Eine Erinnerung an Friedrich den Großen

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Autor: Unbekannt
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Titel: Eine Erinnerung an Friedrich den Großen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24–25, S. 375-377; 388–392
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schilderung eines Manövers
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Eine Erinnerung an Friedrich den Großen.

Zwischen vier und fünf Uhr Morgens am 29. August 1753 standen vor der kleinen, nach dem sogenannten Lustgarten führenden Treppe des königlichen Schlosses zu Potsdam eine glänzende Generalität und zahlreiche Suite versammelt.

Die Herren, allesammt zu Fuß, bildeten zwei auffällig von einander geschiedene Gruppen. Die eine hiervon, nur aus wenigen Personen bestehend, hatte die Stellung unmittelbar unter dem Ausgang zu der Treppe eingenommen, die andere, weit zahlreichere reihte sich, einige Schritte mehr zurück, in einem weiten und unregelmäßigen Halbkreis um dieselbe. Weiter abwärts auf dem freien und sandigen Platze hielten nach links, vor einem dort aufgerittenen Zuge der Garde du Corps, ein königlicher Stallmeister und drei oder vier Reitknechte in der königlichen Livrée mit dem Leibpferde des Königs, einem Schimmel, und mehreren Handpferden, nach rechts die Diener der Herren und Ordonnanzen von allen Waffen, diese letzteren, die einen wie die anderen, sämmtlich ebenfalls abgesessen und die Pferde ihrer Herrschaften und Officiere, wie ihre eigenen am Zügel.

Der Morgen versprach einen schönen, wenn auch heißen Tag, doch war die Sonne noch nicht hoch genug gestiegen, um den hier Versammelten lästig zu fallen. Im Uebrigen war der Platz gegen unberufene Neugierige an seinen sämmtlichen Ausgängen durch Doppelposten abgesperrt, eine Vorsicht, die, nebenbei bemerkt, ziemlich überflüssig erschien, da Jedermann in Potsdam die Friedrich von seinem gestrengen Herrn Vater vererbte Eigenheit kannte, nicht gern, und zum allerwenigsten bei seinen militairischen Vornahmen, müßige Gaffer um sich zu sehen, die Loyalität der Bewohner dieser guten Stadt aber damals noch viel zu groß war, um anders als höchstens in Gedanken etwa dem einmal in irgend einer Sache ausgesprochenen Wunsch und Willen des Königs zuwiderzuhandeln.

Unter den vor dem Ausgang zu den königlichen Gemächern versammelten Generälen machte sich in der kleinen, der Treppe zunächst befindlichen Gruppe auf den ersten Blick die bei sechs Fuß hohe, imposante Gestalt eines Officiers in der Uniform eines General-Lieutenants von der Infanterie bemerkbar. Dieser Mann mit seiner straffen, geraden Haltung, der breiten Brust und dem athletischen Gliederbau erinnerte beinahe unwillkürlich an die weltberühmte Potsdamer Riesengarde König Friedrich Wilhelm’s I., als deren vollgültiger Repräsentant er betrachtet werden durfte und welcher er in der That ursprünglich auch angehört hatte.

Selbst abgesehen von seinen physischen Vorzügen wäre übrigens dieser General immer eine bemerkenswerthe Erscheinung geblieben. Sein Antlitz trug den unverkennbaren Stempel einer nicht geringen geistigen Begabung. Muth und felsenfeste Kühnheit, gepaart mit kluger, berechnender Ueberlegung, standen auf seiner hohen Stirn geschrieben und leuchteten aus seinen blitzenden Augensternen wieder. Der scharfgeschnittene Mund, das eisenfeste Kinn, das kühngeschwungene Oval seines vielleicht nur ein wenig zu vollen Gesichts, Alles stand hierzu in Einklang und verstärkte den Eindruck des Außergewöhnlichen bei diesem Manne, einen Eindruck, der selbst durch den Stolz und Hochmuth in seinen Zügen eher noch gehoben als vermindert wurde.

Eine zweite Persönlichkeit neben dem General machte sich zunächst wohl nur durch den Contrast mit demselben, wie überhaupt zu der ganzen hier vereinigten Versammlung, bemerklich. Auf den ersten Blick trat dieser Contrast zwar nur in der fremdartigen Rationalität dieses etwa 36 Jahre zählenden, hoch und schlank gewachsenen Mannes hervor, denn es hätte bei demselben allerdings des ungarischen Nationalcostüms in Blau und Silber kaum bedurft, um ihn als Magyaren zu kennzeichnen. In Wirklichkeit war es jedoch weder seine fremdartige Kleidung, noch der nicht minder fremdartige Schnitt seines Gesichts mit den unstät blickenden dunklen Augen und dem bandartig über die untere Gesichtshälfte gelegten schwarzen Schnurrbart, was ihn so sehr von seiner Umgebung abstechend machte. Es lag dieser Unterschied vielmehr in seinem ganzen Auftreten, in dieser ewigen Unruhe seines Wesens, in der offenbar mit Absicht hervorgekehrten und darum übertriebenen Lebhaftigkeit seiner Bewegungen begründet. Erschienen der General an seiner Seite und die meisten der Umstehenden in dem ruhigen, selbstbewußten Ernst ihres Auftretens als Männer, die ihren Werth fühlten und nöthigenfalls auch geltend zu machen wußten, so trat das Haschen nach derselben Anerkennung bei diesem Fremden zu grell hervor, um nicht gerade die entgegengesetzte Wirkung zu erzeugen. Es blieb jenen so fest auf ihren Füßen stehenden Gestalten gegenüber beinahe unmöglich, diesen leicht beweglichen, windigen Patron für mehr als einen Partisan von zweifelhaftem Muthe und Geschick, oder noch bestimmter ausgedrückt, als einen der militairischen Abenteurer zu beurtheilen, wie sie damals, zu dem Zeitpunkt der ersten Errichtung stehender leichter Truppen bei den verschiedenen europäischen Heeren, von Polen und Ungarn aus zu Dutzenden in alle Welt hinauszogen, um als Führer solcher leichten Geschwader eine Verwendung zu suchen.

Die Gönnerschaft, welche der vorbeschriebene General gelegentlich gegen diesen seinen Begleiter zu erkennen gab, wie umgekehrt dessen unbedingte Unterthänigkeit im Verkehr mit demselben, trugen freilich noch dazu bei, diesen letzten Eindruck fast zur Gewißheit zu steigern. Außerdem aber war auch das Benehmen aller anderen Anwesenden gegen den Fremden völlig geeignet, die tiefe Kluft zwischen demselben und ihnen zu erkennen zu geben. Der Mann besaß augenscheinlich keinen weiteren Anhalt als jenen General in diesen Kreisen, selbst die übrigen Personen in der Gruppe um den Letzteren gaben sich kaum die Mühe, die Bemerkungen, welche derselbe hin und wieder an sie zu richten wagte, anders als durch ein kurzes einsylbiges Wort oder eine stolze, abweisende Zurückhaltung zu erwidern.

Auch in der zweiten, dieser gegenüber befindlichen Gruppe befand sich übrigens ein Mann, und merkwürdigerweise ebenfalls ein Husar, inmitten seiner Umgebung in einer ähnlichen Isolirtheit. Nur durfte die Sache bei diesem fast noch schlimmer angesehen werden, denn er stand ganz allein, und scheu schien Jedermann selbst einer zufälligen Begegnung mit ihm auszuweichen.

Dennoch aber würde ein scharfer Beobachter bald einen wesentlichen Unterschied in dem Verhalten der hier versammelten Generäle und Officiere gegen diesen und jenen anderen Husaren herausgefunden [376] haben. Im Gegensatz zu der eisigkalten Geringschätzung, womit dieselben den letzteren von sich ausschlossen, sprach sich die verhaltene Theilnahme für den Ersteren in ihren Blicken, wie in den verschiedenen kleinen Hochachtungsbeweisen aus, welche trotz des Bannes, der auf dem Manne zu lasten schien, der eine oder der andere von den Herren demselben gelegentlich zu beweisen doch nicht unterlassen konnte. Nur die beiden obenbeschriebenen Personen, der General und sein Satellit, der Ungar, machten von diesem allgemeinen Verhalten eine Ausnahme. Die Blicke, welche der Erstere zuweilen auf den zweiten leichten Reitersmann richtete, drückten ebensowohl eine unverhohlene Feindseligkeit, wie die offen preisgegebene Freude über dessen Vereinsamung aus, wogegen der Andere, um sich seinem Herrn und Meister gefällig zu erweisen, keine solche Gelegenheit vorübergehen ließ, ohne gegen seinen Gönner oder dessen Umgebung laut genug, um von jenem verstanden zu werden, seinem Witz auf Kosten desselben die Zügel schießen zu lassen.

Wenn die Bedeutsamkeit dieses zweiten Husaren außer der nur mühsam verborgenen Theilnahme auf der einen und den Zeichen einer entschiedenen Feindseligkeit auf der anderen Seite noch eines besonderen Beweises bedurft hätte, so würde beiläufig die Haltung der Herren der größeren Gruppe auch gegen den General dafür haben dienen können. Die Stellung des letzteren war offenbar zu bevorzugt, als daß sie ihn unmittelbar ihren Groll hätten fühlen lasten mögen, aber dessen ungeachtet schien es in der That nicht anders, als ob sie einen Abglanz der Nichtachtung, welche alle gleicherweise den Ungar fühlen ließen, auch auf diesen seinen Beschützer zurückfallen lassen wollten, so fremd und abgeschlossen hielten sie sich von demselben. Es mußte unbedingt eine tiefgewurzelte und langgenährte Feindschaft sein, welche eine so auffällige Erscheinung bewirken konnte, und es blieb aus den finsteren Blicken, welche die Herren gelegentlich unter einander austauschten oder auf ihren gemeinsamen Widersacher richteten, wie aus ihrem befremdlichen Benehmen gegen denselben unmöglich zu verkennen, daß, wenngleich ein durch die Umstände gebotener Zwang sie noch abhielt, offen wider den General und zu Gunsten des zweiten Husaren Partei zu nehmen, sie sich in demselben doch alle zugleich mit verletzt und bedroht fühlten und sehnsüchtig nur des Augenblicks harrten, um jenen ihren Haß und ihren nur mühsam gezügelten Zorn fühlen zu lassen.

Inmitten dieser feindseligen Erregung und der um ihn gährenden Leidenschaften stand seltsam genug gerade nur der Eine, welcher doch gleichsam den Brennpunkt derselben bildete, jener Husar nämlich, vollkommen unbewegt, man hätte, nach der unzerstörbaren Ruhe seines bleichen, doch geistreichen Antlitzes zu urtheilen, fast sagen mögen unbetheiligt. Auch bei den hämischsten Bemerkungen des Ungarn zuckte kein Zug seines Gesichts. Dieser Gegner schien für ihn gar nicht vorhanden zu sein, seine eigene Isolirtheit schien nicht den geringsten Eindruck auf ihn auszuüben, und die Hohnblicke des Generals hätten auf eine Bildsäule kaum eine weniger bemerkbare Wirkung hervorbringen können, als bei ihm der Fall war.

Ohne die Bärmütze, den blauen silberbeschnürten Pelz und rothen Dolman würoe übrigens in dieser kleinen, schwächlichen Gestalt kaum Jemand den kühnen Kriegsmann und zum allerwenigsten den nimmer rastenden, in allen Satteln gerechten Husaren vermuthet haben. Auch das Gesicht mit den eingefallenen Wangen und dem kleinen Stutzbärtchen ließ auf den ersten Blick keinen Zug entdecken, der hierauf etwa zu deuten gewesen wäre. Auf den ersten Blick freilich nur, denn, bei näherer Beobachtung lag lief auf dem Grunde der treuherzig blickenden, graublauen Augen des Mannes ein Feuer verborgen, wie es nur aus einem Heldenherzen wiederleuchten konnte, und Stirn, Kinn, die Züge um den Mund ließen über den Feuergeist, der diesen scheinbar so hinfälligen Körper bewohnte, keinen Zweifel übrig. Indeß eine specielle Personenbeschreibung ist hier unnöthig, dieser Husar war Hans Joachim v. Ziethen. – Ein Schadow, Rauch, Camphausen haben in Stein und Erz, durch ihren Meißel oder Pinsel sein Bild auf die Nachwelt überliefert, und er selber hat durch seine Thaten dafür gesorgt, sein Andenken bei seinem Volke frisch und unvergänglich zu erhalten.

Aus der auf die Treppe führenden Glasthür trat jetzt der König in Begleitung seines Bruders, des Prinzen Heinrich. Friedrich schien verstimmt. Das noch an die Tage der Jugend erinnernde Antlitz des damals erst vierzigjährigen Monarchen wies sich zwar vollkommen ruhig, aber aus den großen, blauen Augensternen zuckte es gar bedenklich, und um seine Mundwinkel spielte der makante Zug, den die Seinen mehr selbst als das Feuer von hundert feindlichen Geschützen fürchteten. Auch über der Stirn des Prinzen lagen tiefe Schatten gebreitet.

„Bon jour, Messieurs!“ erwiderte der König vornehm und kalt die ehrfurchtsvolle Begrüßung seiner Generäle und Officiere.

„Guten Morgen, Winterfeld,“ setzte er, den bis unmittelbar zum Fuße der Treppe vorgetretenen General bemerkend, in viel freundlicherem Tone hinzu.

Der Ungar hatte, als die Herren sich zum Empfange des Monarchen in zwei Reihen ordneten, den Platz neben diesem seinem Gönner geschickt und glücklich zu behaupten gewußt. Ziethen war durch die allgemeine Vorwärtsbewegung, halb wider Willen und jenem fast gegenüber, bis ebenfalls mit in die vorderste Reihe vorgeschoben worden.

Der König würdigle den Letzteren keines Blicks, vor jenem Andern hingegen hielt er im Vorüberschreiten einen Augenblick inne und sagte zu ihm: „Höre Er, Naditschzander, vielleicht wird sich für Ihn heute die Gelegenheit finden, Uns seine Meriten zu erkennen zu geben.“

Die ihm widerfahrene königliche Auszeichnung machte den so Bevorzugten ein paar Zoll höher den Nacken erheben, aber auch sonst äußerte dieser königliche Gnadenbeweis sofort seine Rückwirkung nach hüben und drüben. Einige der Officiere aus der Umgebung des vorgenannten Generals hielten es plötzlich an der Zeit, ihre gegen dessen Schützling bisher beobachtete Zurückhaltung mit einer verbindlichen Höflichkeit zu vertauschen, umgekehrt dagegen stand Ziethen, fast noch unter dem Nachhall der Worte des Königs, wieder völlig vereinsamt. Die so bestimmt gegen denselben zu erkennen gegebene königliche Ungnade hatte aus Furcht, sich zu compromittiren, am Ende auch die Muthigsten aus seiner Nähe zurück geschreckt.

Zum ersten Male zuckte es bei der ihm von seinem Monarchen bewiesenen Geringschätzung wie von einem verhaltenen Schmerz um die Mundwinkel des tapferen Reiterführers. Da, noch unter dem Andauern des allgemeinen Stillschweigens, tönte unvermutet das „Guten Morgen, Ziethen“ des Prinzen Heinrich neben ihm. An dem General Winterfeld war derselbe ganz ebenso wie Friedrich bei jenem, ohne ihn zu bemerken oder zu grüßen, vorübergeschritten.

Ein Zornesblitz aus den Augen des Königs leuchtete zu dem Prinzen hinüber, doch ohne darauf zu achten, fügte derselbe zu Ziethen gewendet hinzu: „General, Ihr müßt mir heute von Rothschloß, Moldau-Tein und Katholisch-Hennersdorf erzählen. Ich war noch zu jung, um an jenen ruhmvollen Tagen Theil zu nehmen, aber nicht wahr, General, es waren das doch ruhmvolle Tage, und es hat da auch schon preußische Husaren gegeben?“

Friedrich hatte sich über diese Frage aus dem Absatz umgewendet, jedoch seine Blicke schienen auf den künftigen Sieger von Freiberg ganz die gewohnte Wirkung zu versagen. Einen Augenblick standen sich die Beiden, der König und sein jüngerer Bruder, Auge in Auge gegenüber, der Eine vor innerer Erregung glühend, der Andere kalt und ruhig, wie wenn der königliche Zorn in gar keiner Beziehung zu ihn, gestanden hätte. Die physische wie geistige Aehnlichkeit zwischen den Zweien war übrigens, trotz der Verschiedenheit der Affecte, selten vielleicht so auffällig als in diesem Moment in die Erscheinung getreten.

Der König faßte sich zuerst. „Ihre königliche Hoheit,“ redete er den Prinzen an, „mögen Dero Wißbegierde auf ein ander Mal befriedigen, für heut beliebt es Uns Dieselben Unserer Person zu attachiren. Messieurs,“ kehrte er sich dann zu den Herren der Begleitung, „der Morgen ist schon weit vorgeschritten, und wir haben heut noch viel zu thun. Zu Pferde denn!“

Friedrich um einige Schritte voraus, sein Bruder um eine halbe Pferdelänge hinter ihm zurück, setzte sich die Cavalcade in Bewegung. Keiner von den Beiden sprach ein Wort, kaum außer dem Thore angelangt, rief jedoch der Erstere, als einen neuen Beweis seiner besonderen Bevorzugung, den General von Winterfeld an seine Seite, dessen Redetalent den Monarchen je länger je mehr ganz gefangen zu halten schien. Bleich vor Wut, über die ihm bewiesene Vernachlässigung ließ der Prinz seinem Pferde den in ihm tobenden Zorn entgelten. Zuvor im Moment des Aufsitzens hatte er übrigens noch Gelegenheit gefunden, Ziethen, zuzuflüstern: „Seid auf Eurer Hut, General, der König ist [377] wüthend auf Euch, er will …“ Der Aufbruch war dazwischen gekommen und der eigentlich wichtige Theil seiner Warnung so dem wackern Reiterführer verloren gegangen.

Der Stoicismus dieses Letzteren erwies sich übrigens doch nicht stark genug, um so schweren und wiederholten Schlägen zu trotzen; er ritt wie in einer Art Betäubung im Zuge. Allmählich richtete er indeß das Haupt wieder auf, und jetzt hätte wohl Niemand den eisenfesten und gefürchteten Kriegsmann in ihm verkennen mögen. Seine Augen blitzten, ein fester, unwiderruflicher Entschluß stand auf seiner Stirn zu lesen. Wenn er sich nach der Abfertigung und Behandlung, die dem Prinzen Heinrich um seinetwillen von Friedrich zu Theil geworden war, und nach den erneuten Gnadenbeweisen dieses gegen seinen Widersacher, den General von Winterfeld, auch selber verloren geben mußte, so wollte er wenigstens seines Namens, seines Rufes würdig von der so lange mit Ehren ausgefüllten Stellung zurücktreten. Jahrelang hatte er in der Hoffnung, das einst besessene Vertrauen des Monarchen sich wieder zugewandt zu sehen, alle die auf ihn gehäuften Kränkungen und Zurücksetzungen schweigend, ohne Murren, ohne Klagen ertragen; jetzt aber, wo diese Hoffnung geschwunden, war plötzlich auch eine völlige Wandelung über ihn gekommen. Einen Mittelweg gab es für diesen einfachen, schlichten Charakter nicht; heute noch, so rief es mit tausend Stimmen in ihm, heute noch sollte die Entscheidung erfolgen.

Es war das überhaupt eine böse Zeit am preußischen Hofe und in der preußischen Armee, so um 1753 herum. Der Einfluß des Generals von Winterfeld auf den König war damals bis zu einem später nicht wieder erreichten Höhepunkt gestiegen, und der General war eifersüchtig auf die ihm unverhohlen entgegengetragene Gunst seines Monarchen, sehr eifersüchtig. Niemand sollte dieselbe mit ihm theilen, jeder von dem dies zu fürchten stand, jeder der sich vor ihm nicht beugen oder seinem aufgehenden Sterne huldigen wollte, war sein Feind, und nichts ließ er unversucht, denselben zum Fall zu bringen. Mehr als einer von den Helden der beiden ersten schlesischen Kriege, so im vorigen Jahre erst noch der berühmte Führer der Dragoner von Bayreuth bei Hohenfriedberg, Otto von Schwerin, waren diesem verdeckten Intriguenspiele bereits zum Opfer gefallen, vor allem aber galt es Ziethen, den der König bis dahin vielleicht am meisten mit in sein Herz geschlossen hatte.

Das Werk war schwierig, aber mit jahrelanger Mühe schien es jetzt endlich der Vollendung nahe. Friedrich sah, Dank diesen ewigen Einflüsterungen, in dem biedern alten Husaren nur noch den einst gelegentlich glücklichen Haudegen, ohne wissenschaftliche Bildung, ohne eigentliche militärische Fähigkeiten noch Verdienste. Sein Regiment, diese berühmten Husaren von Ziethen, deren Name schon den Feinden eine Gänsehaut den Rücken niederlaufen machte, galten ihm nachgerade als das schlechteste Regiment seiner ganzen Armee, die Dragoner von Bayreuth etwa ausgenommen, welche nach der Ansicht des Königs sich seit dem Frieden einer wie alle ebenso dem Suff ergeben hatten, als die Ziethen’schen Husaren seitdem gleicherweise verloddert waren. Und die Schuld dieses letzten Falls lag ausschließlich bei Ziethen, der seine Kerle ebensowenig zusammenzunehmen, als zu exerciren verstand. Der Mann war eben alt und stumpf geworden und taugte zum Husaren den Teufel nicht mehr. General Winterfeld hatte deshalb auch den Naditschzander, einen ehemaligen ungarischen Parteigänger von geringem Namen, nach Potsdam berufen; als Ungar war er Husar von Kindesbeinen an und schien deshalb vollkommen geeignet, die Dinge bei dem Ziethen’schen Regiment und dem preußischen Husarenthum überhaupt wieder in’s rechte Geleise zu bringen. Endlich, was für Winterfeld wenigstens weit wichtiger noch, bei diesem prahlerischen, rohen Gesellen brauchte der General nicht zu besorgen, je von ihm in der königlichen Gunst beeinträchtigt zu werden.

Der König und sein Gefolge hatten auf dem von ihnen eingeschlagenen Wege von Potsdam nach Spandow mittlerweile die Gegend zwischen den Dörfern Gatow und Fahrland erreicht, und hinter diesem letzteren Orte bemerkte man ein starkes Corps Truppen von allen Waffen auf der von dort gegen die genannte Festung sich ausbreitenden Ebene aufgestellt. Das Ziethen’sche Husarenregiment bildete dabei den der anlangenden königlichen Suite zunächst befindlichen rechten, das aus Niederschlesien eigens zu diesem Manöver herangezogene Szekulische Husarenregiment dagegen den nach Spandow gekehrten linken Flügel. Da jedoch der Raum zwischen den beiden Dörfern durch den Bogen, welchen die Havel bei Gatow bildet und den bei Fahrland gelegenen Landsee defiléartig verengt war, befand sich das erstangeführte Regiment mit den übrigen Truppen nicht in gleicher Höhe aufgestellt, sondern gleichsam als eine Art Avantgarde bis nahe der Landstraße vorgeschoben. Die Trompeter und der Pauker, mit den bei Katholisch-Hennersdorf den sächsischen Cürassieren von Obyern entrissenen und seitdem als seltenste den Husaren gewährte Auszeichnung von dem Ziethen’schen Regiment geführten Pauken, hielten vor der Front desselben.

Das ganze hier versammelte Corps mochte etwa bei 20,000 Mann stark sein, obgleich die Zahl der Truppen aber nur eine beschränkte war, so vereinigte sich doch Alles, dies militärische Schauspiel für weit bedeutender als sonst vielleicht erscheinen zu lassen. Die Morgensonne spiegelte sich in den blanken Waffen dieser furchtbaren Bataillone und Schwadronen und hielt mit ihrem Reflex die langen regungslosen Linien derselben wie mit dem Nimbus ihrer früheren und künftigen Thaten umwoben. Der Ruhm der Namen Mollwitz, Czaslau, Hohenfriedberg, Soor und Kesselsdorf schien mit den spielenden Sonnenstäubchen gleichsam noch um diese sich im Morgenwinde blähenden Fahnen und Standarten zu schweben. Dazu der wolkenlose blaue Himmel, die freundliche grüne Ebene hier, der breite, in dem goldenen Lichte des jungen Tages erglänzende Strom dort, mit den pittoresken, waldbewachsenen Höhen an seinem jenseitigen Ufer; die Stadt mit dem mächtig aufstrebenden Thurme ihrer Kirche, aus welcher einst das Licht der Reformation über diese Lande aufgegangen, in der Ferne, und der dunkle Wald im ganzen Umkreise dieses schönen Rundgemäldes, – es war ein Anblick, der sich seiner Wirkung wohl versichert halten mochte.

Auch hatte der König fast unwillkürlich mit dem Betreten der Ebene die Zügel seines Pferdes angezogen. Seine Augen ruhten wohlgefällig auf dem schönen Schauspiel vor ihm, bevor er jedoch noch dieser freundlichen Empfindung Worte geliehen, fielen seine Blicke auf das ihm im ersten Moment noch durch ein vorliegendes Gebüsch halb verborgene Regiment Ziethen Husaren, und die hellen Zornesflammen begannen in seinem Antlitz aufzusteigen.

„General-Wachtmeister von Ziethen,“ rief er zu diesem gewendet, „ich beauftrage Ihn, seinem Oberstlieutenant von Zedmar für die Aufstellung seines Regiments dort in diesem cul de sac meine höchste Unzufriedenheit zu erkennen zu geben. In meinem Leben ist mir noch kein Fall von einer schlechteren Position für ein Husarentroupe zu Gesicht gekommen. Wohin sollen die Kerle denn von diesem mechanten Plätze dort attaquiren? Wenn nun …“ Zu allem Unglück hatten die vorgeschobenen Plänkler jetzt auch die ihnen gleicherweise noch durch das vorliegende Gebüsch verborgene Ankunft des Königs entdeckt und an ihr Regiment zurückberichtet, und die Trompeten und Pauken desselben begannen zu dessen Empfange zu wirbeln und zu schmettern, daß Friedrich sein eigenes Wort kaum zu verstehen vermochte.

[388] Unfähig sich seiner Umgebung weiter verständlich zu machen, war der König einige Schritte vorgesprengt, um durch einen Wink mit der Hand diesen unerwünschten Lärmen der Musik verstummen zu machen. Leider nahmen die Husaren indeß die Gebehrde des Monarchen für eine ihnen gespendete königliche Begrüßung. Einen Augenblick fesselte noch ein starres Schweigen ihre Reihen, denn seit dem letzten Kriege beinahe war ihnen eine solche Begünstigung schon nicht mehr zu Theil geworden, dann aber brach es los, lawinenartig, donnergleich, und fünfzehnhundert rechtschaffene Husarenkehlen brüllten: „Vivat Fridericus!“ daß die Luft davon erschütterte. Der Ruf pflanzte sich fort auf die rückwärtigen Truppen, die Musik schmetterte darein, dieser Unglückspauker von Ziethen schien in der Freude seines Herzens absolut heute noch das Fell seiner Pauken sprengen zu wollen.

Voll wüthenden Aergers drückte Friedrich seinem Schimmel die Sporen in die Weichen, daß das edle Thier wie ein Pfeil mit ihm dahinsauste. „Will Er aufhören!“ schnaubte er den Pauker an, der unbekümmert um die zornfunkelnden Blicke des Königs noch immer, und jetzt wenn möglich noch eifriger denn zuvor, fortfuhr, sein Instrument zu bearbeiten. „Ich werde Ihm Augen machen! Hat Er nicht Ordre pariren gelernt? – General-Wachtmeister von Ziethen, der Kerl taugt nichts, er soll sofort mit seinen Pauken nach Berlin zurückgeschickt werden.“ Der Jubelruf war plötzlich verstummt, die Trompeten schwiegen, nur ein dumpfes Murren lief durch die Glieder. Doch ein Herrscherblitz des Königs, und die eiserne Disciplin des damaligen preußischen Heeres hielt jeden Mund gefesselt.

Ohne nur noch einen Blick auf das Regiment zurückzuwerfen, war Friedrich langsam die Front desselben entlang den commandirenden Generälen und Regimentschefs entgegengeritten, welche jetzt aus allen Richtungen auf ihn zusprengten. Unter der gegenseitigen Begrüßung und der Entgegennahme des Tagesrapports und der Disposition zu den heutigen Manövern hatte der General Winterfeld, nach noch einem raschen, prüfenden Blick auf das unverändert in seiner vorigen Stellung befindliche Ziethen’sche Husaren-Regiment, den Naditschzander zu sich gewinkt und mit demselben eine leise geführte Unterhaltung begonnen: „Es is sich ein Scandal, Excellenz,“ drang aus diesem Geflüster

[389]

Friedrich der Große auf dem Manöver bei Spandow.

[390] die grobe Stimme des Letzteren zu des Königs Ohren, „kann sich Husar da nix machen. Bassateremptete! wie is sich möglich zu formiren in diese Sumpf? Nix gut, nix schön. Nur der Ungar sein Husar, der Ungar sich nie in eine solche Falle vor die Maus hineinlegen.“

Auch der König warf jetzt noch einen Blick zurück nach dem Standorte des Ziethen’schen Regiments, dann überflog sein Adlerblick das Terrain. Er hatte sich orientirt und seinen Entschluß genommen.

„Messieurs,“ wandte er sich an seine Generäle, „die Situation ist zu favorable, als daß ich unsern leichten Truppen die Gelegenheit sich zu distinguiren entziehen möchte. Darum hier statt der gestern ausgegebenen folgende neue Disposition: Ein starkes Westcorps ist von Ketzin über Fahrland gegen Spandow im Anzuge, ein demselben an Zahl wenig nachstehendes Ostcorps ist zur Deckung dieser nur schlecht verproviantirten und auf eine Belagerung vorbereiteten Festung aus der Richtung von Nauen eben dort links bei dem Dorfe Seeburg eingetroffen. Zur Aufklärung seiner rechten Flanke hat der Commandeur jenes ersten Corps das Ziethen’sche Husaren-Regiment gegen das Havelufer entsendet, und befindet sich dasselbe etwa eine halbe Stunde allen andern Truppen seiner Abtheilung voraus, dort auf der Potsdam-Spandower Landstraße, eben zwischen Gatow und Fahrland im Defiliren begriffen. Der Gegner, hiervon benachrichtigt, entsendet seine Husaren und etwas schwere Cavallerie, um diese seine eigene linke Flanke bedrohende Bewegung zu verhindern und wenn möglich über das genannte Regiment einen Succès davonzutragen. Der General-Wachtmeister von Ziethen und der Oberst von Szekuli mögen hierbei gegen einander operiren.“

Die Adjutanten sprengten fort, um die nöthigen Befehle auszurichten. „Apropos,“ hielt der König die ihnen folgen wollenden Generäle zurück, „in Abänderung meiner gestern hierfür gegebenen Bestimmung soll hierbei ausnahmsweise der General Lieutenant von Winterfeld das Westcorps und –“ ein unendlich vieldeutender Seitenblick fiel auf seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, „Ew. Königliche Hoheit können das Ostcorps commandiren. Vielleicht finden Dieselben da gleich die Gelegenheit die Meriten und valeur der preußischen Husaren aus eigner expérience beurtheilen zu können.“

„Höre Er, Ziethen,“ rief der König unter dem Davonsprengen der Genannten diesen an seine Seite, „entwickele Er mir doch mal schnell seine Disposition für den gegebenen Fall.“

Alle noch Anwesenden spitzten die Ohren, der Naditschzander vermochte sich vor Vergnügen über diese neue Demüthigung seines Rivalen kaum zu mäßigen.

Die Augen des alten Husaren funkelten vor Zorn. „Majestät,“ erwiderte er fast augenblicklich, und seine Stimme klang völlig dumpf vor innerer Erregung, „wenn ich auf den Platz komme, werd’ ich’s zeigen.“

Friedrich schaute ganz erstaunt den kühnen Sprecher von der Seite an, doch der Versuch, den erzürnten Reiterführer so auf das Unpassende seiner lakonischen Antwort aufmerksam zu machen und ihn in die Schranken des unbedingten Gehorsams zurückzuweisen, schlug gänzlich fehl, Ziethen hielt vielmehr den auf ihn gerichteten Blick des Königs aus, ohne nur mit den Wimpern zu zucken. Der Mann schien völlig umgewandelt zu sein.

„Na, höre Er, Ziethen,“ hub der König nach einem fast minutenlangen Schweigen wieder an, „Er muß Sich aber doch für jegliche Situation einen Plan zu bilden wissen. Als commandirender Officier wird Er doch, nicht allein auf den blinden hasard handeln wollen. Explicire Er mir doch, wie hat Er Sich denn hierin bei Rothschloß, Neustadt und Moldau-Tein verhalten? Es wäre doch curiös, wenn Er da bei seinen remarquabelsten Rencontres auch ohne eine vorher entworfene Disposition gehandelt hätte.“

„Majestät,“ erwiderte der Alte ohne Besinnen, „wenn ich mich von der Stärke und Stellung des Feindes unterrichtet hatte, ging ich auf ihn zu, beobachtete seine Anstalten, griff ihn an und schlug ihn.“

Friedrich schien über diese kurze und doch so vielsagende Antwort betroffen, und einen Augenblick leuchtete es wie von einer freundlicheren Empfindung in seinen Zügen. Da schmetterten vom linken Flügel der bereits in Ausführung der erhaltenen Befehle begriffenen Truppen die Trompeten der Husaren von Szekuli, und man sah dieses Regiment, wie hinter demselben als zweites Treffen die Dragoner von Meinecke sich gegen die noch immer in ihrer vorigen Aufstellung verbliebenen Ziethen’schen Husaren in Bewegung setzen.

„Na, Herr General-Wachtmeister,“ wandte sich der König nach einem Blick dort hinüber in fast spöttischem Tone zu Ziethen, „zu recognosciren braucht Er diesmal nicht, da sind fünfzehn Escadrons, die zur Attaque auf Ihn ansetzen. So mache Er denn, daß er auf den Platz kömmt, und zeige Er, wofür Er Uns die Erklärung verweigert.“

Einen Augenblick nach dem Anlangen Ziethen’s bei seinem Regiment herrschte dort unten eine anscheinend unlösbare Verwirrung. Ursprünglich, in der Richtung gegen Potsdam aufgestellt, mußte die wackere Truppe zunächst auf dem so sehr beschränkten Terrain die Front ändern. Die Husaren von Szekuli, dahinter die Dragoner, rasselten heran, der Boden dröhnte von dem Gestampf ihrer Rosse. Es schien unmöglich, daß jene den auf sie geführten Stoß noch rechtzeitig würden pariren können.

Plötzlich brachen gegen Fahrland zwei Escadrons aus dem Gebüsch hervor. Wie eine Rakete schossen sie in schräger Richtung vorwärts, schnell wie der Gedanke hatten sie die rechte Flanke der Szekuli’schen Husaren überflügelt. Diese stutzten, doch bevor noch das „Halt“ der Trompeten dieses Regiments verklungen, rasselten zweimal vier Escadrons gradaus wider die Mitte desselben. Dichte Staubwolken stiegen auf und hüllten Alles in ihren Schleier. „Kehrt“, „Halt“ und „Zurück“ wurde aus den undurchdringlichen Staubwirbeln bunt durcheinander geblasen.

Das Resultat dieses unerwarteten Doppelangriffs hätte auf dem Ernstfelde keinem Zweifel unterliegen dürfen, die geworfenen Szekuli’schen Husaren würden die ihnen folgenden Dragoner mit über den Haufen gestürmt haben. Auch konnte sich der König, von diesem Meisterstreich ganz enthusiasmirt, des Ausrufes: „magnifique!“ nicht enthalten.

Da jagten von der Angriffsstelle ein Paar reiterlose Pferde an ihm vorüber. Die Ziethen’schen und Szekuli’schen Husaren waren bei dem auf so kurze Distanz unternommenen Choc der ersteren zum Theil wirklich zusammengeprallt, und einige der letzteren hatten unter diesem unerwarteten Gewaltstoß den Sattel räumen müssen.

Ueber diese unwillkommene Wahrnehmung ging bei Friedrich die anfängliche Zufriedenheit schnell wieder in eine zweifelhafte Stimmung über. Das Fernglas am Auge hafteten seine Blicke unverwandt auf dem wahrscheinlichen Orte des Zusammentreffens der beiden Regimenter; indeß das Zurückgehen der Dragoner und der Husaren von Szekuli verhinderte durch den hierbei aufgerührten Staub noch immer dort irgend etwas unterscheiden zu können.

Endlich hoben sich diese Schleier allmählich, und wie mit dem Aufrollen eines Vorhangs stand dahinter, im blendendsten Sonnenglanz, das Ziethen’sche Regiment jetzt in Linie aufgeritten. Der herrliche Anblick hatte rings um Friedrich einen Laut der Bewunderung wachgerufen. „Ein Meisterstück!“ „Wer thut’s ihm nach?“ „Superbe!“ murmelten die Herren durcheinander. „Es ist und bleibt doch der Ziethen aus dem Busch!“ wagte, von seinem energischen Temperament fortgerissen, der Prinz Dietrich von Anhalt-Dessau fast an der Seite des Königs zu äußern.

Selbst seine ärgsten Feinde hätten Ziethen kaum einen schlimmeren Streich als hier seine Freunde und Bewunderer spielen können. Friedrich vermochte Alles, nur nicht ein Vorgreifen in seinem militärischen Urtheil zu ertragen. Ein ähnlicher Fall mit diesem nämlichen Prinzen hat ihn vier Jahre später die schon gewonnene Schlacht bei Kollin verlieren gemacht, fast alle großen Unglücksfälle seines Lebens, Hochkirch, Kunnersdorf, Maxen, haben aus derselben Charaktereigenheit ihren Ursprung genommen.

„Ew. Liebden,“ kehrte sich der König in zorniger Aufwallung zu dem Prinzen, „sehen also die abgesessenen Husaren nicht, die dort hinter der Front des Regiments die über diese glorieuse Attaque zu Schanden gerittenen Pferde in das Gebüsch hinein schleppen? Das ist ja ein wirkliches champ de bataille, aber kein Manöverfeld. Für die Campagne mag der Ziethen seine Meriten besitzen, aber ich kann um seinetwillen doch keinen Krieg anfangen, und in der Garnison taugt er den Teufel nicht.“

„Sag’ ich Sie, Herr Oberst,“ äußerte gerade jetzt der Naditschzander zu seinem Nachbar in dem königlichen Gefolge, laut genug, um von dem Könige verstanden zu werden, „is sich der Officier da zwischen die zwei Husars der Oberst von Szekuli – Ah! [391] und da und dort, noch zwei von die Officiers, allesammt von die Pferd gestürzt und zusammengeritten.“

Die Sache hatte leider ihre volle Begründung. Der Zusammenprall der beiden Regimenter vorhin war zu heftig gewesen, und die vor der Front ihrer Züge und Escadrons befindlichen Officiere des Szekuli’schen Regiments, darunter auch dessen Oberst, waren die nächsten Opfer hiervon geworden. Jetzt, wo das Regiment auf weichem Wiesengrund dahintrabte und der Staub die Aussicht nicht mehr behinderte, konnte man deutlich hinter demselben diese Verletzten, von je zwei oder einem Husaren unterstützt, gewahr werden. Auch erschien in dem nämlichen Augenblicke beinahe noch der Adjutant des Obersten von Szekuli, um dem König Bericht von dem Sturz seines Regimentschefs abzustatten, bei welcher Benachrichtigung übrigens von dem Obersten die Ursache des erlittenen Unfalls, großmüthig genug, einem Fehltritt seines eigenen Pferdes zugeschrieben wurde.

Szekuli, ebenfalls ein nach dem zweiten schlesischen Kriege aus dem österreichischen in den preußischen Dienst übergetretener Ungar, doch von ungleich besserem Schlage als Naditschzander, stand zur Zeit bei Friedrich in nicht geringem Ansehen. Der Zorn des Königs kannte deshalb auch jetzt keine Grenzen mehr, er nahm sich kaum Zeit den Adjutanten zu Ende zu hören, sondern stürmte querfeldein zu dem in der Verfolgung des abziehenden Feindes mittlerweile ziemlich nahe herangekommenen Ziethen’schen Regiment hinüber.

„Herr General-Wachtmeister,“ donnerte er schon auf zwanzig Schritt auf den ihm zum Rapport entgegensprengenden Ziethen ein, „vermag Er seine Leute in der Attaque nicht besser zusammenzuhalten? Das ist ja eine schändliche Negligence und Unordnung, die in seinem Regimente eingerissen. Ist so etwas erhört, nur auf dem Manöverplatz ein ganzes Regiment mit sämmtlichen Officiers über den Haufen zu reiten? – Das Regiment,“ kehrte er sich zu der lautlos haltenden Front der Husaren, „ist das Brod nicht werth! Plumpes, unbearbeitetes Bauernvolk! …“

Weiter gelangte der König in seiner Strafrede nicht. Im heftigsten Affect war Ziethen noch zwei Schritt näher auf ihn zugeritten. Das Antlitz des alten Kriegsmanns glühte, seine Augen schienen Blitze zu sprühen, sein ganzer Körper bebte. Voll Wuth stieß er seinen Säbel in die Scheide. „Wenn wir denn jetzt nichts mehr taugen,“ rief er dem starr vor Staunen auf ihn blickenden Monarchen zu, „so haben wir doch vormals unsere Schuldigkeit gethan, und als man uns brauchte, waren wir gut genug!“

Eine Minute und darüber hielten sich der König und sein General so gegenüber. In athemloser Spannung harrten die Theilnehmer dieser Scene des Ausgangs derselben, von Moment zu Moment erwartete jeder den Verhaftsbefehl aus Friedrichs Munde zu vernehmen. Ganz im Gegentheil sänftigte sich jedoch die erste zornige Aufwallung in des Monarchen Zügen fast ebenso schnell, als sie über dieselbe aufgestiegen war. Sein Pferd herumwerfend, entgegnete er in weit gemäßigterem Tone als vorhin auf diese ihm trotzig gebotene Herausforderung nur: „Ja, damals wart Ihr gut, aber durch Eure Vernachlässigung taugt Ihr jetzt durchaus zu Nichts!“

Damit kehrte der König dem General den Rücken und ritt langsam die Front des Regiments hinunter. Er schien es nicht zu bemerken, daß Ziethen, nach Uebergabe des Befehls an seinen Oberstlieutenant von Zedmar, sich seiner Suite angeschlossen hatte. Im Begriff, zu dem vorigen Standort zurückzureiten, wandte er sich jedoch im Sattel und winkte den Naditschzander zu sich. „Höre Er,“ redete er denselben an, „ich habe Ihm heute früh die Gelegenheit sich zu zeigen, versprochen und ich will Ihm Wort halten. Er soll an des gestürzten Obersten von Szekuli Stelle für heute dessen Regiment commandiren. Die Disposition zu dem statthabenden Manöver kennt Er, besondere Instructions habe ich dem nicht hinzuzufügen. Er braucht nur die Ideen, und Intentionen über die Verwendung der Husaren auszuführen, die Er neulich vor mir und dem General von Winterfeld explicirt hat. Um Ihm für einen gelegentlichen coup de main freie Hand zu lassen, soll Er übrigens nur im mittelbaren Anschluß an das Winterfeld’sche Corps, in dem Verhältniß als Partisan und Parteigänger operiren.“

Der neue Befehlshaber glaubte dem Könige durch die nachträgliche Ausführung der vorhin gegen das Ziethen’sche Regiment gescheiterten Absicht einen besonderen Beweis seiner Geschicklichkeit liefern zu können; allein das Prinz Heinrich’sche Corps war nach der disponirten Zeitbestimmung mittlerweile bereits auf dem Manöverfelde angelangt, und die Lage der Dinge hatte sich dadurch natürlich sehr geändert. Auch verlor Naditschzander, um ja vor jedem Fehlschlag gesichert zu sein, mit den Vorbereitungen zu der beabsichtigen Attaque so viel Zeit und zersplitterte seine Kräfte so sehr, daß darüber das Ziethen’sche Regiment nicht nur Gelegenheit erhielt, sich aus dem Defilé heraus und an seine Infanterie heranzuziehen, sondern, der Unterstützung jetzt gewiß, auch sicher sein konnte, überallhin mit Ueberlegenheit auf den Feind zu treffen. Umgekehrt befand sich die Abtheilung Naditschzander’s durch das von demselben angeordnete erneute Vorgehen bei 4000 Schritt von ihrem Hauptcorps getrennt, mit der natürlichen Rückzugslinie auf die Havel. Die wiederholten Befehle endlich, welche Winterfeld an seinen bisherigen Protégé gesendet hatte, sich unverzüglich wieder mit ihm in Verbindung zu setzen, waren von diesem im Hinweis auf die ihm überwiesene selbstständige Stellung abgelehnt und unberücksichtigt gelassen worden. Erwähnt muß übrigens noch werden, daß der Oberstlieutenant von Zedmar allgemein und mit Recht als Ziethen’s bester Schüler betrachtet wurde, und daß die so sehr gereizte Stimmung im Ziethen’schen Regiment wohl voraussetzen ließ, wie sehr die Officiere und Mannschaften desselben heute Alles aufbieten würden, sich wenn möglich selbst zu übertreffen.

Der König hatte wiederholt bei den Anstalten Naditschzander’s den Kopf geschüttelt, das Glas kam kaum von seinen Augen. „Ist denn der Kerl toll geworden?“ hörte man ihn zwischen den Zähnen murmeln.

Was vorauszusehen war, geschah. Lange bevor Naditschzander mit seinen Vorbereitungen zu Ende gekommen, warfen sich die Ziethen’schen Husaren auf seine Abtheilung. Der Angriff zeigte sich dabei so wohl berechnet, daß die aus dem zweiten Treffen herbeistürmenden Dragoner von Meinecke sich gleich von vorn herein von den Husaren von Szekuli getrennt befanden. Winterfeld besaß bei seinem Corps an Cavallerie noch die zwei Cürassier-Regimenter „Leibcürassiere“ und „Prinz von Preußen“, er schickte beide vor, um jenen zur Aufnahme zu dienen. Indeß bereits hatte auch die gesammte noch übrige Cavallerie des Prinzen Heinrich, zusammen 16 Schwadronen, mit in die Action eingegriffen. Attaque folgte nun auf Attaque. Auch die beiderseitige Infanterie war darüber auf einander getroffen, Staub und Pulverdampf machten jedes Erkennen der ferneren Vorgänge unmöglich. Endlich mit dem Seitens des General Winterfeld in der Richtung auf Seeburg angetretenen Rückzüge ließ sich die Lage der Dinge wieder ungefähr beurtheilen.

Der größte Theil der Cavallerie des Letzteren war von seinem Corps abgeschnitten und gegen Spandow zurückgeworfen, ein Theil des Ziethen’schen Husaren-Regiments nebst noch einem Dragoner-Regiment des Prinz Heinrich’schen Corps verfolgten dieselbe. Das Gros der Cavallerie dieses letzten Corps befand sich dagegen in der linken Flanke der Infanterie von Winterfeld, welche überdies in der Front von dem gesammten Fußvolk des Gegners, nach dem französischen Ausdruck, mit dem Bajonnet in der Rippe, gedrängt wurde. Von dem Szekuli’schen Regiment endlich entdeckte man einige Escadrons über das Defilé von Glatow hinaus, auf der Potsdam-Spandower Landstraße; weitere drei Escadrons desselben befanden sich hart unter dem Standort des Königs, an die Havel gedrängt, und weitab in der Richtung von Pichelsdorf schien nach dem lustigen Getümmel, das dort sichtbar wurde, der andere Theil des Ziethen’schen Regiments den Rest der Husaren von Szekuli in die dort gelegenen Sümpfe und Lehmgruben getrieben zu haben. Eben in diesem Moment löste sich aus dem bunt durcheinander treibenden Gewühl daselbst eine rasch querfeldein zurücksprengende kleine Abtheilung von vielleicht dreißig bis vierzig Reitern los; ein nicht enden wollendes Jubelgeschrei, untermischt mit den verschiedenartigsten Reitersignalen, tönte von dorther bis zu dem König herüber.

Die Situation konnte keinem Zweifel unterliegen. Den siegenden Feind in der Front und in der Flanke hätte Winterfeld auf der beinahe völlig ebenen Plaine bis Seeburg seinen Rückzug nimmermehr bis zu diesem noch eine gute Viertelmeile entfernten Dorfe fortsetzen können, ohne zuvor gesprengt und so gut wie aufgerieben zu werden. Auf dem Manöverfelde war dies ein unglücklicker strategischer Zug, auf dem Schlachtfelde wäre es eine totale Niederlage gewesen.

[392] Das Manöver hatte mit diesem Ausgange seinen Abschluß erreicht, auf beiden Seiten ward deshalb zum Sammeln und Frieden geblasen. Die Commandeurs und Oberofficiere sprengten zum Könige, um über ihre Leistungen dessen Urtheil einzuholen.

Als der Erste von Allen war übrigens bei dem Standorte des Monarchen der Herr Naditschzander eingetroffen. Freilich sehr wider seinen Willen und in einem Aufzuge, der zu seinem stolzen Auftreten von heute Morgen den schneidendsten Contrast bildete. Der Rittmeister von Reitzenstein, Ziethen’schen Regiments, hatte sich vorhin vor Pichelsdorf einen günstigen Moment ersehen, war auf ihn eingesprengt, hatte ihn am Kragen ergriffen, vom Pferde gerissen und gefangen genommen. Zu Fuß, durch den Sumpf geschleift, eine Fouragirleine um den Leib und unmittelbar, wie er aus den Fäusten der erbitterten Husaren hervorgegangen, erschien der Ungar jetzt vor dem Könige. Der Anblick war so lächerlich, daß dieser selbst seinen Ernst nicht bewahren konnte. Friedrich lächelte, die Generäle und Officiere seines Gefolges schüttelten sich vor Lachen über diesen traurigen Ausgang des fremden Abenteurers, der allgemeine Jubel wollte kein Ende nehmen.

„Majestät,“ schrie Naditschzander dazwischen, „habe ich mich zu beklagen über die Husaren von die Ziethen. Is sich keine Art! Haben sie mich geschlagen mit die Strick und die Säbel. Sind sich das schlechte Husar, verstehe sich nix von die Krieg und die Manöver …“

„Na höre Er, Naditschzander,“ unterbrach der König den Wüthenden, „seine Theorie über den Dienst der Husaren von neulich war recht gut, aber in der Praxis hat Er heute ganz erbärmlich bestanden. Im Uebrigen laß Er mir die Ziethen’schen in Frieden, den Krieg wenigstens verstehen die aus dem Grunde, das sollte Er heute doch wohl zur Genüge an sich selber erfahren haben – Und sind sie allerwege gut,“ fügte er in erhöhtem Tone zu dem Rittmeister von Reitzenstein und den mit demselben gekommenen Husaren gewendet hinzu, „selbst wenn sie mir beim Manöver gelegentlich wieder einmal ein paar Pferde gleich in Grund und Erdboden reiten sollten.“

Zusammenfallend mit diesen letzten Worten des Königs waren der Prinz Heinrich von der einen, und der General von Winterfeld von der anderen Seite auf denselben zugesprengt. Das Antlitz des letzteren erschien ganz blaß vor Wuth und Beschämung, seine innere Erregung riß den sonst so gewandten Hofmann fort, wider die Etiquette den König zuerst anzureden.

„Haben Ew. Majestät die Gnade,“ begann er fast noch unter dem Pariren seines Pferdes, „den Ausfall des heutigen Manövers nicht mir zuzuschreiben. Dieser verdammte Kerl, der Naditschzabder –“

Ein Blitz aus den Herrscheraugen Friedrichs machte den General mitten in seiner Entschuldigung verstummen; mit tödllichem Schrecken ward er, der den König so gut kannte, sich bewußt, daß er diesen durch jenen ersten Verstoß und danach noch weit mehr durch den ungeschickten Versuch, dessen Urtheil zu captiviren, in ein und demselben Moment zweifach verletzt habe.

Die Strafe hierfür sollte nicht auf sich warten lassen. „Ew. Königliche Hoheit,“ hatte sich Friedrich, wie wenn er die Anrede des Generals ganz überhört hätte, an seinen Bruder gewendet, „haben bei dem heutigen Manöver die ganze Force und Geschicklichkeit eines tüchtigen Generals zu erkennen gegeben. Eine gleiche Sicherheit Zug um Zug, ein bestimmteres Eingreifen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort ist mir noch selten zu Gesicht gekommen. – General-Lieutenant von Winterfeld,“ kehrte er sich zu diesem, „Er hat heute seinen unglücklichen Tag gehabt und wird seine üble Meinung über die preußischen Husaren nun wohl geändert haben. – Höre Er, Ziethen.“ rief der König, sein Pferd zur Heimkehr wendend, den alten Reitergeneral an seine Seite, „weiß Er, heute in Sanssouci bei der Mittagstafel kann Er uns beiden, mir und meinem Bruder, die Geschichten von Rothschloß, Neustadt und Moldau-Thein gleich miteinander erzählen.“