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Eine Bärenjagd in Livland

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Textdaten
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Autor: M. S.
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Titel: Eine Bärenjagd in Livland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 414–416
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Bilder aus den russischen Ostseeländern Nr. 1
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Bilder aus den russischen Ostseeländern.
1. Eine Bärenjagd in Livland.


Nicht weit von dem kleinen livländischen Landstädtchen W. liegt hart an der russischen Grenze das große Rittergut Neukirchen. Ungeheure Moosmoräste und zusammenhängende, dichte Waldungen bedecken noch den größten Theil des etwa einhundert Quadratwerst umfassenden Gutsareals. Stundenlang kann man wandern, ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen, und nur nach langen Zwischenräumen stößt man hie und da auf ein abgelegenes Gehöfte, welches einsam und verlassen mitten in den riesigen Morästen und Haiden liegt, wie eine Insel im Meere. Die Civilisation hat hier ein Ende und erst in jüngster Zeit hat man die ersten schüchternen Versuche gemacht, diesen öden und unfruchtbaren Strich Landes der Cultur zu gewinnen. Noch hat es aber damit gute Weile und bei der Unsicherheit unserer einheimischen Verhältnisse, sowie bei der düsteren und ungewissen Zukunft, welcher unsere baltischen Lande gegenwärtig unter dem Andringen gewisser russischer Parteien entgegengehen, kann mancher Scheitel grau werden, bis das Dampfroß durch Neukirchens jungfräuliche Fluren braust und günstigere Conjuncturen die Unternehmungslust tüchtiger Landwirthe herausfordern. So lange jedoch noch trügerische Moosdecken die ausgedehnten Moore des Gutes bedecken, so lange noch der struppige Wachholder und das duftige Haidekraut in ungestörter Fülle auf den sandigen Haiden gedeihen und in die düsteren, sumpfigen Wälder sich nur der Fuß des einsamen Holzfällers verirrt, – so lange ist Neukirchen das Eldorado jedes Jägers, der sein Augenmerk auf höheres Wild richtet. Auf den mit unzähligen Beeren bewachsenen Morästen und Heuschlägen führen Birkhennen, Morasthühner und Auerhennen ihre jugendliche Nachkommenschaft spazieren; Lampes zahlreiche Sippe verduselt ihre Tage am Feldrande; in dichten Föhrendickichten erzieht das Haselhuhn seine zierliche Brut und im sumpfigen, finsteren Forste ergeht sich die stolze Gestalt des Elenthieres, äßt das zarte Reh, schleicht des Wolfes und des Luchses leiser Tritt durch die Büsche und hie und da läßt sich auch Meister Petz herab, die Welt oder vielmehr einen abgelegenen Hof mit seiner holden Gegenwart zu beglücken.

In eine solche einsame, von allen Seiten mit düsteren Fichtenwäldern umgebene menschliche Behausung wollen wir heute den freundlichen Leser führen. Das nächste Gehöft, der nächste wirklich fahrbare Weg sind etwa sieben Werst von derselben entfernt und nur ein schmaler, fast nicht zu passirender Holzweg deutet uns an, daß die kleine Buschwächter- oder Försterwohnung auch von Leuten bewohnt wird, die zuweilen das Bedürfniß fühlen, mit ihren Mitmenschen in näheren Verkehr zu treten. Das langgestreckte, mit einer dichten, grünlichen Moosschicht überzogene Dach des Wohngebäudes droht in der Mitte zusammenzustürzen. Die altersgrauen Wände sind roh aus unbehauenen Fichtenstämmen gezimmert und an der linken Seite des Gebäudes macht sich eine nicht unbedeutende Böschung nach außen bemerkbar, welche von zwei hölzernen Pfosten nur nothdürftig in ihren ursprünglichen Grenzen zurückgehalten wird. Links von dem Wohnhause liegt eine kleine, verfallene Scheune, rechts ein elender Kuhstall, dem sich eine in die Erde gegrabene und oben mit Rasen bedeckte, schwarzgeräucherte Badestube anschließt, welche zugleich als Küche dient. In der Mitte dieser Gebäude befindet sich der Hofraum, der zu allen Jahreszeiten mit Ausnahme etwa eines sehr trockenen Sommers oder eines sehr strengen Winters mit unergründlichem Schmutze bedeckt ist. Weiterhin, nach dem Walde zu, liegen die kleinen, gewöhnlich nur nachlässig bearbeiteten und daher auch nur einen sehr geringen Ertrag liefernden Felder. Das Ganze macht den Eindruck trostloser Oede, Armuth und Einsamkeit.

In dieser Buschwächterei, und zwar in der dunkeln und schmutzigen Rauchstube des Wohngebäudes, saßen an einem Decemberabend drei Dorpat’sche Studenten, welche, wie die an der Wand an hölzernen Pflöcken hängenden Gewehre und Pulverhörner lehrten, ein Jagdausflug und insbesondere die Begierde, einen Bären zu schießen, in diesen abgelegenen Erdenwinkel geführt hatte. Zu ihrer Zahl gehörte auch meine Wenigkeit. Wir hatten ein paar niedrige, schwarzgeräucherte Schemel an den roh aus Lehm gemauerten Heerd geschoben, in welchem einige rothglühende Holzscheite eine gemüthliche Wärme ausstrahlten. Der Rauch zog über unsern Häuptern in dichten Wolken durch die nur halb angelehnte Thür in’s Freie und wir fühlten uns trotzdem so behaglich, wie man es nach einer bei fünfzehn Grad Kälte zurückgelegten Fahrt, bei einem heißen Glase Punsch und einer guten Cigarre nur irgend sein kann. Der Buschwächter, ein kräftiger Esthe, dem die blonden Haare wirr über das Gesicht hinabhingen, stand vor uns und ich bemühte mich, ihn über seinen Wildstand auszuforschen.

„Höre ‘mal, Tönnis,“ redete ich ihn zu guter Letzt in esthnischer Sprache an, „haben sich in jüngster Zeit Bären hier gezeigt?“

„Nein,“ entgegnete er, „im Walde werden aber wohl einige sein.“

„So? Bären sind also vorhanden; dann wirst Du uns wohl auch sagen können, wo sich eine dieser Bestien aufhält?“

Tönnis kraute sich verlegen den dicken Kopf und erwiderte: „Gott weiß, in welche Schlupfwinkel diese Teufel sich jetzt zurückgezogen haben.“

Ich zog ruhig mein Taschenbuch hervor, entnahm demselben einen Fünfrubelschein, zeigte ihn unserm Wirthe und sagte: „Siehst Du, alter Freund, dieser blaue Schein gehört Dir, wenn Du uns zum Lager eines Bären führst.“

„Gott bewahre mich vor der Sünde!“ rief Tönnis entsetzt aus. „Wollen denn die Herren bei lebendigem Leibe gefressen werden?“

„Im Gegentheil,“ replicirte ich. „Wir haben vielmehr die Absicht, den Bären zu verzehren. Deine Sache ist es blos, uns zu zeigen, wo sich derselbe aufhält.“

Bei diesen Worten drehte ich den schönen, neuen Cassenschein verlockend im Glanze des Feuers hin und her und wartete geduldig auf eine Antwort. Tönnis guckte längere Zeit hindurch nachdenklich in’s Feuer, drehte dabei seine schwieligen Finger in den Gelenken, daß sie knackten, und schien ernstlich mit einem großen Entschlusse zu kämpfen. Endlich sagte er wie beiläufig: „Vorgestern haben die Holzhauer des Hofes im benachbarten Petri-Reviere einen ungeheuren Bären aus dem Lager gescheucht.“

[415] „Wirklich? Ist seitdem Schnee gefallen?“

„Nein.“

„Nun, unter solchen Umständen muß die Spur ja noch vorhanden sein und Du weißt gewiß, wohin sie führt. Doch, bevor Du antwortest, trinke einmal einen Schnaps.“

Mit diesen Worten reichte ich ihm eine zu diesem Zwecke mitgenommene Flasche. Tönnis nahm schmunzelnd einen ehrlichen Schluck und mit demselben schienen alle seine Bedenken hinuntergespült zu sein. Wie ich erwartet hatte, berichtete er nunmehr ausführlich, daß die erwähnte Bärenspur in sein Revier führe, daß er derselben gefolgt sei und sich überzeugt habe, Meister Petz sei in einem nicht allzugroßen, mitten in seinem Walde befindlichen Dickicht zu Bett gegangen. „Doch,“ fügte er hinzu, „es ist ein mächtig großer Bursche, und wenn die Herren nicht gute und ruhige Schützen sind, könnte es leicht ein Unglück geben.“

Wir beruhigten ihn über seine Besorgnisse und trugen ihm nur auf, uns für die Nacht ein Strohlager am Feuer zu bereiten, welchem Auftrage er bereitwilligst Folge leistete. Wir streckten uns auf dasselbe hin und nach einigen fruchtlosen Bemühungen gelang es uns denn auch, trotz mancher Unbequemlichkeiten in Gestalt von Flöhen und anderen Ungeziefers, einige Stunden Schlafs zu genießen.

Die Uhr hatte noch nicht neun geschlagen, als wir uns am andern Morgen in Begleitung unsers Wirthes auf den Weg machten. Jeder von uns trug eine doppelläufige Jagdflinte und zum Ueberfluß noch einen tüchtigen Dolch im Gürtel. Tönnis hatte sein Gewehr zu Hause gelassen, weil er behauptete, daß das alte Schießeisen darin einen hartnäckigen Eigensinn an den Tag lege, nicht loszugehen, wenn er es gerade für erforderlich erachte. Statt dessen hatte er sich mit einem gewichtigen Handbeil bewaffnet, welches unter Umständen auch ganz gute Dienste leisten konnte.

Es war bitter kalt. Der Schnee knirschte unter unsern Stiefeln, und als wir den Forst erreichten, hörte man die mit mächtigen Schneemassen bedeckten Fichten laut knacken und dröhnen, als ob sie im Begriffe ständen, mitten auseinander zu bersten. Der Wald selbst aber mit seinen himmelanstrebenden Stämmen war still und öde, wie das Innere eines imposanten Domes, wenn ihn die rauschende Menschenmenge verlassen, und mit Ausnahme eines munteren Kernbeißerpärchens oder eines scheuen Eichhorns, welches gewandt von Ast zu Ast hüpfte, oder einer Schneemasse, welche sich vermöge ihrer eigenen Schwere von einem Zweige löste und alsdann in tausend und abertausend kleine Brillanten zerstäubend zu Boden sank, schien jedes Leben in der Natur erstorben. Wir gingen schweigend, Einer in die Fußstapfen des Andern tretend, durch den ausgedehnten Forst, und ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß meine Nerven sich nicht in einer leisen Aufregung befanden. Im Gegentheil, ich gestehe es offen, daß meine Pulse schneller schlugen, als gewöhnlich, und daß von Zeit zu Zeit ein eigenthümlicher Schauer meine Glieder durchzuckte, der den Körper gegen jeden Einfluß der Kälte unempfindlich machte. Sollte ich doch ebenso wie meine beiden Jagdgenossen Sternberg und Reinfeldt in den nächsten Minuten dem stärksten Raubthiere unserer einheimischen Wälder gegenüberstehen und gewissermaßen ein Duell über das Schnupftuch mit demselben ausfechten, ein Kampf, dessen glücklicher oder unglücklicher Ausgang von hundert Zufälligkeiten abhing. Dazu kam, daß wir gerade die gefährlichste Art gewählt hatten, um mit Meister Braun anzubinden, denn weil man nur selten mit völliger Sicherheit wissen kann, in welchem Busch oder Gestrüpp der Bär gerade sein Lager aufgeschlagen hat, während die dichten Wachholder- und Tannengebüsche dem Jäger jede freie Rundschau unmöglich machen, so ist es sehr leicht möglich, dem Gesuchten ganz unerwartet in nächster Nähe gegenüberzustehen, oder gar in seine Arme zu laufen. Doch zu derartigen Bedenken war keine Zeit mehr vorhanden, denn unser Führer stand plötzlich still und wies schweigend und mit ernsthafter Miene auf eine mitten im Walde befindliche, fast kreisrunde, kleine Erdsenkung, welche etwa hundert Schritte von uns entfernt und mit einem dichten Tannen- und Wachholdergestrüpp bewachsen war. Wie auf Commando blieben wir Alle stehen und ich wandte mich flüsternd an unsern Begleiter mit der Frage, ob er wirklich glaube, daß der Bär sich in dem Dickicht befinde.

„Ohne Zweifel,“ entgegnete dieser, „denn die Spur, welche ich Ihnen gezeigt, führt direct in das Dickicht und, wie ich mich noch gestern vergewissert, auf der anderen Seite nicht wieder hinaus.“

„Befindet sich hinter der Erdsenkung ebenso lichter Wald wie diesseits?“ fragte ich weiter.

„Ja, Herr, Sie haben dort ebenso freies Schießen wie hier, und wenn Sie das Gebüsch von drei Seiten umstellen, so kann keine Maus unbemerkt entschlüpfen.“

„Gut,“ sagte ich. „Du stellst Dich mit diesem Herrn etwa zwanzig Schritt vor dem Gebüsche an der diesseitigen Ecke auf. Herr Reinfeldt wird jene Ecke besetzen und ich für meine Person werde das Gebüsch im Bogen umgehen und mich auf der dritten Ecke postiren. Wir bilden auf diese Weise ein Dreieck, dessen ihm zugewandte Seiten jeder Einzelne von uns bequem übersehen kann. Hast Du die Steine bei Dir?“

„Ja.“

„Nun, denn vorwärts! Wenn ich pfeife, so rückt vor, und sollte der Bär auf unser Schreien nicht herauskommen, so werft einige Steine in das Gebüsch.“

Mit diesen Worten entfernte ich mich, spannte die Hähne meines treuen Gewehres und überzeugte mich, daß die Zündhütchen in Ordnung waren. Nach Verlauf einer Minute hatte ich meinen Standpunkt erreicht, athmete noch einmal tief auf und ließ dann leise meinen Signalpfiff ertönen. Auf das Signal rückten meine Begleiter gleichfalls vor und kurze Zeit darauf belehrte mich ihre Antwort, daß unsere Schlachtreihe in Ordnung war. Wie aus einer Kehle ertönte nun von allen drei Seiten ein lautes Hollah, allein wer es nicht für gut befand zu erscheinen, war Meister Petz. Da hörte ich mit dumpfem Geräusch einen gewichtigen Stein mitten in die Zweige prasseln. Ein zweiter folgte und ein unwilliges Brummen oder vielmehr Gröhlen, sowie das Knacken von Aesten und Zweigen bewies, daß der Langschläfer im Begriff war, sich Morpheus’ Armen zu entreißen und uns die Ehre seiner nähern Bekanntschaft zu gönnen. Von diesem Augenblicke an war die ganze übrige Welt für mich verloren, und sonderbar, jede Unruhe, jede Aufregung, die in den letzten Minuten mein Blut schneller durch die Adern rollen ließ, hatte aufgehört. Ruhig wie auf der Hasenjagd folgte ich, das Gewehr im Anschlage, mit gespannter Aufmerksamkeit dem Brechen und Knistern der Zweige in meiner Nähe, fest entschlossen, nicht eher Feuer zu geben, als bis ich meinen Zielpunkt sicher in’s Auge gefaßt habe. Da endlich sah ich zwischen mir und meinem Freunde Reinfeldt einen dunkeln Schatten durch die Büsche gleiten. Noch einige Secunden und der Schatten, welcher nunmehr den lichteren Wald erreicht hatte, erwies sich als ein sogenannter schwarzer Bär von bedeutender Größe, der im Begriffe stand, sich unserer nähern Bekanntschaft eiligst durch die Flucht zu entziehen. Doch wir hatten uns einmal in den Kopf gesetzt, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen, und im nächsten Momente krachten kurz nach einander zwei Schüsse, welche so wohl angebracht waren, daß unser Flüchtling kopfüber in den Schnee stürzte und jeden Gedanken an Flucht aufgeben zu müssen schien. Schon wollten wir durch ein freudiges Hurrah unseren Sieg verkündigen, allein der nächste Augenblick belehrte uns, daß die Sache noch keineswegs zu Ende war. Mit dumpfem, röchelndem Gebrüll richtete sich der Schwarze wiederum auf, und die Ohren an den Hals gelegt, den Rachen mit dem blinkenden, furchtbaren Gebisse weit aufgesperrt, näherte er sich Reinfeldt, welcher ihm zunächst stand. Das racheschnaubende, aus zwei Kugelwunden blutende Thier bot einen entsetzlichen Anblick, dessenungeachtet aber verlor unser Jagdgenosse keinen Augenblick die Geistesgegenwart, ließ den Bären ruhig auf etwa fünf Schritte Entfernung herankommen und gab dann kaltblütig und bedächtig zielend zum zweiten Male Feuer. Die Kugel traf die Bestie mitten in die Brust und muß wohl die edelsten Theile durchbohrt haben, denn Braun stürzte wie vom Blitze getroffen zusammen und unterfing sich nicht mehr, uns nochmals durch sein Wiederaufstehen zu behelligen. Mittlerweile waren auch Sternberg und der Buschwächter herbeigeeilt und wir umstanden nunmehr tiefaufathmend mit freudigen Gesichtern und blitzenden Augen in respectvoller Entfernung den gefallenen Helden, welcher sich zuckend auf der Erde wälzte und den Schnee weithin mit seinem Herzblute färbte.

Bei näherer Besichtigung erwies sich, daß der Bär von drei Kugeln getroffen worden war, von denen die meinige ihm das rechte Schulterblatt zerschmettert hatte, während Reinfeldt ihm eine Kugel in den Bauch, die andere unmittelbar tödliche aber, wie gesagt,

[416] mitten in die Brust geschossen hatte. Der Buschwächter wurde hierauf nach einigen glücklicherweise in der Nähe befindlichen Holzfällern geschickt, um mit ihrer Hülfe unsere schwere Beute aus dem Walde zu schaffen, und wir vertrieben uns unterdessen im Walde die Zeit damit, daß wir uns das mitgebrachte kräftige Frühstück nebst obligatem Portwein trefflich schmecken ließen. Trotz der Kälte, die übrigens mit dem Vorrücken des Tages bedeutend nachgelassen hatte, war unsere Stimmung eine so behagliche und heitere, wie es nur nach einer vollbrachten glücklichen Jagd der Fall sein kann. Scherzend unterhielten wir uns über das soeben erlebte Abenteuer und fast schien es uns, als ob wir die Größe der dabei überstandenen Gefahr ursprünglich bedeutend überschätzt hätten. Diese übermüthige Laune wies jedoch Reinfeldt sehr bald in ihre richtigen Grenzen zurück, indem er trocken die kurze Bemerkung hinwarf, daß er gegenwärtig wahrscheinlich nicht das Vergnügen haben würde, mit uns einen Becher Wein zu trinken, wenn sein zweiter Lauf versagt, oder wenn seine Kugel den allein richtigen Zielpunkt, den weißen Fleck auf der Brust des Bären, um ein Weniges gefehlt hätte. In beiden Fällen war rechtzeitige Hülfe von unserer Seite schwer möglich, weil wir wegen der weiten Entfernung von unserem Genossen Anstand nehmen mußten zu schießen, um nicht statt des Bären den Freund zu treffen und nach bewerkstelligter größerer Annäherung letzterer sich möglicherweise schon in den Armen der Bestie befinden konnte. Bei Erwägung aller dieser Möglichkeiten leuchtete uns denn auch ein, daß es viel gefahrloser und daher richtiger ist, dem Bären, wie in Livland allgemein üblich, nur vermittelst großer Treibjagden nachzustellen, und daß nur sehr geübte Schützen, welche sich auf ihr Gewehr und auf die Festigkeit ihrer Nerven hinlänglich verlassen können, es wagen dürfen, Meister Braun in seiner eigenen Häuslichkeit anzugreifen. Dessenungeachtet aber muß ich behaupten, daß die Art den Bären zu jagen, wie ich sie oben beschrieben, jedem echten Jäger am meisten zusagen muß, denn es ist, abgesehen von der größeren Gewißheit zum Schusse zu gelangen, jedenfalls mannhafter und aufregender den Bären in seinem eigenen Lager aufzusuchen und dort einen ehrlichen Kampf Mann gegen Mann mit ihm auszufechten, als auf einer großen Treibjagd dem von aller Welt Gehetzten und auf eiliger Flucht Befindlichen aus dem Hinterhalte eine Kugel nachzuschicken und dabei noch das ruhige Bewußtsein zu haben, daß bei einem etwaigen Fehlschusse noch zwei oder drei Nachbarn bereit sind, dem ungeschickten Schützen aus der Patsche zu helfen.
M. S.