Eine Krone als Pfand
[340] Eine Krone als Pfand. In dem Roman „Die Könige im Exil“ von Daudet kommt der Zwischenfall vor, daß ein König seine Krone als Pfand hinterlegen muß, aber diese Romanerfindung wurde neuerdings durch ein wirkliches Ereigniß parodirt. Bei einem Gasthofsbesitzer in Ostende verpfändete ein König seine Krone für seine zu mehreren tausend Franken angewachsenen Gasthausschulden. Als der Wirth indeß die Schachtel öffnete, fand er in Papier eingewickelte Kieselsteine darin. Und doch war’s ein fürstliches Haupt aus Ostasien gewesen, Marie I., König der Sedangs, der bei ihm gewohnt hatte. Marie I., der als „regierender Fürst“ den Namen seiner Mutter annahm, war in Paris geboren und wurde, nachdem er sein Erbe durchgebracht, nach Tongking geschickt, um sich dort irgend eine Stellung zu verschaffen. Er begab sich, und zwar mit Unterstützung der Regierung, zu den unbekannten Stämmen des Innern, und da er durch seine Kraft und Gewandtheit auf diese Eindruck machte, so wählten ihn die Sedangs zu ihrem König. Er kehrte nun nach Tongking und dann nach Frankreich zurück und vertheilte überall die Großkreuze und kleineren Insignien des von ihm gestifteten Ordens. Dafür mußten die Empfänger ihm Geld borgen oder auf sein Anlehen zeichnen. Zwar nicht von der Regierung, aber von hundert unternehmungslustigen Glücksrittern, die ihm ihre Dienste anboten, wurde König Marie ernst genommen. In Paris ging’s mit seiner Herrlichkeit alsbald zu Ende; aber in Belgien fand sich ein reicher Kaufmann, der ihm 40 000 Franken, Waffen und sonstige Ausrüstung zu einem Zuge zu den Sedangs gab. Auf dem Schiffe machte er die tollsten Streiche; in Singapore verliebte er sich in eine Mulattin und brachte mit ihr das ganze Geld für die Expedition durch. Auf einer benachbarten Insel gerieth er in Streit mit einem Franzosen Villeneuve, den er wahrscheinlich vergiftete. Der französische Konsul in Singapore wollte ihn verhaften lassen. Doch Marie I. starb inzwischen durch Selbstmord oder von einem andern vergiftet. Ein starkes Gift trug er immer neben seinen Orden bei sich, um gelegentlich von dem einen oder von den anderen Gebrauch zu machen. In seinem Nachlaß fanden sich hübsche rosarothe Postmarken mit fünf Kronen, doch hat es nie in seinem Reiche eine Post gegeben. †