzigen, des Standbildes noch entbehrenden Form bildet es ein schönes Wahrzeichen der verbündeten deutschen Stämme.

Das Hermanns-Denkmal auf dem Teutoburger Walde.

Es war am 19. Juli 1833, als der geniale Bildhauer E. v. Bandel[WS 1] aus Ansbach, angeregt durch die hochherzige That Hermanns, und ermuntert durch die aus allen Gauen des Vaterlandes, vom Belt bis zur Adria, vom Rhein bis zur Weichsel, eingehenden reichlichen Beiträge und Zuschriften, im Vertrauen der Vollendung, hier auf dem Schauplatze der unsterblichen That, den Bau begann. Schon am 8. September 1841 konnte unter dem Jubel aller Vaterlandsfreunde das Fest der Grundsteinlegung gefeiert werden. Dann aber trat, hervorgerufen durch das Hamburger Brandunglück und die Wiederaufnahme der Cölner Dombauarbeiten, eine Zersplitterung der Kräfte ein, der Enthusiasmus schwand, die Beiträge flossen immer spärlicher, und nur mit Mühe konnte der Unterbau beendigt und mit einer Kuppel geschlossen werden. So steht das schöne Werk seit dem 17. Juni 1846, so steht es noch heute unvollendet, ohne den Schmuck des Standbildes. Große ernste Zeitverhältnisse zogen über unser Vaterland hin, das Denkmal fiel dem Vergessen anheim, und nur der die Gegend gerade passirende Fremde opferte ein paar Stunden seiner Zeit, es in Augenschein zu nehmen. Im Laufe dieses Jahres jedoch hat der Künstler, ermuthigt durch den im Vaterlande neu erwachten nationalen Geist, sich dem Werke wieder mit Lust und Liebe zugewandt, den früheren Plan hinsichtlich der Statue etwas verändert, um derselben eine größere Haltbarkeit zu sichern, und soll jetzt die Specialpläne zur Wiederaufnahme des Baues ausarbeiten. So dürfte, wenn die Beiträge – wie wohl zu erwarten steht – wieder reichlich fließen, das nationale Werk als ein Zeugniß deutscher Treue und Dankbarkeit, aber auch als ein Zeichen deutschen Brudersinnes und deutscher Eintracht seiner endlichen Vollendung entgegengeführt werden können.

Der Unterbau aus Quadersandstein mißt 93 F., die Statue, aus getriebenem Kupfer bestehend, deren geringster Theil erst vorhanden und im Hermannssaale des Detmolder Museums ruht, wird bis zur Schwertspitze 90 F. umfassen, so daß das Ganze im vollendeten Zustande eine Höhe von 183 F. erreichen wird.

Man steigt jetzt auf einer Wendeltreppe die Stiegen bis zur Kuppel hinan, welche, mit einer Brustwehr umgeben, das Betreten möglich macht, und labt hoch oben Herz und Sinne an dem herrlichen Panorama, das sich hier dem Auge erschließt. Um und neben uns dehnt sich düstere Teutoburger Waldgebirge mit seinen mannichfaltigen reizenden Partien bis zur fernen Porta Westphalica aus, unten im Thale liegt gar lieblich das freundliche Detmold, links blickt die alte Römerstraße der Dörenschlucht[WS 2], und rechts ragt das sogenannte Winnfeld – die eigentliche Wahlstatt der Römerschlacht, hervor. Doch gestattet der empfindliche Luftzug hier oben kein langes Verweilen; man eilt bald hinunter und findet in dem naheliegenden, zum Schutze der Reisenden erbauten Forsthause freundliche Gelegenheit, sich von den Mühseligkeiten des Bergsteigens zu erholen. Ringsum auf der Höhe sind an passenden Stellen Tische und Bänke zum Ausruhen und zur beschaulichen Betrachtung angebracht. Von hier aus führen schöne Waldpfade nach allen romantischen Punkten des Gebirges, nach dem fürstlichen Jagdschlosse Lopshorn, dem Stationsorte des berühmten Sennergestüts; ostwärts über das Winnfeld, neben den Ruinen der Falkenburg vorüber, bringt ein anmuthiger Weg nach den merkwürdigen, vielbesuchten Externsteinen und dem Bade Meinberg. Nicht selten trifft der Wanderer in dieser Waldeinsamkeit auf ganze Rudel von Hochwild, das, in diesen Revieren sorglich gehegt, sehr oft den Reisenden eine freundliche Ueberraschung gewährt.

Wandert man aber bergab nach Detmold zu, so führt der Pfad an einem uralten, aber noch wohlerhaltenen, germanischen Vertheidigungswerke, dem sogen. Hünenringe vorüber, welcher ein großes, kreisförmig eingeschlossenes Lager vorstellt und von all den festen Werken dieses Berges das letzte Ueberbleibsel ist. Unter hohem Buchenforst und neben immergrünen Gruppen von Stechpalmen, die sich zwischen den wie gesäet überall umherliegenden grauen Steintrümmern erheben, gelangt man in einer halben Stunde wieder abwärts in die anmuthigen Promenaden Detmolds. Die Mühe des Hinaufklimmens wird dem patriotischen Naturfreunde gewiß reichlich belohnt durch die Eindrücke, welche sein Herz und Geist dort oben auf Bergeshöhe in sich aufgenommen.

Möge denn recht bald das Denkmal im Schmucke der Vollendung den uneinigen deutschen Völkerstämmen zurufen: „Eintracht macht stark!“

R. Schm.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bardel
  2. Vorlage: Dörneschlucht