Eine österreichische Waffenthat
Während die Blicke Deutschlands und der civilisirten Welt jetzt in gespannter Erwartung nach Italien gerichtet sind, auf dessen blutgetränktem Boden die gewichtigsten Fragen der Neuzeit mit dem Schwerte gelöst werden sollen, dringt in überraschender Schnelle eine Kunde nach der andern zu uns herüber, daß die österreichischen Truppen zurückgewichen oder zurückgeschlagen worden sind. Selbst dem mit dem Kriegswesen Unkundigsten muß einleuchten, daß hierbei das naive Bekenntniß eines weiland preußischen Premierministers über die Zweckmäßigkeit eines „Zurückweichens aus strategischen Rücksichten“ nicht glaubwürdig erscheint; und wenn wir auch von den Ruhmesberichten des Moniteurs immerhin die Hälfte in Abzug bringen, wenn wir zur Zeit auch noch das alte Wort des Tacitus über die Kämpfe der Deutschen mit den Römern bewahrheitet finden: „sie sind mehr besiegprachtet, als besiegt worden“ (magis triumphati quam victi sunt), so bleiben doch noch so viel Lorbeeren für das sardo-fränkische Heer zurück, daß wir ein gewisses Schamgefühl nicht zurückdrängen können und, da nun einmal die Kriegsfurie losgelassen ist, den Oesterreichern wenigstens einmal eine kleine „Revanche für Pavia“ gönnen möchten. Aber fast scheint Letzteres nur ein leerer Wunsch zu bleiben; bei den fortgesetzten Niederlagen [406] schwindet das moralische Selbstgefühl in der Brust des Einzelnen, er verzweifelt an der eigenen Kraft und fügt sich widerstandslos in das für unvermeidlich erachtete Mißgeschick, während der Gegner im stolzen Muthe des Uebergewichts den Sieg für immer an seine Fahnen gefesselt meint, und in diesem zuversichtlichen Glauben auch wirklich fortgesetzt neue Triumphe zu den bereits errungenen gesellt. Anfangs wurde von den Freunden Oesterreichs die Schuld der Niederlagen auf die Unkenntniß und die Fehler der Führer geschoben; der früher hochgefeierte Gyulai galt alsbald für einen mehr als unfähigen Strategiker, der wieder von einem hochgestellten Manne in der Nähe des Kaisers beeinflußt werde; allein die neuesten Ereignisse, die Schlacht bei Solferino und der Rückzug hinter den Mincio, scheinen auch kein allzuschmeichelhaftes Zeugniß für die Tüchtigkeit eines Schlik hinsichtlich der Heeresführung abzulegen, während selbst die Schlachtpläne des sonst so erprobten Heß – vielleicht in Folge des vorgerückten Alters – an ihrer geistigen Frische verloren haben dürften. Sehen wir jetzt einmal von der mindestens unwahren Behauptung ab, daß wir schon aus Sympathie für das zusammengewürfelte, aus Slaven, Italienern, Wlachen, Magyaren und Deutschen an einander geschmiedete italienische Heer demselben, als dem eines „stammverwandten Brudervolkes“, den Sieg über die sardo-fränkische Armee zu wünschen hätten, und vergessen wir nicht, daß sich die Italiener mit demselben Rechte, wie die Deutschen Anno 13, von ihren fremdländischen Eroberern befreien dürfen, so können wir doch auch für unser specifisch deutsches Gefühl einige Genugthuung in dem Zeugnisse der Franzosen über die unerschütterliche Ausdauer und den bewährten Kampfmuth der deutsch-österreichischen Soldaten finden, die für eine der Mehrzahl sicherlich fremde, vielleicht unbekannte Sache auf das Machtgebot ihres Kaisers ihr Blut auf italienischer Erde verspritzen. Noch immer zeigt sich in vielen von ihnen der tapfere Muth, der ja von Urväter Zeiten her ein Erbtheil der Deutschen war, und einzelne Beispiele erinnern auch heute noch an die schönsten Thaten des deutschen Ritterthums. So entnehmen wir dem Schreiben eines Hauptmanns im Generalstabe der italienischen Armee die Waffenthat eines österreichischen Soldaten, die wir unsern Lesern in vorstehendem Bilde veranschaulicht haben.
Der Fahnenträger eines Infanterieregiments war so unglücklich, bei einem der neueren Gefechte den rechten Arm zu verlieren; die Fahne entsinkt ihm, und der danebenstehende Officier übergibt sie dem nächsten Manne der Truppe, den aber kurz darauf eine feindliche Kugel ebenfalls zu Boden streckt. In diesen, kritischen Augenblicke stürzen zwei Zuaven auf das unbeschützte Kleinod und führen es triumphirend hinweg. Kaum hatte dies jedoch ein anderer österreichischer Infanterist gewahrt, als er allein den siegtrunkenen Zuaven nachjagt, den ersten derselben niederschießt, den zweiten mit dem Kolben seines Gewehres zu Boden schmettert, ihm das theure Zeichen entreißt und es unversehrt in gerechtem Stolze zu den Seinigen zurückbringt. Nach des Schreibers Versicherung war dieser Brave ein Jüngling von achtzehn Jahren und noch nicht vierzehn Tage in die Armee eingereiht.
Wir erfahren soeben noch seinen Namen. Er heißt Bach, ist ein geborener Pfälzer, Sohn des Steuereinnehmers Bach in Rülzheim bei Germersheim, und wegen seines Heldenmuthes bereits zum Lieutenant avancirt. Die österreichische Armee zählt, wie sie wieder bei Solferino bewiesen, in ihren Reihen viele solcher Tapferen.
Das Glück des Pariser Parvenu’s war bis jetzt ein unwandelbares. Als er auftrat und seine ehrlichen Gegner, die Demokraten, in den Straßen von Paris mit Kartätschen niederschmettern ließ, waren es deutsche Fürsten und Geldmänner, die ihm als dem „Retter der Gesellschaft“ entgegenjubelten und ihn mit Orden und Adressen bedeckten. Der Magistrat einer deutschen Residenz hatte nach Jahren, als bereits die kaiserlichen Eide als Meineide gebrandmarkt waren, noch die Frechheit – gegen den Willen seiner Mitbürger – denselben Menschen zu beglückwünschen, für den man jetzt nicht Ausdrücke des Abscheu’s genug finden kann. Lord Palmerston trug ihm bedientenhaft die Schleppe, und der weiße Czaar nahm den angebotenen Frieden an. So mußte er schließlich bei der politischen Erbärmlichkeit seiner Zeitgenossen an sein Glück und seine Mission glauben. Heute ist es wieder die Kopflosigkeit einiger Generale und die Hohlheit eines Systems, dessen Unhaltbarkeit Alle, nur nicht die Beteiligten, erkannt hatten, die ihm den Sieg leicht machen. Eine vortreffliche Armee, kriegsgeschult und mit Officieren an der Spitze, deren Tapferkeit ohne alle Zweifel ist, wird zwei – drei Mal von demselben Manne geschlagen, der in der Schlacht von Magenta den Kopf so gänzlich verloren hatte, daß er auf die Frage eines Adjutanten des Generals Mac-Mahon nach seinen Befehlen nur die Worte herauszustammeln vermochte: „Sagen Sie dem General, er solle thun, was er für gut findet, nur rette er uns.“ Und Mac-Mahon rettete ihn und mit ihm sein Glück! Vielleicht schon nächstens treibt ihn seine Mission auch an die Ufer unseres rebenreichsten Flusses und vielleicht schon in einigen Wochen, wenn es sich darum handelt, ob deutsche Sympathieen sich für Römisch oder Deutsch entscheidend bethätigen sollen, werden dieselben finstern Kräfte im Süden, die, als sie ihr Palladium in Gefahr sahen, in jeder Weise aufstachelten, wieder „abwiegeln“ und die Mission des Glücklichen erleichtern, mit dem sie vielleicht zusammen dann gegen die Burg des Protestantismus ziehen. Eine neue heilige Allianz gegen Deutschthum und Glaubensfreiheit! Dann schütze Gott unser Vaterland!
Noch aber sind wir nicht so weit, und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird der Kampf nothgedrungen beginnen müssen. Die Deutschen werden ihn ohne Furcht – ja freudig aufnehmen. An dem Blute deutscher Söhne erbleichte der Glücksstern des Onkels – es könnte wohl kommen, daß unter den Schlägen derselben Waffen die Mission des Neffen ein Ende fände, wenn er es wagen sollte, diese Mission auch über den Rhein auszudehnen. Die Moniteurrenommagen von acht- und zehntausend Gefangenen wenigstens werden rasch ein Ende nehmen, wenn der Neffe nicht mehr ungarischen und italienischen Regimentern gegenübersteht.